Language of document : ECLI:EU:T:2021:312

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

2. Juni 2021(*)

„Unionsmarke – Widerspruchsverfahren – Anmeldung der Unionswortmarke Hispano Suiza – Ältere Unionswortmarke HISPANO SUIZA – Relatives Eintragungshindernis – Verwechslungsgefahr – Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 (jetzt Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung [EU] 2017/1001)“

In der Rechtssache T‑177/20,

Erwin Leo Himmel, wohnhaft in Walchwil (Schweiz), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt A. Gomoll,

Kläger,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch M. Fischer als Bevollmächtigten,

Beklagter,

anderer Beteiligter im Verfahren vor der Beschwerdekammer des EUIPO:

Gonzalo Andres Ramirez Monfort, wohnhaft in Barcelona (Spanien),

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des EUIPO vom 21. Januar 2020 (Sache R 67/2019‑1) zu einem Widerspruchsverfahren zwischen Herrn Himmel und Herrn Ramirez Monfort

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. M. Collins, des Richters Z. Csehi und der Richterin G. Steinfatt (Berichterstatterin),

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund der am 30. März 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 21. Juli 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien innerhalb von drei Wochen nach der Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des darauf gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 18. Februar 2017 meldete der andere Beteiligte im Verfahren vor dem Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), Herr Gonzalo Andres Ramirez Monfort, nach der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) in geänderter Fassung (ersetzt durch die Verordnung [EU] 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke [ABl. 2017, L 154, S. 1]) beim EUIPO eine Unionsmarke an.

2        Dabei handelt es sich um das Wortzeichen Hispano Suiza.

3        Die Eintragung wurde für folgende Waren der Klasse 12 im Sinne des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung beantragt: „Automobile“.

4        Die Markenanmeldung wurde im Blatt für Unionsmarken Nr. 2017/038 vom 24. Februar 2017 veröffentlicht.

5        Am 17. Mai 2017 erhob der Kläger, Herr Erwin Leo Himmel, gemäß Art. 41 der Verordnung Nr. 207/2009 (jetzt Art. 46 der Verordnung 2017/1001) Widerspruch gegen die Eintragung der angemeldeten Marke hinsichtlich der oben in Rn. 3 genannten Waren.

6        Der Widerspruch war auf die ältere Unionswortmarke HISPANO SUIZA gestützt, die am 1. August 2016 unter der Nr. 9184003 u. a. für folgende Waren der Klassen 14 und 25 eingetragen worden war:

–        Klasse 14: „Uhren und Zeitmessinstrumente“;

–        Klasse 25: „Bekleidungsstücke, Schuhwaren, Kopfbedeckungen“.

7        Der Widerspruch wurde auf die in Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 (jetzt Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001) genannten Gründe gestützt.

8        Mit Entscheidung vom 12. November 2018 wies die Widerspruchsabteilung den Widerspruch mit der Begründung zurück, dass mangels Ähnlichkeit zwischen den angegriffenen Waren und den von der älteren Marke erfassten Waren keine Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 bestehen könne.

9        Am 10. Januar 2019 legte der Kläger beim EUIPO nach den Art. 66 bis 68 der Verordnung 2017/1001 Beschwerde gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung ein.

10      Mit Entscheidung vom 21. Januar 2020 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Erste Beschwerdekammer des EUIPO die Beschwerde zurück.

11      Sie stellte fest, dass, wie die Widerspruchsabteilung erläutert habe, Fahrzeuge wie Automobile keinesfalls als mit Uhren, Zeitmessgeräten, Bekleidungsstücken, Schuhwaren und Kopfbedeckungen ähnlich anzusehen seien (Rn. 18 der angefochtenen Entscheidung). Automobile, also Transportmittel, unterschieden sich in jeder Hinsicht von den anderen Waren, bei denen es sich um Zeitmessinstrumente und Waren zur Bedeckung und zum Schutz des Körpers handele (Rn. 19 der angefochtenen Entscheidung). Diese beiden Warenkategorien unterschieden sich ganz offensichtlich nach ihrer Art, ihrem Verwendungszweck und ihrer Nutzung (Rn. 20 der angefochtenen Entscheidung). Weder handele es sich um konkurrierende Waren, da sie offensichtlich unterschiedliche Bedürfnisse erfüllten, noch um einander ergänzende Waren, da etwa das Führen eines Fahrzeugs für eine Person, die sich kleiden bzw. die Uhrzeit wissen möchte, nicht unerlässlich sei (Rn. 21 der angefochtenen Entscheidung). Außerdem habe der Kläger weder geltend gemacht, dass die einander gegenüberstehenden Waren ihrer Art, ihrem Verwendungszweck oder ihrer Nutzung nach ähnlich seien, noch, dass sie miteinander konkurrierten oder einander ergänzten (Rn. 22 der angefochtenen Entscheidung).

12      Im Übrigen wies die Beschwerdekammer das Vorbringen des Klägers zurück, wonach erstens eine „Geschäftspraxis“ der Automobilhersteller bestehe, die Benutzung ihrer bekannten Marke auf andere Waren, wie Bekleidungsstücke, Uhren und andere Accessoires, auszudehnen, diese Praxis zweitens der breiten Öffentlichkeit bekannt sei, drittens die breite Öffentlichkeit demnach davon ausgehe, dass die Benutzung ein und derselben Marke für die einander gegenüberstehenden Waren darauf hinweise, dass sie aus demselben Unternehmen stammten, und daher viertens diese Waren als „ähnlich“ wahrgenommen würden (Rn. 23 und 26 der angefochtenen Entscheidung). Der Kläger versuche auf diese Weise, ein neues Ähnlichkeitskriterium – nämlich die „Geschäftspraxis“ – an die Stelle der von der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien – nämlich Art, Verwendungszweck, Nutzung und die Frage, ob die Waren miteinander im Wettbewerb stehen oder sich ergänzen – zu setzen (Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung). Er habe jedoch nicht bestritten, dass nach den Rechtsprechungskriterien die Automobile und die von der älteren Marke erfassten Waren keinerlei Ähnlichkeit aufwiesen (Rn. 25 der angefochtenen Entscheidung).

