URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
7. Mai 1998 (1)
„Sechste Mehrwertsteuerrichtlinie Kraftfahrzeugleasing Feste Niederlassung
Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige
Steuerpflichtige Grundsatz der Nichtdiskriminierung“
In der Rechtssache C-390/96
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag von der Rechtbank
van eerste aanleg Brüssel in dem bei dieser anhängigen Rechtsstreit
Lease Plan Luxembourg SA
gegen
Belgische Staat
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 9
Absatz 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige
Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) sowie der Artikel 6 und 59 EG-Vertrag
erläßt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Gulmann sowie der Richter
M. Wathelet, J. C. Moitinho de Almeida (Berichterstatter), D. A. O. Edward und
J.-P. Puissochet,
Generalanwalt: N. Fennelly
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der Lease Plan Luxembourg SA, vertreten durch die Rechtsanwälte L. De
Broe und L. Vandenberghe, Brüssel,
der belgischen Regierung, vertreten durch J. Devadder, Hauptberater im
Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, Außenhandel und
Entwicklungszusammenarbeit, als Bevollmächtigten im Beistand von
Rechtsanwalt A. Destrycker, Brüssel,
der luxemburgischen Regierung, vertreten durch R. Heinen,
Regierungsattaché im Finanzministerium, als Bevollmächtigten,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch
B. J. Drijber, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Lease Plan Luxembourg SA, der
belgischen Regierung und der Kommission in der Sitzung vom 6. November 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 18.
Dezember 1997,
folgendes
Urteil
- 1.
- Die Rechtbank van eerste aanleg Brüssel hat mit Urteil vom 26. November 1996,
beim Gerichtshof eingegangen am 2. Dezember 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung von Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten
Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl.
L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie) sowie der Artikel 6 und 59 EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.
- 2.
- Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Lease Plan
Luxembourg SA (im folgenden: Lease Plan) mit Sitz in Luxemburg und dem
belgischen Staat über die Erstattung der Mehrwertsteuer, die von Lease Plan beim
Kauf von Kraftfahrzeugen in Belgien sowie für die in diesem Staat durchgeführte
Wartung und Reparatur von Kraftfahrzeugen entrichtet wurde.
- 3.
- Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie lautet:
„Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz
seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die
Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer
solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort.“
- 4.
- Artikel 9 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie in der Fassung der Zehnten Richtlinie
84/386/EWG des Rates vom 31. Juli 1984 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern in Abänderung der
Richtlinie 77/388/EWG Anwendung der Mehrwertsteuer auf die Vermietung von
beweglichen körperlichen Gegenständen (ABl. L 208, S. 58; im folgenden: Zehnte
Richtlinie) bestimmt:
„Es gilt jedoch
...
e) als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an außerhalb der Gemeinschaft
ansässige Empfänger oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb
des Landes des Dienstleistenden ansässige Steuerpflichtige erbracht werden,
der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit
oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht
worden ist, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen
Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort:
...
Vermietung beweglicher körperlicher Gegenstände, ausgenommen
Beförderungsmittel.“
- 5.
- Artikel 17 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie enthält die Grundsätze, nach denen sich
das Recht auf Vorsteuerabzug oder -erstattung richtet.
- 6.
- In Artikel 17 Absatz 4 Satz 1 der Sechsten Richtlinie heißt es sodann:
„Der Rat wird möglichst vor dem 31. Dezember 1977 auf Vorschlag der
Kommission einstimmig gemeinschaftliche Durchführungsbestimmungen erlassen,
nach denen Erstattungen nach Absatz 3 an nicht im Inland ansässige
Steuerpflichtige erfolgen.“
- 7.
