Language of document : ECLI:EU:T:2020:561

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

25. November 2020(*)

„Unionsmarke – Internationale Registrierung mit Benennung der Europäischen Union – Dreidimensionales Zeichen – Form einer dunklen Flasche – Absolutes Eintragungshindernis – Fehlende Unterscheidungskraft – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) 2017/1001“

In der Rechtssache T‑862/19,

Brasserie St Avold mit Sitz in Saint-Avold (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte P. Greffe, D. Brun und F. Donaud,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch A. Folliard-Monguiral und V. Ruzek als Bevollmächtigte,

Beklagter,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des EUIPO vom 21. Oktober 2019 (Sache R 466/2019-4) betreffend die internationale Registrierung mit Benennung der Europäischen Union eines dreidimensionalen Zeichens in Form einer dunklen Flasche

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. M. Collins, des Richters V. Kreuschitz und der Richterin G. Steinfatt (Berichterstatterin)

Kanzler: J. Pichon, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 18. Dezember 2019 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift

aufgrund der am 28. Februar 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung

auf die mündliche Verhandlung vom 10. September 2020

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 16. März 2018 benannte die Klägerin, die Brasserie St Avold, die Europäische Union für die internationale Registrierung Nr. 1408065 eines aus der Form einer dunklen Flasche bestehenden dreidimensionalen Zeichens. Die den Gegenstand der Internationalen Registrierung mit Benennung der Europäischen Union bildende Marke ist das nachstehend wiedergegebene dreidimensionale Zeichen:

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2        Der Markenschutz wurde für folgende Waren in den Klassen 32 und 33 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet:

–        Klasse 32: „Biere; Mineralwässer (Getränke); kohlensäurehaltige Wässer; Fruchtsäfte; Sirupe für Getränke; Präparate für die Zubereitung von Getränken; Limonaden; alkoholfreie Fruchtnektare; Sodawasser; alkoholfreie Aperitifs“;

–        Klasse 33: „Alkoholische Getränke, ausgenommen Biere; Weine; Weine mit geschützter Ursprungsbezeichnung; Weine mit geschützten geografischen Angaben“.

3        Die Prüferin des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) lehnte mit Entscheidung vom 25. Januar 2019 gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) den Schutz der internationalen Registrierung ab.

4        Die Klägerin legte am 20. Februar 2019 gegen die Entscheidung der Prüferin gemäß den Art. 66 bis 71 der Verordnung 2017/1001 Beschwerde beim EUIPO ein.

5        Die Vierte Beschwerdekammer des EUIPO wies die Beschwerde durch Entscheidung vom 21. Oktober 2019 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) mit der Begründung zurück, dass das streitige Zeichen im Sinne des Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 keine Unterscheidungskraft habe.

6        Sie stützte dieses Ergebnis erstens auf die Erwägung, dass das streitige Zeichen, das einer der für die von dem Schutzantrag erfassten alkoholischen und nicht alkoholischen Getränke am nächsten liegenden Aufmachungsformen entspreche, nämlich der Flasche, nur dann als unterscheidungskräftig angesehen werden könne, wenn es erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweiche. Diese Abweichungen müssten besonders sein, einprägsam und im Verkehr als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der Waren wahrgenommen werden.

7        Zweitens bestünden die maßgeblichen Verkehrskreise aus den Käufern alkoholischer oder alkoholfreier Getränke in der gesamten Union.

8        Drittens sei die Form einer dunklen Flasche mit einem Kronkorken in der Getränkebranche üblich. Was das weiße, unregelmäßig um den Flaschenkorpus geschlungene Etikett betreffe, zeigten die von der Prüferin angeführten konkreten Beispiele, dass es sich um ein Merkmal handele, das in der betreffenden Branche nicht unüblich sei, gleichviel, ob das Etikett die Flasche vollständig oder nur teilweise bedecke. Diese konkreten Beispiele stützten die Schlussfolgerung, dass die maßgeblichen Verkehrskreise dazu neigten, die betriebliche Herkunft von alkoholischen oder alkoholfreien Getränken eher anhand der Wortbestandteile der Etiketten als anhand deren Form oder Position zu erkennen. Die maßgeblichen Verkehrskreise sähen das streitige Zeichen unabhängig davon, ob das Etikett nun als Wiedergabe einer Bischofsmitra oder als dreieckig gefaltete Serviette aufgefasst werde, nicht ohne Weiteres und unmittelbar als Herkunftshinweis an. Die maßgeblichen Verkehrskreise könnten sich das streitige Zeichen nicht leicht und unmittelbar als unterscheidungskräftiges Zeichen merken. Im Übrigen könne dem Etikett die Funktion eines Tropfenfängers beim Ausgießen der Flüssigkeit zuerkannt werden.

