Language of document : ECLI:EU:C:2010:813

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PAOLO MENGOZZI

vom 22. Dezember 2010(1)

Rechtssache C‑310/09

Ministre du Budget, des Comptes publics et de la Fonction publique

gegen

Accor

(Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État [Frankreich])

„Freier Kapitalverkehr – Niederlassungsfreiheit – Nationale Regelung, die Dividenden von Tochtergesellschaften, die im Mitgliedstaat der Niederlassung der Muttergesellschaft ansässig sind, und Dividenden von Tochtergesellschaften, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, unterschiedlich besteuert – Weigerung, den von der Muttergesellschaft entrichteten Vorabzug zu erstatten – Ungerechtfertigte Bereicherung – Erstattung der von der Muttergesellschaft gezahlten Beträge nur gegen Vorlage von Nachweisen über die von ihren Tochtergesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat als dem des Gesellschaftssitzes der Muttergesellschaft entrichteten Steuern – Beweislast – Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität“





I –    Einleitung

1.        Mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen ersucht der Conseil d’État (Frankreich) um Auslegung der Art. 43 EG und 56 EG im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem Ministre du Budget, des Comptes public et de la Fonction publique (Minister für den Haushalt, die öffentliche Rechnungsführung und den öffentlichen Dienst) und Accor wegen der von dieser beantragten Erstattung des Steuervorabzugs für Mobilien („précompte mobilier“), den sie bei der Weiterverteilung von Dividenden an ihre Aktionäre für die Jahre 1999 bis 2001 entrichten musste(2).

2.        Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich nämlich, dass Accor in den Jahren 1998, 1999 und 2000 Dividendenzahlungen von ihren in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften erhalten hatte und dass diese Gesellschaft bei der Weiterverteilung dieser Dividenden an ihre eigenen Aktionäre gemäß Art. 146 Abs. 2 in Verbindung mit den Art. 158bis und 223sexies des Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch) in ihrer auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: CGI) für die Jahre 1999, 2000 und 2001 einen Steuervorabzug für Mobilien in Höhe von 323 279 053 FRF (49 283 574 Euro), 359 183 404 FRF (54 757 157 Euro) und 341 261 380 FRF (52 024 962 Euro) entrichtete.

3.        Die Zahlung dieser Beträge als Vorabzug ist im Kontext der im entscheidungserheblichen Zeitraum anwendbaren Rechtsvorschriften zur „Steuergutschrift“ zu sehen, die durch Art. 93 des Gesetzes Nr. 2003-1311(3) mit Wirkung ab 1. Januar 2005 aufgehoben wurden.

4.        Zur Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung von Gewinnen, die zunächst bei der ausschüttenden Gesellschaft im Zeitpunkt ihrer Entstehung und dann anlässlich der Ausschüttung bei den Empfängern besteuert wurden, gewährte Art. 158bis CGI in der im entscheidungserheblichen Zeitraum geltenden Fassung den Empfängern von französischen Gesellschaften ausgeschütteter Dividenden eine Steuergutschrift, die von der Staatskasse in Form eines Guthabens bereitgestellt wurde. Diese Steuergutschrift entsprach der Hälfte der Beträge, die von der ausschüttenden Gesellschaft an die Muttergesellschaft tatsächlich gezahlt worden waren.

5.        Um Steuereinbußen zu vermeiden, war der Mechanismus der Steuergutschrift jedoch mit dem „Steuervorabzug für Mobilien“ genannten Mechanismus verbunden, sobald die der Ausschüttung zugrunde liegenden Gewinne nicht mit der Körperschaftsteuer zum Regelsatz belastet worden waren.

6.        In solchen Fällen sah Art. 223sexies CGI in der im entscheidungserheblichen Zeitraum geltenden Fassung vor, dass die ausschüttende Gesellschaft einen Vorabzug in Höhe der nach Art. 158bis CGI berechneten Steuergutschrift vorzunehmen hatte. Dieser Vorabzug wurde auf die Ausschüttungen geschuldet, die zu der Steuergutschrift unabhängig davon berechtigten, wer Empfänger war.

7.        Soweit die Dividenden, die von einer Tochtergesellschaft an ihre in Frankreich ansässige Muttergesellschaft ausgeschüttet wurden, bei dieser unabhängig von der Herkunft dieser Dividenden von der Körperschaftsteuer befreit waren(4), führte die Weiterverteilung der Dividenden durch die Muttergesellschaft an ihre eigenen Aktionäre zur Fälligkeit des Steuervorabzugs für Mobilien gemäß Art. 223sexies CGI.

8.        Während Art. 146 Abs. 2 CGI in der in den streitigen Steuerjahren geltenden Fassung vorsah, dass in einem solchen Fall der Steuervorabzug für Mobilien gegebenenfalls um den Betrag der Steuergutschriften gemindert wurde, die mit den Erträgen aus Beteiligungen gemäß Art. 145 CGI, die innerhalb der letzten fünf Rechnungsjahre eingenommen wurden, verbunden waren, wurde jedoch, wie bereits in Nr. 4 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, die Steuergutschrift nur den Muttergesellschaften gewährt, die von französischen Gesellschaften ausgeschüttete Dividenden erhielten.

9.        Art. 146 Abs. 2 CGI erlaubte mit anderen Worten, wie das vorlegende Gericht zusammenfassend ausführt, einer in Frankreich ansässigen Muttergesellschaft, den Steuervorabzug für Mobilien, den sie bei der Weiterverteilung der von französischen Tochtergesellschaften bezogenen Dividenden zu entrichten hatte, um die Steuergutschrift zu mindern, die ihr für die von diesen Tochtergesellschaften an sie ausgeschütteten Dividenden gewährt wurde. Da dagegen für eine Dividende, die von einer in einem anderen Mitgliedstaat als Frankreich ansässigen Tochtergesellschaft ausgeschüttet wurde, keine Steuergutschrift gewährt wurde, die geeignet war, die Höhe des zu entrichtenden Vorabzugs zu reduzieren, minderte die Zahlung des Vorabzugs bei der Weiterverteilung der Dividende durch die Muttergesellschaft an ihre Aktionäre, dadurch, dass sie auf die Masse der verteilungsfähigen Beträge angerechnet wurde, den weiterverteilten Betrag dieser Dividende in gleichem Maße.

10.      Da Accor der Meinung war, dass eine solche Ungleichbehandlung mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar sei, erhob sie Klage beim Tribunal administratif de Versailles, das dieser Klage mit Urteil vom 21. Dezember 2006 stattgab. Das gegen dieses Urteil vom Ministre du Budget, des Comptes publics et de la Fonction publique eingelegte Rechtsmittel wurde mit Urteil der Cour administrative d’appel de Versailles vom 20. Mai 2008 zurückgewiesen.

11.      Der Conseil d’État, der auf die Kassationsbeschwerde des Ministre du Budget, des Comptes publics et de la Fonction publique über dieses Urteil zu entscheiden hatte, folgte dem von diesem geltend gemachten Rechtsmittelgrund, mit dem ein Begründungsmangel des Urteils der Cour administrative d’appel de Versailles gerügt wurde, und hob dieses Urteil infolgedessen auf.

12.      Der Conseil d’État sieht sich daher zur Entscheidung der Sache unter Berücksichtigung der Umstände des Falles berufen. Nach Zurückweisung des Vorbringens von Accor in Bezug auf die Unvereinbarkeit der in Rede stehenden Rechtsvorschriften mit der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten(5) weist er auf gewisse Zweifel hinsichtlich der Auslegung anderer Vorschriften und Grundsätze des Unionsrechts hin. Der Conseil d’État hat infolgedessen das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

 1.      a)     Sind die Art. 56 EG und 43 EG dahin gehend auszulegen, dass sie einer die Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung von Dividenden bezweckenden Steuerregelung,

–        nach der eine Muttergesellschaft auf den Vorabzug, der bei der Weiterverteilung der von ihren Tochtergesellschaften an sie ausgeschütteten Dividenden an ihre Anteilseigner fällig wird, die Steuergutschrift anrechnen kann, die mit der Ausschüttung dieser Dividenden verbunden ist, sofern sie von einer in Frankreich ansässigen Tochtergesellschaft stammen,

–        nach der diese Anrechnung jedoch nicht für Dividenden möglich ist, die von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft stammen, da diese Regelung in diesem Fall nicht zur Erteilung einer mit der Ausschüttung dieser Dividenden durch diese Tochtergesellschaft verbundenen Steuergutschrift berechtigt, deshalb entgegenstehen, weil diese Regelung als solche in Bezug auf die Muttergesellschaft gegen die Grundsätze der Kapitalverkehrsfreiheit oder der Niederlassungsfreiheit verstößt?

b)      Für den Fall der Verneinung von Buchst. a dieser Frage: Sind diese Artikel dahin gehend auszulegen, dass sie dieser Regelung dennoch entgegenstehen, weil auch die Situation der Anteilseigner zu berücksichtigen ist, da die Höhe der von den Tochtergesellschaften an die Muttergesellschaft ausgeschütteten und von dieser an ihre Anteilseigner weiterverteilten Dividenden wegen der Zahlung des Vorabzugs je nachdem, ob sich der Ort der Niederlassung dieser Tochtergesellschaften in Frankreich oder in anderen Mitgliedstaaten befindet, unterschiedlich ist, so dass diese Regelung Anteilseigner von Investitionen in diese Muttergesellschaft abschrecken, die Beschaffung von Kapital durch diese Gesellschaft somit beeinträchtigen und diese Gesellschaft davon abhalten kann, Kapital in in anderen Mitgliedstaaten als Frankreich niedergelassene Tochtergesellschaften zu investieren oder in diesen Mitgliedstaaten Tochtergesellschaften zu gründen?

2.      Für den Fall der Bejahung von Buchst. a und b der ersten Frage und einer Auslegung der Art. 56 EG und 43 EG dahin gehend, dass sie einer Steuerregelung über den Vorabzug wie der vorliegend beschriebenen entgegenstehen und dass die Verwaltung infolgedessen grundsätzlich verpflichtet ist, die auf der Grundlage dieser Regelung eingenommenen Beträge zurückzuerstatten, soweit bei dieser Vereinnahmung gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen wurde: Steht das Gemeinschaftsrecht im Rahmen einer solchen Regelung, die als solche nicht dazu führt, dass der Steuerschuldner eine Steuerlast auf einen Dritten abwälzt, dem entgegen,

a)      dass die Verwaltung die Rückzahlung der von der Muttergesellschaft entrichteten Beträge mit der Begründung verweigern kann, dass diese Erstattung zu deren ungerechtfertigter Bereicherung führen würde,

b)      und dass, wenn dies nicht der Fall ist, gegen die Anordnung der Erstattung dieses Betrags an die Muttergesellschaft der Umstand ins Feld geführt werden könnte, dass der von dieser abgeführte Betrag für sie keine buchhalterische oder steuerliche Belastung darstellt, sondern lediglich auf die Gesamtheit der für die Weiterverteilung an ihre Anteilseigner in Betracht kommenden Beträge angerechnet wird?

3.      Unter Berücksichtigung der Antworten auf die erste und die zweite Frage: Stehen die gemeinschaftlichen Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dem entgegen, dass die Erstattung der Beträge, die sicherstellen soll, dass die zur Weiterverteilung durch die Muttergesellschaft stehenden Dividenden steuerlich gleichbehandelt werden, und zwar unabhängig davon, ob diese Dividenden aus von ihren in Frankreich oder von ihren in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft ansässigen Tochtergesellschaften ausgeschütteten Beträgen stammen, gegebenenfalls vorbehaltlich von Vereinbarungen eines zwischen der Französischen Republik und dem Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft anwendbaren bilateralen Abkommens über den Austausch von Informationen, davon abhängig gemacht wird, dass der Steuerschuldner die Angaben macht, über die nur er verfügt und die sich hinsichtlich jeder streitigen Dividende insbesondere auf den tatsächlich angewandten Steuersatz und auf den Steuerbetrag beziehen, der tatsächlich auf die von den in anderen Mitgliedstaaten als Frankreich niedergelassenen Tochtergesellschaften des Steuerschuldners erwirtschafteten Gewinne entrichtet wurde, während die der Verwaltung bekannten Nachweise betreffend in Frankreich ansässige Tochtergesellschaften nicht verlangt werden?

II – Analyse

13.      Während sich die erste Frage des vorlegenden Gerichts auf die Vereinbarkeit einer Steuerregelung, wie sie soeben beschrieben wurde, mit der Niederlassungsfreiheit und dem freien Kapitalverkehr bezieht, betreffen die zweite und die dritte Frage im Wesentlichen die Anwendung von Grundsätzen, nämlich des Grundsatzes des Verbots einer ungerechtfertigten Bereicherung (zweite Frage) und der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität (dritte Frage), die gegebenenfalls der Erstattung des von Accor entrichteten Steuervorabzugs für Mobilien ganz oder teilweise entgegenstehen könnten.

