URTEIL DES GERICHTS (Fünfte erweiterte Kammer)
30. April 1998 (1)
„Nichtigkeitsklage Luftverkehr Staatliche Beihilfe Zinsloses Darlehen
Höhe der Beihilfe Prinzip des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalanlegers
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Offensichtlicher Beurteilungsfehler
Begründung Erfordernis einer Anhörung des Beschwerdeführers durch die
Kommission“
In der Rechtssache T-16/96
Cityflyer Express Ltd, Gesellschaft englischen Rechts mit Sitz in Gatwick Airport
(Vereinigtes Königreich), Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Charles Price,
Brüssel, Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwältin Lucy Dupong, 14 A, rue
des Bains, Luxemburg,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Peter Oliver und
Anders Jessen, beide Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre
Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 95/466/EG der Kommission vom 26. Juli
1995 über eine Beihilfe der Flämischen Region zugunsten des belgischen
Luftverkehrsunternehmens Vlaamse Luchttransportmaatschappij NV (ABl. L 267,
S. 49)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten R. García-Valdecasas sowie der Richterin V. Tiili
und der Richter J. Azizi, R. M. Moura Ramos und M. Jaeger,
Kanzler: A. Mair, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und der mündlichen Verhandlung vom 25.
September 1997,
folgendes
Urteil
Rechtlicher Rahmen
- 1.
- Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
(im folgenden: Vertrag) lautet:
„Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder
aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die
Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb
verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar,
soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“
- 2.
- Gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages kann die Kommission
„Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder
Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise
verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft“, ausnahmsweise für
vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklären.
- 3.
- Die Kommission legte die für die Gewährung staatlicher Beihilfen an
Luftverkehrsunternehmen geltenden Regeln in ihrer Mitteilung 94/C 350/07 mit
dem Titel „Anwendung der Artikel 92 und 93 des EG-Vertrags sowie des Artikels
61 des [Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum] auf staatliche
Beihilfen im Luftverkehr“ (ABl. 1994, C 350, S. 5; im folgenden: Leitlinien) fest.
- 4.
- In Kapitel IV dieser Leitlinien, das der Unterscheidung zwischen der Rolle des
Staates als Eigentümer eines Unternehmens und als Geber staatlicher Beihilfen
zugunsten dieses Unternehmens gewidmet ist, wird zur Darlehensfinanzierung
folgendes ausgeführt:
„Die Kommission wird das Prinzip des marktwirtschaftlich handelnden
Kapitalanlegers auch dazu verwenden, um zu beurteilen, ob ein Darlehen zu den
banküblichen Bedingungen gewährt worden ist und ob eine Geschäftsbank ein
solches Darlehen gewährt hätte. Im Zusammenhang mit den Bedingungen für die
Vergabe solcher Darlehen wird die Kommission insbesondere den Zinssatz und die
verlangte Sicherheitsleistung berücksichtigen. Hierbei wird die Kommission prüfen,
ob die gestellte Sicherheit ausreicht, um bei Zahlungsverzug das Darlehen in voller
Höhe zurückzuzahlen; sie wird außerdem die finanzielle Lage des Unternehmens
zum Zeitpunkt der Darlehensgewährung untersuchen.
Das Beihilfeelement entspricht dem Unterschiedsbetrag zwischen dem von der
Fluggesellschaft unter normalen Marktbedingungen zu zahlenden Zinssatz und dem
tatsächlich gezahlten Satz. Im Extremfall, das heißt im Fall der Gewährung eines
unverbürgten Darlehens an ein Unternehmen, dem unter normalen Umständen
keine Mittel bereitgestellt würden, entspricht das Darlehen einem Zuschuß und
würde von der Kommission auch als solcher eingestuft werden“ (Nr. 32 der
Leitlinien).
Sachverhalt
- 5.
- Die Vlaamse Luchttransportmaatschappij NV (VLM) ist ein privates
Luftverkehrsunternehmen mit Sitz in Antwerpen (Belgien). Sie wurde am 21.
Februar 1992 mit einem Grundkapital von 10 Millionen BFR gegründet. Das
Kapital wurde anschließend mehrmals erhöht und belief sich Ende 1993 auf 75
Millionen BFR; im Lauf des Jahres 1994 wurde es auf 100 Millionen BFR
aufgestockt. Seit 1993 bietet VLM u. a. zwischen Antwerpen und London (London
City Airport) und zwischen Rotterdam und London (London City Airport)
Linienflüge an.
- 6.
- Die Strecke AntwerpenLondon wird (mit dem Flughafen Gatwick als An- und
Abflugort) auch von Cityflyer Express Ltd (im folgenden: Cityflyer oder Klägerin)
und (mit dem Flughafen Heathrow als An- und Abflugort) von Sabena bedient.
- 7.
- Ende 1993 lag die monatliche Gesamtkapazität auf dieser Strecke bei etwa 22 000
bis 24 000 Passagieren, während die Gesamtzahl der beförderten Passagiere
zwischen 9 000 und 10 000 pro Monat betrug.
- 8.
- Am 17. Dezember 1993 erhielt VLM von der Flämischen Region ohne vorherige
Unterrichtung der Kommission ein zinsloses Darlehen von 20 Millionen BFR, das
ab dem zweiten Jahr in Höhe von jährlich 4 Millionen BFR zurückzuzahlen war.
- 9.
- Im Darlehensvertrag heißt es:
„Artikel 1: Voorwerp
De begunstigde verbindt zich tot de verdere uitbouw en exploitatie van meerdere
Europese vliegroutes.
Ter ondersteuning van deze activiteit verleent het Gewest de begunstigde een
terugbetaalbaar renteloos voorschot.
...
Artikel 3: Voorwaarden
Voor de duur van het contract is voor de vervreemding of hypothekering van
onroerend en roerend patrimonium en het handelsfonds van de zaak alsook voor
de vervreemding van bepaalde activa van de begunstigde vooraf instemming nodig
van het Gewest.
Bij wijziging van de aandeelhoudersstructuur is vooraf de instemming van het
Gewest vereist.
Het kapitaal van de onderneming mag tijdens de duur van het contract niet worden
verlaagd zonder voorafgaande toestemming van het Gewest.
Indien deze voorwaarden niet worden nageleefd, is de overeenkomst onmiddellijk
opzegbaar en wordt het voorschot onmiddellijk opeisbaar.“
(„Artikel 1: Gegenstand
Die Begünstigte verpflichtet sich zum weiteren Ausbau und Betrieb mehrerer
europäischer Flugstrecken.
Zur Unterstützung dieser Tätigkeit gewährt die Region der Begünstigten ein
rückzahlbares zinsloses Darlehen.
...
Artikel 3: Voraussetzungen
Während der Laufzeit des Vertrages bedürfen die Veräußerung oder die
hypothekarische Belastung von unbeweglichem und beweglichem Vermögen und
des Firmenwerts sowie die Veräußerung bestimmter Aktiva der Begünstigten einer
vorherigen Zustimmung durch die Region.
Bei einer Änderung der Struktur der Anteilseigner muß vorab die Zustimmung der
Region eingeholt werden.
Das Kapital des Unternehmens darf während der Laufzeit des Vertrages nicht
ohne vorherige Zustimmung der Region herabgesetzt werden.
Werden diese Voraussetzungen nicht eingehalten, so ist die Vereinbarung sofort
kündbar, und das Darlehen kann sofort zurückgefordert werden.“)
- 10.
- Im Anschluß an eine Beschwerde von Cityflyer eröffnete die Kommission am 16.
November 1994 das Verfahren gemäß Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages (ABl.
1994, C 359, S. 2).
- 11.
- Die Klägerin und das Luftverkehrsunternehmen British Airways gaben
Stellungnahmen ab. Sie ersuchten die Kommission um die Feststellung, daß das
zinslose Darlehen eine mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe
darstelle.
