Language of document : ECLI:EU:C:2009:561

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

17. September 2009(*)

„Verordnung (EG) Nr. 44/2001 – Art. 9 Abs. 1 Buchst. b und 11 Abs. 2 – Zuständigkeit für Versicherungssachen – Autounfall – Legalzession der Opferansprüche an einen Sozialversicherungsträger – Regressverfahren gegen den Versicherer des mutmaßlichen Unfallverursachers – Ziel des Schutzes der schwächeren Partei“

In der Rechtssache C‑347/08

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach den Art. 68 EG und 234 EG, eingereicht vom Landesgericht Feldkirch (Österreich) mit Entscheidung vom 14. Juli 2008, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Juli 2008, in dem Verfahren

Vorarlberger Gebietskrankenkasse

gegen

WGV-Schwäbische Allgemeine Versicherungs AG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas, der Richter A. Ó Caoimh, J. Klučka (Berichterstatter) und U. Lõhmus sowie der Richterin P. Lindh,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzlerin: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juli 2009,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Vorarlberger Gebietskrankenkasse, vertreten durch Rechtsanwalt A. Wittwer,

–        der WGV-Schwäbische Allgemeine Versicherungs AG, vertreten durch Rechtsanwalt A. Weber,

–        der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer und G. Kunnert als Bevollmächtigte,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

–        der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Kemper als Bevollmächtigte,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch J. López-Medel Báscones als Bevollmächtigten,

–        der italienischen Regierung, vertreten durch I. Bruni als Bevollmächtigte, unterstützt von W. Ferrante, avvocato dello Stato,

–        der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A.‑M. Rouchaud-Joët und S. Grünheid als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

2        Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Regressverfahrens, das von der Vorarlberger Gebietskrankenkasse mit Sitz in Dornbirn (Österreich) (im Folgenden: VGKK) gegen die WGV-Schwäbische Allgemeine Versicherungs AG mit Sitz in Stuttgart (Deutschland) (im Folgenden: WGV-SAV) angestrengt wurde.

 Rechtlicher Rahmen

 Gemeinschaftsregelung

 Verordnung Nr. 44/2001

3        Die Erwägungsgründe 11 bis 13 der Verordnung Nr. 44/2001 lauten:

„(11) Die Zuständigkeitsvorschriften müssen in hohem Maße vorhersehbar sein und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten, und diese Zuständigkeit muss stets gegeben sein außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist. Der Sitz juristischer Personen muss in der Verordnung selbst definiert sein, um die Transparenz der gemeinsamen Vorschriften zu stärken und Kompetenzkonflikte zu vermeiden.

(12)      Der Gerichtsstand des Wohnsitzes des Beklagten muss durch alternative Gerichtsstände ergänzt werden, die entweder aufgrund der engen Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit oder im Interesse einer geordneten Rechtspflege zuzulassen sind.

(13)      Bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.“

4        Die von der Verordnung Nr. 44/2001 aufgestellten Zuständigkeitsregeln sind in deren Kapitel II geregelt, das aus den Art. 2 bis 31 besteht.

5        Art. 2 Abs. 1 dieser Verordnung, der zu dem Abschnitt 1 dieses Kapitels II unter der Überschrift „Allgemeine Vorschriften“ gehört, bestimmt:

„Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen.“

6        Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung, der unter eben diesem Abschnitt 1 steht, sieht vor:

„Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, können vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 dieses Kapitels verklagt werden.“

7        In seinen Art. 8 bis 14 legt Abschnitt 3 des Kapitels II unter der Überschrift „Zuständigkeit in Versicherungssachen“ die Zuständigkeitsregeln in Versicherungssachen fest.

8        Art. 8 dieser Verordnung lautet:

„Für Klagen in Versicherungssachen bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 4 und des Artikels 5 Nummer 5 nach diesem Abschnitt.“

9        Art. 9 Abs. 1 dieser Verordnung sieht vor:

„Ein Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann verklagt werden:

a)      vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat,

b)      in einem anderen Mitgliedstaat bei Klagen des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten vor dem Gericht des Ortes, an dem der Kläger seinen Wohnsitz hat …

…“

10      Gemäß Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 gilt Folgendes:

„Auf eine Klage, die der Geschädigte unmittelbar gegen den Versicherer erhebt, sind die Artikel 8, 9 und 10 anzuwenden, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist.“