14.      Vor der Prüfung dieser Fragen halte ich zwei Bemerkungen für zweckmäßig.

15.      Zunächst ist generell die Höhe der Geldbeträge, um die es im Ausgangsverfahren und in den vor den französischen Verwaltungsgerichten anhängigen ähnlichen Verfahren geht, nicht zu vernachlässigen; sie werden auf etwa 3 Milliarden Euro geschätzt. Diese Höhe war offensichtlich nicht ohne Einfluss auf die Entscheidung des Conseil d’État, das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof zu richten, und sie war auch teilweise der Grund für den Antrag dieses Gerichts, die vorliegende Rechtssache einem beschleunigten Verfahren nach Art. 104a Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen, ein Antrag, der mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 19. Oktober 2009 zurückgewiesen wurde.

16.      Was diesen finanziellen Aspekt betrifft, ist anzumerken, dass weder das vorlegende Gericht noch die französische Regierung eine zeitliche Begrenzung der Wirkungen des zu erwartenden Urteils des Gerichtshofs beantragt haben, vielleicht sowohl deshalb, weil nach der Rechtsprechung die finanziellen Konsequenzen, die sich aus einem im Vorabentscheidungsverfahren ergangenen Urteil für einen Mitgliedstaat ergeben können, für sich allein, ohne Gefahr schwerwiegender wirtschaftlicher Störungen, nicht die zeitliche Begrenzung der Wirkungen dieses Urteils rechtfertigen können(6), als auch aus dem Grund, dass es bei allen bei den französischen Verwaltungsgerichten anhängigen Verfahren um eine Entscheidung über vergangene Sachverhalte geht, da die streitige Regelung, wie ich bereits hervorgehoben habe, seit dem 1. Januar 2005 aufgehoben ist(7).

17.      Sodann ist darauf hinzuweisen, dass die Fragen des Conseil d’État nicht die Auslegung der Richtlinie 90/435 und insbesondere ihres Art. 4 betreffen, nach dem der Mitgliedstaat der Niederlassung der Muttergesellschaft, die einen Anteil von wenigstens 25 % am Gesellschaftskapital einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft besitzt, die wirtschaftliche Doppelbesteuerung der von dieser Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne abschwächen muss. Dazu besteuert der Mitgliedstaat der Niederlassung der Muttergesellschaft diese Gewinne entweder nicht oder besteuert sie und lässt dabei zu, dass die Muttergesellschaft auf die Steuer den Steuerteilbetrag, den die Tochtergesellschaft für die von ihr ausgeschütteten Gewinne entrichtet, und gegebenenfalls die Quellensteuer, die der Mitgliedstaat der Tochtergesellschaft gemäß den Ausnahmebestimmungen von Art. 5 dieser Richtlinie erhebt, bis zur Höhe der entsprechenden innerstaatlichen Steuer anrechnen kann. Wie der Gerichtshof im Urteil Cobelfret im Wesentlichen ausgeführt hat, betrifft die Verpflichtung des Mitgliedstaats der Niederlassung der Muttergesellschaft die Ausschüttung von Gewinnen einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft(8).

18.      Accor hat vor dem Conseil d’État, aber auch in ihrer schriftlichen Stellungnahme vor dem Gerichtshof die Ansicht vertreten, dass der Steuervorabzug für Mobilien gegen Art. 4 der Richtlinie 90/435 verstoße. Diese Ansicht beruhte im Wesentlichen auf folgendem Syllogismus: Die Französische Republik hat sich gemäß den Art. 145 und 216 CDI dafür entschieden, Dividenden, die von einer Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft ausgeschüttet werden, unabhängig von ihrer Herkunft von der Körperschaftsteuer zu befreien(9). Bei der Weiterverteilung von aus den ausgeschütteten Gewinnen einer in einem anderen Mitgliedstaat als Frankreich ansässigen Tochtergesellschaft stammenden Dividenden an ihre Aktionäre hatte die französische Muttergesellschaft jedoch den Steuervorabzug für Mobilien zu entrichten, der die Körperschaftsteuer ersetzen sollte, da er nur ausgeschüttete Gewinne betraf, die vorab nicht der Körperschaftsteuer zum vollen Satz unterlagen. Somit ist der Steuervorabzug für Mobilien nach Ansicht von Accor eine gegen Art. 4 der Richtlinie 90/435 verstoßende Besteuerung der Dividenden von nicht in Frankreich ansässigen Tochtergesellschaften.

19.      Der Conseil d’État hat diese Argumentation mit der Begründung zurückgewiesen, dass der Entstehungstatbestand des Steuervorabzugs für Mobilien nicht die Ausschüttung von Dividenden an die französische Muttergesellschaft durch in anderen Mitgliedstaaten ansässige Tochtergesellschaften sei, sondern die Weiterverteilung der so erhaltenen Dividenden durch die Muttergesellschaft an ihre eigenen Aktionäre. Mit anderen Worten habe der Steuervorabzug für Mobilien somit die Besteuerung der ausgeschütteten Gewinne weder bezweckt noch bewirkt und sei somit nicht an die Stelle der Körperschaftsteuer getreten, sondern nur bei der Weiterverteilung von Dividenden an die Aktionäre der Muttergesellschaft fällig geworden.

20.      Trotz des Versuchs von Accor, in ihren beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen die Reichweite der Vorlagefragen des Conseil d’État auf die Auslegung der Richtlinie 90/435 auszudehnen, stimme ich der Zurückweisung der Argumentation dieser Gesellschaft im Ausgangsverfahren durch dieses Gericht zu.

21.      Wie bereits ausgeführt, betrifft die Richtlinie 90/435 nämlich nur Gewinnausschüttungen zwischen einer Tochter- und ihrer Muttergesellschaft, die in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind. Sie legt somit nicht das Steuersystem für die Weiterverteilung von Erträgen aus Beteiligungen durch eine Muttergesellschaft an ihre eigenen Aktionäre fest. Die Begründung des vorlegenden Gerichts entspricht letzten Endes dem Geist der Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation in Bezug auf die Advance corporate tax (ACT; Körperschaftsteuervorauszahlung), die von einer im Vereinigten Königreich ansässigen Muttergesellschaft bei der Weiterverteilung von Dividenden, die sie von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften erhalten hat, an ihre Anteilseigner entrichtet werden musste(10) und die als nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 90/435 fallend angesehen wurde.

A –    Zur ersten Frage

22.      Mit seiner ersten Frage, die in zwei Teile untergliedert ist, möchte das vorlegende Gericht zum einen wissen, ob die Art. 43 EG und 56 EG einem Besteuerungsmechanismus entgegenstehen, wonach nur eine Muttergesellschaft, die an ihre eigenen Aktionäre Dividenden weiterverteilt, die sie von in Frankreich ansässigen Tochtergesellschaften, unter Ausschluss in anderen Mitgliedstaaten ansässiger Tochtergesellschaften, erhalten hat, die Steuergutschrift, die mit der Ausschüttung dieser Dividenden verbunden ist, auf den Steuervorabzug für Mobilien anrechnen kann, und zum anderen, ob im Fall der Verneinung dieser Frage diese Artikel dennoch wegen der eventuellen abschreckenden Wirkung auf die Aktionäre der Muttergesellschaft, die von in anderen Mitgliedstaaten als Frankreich ansässigen Tochtergesellschaften ausgeschüttete Dividenden erhalten, einem solchen Mechanismus entgegenstehen.

23.      Vor der Prüfung des restriktiven Charakters eines solchen Verfahrens ist auf die anzuwendende Verkehrsfreiheit einzugehen.

1.      Zur anzuwendenden Verkehrsfreiheit

24.      Hält ein Angehöriger eines Mitgliedstaats am Kapital einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft eine Beteiligung, die es ihm ermöglicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, sind nach der Rechtsprechung die Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit anwendbar und nicht diejenigen über den freien Kapitalverkehr(11).

25.      Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht dem Gerichtshof keine Angaben zum Umfang der Beteiligungen von Accor am Kapital der in anderen Mitgliedstaaten als Frankreich ansässigen Tochtergesellschaften vorgelegt, wodurch Beteiligungen nicht ausgeschlossen werden können, die ihr nicht ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen dieser Gesellschaften auszuüben.

26.      Zunächst ist nämlich zu bemerken, dass die streitige Regelung gemäß Art. 145 CGI für Gesellschaften galt, deren Beteiligungen, was den Zeitraum bis 31. Dezember 2000 betrifft, über dem Minimum von 10 % des Gesellschaftskapitals der ausschüttenden Gesellschaft lag; dieses Minimum wurde zum 1. Januar 2001 auf 5 % des Gesellschaftskapitals der ausschüttenden Gesellschaft herabgesetzt(12). Diese Regelung galt somit schon dann, wenn Muttergesellschaften am Kapital anderer Gesellschaften in einer Größenordnung beteiligt waren, die grundsätzlich die Möglichkeit ausschloss, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen dieser Gesellschaften auszuüben.

27.      Was den dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt betrifft, scheint dieser Schluss durch Hinweise in den schriftlichen Erklärungen der französischen Regierung bestätigt zu werden, wonach einige Dividenden, die Accor erhalten habe, von Gesellschaften ausgeschüttet worden seien, an denen sie nur Minderheitsbeteiligungen gehalten habe, die ihr offensichtlich nicht ermöglicht hätten, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen dieser Gesellschaften auszuüben.

28.      Dagegen weisen sowohl Accor als auch die französische Regierung auf Sachverhalte hin, in denen diese Gesellschaft eine Mehrheitsbeteiligung am Kapital von in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften hielt, die die Annahme ermöglichen, dass Accor auf die Entscheidungen dieser Tochtergesellschaften einen Einfluss ausübte.

29.      Es ist zwar Sache des vorlegenden Gerichts, für die Entscheidung im Ausgangsverfahren die Richtigkeit aller dieser Angaben zu prüfen(13), doch scheint es, dass die betroffenen Rechtsvorschriften und auch der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Sachverhalt sowohl unter die Niederlassungsfreiheit als auch unter den freien Kapitalverkehr fallen könnten(14).

30.      Meines Erachtens ist es unter Berücksichtigung der dem Gerichtshof vorliegenden Informationen günstiger, die Prüfung der vorliegenden Rechtssache im Hinblick auf die Vertragsbestimmungen über den freien Kapitalverkehr durchzuführen, wobei es ohnehin nicht zu einem anderen Ergebnis führen dürfte, wenn man Art. 43 EG als Maßstab für die Analyse der Vorlagefrage zugrunde legt.

2.      Zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs

31.      Nach der Rechtsprechung stellen insbesondere Direktinvestitionen in Form der Beteiligung an einem Unternehmen durch den Besitz von Aktien, die die Möglichkeit verschafft, sich tatsächlich an der Verwaltung dieser Gesellschaft und deren Kontrolle zu beteiligen („Direktinvestitionen“), sowie der Erwerb von Wertpapieren auf dem Kapitalmarkt allein in der Absicht einer Geldanlage, ohne auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss nehmen zu wollen („Portfolioinvestitionen“), Kapitalverkehr im Sinne von Art. 56 Abs. 1 EG dar(15).

32.      Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass die nach Art. 56 Abs. 1 EG verbotenen Beschränkungen des Kapitalverkehrs nationale Maßnahmen, einschließlich steuerlicher Maßnahmen, umfassen, die geeignet sind, in einem Mitgliedstaat ansässige Personen davon abzuhalten, ihr Kapital bei in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Gesellschaften anzulegen(16).

33.      Im Ausgangsverfahren ist es, wie die französische Regierung selbst einräumt, unstreitig, dass die Steuergutschrift, die mit den von französischen Tochtergesellschaften an ihre in Frankreich ansässige Muttergesellschaft ausgeschütteten Dividenden verbunden war, auf die Höhe des Steuervorabzugs für Mobilien angerechnet werden konnte, der bei der Weiterverteilung der fraglichen Dividenden durch die Muttergesellschaft an ihre eigenen Aktionäre fällig wurde, während der französischen Muttergesellschaft für Dividenden, die von nicht in Frankreich ansässigen Tochtergesellschaften ausgeschüttet wurden, keine entsprechende Steuergutschrift gewährt wurde. Diese Muttergesellschaft musste somit, im Gegensatz zur Situation einer Muttergesellschaft, die Dividenden von französischen Tochtergesellschaften erhält und diese Dividenden an ihre eigenen Aktionäre weiterverteilt, den Steuervorabzug für Mobilien entrichten, ohne jedoch die Steuergutschrift zu erhalten.

34.      Dieser Mechanismus führte, wie die französische Regierung selbst einräumt, zu einer unterschiedlichen Behandlung der an französische Muttergesellschaften gezahlten Dividenden, je nachdem, ob sie von in Frankreich oder in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften stammten.

35.      Die französische Regierung, die somit die Vergleichbarkeit der Situation einer französischen Muttergesellschaft, die Dividenden von französischen Tochtergesellschaften erhält, mit der Situation einer gleichen Muttergesellschaft, die Dividenden von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften erhält(17), nicht in Frage stellt, macht dennoch, auf etwas widersprüchliche Art und Weise, erst geltend, dass eine solche Ungleichbehandlung keine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs im Sinne von Art. 56 EG bewirke(18), räumt dann aber ein, dass eine direkte Abschreckung nur vorliege, wenn die französische Muttergesellschaft eine Politik der Weiterverteilung von Dividenden von Tochtergesellschaften, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, praktiziere(19).