- 12.
- Am 23. Januar 1995 nahm auch die belgische Regierung Stellung.
- 13.
- Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission am 26. Juli 1995 die Entscheidung
95/466/EG über eine Beihilfe der Flämischen Region zugunsten des belgischen
Unternehmens Vlaamse Luchttransportmaatschappij NV (im folgenden:
angefochtene Entscheidung). Sie wurde der belgischen Regierung am 25.
September 1995 mitgeteilt und am 9. November 1995 im Amtsblatt veröffentlicht
(ABl. L 267, S. 49).
- 14.
- In dieser Entscheidung kam die Kommission zu dem Ergebnis, daß das Darlehen
der Flämischen Region an VLM rechtswidrige staatliche Beihilfeelemente enthalte,
da es dem Unternehmen unter Verstoß gegen Artikel 93 Absatz 3 des Vertrages
gewährt worden sei. In Artikel 1 der Entscheidung fügte sie hinzu, diese
Beihilfeelemente seien nach Artikel 92 des Vertrages und Artikel 61 des
Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (im folgenden:
EWR-Abkommen) mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar. Belgien wurde
daher aufgegeben, die Verzinsung dieses Darlehens zum Satz von 9,3 % (Artikel
2) und die Rückzahlung der Beihilfe in Höhe der bei diesem Zinssatz seit ihrer
Gewährung angefallenen Zinsen anzuordnen (Artikel 3). Der Satz von 9,3 % ergibt
sich aus einem Basiszinssatz von 7,3 %, der 1994 in Belgien für staatliche
Obligationen galt, zuzüglich einer Risikoprämie von 2 % (letzter Absatz von
Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung).
- 15.
- Im sechsten Absatz von Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung führte die
Beklagte u. a. folgendes aus: „Im übrigen besteht kein Zweifel daran, daß eine
Beihilfe vorliegt, da private Kapitalgeber oder Banken unter normalen
Marktbedingungen kein zinsloses Darlehen an ein Unternehmen vergeben würden,
an dem sie keine Anteile halten und das bereits knapp zwei Jahre nach seiner
Gründung finanzielle Schwierigkeiten hat. Aus den Bilanzen und der Gewinn- und
Verlustrechnung von VLM geht hervor, daß das Unternehmen im Jahr 1993 dem
ersten tatsächlichen Betriebsjahr Betriebsverluste von 13 Millionen bfrs erlitten
hat. Die Nettoverluste beliefen sich im selben Jahr auf 11,52 Millionen bfrs, was
15 % des Gesellschaftskapitals entspricht.“
- 16.
- Der siebente Absatz von Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung lautet wie
folgt: „Hinsichtlich der Höhe der Beihilfe vertritt die Kommission in ihrer
Mitteilung .Anwendung der Artikel 92 und 93 des EG-Vertrags sowie des Artikels
61 des EWR-Abkommens auf staatliche Beihilfen im Luftverkehr' die Auffassung,
daß .das Beihilfeelement dem Unterschiedsbetrag zwischen dem von der
Fluggesellschaft unter normalen Marktbedingungen zu zahlenden Zinssatz und dem
tatsächlich gezahlten Satz [entspricht]. Im Extremfall, das heißt im Fall der
Gewährung eines unverbürgten Darlehens an ein Unternehmen, dem unter
normalen Umständen keine Mittel bereitgestellt würden, entspricht das Darlehen
einem Zuschuß und würde von der Kommission auch als solcher eingestuft
werden.' Im vorliegenden Fall ist die Tatsache, daß VLM im ersten Geschäftsjahr
relativ geringe Verluste verzeichnet hat, aufgrund der Besonderheiten des
Luftverkehrssektors nicht ungewöhnlich und stellte Anfang 1994 kein Hindernis für
den Zugang zum Kapitalmarkt dar, zumal 1993 ein besonders schwieriges Jahr für
den Luftverkehr war und 1994 eine allgemeine Konjunkturverbesserung erwarten
ließ. Tatsächlich sanken die Verluste von VLM 1994 auf 8,6 Millionen bfrs,
während das Unternehmen sein Geschäft weiter ausbaute. Der Darlehensgeber
verfügt über eine gewisse Garantie für die Rückzahlung seiner Forderung, da die
Flämische Region im Gegenzug zu dem Darlehen die Unternehmensführung
insofern beeinflussen kann, als vor der Veräußerung oder hypothekarischen
Belastung bestimmter Güter sowie vor einer Herabsetzung des Gesellschaftskapitals
oder einer Änderung der Anteilsverhältnisse ihre Zustimmung eingeholt werden
muß. Ende 1993 verfügte VLM über materielle Anlagegüter im Wert von 7,3
Millionen bfrs und finanzielle Aktiva im Wert von 16 Millionen bfrs. Im übrigen
wurde das Gesellschaftskapital 1994 nochmals um 25 Millionen bfrs erhöht und
beläuft sich damit derzeit auf 100 Millionen bfrs. Gemäß den §§ 6 und 7 des
Darlehensvertrags kann dieser, wenn VLM die vertraglichen Bedingungen nicht
einhält, gekündigt werden und ist VLM während der Vertragsdauer der Aufsicht
des Wirtschaftsministeriums der Flämischen Region sowie des Flämischen
Ausschusses für die Unternehmensführungsaufsicht unterstellt. Aus diesen Gründen
entspricht die Beihilfe nach Ansicht der Kommission den Zinsen, die das
Unternehmen unter marktüblichen Bedingungen hätte zahlen müssen.“
- 17.
- Im folgenden Absatz kommt die Beklagte zu dem Ergebnis, daß VLM angesichts
dieser vertraglichen Regelungen den ihr zur Verfügung gestellten Betrag unter
marktüblichen Bedingungen zum Zinssatz von 9,3 % als Darlehen hätte erhalten
können.
Verfahren und Anträge
- 18.
- Die Klägerin hat ihre Klageschrift am 1. Februar 1996 bei der Kanzlei des Gerichts
eingereicht.
- 19.
- Am 15. Juli 1996 hat VLM einen Streithilfeantrag gestellt, den sie am 29. Oktober
1996 wieder zurückgenommen hat.
- 20.
- Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Fünfte erweiterte Kammer) die
mündliche Verhandlung eröffnet. Die Parteien haben in der Sitzung vom 25.
September 1997 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts
beantwortet.
- 21.
- Die Klägerin beantragt,
die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;
der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 22.
- In ihrer Erwiderung und in der Verhandlung hat die Klägerin das Gericht ferner
ersucht, die Vorlage bestimmter Schriftstücke anzuordnen (siehe unten, Randnrn.
98 bis 100).
- 23.
- Die Beklagte beantragt,
die Klage für unzulässig zu erklären;
hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen;
der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 24.
- In ihrer Gegenerwiderung beantragt die Beklagte ferner, einige Ausführungen der
Klägerin in der Erwiderung für unzulässig zu erklären (siehe unten, Randnrn. 36
bis 38).
Zur Zulässigkeit
Zur Zulässigkeit der Klage
Vorbringen der Parteien
- 25.
- Die Beklagte erhebt in ihrer Klagebeantwortung eine Einrede der Unzulässigkeit,
die sie auf das fehlende Interesse der Klägerin an der Nichtigerklärung der
angefochtenen Entscheidung stützt.
- 26.
- Die Nichtigerklärung werde insofern begehrt, als ein Betrag in Höhe der Zinsen,
die VLM unter normalen Marktbedingungen gezahlt hätte, als mit dem
Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des
Vertrages angesehen worden sei, während nach Ansicht der Klägerin der
Darlehensbetrag (im folgenden: Hauptschuld) eine solche Beihilfe dargestellt habe.