 Richtlinie 2000/26/EG

11      Die Richtlinie 2000/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Mai 2000 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und zur Änderung der Richtlinien 73/239/EWG und 88/357/EWG des Rates (ABl. L 181, S. 65) in der durch Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 (ABl. L 149, S. 14) geänderten Fassung sieht in ihrem Art. 3 unter der Überschrift „Direktanspruch“ vor:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die in Artikel 1 genannten Geschädigten, deren Sach- oder Personenschaden bei einem Unfall im Sinne des genannten Artikels entstanden ist, einen Direktanspruch gegen das Versicherungsunternehmen haben, das die Haftpflicht des Unfallverursachers deckt.“

12      Zur Bestimmung des Begriffs „Geschädigter“ verweist Art. 2 Buchst. d dieser Richtlinie auf Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug- Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. L 103, S. 1).

 Richtlinie 72/166

13      Gemäß Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 72/166 wird als „Geschädigter“ jede Person angesehen, die ein Recht auf Ersatz eines von einem Fahrzeug verursachten Schadens hat.

 Nationale Regelung

14      Gemäß § 332 Abs. 1 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (im Folgenden: ASVG) gilt Folgendes:

„Können Personen, denen nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes Leistungen zustehen, … den Ersatz des Schadens, der ihnen durch den Versicherungsfall erwachsen ist, auf Grund anderer gesetzlicher Vorschriften beanspruchen, geht der Anspruch auf den Versicherungsträger insoweit über, als dieser Leistungen zu erbringen hat.“

15      § 1394 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs lautet:

„Die Rechte des Übernehmers sind mit den Rechten des Überträgers in Rücksicht auf die überlassene Forderung eben dieselben.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

16      Am 10. März 2006 kam es auf einer Autobahn in Deutschland zu einem Verkehrsunfall, an dem zum einen Frau Gaukel mit dem von ihr gelenkten und in Deutschland bei der WGV-SAV haftpflichtversicherten Kraftfahrzeug und zum anderen Frau Kerti als Lenkerin eines anderen Kraftfahrzeugs beteiligt waren. Letztere musste verkehrsbedingt abrupt abbremsen, woraufhin Frau Gaukel, die Lenkerin des nachfolgenden Fahrzeugs, auf das Fahrzeug von Frau Kerti auffuhr. Da Frau Kerti aufgrund dieses Zusammenpralls eine Zerrung der Halswirbelsäule erlitt, musste sie verschiedene ärztliche Behandlungen über sich ergehen lassen. Die behandelnden Ärzte bescheinigten Frau Kerti außerdem eine Arbeitsunfähigkeit vom 15. März 2006 bis einschließlich 21. März 2006. Die VGKK erbrachte als Sozialversicherungsträgerin Leistungen für ihre Versicherte Frau Kerti.

17      Im Zeitraum vom 2. Januar 2006 bis 20. August 2007 hatte Frau Kerti ihren Wohnsitz in Bludenz (Österreich). Sie ist seither in Ubstadt-Weiher (Deutschland) wohnhaft.

18      Unter Berufung auf die nach § 332 ASVG erfolgte Legalzession der Ansprüche der Frau Kerti stellte die VGKK den Aufwand, den sie für die Leistungen zugunsten ihrer eigenen Versicherten getragen hatte, der WGV-SAV mit Schreiben vom 22. September 2006 mit 24. Oktober 2006 fällig. Die VGKK machte nämlich geltend, das Alleinverschulden für den Unfall treffe die Versicherte der WGV-SAV.

19      Da keine Zahlung erfolgt war, erhob die VGKK am 13. Februar 2008 gegen die WGV-SAV eine Regressklage vor dem Bezirksgericht Dornbirn. Die Beklagte, die die Klage auch dem Grund nach bestritt, wandte die internationale Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts ein. Sie brachte zum einen vor, es handle sich bei den gegenständlichen Ansprüchen hinsichtlich ihrer Grundlage um jene von Frau Kerti, die zum Zeitpunkt der Klageerhebung in Deutschland wohnhaft gewesen sei. Zum anderen stünden sich zwei ebenbürtige Prozessparteien gegenüber, weshalb die klagende Partei nicht schutzwürdig im Sinne der Verordnung Nr. 44/2001 sei.

20      Mit Beschluss vom 21. Mai 2008 wies das Bezirksgericht Dornbirn die Klage wegen internationaler Unzuständigkeit zurück.