13      Relevant sei die Geschäftspraxis lediglich für die Feststellung einer „gedanklichen Verknüpfung“ zwischen den Marken und den mit ihnen gekennzeichneten Waren im Rahmen des Eintragungshindernisses nach Art. 8 Abs. 5 der Verordnung 2017/1001, auf das sich der Kläger vor der Beschwerdekammer nicht berufen habe (Rn. 27 der angefochtenen Entscheidung).

14      Daraufhin entschied die Beschwerdekammer, dass die Benutzung der angegriffenen Marke für Automobile keine Gefahr der Verwechslung oder der gedanklichen Verbindung mit der älteren für Waren in den Klassen 14 und 25 eingetragenen Marke begründe, und wies den Widerspruch als „offensichtlich unbegründet“ zurück.

 Anträge der Parteien

15      Der Kläger beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

16      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

17      Der Kläger stützt seine Klage auf einen einzigen Klagegrund, mit dem er einen Verstoß gegen Art. 46 Abs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 sowie eine Verletzung der Begründungspflicht rügt.

18      Zunächst ist festzustellen, dass angesichts des für die Bestimmung des anwendbaren materiellen Rechts maßgeblichen Zeitpunkts der in Rede stehenden Anmeldung – nämlich der 18. Februar 2017 – die materiell-rechtlichen Vorschriften der Verordnung Nr. 207/2009 auf den Rechtsstreit anwendbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Mai 2014, Bimbo/HABM, C‑591/12 P, EU:C:2014:305, Rn. 12, und vom 18. Juni 2020, Primart/EUIPO, C‑702/18 P, EU:C:2020:489, Rn. 2 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im Übrigen ist bei Verfahrensvorschriften im Allgemeinen davon auszugehen, dass sie ab dem Datum ihres Inkrafttretens Anwendung finden (vgl. Urteil vom 11. Dezember 2012, Kommission/Spanien, C‑610/10, EU:C:2012:781, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung). Was im vorliegenden Fall die materiell-rechtlichen Vorschriften betrifft, ist, wenn die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung sowie der Kläger und das EUIPO in ihrem Vorbringen auf Art. 8 Abs. 1 und 5 der Verordnung 2017/1001 verweisen, damit folglich der inhaltsgleiche Art. 8 Abs. 1 und 5 der Verordnung Nr. 207/2009 gemeint. Was die Verfahrensvorschriften betrifft, ist, da der Widerspruch am 17. Mai 2017 erhoben wurde, mit den Verweisen des Klägers auf Art. 46 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2017/1001, der u. a. die Frist für den Widerspruch regelt, der inhaltsgleiche Art. 41 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 gemeint, der zum Zeitpunkt des Widerspruchs in Kraft war.

19      Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, die Beschwerdekammer habe zu Unrecht eine Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Waren verneint. Sie habe nämlich weder alle angesichts der Umstände des vorliegenden Falls für den Warenvergleich relevanten Faktoren berücksichtigt, noch sei sie auf alle relevanten Argumente eingegangen, die er für eine Ähnlichkeit zwischen diesen Waren vorgebracht habe.

20      Als Erstes macht der Kläger geltend, die Liste der von der Rechtsprechung für die Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen entwickelten Faktoren sei nicht abschließend.

21      Aus Rn. 23 des Urteils vom 29. September 1998, Canon (C‑39/97, EU:C:1998:442), gehe hervor, dass bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Waren oder Dienstleistungen alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen seien. Hierzu gehörten u. a. ihre Art, ihr Verwendungszweck und ihre Nutzung sowie die Frage, ob sie miteinander konkurrierten oder einander ergänzten (im Folgenden: Canon-Kriterien). Der Ausdruck „insbesondere“ zeige, dass die Aufzählung dieser Faktoren rein beispielhaft sei; andere relevante Faktoren könnten hinzutreten oder an ihre Stelle treten, wie es auch hier der Fall sei. Die Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen hänge nicht von einer bestimmten Anzahl von Kriterien ab, die im Voraus bestimmt und auf alle Einzelfälle angewandt werden könnten.

22      Nach ständiger Rechtsprechung seien neben den Canon-Kriterien auch andere Faktoren zu berücksichtigen, nämlich die Vertriebswege, die maßgeblichen Verkehrskreise und die übliche Herkunft der Waren oder sogar die Identität der Hersteller. Bei der Beurteilung der Warenähnlichkeit müsse sich der Vergleich auf die Ermittlung der relevanten Faktoren konzentrieren, die für die zu vergleichenden Waren besonders kennzeichnend seien, wobei insbesondere die geschäftliche Realität in Bezug auf diese Waren zu berücksichtigen sei. Die Relevanz eines bestimmten Faktors hänge daher von den zu vergleichenden Waren ab. Die übliche Herkunft der Waren und eine bestimmte bei den Automobilherstellern in der Europäischen Union gefestigte Marktpraxis seien vorliegend die entscheidenden Faktoren. Die Beschwerdekammer habe aber keinen anderen Faktor als die Canon-Kriterien berücksichtigt und lediglich festgestellt, dass der Faktor der Geschäftspraxis, auf den der Kläger sich berufe, ein neuer Faktor sei, der im Urteil vom 29. September 1998, Canon (C‑39/97, EU:C:1998:442), nicht vorkomme und daher unzulässig sei.

23      Die Beurteilung der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Waren könne sich vorliegend nicht auf die Canon-Kriterien beschränken, da sonst relevante Gesichtspunkte für die Beurteilung der Warenähnlichkeit außer Acht gelassen würden, wie zum einen die gängige Praxis der meisten Automobilhersteller in der Union, in großem Maße Bekleidung herzustellen und zu verkaufen, und zum anderen die Tatsache, dass die Verbraucher diese Praxis kennen würden und daran gewöhnt seien. Außerdem habe diese Marktpraxis vorliegend zu einem bestimmten kognitiven Verhalten, einer gewissen Einstellung, geführt.