Eine solche Nichtigerklärung, gefolgt von einer neuen Entscheidung, in der VLM
aufgegeben werde, das gesamte Darlehen zurückzuzahlen, würde aber zu einer
finanziellen Besserstellung von VLM führen. Für die Zeit vor der Zustellung der
angefochtenen Entscheidung hätte VLM nämlich den Bezugssatz für Belgien zahlen
müssen (Mitteilung der Kommission über regionale Beihilferegelungen, ABl. 1979,
C 31, S. 9, Punkt 14 des Anhangs); dieser Satz (8,34 %) sei niedriger als der in der
Entscheidung angewandte Satz (9,3 %). Außerdem könnte VLM aufgrund des
mittlerweile eingetretenen Rückgangs der Zinssätze zu einem günstigeren als dem
in der angefochtenen Entscheidung festgelegten Satz ein Darlehen aufnehmen. Der
maßgebliche Zeitpunkt für die Festlegung dieses Satzes sei der des Erlasses der
angefochtenen Entscheidung. Stelle man jedoch auf den Zeitpunkt ab, zu dem die
Kommission nach einer Nichtigerklärung eine neue Entscheidung erlassen würde,
so sei das fehlende Rechtsschutzinteresse der Klägerin wegen des weiteren
Zinsrückgangs noch offenkundiger.
- 27.
- Verbessere eine Nichtigerklärung die Lage des Empfängers einer Beihilfe, so
hätten dessen Konkurrenten, auch wenn sie unmittelbar und individuell betroffen
seien, kein Rechtsschutzinteresse, so daß die Klage für unzulässig erklärt werden
müsse (Urteile des Gerichtshofes vom 14. Dezember 1962 in den Rechtssachen
5/62 bis 11/62, 13/62, 14/62 und 15/62, San Michele u. a./Hohe Behörde,
Slg. 1962, 919, vom 16. Dezember 1963 in der Rechtssache 14/63, Forges de
Clabecq/Hohe Behörde, Slg. 1963, 769, und vom 1. Juli 1976 in der Rechtssache
58/75, Sergy/Kommission, Slg. 1976, 1139, Randnr. 5; Urteil des Gerichts vom 16.
Dezember 1993 in der Rechtssache T-58/92, Moat/Kommission, Slg. 1993, II-1443,
Randnr. 32).
- 28.
- Die Klägerin hält dem entgegen, ihr Rechtsschutzinteresse ergebe sich daraus, daß
die angefochtene Entscheidung sie unmittelbar und individuell betreffe. Sie befinde
sich im vorliegenden Fall in genau der gleichen Situation wie die Klägerinnen in
der Rechtssache Cofaz u. a./Kommission (Urteil des Gerichtshofes vom 28. Januar
1986 in der Rechtssache 169/84, Slg. 1986, 391, Randnr. 25; vgl. auch Urteil des
Gerichts vom 5. Juni 1996 in der Rechtssache T-398/94, Kahn
Scheepvaart/Kommission Slg. 1996, II-477, Randnrn. 37 und 42).
- 29.
- Die Argumentation der Beklagten beruhe auf der Prämisse, daß VLM finanzielle
Mittel erhalten könne, und sie gehe nicht auf das Vorbringen der Klägerin ein, daß
VLM zum Zeitpunkt der Gewährung des streitigen Darlehens ohne Sicherheiten
keine Mittel erhalten hätte.
Würdigung durch das Gericht
- 30.
- Bei der Prüfung der Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage ist auf das
Rechtsschutzinteresse des Klägers zum Zeitpunkt der Klageerhebung abzustellen
(in diesem Sinne auch die bereits in Randnr. 27 genannten Urteile Forges de
Clabecq/Hohe Behörde, S. 799, und Moat/Kommission, Randnr. 32). Das
Rechtsschutzinteresse kann nicht anhand eines zukünftigen und hypothetischen
Ereignisses beurteilt werden (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichtshofes vom
21. Januar 1987 in der Rechtssache 204/85, Stroghili/Rechnungshof, Slg. 1987, 389,
Randnr. 11).
- 31.
- Das Vorbringen der Beklagten beruht auf den beiden Annahmen, daß die
angefochtene Entscheidung aus den von der Klägerin genannten Gründen für
nichtig erklärt wird und daß VLM von einem Kreditinstitut neue finanzielle Mittel
erhält. Ihrer Ansicht nach hat die Klägerin unter diesen Annahmen kein
Rechtsschutzinteresse, da sich die finanzielle Lage von VLM wegen des seit dem
Erlaß der angefochtenen Entscheidung eingetretenen Rückgangs der Zinssätze
verbessern würde.
- 32.
- Im vorliegenden Fall hat die Klägerin aus den von ihr angeführten Gründen ein
berechtigtes, bestehendes und gegenwärtiges Interesse an der Nichtigerklärung der
angefochtenen Entscheidung. Wenn man unterstellt, daß die Beklagte eine
Entscheidung mit dem von der Klägerin gewünschten Inhalt erlassen müßte, wäre
es eine reine Vermutung, daß VLM finanzielle Mittel zu besseren als den in der
angefochtenen Entscheidung festgelegten Konditionen erhalten könnte; dies kann
daher nicht als Kriterium für die Beurteilung der Zulässigkeit der Klage dienen.
- 33.
- Selbst wenn man ferner unterstellt, daß VLM wegen des Rückgangs der Zinssätze
nunmehr ein Darlehen zu einem niedrigeren Zinssatz als den in der angefochtenen
Entscheidung angewandten 9,3 % erhalten könnte, so besteht diese Möglichkeit
unabhängig von einer etwaigen Nichtigerklärung der Entscheidung. Es ist nämlich
höchst unwahrscheinlich, daß die Flämische Region VLM nicht gestatten würde,
das Darlehen vorzeitig zurückzuzahlen, wenn VLM von einem Kreditinstitut
bessere Konditionen erhalten könnte.
- 34.
- Da die angefochtene Entscheidung die Stellung der Klägerin im Wettbewerb
ungünstig beeinflussen kann, hat sie ein Rechtsschutzinteresse.
- 35.
- Folglich ist die gegen die Klage erhobene Einrede der Unzulässigkeit
zurückzuweisen.
Zur Zulässigkeit einiger Ausführungen in der Erwiderung
Vorbringen der Parteien
- 36.
- Die Beklagte hält ferner einige Ausführungen der Klägerin in der Erwiderung für
unzulässig. Zum einen seien sie im Verwaltungsverfahren nicht vorgebracht worden
(vgl. Urteil vom 14. September 1994 in den Rechtssachen C-278/92, C-279/92 und
C-280/92, Spanien/Kommission, Slg. 1994, I-4103, Randnr. 31). Zum anderen seien
sie entweder verspätet oder hätten nichts mit der Frage der Rechtmäßigkeit der
angefochtenen Entscheidung zu tun.
- 37.
- Die Einrede der Unzulässigkeit betreffe die Ausführungen der Klägerin zu der von
den belgischen Behörden benötigten Zeit, um auf Verlangen der Kommission eine
Kopie des streitigen Darlehensvertrags vorzulegen, und zu der von den belgischen
Behörden vorgenommenen Einstufung des Darlehens als Investition. Der erste
Punkt habe nichts mit den im Rahmen der vorliegenden Klage geltend gemachten
Angriffsmitteln zu tun. Der zweite Punkt stehe nicht im Widerspruch zur
Beurteilung des mit dem Vorgang verbundenen Beihilfeelements durch die
Kommission.
- 38.
- Die Einrede der Unzulässigkeit erstrecke sich darüber hinaus auf den Antrag auf
Feststellung, daß der erste Teilbetrag des Darlehens wie vertraglich vorgesehen
zurückgezahlt worden sei. Dieser Antrag beziehe sich auf Ereignisse nach dem
Erlaß der angefochtenen Entscheidung und habe nichts mit der Beurteilung ihrer
Gültigkeit zu tun.
Würdigung durch das Gericht
- 39.