21      Die VGKK erhob daraufhin Rekurs beim Landesgericht Feldkirch (Österreich) mit dem Antrag, den Beschluss vom 21. Mai 2008 aufzuheben und dem Erstgericht die Fortsetzung des Verfahrens aufzutragen.

22      Das Landesgericht Feldkirch führt drei Argumente für die Zuständigkeit der österreichischen Gerichte an. Erstens sei die VGKK als „geschädigte“ Partei zu betrachten, da sie für Frau Kerti infolge ihres Unfalls Leistungen erbracht habe. Zweitens seien durch Legalzession gemäß § 332 ASVG zum Unfallzeitpunkt alle Ansprüche der Frau Kerti auf die VGKK übergegangen. Nach Eintritt in die Rechtsposition ihrer Versicherten mache sie also in ihrer Klage deren Ansprüche geltend und nicht ihre eigenen. Drittens behalte der Direktgeschädigte im Falle eines schweren Unfalls mit Personenschaden seine Ansprüche auf Schmerzensgeld und Ersatz der Sachschäden. Diese könne er also vor seinem Wohnortforum einklagen. Die Ersatzansprüche auf Heilbehandlung und gegebenenfalls Rentenleistungen gingen in diesem Fall auf den Sozialversicherungsträger über. Wenn sich dieser nicht auf die besagte Zuständigkeit berufen könnte, müsste er also eine Regressklage bei einem Gericht eines anderen Mitgliedstaats einbringen. Unter diesen Umständen würden Gerichte verschiedener Mitgliedstaaten in derselben Sache entscheiden, was den Zielen der Verordnung Nr. 44/2001 dadurch zuwiderlaufen könnte, dass miteinander unvereinbare Urteile von Gerichten unterschiedlicher Mitgliedstaaten ergehen könnten.

23      Zwei Argumente sprechen nach Auffassung des vorlegenden Gerichts jedoch gegen die Anerkennung der Zuständigkeit der österreichischen Gerichte. Zum einen habe die Richtlinie 2000/26 zum Ziel, die schwache Partei durch eine wesentliche Vereinfachung und Erleichterung der Durchsetzung von Ersatzansprüchen bei Straßenverkehrsunfällen mit Auslandsbeziehung zu schützen. Im Hinblick auf das Urteil des Gerichtshofs vom 13. Dezember 2007, FBTO Schadeverzekeringen (C‑463/06, Slg. 2007, I‑11321), könne ein Sozialversicherungsträger aber nicht als schwache, bei der Anwendung der Regeln über die internationale Gerichtszuständigkeit schutzwürdige Partei angesehen werden. Zum anderen sei in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 nur vom Geschädigten die Rede, nicht von einem allfälligen Legalzessionar.

24      Unter diesen Umständen hat das Landesgericht Feldkirch beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist die Verweisung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung dahin auszulegen, dass ein Sozialversicherungsträger, auf den Ansprüche des unmittelbar Geschädigten von Gesetzes wegen (§ 332 ASVG) übergegangen sind, vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedstaat, an dem er seine Niederlassung hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat?

2.      Bei Bejahung von Frage 1:

Ist diese Zuständigkeit auch dann gegeben, wenn der unmittelbar Geschädigte im Zeitpunkt der Einbringung der Klage bei Gericht keinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem Mitgliedstaat hat, in dem der Sozialversicherungsträger seine Niederlassung hat?

 Zu den Vorlagefragen

 Vorbemerkungen

25      Eingangs ist zu erwähnen, dass die verschiedenen Sprachfassungen von Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 voneinander abweichen. So verwendet die französische Fassung den Begriff „victime“, dessen semantische Auslegung auf die Person hindeutet, die unmittelbar einen Schaden erlitten hat. Die Fassung in der Verfahrenssprache Deutsch hingegen verwendet den Ausdruck „der Geschädigte“. Dieser Begriff kann aber neben der Person, die unmittelbar den Schaden erlitten hat, auch die Person bezeichnen, die ihn nur indirekt erlitten hat.