24      Außerdem werde eine bestimmte Marktpraxis in einer bestimmten Branche allgemein als ein entscheidender Faktor angesehen, wie die Entscheidungen der Fünften Beschwerdekammer des EUIPO vom 8. Juni 2017 (Sache R 1447/2016‑5, Rn. 54) und vom 16. November 2017 (Sache R 968/2015‑5, Rn. 49) und die der Zweiten Beschwerdekammer des EUIPO vom 15. Dezember 2017 (Sache R 1527/2017‑2, Rn. 26) veranschaulichten.

25      Als Zweites führt der Kläger an, wenn die Beschwerdekammer die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Waren im Licht des Kriteriums der den Verbrauchern bekannten Geschäftspraxis beurteilt hätte, die darin bestehe, dass Automobilhersteller in der Union nicht nur Automobile sowie Autoteile und ‑zubehör, sondern auch eine breite Palette von Kleidungsstücken und Accessoires anböten, hätte sie die Ähnlichkeit der Waren bejahen müssen. Die tatsächlichen und potenziellen Käufer von Kleidungsstücken und Accessoires, die mit einer Marke versehen seien, die auch für Automobile benutzt werde, wollten auf diese Weise allgemein bezeugen, dass sie ein Fahrzeug eines bestimmten Herstellers besäßen oder an dessen Fahrzeugen interessiert seien oder diese bewunderten; deshalb würden sie diese verschiedenen Warenkategorien gedanklich miteinander verbinden. Außerdem seien die maßgeblichen Verkehrskreise, wenn ein und dieselbe Marke sowohl für Automobile als auch für Uhren, Zeitmessinstrumente, Bekleidungsstücke, Schuhwaren und Kopfbedeckungen benutzt werde, davon überzeugt, dass all diese Waren unter der einheitlichen Kontrolle eines Unternehmens oder zumindest wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen hergestellt oder vermarktet würden, auch wenn die Waren weder miteinander konkurrierten noch einander ergänzten.

26      Als Drittes trägt der Kläger vor, die Beschwerdekammer habe auch deshalb zu Unrecht die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Waren verneint, weil sie nicht berücksichtigt habe, dass diese von denselben Herstellern stammten und über dieselben Vertriebswege verkauft würden. Hierzu führt er erstens aus, der tatsächliche Herstellungsort an sich sei nicht so entscheidend wie die Frage, ob die maßgeblichen Verkehrskreise berücksichtigten, wer die Herstellung oder Lieferung dieser Waren leite bzw. kontrolliere; die Widerspruchsabteilung habe festgestellt, dass heutzutage Automobilhersteller ebenfalls mit ihrer Marke versehene Waren wie die in den Klassen 14 und 25 anböten. Sie habe auch anerkannt, dass Automobile, Bekleidungsstücke und Uhren oft unter der Verantwortung derselben Hersteller, nämlich der Automobilhersteller, hergestellt und geliefert würden. Zweitens ergebe sich aus den als Anlage zur Klageschrift beigefügten ausgedruckten Webseiten, dass die Bekleidungsstücke und die Accessoires, die von den Automobilherstellern angeboten würden, auf deren Internetseiten verfügbar seien, die oft auch detaillierte Informationen zu den angebotenen Fahrzeugen enthielten. Außerdem böten viele Hersteller ihre Bekleidungsstücke über ihre üblichen Automobilhändler an.

27      Daher ergebe sich die Ähnlichkeit der in Rede stehenden Waren auch daraus, dass sie vom selben Hersteller stammten und über dieselben Vertriebswege angeboten oder verkauft würden. Die Benutzung der Anmeldemarke für Automobile begründe daher die Gefahr der Verwechslung und der gedanklichen Verbindung mit der älteren für Waren in den Klassen 14 und 25 eingetragenen Marke.

28      Das EUIPO tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen.

29      Als Erstes macht es geltend, auch wenn die Rechtsprechung die relevanten Faktoren nicht abschließend nenne, stelle sie doch eine Reihe von Faktoren auf, die durchweg bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der betreffenden Waren oder Dienstleistungen zu berücksichtigen seien, nämlich die Canon-Kriterien. Je nach den Besonderheiten des Einzelfalls könnten sich auch „zusätzliche“ Faktoren wie die Vertriebswege, die betroffenen Verkehrskreise oder die übliche Herkunft der Waren oder Dienstleistungen als relevant erweisen.

30      Hier bestreite der Kläger auch nicht, dass die Anwendung der Canon-Kriterien keinerlei Ähnlichkeit zwischen Automobilen auf der einen Seite und Uhren, Zeitmessinstrumenten, Bekleidungsstücken, Schuhwaren und Kopfbedeckungen auf der anderen Seite offenbare.

31      Als Zweites bestreitet das EUIPO die Relevanz der vom Kläger angeführten Geschäftspraxis, die für die Automobilbranche charakteristisch sein solle. Die Geschäftspraxis könne im Rahmen der Prüfung einer gedanklichen Verknüpfung im Sinne von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung Nr. 207/2009 in gewissem Maße relevant sein, jedoch sei sie für die Beurteilung der Warenähnlichkeit nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung kein relevanter und erst recht kein entscheidender Faktor. Der Begriff der gedanklichen Verknüpfung, für dessen Herstellung die Geschäftspraxis eine Rolle spielen könne, sei nämlich weiter als der Begriff der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009. Das EUIPO weist insoweit darauf hin, dass die Entscheidung der Fünften Beschwerdekammer des EUIPO vom 8. Juni 2017 (Sache R 1447/2016‑5), auf die sich der Kläger stütze, nicht die Warenähnlichkeit nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 betreffe, sondern die Herstellung einer gedanklichen Verknüpfung im Rahmen von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung. Da der Kläger keinen Verstoß gegen Art. 8 Abs. 5 der Verordnung Nr. 207/2009 geltend gemacht habe, sei sein Vorbringen zur angeblichen Bedeutung der Geschäftspraxis als in der vorliegenden Rechtssache entscheidender Faktor zurückzuweisen.