- Zu dem Argument, die fraglichen Ausführungen seien unzulässig, weil sie im
Verwaltungsverfahren nicht vorgebracht worden seien, ist festzustellen, daß es auf
dem Gebiet der staatlichen Beihilfen keine Vorschrift gibt, nach der das Recht
einer unmittelbar und individuell betroffenen Person zur Anfechtung einer
gegenüber einem Dritten ergangenen Handlung davon abhängig wäre, daß diese
Person schon im Verwaltungsverfahren alle in der Klageschrift vorgebrachten
Rügen erhoben hat. Mangels einer derartigen Vorschrift kann die Klagebefugnis
einer solchen Person nicht allein deshalb eingeschränkt sein, weil sie sich im
Verwaltungsverfahren nicht zu einer ihr bei Einleitung des Verfahrens nach Artikel
93 Absatz 2 des Vertrages mitgeteilten und später in die angefochtene
Entscheidung aufgenommenen Beurteilung geäußert hat, obwohl sie dies hätte tun
können (Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache T-380/94,
AIUFFASS und AKT/Kommission, Slg. 1996, II-2169, Randnr. 64).
- 40.
- Das übrige Vorbringen der Beklagten ist unerheblich. Die Klägerin hat die
streitigen Ausführungen im Rahmen einer Darstellung des Sachverhalts des
Rechtsstreits gemacht, um das Gericht zu einer eingehenderen Prüfung der
Rechtssache zu veranlassen und ohne ihre Anträge zu ändern oder ein neues
Angriffsmittel geltend zu machen.
- 41.
- Unter diesen Umständen ist die Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen, die
gegen die in den obigen Randnummern 37 und 38 genannten Ausführungen der
Klägerin in der Erwiderung erhoben worden ist.
Zur Begründetheit
- 42.
- Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei Gründe, und zwar auf
einen Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages,
eine Verletzung der Begründungspflicht gemäß Artikel 190 des Vertrages
und
offensichtliche Beurteilungsfehler.
Erster Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages
Vorbringen der Parteien
- 43.
- Nach Ansicht der Klägerin hat die Beklagte dadurch gegen Artikel 92 des
Vertrages verstoßen, daß sie nur einen Betrag in Höhe der Zinsen, die VLM unter
normalen Marktbedingungen gezahlt hätte, und nicht die Darlehenssumme als mit
dem Gemeinsamen Markt unvereinbare Beihilfe eingestuft habe.
- 44.
- Der Gerichtshof habe anerkannt, daß grundsätzlich auf das übliche Verhalten eines
privaten Kapitalgebers beim gleichen Vorgang abzustellen sei (Urteile des
Gerichtshofes vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 234/84, Belgien/Kommission,
Slg. 1986, 2263, Randnr. 14, und in der Rechtssache 40/85, Slg. 1986, 2321,
Randnr. 13, vom 21. März 1990 in der Rechtssache C-142/87, Belgien/Kommission,
Slg. 1990, I-959, Randnr. 26, und vom 3. Oktober 1991 in der Rechtssache
C-261/89, Italien/Kommission, Slg. 1991, I-4437, Randnr. 8).
- 45.
- Dieser Grundsatz gelte für Kapitalbeteiligungen und Darlehen gleichermaßen
(Urteile des Gerichtshofes vom 14. November 1984 in der Rechtssache 323/82,
Intermills/Kommission, Slg. 1984, 3809, Randnr. 31, und vom 10. Juli 1986 in der
Rechtssache 40/85, Belgien/Kommission, bereits in Randnr. 44 genannt).
Andernfalls würden die Mitgliedstaaten dazu veranlaßt, Unternehmen in
rechtswidriger Weise durch Darlehen statt durch die Zufuhr von Kapital zu
finanzieren.
- 46.
- Werde ein Darlehen gewährt, so müsse nach diesem Grundsatz geprüft werden, ob
ein privater Kapitalgeber das Darlehen dem Empfänger zu den tatsächlich
vereinbarten Bedingungen gewährt hätte. Hätte er dies nicht getan, so sei die
Hauptschuld als Beihilfe anzusehen.
- 47.
- Die Beklagte habe das Kriterium des üblichen Verhaltens eines privaten
Kapitalgebers beim gleichen Vorgang falsch angewandt, als sie geprüft habe, ob das
streitige Darlehen eine staatliche Beihilfe darstelle. Statt sich zu fragen, ob ein
solcher Kapitalgeber dieses Darlehen zu den tatsächlich vereinbarten Bedingungen
gewährt hätte, habe sie geprüft, ob er es zu einem Zinssatz von 9,3 % gewährt
hätte. Aus dem Ergebnis, daß ein Kapitalgeber das streitige Darlehen zu diesem
Zinssatz gewährt hätte, habe sie fälschlich geschlossen, daß sich die Beihilfe auf dienicht gezahlten Zinsen beschränke.
- 48.
- Die Auslegung der Beklagten führe dazu, daß Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages
in rechtswidriger Weise unterschiedlich angewandt werde, je nachdem, ob die
Beihilfe in Form eines Darlehens oder einer Beteiligung am Kapital gewährt
worden sei (vgl. die Entscheidung 94/662/EG der Kommission vom 27. Juli 1994
über die Zeichnung von Air-France-Anleihen durch CDC-Participations, ABl.
L 258, S. 26).
- 49.
- Die Beklagte beantragt die Zurückweisung dieses Klagegrundes. Sie lehnt das von
der Klägerin vorgeschlagene Kriterium ab, da es die Bedeutung der durch die
Beihilfemaßnahme herbeigeführten Wettbewerbsverzerrungen außer acht lasse.
Würdigung durch das Gericht
- 50.
- Artikel 92 des Vertrages soll den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarktes vor
Verfälschungen schützen (Artikel 3 Buchstabe g des Vertrages). Das Verbot in
Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages gilt für staatliche Beihilfen, die den Wettbewerb
verfälschen oder zu verfälschen drohen, soweit sie den Handel zwischen
Mitgliedstaaten beeinträchtigen.
- 51.
- Um zu ermitteln, ob eine staatliche Maßnahme eine Beihilfe darstellt, die im Sinne
dieser Bestimmung den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht und den
Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt, ist auf das in der angefochtenen
Entscheidung genannte Kriterium abzustellen, nach dem es darauf ankommt, ob
das begünstigte Unternehmen die Möglichkeit gehabt hätte, sich die betreffenden
Geldbeträge auf dem Kapitalmarkt zu beschaffen (Urteil des Gerichtshofes vom
21. März 1990 in der Rechtssache Belgien/Kommission, bereits in Randnr. 44
genannt, Randnr. 26). Insbesondere ist zu klären, ob ein privater Kapitalgeber den
fraglichen Vorgang zu den gleichen Bedingungen abgewickelt hätte; hätte er dies
nicht getan, so ist zu prüfen, zu welchen Bedingungen er ihn hätte abwickeln
können.
- 52.
- Im vorliegenden Fall ist die Beklagte zu dem Ergebnis gekommen, daß sich VLM
zum Zeitpunkt der Gewährung des streitigen Darlehens 20 Millionen BFR auf dem
Kapitalmarkt zu einem Zinssatz von 9,3 % hätte beschaffen können (letzter Absatz
von Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung). Dieses Ergebnis läuft darauf
hinaus, daß das streitige Darlehen den Wettbewerb nicht mehr verfälscht oder zu
verfälschen droht und den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht mehr
beeinträchtigt, wenn es in dieser Höhe verzinst wird.
- 53.
- Falls dies zutrifft vgl. dazu die nachfolgend in den Randnummern 85 und 88 bis
91 im Rahmen des dritten Klagegrundes angestellten Erwägungen , fällt das
streitige Darlehen somit nicht mehr unter Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages, wenn
es in dieser Höhe verzinst wird. Die Beklagte ist folglich zu Recht davon
ausgegangen, daß nur die Differenz zwischen den Zinsen, die gezahlt worden
wären, wenn dieser Zinssatz gegolten hätte, und den tatsächlich gezahlten Zinsen
als Beihilfe im Sinne der fraglichen Bestimmung einzustufen war.