36.      Unabhängig von diesem inneren Widerspruch in der Argumentation der französischen Regierung erinnere ich daran, dass diese ihr Hauptargument, nämlich das Fehlen einer beschränkenden Wirkung der streitigen Steuervorschriften, auf die folgenden beiden Argumente stützt.

37.      Zum einen trägt sie vor, dass die Aktivierung der Steuergutschrift oder die Zahlung des Steuervorabzugs für Mobilien Folge selbständiger Entscheidungen der zuständigen Organe der Muttergesellschaft, die Dividenden von ihren französischen Tochtergesellschaften erhalte, seien und nicht eine Folge des Gesetzes. Unter Bezugnahme u. a. auf das Urteil Graf (20) führt die französische Regierung weiter aus, dass eine eventuelle negative Wirkung der streitigen nationalen Vorschriften somit von einer Entscheidung der zuständigen Organe der Muttergesellschaft abhänge, die so hypothetisch sei, dass man nicht davon ausgehen könne, dass diese Vorschriften eine Behinderung des freien Kapitalverkehrs darstellten.

38.      Zum anderen trägt diese Regierung vor, dass der Steuervorabzug für Mobilien, soweit er auf die zu verteilenden Ergebnisse der Muttergesellschaft angerechnet worden sei, nicht die Gewinne belaste, sondern eine Anrechnung auf die zu verteilenden Ergebnisse sei, die vollständig auf Kosten der Aktionäre erfolge, die eine herabgesetzte Dividende erhielten. Der Mechanismus beeinträchtige die Muttergesellschaft also nicht. Soweit den nicht gebietsansässigen Aktionären gemäß den von der Französischen Republik geschlossenen Steuerabkommen und/oder der französischen Verwaltungsdoktrin der Vorabzug erstattet werden könne, wenn sie keine Steuergutschrift erhalten hätten, wirke sich zudem die Ungleichbehandlung nur auf die französischen Aktionäre der französischen Muttergesellschaft aus, eine Situation, die wegen ihres rein innerstaatlichen Charakters nicht in den Anwendungsbereich von Art. 56 EG falle.

39.      Meines Erachtens bedarf der erste Einwand der französischen Regierung, der im Übrigen etwas konfus ist, keiner vertieften Behandlung. Soweit ich ihn verstehe, geht er dahin, dass die Muttergesellschaften (oder ihre Organe) frei entscheiden könnten, die Dividenden an ihre Aktionäre weiterzuverteilen und so den Mechanismus der Anwendung des Steuervorabzugs für Mobilien und der Steuergutschrift zu aktivieren. Die französische Regierung ist somit offenbar der Ansicht, dass, wenn die zuständigen Organe einer französischen Muttergesellschaft, die Dividenden von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften erhält, entscheiden, den gesamten Betrag der von der Tochtergesellschaft an die Muttergesellschaft gezahlten Dividenden an die Aktionäre der Muttergesellschaft weiterzuverteilen, ohne die Steuergutschrift zu erhalten, diese Organe die Schuld nur sich selbst zuschreiben könnten. Dieses Argument lehnt sich offensichtlich an die Schlussanträge des Rapporteur public vor dem Conseil d’État an, die den schriftlichen Stellungnahmen der französischen Regierung und von Accor als Anlage beigefügt waren(21).

40.      Abgesehen davon, dass die oben genannte Ungleichbehandlung tatsächlich in den französischen Rechtsvorschriften selbst liegt, geht es nicht, wie die französische Regierung annimmt, um die Frage, ob eine Muttergesellschaft oder ihre zuständigen Organe in der Lage waren, die Entrichtung des Steuervorabzugs für Mobilien dadurch zu vermeiden, dass sie die Dividenden, die der Muttergesellschaft von ihren in anderen Mitgliedstaaten als Frankreich ansässigen Tochtergesellschaften gezahlt wurden, nicht weiterverteilten, oder die Höhe der an die Aktionäre der Muttergesellschaft ausgeschütteten Dividenden herabzusetzen, um letztlich das Hindernis, das die streitige Steuerregelung darstellte, zu umgehen oder sich daran anzupassen.

41.      Es geht vielmehr darum, ob sich eine Muttergesellschaft in einer Situation wie der von Accor auf den freien Kapitalverkehr berufen kann, wenn sie eine Behandlung verlangt, die derjenigen entspricht, die nach nationalem Recht einer französischen Muttergesellschaft vorbehalten ist, die, nachdem sie Dividenden von französischen Tochtergesellschaften erhalten hat, diese Dividenden vollständig an ihre Aktionäre weiterverteilt.

42.      Darüber hinaus habe ich Mühe, zu verstehen, wie bei einer Kapitalgesellschaft die Entscheidung, Dividenden an die Aktionäre dieser Gesellschaft (weiter) zu verteilen, hypothetisch oder ungewiss im Sinne des Urteils Graf sein kann. Wie Accor in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, ist es schwer vorstellbar, dass Aktionäre in eine Gesellschaft investieren, die plant, Dividenden nur ganz sporadisch weiterzuverteilen, umso mehr, als es sich um ein börsennotiertes Unternehmen handelt mit einer Ausschüttungspolitik, die in ihren Finanzinformationen enthalten ist.

43.      Hinsichtlich des zweiten Arguments der französischen Regierung lege ich Wert auf die Bemerkung, dass die Teilung der ersten Vorlagefrage durch das vorlegende Gericht nach der Betroffenheit der Muttergesellschaft (erster Teil dieser Frage) oder der der Aktionäre (zweiter, alternativer Teil der Frage) auf dieses Argument zurückzugehen scheint.

44.      Den Grund für diese Teilung scheinen im Wesentlichen verfahrensrechtliche Erwägungen des nationalen Rechts zu bilden, da es sich im Ausgangsverfahren um einen Rechtsstreit zwischen den französischen Behörden und Accor und nicht den Aktionären dieser Gesellschaft handelt.

45.      Sie ist jedoch offenbar nicht relevant für die Auslegung von Art. 56 EG, dessen Anwendungsbereich sich auf nationale Maßnahmen erstreckt, die von grenzüberschreitenden Investitionen abhalten, ohne dass es darauf ankommt, ob diese Abschreckung mehr die Gesellschaft als solche, ihre zuständigen Organe oder ganz allgemein ihre Aktionäre betrifft. Die Unterscheidung, zu der das vorlegende Gericht und die französische Regierung auffordern, gutzuheißen, würde meines Erachtens bedeuten, dass die Anwendung von Art. 56 EG dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten und den Modalitäten der Organisation von Gesellschaften, die in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet ansässig sind, unterworfen wird.

46.      Im Übrigen macht die Rechtsprechung deutlich, dass ein und dieselbe nationale Maßnahme in einem Mitgliedstaat Gebietsansässige (einschließlich der Gesellschaftsformen) davon abhalten kann, ihr Kapital in anderen Mitgliedstaaten anzulegen, und sich gleichzeitig für die in den anderen Mitgliedstaaten Gebietsansässigen einschränkend auswirken kann, weil sie die Kapitalbeschaffung im ersten Mitgliedstaat behindert(22). Es steht somit meines Erachtens einer Qualifizierung einer nationalen Maßnahme nach Art. 56 Abs. 1 EG nicht im Wege, dass diese Maßnahme eine abschreckende Wirkung auf eine Gesellschaft und/oder auch ihre Aktionäre haben kann. Im Übrigen setzt das Vorliegen einer solchen Abschreckung auf den grenzüberschreitenden Kapitalverkehr definitionsgemäß, auch im Bereich Steuern, nicht voraus, dass ein arithmetischer Nachweis der Auswirkungen auf das Vermögen der Beteiligten erbracht wird.

47.      Auf alle Fälle kann der Gerichtshof meines Erachtens im Hinblick auf den abschreckenden Charakter des streitigen Mechanismus auf die Muttergesellschaft Accor, was, wie ich bereits ausgeführt habe, die französische Regierung in Nr. 82 ihrer schriftlichen Stellungnahme im Übrigen eingeräumt hat, davon absehen, auf den zweiten Teil der Vorlagefrage zu antworten.

48.      Da nämlich eine Muttergesellschaft, die sich in einer Situation wie Accor befindet, im Gegensatz zur Situation einer Muttergesellschaft, die die Dividenden, die von ihren französischen Tochtergesellschaften ausgeschüttet wurden, vollständig an ihre eigenen Aktionäre weiterverteilt hat, den Steuervorabzug für Mobilien nicht durch die Zahlung der Steuergutschrift ausgleichen kann, muss sie, um die Dividenden vollständig an ihre Aktionäre weiterverteilen zu können, in Höhe des Betrags, der als Steuervorabzug für Mobilien zu entrichten ist, auf ihre Finanzreserven zurückgreifen. Die französischen Muttergesellschaften, die ihr Kapital in französischen Tochtergesellschaften angelegt haben, haben somit einen Finanzvorteil gegenüber den Muttergesellschaften, die ihr Kapital in Tochtergesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten angelegt haben(23).

49.      Im Übrigen – und ich stimme den Schlussanträgen des Rapporteur public vor dem Conseil d’État in diesem Punkt in vollem Umfang zu – bewirkte der Steuervorabzug für Mobilien, der sich auf die Weiterverteilung der Dividenden an die Aktionäre der Muttergesellschaft bezog und den diese zu entrichten hatte, eine Verringerung der auszuschüttenden Dividendenmasse, wobei diese je nachdem, ob die Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft in Frankreich ansässig war oder in einem anderen Mitgliedstaat, nicht gleich war. Diese Situation konnte in aller Wahrscheinlichkeit den Wert der Aktien der Muttergesellschaft beeinträchtigen, da die Dividendenausschüttung geringer war. Die Ausschüttungspolitik dieser Gesellschaft konnte somit für aktuelle oder potenzielle Aktionäre weniger attraktiv sein, so dass der Zugang dieser Gesellschaft zum Kapitalmarkt dadurch beeinträchtigt werden konnte.

50.      Die streitige Steuerregelung war also sehr wohl geeignet, in Frankreich ansässige Gesellschaften von Portfolioinvestitionen in Gesellschaften, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig waren, abzuhalten.

51.      Daher bin ich der Meinung, dass der streitige Steuermechanismus eine Beschränkung im Sinne von Art. 56 Abs. 1 EG ist.

52.       Da sich weder das vorlegende Gericht noch die französische Regierung auf die Gründe in Art. 58 EG oder auf zwingende Gründe des Allgemeinwohls berufen haben, die eine solche Beschränkung rechtfertigen könnten, schlage ich somit vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 56 EG dahin auszulegen ist, dass er einer Steuerregelung entgegensteht, nach der eine in einem Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft, die von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft ausgeschüttete Dividenden erhält, auf den Steuervorabzug für Mobilien, der bei der Weiterverteilung dieser Dividenden an ihre eigenen Anteilseigner fällig wird, die Steuergutschrift nicht anrechnen kann, die mit der Ausschüttung dieser Dividenden verbunden ist, im Gegensatz zu der vergleichbaren Situation einer im ersten Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft, die von einer ebenfalls in diesem Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft Dividenden erhält.

B –    Zur zweiten Frage

53.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Steuerverwaltung, falls sie grundsätzlich gehalten ist, die von der Muttergesellschaft unter Verkennung des Unionsrechts entrichteten Beträge zurückzuerstatten, die Rückzahlung entweder mit der Begründung verweigern kann, dass diese Erstattung zu einer ungerechtfertigten Bereicherung dieser Gesellschaft führen würde, auch wenn die streitige Regelung nicht dazu führt, dass der Steuerschuldner eine Steuerlast auf einen Dritten abwälzt, oder, falls dies verneint wird, mit der Begründung, dass der abgeführte Betrag für die Muttergesellschaft weder eine buchhalterische noch eine steuerliche Belastung darstellt, sondern lediglich auf die Gesamtheit der Dividenden, die an ihre Aktionäre ausgeschüttet werden können, angerechnet wird.

54.      Unter Berücksichtigung der auf die erste Frage vorgeschlagenen Antwort ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung der Einzelne grundsätzlich das Recht auf Erstattung von Abgaben hat, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht erhoben hat. Dieses Recht ist nämlich eine Folge und eine Ergänzung der Rechte, die dem Einzelnen aus dem Gemeinschaftsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof erwachsen (vgl. u. a. Urteile vom 9. November 1983, San Giorgio, 199/82, Slg. 1983, 3595, Randnr. 12, und Metallgesellschaft u. a., Randnr. 84). Der Mitgliedstaat ist also grundsätzlich verpflichtet, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgaben zu erstatten(24).