32      Als Drittes ist das EUIPO der Ansicht, erstens sei das zusätzliche Kriterium der üblichen Herkunft der Waren restriktiv zu handhaben, um seine Verwässerung zu vermeiden. Gehe man nämlich davon aus, dass alle Arten von Waren oder Dienstleistungen, die von ein und demselben großen Unternehmen oder von ein und derselben großen Gesellschaft stammten, dieselbe Herkunft haben, verlöre dieses Kriterium seine Bedeutung. Auch wenn es für Automobilhersteller nicht ungewöhnlich sei, ihre Automarke auf zahlreichen anderen Waren anzubringen, sei den Verkehrskreisen durchaus bewusst, dass es sich dabei allgemein um eine Tätigkeit handele, um mit von anderen Unternehmen hergestellten Merchandise-Artikeln und Accessoires das Hauptprodukt – Automobile – zu bewerben, und nicht um die Hauptgeschäftstätigkeit des Automobilherstellers und Markeninhabers. Der Verkehr sei sich völlig dessen bewusst, dass sich der Markt für Bekleidungsstücke und Uhren grundlegend vom Markt für Automobile unterscheide, und erwarte daher im Allgemeinen nicht, dass die einander gegenüberstehenden Waren von demselben Unternehmen hergestellt und angeboten würden.

33      Zweitens könnten sich die einander gegenüberstehenden Waren tatsächlich alle an die Endverbraucher richten. Uhren oder Bekleidungsstücke könnten auch gelegentlich dieselben Vertriebswege wie Automobile haben, da sie auf Internetseiten von Autohändlern oder auch physisch in Autohäusern als Merchandise-Artikel angeboten werden könnten. Diese mögliche Verbindung bedeute jedoch nicht, dass Waren wie Bekleidungsstücke oder Uhren eine homogene Gruppe mit Automobilen bildeten oder dass sie im Allgemeinen Seite an Seite mit Automobilen angeboten und verkauft würden. Jedenfalls wögen auch etwaige Zusammenhänge im Rahmen zusätzlicher, relativ schwacher Faktoren wie die angesprochenen Verkehrskreise oder die Vertriebswege keinesfalls schwerer als fehlende Ähnlichkeiten in Bezug auf die Art, den Verwendungszweck und die Nutzung der Waren oder andere Canon-Kriterien.

34      Da eine der Voraussetzungen von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009, nämlich die Ähnlichkeit der Waren, nicht erfüllt sei, habe die Beschwerdekammer die Beschwerde daher zu Recht als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.

35      Zunächst ist festzustellen, dass der Kläger seine Klage nicht nur auf Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009, sondern auch auf Art. 41 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 stützt, jedoch kein konkretes Argument zu dieser Bestimmung vorträgt, die im Übrigen vor allem Regeln für die Erhebung des Widerspruchs gegen die Eintragung einer Marke vorsieht. Somit ist davon auszugehen, dass mit dem vorliegenden Klagegrund ausschließlich ein Verstoß gegen Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 gerügt wird.

36      Nach dieser Vorschrift ist die angemeldete Marke auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke von der Eintragung ausgeschlossen, wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet besteht, in dem die ältere Marke Schutz genießt; dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.

37      Der Begriff der Gefahr der gedanklichen Verbindung ist keine Alternative zum Begriff der Verwechslungsgefahr, sondern soll dessen Umfang genauer bestimmen. Bereits nach seinem Wortlaut schließt Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 daher die Anwendung des Begriffs der Gefahr der gedanklichen Verbindung aus, wenn für die maßgeblichen Verkehrskreise keine Verwechslungsgefahr besteht (vgl. Urteil vom 11. September 2014, Continental Wind Partners/HABM – Continental Reifen Deutschland [CONTINENTAL WIND PARTNERS], T‑185/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:769 Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Nach ständiger Rechtsprechung liegt Verwechslungsgefahr im Sinne von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 vor, wenn die Verkehrskreise glauben könnten, dass die betreffenden Waren oder Dienstleistungen aus demselben Unternehmen oder aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammen. Das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für die maßgeblichen Verkehrskreise ist unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen, zu denen insbesondere der Grad der Ähnlichkeit zwischen den einander gegenüberstehenden Zeichen und zwischen den in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen sowie das Ausmaß der Bekanntheit und der Grad der originären oder durch Benutzung erworbenen Unterscheidungskraft der älteren Marke gehören (Urteile vom 24. März 2011, Ferrero/HABM, C‑552/09 P, EU:C:2011:177, Rn. 64, und vom 8. Mai 2014, Bimbo/HABM, C‑591/12 P, EU:C:2014:305, Rn. 20; vgl. auch Urteil vom 9. Juli 2003, Laboratorios RTB/HABM – Giorgio Beverly Hills [GIORGIO BEVERLY HILLS], T‑162/01, EU:T:2003:199, Rn. 30 und 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39      Diese umfassende Beurteilung der Verwechslungsgefahr impliziert eine gewisse Wechselbeziehung zwischen den berücksichtigten Faktoren, insbesondere der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen und der Ähnlichkeit der in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen. So kann ein geringer Grad der Ähnlichkeit der in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Zeichen ausgeglichen werden und umgekehrt (vgl. Urteil vom 18. Dezember 2008, Éditions Albert René/HABM, C‑16/06 P, EU:C:2008:739, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Jedoch setzt für die Anwendung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 eine Verwechslungsgefahr voraus, dass sowohl die einander gegenüberstehenden Marken als auch die mit ihnen gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen identisch oder ähnlich sind. Es handelt sich hierbei um kumulative Voraussetzungen (vgl. Urteil vom 22. Januar 2009, Commercy/HABM – easyGroup IP Licensing [easyHotel], T‑316/07, EU:T:2009:14, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Selbst wenn eine Identität mit einer besonders unterscheidungskräftigen Marke besteht, ist daher eine Ähnlichkeit zwischen den gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen nachzuweisen (Beschluss vom 9. März 2007, Alecansan/HABM, C‑196/06 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2007:159, Rn. 24). Anders als etwa Art. 8 Abs. 5 der Verordnung Nr. 207/2009, der ausdrücklich auf Fälle abstellt, in denen die Waren oder Dienstleistungen nicht ähnlich sind, setzt nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung eine Verwechslungsgefahr eine Identität oder Ähnlichkeit der gekennzeichneten Waren oder Dienstleistungen voraus (Urteil vom 7. Mai 2009, Waterford Wedgwood/Assembled Investments [Proprietary] und HABM, C‑398/07 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:288, Rn. 34).