- 54.
- Die Anwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers in der oben definierten
Form ermöglicht der Kommission ferner die Ermittlung der Maßnahmen, die
gemäß Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages unter Beachtung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit zu treffen sind, um die festgestellten Wettbewerbsverzerrungen
zu beseitigen und die Lage vor der Zahlung der rechtswidrigen Beihilfe
wiederherzustellen (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 8. Juni 1995 in
der Rechtssache T-459/93, Siemens/Kommission, Slg. 1995, II-1675, Randnrn. 96
bis 102). Es kann zwar nicht grundsätzlich danach unterschieden werden, ob eine
Beihilfe als Darlehen oder als Kapitalbeteiligung gewährt wird (Urteil
Intermills/Kommission, bereits in Randnr. 45 genannt, Randnr. 31), aber die
einheitliche Anwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers in beiden Fällen
kann in Anbetracht des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gleichwohl den Erlaß
unterschiedlicher Maßnahmen erfordern, um die festgestellten
Wettbewerbsverzerrungen zu beseitigen und die Lage vor der Zahlung der
rechtswidrigen Beihilfe wiederherzustellen.
- 55.
- Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sind die zur Gewährleistung eines
gesunden Wettbewerbs im Binnenmarkt erforderlichen Maßnahmen zu treffen, die
eine harmonische und ausgewogene Entwicklung des Wirtschaftslebens innerhalb
der Gemeinschaft fördern (Artikel 2 des Vertrages). Die Auffassung der Klägerin
hätte aber einen Verstoß gegen diesen Grundsatz zur Folge.
- 56.
- Da eine als Kapital eingebrachte Summe dauerhaft bereitgestellt wird, während sie
im Fall eines Darlehens das zurückzuzahlen ist nur zeitweise zur Verfügung
steht, erfordert der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Regel für beide Fälle
den Erlaß unterschiedlicher Maßnahmen. Bei einer Kapitalbeteiligung kann die
Kommission davon ausgehen, daß die Beseitigung des eingeräumten Vorteils die
Rückerstattung des eingebrachten Kapitals voraussetzt. Besteht bei einem Darlehen
der Wettbewerbsvorteil in einem günstigen Zinssatz und nicht im Wert der zur
Verfügung gestellten Mittel selbst, so kann die Kommission dagegen verlangen, daß
anstelle der schlichten Rückzahlung der Hauptschuld ein Zinssatz angewandt wird,
der unter normalen Marktbedingungen vereinbart worden wäre, und daß die
Differenz zwischen den Zinsen, die unter solchen Bedingungen gezahlt worden
wären, und den auf der Grundlage des eingeräumten Vorzugssatzes tatsächlich
gezahlten Zinsen zurückgezahlt wird.
- 57.
- Außerdem würde die Auffassung der Klägerin darauf hinauslaufen, der in den
Leitlinien getroffenen Unterscheidung zwischen den Normalfällen, in denen die
Beihilfe mit dieser Zinsdifferenz gleichzusetzen ist, und den Ausnahmefällen, in
denen die Beihilfe der Hauptschuld entspricht, jeden Nutzen zu nehmen. Folglich
wird mit dieser Auffassung letztlich die Rechtmäßigkeit der Leitlinien in Frage
gestellt. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß sich die Kommission bei der Ausübung
ihres Ermessens durch Maßnahmen wie die fraglichen Leitlinien selbst binden
kann, sofern sie Regeln enthalten, denen sich die von diesem Organ zu verfolgende
Politik entnehmen läßt und die nicht von Normen des Vertrages abweichen (Urteil
des Gerichtshofes vom 24. März 1993 in der Rechtssache C-313/90, CIRFS
u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1125, Randnrn. 34 und 36; Urteil AIUFFASS und
AKT/Kommission, bereits in Randnr. 39 genannt, Randnr. 57; siehe auch Urteil des
Gerichts vom 5. November 1997 in der Rechtssache T-149/95, Ducros/Kommission,
Slg. 1997, II-2031, Randnr. 61). Die Klägerin hat aber nicht dargetan, daß die
Leitlinien vom Vertrag abwichen.
- 58.
- Folglich ist der Klagegrund zurückzuweisen.
Zweiter Klagegrund: Verletzung der Begründungspflicht gemäß Artikel 190 des
Vertrages
Vorbringen der Parteien
- 59.
- Die Klägerin führt aus, die Begründung der angefochtenen Entscheidung sei
widersprüchlich, unklar und mehrdeutig, beruhe auf Fehlern und gehe nicht
ausreichend auf die von ihr im Verwaltungsverfahren vorgebrachten Argumente
ein.
- 60.
- Außerdem habe es die Beklagte versäumt, ihr Gelegenheit zu geben, sich zu den
von den belgischen Behörden zur Widerlegung ihres Vorbringens gemachten
Angaben zu äußern. Die Beklagte habe ihre Pflicht zur Anhörung des
Beschwerdeführers verletzt, so daß die Begründung nicht den vom Gericht im
Urteil vom 28. September 1995 in der Rechtssache T-95/94 (Sytraval und Brink's
France/Kommission, Slg. 1995, II-2651) aufgestellten Kriterien entspreche.
- 61.
- Die Anforderungen an die Begründung seien höher, wenn der Beschwerdeführer
wie im vorliegenden Fall nicht der Adressat von Entscheidungen sei, die im
Rahmen von Verfahren wegen staatlicher Beihilfen getroffen würden.
- 62.
- Schließlich könne der Gemeinschaftsrichter seine Kontrolle nicht nur im Interesse
des Klägers ausüben, sondern auch im Interesse der Gemeinschaft. Diese sei aber
daran interessiert, daß die Kommission ihre Entscheidungen über staatliche
Beihilfen nicht auf falsche Daten stütze und keine Beurteilungsfehler begehe. Die
Pflicht, den Beschwerdeführer unter bestimmten Umständen zu konsultieren, solle
gerade diese Gefahr verringern.
- 63.
- Die Beklagte beantragt, den Klagegrund zurückzuweisen. Die angefochtene
Entscheidung entspreche den Anforderungen von Artikel 190 des Vertrages, und
das Verfahren gemäß Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages verpflichte die
Kommission nicht dazu, mit Drittbetroffenen die von den nationalen Behörden
gelieferten Informationen zu erörtern oder ihnen Kopien der im Lauf der
Untersuchung gesammelten Unterlagen zu überlassen.
Würdigung durch das Gericht
- 64.
- Nach ständiger Rechtsprechung muß die gemäß Artikel 190 des Vertrages
erforderliche Begründung die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den
angefochtenen Rechtsakt erlassen hat, so klar und unzweideutig wiedergeben, daß
es den Betroffenen möglich ist, zur Wahrnehmung ihrer Rechte die tragenden
Gründe für die Maßnahme zu erfahren, und daß der Gemeinschaftsrichter seine
Kontrolle ausüben kann (Urteile des Gerichts vom 18. September 1995 in der
Rechtssache T-471/93, Tiercé Ladbroke/Kommission, Slg. 1995, II-2537, Randnr.
29, und die dort genannte Rechtsprechung, und vom 24. April 1996 in den
Rechtssachen T-551/93, T-231/94, T-232/94, T-233/94 und T-234/94, Industrias
Pesqueras Campos u. a./Kommission, Slg. 1996, II-247, Randnr. 140, und die dort
genannte Rechtsprechung).
- 65.