55.      Von dieser Verpflichtung gibt es nach dieser Rechtsprechung nur eine einzige Ausnahme: wenn die nationalen Behörden feststellen, dass die Abgabenlast in vollem Umfang oder zum Teil von einem anderen als dem Abgabepflichtigen getragen wurde und wenn die – vollständige oder teilweise – Erstattung an den Abgabepflichtigen zu dessen ungerechtfertigter Bereicherung führen würde(25). Eine solche Situation kann insbesondere im Bereich der indirekten Steuern entstehen, wenn ein Steuerpflichtiger die unrechtmäßig erhobene Mehrwertsteuer – ganz oder teilweise – auf den Endverbraucher abgewälzt hat.

56.      Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass die Erstattung von zu Unrecht erhobenen Abgaben selbst dann, wenn sie nachweislich ganz oder teilweise auf Dritte abgewälzt wurden, nicht unbedingt zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Abgabepflichtigen führt(26). Selbst in diesem Fall könnte dem Abgabepflichtigen durch die Entrichtung der gegen das Unionsrecht verstoßenden Abgabe immer noch ein Schaden entstanden sein, z. B. wegen eines Absatzrückgangs oder der nicht vollständigen Abwälzung der gesamten Abgabe in seinen Verkaufspreisen(27).

57.      Was den Nachweis einer eventuellen ungerechtfertigten Bereicherung des Abgabepflichtigen betrifft, die durch die Abwälzung der entrichteten Steuer auf einen Dritten hervorgerufen werden soll, hat der Gerichtshof entschieden, dass das nationale Gericht in der Würdigung der ihm vorgelegten Beweise frei ist(28) und alle maßgeblichen Umstände berücksichtigt(29), wobei die geltenden Verfahren mangels einer Regelung der Union gemäß der innerstaatlichen Rechtsordnung jedes Mitgliedstaats unter Beachtung des Äquivalenz- und des Effektivitätsprinzips(30) ausgestaltet werden.

58.      Der Gerichtshof hat ferner ausgeführt, dass dieses letztgenannte Prinzip Beweisvorschriften entgegensteht, die es praktisch unmöglich oder übermäßig schwierig machen, die Erstattung von unter Verstoß gegen dieses Recht erhobenen Abgaben zu erreichen. Dies ist insbesondere der Fall bei Vermutungen oder Beweisregeln, mit denen dem Abgabepflichtigen die Beweislast dafür auferlegt werden soll, dass die ohne Rechtsgrund gezahlten Abgaben nicht auf andere abgewälzt worden sind, oder bei besonderen Beschränkungen hinsichtlich der Form der zu erbringenden Beweise(31). So hat der Gerichtshof sogar in der Situation, in der es um die Rückgewähr indirekter Steuern geht, bei denen eine gesetzliche Verpflichtung zur Abwälzung auf Dritte besteht, die Ansicht zurückgewiesen, es bestehe eine Vermutung, dass die Abwälzung erfolgt sei, und es obliege dem Abgabepflichtigen, im Wege eines negativen Beweises das Gegenteil nachzuweisen(32).

59.      Daher ist es, worüber sich die Verfahrensbeteiligten, die schriftliche Stellungnahmen abgegeben haben, einig sind, Sache der Steuerbehörden, die beanspruchen, die Erstattung von Abgaben abzulehnen, die ein Steuerpflichtiger in Verkennung des Unionsrechts ohne Rechtsgrund gezahlt hat, den Beweis zu erbringen, dass eine solche Erstattung zu einer ungerechtfertigten Bereicherung dieses Steuerpflichtigen führen würde(33), und das nationale Gericht muss die Begründetheit dieser Forderung, nämlich Vorliegen und Ausmaß der ungerechtfertigten Bereicherung, beurteilen, indem es eine wirtschaftliche Analyse durchführt, bei der alle maßgeblichen Umstände, die vorgetragen wurden, berücksichtigt werden(34).

60.      Dieser Hinweis auf die Rechtsprechung ermöglicht es meines Erachtens bereits, den zweiten Teil der hier untersuchten Frage teilweise zu beantworten. Indem das vorlegende Gericht diesen Teil als Alternative und subsidiär zum ersten Teil formuliert hat, der sich auf den Ausnahmefall der ungerechtfertigten Bereicherung bezieht, scheint es die Absicht zu verfolgen, die Grenzen des Rechts auf Erstattung von Steuern, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht gezahlt worden sind, zu verschieben. Wie aber soeben ausgeführt wurde, erlaubt das Unionsrecht nur eine Ausnahme von der Erstattung der Abgaben, die unter Verstoß gegen dieses Recht gezahlt wurden, nämlich diejenige der ungerechtfertigten Bereicherung.

61.      Der zweite Teil könnte dennoch im Zusammenhang mit der mit der ungerechtfertigten Bereicherung verbundenen Problematik sachdienlich ausgelegt werden. Indem das vorlegende Gericht ausführt, dass die entrichteten Beträge keine buchhalterische oder steuerliche Belastung der Muttergesellschaft darstellten, sondern lediglich auf die Gesamtheit der an ihre Anteilseigner zu verteilenden Dividenden angerechnet würden, hebt es letztlich die Tatsache hervor, dass die Muttergesellschaft nicht die tatsächliche Belastung der Entrichtung des Steuervorabzugs für Mobilien getragen hat und dass folglich die Erstattung von Beträgen in Höhe dieser gezahlten Abgabe zu ihren Gunsten, dazu führen könne, dass sie ungerechtfertigt bereichert wird.

62.      Die beiden Teile der Frage können also meines Erachtens gemeinsam untersucht werden.

63.      Hinsichtlich des Ausgangsverfahrens ist daran zu erinnern, dass auch das vorlegende Gericht von der Prämisse ausgeht, dass die streitige Regelung nicht dazu führt, dass der Steuerschuldner eine Steuerlast auf einen Dritten abwälzt, und somit nicht zu den „klassischen“ Fallgestaltungen der ungerechtfertigten Bereicherung gehört, wie sie aus der oben angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs folgt. Diese Prämisse mag überraschen und könnte auf den ersten Blick rechtfertigen, im Hinblick auf diese Rechtsprechung das Vorliegen einer ungerechtfertigten Bereicherung zu verneinen.

64.      Man muss sich jedoch vor diesem etwas einseitigen Verständnis der gestellten Frage hüten. Eine Erklärung für die Prämisse, auf der die Frage beruht, scheint sich aus der rechtlichen Qualifizierung des Steuervorabzugs für Mobilien im französischen Verwaltungsrecht zu ergeben. Der Conseil d’État hat nämlich entschieden, dass es sich bei dem Steuervorabzug für Mobilien nicht um eine Belastung handele, die vom Nettogewinn der Gesellschaft abgezogen werden könne, da diese Abgabe eingeführt worden sei, um zu verhindern, dass Gesellschaften, die Gewinne, die nicht der Körperschaftsteuer zum Normalsatz unterlägen, unter Bedingungen ausschütteten, die einen Anspruch auf die Steuergutschrift begründeten, dadurch keinen ungerechtfertigten Steuervorteil erhielten(35). Dadurch, dass der Steuervorabzug für Mobilien nur auf den Gesamtbetrag der zu verteilenden Einkünfte angerechnet werde, wirke sich der Steuervorabzug für Mobilien nicht auf die ausschüttende Muttergesellschaft aus, sondern werde auf das Vermögen der Aktionäre erhoben. Nach dieser Betrachtungsweise, der im Übrigen die französische Regierung folgt, wäre die Frage, ob in Anwendung des in der Rechtsprechung des Gerichtshofs herangezogenen Kriteriums der Steuervorabzug für Mobilien auf einen Dritten abgewälzt wurde, somit ohne jegliche Bedeutung, da die Entrichtung des Steuervorabzugs für Mobilien unmittelbar das Vermögen der Aktionäre der Muttergesellschaft beeinflusste.

65.      In ihrem Kontext gesehen gibt die Vorlagefrage zu folgenden Feststellungen Anlass.

66.      Allgemein spricht meines Erachtens nichts dagegen, dass ein Mitgliedstaat die Erstattung von in Unkenntnis des Unionsrechts entrichteten Beträgen, die, wenn sie erstattet würden, eine ungerechtfertigte Bereicherung eines Wirtschaftsbeteiligten oder eines Steuerpflichtigen zur Folge hätten, sogar über die Fälle (im Wesentlichen Erstattung von Einfuhrzöllen oder von indirekten Steuern), mit denen der Gerichtshof befasst worden ist, hinaus, ablehnen kann. Dies wäre meines Erachtens der Fall, wenn die betroffene Person nicht selbst die volle wirtschaftliche Belastung der Beträge, die sie zu entrichten hatte, getragen hätte. Nach der Rechtsprechung ist es Sache der nationalen Gerichte, zu prüfen, ob dies angesichts der Umstände des jeweiligen Einzelfalls zutrifft.

67.      Was somit den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens betrifft, so glaube ich nicht, dass man, wie Accor und die Europäische Kommission es versuchen, das bloße Vorliegen einer eventuellen ungerechtfertigten Bereicherung der Muttergesellschaft als Folge einer Erstattung der in Unkenntnis von Art. 56 EG entrichteten Beträge von vornherein allein aus dem Grund ablehnen kann, dass, rein rechtlich, diese Muttergesellschaft den Steuervorabzug für Mobilien zu entrichten hat. Wie ich hervorgehoben habe, wird in der Rechtsprechung des Gerichtshofs ein wirtschaftlicher Ansatz für eine eventuelle ungerechtfertigte Bereicherung infolge der Erstattung von Beträgen, die ein Wirtschaftsbeteiligter zu Unrecht entrichtet hat, einem rein rechtlichen Ansatz vorgezogen.

68.      Das allgemeine Argument der französischen Regierung, dass die Erstattung eines Betrags in Höhe des entrichteten Steuervorabzugs für Mobilien an die Muttergesellschaft diese auf Kosten ihrer Aktionäre bereichere, überzeugt mich jedoch nicht.

69.      Die Erstattung dieses Betrags, der in der Gesellschaft belassen wird, würde für die Aktionäre in Wirklichkeit einen aufgeschobenen Gewinn darstellen, der den Vermögenswert ihrer Beteiligung am Kapital dieser Gesellschaft erhöht, und keinesfalls eine Entreicherung.

70.      Es ist im Übrigen vollkommen plausibel, wie der Rapporteur public vor dem Conseil d’État geltend gemacht und Accor vor dem Gerichtshof vorgetragen hat, dass die Entrichtung des Steuervorabzugs für Mobilien durch die Muttergesellschaft die Dividendenausschüttung zugunsten der Aktionäre letztlich nicht beeinflusst hat, da diese Gesellschaft diese Abgabe vollständig zu ihren Lasten übernommen und auf ihre Reserven zurückgegriffen hat, um eine Störung ihrer Ausschüttungspolitik und einen Kursverlust ihrer Aktien an den Börsen zu verhindern.

71.      Wie aber die französische Regierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof bestätigt hat, erhält in einer rein internen Situation eine Muttergesellschaft, die aus verschiedenen Gründen einen unrichtigen, zu hohen Steuervorabzug für Mobilien entrichtet hatte, selbst die Erstattung des an die französischen Steuerbehörden zu viel gezahlten Betrags, wenn dies ohne Einfluss auf die Weiterverteilung der Dividenden an ihre Aktionäre war. Die Anwendung des Äquivalenzprinzips gebietet also meines Erachtens, dass einer Muttergesellschaft, die einen nicht geschuldeten Betrag als Steuervorabzug für Mobilien entrichtet hat, ohne dass sich dies auf das Volumen der Dividenden, die an ihre eigenen Aktionäre ausgeschüttet werden können, ausgewirkt hatte, da diese Aktionäre insbesondere eine attraktive Ausschüttungspolitik dieser Gesellschaft aufrechterhalten wollten, dieser Betrag erstattet wird.

72.      Dennoch scheint die Rechtsprechung des Gerichtshofs in der soeben beschriebenen Situation der Erstattung des Steuervorabzugs für Mobilien im Rahmen einer Klage auf Erstattung, wie sie von Accor vor den französischen Verwaltungsgerichten erhoben worden ist, entgegenzustehen.

73.      Im Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation hat der Gerichtshof nämlich, ohne sich ausdrücklich auf die Theorie der ungerechtfertigten Bereicherung zu stützen, ausgeschlossen, dass finanzielle Einbußen der Gesellschaften, die gezwungen waren, ihren Dividendenbetrag zu erhöhen, um den Verlust der Steuergutschrift ihrer Anteilseigner auszugleichen, auf der Grundlage des Unionsrechts im Wege einer Erstattungsklage ersetzt werden können.

74.      Der Gerichtshof hat die Behauptung der Klägerinnen im Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens gegen die britischen Steuerbehörden zurückgewiesen, dass sie berechtigt seien, im Wege einer Erstattungsklage den Schaden geltend zu machen, der diesen gebietsansässigen Gesellschaften dadurch entstanden sei, dass sie den Betrag ihrer Dividenden hätten erhöhen müssen, um den Verlust der Steuergutschrift ihrer Anteilseigner auszugleichen.