- Gemäß dieser Vorschrift erließ der Rat am 6. Dezember 1979 die Achte Richtlinie
79/1072/EWG zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über
die Umsatzsteuern Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im
Inland ansässige Steuerpflichtige (ABl. L 331, S. 11; im folgenden: Achte
Richtlinie), deren Artikel 7 Absatz 4 bestimmt:
„Der Bescheid über die Erstattungsanträge muß binnen sechs Monaten zugestellt
werden, nachdem diese mit allen in dieser Richtlinie zur Stützung des Antrags
vorgeschriebenen Dokumenten der in Absatz 3 genannten zuständigen Behörde
eingereicht worden sind. Die Steuererstattung muß vor Ablauf dieser Frist auf
Antrag des Antragstellers entweder in dem Mitgliedstaat der Erstattung oder dem
Mitgliedstaat, in dem er ansässig ist, erfolgen. Im letzteren Falle gehen die
Bankkosten für die Überweisung zu Lasten des Antragstellers.
Abschlägige Bescheide sind zu begründen. Gegen sie ist Einspruch vor den
zuständigen Stellen des betroffenen Mitgliedstaats zulässig, und zwar in den
Formen und binnen der Fristen, die für Einsprüche bei Erstattungsanträgen der in
diesem Staat ansässigen Mehrwertsteuerpflichtigen vorgesehen sind.“
- 8.
- Lease Plan ist eine Leasinggesellschaft, deren Haupttätigkeit darin besteht,
Personenkraftwagen im Rahmen von Leasingverträgen zu vermieten.
- 9.
- Die meisten Verträge schließt Lease Plan mit in Luxemburg ansässigen
Gesellschaften. Die geleasten Kraftfahrzeuge werden in Luxemburg gekauft und
sind bei Versicherungsunternehmen in Luxemburg versichert; aufgrund von
Pauschalvereinbarungen zahlen die Leasingnehmer eine Pauschalvergütung, die
sowohl die Finanzierung als auch Wartung, Versicherung und Reparaturen deckt.
Die in Luxemburg ansässigen Gesellschaften stellen diese Kraftfahrzeuge ihren
Arbeitnehmern zur Verfügung, von denen manche im belgischen Grenzgebiet oder
in anderen Teilen Belgiens wohnen. Die von den Arbeitnehmern aufgesuchten
Autowerkstätten in Belgien senden ihre Rechnungen an Lease Plan, die die
angefallene Mehrwertsteuer entrichtet.
- 10.
- Außerdem gingen etwa zehn der insgesamt fast 1 000 Kraftfahrzeuge von Lease
Plan an in Belgien ansässige Leasingnehmer. Diese Fahrzeuge wurden von Lease
Plan in Belgien gekauft; im Unterschied zu den Fahrzeugen, die von in Luxemburg
ansässigen Gesellschaften geleast werden, bestehen für sie keine
Pauschalvereinbarungen. Für Wartung, Versicherung, Reparaturen und Steuern
haben die in Belgien ansässigen Kunden aufzukommen.
- 11.
- Lease Plan beantragte die Erstattung der Mehrwertsteuer, die in Belgien beim
Kauf der von den dort ansässigen Kunden geleasten Kraftfahrzeuge sowie im
Zusammenhang mit der Wartung und den Reparaturen der von den Gesellschaften
mit Sitz in Luxemburg geleasten Kraftfahrzeuge in belgischen Werkstätten
entrichtet wurde.
- 12.
- Die belgische Steuerverwaltung lehnte die von Lease Plan beantragte
Mehrwertsteuererstattung mit der Begründung ab, daß die Firma in Belgien
Umsätze bewirke, auf die sie Mehrwertsteuer zu entrichten habe. Dies treffe auf
diejenigen Reparaturen der von in Luxemburg ansässigen Kunden geleasten
Kraftfahrzeuge zu, die nicht im Rahmen der normalen Wartung erfolgten. Diese
Reparaturen würden nicht von den Pauschalvereinbarungen umfaßt und stellten
gesonderte Dienstleistungen dar, die dort erbracht würden, wo sich die
Kraftfahrzeuge befänden. Außerdem sei für die Zeit nach dem 1. Januar 1993 die
Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit, die im Unterhalten einer Flotte von
Leasingfahrzeugen in Belgien bestehe, ausreichend dafür, daß Lease Plan in diesem
Staat über eine feste Niederlassung im Sinne von Artikel 21 § 2 des belgischen
Mehrwertsteuergesetzes vom 3. Juli 1969 in der am 1. Januar 1993 in Kraft
getretenen Fassung des Gesetzes vom 28. Dezember 1992 verfüge.