9        Das streitige Zeichen bestehe somit nur aus einer Kombination von typischen Bestandteilen der betreffenden Waren, nämlich einer Flasche und einem Etikett, deren Form und Anordnung sich nicht wesentlich von bestimmten Grundformen der fraglichen Waren unterschieden, sondern vielmehr als eine einfache Variante solcher Formen erschienen. Die angeblichen Abweichungen von der Branchennorm seien nur nach einer aufmerksameren Prüfung wahrnehmbar, die der durchschnittliche Verbraucher nicht vornehme, so dass sie nicht als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der betreffenden Waren aufgefasst würden. Der durchschnittliche Verbraucher nehme die Marke als eine ästhetische, dekorative oder funktionelle Ausarbeitung der betreffenden Produkte wahr, die sich im Übrigen nicht wesentlich von der Branchennorm unterscheide.

10      Viertens wies die Beschwerdekammer darauf hin, dass sie bei ihrer Beurteilung nicht an die Eintragungen in Frankreich und in den Vereinigten Staaten gebunden sei.

 Anträge der Parteien

11      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

12      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Entscheidungsgründe

 Zur Zulässigkeit der erstmals beim Gericht eingereichten Beweismittel

13      Die Klageschrift enthält in Rn. 43 zwei Fotos, die ein Regal mit Flaschen, die mit angeblich der Branchennorm entsprechenden Etiketten versehen sind, und ein Regal mit Waren der Klägerin, die mit der vom Schutzantrag erfassten Marke versehen sind, wiedergeben sollen.

14      Diese erstmals vor dem Gericht vorgelegten Beweisstücke können nicht berücksichtigt werden. Die Klage beim Gericht ist nämlich auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der von den Beschwerdekammern des EUIPO erlassenen Entscheidungen im Sinne von Art. 72 der Verordnung 2017/1001 gerichtet, so dass es nicht Aufgabe des Gerichts ist, im Licht erstmals bei ihm eingereichter Unterlagen den Sachverhalt zu überprüfen. Somit sind diese Dokumente zurückzuweisen, ohne dass ihre Beweiskraft geprüft zu werden braucht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. November 2005, Sadas/HABM – LTJ Diffusion [ARTHUR ET FELICIE], T‑346/04, EU:T:2005:420, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

 Zur Begründetheit

15      Die Klägerin stützt ihre Klage auf einen einzigen Klagegrund, mit dem sie einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 geltend macht.

16      Dieser Klagegrund besteht aus drei Teilen. Erstens macht die Klägerin geltend, die Beschwerdekammer habe die Merkmale und die Art des streitigen Zeichens fehlerhaft beurteilt. Zweitens habe die Beschwerdekammer bei der Prüfung der Unterscheidungskraft des streitigen Zeichens falsche Kriterien angewandt. Drittens habe die Beschwerdekammer mit der Feststellung, dass das streitige Zeichen keine Unterscheidungskraft habe, einen Fehler begangen.

 Zum ersten Teil des Klagegrundes: fehlerhafte Beurteilung der Merkmale und der Art der beantragten Marke

17      Die Klägerin erhebt im Rahmen dieses Teils drei Rügen. Erstens wirft sie der Beschwerdekammer vor, das streitige Zeichen falsch bestimmt zu haben. Dieses bestehe aus dem Etikett, das auf eine bestimmte Art und Weise auf einer Flasche positioniert sei, die Flasche sei aber nicht Teil des streitigen Zeichens. Zweitens wichen die Form und die Positionierung dieses Etiketts ganz erheblich von der Norm und der Branchenüblichkeit ab. Drittens besitze dieses Etikett keinen funktionalen Aspekt.