75.      Der Gerichtshof hat ausgeführt, dass dieser Schaden nicht auf der Grundlage des Gemeinschaftsrechts durch eine Klage ausgeglichen werden kann, die auf Erstattung der zu Unrecht erhobenen Steuer oder der in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser Steuer an den betreffenden Mitgliedstaat gezahlten oder von diesem einbehaltenen Beträge gerichtet ist. Denn „derartige Erhöhungen des Dividendenbetrags beruhen … auf Entscheidungen dieser Gesellschaften und ergeben sich nicht zwangsläufig aus der Weigerung des Vereinigten Königreichs, den genannten Anteilseignern eine Behandlung zuteilwerden zu lassen, die derjenigen der Anteilseigner gleichwertig ist, an die eine Ausschüttung auf der Grundlage von Dividenden aus inländischen Quellen erfolgt“(36).

76.      Um die Ausübung der durch die Rechtsordnung der Union verliehenen Rechte sicherzustellen und im Hinblick auf die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen hat dieser dennoch das nationale Gericht aufgefordert, zu bestimmen, ob die Erhöhung des Betrags der in Rede stehenden Dividenden für die betroffenen Gesellschaften finanzielle Einbußen darstelle, die aufgrund eines dem betreffenden Mitgliedstaat zuzurechnenden Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht entstanden sind(37), d. h. einen Schaden, der eventuell im Rahmen einer Haftungsklage gegen diesen festgestellt und ersetzt werden kann.

77.      Wenn man dieses Ergebnis auf den vorliegenden Rechtsstreit überträgt und die oben in Nr. 70 erwähnte Ausschüttungspolitik von Accor berücksichtigt, könnte diese Gesellschaft somit wegen der Entscheidung ihrer Aktionärsversammlung, die gesamten Dividenden, die von nicht in Frankreich ansässigen Tochtergesellschaften von Accor stammen, weiterzuverteilen und somit den Steuervorabzug für Mobilien nicht auf die an die Aktionäre ausgeschütteten Dividenden anzurechnen, im Rahmen ihrer Klage auf Rückerstattung des Steuervorabzugs für Mobilien vor dem vorlegenden Gericht nicht ihr eventuell entstandene Einbußen geltend machen. Diese Einbußen würden sich nicht zwangsläufig aus der Weigerung der Französischen Republik ergeben, die Steuergutschrift unter Bedingungen zu gewähren, die der Situation einer französischen Muttergesellschaft entsprechen, die Dividenden von französischen Tochtergesellschaften bezieht. Unter diesen Umständen bleibt nur, ihr das Recht einzuräumen, unter Beachtung der Voraussetzungen, unter denen eine solche Haftung eintritt, sowie der Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität, eine Staatshaftungsklage wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht einzureichen.

78.      Die Anwendung des streitigen Steuersystems hatte meines Erachtens vielmehr unmittelbar zur Folge, dass einer französischen Muttergesellschaft wie Accor auferlegt wurde, den Steuervorabzug für Mobilien auf die an ihre eigenen Aktionäre weiterverteilten Dividenden anzurechnen, was die Höhe dieser Dividenden unausweichlich verminderte.

79.      In diesem Fall erlitten in erster Linie die Aktionäre durch die Auszahlung einer niedrigeren Dividende eine finanzielle Einbuße. Es konnte jedoch auch für die Muttergesellschaft ein finanzieller Nachteil entstehen, der darin bestand, dass aufgrund einer Ausschüttungspolitik, die vom Markt möglicherweise als weniger attraktiv beurteilt wurde, der Kurs ihrer Aktien sank.

80.      Ist unter solchen Umständen die Erstattung des Steuervorabzugs für Mobilien an die Muttergesellschaft auf ihre eigenen Einbußen beschränkt, oder sind auch die Einbußen, die den Aktionären wegen der Auszahlung niedrigerer Dividenden entstanden sind, miteinzubeziehen?

81.      Ich neige Letzterem zu.

82.      Zum einen scheint nämlich, wie ich bereits ausgeführt habe, die grundsätzliche Erstattung eines solchen Betrags an die Muttergesellschaft keinesfalls die Aktionäre dieser Gesellschaft zu entreichern, da der akkumulierte Kapitalwert der Muttergesellschaft diesen Aktionären zugutekommt.

83.      Zum anderen würde die Beschränkung der Reichweite der Erstattung auf die eigenen Einbußen der Muttergesellschaft unter dem Gesichtspunkt des Verfahrensrechts erfordern, dass die geschädigten Aktionäre in der Lage sind, eine Erstattungsklage in Bezug auf den Steuervorabzug für Mobilien vor den zuständigen französischen Gerichten zu erheben. Wie aber der Rapporteur public vor dem Conseil d’État hervorgehoben hat, ohne dass dies von der französischen Regierung dementiert worden wäre, gibt es nach französischem Recht für einen Aktionär in dieser Situation keine Möglichkeit zu einer persönlichen steuerrechtlichen Klage, die es ihm ermöglicht, eine Erstattung dieses Vorabzugs an sich zu erhalten, sondern er könnte allenfalls eine Haftungsklage gegen den Staat einreichen.

84.      Die französische Regierung hat zwar in ihrer Stellungnahme vor dem Gerichtshof im Wesentlichen ausgeführt, dass dieser Grundsatz dadurch gemildert werde, dass die von der Französischen Republik geschlossenen Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung einem nicht gebietsansässigen Aktionär einer französischen Muttergesellschaft die Möglichkeit böten, eine Erstattung des Steuervorabzugs für Mobilien zu erhalten, wenn bei der Ausschüttung der Dividenden an diese Gesellschaft keine Steuergutschrift gewährt worden sei(38).

85.      Wenn, wie auch die Kommission einräumt, die Wahrnehmung einer solchen Möglichkeit durch eventuelle nicht gebietsansässige Aktionäre einer Muttergesellschaft wie Accor im Rahmen der Beurteilung der tatsächlichen Höhe des an die Muttergesellschaft zurückzuzahlenden Steuervorabzugs für Mobilien durch das vorlegende Gericht berücksichtigt werden müsste, kann sie nicht die kategorische Weigerung rechtfertigen, das zu erstatten, was vom Staat zu Unrecht vereinnahmt worden ist und was praktisch nur an die Muttergesellschaft zurückgezahlt werden kann, die die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgabe entrichtet hat.

86.      Eine andere Entscheidung hätte zwei Konsequenzen, die vom Unionsrecht meines Erachtens nicht toleriert würden. Zum einen würde es dadurch praktisch unmöglich, eine Klage auf Erstattung einer unter Verstoß gegen das Unionsrecht auferlegten Abgabe zu erheben. Zum anderen würde die im Wesentlichen von der französischen Regierung vertretene Ansicht bedeuten, eine ungerechtfertigte Bereicherung des Staates anzuerkennen, da dieser einen Betrag in Höhe des zu Unrecht vereinnahmten Steuervorabzugs für Mobilien erhalten hat, ohne dass er diesen dem Steuerschuldner zu erstatten hätte.

87.      Zusammenfassend ist meines Erachtens die zweite Frage dahin zu beantworten, dass ein Mitgliedstaat die Erstattung einer Abgabe, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben worden ist, in Bezug auf die gesamte wirtschaftliche Belastung, die der Steuerpflichtige nicht selbst getragen hat und was insoweit zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Steuerpflichtigen führen würde, ablehnen kann. Eine solche Bereicherung könnte entstehen, wenn der Mitgliedstaat Ausgaben des Steuerpflichtigen erstatten müsste, die sich nicht zwangsläufig aus der Weigerung eines Mitgliedstaats ergeben, die Beachtung der Bestimmungen des EG-Vertrags sicherzustellen. Im Ausgangsverfahren ist es Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Angaben nach Maßgabe der von einer Muttergesellschaft wie der Beklagten des Ausgangsverfahrens zugunsten ihrer Aktionäre durchgeführten Ausschüttungspolitik zu prüfen, ob die Entrichtung des streitigen Steuervorabzugs für Mobilien ganz oder teilweise auf die an diese Aktionäre weiterverteilten Dividenden angerechnet worden ist, so dass der Muttergesellschaft gegebenenfalls Einbußen entstanden sein können, die sich zwangsläufig aus der Weigerung des Mitgliedstaats ergeben, ihr die erforderliche Gleichbehandlung zuteilwerden zu lassen. In diesem Fall ist die Erstattung der streitigen Abgabe an die Muttergesellschaft nach Maßgabe der von ihr getragenen wirtschaftlichen Belastung anhand aller dem vorlegenden Gericht zur Verfügung stehenden Anhaltspunkte festzulegen.

C –    Zur dritten Frage

88.      Ich komme nun zur dritten Frage des vorlegenden Gerichts, die zu äußerst lebhaften Diskussionen der Verfahrensbeteiligten geführt hat und deren Beantwortung nur sachdienlich ist, wenn das vorlegende Gericht, zumindest teilweise, die ungerechtfertigte Bereicherung der Muttergesellschaft ausschließt.

89.      Mit dieser Frage möchte der Conseil d’État wissen, ob unter Berücksichtigung der Antworten auf die Fragen 1 und 2 die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität dem entgegenstehen, dass die Erstattung der von der Muttergesellschaft zu Unrecht vereinnahmten Beträge, gegebenenfalls vorbehaltlich der Vereinbarungen eines Abkommens über Auskunftserteilung, davon abhängig gemacht wird, dass diese Gesellschaft hinsichtlich jeder von ihren nicht in Frankreich ansässigen Tochtergesellschaften gezahlten Dividende Angaben zum Nachweis über den tatsächlich angewandten Steuersatz und den Steuerbetrag macht, der tatsächlich auf die von diesen Tochtergesellschaften erzielten Gewinne entrichtet wurde, während die Nachweise, die der Verwaltung bekannt sind, von in Frankreich niedergelassenen Tochtergesellschaften nicht verlangt werden.

90.      Wie die Kommission in ihrer schriftlichen Stellungnahme zutreffend geltend macht, scheint sich diese Frage nur zu stellen, wenn sich das vorlegende Gericht nicht für die Erstattung des Steuervorabzugs für Mobilien zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung entscheidet – was in gewisser Weise bedeuten würde, dass die Muttergesellschaft von diesem Vorabzug freigestellt wird, ohne dass sie zuvor die Steuergutschrift erhalten hat –, sondern dafür, die Steuergutschrift anzuerkennen (nachdem die Muttergesellschaft den Steuervorabzug für Mobilien entrichtet hat), wie sie bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt gewährt worden wäre. Wie die Kommission nämlich in ihren schriftlichen Erklärungen unter Bezugnahme auf die Randnrn. 50 bis 52 des Urteils Test Claimants in the FII Group Litigation zeigt, müsste die Muttergesellschaft im zweiten Fall eine Steuergutschrift erhalten, die die Höhe der von der Tochtergesellschaft im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung entrichteten Körperschaftsteuer widerspiegelt(39).

91.      Es ist zwar Sache des vorlegenden Gerichts, die Modalitäten zu wählen, die die Gleichbehandlung zwischen der rein innerstaatlichen Situation und der Lage, in der sich eine Muttergesellschaft wie Accor befindet, wiederherstellen können, diese Wahl muss aber unter Beachtung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität getroffen und umgesetzt werden.

92.      Accor ist insoweit der Ansicht, dass zum einen die französischen Steuerbehörden die Erstattung des Steuervorabzugs für Mobilien nicht davon abhängig machen könnten, dass die Muttergesellschaft den Satz und die Höhe der Steuer nachweise, die von den ausländischen Tochtergesellschaften tatsächlich auf die Gewinne, die der Zahlung jeder ausgeschütteten Dividende zugrunde lägen, entrichtet worden sei, während diese Bedingung bei rein innerstaatlichen Sachverhalten nicht gelte. Zum anderen trägt Accor vor, es verstoße gegen den Grundsatz der Effektivität, von ihr zu verlangen, dass sie einen solchen Nachweis im Hinblick nicht nur auf ihre Tochtergesellschaften, sondern auch auf alle Enkelgesellschaften, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig seien, erbringe, zumal dann, wenn eine solche Anforderung mehr als zehn Jahre nach dem Geschehen und folglich nicht mehr innerhalb der gesetzlichen Aufbewahrungspflicht für Verwaltungsdokumente in Frankreich gestellt werde. Außerdem weist Accor auf die Bedeutung der Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19. Dezember 1977 über die gegenseitige Amtshilfe zwischen den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten im Bereich der direkten Steuern(40) hin.