- 13.
- Artikel 4 § 1 des Mehrwertsteuergesetzes bestimmt:
„Steuerpflichtig ist, wer in Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit regelmäßig
und selbständig, mit oder ohne Gewinnabsicht, hauptsächlich oder zusätzlich
unabhängig von dem Ort, an dem die wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird,
Gegenstände liefert oder Dienstleistungen erbringt, die in diesem Gesetz genannt
sind.“
- 14.
- Artikel 21 §§ 1 und 2 des Mehrwertsteuergesetzes sieht vor:
„Eine Dienstleistung erfolgt in Belgien, wenn sich der Ort, der nach den §§ 2 bis
4 als Ort der Dienstleistung gilt, in Belgien befindet.
Als Ort einer Dienstleistung gilt der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz
seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die
Dienstleistung erbracht wird, oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer
solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher Aufenthaltsort.“
- 15.
- Nach Ansicht der belgischen Steuerverwaltung müßte sich Lease Plan, da sie in
Belgien Umsätze bewirke, auf die sie Mehrwertsteuer zu entrichten habe, bei der
Mehrwertsteuerverwaltung als in Belgien mehrwertsteuerpflichtig eintragen lassen
und die Erstattung im Rahmen der vierteljährlichen Mehrwertsteuererklärungen
verlangen.
- 16.
- Auf die Entscheidung der belgischen Steuerverwaltung erhob Lease Plan bei der
Rechtbank van eerste aanleg Brüssel Klage gegen den belgischen Staat auf
Erstattung von 7 669 095 BFR zuzüglich der gesetzlichen Zinsen.
- 17.
- Lease Plan machte geltend, sie habe bei verspäteter Erstattung der Mehrwertsteuer
unter den gleichen Voraussetzungen wie ein in Belgien ansässiger Steuerpflichtiger
Anspruch auf Zinsen zum gesetzlichen Satz. Für den Antrag eines in Belgien
ansässigen Steuerpflichtigen sieht Artikel 76 § 1 des Mehrwertsteuergesetzes eine
Erstattung des am Jahresende noch geschuldeten Überschusses binnen drei
Monaten nach Antragstellung vor. Wird die Mehrwertsteuer nicht innerhalb dieser
Frist erstattet, erhält der in Belgien ansässige Steuerpflichtige gemäß Artikel 91 § 3
des Mehrwertsteuergesetzes nach Ablauf der Dreimonatsfrist Zinsen in Höhe von
0,8 % pro Monat.
- 18.
- Für den Erstattungsantrag eines nicht in Belgien ansässigen Steuerpflichtigen
bestimmt dagegen Artikel 91 § 4 des Mehrwertsteuergesetzes, daß die
Verzugszinsen auf die rückständigen Beträge „zu dem im Zivilrecht geltenden
Zinssatz und nach den zivilrechtlichen Bestimmungen geschuldet [werden]“. Aus
den beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen ergibt sich, daß bis zum 31.
August 1996 für solche Anträge ein Zinssatz von 8 % p. a. galt und daß diese
Zinsen erst vom Zeitpunkt einer Mahnung an geschuldet waren, die nach Ablauf
der Sechsmonatsfrist des Artikels 7 Absatz 4 der Achten Richtlinie an den
belgischen Staat gerichtet wurde.
- 19.
- Lease Plan beanstandet nicht die sechsmonatige Erstattungsfrist, die für nicht im
Inland ansässige Steuerpflichtige gemäß Artikel 7 Absatz 4 der Achten Richtlinie
länger ist als die Dreimonatsfrist, die in Artikel 91 § 3 des Mehrwertsteuergesetzes
für im Inland ansässige Steuerpflichtige vorgesehen ist. Nach ihrer Ansicht kann ein
solcher Unterschied dadurch gerechtfertigt sein, daß bei Erstattungen an nicht im
Inland ansässige Steuerpflichtige die Kontrolle und die Erstattung mehr Zeit in
Anspruch nähmen als bei Erstattungen an im Inland ansässige Steuerpflichtige.