26      Hierzu ist es ständige Rechtsprechung, dass die Notwendigkeit einer einheitlichen Auslegung des Gemeinschaftsrechts es verbietet, im Fall von Zweifeln eine Bestimmung für sich allein zu betrachten, sondern vielmehr dazu zwingt, sie unter Berücksichtigung ihrer Fassungen in den anderen Amtssprachen (vgl. Urteile vom 12. Juli 1979, Koschniske, 9/79, Slg. 1979, 2717, Randnr. 6, vom 2. April 1998, EMU Tabac u. a., C‑296/95, Slg. 1998, I‑1605, Randnr. 36, und vom 9. März 2006, Zuid‑Hollandse Milieufederatie und Natuur en Milieu, C‑174/05, Slg. 2006, I‑2443, Randnr. 20) und nach dem allgemeinen Aufbau und dem Zweck der Regelung, zu der sie gehört, auszulegen (Urteil vom 27. Oktober 1977, Bouchereau, 30/77, Slg. 1977, 1999, Randnr. 14).

27      Im vorliegenden Fall ist zum einen festzuhalten, dass neben der deutschen auch andere Fassungen von Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 den Ausdruck „der Geschädigte“ verwenden. Das gilt für die spanische („persona perjudicada“), die tschechische („poškozený“), die dänische („skadelidte“), die estnische („kahju kannatanud pool“), die italienische („persona lesa“), die polnische („poszkodowany“), die slowakische („poškodený“) und die schwedische („skadelidande“) Fassung. Zum anderen hat der Gerichtshof im oben in Randnr. 26 angeführten Urteil FBTO Schadeverzekeringen entschieden, dass die Funktion der Verweisung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 darin besteht, der in Art. 9 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung enthaltenen Liste von Klägern die Personen hinzuzufügen, die einen Schaden erlitten haben, ohne den Kreis der Personen auf jene einzuschränken, die ihn unmittelbar zu beklagen haben.

28      Daraus folgt, dass Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 so auszulegen ist, dass er den Geschädigten meint.

 Zur Beantwortung der Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

29      Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Verweisung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auf deren Art. 9 Abs. 1 Buchst. b dahin auszulegen ist, dass ein Sozialversicherungsträger als Legalzessionar der Ansprüche des bei einem Autounfall unmittelbar Geschädigten vor den Gerichten des Mitgliedstaats seiner Niederlassung eine Klage unmittelbar gegen den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Versicherer des mutmaßlichen Unfallverursachers erheben kann.

30      Der Gerichtshof hat bereits festgestellt, dass die Verweisung in Art. 11 Abs. 2 auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass der Geschädigte vor dem Gericht des Ortes in einem Mitgliedstaat, an dem er seinen Wohnsitz hat, eine Klage unmittelbar gegen den Versicherer erheben kann, sofern eine solche unmittelbare Klage zulässig ist und der Versicherer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässig ist (Urteil FBTO Schadeverzekeringen, Randnr. 31).

31      Was die Haftpflichtversicherung für Autounfälle betrifft, so geht aus Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 72/166 und aus Art. 3 der Richtlinie 2000/26, ausgelegt im Licht des geänderten 16. Erwägungsgrundes der letztgenannten Richtlinie hervor, dass der Geschädigte das Recht hat, das Versicherungsunternehmen des mutmaßlichen Unfallverursachers vor den Gerichten seines Wohnsitzstaats zu verklagen.

32      Es ist also zu untersuchen, ob dieses Recht auch einem Sozialversicherungsträger als Legalzessionar der Ansprüche eines Autounfallopfers zusteht.

33      Hierzu macht die VGKK geltend, dass sie einen Schaden erlitten habe, indem sie für ihre Versicherte Leistungen erbracht habe. Sie ist folglich der Meinung, dass sie nach autonomer Auslegung dieses Begriffs als Geschädigte anzusehen sei. Außerdem sei sie als Legalzessionarin der Ansprüche ihrer Versicherten nach österreichischem Recht nicht nur in deren materielle Rechte eingetreten, sondern auch in ihre prozessualen Rechte, darunter auch in die von den Art. 9 Abs. 1 Buchst. b und 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehenen. Wäre dem nicht so, d. h., würde innerhalb der Legalzession weiter unterschieden, hätte dieses Rechtsinstitut seinen Zweck eingebüßt.

34      Die spanische Regierung hebt insbesondere hervor, dass im Falle des Todes des unmittelbar Geschädigten die Erben, d. h. die Legalzessionare seiner Ansprüche, vor ihrem Wohnsitzgericht gegen den Versicherer des mutmaßlichen Unfallverursachers ein Schadenersatzverfahren anstrengen können müssten, ebenso wie ihr Rechtsvorgänger zu Lebzeiten.