- In der Begründung brauchen jedoch nicht alle einschlägigen tatsächlichen und
rechtlichen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung
eines Rechtsakts den Erfordernissen von Artikel 190 des Vertrages genügt, nicht
nur im Hinblick auf ihren Wortlaut zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres
Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet
(Urteile des Gerichtshofes vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-56/93,
Belgien/Kommission, Slg. 1996, I-723, Randnr. 86, und vom 15. Mai 1997 in der
Rechtssache C-278/95 P, Siemens/Kommission, Slg. 1997, I-2507, Randnr. 17; Urteil
des Gerichts vom 22. Oktober 1996 in der Rechtssache T-266/94,
Skibsværftsforeningen u. a./Kommission, Slg. 1996, II-1399, Randnr. 230). Die
Kommission braucht in der Begründung von Entscheidungen, die sie erläßt, um die
Anwendung der Wettbewerbsregeln sicherzustellen, nicht auf alle Argumente
einzugehen, die ihr die Betroffenen vortragen. Es reicht aus, daß sie die Tatsachen
und rechtlichen Erwägungen anführt, denen nach dem Aufbau der Entscheidung
eine wesentliche Bedeutung zukommt (Urteile des Gerichts vom 24. Januar 1992
in der Rechtssache T-44/90, La Cinq/Kommission, Slg. 1992, II-1, Randnr. 41, und
die dort genannte Rechtsprechung, und Urteil Siemens/Kommission, bereits in
Randnr. 54 genannt, Randnr. 31).
- 66.
- Wird dieser Grundsatz auf die Einstufung einer Maßnahme als Beihilfe angewandt,
so müssen die Gründe angegeben werden, aus denen die fragliche
Beihilfemaßnahme nach Ansicht der Kommission unter Artikel 92 Absatz 1 des
Vertrages fällt.
- 67.
- Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob die Begründung der angefochtenen
Entscheidung die Erwägungen der Beklagten, nach denen nur die Differenz
zwischen den Zinsen, die VLM unter normalen Marktbedingungen gezahlt hätte,
und den von ihr tatsächlich gezahlten Zinsen eine Beihilfemaßnahme im Sinne von
Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages darstellt, hinreichend klar wiedergibt.
- 68.
- Insoweit genügt die Begründung im sechsten, siebenten und achten Absatz von
Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung (siehe oben, Randnrn. 15, 16 und 17)
den Anforderungen von Artikel 190 des Vertrages, da sie der Klägerin das
Verständnis der Erwägungen der Beklagten und dem Gemeinschaftsrichter die
Ausübung seiner Kontrolle ermöglicht. Insbesondere gehen daraus klar die Gründe
hervor, aus denen die Beklagte der Ansicht war, daß die finanzielle Lage von VLM
und die vertraglichen Vorschriften, die der Flämischen Region bestimmte Rechte
in bezug auf die Aktiva von VLM verschafften, es dieser ermöglicht hätten, unter
normalen Marktbedingungen ein Darlehen von 20 Millionen BFR zum
marktüblichen Satz (von 9,3 %) aufzunehmen. Der Zusammenhang zwischen dieser
Feststellung und der Folgerung, daß nur die nicht gezahlten Zinsen als Beihilfe im
Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages einzustufen sind, ist ebenfalls klar
erkennbar.
- 69.
- Schließlich ist der von der Klägerin auf das Urteil Sytraval und Brink's
France/Kommission (bereits in Randnr. 60 genannt, Randnr. 78) gestützte Vorwurf
zurückzuweisen, daß die Beklagte ihre Pflicht verletzt habe, unter bestimmten
Umständen den Beschwerdeführer anzuhören. Nachdem die Beklagte im
vorliegenden Fall die Stellungnahmen der Betroffenen einschließlich der Klägerin
eingeholt hatte, war sie in der Lage, ihre Beurteilung der Art der von der
Beschwerdeführerin als staatliche Beihilfe eingestuften Maßnahme in rechtlich
hinreichender Weise zu begründen.
- 70.
- Die Auffassungen der Klägerin und des belgischen Staates gingen hauptsächlich bei
der Anwendung des Kriteriums des marktwirtschaftlich handelnden Kapitalanlegers
und bei der Beurteilung des Verhaltens eines solchen Anlegers im Hinblick auf denfraglichen Vorgang auseinander, nicht aber in tatsächlichen Fragen (vgl. Abschnitte
II und III der angefochtenen Entscheidung). Auch wenn man unterstellt, daß die
Pflicht zur Anhörung des Beschwerdeführers unter bestimmten Umständen zur
Folge hat, daß ihm die Stellungnahme des Mitgliedstaats, an den sich die
Entscheidung richtet, mitgeteilt werden muß worüber nicht entschieden zu
werden braucht , konnte die Beklagte ihre Einordnung der Maßnahme unter
Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages daher ohne eine solche Mitteilung begründen.
- 71.
- Demnach ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen.
Dritter Klagegrund: offensichtliche Beurteilungsfehler
- 72.
- Die Klägerin wirft der Beklagten vor, dadurch offensichtliche Beurteilungsfehler
begangen zu haben, daß sie die Hauptschuld nicht als Beihilfe im Sinne von Artikel
92 Absatz 1 des Vertrages eingestuft habe. Diese Fehler bezögen sich auf vier
Gesichtspunkte: die finanzielle Lage von VLM, die Bewertung von Garantien oder
Sicherheiten, die Zinslosigkeit des Darlehens und den ungewöhnlichen Charakter
des Darlehens. Da eine ernstliche Gefahr bestanden habe, daß das streitige
Darlehen nicht zurückgezahlt werde, da es keine Sicherheiten gegeben habe und
da das Darlehen ungewöhnlich und zinslos gewesen sei, hätte es als schlichter
Zuschuß eingestuft werden müssen.
Die finanzielle Lage von VLM
Vorbringen der Parteien
- 73.
- Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe ihre Behauptung, daß die Verluste
von VLM relativ gering gewesen seien und kein Hindernis für den Zugang zum
Kapitalmarkt dargestellt hätten, nicht untermauert. Als die Beklagte die
angefochtene Entscheidung erlassen habe, hätte sie in Erfahrung bringen können,
daß die Verluste von VLM 1994 nicht auf 8,6 Millionen BFR gesunken seien
(siebenter Absatz von Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung), sondern fast
das Dreifache betragen hätten. Aus den Jahresbilanzen von VLM gehe hervor, daß
sie 1992, in ihrem ersten Geschäftsjahr, einen kleinen Gewinn von 340 541 BFR
erzielt habe, gefolgt von einem Verlust von 11 523 927 BFR im Jahr 1993 und
einem weiteren Verlust von 27 538 000 BFR im Jahr 1994, so daß der
Gesamtverlust 39 021 000 BFR, also fast 40 % des Kapitals, betragen habe. Ende
1993 hätten sich die Verluste auf 11 483 000 BFR belaufen, was etwa 15 % des
Kapitals entspreche. Ende 1994 habe das Verhältnis zwischen den Schulden und
dem Eigenkapital von VLM bei etwa 144 % gelegen. Schließlich zeige das Fehlen
langfristiger Verbindlichkeiten, daß sich VLM keine privatwirtschaftliche
Finanzierung habe beschaffen können.
- 74.
- Die Klägerin wirft der Beklagten ferner vor, die geschäftliche Lage von VLM zum
Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung außer acht gelassen zu
haben. Ihre Lage habe sich verschlechtert, da sich der Gesamtverlust zum 31.
Dezember 1995 auf 86 192 000 BFR oder 57 % des Kapitals belaufen habe und
der Umsatz zurückgegangen sei.
- 75.
- Die Beklagte beantragt, diese Rüge zurückzuweisen, da die Verluste von VLM und
die allgemeinen Branchentendenzen für 1994 dergestalt gewesen seien, daß VLM
zum Zeitpunkt der Gewährung des streitigen Darlehens auf den Finanzmärkten ein
vergleichbares Darlehen hätte erhalten können.