42      Vorliegend hat die Beschwerdekammer allein auf der Grundlage eines Vergleichs der einander gegenüberstehenden Waren festgestellt, dass für die maßgeblichen Verkehrskreise keine Verwechslungsgefahr bestehe, ohne die übrigen oben in Rn. 38 genannten Voraussetzungen – insbesondere die Ähnlichkeit der Zeichen – zu prüfen und ohne das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände umfassend zu beurteilen. Jedoch hätte sie im Fall einer – auch nur schwachen – Ähnlichkeit der Waren prüfen müssen, ob nicht ein etwaiger höherer Ähnlichkeitsgrad oder sogar die Identität der Zeichen geeignet war, beim Verbraucher eine Gefahr von Verwechslungen hinsichtlich der Herkunft der Waren entstehen zu lassen (Urteil vom 11. Juli 2007, El Corte Inglés/HABM – Bolaños Sabri [PiraÑAM diseño original Juan Bolaños], T‑443/05, EU:T:2007:219, Rn. 40).

43      Daher ist zu prüfen, ob die Beschwerdekammer eine Ähnlichkeit der mit den einander gegenüberstehenden Marken gekennzeichneten Waren zu Recht verneint hat.

 Zur Relevanz des Kriteriums der „Geschäftspraxis“

44      Nach der aus Rn. 23 des Urteils vom 29. September 1998, Canon (C‑39/97, EU:C:1998:442), hervorgegangenen Rechtsprechung sind beim Vergleich der von den einander gegenüberstehenden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen alle relevanten Faktoren zu berücksichtigen, die das Verhältnis zwischen ihnen kennzeichnen. Hierzu gehören insbesondere ihre Art, ihr Verwendungszweck und ihre Nutzung sowie die Frage, ob sie miteinander konkurrieren oder einander ergänzen. Auch andere Faktoren können berücksichtigt werden, wie z. B. die Vertriebswege der betreffenden Waren oder Dienstleistungen oder auch der Umstand, dass diese Waren oder Dienstleistungen häufig an denselben spezialisierten Verkaufsstätten verkauft werden, der die Wahrnehmung der zwischen den Waren bestehenden engen Zusammenhänge durch den angesprochenen Verbraucher begünstigen und den Eindruck verstärken kann, dass die Herstellung dieser Waren oder die Erbringung dieser Dienstleistungen in der Verantwortung desselben Unternehmens liegt (Urteile vom 21. Januar 2016, Hesse/HABM, C‑50/15 P, EU:C:2016:34, Rn. 21 bis 23, und vom 10. Juni 2015, AgriCapital/HABM – agri.capital [AGRI.CAPITAL], T‑514/13, EU:T:2015:372, Rn. 29; vgl. auch Urteil vom 2. Oktober 2015, The Tea Board/HABM – Delta Lingerie [Darjeeling], T‑627/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:740, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Die Formulierung, dass „alle relevanten Faktoren zu berücksichtigen [sind], die das Verhältnis zwischen den Waren oder Dienstleistungen kennzeichnen“, und dass „[h]ierzu … insbesondere ihre Art, ihr Verwendungszweck und ihre Nutzung sowie die Frage, ob sie miteinander konkurrieren oder einander ergänzen, [gehören]“, zeigt eindeutig, dass diese Liste von Kriterien nicht abschließend ist, wie der Kläger zu Recht geltend macht. Die Liste wurde denn auch nach der Verkündung des Urteils vom 29. September 1998, Canon (C‑39/97, EU:C:1998:442), durch das Hinzufügen weiterer Kriterien ergänzt (Urteil vom 21. Juli 2016, Ogrodnik/EUIPO – Aviário Tropical [Tropical], T‑804/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:431, Rn. 58), etwa das der üblichen Herkunft der betreffenden Waren (Urteile vom 26. September 2017, Banca Monte dei Paschi di Siena und Banca Widiba/EUIPO – ING-DIBa [WIDIBA], T‑83/16, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:662, Rn. 64, und vom 13. November 2018, Camomilla/EUIPO – CMT [CAMOMILLA], T‑44/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:775, Rn. 76 und 91) und, wie oben in Rn. 44 angeführt, das der Vertriebswege der betreffenden Waren. Außerdem wurde festgestellt, dass der Umstand, dass die streitigen Waren in den selben Fachzeitschriften beworben werden, auch ein Faktor ist, der dazu führen kann, dass der betreffende Verbraucher die zwischen den Waren bestehenden engen Zusammenhänge leichter wahrnimmt, und der den Eindruck verstärken kann, dass ihre Herstellung in der Verantwortung desselben Unternehmens liegt (Urteil vom 13. Februar 2014, Demon International/HABM – Big Line [DEMON], T‑380/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:76, Rn. 42).