93.      Die französische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sind der gegenteiligen Ansicht. Sie weisen darauf hin, dass der Zweck der streitigen Steuerregelung die Abschwächung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung sei und dass deshalb die französischen Finanzbehörden berechtigt seien, Belege zu fordern, um zu überprüfen, ob die ausländischen Tochtergesellschaften im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung die Steuer auf die der Ausschüttung der Dividenden an die Muttergesellschaft zugrunde liegenden Gewinne tatsächlich entrichtet habe. Die französische Regierung betont insoweit, dass das nationale Recht die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität beachte. Sie weist insbesondere darauf hin, dass der Steuersatz in einer rein nationalen Situation auch der Satz der Steuer gewesen sei, die von den Tochtergesellschaften auf die der Ausschüttung der Dividenden an ihre Muttergesellschaft zugrunde liegenden Gewinne tatsächlich entrichtet worden sei, und dass das nationale Recht nur die Ausschüttungen berücksichtige, die von unmittelbaren Tochtergesellschaften der Muttergesellschaften vorgenommen würden. Da die geforderten Informationen nur dem Steuerpflichtigen selbst bekannt seien, halten es die französische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs keinesfalls für zu weit gehend, zu verlangen, dass die Muttergesellschaft erste Detailangaben in Bezug auf die Besteuerung, die Art der Ausschüttungen und die betroffenen Tochtergesellschaften vorlege. Die Steuerverwaltung könne dann im Anschluss gegebenenfalls die Behörden des Mitgliedstaats der Niederlassung der Tochtergesellschaften im Rahmen der Richtlinie 77/799 oder bilateraler Steuerabkommen um Amtshilfe bitten. Die französische Regierung ist der Ansicht, dass, sollte der Gerichtshof entscheiden, dass die Zuweisung der Beweislast an die Muttergesellschaft gegen die Grundsätze der Äquivalenz und/oder der Effektivität verstößt, dieser Verstoß auf alle Fälle durch die Notwendigkeit, die Steuervermeidung zu bekämpfen, gerechtfertigt sei.

94.      Die Kommission verweist in ihrer Argumentation auf einen Mittelweg. Im Wesentlichen ist sie der Auffassung, dass das Unionsrecht grundsätzlich nicht dem entgegensteht, dass im Rahmen der Erstattung eines Vorabzugs wie demjenigen des Ausgangsverfahrens ein Mitgliedstaat verlangt, dass die von der Tochtergesellschaft im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung gezahlte Steuer berücksichtigt wird. Sie ist jedoch im vorliegenden Fall der Ansicht, dass, da den Muttergesellschaften die Steuergutschrift nach Maßgabe des gesetzlichen (normalen) Steuersatzes garantiert worden sei und weder der Steuersatz, der tatsächlich auf die von den französischen Tochtergesellschaften erzielten Gewinne, die der Ausschüttung zugrunde lägen, angewandt, noch der Nachweis über den von diesen Gesellschaften tatsächlich gezahlte Steuerbetrag berücksichtigt worden sei, der Grundsatz der Äquivalenz die gleiche Behandlung bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt gebiete.

95.      Diese gegensätzlichen Standpunkte sind zum Teil durch unterschiedliche Auslegungen des nationalen Rechts zu erklären.

96.      Die Verfahrensbeteiligten erörtern nämlich als Erstes die Erfordernisse des nationalen Rechts in Bezug auf den für die zugrunde liegenden Gewinne französischer Tochtergesellschaften geltenden Körperschaftsteuersatz, über dessen Zahlung von den Muttergesellschaften, die Dividenden von diesen Tochtergesellschaften erhalten, ein Nachweis gefordert wurde, wobei Accor und die Kommission der Ansicht sind, dass nur die Steuerpflicht zum Normalsatz bewiesen werden müsse, während die französische Regierung in langen Ausführungen erklärt hat, dass es sich um den tatsächlich angewandten Satz gehandelt habe.

97.      Als Zweites hat die französische Regierung in Erwiderung auf die Kritik von Accor in Bezug auf die übermäßigen Nachweisanforderungen hinsichtlich der Besteuerung von Enkelgesellschaften des Accor-Konzerns durch die französischen Steuerbehörden in der mündlichen Verhandlung betont, dass im nationalen Recht bei der Berechnung der Steuergutschrift nur die Dividenden berücksichtigt würden, die auf der Ebene der unmittelbaren Tochtergesellschaft einer Muttergesellschaft und nicht auf der Ebene der Enkelgesellschaften ausgeschüttet würden. Nach dem Grundsatz der Äquivalenz kann nach Ansicht dieser Regierung bei einem grenzüberschreitenden Sachverhalt nichts anderes gelten, da sonst eine umgekehrte Diskriminierung eingeführt würde.

98.      Der Gerichtshof hat weder über die Frage zu entscheiden, ob nach nationalem Recht bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt der Nachweis des Regelsteuersatzes oder des von den Tochtergesellschaften auf den der Dividendenausschüttung an die Muttergesellschaft zugrunde liegenden Gewinn tatsächlich angewandten Steuersatzes erforderlich war, noch festzustellen, ob das nationale Recht dafür nur die Beziehungen zwischen dieser Gesellschaft und ihrer unmittelbaren Tochtergesellschaft und nicht die Beziehungen zu allen Enkelgesellschaften des Konzerns berücksichtigte. Diese Aspekte gehören vielmehr zu den Prüfungen, die das vorlegende Gericht vorzunehmen hat.

99.      Bei der weiteren Prüfung ist deshalb auf der Grundlage von Hypothesen vorzugehen.

100. Die erste in Betracht zu ziehende Hypothese ist die von der französischen Regierung vertretene Ansicht, dass nach nationalem Recht bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt die Steuergutschrift nur gewährt werde, wenn auf die von der unmittelbaren Tochtergesellschaft der Muttergesellschaft erzielten zugrunde liegenden Gewinne die Körperschaftsteuer in Höhe des effektiven Steuersatzes entrichtet worden sei.

101. In diesem Fall verstößt es keinesfalls gegen den Grundsatz der Äquivalenz, wenn die für innerstaatliche Sachverhalte geltende Behandlung auf grenzüberschreitende Sachverhalte erstreckt wird.

102. Dem Recht der Union läuft es auch nicht zuwider, dass die Vorlage stichhaltiger Belege vor allem der betroffenen Muttergesellschaft obliegt. Die Finanzbehörden sind nämlich berechtigt, vom Steuerpflichtigen die Nachweise zu verlangen, die sie für erforderlich halten, um zu beurteilen, ob die im nationalen Recht bestehenden Voraussetzungen für die Gewährung eines Steuervorteils vorliegen(41).

103. Entgegen dem Vorbringen von Accor können die Steuerbehörden zwar den Mechanismus der gegenseitigen Amtshilfe nach der Richtlinie 77/799 heranziehen und sich an die Behörden eines anderen Mitgliedstaats wenden, um alle Auskünfte zu erhalten, die sich als notwendig für die ordnungsgemäße Bemessung der Steuer eines Steuerpflichtigen erweisen(42), dies stellt jedoch weder eine Voraussetzung für die Verpflichtung des Steuerpflichtigen, die für einen Steuervorteil erforderlichen Beweise vorzulegen, noch im Übrigen eine Pflicht der Behörden dar(43).

104. Darüber hinaus hat die französische Regierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof wiederholt, dass die geforderten Belege keineswegs eine bestimmte Form aufweisen müssten. Dass diese Belege bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt nicht gefordert werden, folgt meines Erachtens aus der Tatsache, dass die Steuerverwaltung selbstverständlich das geltende nationale Recht kennt und bereits über ausreichende Angaben verfügt, die in den abgegebenen Steuererklärungen über den Steuervorabzug für Mobilien bezüglich der Ausschüttungen, mit denen die Steuergutschrift verbunden war, und über den von einer Muttergesellschaft eines Konzerns geschuldeten Steuervorabzug für Mobilien enthalten waren, wovon eine Kopie den schriftlichen Erklärungen der französischen Regierung als Anlage beigefügt war. Daher bedeutet es meines Erachtens keinen zusätzlichen Verwaltungsaufwand gegenüber den bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt geforderten Angaben, wenn von einer französischen Muttergesellschaft, die Dividenden von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften erhält, die Vorlage solcher Belege verlangt wird, da, vorbehaltlich der Nachprüfung durch das vorlegende Gericht, bei einem solchen Sachverhalt die Muttergesellschaften ebenfalls Verwaltungsformalitäten unterlagen, insbesondere um den Steuerbehörden die Nachprüfung zu ermöglichen, ob die Voraussetzungen für die Anwendung der streitigen Steuerregelung erfüllt waren.

105. Zwei Punkte sollten jedoch unter dem Gesichtspunkt der Beachtung des Grundsatzes der Effektivität berücksichtigt werden.

106. Zunächst kann nicht ausgeschlossen werden, dass es nach dem Recht der Mitgliedstaaten, in denen die betreffenden Tochtergesellschaften ansässig sind, insbesondere wenn diese Staaten selbst die wirtschaftliche Doppelbesteuerung in ihrem Hoheitsgebiet im entscheidungserheblichen Zeitraum nicht vermieden haben, praktisch unmöglich oder nicht durchführbar ist, die Körperschaftsteuer nachzuweisen, die von den Tochtergesellschaften tatsächlich auf die Gewinne gezahlt wurde, die der Dividendenausschüttung an die französische Muttergesellschaft zugrunde lagen. Es ist nämlich denkbar, dass manche Mitgliedstaaten die in ihrem Hoheitsgebiet ansässigen Gesellschaften von dem Erfordernis befreien, eine Aufschlüsselung ihres Eigenkapitals nach dem auf die verschiedenen Einkunftsquellen anwendbaren Satz zu erstellen, in der die Körperschaftsteuer, die auf die der Dividendenausschüttung zugrunde liegenden Gewinne gezahlt wurde, ausgewiesen ist. In diesem Fall wäre es mit dem Grundsatz der Effektivität nicht vereinbar, den Nachweis des Betrags der Körperschaftsteuer zu verlangen, aus dem sich der von diesen Gesellschaften, Tochtergesellschaften einer französischen Muttergesellschaft, tatsächlich angewandte Satz ergibt. Es ist wohlgemerkt Sache des vorlegenden Gerichts, anhand des gesamten Akteninhalts zu prüfen, ob die Muttergesellschaft Accor sich in einer solchen Situation befand.

107. Auch der Einwand von Accor, es könne von ihr nicht verlangt werden, Dokumente vorzulegen, deren gesetzliche Aufbewahrungsfrist in Frankreich abgelaufen sei, verdient Beachtung. Soweit es sich bei den streitigen Jahren um die Jahre 1999, 2000 und 2001 handelt und soweit gemäß dem CGI der Steuervorabzug für Mobilien in den fünf Jahren der Dividendenausschüttung fällig war, kann nicht ausgeschlossen werden, wie Accor im Übrigen in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, dass die Vorlage der erforderlichen Belege Jahre betreffen kann (bis höchstens 1994), für die für die betroffenen Personen keine Aufbewahrungspflicht mehr bestand.

108. Zwei Fälle müssen meines Erachtens unterschieden werden. Zunächst geht es um den Fall, dass die französischen Steuerbehörden die Vorlage dieser Belege während der für sie in Frankreich geltenden gesetzlichen Aufbewahrungsfrist gefordert haben: Die Muttergesellschaft hätte dann die Dokumente für alle Fälle aufbewahren müssen, insbesondere um für den Fall der Bestätigung der Rechtmäßigkeit eines solchen Verlangens im Rahmen einer Klage vorzusorgen. Sodann geht es um den gegenteiligen Fall, dass die französischen Steuerbehörden diese Dokumente nicht während der gesetzlichen Aufbewahrungsfrist angefordert haben: Folgerichtig stünden diese der Muttergesellschaft dann nicht zur Verfügung. In diesem zweiten Fall ist, entgegen dem Vorbringen von Accor, meines Erachtens weniger die gesetzliche Aufbewahrungsfrist in Frankreich maßgeblich, sondern diejenige, die in den Mitgliedstaaten der Niederlassungen der verschiedenen betroffenen Tochtergesellschaften gilt. Wenn zu dem Zeitpunkt, zu dem das Gericht im Ausgangsverfahren entscheiden muss, diese Frist abgelaufen ist, wäre es für Accor nicht möglich, die geforderten Beweise zu erbringen. Die Gewährung der Steuergutschrift für die betroffenen Dividenden könnte ihr unter diesen Umständen nicht verweigert werden, ohne den Grundsatz der Effektivität zu verletzen.

109. Nach der zweiten, genau entgegengesetzten und im Wesentlichen von Accor vertretenen Hypothese wird bei einem rein innerstaatlichen Sachverhalt nur der Normalsatz berücksichtigt, der auf die der Dividendenausschüttung der Tochtergesellschaften und Enkelgesellschaften der französischen Muttergesellschaft zugrunde liegenden Gewinne angewandt wird.

110. In einem solchen Kontext geht es um die Frage, ob es gegen die Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität verstößt, wenn ein Mitgliedstaat von der in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Muttergesellschaft den Nachweis des Satzes und des Betrags der Körperschaftsteuer verlangt, die von den ausländischen Tochtergesellschaften und Enkelgesellschaften dieser Gesellschaft tatsächlich auf die der Dividendenausschüttung zugrunde liegenden Gewinne gezahlt wurde.