35      Zur Gewährleistung einer vollen Wirksamkeit und autonomen Auslegung der Verordnung Nr. 44/2001 ist grundsätzlich auf ihre Systematik und ihre Zielsetzungen Bedacht zu nehmen (Urteile vom 14. Juli 1983, Gerling Konzern Speziale Kreditversicherung u. a., 201/82, Slg. 1983, 2503, Randnr. 11, vom 20. März 1997, Farrell, C‑295/95, Slg. 1997, I‑1683, Randnrn. 12 und 13, vom 3. Juli 1997, Benincasa, C‑269/95, Slg. 1997, I‑3767, Randnr. 12, sowie vom 15. Januar 2004, Blijdenstein, C‑433/01, Slg. 2004, I‑981, Randnr. 24). Folglich kann die Behandlung von besonderen Rechtsinstituten wie etwa der Legalzession, die das österreichische Recht und die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten vorsehen, keinen Einfluss auf die Auslegung der Bestimmungen dieser Verordnung haben. Andernfalls würde das notwendigerweise dazu führen, dass die Auslegung der Verordnung Nr. 44/2001 vom innerstaatlichen Recht der Mitgliedstaaten abhängig gemacht und ihre einheitliche Anwendung in der Gemeinschaft beeinträchtigt würde.

36      Hierzu sieht der elfte Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 vor, dass die Zuständigkeitsvorschriften in hohem Maße vorhersehbar sein müssen und sich grundsätzlich nach dem Wohnsitz des Beklagten richten und dass diese Zuständigkeit stets gegeben sein muss, außer in einigen genau festgelegten Fällen, in denen aufgrund des Streitgegenstands oder der Vertragsfreiheit der Parteien ein anderes Anknüpfungskriterium gerechtfertigt ist.

37      Somit stellt die Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat – unabhängig von seiner Staatsangehörigkeit –, in der Systematik dieser Verordnung den in ihrem Art. 2 Abs. 1 verankerten allgemeinen Grundsatz dar (Urteile vom 19. Januar 1993, Shearson Lehman Hutton, C‑89/91, Slg. 1993, I‑139, Randnr. 14, vom 5. Februar 2004, Frahuil, C‑265/02, Slg. 2004, I‑1543, Randnr. 23, vom 13. Juli 2006, Reisch Montage, C‑103/05, Slg. 2006, I‑6827, Randnr. 22, und vom 11. Oktober 2007, Freeport, C‑98/06, Slg. 2007, I‑8319, Randnr. 34).

38      Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung weicht von diesem allgemeinen Grundsatz ab. Er sieht nämlich vor, dass Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats verklagt werden können, dies aber nur gemäß den Vorschriften der Abschnitte 2 bis 7 des Kapitels II der Verordnung Nr. 44/2001 (oben angeführte Urteile Reisch Montage, Randnr. 22, und Freeport, Randnr. 34).

39      Folglich können diese vom allgemeinen Grundsatz abweichenden Zuständigkeitsregeln nicht zu einer über die in der Verordnung Nr. 44/2001 explizit vorgesehenen Fälle hinausgehenden Auslegung führen (vgl. u. a. Urteile vom 21. Juni 1978, Bertrand, 150/77, Slg. 1978, 1431, Randnr. 17, vom 17. Juni 1992, Handte, C‑26/91, Slg. 1992, I‑3967, Randnr. 14, Shearson Lehman Hutton, Randnr. 16, vom 13. Juli 2000, Group Josi, C‑412/98, Slg. 2000, I‑5925, Randnr. 49, und Freeport, Randnr. 35).

40      Abschnitt 3 des Kapitels II dieser Verordnung errichtet ein eigenständiges System der Verteilung gerichtlicher Zuständigkeiten in Versicherungssachen (Urteil vom 12. Mai 2005, Société financière et industrielle du Peloux, C‑112/03, Slg. 2005, I‑3707, Randnr. 29). Der Zweck dieses Abschnitts besteht laut dem 13. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 darin, die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften zu schützen, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.

41      Aus dem Schutzzweck dieser Vorschriften ergibt sich, dass die von der Verordnung Nr. 44/2001 insoweit vorgesehenen besonderen Zuständigkeitsregeln nicht auf Personen ausgedehnt werden dürfen, die dieses Schutzes nicht bedürfen.