46      Unter diesen Umständen hat die Beschwerdekammer in den Rn. 24 und 27 der angefochtenen Entscheidung einen Rechtsfehler begangen, indem sie es grundsätzlich ausgeschlossen hat, die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Waren im Licht des vom Kläger angeführten Kriteriums der Geschäftspraxis zu beurteilen. Es ist nämlich nicht ausgeschlossen, dass für die Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen im Allgemeinen und der einander gegenüberstehenden Waren im Besonderen über die von der Beschwerdekammer in Rn. 17 der angefochtenen Entscheidung genannten Kriterien – nämlich die Canon-Kriterien, die Vertriebswege und die Identität der Verkaufsstätten – hinaus weitere Kriterien relevant sein könnten.

47      Zwar hat die Beschwerdekammer in Rn. 17 der angefochtenen Entscheidung auf die für die Beurteilung der Warenähnlichkeit relevanten Kriterien hingewiesen und zugleich ausgeführt, dass auch andere Faktoren berücksichtigt werden können. Jedoch hat sie die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Waren im Hinblick auf diese anderen Faktoren nicht geprüft. Speziell zu der vom Kläger angeführten Geschäftspraxis hat die Beschwerdekammer in Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass der Argumentation des Klägers nicht gefolgt werden könne, weil damit versucht werde, die von der Rechtsprechung aufgestellten Ähnlichkeitskriterien – Art, Verwendungszweck, Nutzung, Konkurrenz- bzw. Ergänzungsverhältnis – durch ein neues Kriterium – die Geschäftspraxis – zu ersetzen. Da nach den Kriterien der Rechtsprechung keine Ähnlichkeit bejaht werden könne, sei das auf die Geschäftspraxis gestützte Vorbringen des Klägers zurückzuweisen (Rn. 25 und 26 der angefochtenen Entscheidung). Die Geschäftspraxis könne nur für die Feststellung einer gedanklichen Verknüpfung zwischen den Marken im Rahmen des Eintragungshindernisses nach Art. 8 Abs. 5 der Verordnung Nr. 207/2009 relevant sein (Rn. 27 der angefochtenen Entscheidung).

48      Die Rn. 24 bis 27 der angefochtenen Entscheidung können nicht so verstanden werden, dass nach Ansicht der Beschwerdekammer ihre auf der Anwendung der Canon-Kriterien gründende Analyse nur durch den Faktor der Geschäftspraxis nicht in Frage gestellt werden kann. Dies liefe nämlich der Schlussfolgerung zuwider, die sich aus den Rn. 21 und 23 des Urteils vom 21. Januar 2016, Hesse/HABM (C‑50/15 P, EU:C:2016:34), ergibt, wonach nicht auszuschließen ist, dass auf ein relevantes Kriterium als solches das Vorliegen einer Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen gestützt werden kann, auch wenn die Anwendung der anderen Kriterien eher auf fehlende Ähnlichkeit hindeutet. Jedenfalls ist es unmöglich, zu beurteilen, wie sich ein zusätzliches Kriterium wie die Geschäftspraxis auf die Analyse, die bereits anhand der aus dem Urteil vom 29. September 1998, Canon (C‑39/97, EU:C:1998:442), hervorgegangenen Faktoren vorgenommen wurde, auswirkt, bevor dieses Kriterium angemessen geprüft wurde. Die Beschwerdekammer hat eine solche Prüfung allerdings nicht vorgenommen.

49      Außerdem enthält Rn. 27 der angefochtenen Entscheidung ihrem Wortlaut nach keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Beschwerdekammer die Feststellung, dass „[d]ie Geschäftspraxis … nur für die Feststellung einer ‚gedanklichen Verknüpfung‘ zwischen den Marken (und den mit ihnen gekennzeichneten Waren), also im Rahmen des Eintragungshindernisses nach Art. 8 Abs. 5 der [Verordnung Nr. 207/2009] relevant sein [kann]“, auf die Umstände des vorliegenden Falles hätte beschränken wollen. Mit dieser apodiktischen Feststellung bringt die Beschwerdekammer eindeutig zum Ausdruck, dass die Geschäftspraxis für die Prüfung der Warenähnlichkeit im Rahmen von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 ihrer Ansicht nach auf keinen Fall von Bedeutung sein kann. In seiner Klagebeantwortung hat das EUIPO bestätigt, dass die Geschäftspraxis nach seinem Verständnis bei der Beurteilung der Warenähnlichkeit nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 kein relevanter Faktor sei.

50      Zwar stützt sich der Kläger zu Unrecht auf drei Entscheidungen der Beschwerdekammern des EUIPO, um geltend zu machen, dass dieses Kriterium in der Entscheidungspraxis des EUIPO für die Beurteilung der Warenähnlichkeit im Rahmen der Anwendung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 bereits als relevant angesehen worden sei (siehe oben, Rn. 24). Zum einen wurde, wie das EUIPO zu Recht geltend macht, die Entscheidung der Fünften Beschwerdekammer des EUIPO vom 8. Juni 2017 (Sache R 1447/2016‑5) nicht auf der Grundlage von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b, sondern von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung Nr. 207/2009 erlassen. Zum anderen wurde in den Entscheidungen der Fünften Beschwerdekammer des EUIPO vom 16. November 2017 (Sache R 968/2015‑5, Rn. 49) und der Zweiten Beschwerdekammer des EUIPO vom 15. Dezember 2017 (Sache R 1527/2017‑2, Rn. 26) die Geschäftspraxis bei der umfassenden Beurteilung des Vorliegens einer Verwechslungsgefahr und nicht der Warenähnlichkeit berücksichtigt.