- 20.
- Da sich die Rechtbank nicht darüber im klaren ist, ob eine Flotte von
Kraftfahrzeugen, die im Eigentum von Lease Plan stehen und in Belgien gefahren
werden, als eine feste Niederlassung im Sinne der Sechsten Richtlinie anzusehen
ist, und angesichts der Auseinandersetzung über die Zinsen, die auf die beantragte
Mehrwertsteuererstattung anwendbar sind, hat sie das Verfahren ausgesetzt und
dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist der Begriff „feste Niederlassung“ in Artikel 9 Absatz 1 der SechstenMehrwertsteuerrichtlinie so auszulegen, daß ein Unternehmen aus einem
Mitgliedstaat, das eine Reihe von Fahrzeugen an Kunden vermietet oder
least, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, allein schon
aufgrund dieser Vermietung über eine feste Niederlassung in diesem
anderen Mitgliedstaat verfügt?
2. Ist, wenn diese Frage zu bejahen ist, Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten
Mehrwertsteuerrichtlinie so auszulegen, daß die Dienstleistungen, d. h. das
Leasing von Fahrzeugen, als von einer festen Niederlassung in Belgien aus
erbracht angesehen werden können, wenn der Dienstleistungserbringer
seinen Sitz in Luxemburg hat und von diesem luxemburgischen Sitz aus fast
alle Verträge mit in Luxemburg ansässigen Kunden ausgehandelt und
geschlossen werden und wenn nur eine kleine Anzahl von Fahrzeugen
(nämlich etwa zehn von einer Flotte von fast 1 000 Fahrzeugen) in Belgien
gekauft und auf belgischem Boden gewartet oder repariert werden?
3. Sind die Artikel 6 und 59 EWG-Vertrag so auszulegen, daß sie es
untersagen, ausländischen Steuerpflichtigen, die in Belgien Gegenstände
oder Dienstleistungen erhalten und darauf entsprechend der Achten
Mehrwertsteuerrichtlinie die Mehrwertsteuer zurückfordern, bei nicht
rechtzeitiger Erstattung niedrigere Zinsen zuzuerkennen, die darüber hinaus
erst von dem Zeitpunkt an geschuldet werden, zu dem der ausländische
Steuerpflichtige den belgischen Staat in Verzug setzt, während bei nicht
rechtzeitiger Erstattung einem belgischen Steuerpflichtigen höhere Zinsen
zuerkannt werden, die ohne weiteres und ohne Inverzugsetzung vom Ablauf
der gesetzlichen Erstattungsfrist an geschuldet werden?
Zur ersten Frage
- 21.
- Im Anschluß an das Urteil vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-190/95 (ARO
Lease, Slg. 1997, I-4383) haben die Parteien des Ausgangsverfahrens in der
mündlichen Verhandlung eingeräumt, daß Lease Plan in dem Zeitraum, auf den
sich die beantragte Mehrwertsteuererstattung bezieht, keine feste Niederlassung in
Belgien hatte, von der aus sie Dienstleistungen erbrachte.
- 22.
- Wie der Gerichtshof in Randnummer 12 des Urteils ARO Lease ausgeführt hat,
ist nach der vierten Begründungserwägung der Zehnten Richtlinie „bei der
Vermietung von Beförderungsmitteln ... aus Kontrollgründen ... Artikel 9 Absatz 1
[der Sechsten Richtlinie] strikt anzuwenden und somit als Ort der Dienstleistung
der Ort des Dienstleistenden anzusehen“. Dafür spricht im übrigen auch Artikel 9
Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie in der durch die Zehnte Richtlinie
geänderten Fassung.
- 23.