42      Es ist aber nicht vorgebracht worden, dass ein Sozialversicherungsträger wie die VGKK als Partei wirtschaftlich schwächer und rechtlich weniger erfahren sei als ein Haftpflichtversicherer wie etwa WGV-SAV. Allgemein hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass ein besonderer Schutz im Rahmen der Beziehungen zwischen gewerblich Tätigen des Versicherungssektors, von denen keiner als der gegenüber dem anderen Schwächere angesehen werden kann, nicht gerechtfertigt ist (Urteil vom 26. Mai 2005, GIE Réunion européenne u. a., C‑77/04, Slg. 2005, I‑4509, Randnr. 20).

43      Folglich kann sich ein Sozialversicherungsträger als Legalzessionar der Ansprüche des unmittelbar bei einem Autounfall Geschädigten nicht auf Art. 9 Abs. 1 Buchst. b in Verbindung mit Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 stützen, um vor den Gerichten des Mitgliedstaats seiner Niederlassung gegen den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Versicherer des mutmaßlichen Unfallverursachers unmittelbar Klage zu erheben.

44      Ein Legalzessionar der Ansprüche des unmittelbar Geschädigten hingegen, der selbst als schwächere Partei angesehen werden kann, müsste in den Genuss der in diesen Bestimmungen festgelegten besonderen Zuständigkeitsregeln kommen können. Dies wäre – wie von der spanischen Regierung vorgetragen – insbesondere bei den Erben eines Verkehrsunfallopfers der Fall.

45      Im Übrigen wird das in Randnr. 43 des vorliegenden Urteils erreichte Ergebnis durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Sonderregeln bei Verbraucherverträgen untermauert, wie sie Abschnitt 4 des Kapitels II der Verordnung Nr. 44/2001 vorsieht, dessen Zweck ebenfalls im Schutz der schwächeren Partei besteht. Der Gerichtshof hat nämlich festgestellt, dass einem Legalzessionar, der in Ausübung seiner beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit die aus einem Verbrauchervertrag stammende Forderung des Zedenten einklagt, nicht die besonderen Zuständigkeitsregeln bei Verbraucherverträgen zugutekommen, da diese den Schutz der wirtschaftlich schwächeren und rechtlich weniger erfahrenen Partei bezwecken (Urteil Shearson Lehman Hutton, Randnrn. 20 bis 24).

46      Eine zusätzliche Bestätigung für das Ergebnis in Randnr. 43 des vorliegenden Urteils folgt aus dem oben genannten Urteil Blijdenstein. In Randnr. 34 dieses Urteils hat der Gerichtshof Art. 5 Nr. 2 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) (in der durch das Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland [ABl. L 304, S. 1 und – geänderter Text – S. 77], das Übereinkommen vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Republik Griechenland [ABl. L 388, S. 1] und das Übereinkommen vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Republik Portugal [ABl. L 285, S. 1] geänderten Fassung) dahin ausgelegt, dass er es einer öffentlichen Einrichtung nicht ermöglicht, vor den Gerichten des Übereinkommensstaats ihrer Niederlassung eine Regressklage zur Rückzahlung von Beträgen, die sie nach öffentlichem Recht einem Unterhaltsberechtigten gezahlt hat, dessen Ansprüche auf sie übergegangen sind, gegen den Unterhaltsverpflichteten mit Wohnsitz in einem anderen Übereinkommensstaat einzubringen, sofern diese Einrichtung im Verhältnis zu dem erwähnten Unterhaltspflichtigen nicht die schwächere Partei ist.

47      Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass die Verweisung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 44/2001 auf deren Art. 9 Abs. 1 Buchst. b dahin auszulegen ist, dass ein Sozialversicherungsträger als Legalzessionar der Ansprüche des bei einem Autounfall unmittelbar Geschädigten vor den Gerichten des Mitgliedstaats seiner Niederlassung nicht eine Klage unmittelbar gegen den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Versicherer des mutmaßlichen Unfallverursachers erheben kann.

 Zur zweiten Frage

48      In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage ist die zweite Frage des vorlegenden Gerichts nicht zu prüfen.

 Kosten

49      Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

Die Verweisung in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen auf deren Art. 9 Abs. 1 Buchst. b ist dahin auszulegen, dass ein Sozialversicherungsträger als Legalzessionar der Ansprüche des bei einem Autounfall unmittelbar Geschädigten vor den Gerichten des Mitgliedstaats seiner Niederlassung nicht eine Klage unmittelbar gegen den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen Versicherer des mutmaßlichen Unfallverursachers erheben kann.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.