111. Eine Bejahung dieser Frage wäre meines Erachtens nicht besonders komplex, wenn nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs, zumindest auf den ersten Blick, nicht erforderlich wäre, dass für die Berechnung der Anrechnung einer Steuergutschrift, die mit der Zahlung von Dividenden „aus dem Ausland“ verbunden ist, die von der ausschüttenden Gesellschaft im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung tatsächlich gezahlte Körperschaftsteuer berücksichtigt wird.

112. So hat der Gerichtshof in Randnr. 54 des Urteils Manninen, inhaltlich übernommen in Randnr. 15 des Urteils Meilicke u. a., darauf hingewiesen, dass bei der Berechnung einer Steuergutschrift für einen in Finnland unbeschränkt steuerpflichtigen Aktionär, der Dividenden von einer Gesellschaft mit Sitz in Schweden empfangen hat, die von der in diesem anderen Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft tatsächlich entrichtete Steuer berücksichtigt werden muss, wie sie sich aus den auf die Berechnung der Besteuerungsgrundlage anwendbaren allgemeinen Regeln und aus dem Satz der Körperschaftsteuer im letztgenannten Mitgliedstaat ergibt.

113. Ebenso hat der Gerichtshof im Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation entschieden, dass „[d]ie Artikel 43 EG und 56 EG ... Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegen[stehen], die Dividenden, die eine gebietsansässige Gesellschaft von einer anderen gebietsansässigen Gesellschaft erhält, von der Körperschaftsteuer befreien, während sie Dividenden, die eine gebietsansässige Gesellschaft von einer gebietsfremden Gesellschaft erhält, an der die gebietsansässige Gesellschaft mindestens 10 % der Stimmrechte hält, dieser Steuer unterwerfen – wobei jedoch im letzteren Fall eine Steuergutschrift für die tatsächlich von der ausschüttenden Gesellschaft in ihrem Sitzstaat gezahlte Steuer erteilt wird –, sofern der Steuersatz für Dividenden aus ausländischen Quellen nicht höher ist als derjenige für Dividenden aus inländischen Quellen und die Steuergutschrift mindestens genauso hoch ist wie der im Mitgliedstaat der ausschüttenden Gesellschaft gezahlte Betrag, bis zur Höhe der im Mitgliedstaat der Empfängergesellschaft festzusetzenden Steuer“(44).

114. Jedoch ist diese Rechtsprechung nur vordergründig ein Hindernis.

115. Was das Urteil Manninen betrifft, ergibt sich nämlich sehr deutlich aus dessen Randnrn.  40 und 53, dass die Steuergutschrift, die in Finnland Ansässigen in rein internen Situationen gewährt wurde, der von der ausschüttenden Gesellschaft tatsächlich entrichteten Körperschaftsteuer entsprach(45). Dass der Gerichtshof in Randnr. 54 dieses Urteils den Vorteil dieser Regelung auch auf in Finnland gebietsansässige Personen, die von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Gesellschaften gezahlte Dividenden erhalten hatten, erstreckt hat, ist schlicht eine Folge der Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung.

116. Was das Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation betrifft, hat der Gerichtshof dort zwar eingeräumt, dass ein Mitgliedstaat im Rahmen der Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung ein System der Steuerbefreiung für ausgeschüttete Dividenden in rein internen Situationen und ein Anrechnungssystem im Rahmen der Ausschüttung von Dividenden von gebietsfremden Gesellschaften anwenden kann, er hat aber den Zusammenhang zwischen der für die Dividenden aus inländischen Quellen geltenden Befreiung und der Besteuerung auf der Ebene der Muttergesellschaft nur nebenbei angesprochen. Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens in jener Rechtssache hatten vorgetragen, dass die Steuerbefreiung für Dividenden nationalen Ursprungs unabhängig von der durch die ausschüttende Gesellschaft (tatsächlich) entrichteten Steuer gegolten habe. Der Gerichtshof hat es dem nationalen Gericht zugewiesen, zu prüfen, ob die Steuersätze wirklich gleich sind und unterschiedliche Besteuerungsniveaus nur in bestimmten Fällen aufgrund einer Änderung der Besteuerungsgrundlage infolge bestimmter ausnahmsweise gewährter Entlastungen vorkommen(46).

117. Diesen Urteilen lässt sich somit nicht entnehmen, dass der Gerichtshof zu akzeptieren bereit wäre, dass im Allgemeinen ein Mitgliedstaat zur Vermeidung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung von Dividenden in seinem Hoheitsgebiet einer Muttergesellschaft dieses Mitgliedstaats eine mit der Ausschüttung von Dividenden einer Tochtergesellschaft, die in demselben Mitgliedstaat ansässig ist, verbundene Steuergutschrift auf der Grundlage des für Letztere grundsätzlich geltenden Normalsatzes für die Körperschaftsteuer gewährt, während diese Steuergutschrift einer Muttergesellschaft dieses Mitgliedstaats im Zusammenhang mit der Ausschüttung von Dividenden durch Tochtergesellschaften, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, nur unter der Voraussetzung gewährt würde, dass der tatsächliche Steuersatz und der tatsächliche Betrag der Körperschaftsteuer, den diese in den anderen Mitgliedstaaten entrichtet haben, nachgewiesen werden.

118. Eine solche Ungleichbehandlung würde meines Erachtens gegen die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Äquivalenz verstoßen.

119. Ein solcher Verstoß könnte entgegen dem Vorbringen der französischen Regierung nicht mit der allgemein formulierten Absicht der Vermeidung der Steuerflucht gerechtfertigt werden. Zum einen ist nämlich darauf hinzuweisen, dass sich die Mitgliedstaaten nicht auf eine allgemeine Vermutung der Steuerflucht stützen können, um eine Steuermaßnahme zu rechtfertigen, die gegen die Ziele des Vertrags verstößt(47). Zum anderen ist eine solche Ungleichbehandlung meines Erachtens keineswegs das die oben genannten Grundsätze am wenigsten beeinträchtigende Mittel zur Erreichung des Ziels der Bekämpfung der Steuerflucht. In einer Situation wie derjenigen, die im Rahmen der vorliegenden Hypothese untersucht wird, könnte ein Mitgliedstaat von einem Steuerpflichtigen durchaus verlangen, dass dieser den Nachweis für den Normalsatz der Körperschaftsteuer erbringt, der für die ausschüttenden Tochtergesellschaften im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung gilt, sowie für die Zahlung des diesem Satz entsprechenden Steuerbetrags, um zu vermeiden – was im Wesentlichen die Sorge der französischen Regierung zu sein scheint –, dass eine Steuergutschrift zugunsten einer französischen Muttergesellschaft mit der Ausschüttung von Dividenden verbunden wird, die von solchen Tochtergesellschaften stammen, obwohl diese Tochtergesellschaften wegen verschiedener allgemeiner Entlastungen, die im Mitgliedstaat ihrer Niederlassung gelten, vollständig von der Körperschaftsteuer auf die Gewinne, die der Ausschüttung der Dividenden zugrunde lagen, befreit waren.

120. Was die Verpflichtung betrifft, einen solchen Nachweis auf jeder Stufe der Kette Tochtergesellschaften und Enkelgesellschaften zu erbringen, so verstößt eine solche Verpflichtung nicht gegen die Grundsätze der Nichtdiskriminierung und der Äquivalenz, sofern sie auch bei rein innerstaatlichen Sachverhalten für die Erklärungen gilt, die französische Muttergesellschaften und ihre französischen Tochtergesellschaften abzugeben haben. Dennoch kann es sich in grenzüberschreitenden Situationen praktisch als unmöglich erweisen, eine solche Anforderung zu erfüllen, zumal wenn sich die betreffenden Ausschüttungen auf Gewinne beziehen, die in einem Zeitraum erzielt wurden, für den die gesetzliche Aufbewahrungspflicht für Dokumente abgelaufen ist. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, in einem solchen Fall die erforderlichen Nachprüfungen durchzuführen.

121. Aus diesen Gründen schlage ich vor, auf die dritte Frage zu antworten, dass es den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität nicht zuwiderläuft, dass die Erstattung der Beträge, die sicherstellen soll, dass die Dividenden, die Gegenstand einer Weiterverteilung durch die in einem Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft sind, unabhängig davon steuerlich gleichbehandelt werden, ob die Tochtergesellschaften, die diese Dividenden ausgeschüttet haben, in demselben Mitgliedstaat oder in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, grundsätzlich von der Voraussetzung abhängig gemacht wird, dass der Steuerschuldner die Angaben macht, über die nur er verfügt und die sich hinsichtlich jeder streitigen Dividende insbesondere auf den tatsächlich angewandten Steuersatz und auf den Steuerbetrag beziehen, der auf die Gewinne tatsächlich entrichtet wurde, die seine in anderen Mitgliedstaaten als dem ersten Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaften erwirtschaftet haben, während von den in diesem Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaften die – der Verwaltung bekannten – Nachweise nicht verlangt werden, unter dem Vorbehalt, dass der tatsächlich angewandte Steuersatz und der tatsächlich entrichtete Steuerbetrag auch für die Ausschüttung von Dividenden an die Muttergesellschaft von in demselben Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaften gelten und es sich praktisch nicht als unmöglich oder übermäßig schwierig erweist, den Nachweis der Zahlung der Steuer durch die in den anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften zu erbringen, insbesondere unter Berücksichtigung der Rechtsvorschriften dieser Mitgliedstaaten über die Vermeidung der Doppelbesteuerung und Eintragung der zu entrichtenden Körperschaftsteuer sowie über die Aufbewahrung der Buchhaltungsunterlagen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen im Ausgangsverfahren erfüllt sind.

III – Ergebnis

122. Nach alledem schlage ich vor, auf die Fragen des Conseil d’État zu antworten:

1.      Art. 56 EG ist dahin auszulegen, dass er einer Steuerregelung entgegensteht, nach der eine in einem Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft, die von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft ausgeschüttete Dividenden erhält, auf den Steuervorabzug für Mobilien, der bei der Weiterverteilung dieser Dividenden an ihre eigenen Aktionäre fällig wird, die Steuergutschrift nicht anrechnen kann, die mit der Ausschüttung dieser Dividenden verbunden ist, im Gegensatz zu der vergleichbaren Situation einer im ersten Mitgliedstaat ansässigen Muttergesellschaft, die von einer ebenfalls in diesem Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaft Dividenden erhält.

2.      Ein Mitgliedstaat kann die Erstattung einer Abgabe, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhoben worden ist, in Bezug auf die gesamte wirtschaftliche Belastung, die der Steuerpflichtige nicht selbst getragen hat und was insoweit zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Steuerpflichtigen führen würde, ablehnen. Eine solche Bereicherung könnte entstehen, wenn der Mitgliedstaat Ausgaben des Steuerpflichtigen erstatten müsste, die sich nicht zwangsläufig aus der Weigerung eines Mitgliedstaats ergeben, die Beachtung der Bestimmungen des Vertrags sicherzustellen. Im Ausgangsverfahren ist es Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller ihm zur Verfügung stehenden Angaben nach Maßgabe der von einer Muttergesellschaft wie der Beklagten des Ausgangsverfahrens zugunsten ihrer Aktionäre durchgeführten Ausschüttungspolitik zu prüfen, ob die Entrichtung des streitigen Steuervorabzugs für Mobilien ganz oder teilweise auf die an diese Aktionäre weiterverteilten Dividenden angerechnet worden ist, so dass der Muttergesellschaft gegebenenfalls Einbußen entstanden sein können, die sich zwangsläufig aus der Weigerung des Mitgliedstaats ergeben, ihr die erforderliche Gleichbehandlung zuteilwerden zu lassen. In diesem Fall ist die Erstattung der streitigen Abgabe an die Muttergesellschaft nach Maßgabe der von ihr getragenen wirtschaftlichen Belastung anhand aller dem vorlegenden Gericht zur Verfügung stehenden Anhaltspunkte festzulegen.

3.      Es läuft den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität nicht zuwider, dass die Erstattung der Beträge, die sicherstellen soll, dass die Dividenden, die Gegenstand einer Weiterverteilung durch die in einem Mitgliedstaat ansässige Muttergesellschaft sind, unabhängig davon steuerlich gleichbehandelt werden, ob die Tochtergesellschaften, die diese Dividenden ausgeschüttet haben, in demselben Mitgliedstaat oder in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, grundsätzlich von der Voraussetzung abhängig gemacht wird, dass der Steuerschuldner die Angaben macht, über die nur er verfügt und die sich hinsichtlich jeder streitigen Dividende insbesondere auf den tatsächlich angewandten Steuersatz und auf den Steuerbetrag beziehen, der auf die Gewinne tatsächlich entrichtet wurde, die seine in anderen Mitgliedstaaten als dem ersten Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaften erwirtschaftet haben, während von den in diesem Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaften die – der Verwaltung bekannten – Nachweise nicht verlangt werden, unter dem Vorbehalt, dass der tatsächlich angewandte Steuersatz und der tatsächlich entrichtete Steuerbetrag auch für die Ausschüttung von Dividenden an die Muttergesellschaft von in demselben Mitgliedstaat ansässigen Tochtergesellschaften gelten und es sich praktisch nicht als unmöglich oder übermäßig schwierig erweist, den Nachweis der Zahlung der Steuer durch die in den anderen Mitgliedstaaten ansässigen Tochtergesellschaften zu erbringen, insbesondere unter Berücksichtigung der Rechtsvorschriften dieser Mitgliedstaaten über die Vermeidung der Doppelbesteuerung und Eintragung der zu entrichtenden Körperschaftsteuer sowie über die Aufbewahrung der Buchhaltungsunterlagen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen im Ausgangsverfahren erfüllt sind.