- Es ist nämlich, wie der Gerichtshof in Randnummer 14 desselben Urteils
festgestellt hat, schwierig, wenn nicht unmöglich, den Ort der Nutzung von
Beförderungsmitteln zu bestimmen, da diese leicht die Grenzen überschreiten
können; daher ist es erforderlich, in jedem Fall ein praktikables Kriterium für die
Erhebung der Mehrwertsteuer vorzusehen. Die Sechste Richtlinie hat deshalb für
die Vermietung sämtlicher Beförderungsmittel nicht an den Ort der Nutzung des
vermieteten Gegenstands, sondern der Einfachheit halber und dem allgemeinen
Grundsatz entsprechend an den Ort angeknüpft, an dem der Dienstleistende den
Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit hat (vgl. Urteil vom 15. März 1989 in der
Rechtssache 51/88, Hamann, Slg. 1989, 767, Randnrn. 17 und 18).
- 24.
- Außerdem hat der Gerichtshof in Randnummer 15 des Urteils ARO Lease darauf
hingewiesen, daß der Ort, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner
wirtschaftlichen Tätigkeit hat, ein vorrangiger Anknüpfungspunkt ist und daß die
Berücksichtigung einer anderen Niederlassung, von der aus die Dienstleistung
erbracht wird, nur dann von Interesse ist, wenn die Anknüpfung an den Sitz nicht
zu einer steuerlich sinnvollen Lösung führt oder wenn sie einen Konflikt mit einem
anderen Mitgliedstaat zur Folge hat. Daraus folgt, wie der Gerichtshof in
Randnummer 16 desselben Urteils festgestellt hat, daß die Zuordnung einer
Dienstleistung zu einer anderen Niederlassung als dem Sitz nur dann in Betracht
kommt, wenn diese Niederlassung einen hinreichenden Grad an Beständigkeit
sowie eine Struktur hat, die von der personellen und technischen Ausstattung her
eine autonome Erbringung der betreffenden Dienstleistungen ermöglicht.
- 25.
- In Randnummer 18 des Urteils ARO Lease hat der Gerichtshof ausgeführt, daß
die Dienstleistungen, die beim Leasing von Fahrzeugen erbracht werden, im
wesentlichen im Aushandeln, in der Abfassung, der Unterzeichnung und der
Durchführung der Verträge sowie in der tatsächlichen Bereitstellung der
betreffenden Fahrzeuge für die Kunden bestehen, wobei die Leasinggesellschaft
Eigentümerin der Fahrzeuge bleibt.
- 26.
- Der Gerichtshof hat in Randnummer 19 desselben Urteils die Schlußfolgerung
gezogen, daß, wenn eine Leasinggesellschaft in einem Mitgliedstaat weder über
eigenes Personal noch über eine Struktur mit einem hinreichenden Grad an
Beständigkeit verfügt, in deren Rahmen Verträge abgefaßt oder Entscheidungen
über die Geschäftsführung getroffen werden können, d. h. eine Struktur, die die
autonome Erbringung der fraglichen Dienstleistungen ermöglicht, sie keine feste
Niederlassung in diesem Mitgliedstaat hat.
- 27.
- Dies ist aber auch im Ausgangsverfahren der Fall, da Lease Plan in Belgien weder
über eigenes Personal noch über eine Struktur mit einem hinreichenden Grad an
Beständigkeit verfügt.
- 28.
- Im übrigen ergibt sich, wie der Gerichtshof in Randnummer 20 des Urteils ARO
Lease ausgeführt hat, sowohl aus dem Wortlaut als auch aus der Zielsetzung von
Artikel 9 Absätze 1 und 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie in der geänderten
Fassung sowie aus dem Urteil Hamann (a. a. O.), daß die tatsächliche
Bereitstellung von Fahrzeugen für die Kunden im Rahmen von Leasingverträgen
ebensowenig wie der Ort der Benutzung dieser Fahrzeuge als ein der Zielsetzung
der Sechsten Richtlinie entsprechendes sicheres, einfaches und praktikables
Kriterium für das Bestehen einer festen Niederlassung angesehen werden kann.
- 29.