51      Dabei ist das Kriterium der Geschäftspraxis auch ohne ausdrückliche Erwähnung bereits bei der Beurteilung der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Waren oder Dienstleistungen berücksichtigt worden. So wurde etwa berücksichtigt, dass die Waren und Dienstleistungen oft gemeinsam vermarktet wurden, um eine Ähnlichkeit zwischen ihnen zu bejahen (Urteil vom 4. Juni 2015, Yoo Holdings/HABM – Eckes-Granini Group [YOO], T‑562/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:363, Rn. 27). Auch wurde festgestellt, dass zu prüfen sei, ob die Verbraucher die Vermarktung der einander gegenüberstehenden Waren unter derselben Marke als gängig ansehen, was normalerweise bedeuten würde, dass die jeweiligen Hersteller oder Händler der Waren großteils dieselben sind (Urteile vom 9. Juli 2015, Nanu-Nana Joachim Hoepp/HABM – Vincci Hoteles [NANU], T‑89/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:479, Rn. 35, und vom 10. Oktober 2018, Cuervo y Sobrinos 1882/EUIPO – A. Salgado Nespereira [Cuervo y Sobrinos LA HABANA 1882], T‑374/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:669, Rn. 41; vgl. auch Urteil vom 13. Februar 2020, Delta-Sport/EUIPO – Delta Enterprise [DELTA SPORT], T‑387/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:65, Rn. 59 und 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

52      Anders als es Rn. 27 der angefochtenen Entscheidung und die oben in Rn. 31 angeführten Argumente des EUIPO nahelegen könnten, schließt darüber hinaus der Umstand, dass ein Kriterium bei der Anwendung von Art. 8 Abs. 5 der Verordnung Nr. 207/2009 als relevant angesehen wird, für sich genommen nicht aus, dass es bei der Anwendung von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b relevant ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Februar 2015, Compagnie des montres Longines, Francillon/HABM – Cheng [B], T‑505/12, EU:T:2015:95, Rn. 47 und 48).

53      Ebenso ist das Vorbringen des EUIPO zurückzuweisen, wonach zum einen aus der Rechtsprechung hervorgehe, dass, um die Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen zu beurteilen, die Canon-Kriterien stets zu berücksichtigen seien, zusätzliche Kriterien hingegen je nach den Besonderheiten des Einzelfalls relevant sein könnten, und zum anderen, dass diese Kriterien „schwach“ seien, so dass sie keinesfalls schwerer wiegen könnten als fehlende Ähnlichkeit nach den Canon-Kriterien. Aus dem Urteil vom 21. Januar 2016, Hesse/HABM (C‑50/15 P, EU:C:2016:34, Rn. 23), geht nämlich erstens hervor, dass jedes von der Rechtsprechung entwickelte Kriterium, unabhängig davon, ob es eines der ursprünglichen Kriterien ist oder später hinzugekommen ist, nur eines unter vielen ist, zweitens, dass die Kriterien eigenständig sind, und drittens, dass die Ähnlichkeit zwischen den Waren oder Dienstleistungen auf einem einzigen dieser Kriterien beruhen kann (siehe oben, Rn. 48). Dazu kommt, dass das EUIPO zwar alle erheblichen Faktoren zu berücksichtigen hat, die das Verhältnis zwischen den betreffenden Waren kennzeichnen; Faktoren, die für dieses Verhältnis nicht relevant sind, kann es jedoch außer Acht lassen (vgl. Urteil vom 23. November 2011, Pukka Luggage/HABM – Azpiroz Arruti [PUKKA], T‑483/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2011:692, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54      Auch aus den Prüfungsrichtlinien für Unionsmarken des EUIPO geht hervor, dass eine Branchenübung, dass Hersteller ihre Geschäftstätigkeit auf benachbarte Märkte ausdehnen, für den Schluss, dass Waren oder Dienstleistungen unterschiedlicher Art die gleiche Herkunft haben, von besonderer Bedeutung ist. In solchen Fällen muss laut den Prüfungsrichtlinien geprüft werden, ob eine solche Ausdehnung der Geschäftstätigkeit in der jeweiligen Branche üblich ist.

55      Daraus folgt, dass das Bestehen einer bestimmten Geschäftspraxis ein relevantes Kriterium für die Prüfung der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen im Rahmen von Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 sein kann.

56      Folglich hat die Beschwerdekammer bei der Prüfung der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Waren zu Unrecht aus Prinzip ausgeschlossen, dass das Kriterium der Geschäftspraxis relevant sein könnte. Da sie aufgrund ihres Fehlers nicht konkret geprüft hat, ob dieses Kriterium relevant ist und, wenn ja, welche Auswirkung es auf die Beurteilung der Warenähnlichkeit hat, darf das Gericht nicht selbst über diese Frage entscheiden (Urteile vom 5. Juli 2011, Edwin/HABM, C‑263/09 P, EU:C:2011:452, Rn. 72, vom 12. Juli 2018, Lotte/EUIPO – Nestlé Unternehmungen Deutschland [Darstellung eines Koalas], T‑41/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:438, Rn. 54 und 55, und vom 5. Dezember 2019, Idea Groupe/EUIPO – The Logistical Approach [Idealogistic Verhoeven Greatest care in getting it there], T‑29/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:841, Rn. 91).

 Zu den Kriterien der Identität der Hersteller und der Vertriebswege

57      Vor der Beschwerdekammer machte der Kläger geltend, dass die einander gegenüberstehenden Waren auch nach den Kriterien der üblichen Herkunft, sogar der Identität der Hersteller, sowie der Identität der Vertriebswege ähnlich seien. Obwohl diese beiden Kriterien sowohl in der Rechtsprechung (vgl. insbesondere die oben in Rn. 45 angeführte Rechtsprechung) als auch von der Beschwerdekammer selbst in Rn. 17 der angefochtenen Entscheidung als relevant für die Beurteilung der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen gemäß Art. 8 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 anerkannt worden sind, hat die Beschwerdekammer, wie der Kläger zu Recht geltend macht (siehe oben, Rn. 19), diese beiden Kriterien vorliegend weder geprüft noch Gründe dafür genannt, weshalb sie im Rahmen dieser Beurteilung keine Rolle spielen sollten.