1 – Originalsprache: Französisch.


2 – Da das Vorabentscheidungsersuchen vor Inkrafttreten des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union erfolgte, wird auf die Bestimmungen des EG‑Vertrags Bezug genommen.


3 – JORF vom 31. Dezember 2003, S. 22530.


4 – Mit Ausnahme der Zahlung eines gemäß Art. 216 CGI bestimmten Anteils für Ausgaben und Aufwendungen, der im Ausgangsverfahren nicht maßgeblich ist und der im entscheidungserheblichen Zeitraum bis zum Jahr 2000 auf 2,5 % des Gesamtertrags aus den Beteiligungen einschließlich der Steuergutschriften und ab dem Jahr 2001 auf 5 % festgelegt wurde. Die Vereinbarkeit der Entrichtung eines solchen Anteils für Ausgaben und Aufwendungen ist vom Gerichtshof in der Rechtssache Banque Fédérative du Crédit Mutuel (C‑27/07, Urteil vom 3. April 2008, Slg. 2008, I‑2067) geprüft worden.


5 – ABl. L 225, S. 6. Diese Richtlinie wurde durch die Richtlinie 2003/123/EG des Rates vom 22. Dezember 2003 (ABl. 2004, L 7, S. 41) geändert. Die mit diesem letztgenannten Rechtsakt eingeführten Änderungen lagen nach dem dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Sachverhalt und sind deshalb nicht relevant.


6 – Vgl. Urteil vom 18. Januar 2007, Brzeziński (C‑313/05, Slg. 2007, I‑513, Randnrn. 58 bis 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).


7 – Ein anderer Grund könnte darin liegen, dass der Gerichtshof bereits in mehreren Urteilen (vgl. u. a. Urteile vom 7. September 2004, Manninen, C‑319/02, Slg. 2004, I‑7477, vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation, C‑446/04, Slg. 2006, I‑11753, und vom 6. März 2007, Meilicke u. a., C‑292/04, Slg. 2007, I‑1835) die Anforderungen präzisiert hat, die sich sowohl aus der Niederlassungsfreiheit als auch aus dem freien Kapitalverkehr in Bezug auf natürliche oder juristische Personen ergeben, die in einem Mitgliedstaat ansässig sind und Dividenden von gebietsfremden Gesellschaften erhalten, und dass der Gerichtshof die Wirkungen dieser Urteile zeitlich nicht begrenzt hat; vgl. zu diesem Punkt Urteil Meilicke u. a. (Randnrn. 36 bis 40 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die französische Regierung macht jedoch geltend, dass die oben genannte Rechtsprechungslinie für die Beantwortung der ersten Vorlagefrage nicht unbedingt relevant sei.


8 – Urteil vom 12. Februar 2009, Cobelfret (C‑138/07, Slg. 2009, I‑731, Randnrn. 29 bis 31).


9 – Vorbehaltlich des oben in Fn. 4 erwähnten Anteils für Ausgaben und Aufwendungen.


10 – Urteil vom 12. Dezember 2006 (Randnr. 110).


11 – Vgl. u. a. Urteile vom 13. April 2000, Baars (C‑251/98, Slg. 2000, I‑2787, Randnr. 22), vom 21. November 2002, X und Y (C‑436/00, Slg. 2002, I‑10829, Randnr. 37), vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C‑196/04, Slg. 2006, I‑7995, Randnr. 31), und vom 6. Dezember 2007, Columbus Container Services (C‑298/05, Slg. 2007, I‑10451, Randnr. 30).


12 – Gemäß der Änderung von Art. 145 CGI, erlassen mit Beschluss Nr. 2000-912 vom 18. September 2000, JORF vom 21. September 2000, S. 14783.


13 – Ich erinnere daran, dass, wie ich bereits in Nr. 11 der vorliegenden Schlussanträge hervorgehoben habe, der Conseil d’État im Ausgangsverfahren eine Entscheidung in der Sache zu treffen hat.


14 – Wie z. B. die Feststellung des Gerichtshofs im Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation (Randnr. 80).


15 – Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. März 1999, Trummer und Mayer (C‑222/97, Slg. 1999, I‑1661, Randnr. 21), vom 4. Juni 2002, Kommission/Frankreich (C‑483/99, Slg. 2002, I‑4781, Randnrn. 36 und 37), vom 13. Mai 2003, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑98/01, Slg. 2003, I‑4641, Randnrn. 39 und 40), vom 28. September 2006, Kommission/Niederlande (C‑282/04 und C‑283/04, Slg. 2006, I‑9141, Randnr. 19), sowie vom 17. September 2009, Glaxo Wellcome (C‑182/08, Slg. 2009, I‑8591, Randnr. 40).


16 – Vgl. u. a. Urteile Manninen (Randnr.  22) und Meilicke u. a. (Randnr. 23).


17 – Wie sie sich aus einer nunmehr ständigen Rechtsprechung ergibt; vgl. u. a. Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation (Randnr. 62).


18 – Vgl. u. a. Nr. 74 der schriftlichen Stellungnahme der französischen Regierung.


19 – Vgl. Nr. 82 dieser Stellungnahme.


20 – Urteil vom 27. Januar 2000, Graf (C‑190/98, Slg. 2000, I‑493, Randnrn. 24 f.).


21 – Der Rapporteur public führte aus (S. 14 seiner Schlussanträge): „Die Gesellschaft … kann nur sich selbst dafür verantwortlich machen, wenn sie die Höhe der ausgeschütteten Beträge nicht herabgesetzt hat. Mit anderen Worten, die Belastung, deren Erstattung die Muttergesellschaft beantragt, ist nicht durch das Gesetz entstanden, sondern durch ihre Politik der Ausschüttung von Dividenden.“ Diese Ausführungen stehen jedoch nicht im Kontext des Vorliegens einer Beschränkung des Kapitalverkehrs, sondern betreffen die Erstattung des von Accor geleisteten Steuervorabzugs für Mobilien.


22 – Vgl. u. a. Urteile Manninen (Randnr. 22) und Test Claimants in the FII Group Litigation (Randnrn.  64 und 166).


23 – Vgl. entsprechend Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation (Randnr. 84 und die dort angeführte Rechtsprechung).


24 – Vgl. u. a. Urteile vom 2. Oktober 2003, Weber’s Wine World u. a. (C‑147/01, Slg. 2003, I‑11365, Randnr. 93 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie Test Claimants in the FII Group Litigation (Randnr. 202).


25 – Vgl. in diesem Sinne Urteil Weber’s Wine World u. a. (Randnr. 94). Die Verwendung des Begriffs der ungerechtfertigten Bereicherung scheint in diesem Kontext mehr dem der Erstattung rechtsgrundlos entrichteter Beträge nahezukommen, der in manchen Mitgliedstaaten als Sonderfall der ungerechtfertigten Bereicherung angesehen werden kann.


26 – Urteil Weber’s Wine World u. a. (Randnr. 98 und die dort angeführte Rechtsprechung).


27 – Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Januar 1997, Comateb u. a. (C‑192/95 bis C‑218/95, Slg. 1997, I‑165, Randnrn. 29, 31 und 32), und Weber’s Wine World u. a. (Randnr. 99).


28 – Vgl. Urteil Weber’s Wine World u. a. (Randnr. 96).


29 – Vgl. Urteile vom 10. April 2008, Marks & Spencer (C‑309/06, Slg. 2008, I‑2283, Randnr. 41), und vom 18. Juni 2009, Stadeco (C‑566/07, Slg. 2009, I‑5295, Randnr. 49).


30 – Urteil Weber’s Wine World u. a. (Randnr. 103).


31 – Vgl. Urteile vom 9. November 1983, San Giorgio (199/82, Slg. 1983, 3595, Randnr. 14), und vom 21. September 2000, Michaïlidis (C‑441/98 und C‑442/98, Slg. 2000, I‑7145, Randnr. 36).


32 – Urteil Comateb u. a. (Randnr. 25).


33 – Die französische Regierung führt im Übrigen aus, dass dieser Übergang der Beweislast auf die Steuerbehörden bei Sachverhalten, für die nur das innerstaatliche Recht gelte, auch aus der Rechtsprechung des Conseil d’État und der französischen Cour de cassation folge. Eine solche Regel müsse somit gemäß den Grundsätzen der Gleichbehandlung und der Äquivalenz auch in Rechtsstreitigkeiten gelten, in denen die französische Steuerverwaltung die Erstattung von Abgaben ablehnt, die unter Verstoß gegen das Unionsrecht gezahlt worden sind.


34 – Vgl. Urteile Weber’s Wine World u. a. (Randnr.  100) und Marks & Spencer (Randnr. 43).


35 – Urteil des Conseil d’État vom 30. Juni 2004, Sté Freudenberg.


36 – Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation (Randnr. 207, Hervorhebung nur hier).


37 – Ebd. (Randnr. 208).


38 – Diese Frage lag der Rechtssache Kerckhaert und Morres (C‑513/04, Urteil vom 14. November 2006, Slg. 2006, I‑10967) zugrunde. Die Abschaffung der Steuergutschrift zum 1. Januar 2005 und später die ihrer Erstattung an nicht gebietsansässige Aktionäre lag der Rechtssache Damseaux (C‑128/08, Urteil vom 16. Juli 2009, Slg. 2009, I‑6823) zugrunde. In der Vorlagefrage wurden jedoch nur die Pflichten angesprochen, die dem Mitgliedstaat obliegen, in dem die Aktionäre ansässig sind (in diesem Fall das Königreich Belgien).


39 – In der Rechtssache Test Claimants in the FII Group Litigation stellte sich die Frage, ob das Recht der Union dem entgegensteht, dass ein Mitgliedstaat für Dividenden, die von einer gebietsansässigen Gesellschaft an eine andere gebietsansässige Muttergesellschaft ausgeschüttet werden, eine Steuerbefreiung gewährt, während er bei Zahlung durch eine gebietsfremde Gesellschaft an eine gebietsansässige Gesellschaft eine mehrfache Belastung dieser Dividenden durch Anwendung eines Anrechnungssystems vermeidet. Der Gerichtshof hat die Vereinbarkeit der Anwendbarkeit eines Anrechnungssystems unter diesen Umständen bestätigt, wenn erstens die Dividenden aus ausländischen Quellen in dem fraglichen Mitgliedstaat nicht mit einem höheren Satz besteuert werden, als er für Dividenden aus inländischen Quellen gilt, und zweitens die Mehrfachbelastung der Dividenden aus ausländischen Quellen auf die Steuer angerechnet wird, die von der ausschüttenden gebietsfremden Gesellschaft auf den Steuerbetrag der Empfängergesellschaft entrichtet wurde bis zur Höhe dieser Steuer. Der Gerichtshof weist in den Randnrn. 51 f. dieses Urteils darauf hin, dass, wenn die den Dividenden aus ausländischen Quellen zugrunde liegenden Gewinne im Mitgliedstaat der ausschüttenden Gesellschaft niedriger besteuert werden als im Mitgliedstaat der Empfängergesellschaft, der letztgenannte Staat somit eine Steuergutschrift in voller Höhe der von der ausschüttenden Gesellschaft in deren Sitzstaat gezahlten Steuer erteilen muss. Werden diese Gewinne hingegen höher besteuert als im Mitgliedstaat der Empfängergesellschaft, so muss der letztgenannte Staat eine Steuergutschrift nur bis zur Höhe der von der Empfängergesellschaft zu entrichtenden Körperschaftsteuer erteilen. Er muss somit den die Differenz zwischen den beiden Beträgen übersteigenden Teil nicht erstatten.


40 – ABl. L 336, S. 15.


41 – Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Januar 2009, Persche (C‑318/07, Slg. 2009, I‑359, Randnrn.  54 und 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).


42 – Ebd. (Randnr. 61).


43 – Ebd. (Randnrn. 62, 64 und 65).


44 – Nr. 1 Abs. 2 des Tenors des Urteils (Hervorhebung nur hier).


45 – In Randnr. 53 des Urteils weist der Gerichtshof darauf hin, dass „noch festzustellen [ist], dass die Steuergutschrift im finnischen Recht stets dem Betrag der Körperschaftsteuer entspricht, den die Gesellschaft, die die Dividenden ausschüttet, tatsächlich entrichtet hat“.


46 – Urteilt Test Claimants in the FII Group Litigation (Randnrn. 53 bis 56).


47  –      Vgl. u. a. Urteil vom 28. Oktober 2010, Établissements Rimbaud (C-72/09, Slg. 2010, I-0000, Randnr. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).