- Daher ist auf die erste Frage zu antworten, daß der Begriff „feste Niederlassung“
in Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie so auszulegen ist, daß ein
Unternehmen aus einem Mitgliedstaat, das eine Reihe von Fahrzeugen an Kunden
vermietet oder least, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, nicht allein
schon aufgrund dieser Vermietung über eine feste Niederlassung in diesem anderen
Mitgliedstaat verfügt.
Zur zweiten Frage
- 30.
- Angesichts der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht
beantwortet zu werden.
Zur dritten Frage
- 31.
- Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die Artikel 6 und 59 des
Vertrages einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach nicht in einem
Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen, die gemäß der Achten Richtlinie eine
Mehrwertsteuererstattung beantragen, Zinsen erst vom Zeitpunkt der
Inverzugsetzung dieses Mitgliedstaats an und zu einem niedrigeren Satz als dem
gewährt werden, der für Zinsen gilt, die in diesem Staat ansässige Steuerpflichtige
nach Ablauf der gesetzlichen Erstattungsfrist ohne weiteres erhalten.
- 32.
- Eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende gewährt nicht in
dem betreffenden Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen nach Ablauf der
gesetzlichen Erstattungsfrist Zinsen zu einem niedrigeren Satz, als er für Zinsen
gilt, die in diesem Staat ansässigen Steuerpflichtigen gewährt werden. Während
diese Steuerpflichtigen im Fall der verspäteten Erstattung ohne weiteres Zinsen
erhalten, müssen Steuerpflichtige, die nicht in diesem Mitgliedstaat ansässig sind,
außerdem diesen Staat in Verzug setzen und die Kosten dieser zusätzlichen
Formalität tragen, wenn sie nach Ablauf des gesetzlichen Erstattungszeitraums
Zinsen erhalten wollen.
- 33.
- Eine solche Regelung, die die Steuerpflichtigen je nachdem, ob sie in dem
betreffenden Mitgliedstaat ansässig sind oder nicht, unterschiedlich behandelt, kann
eine nach Artikel 59 des Vertrages verbotene Diskriminierung darstellen.
- 34.
- Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Diskriminierung jedoch nur darin
bestehen, daß unterschiedliche Vorschriften auf vergleichbare Situationen
angewandt werden oder daß dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen
angewandt wird (vgl. insbesondere Urteil vom 14. Februar 1995 in der Rechtssache
C-279/93, Schumacker, Slg. 1995, I-225, Randnr. 30).
- 35.
- Die belgische Regierung macht insoweit geltend, daß die in dem betreffenden
Mitgliedstaat und die in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Steuerpflichtigen, die
sich in der gleichen Lage befänden, auch in der gleichen Weise behandelt würden.
Ein in einem anderen Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger, der bei der
belgischen Steuerverwaltung Steuererklärungen einreiche, habe im Fall verspäteter
Erstattung gemäß Artikel 91 § 3 des Mehrwertsteuergesetzes ohne weiteres
Anspruch auf Zinsen zum höheren Satz. Umgekehrt habe ein in dem betreffenden
Mitgliedstaat ansässiger Steuerpflichtiger, der nur unregelmäßig steuerpflichtige
wirtschaftliche Tätigkeiten ausübe und daher nur gelegentlich
Mehrwertsteuererklärungen einreiche, erst von der Inverzugsetzung an nur
Anspruch auf Zinsen zu dem in Artikel 91 § 4 des Mehrwertsteuergesetzes
vorgesehenen niedrigeren Satz. Dies gelte auch für einen in dem betreffenden
Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen, der, obwohl er mit seinen
wirtschaftlichen Tätigkeiten regelmäßig der Mehrwertsteuer unterliege, deren
Erstattung für einen Umsatz beantrage, der nicht ausschließlich beruflichen
Charakter habe.
- 36.