58      Zwar wird in Rn. 17 der angefochtenen Entscheidung mit einer Standardformulierung auf die Rechtsprechung zu den bei der Beurteilung der Warenähnlichkeit zu berücksichtigenden relevanten Faktoren hingewiesen, doch wird in Rn. 24 der Entscheidung, d. h. im Rahmen der Anwendung der Regeln auf den Fall, nur auf die fünf Canon-Kriterien Bezug genommen, ohne die übrigen vom Kläger ausdrücklich geltend gemachten Kriterien zu erwähnen. Aus den Rn. 23 und 24 der angefochtenen Entscheidung etwa geht hervor, dass die Beschwerdekammer das Vorbringen des Klägers allein unter dem Gesichtspunkt geprüft hat, ob die von ihm geltend gemachte Geschäftspraxis ein im Rahmen der Beurteilung der Warenähnlichkeit zu berücksichtigender relevanter Faktor sein konnte.

59      Dass die Beschwerdekammer bei der dem Erlass der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Analyse das Kriterium der üblichen Herkunft oder sogar der Identität der Hersteller sowie das der Identität der Vertriebswege nicht berücksichtigt hat, wird auch durch Rn. 7 der Entscheidung bestätigt, in der das Vorbringen des Klägers zur Stützung seiner Beschwerde zusammengefasst wird. Dort nämlich werden die Argumente des Klägers betreffend diese Kriterien nicht erwähnt.

60      Außerdem hat die Beschwerdekammer selber in den Rn. 19 bis 21 der angefochtenen Entscheidung die Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Waren geprüft, doch nur anhand der Canon-Kriterien, obwohl der Kläger das Ergebnis dieser Prüfung nicht beanstandet hatte. Unter diesen Umständen und in Ermangelung eines entsprechenden Vorbringens des EUIPO ist die angefochtene Entscheidung nicht so zu verstehen, dass die Beschwerdekammer die Entscheidung der Widerspruchsabteilung zu den beiden vom Kläger ausdrücklich geltend gemachten Kriterien – die übliche Herkunft der Waren oder sogar die Identität der Hersteller und die Vertriebswege – bestätigen wollte, zugleich aber nur die Kriterien prüfen wollte, die von der bei ihr eingelegten Beschwerde nicht erfasst waren, ohne dabei selber gerade die Kriterien ausdrücklich zu prüfen, auf denen das Vorbringen des Klägers beruht. Denn die Beschwerdekammer hat zwar in Rn. 18 der angefochtenen Entscheidung auf das von der Widerspruchsabteilung in deren Entscheidung gefundene Endergebnis verwiesen, doch hat sie sich auf keinen konkreten Punkt oder Abschnitt dieser Entscheidung bezogen, womit deutlich geworden wäre, dass sie die Erwägungen der Widerspruchsabteilung in ihre eigene Entscheidung einbeziehen wollte, um Wiederholungen zu vermeiden.

61      In Rn. 19 der Klagebeantwortung trägt das EUIPO vor, die Faktoren, die zu den Canon-Kriterien hinzukämen, etwa die Vertriebswege, seien „relativ schwach“ und könnten nicht schwerer wiegen als die Tatsache, dass vorliegend keines der Canon-Kriterien erfüllt sei. Doch ist, wie oben in Rn. 45 ausgeführt, die Liste der im Urteil vom 29. September 1998, Canon (C‑39/97, EU:C:1998:442), ausdrücklich genannten Kriterien nicht abschließend. Außerdem ist jedes Kriterium, das von der aus diesem Urteil hervorgegangenen Rechtsprechung nach und nach herausgearbeitet wurde, eigenständig; die Beurteilung der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Waren oder Dienstleistungen kann damit auf nur einem dieser Kriterien beruhen (oben Rn. 53).

62      Folglich ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer dadurch, dass sie nicht angegeben hat, aus welchen Gründen die Kriterien der üblichen Herkunft oder sogar der Identität der Hersteller sowie der Identität der Vertriebswege nicht berücksichtigt wurden, nicht alle Tatsachen und rechtlichen Erwägungen angeführt hat, die für die Verneinung der Warenähnlichkeit von wesentlicher Bedeutung sind, so dass die angefochtene Entscheidung mit einem Begründungsmangel behaftet ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Juli 2016, Tropical, T‑804/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:431, Rn. 178).

63      Vor dem Gericht macht das EUIPO verschiedene Argumente geltend, weshalb die Anwendung dieser Kriterien vorliegend nicht zur Feststellung der Ähnlichkeit der einander gegenüberstehenden Waren führen würde (siehe oben, Rn. 32 und 33).

64      Die angefochtene Entscheidung enthält jedoch keine solche Beurteilung. Zum einen ist es aber nicht Sache des Gerichts, im Rahmen seiner Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung eine Frage zu beurteilen, zu der die Beschwerdekammer nicht Stellung genommen hat (Urteil vom 5. Juli 2011, Edwin/HABM, C‑263/09 P, EU:C:2011:452, Rn. 72), und zum anderen kann sich das EUIPO vor dem Gericht zur Stützung der angefochtenen Entscheidung nicht auf darin nicht berücksichtigte Gesichtspunkte berufen (vgl. Urteil vom 8. September 2017, Aldi/EUIPO – Rouard (GOURMET), T‑572/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:591, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

65      Dieses Vorbringen ist daher unzulässig (Urteil vom 24. September 2019, Volvo Trademark/EUIPO – Paalupaikka [V V-WHEELS], T‑356/18, EU:T:2019:690, Rn. 49).

66      Aufgrund des Rechtsfehlers und des Begründungsmangels, die oben in Rn. 56 bzw. in Rn. 62 festgestellt wurden, ist der einzige Klagegrund begründet.

67      Die angefochtene Entscheidung ist somit aufzuheben.

 Kosten

68      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das EUIPO mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des Klägers seine eigenen Kosten und die Kosten des Klägers aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 21. Januar 2020 (Sache R 67/2019-1) wird aufgehoben.

2.      Das EUIPO trägt die Kosten.

Collins

Csehi

Steinfatt

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. Juni 2021.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.