Würdigung durch das Gericht
- 76.
- Soweit die Klägerin geltend macht, daß die Verluste von VLM im Jahr 1994 das
Dreifache der im siebenten Absatz von Abschnitt V der angefochtenen
Entscheidung genannten 8,6 Millionen BFR betragen hätten, ist darauf
hinzuweisen, daß die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung danach zu
beurteilen ist, wie sich ein privater Kapitalgeber unter normalen Marktbedingungen
zum Zeitpunkt der Gewährung des streitigen Darlehens angesichts der zu diesem
Zeitpunkt verfügbaren Informationen und vorhersehbaren Entwicklungen verhalten
hätte. Die Tatsache, daß die Verluste von VLM im Jahr 1994 fast dreimal so hoch
waren wie die Schätzung in der angefochtenen Entscheidung, kann sich daher nur
dann auf deren Rechtmäßigkeit auswirken, wenn offensichtlich ist, daß ein privater
Kapitalgeber vorhergesehen hätte, daß die Verluste von VLM über dieser
Schätzung liegen würden.
- 77.
- Aus der angefochtenen Entscheidung (Ende des vierten Satzes im siebenten Absatz
von Abschnitt V) geht hervor, daß die Beklagte den Blickwinkel eines privaten
Kapitalgebers eingenommen hat, der zum Zeitpunkt der Gewährung des Darlehens
die wahrscheinliche Entwicklung im Jahr 1994 beurteilt hätte (siehe oben,
Randnr. 16).
- 78.
- Die Klägerin hat nicht nachgewiesen, daß die Beklagte bei dieser Beurteilung einen
offensichtlichen Fehler beging.
- 79.
- Die Beklagte hat auch nicht dargetan, daß der Umstand, daß die Verluste von
VLM Ende 1993 etwa 15 % ihres Gesellschaftskapitals betrugen, VLM daran
gehindert hätte, unter normalen Marktbedingungen das streitige Darlehen zu einem
Zinssatz von 9,3 % zu erhalten.
- 80.
- Schließlich hat die Klägerin nicht nachgewiesen, daß das Fehlen langfristiger
Verbindlichkeiten von VLM darauf beruhte, daß sie auf dem Markt keine
finanziellen Mittel erhalten konnte.
Fehlende Garantie oder Sicherheit
Vorbringen der Parteien
- 81.
- Die Klägerin hält es für einen offensichtlichen Beurteilungsfehler der Beklagten,
daß diese das Recht der Flämischen Region, die Zustimmung zu einer Änderung
der Struktur der Anteilseigner von VLM oder einer Veräußerung oder
hypothekarischen Belastung von Teilen ihres unbeweglichen oder beweglichen
Vermögens, ihres Firmenwerts oder ihrer Aktiva zu verweigern, als Sicherheit
angesehen habe (zweiter Absatz von Abschnitt IV der angefochtenen
Entscheidung). Dieses Recht verschaffe der Flämischen Region nicht die
Möglichkeit, das Vermögen von VLM zu verwerten, falls diese zahlungsunfähig
werde oder in Konkurs gehe; es sei auch nicht gegenüber anderen Gläubigern
durchsetzbar. Es sei daher in keiner Weise mit einer Hypothek oder einer
Zugriffsmöglichkeit auf das Vermögen vergleichbar, die jedes Kreditinstitut mangels
einer ausreichenden persönlichen Bürgschaft verlangen würde. Im übrigen ergebe
sich dieses Recht unabhängig von den Bestimmungen des streitigen
Darlehensvertrags aus den belgischen Rechtsvorschriften. Schließlich sei die
Annahme falsch, daß es der Flämischen Region gestatte, die Unternehmensführung
von VLM zu beeinflussen.
- 82.
- Die Beklagte weist darauf hin, daß sie aufgrund der dem Darlehensnehmer
vertraglich auferlegten Beschränkungen zu dem Ergebnis gekommen sei, daß der
Darlehensgeber „über eine gewisse Garantie für die Rückzahlung seiner
Forderung“ verfüge (siebenter Absatz von Abschnitt V der angefochtenen
Entscheidung).
Würdigung durch das Gericht
- 83.
- Selbst wenn man sich der Auffassung der Klägerin anschließen würde, daß die
Beklagte zu Unrecht angenommen hat, daß die Flämische Region „über eine
gewisse Garantie für die Rückzahlung [ihrer] Forderung“ verfügte, könnte dies
nicht zur Ungültigkeit der Entscheidung führen.
- 84.
- Da die Beklagte zu dem Ergebnis gekommen war, daß VLM angesichts der
Bestimmungen des streitigen Vertrages, nach denen die Flämische Region
berechtigt war, die Zustimmung zur Veräußerung oder Belastung der Aktiva von
VLM zu verweigern, unter normalen Umständen in der Lage gewesen wäre, ein
Darlehen zum Marktzins (von 9,3 %) zu erhalten, brauchte die Hauptschuld des
streitigen Darlehens nach den Leitlinien (Nr. 32) nicht als Zuschuß behandelt zu
werden.
- 85.
- Die von der Klägerin gegen die Auffassung der Beklagten erhobenen Einwände
sind nicht geeignet, Zweifel daran zu wecken, daß VLM zum Zeitpunkt der
Gewährung des streitigen Darlehens 20 Millionen BFR zum Zinssatz von 9,3 %
hätte aufnehmen können. Daß VLM ein solches Darlehen trotz fehlender
Sicherheiten, die dem Darlehensgeber die Möglichkeit der Verwertung ihres
Vermögens gegeben hätten, und trotz des Umstands, daß sich ihre Verluste auf
etwa 15 % ihres Gesellschaftskapitals beliefen, hätte erhalten können, ist vor allem
deshalb plausibel, weil eine Fluggesellschaft in den ersten Geschäftsjahren in aller
Regel Verluste erleidet und weil damals Aussichten auf eine branchenweite
Konjunkturverbesserung bestanden.
Zinslosigkeit des Darlehens
Vorbringen der Parteien
- 86.
- Nach Ansicht der Klägerin stellte das Darlehen wegen seiner Zinslosigkeit einen
Zuschuß dar. Die angefochtene Entscheidung stehe im Widerspruch zu der bereits
in Randnummer 48 genannten Entscheidung 94/662 vom 27. Juli 1994, in der die
Kommission bestimmte nachrangige Schuldverschreibungen als Eigenkapitalzufuhr
angesehen und die Rückzahlung des gesamten ausgezahlten Betrages verlangt habe.
- 87.
- Die Beklagte weist dieses Vorbringen zurück.
Würdigung durch das Gericht
- 88.
- Nach den Leitlinien wäre die Hauptschuld nur dann als staatliche Beihilfe im Sinne
von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages einzustufen, wenn VLM auf dem privaten
Kapitalmarkt zu keinem Zinssatz finanzielle Mittel hätte erhalten können (siehe
oben, Randnr. 4).
- 89.
- Da der streitige Vertrag die Rückzahlung der Hauptschuld vorsieht und da die
Beklagte zu dem Schluß gekommen ist, daß VLM das streitige Darlehen unter
normalen Marktbedingungen zum Marktzins (von 9,3 %) hätte erhalten können,
könnte dieses Darlehen nur dann als Zuschuß angesehen werden, wenn die
letztgenannte Schlußfolgerung nachweislich falsch wäre.
- 90.
- Das Vorbringen der Klägerin ist aber nicht geeignet, dem von der Beklagten
gezogenen Schluß, daß VLM unter den Umständen des vorliegenden Falles ein
Darlehen von 20 Millionen BFR zu einem Zinssatz von 9,3 % hätte erhalten
können (siehe oben, Randnr. 85), die Plausibilität zu nehmen.
- 91.