- Die Lage eines Steuerpflichtigen, der in einem Mitgliedstaat ansässig ist, dort eine
mehrwertsteuerpflichtige regelmäßige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt und im
Rahmen dieser Tätigkeit die Erstattung der Mehrwertsteuer für einen Umsatz
verlangt, der in einem zweiten Mitgliedstaat getätigt wurde, kann jedoch nicht mit
der Lage eines in diesem zweiten Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen
verglichen werden, der dort entweder unregelmäßig eine steuerpflichtige
wirtschaftliche Tätigkeit ausübt oder die Erstattung der Mehrwertsteuer für einen
Umsatz beantragt, der nicht ausschließlich beruflichen Charakter hat.
- 37.
- Die Lage ist nämlich, was den Zinssatz und den Zeitpunkt betrifft, von dem an die
Zinsen berechnet werden, mit der Lage eines Steuerpflichtigen zu vergleichen, der
in dem betreffenden Staat ansässig ist, der ebenso wie Lease Plan eine
mehrwertsteuerpflichtige regelmäßige wirtschaftliche Tätigkeit ausübt und der im
Rahmen dieser Tätigkeit die Erstattung eines Mehrwertsteuerüberschusses verlangt.
- 38.
- Im Fall der verspäteten Erstattung hätte ein solcher Steuerpflichtiger, der bei der
Steuerverwaltung regelmäßig Steuererklärungen einreicht, aber im Gegensatz zu
einem nicht in dem betreffenden Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen
Anspruch auf ohne weiteres fällig werdende Zinsen zu einem höheren Satz.
- 39.
- Da zur Rechtfertigung dieser Diskriminierung kein weiterer Grund angegeben
wurde, ist festzustellen, daß eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige
mit Artikel 59 des Vertrages unvereinbar ist, da sie nicht in dem betreffenden
Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen Zinsen erst vom Zeitpunkt der
Inverzugsetzung dieses Staates an und zu einem niedrigeren Satz als dem gewährt,
der für Zinsen gilt, die in diesem Staat ansässige Steuerpflichtige nach Ablauf der
gesetzlichen Erstattungsfrist ohne weiteres erhalten.
- 40.
- Da eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende unter Artikel
59 des Vertrages fällt, braucht ihre Vereinbarkeit mit Artikel 6 des Vertrages nicht
geprüft zu werden.
- 41.
- Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, daß Artikel 59 des Vertrages einer
nationalen Regelung entgegensteht, wonach nicht in einem Mitgliedstaat ansässigen
Steuerpflichtigen, die gemäß der Achten Richtlinie eine Mehrwertsteuererstattung
beantragen, Zinsen erst vom Zeitpunkt der Inverzugsetzung dieses Mitgliedstaats
an und zu einem niedrigeren Satz als dem gewährt werden, der für Zinsen gilt, die
in diesem Staat ansässige Steuerpflichtige nach Ablauf der gesetzlichen
Erstattungsfrist ohne weiteres erhalten.
Kosten
- 42.
- Die Auslagen der belgischen und der luxemburgischen Regierung sowie der
Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm von der Rechtbank van eerste aanleg Brüssel mit Urteil vom 26.
November 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Der Begriff „feste Niederlassung“ in Artikel 9 Absatz 1 der Sechsten
Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern
Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige
Bemessungsgrundlage ist so auszulegen, daß ein Unternehmen aus einem
Mitgliedstaat, das eine Reihe von Fahrzeugen an Kunden vermietet oder
least, die in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, nicht allein schon
aufgrund dieser Vermietung über eine feste Niederlassung in diesem
anderen Mitgliedstaat verfügt.
2. Artikel 59 EG-Vertrag steht einer nationalen Regelung entgegen, wonach
nicht in einem Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen, die gemäß der
Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im
Inland ansässige Steuerpflichtige eine Mehrwertsteuererstattung
beantragen, Zinsen erst vom Zeitpunkt der Inverzugsetzung dieses
Mitgliedstaats an und zu einem niedrigeren Satz als dem gewährt werden,
der für Zinsen gilt, die in diesem Staat ansässige Steuerpflichtige nach
Ablauf der gesetzlichen Erstattungsfrist ohne weiteres erhalten.
Gulmann Wathelet Moitinho de Almeida
Edward Puissochet
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 7. Mai 1998.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
C. Gulmann