- Die Bezugnahme auf die in Randnummer 48 erwähnte Entscheidung 94/662 vom
27. Juli 1994 geht im übrigen fehl. Diese Sache betraf kein Darlehen, sondern die
Zeichnung von Anleihen eines staatlichen Unternehmens (Air France) durch ein
anderes staatliches Unternehmen (CDC-Participations). Bei den fraglichen
Anleihen handelte es sich um Obligationen, die in Aktien getilgt werden konnten,
so daß der Vorgang in finanzieller Hinsicht als aufgeschobene Kapitalzufuhr
anzusehen war. Im vorliegenden Fall sollte der als Darlehen zur Verfügung
gestellte Betrag dagegen kein dauerhafter Bestandteil des Kapitals des begünstigten
Unternehmens werden.
Ungewöhnlichkeit des Darlehens
Vorbringen der Parteien
- 92.
- Nach Ansicht der Klägerin zeigt die Tatsache, daß das Darlehen individuell und
nicht im Rahmen einer genehmigten Beihilferegelung gewährt wurde, daß es sich
um ein außergewöhnliches Darlehen handelte. Sie wirft der Beklagten vor, dies
außer acht gelassen und nicht geprüft zu haben, auf welcher innerstaatlichen
Rechtsgrundlage die Entscheidung über die Gewährung des Darlehens getroffen
worden sei. Es sei nämlich fraglich, ob die in der Flämischen Region geltenden
Rechtsvorschriften über Beihilfen eingehalten worden seien.
- 93.
- Die Beklagte weist dieses Vorbringen zurück. Zum einen sei die Tatsache, daß das
streitige Darlehen individuell gewährt worden sei, zwar ein Anhaltspunkt für das
Vorliegen einer Beihilfe, lasse aber keinen Rückschluß auf deren Höhe zu. Zum
anderen spiele es für die Kommission bei der Ausübung der ihr durch den Vertrag
im Bereich staatlicher Beihilfen verliehenen Befugnisse keine Rolle, aufgrund
welcher innerstaatlichen Vorschrift die fragliche Beihilfe gewährt worden sei.
Würdigung durch das Gericht
- 94.
- Das Vorbringen der Klägerin, die Beklagte habe außer acht gelassen, daß die
Beihilfe nicht Teil einer genehmigten Beihilferegelung gewesen sei, ist
zurückzuweisen. Die Beklagte hat dies in Abschnitt VI der angefochtenen
Entscheidung mit folgenden Worten in ihre Einwägungen einbezogen: „Da die
Beihilfe nicht unter eine bereits genehmigte Beihilferegelung fällt, hätte sie der
Kommission gemäß Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag mitgeteilt werden müssen.“
Der Vorwurf trifft daher in der Sache nicht zu. Für die Frage, wie die streitige
staatliche Maßnahme im Hinblick auf Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages
einzustufen ist, ist dieser Gesichtspunkt ohnehin irrelevant.
- 95.
- Auch der Vorwurf, daß die Beklagte weder ermittelt habe, aufgrund welcher
Vorschrift der innerstaatlichen Rechtsordnung die Beihilfe gewährt worden sei,
noch ihre Vereinbarkeit mit dieser Rechtsordnung geprüft habe, ist zurückzuweisen.
Die Kommission hat nicht die Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem innerstaatlichen
Recht, sondern ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht zu beurteilen.
- 96.
- Folglich ist der Klagegrund zurückzuweisen.
- 97.
- Demnach ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Zum Antrag auf Vorlage von Schriftstücken
Vorbringen der Parteien
- 98.
- In der Erwiderung hat die Klägerin die Beklagte aufgefordert, eine Reihe von
Schriftstücken vorzulegen, auf die in der Klagebeantwortung Bezug genommen
wird, die aber nicht zu den Akten des vorliegenden Verfahrens gegeben wurden.
Sie ersucht das Gericht, der Beklagten gemäß den Artikeln 64 und 65 der
Verfahrensordnung die Vorlage der Schriftstücke aufzugeben, falls sie diese nicht
von sich aus beibringt.
- 99.
- Bei den fraglichen Schriftstücken, von denen viele auch in der angefochtenen
Entscheidung erwähnt wurden, handelt es sich um Schreiben der Kommission an
die belgischen Behörden vom 25. Mai, 14. Juli, 15. November und 6. Dezember
1994 sowie vom 1. Februar, 2. Mai und 13. Juni 1995, um Schreiben der belgischen
Behörden an die Kommission vom 3. August 1994 und vom 23. Januar, 15. Juni,
14. Juli und 24. Juli 1995 sowie um die den drei letztgenannten Schreiben
beigefügten „verlangten Auskünfte“, um den Vertrag zwischen der Flämischen
Region und VLM vom 17. Dezember 1993 und um die von VLM am 27. November
1995 beim Gericht eingereichte Klageschrift.
- 100.
- Die Vorlage dieser Schriftstücke sei zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens
erforderlich.
- 101.
- Die Beklagte wendet ein, daß dem Antrag eines Drittbetroffenen auf Offenlegung
von Informationen nur dann stattzugeben sei, wenn dies für die Prüfung der
Rechtmäßigkeit der streitigen Entscheidung unerläßlich sei (Urteil
Skibsværftsforeningen u. a./Kommission, bereits in Randnr. 65 genannt, Randnr.
199). Dies sei hier nicht der Fall, da sich die Parteien nicht über den Sachverhalt
stritten, sondern über dessen rechtliche Würdigung.
Würdigung durch das Gericht
- 102.
- Die vom Gericht zu beurteilende Frage geht dahin, wie die in Rede stehende
staatliche Maßnahme im Hinblick auf Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages
einzustufen ist.
- 103.
- Die Klägerin hat nichts vorgetragen, was den Schluß zuließe, daß die Schriftstücke,
deren Vorlage sie begehrt, für die Behandlung dieser Frage nützlich sein könnten.
- 104.
- Außerdem sind die bei der Einstufung der Maßnahme zu berücksichtigenden
tatsächlichen Umstände unstreitig.
- 105.
- Schließlich hat die Klägerin sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im
vorliegenden Verfahren eingehend dargelegt, weshalb ihrer Ansicht nach die
Hauptschuld und nicht die Zinsen als Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1
des Vertrages hätte eingestuft werden müssen. Sie hat nicht erläutert, inwiefern die
Vorlage der genannten Schriftstücke ihr ermöglicht hätte, ihren Standpunkt mit
überzeugenderen Argumenten zu untermauern.
- 106.
- Das Gericht hält die bei den Akten befindlichen Unterlagen für ausreichend und
ist der Ansicht, daß die Vorlage der in der obigen Randnummer 99 aufgeführten
Schriftstücke den Verteidigungsrechten der Klägerin nicht dienlich wäre, so daß die
von ihr angeregte prozeßleitende Maßnahme nicht angeordnet zu werden braucht.
Kosten
- 107.
- Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag
zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen
unterlegen ist und die Beklagte beantragt hat, ihr die Kosten aufzuerlegen, hat sie
neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Beklagten zu tragen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Fünfte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
García-ValdecasasTiili
Azizi
Moura Ramos Jaeger
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 30. April 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
J. Azizi
Inhaltsverzeichnis
Rechtlicher Rahmen
II -
Sachverhalt
II -
Verfahren und Anträge
II -
Zur Zulässigkeit
II -
Zur Zulässigkeit der Klage
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zur Zulässigkeit einiger Ausführungen in der Erwiderung
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zur Begründetheit
II -
Erster Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zweiter Klagegrund: Verletzung der Begründungspflicht gemäß Artikel 190 des
Vertrages
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Dritter Klagegrund: offensichtliche Beurteilungsfehler
II -
Die finanzielle Lage von VLM
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Fehlende Garantie oder Sicherheit
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zinslosigkeit des Darlehens
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Ungewöhnlichkeit des Darlehens
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zum Antrag auf Vorlage von Schriftstücken
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Kosten
II -