18      Da die im Rahmen der letzten beiden Rügen vorgebrachten Argumente die konkrete Beurteilung der Unterscheidungskraft des streitigen Zeichens betreffen und das Vorbringen im Rahmen des dritten Teils ergänzen, werden sie im Rahmen dieses dritten Teils behandelt werden.

19      Die Klägerin weist im Rahmen der ersten Rüge darauf hin, dass sich das streitige Zeichen aus den folgenden Bestandteilen zusammensetze:

–        ein Etikett in Form eines rechtwinkligen Dreiecks;

–        eine besondere Art der Aufbringung dieses Etiketts auf der Flasche: seine Hypotenuse befinde sich am unteren Ende der Flasche, und das Etikett sei auf eine Weise vollständig um den zylindrischen Korpus der Flasche geschlungen, dass es auf der Flasche eine unterschiedliche Höhe habe und auf einer Seite eine nach oben weisende Spitze und auf der gegenüberliegenden Seite einen Ausschnitt in Form des Großbuchstabens „V“ bilde, wodurch es an eine Bischofsmitra erinnere; das Etikett reiche aufgrund seiner Höhe über den zylindrischen Korpus der Flasche hinaus, so dass es in Höhe der Spitze nicht an der Flaschenform anliege.

20      Es komme daher nicht darauf an, dass „die dunkle Flasche mit einem Verschluss in Form eines Kronkorkens … eine übliche Verpackung für die fraglichen Waren [sei]“, da die Klägerin Rechte in Bezug auf ein besonderes Etikett geltend mache, das in unterscheidungskräftiger Weise auf einer Flasche angebracht sei, und nicht in Bezug auf das Behältnis selbst. Somit erübrige sich die Prüfung der Merkmale der Flasche, und die Beschwerdekammer habe das streitige Zeichen zu Unrecht als „die aus vier Blickwinkeln wiedergegebene dreidimensionale Darstellung einer dunklen Flasche mit einem Kronkorken als Verschluss … versehen mit einem weißen, um den unteren Teil des Flaschenkorpus geschlungenen Etikett“ beschrieben. Die Beschwerdekammer hätte vielmehr prüfen müssen, ob die oben in Rn. 19 beschriebene Kombination der Bestandteile des Etiketts nicht insgesamt ein unterscheidungskräftiges Zeichen bilde.

21      Das EUIPO tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

22      Die Klägerin hat insoweit auf eine Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass das Zeichen, dessen Registrierung beantragt werde, sehr wohl ein dreidimensionales Zeichen sei, wie in Rn. 2 der Klageschrift und im Schutzantrag dargestellt, nämlich eine Flasche mit Kronkorken und Etikett.

23      Die Beschwerdekammer hat also zu Recht auf den von allen diesen Bestandteilen hervorgerufenen Gesamteindruck abgestellt.

24      Im Übrigen ergibt sich insbesondere aus den Rn. 16, 17, 20, 22, 23 und 25 der angefochtenen Entscheidung, dass die Beschwerdekammer alle Umstände, die die Wahrnehmung des streitigen Zeichens durch den betroffenen Verbraucher kennzeichnen, ordnungsgemäß berücksichtigt hat.

25      Folglich ist der erste Teil des Klagegrundes – vorbehaltlich des oben in Rn. 18 erfolgten klarstellenden Hinweises – zurückzuweisen.

 Zum zweiten Teil des Klagegrundes: Anwendung falscher Kriterien bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft des streitigen Zeichens

26      Die Klägerin trägt unter Verweis auf das Urteil vom 27. Februar 2002, Eurocool Logistik/HABM (EUROCOOL) (T‑34/00, EU:T:2002:41, Rn. 39), vor, dass ein Minimum an Unterscheidungskraft genüge, damit Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 nicht anwendbar sei. Das streitige Zeichen bestehe aber aus einer Kombination von Bestandteilen, durch die es sich eindeutig von den anderen für die betreffenden Waren auf dem Markt vorhandenen Formen unterscheide, so dass dieses Zeichen insgesamt betrachtet das erforderliche Minimum an Unterscheidungskraft besitze.

27      Dieses Ergebnis finde eine Bestätigung im Urteil vom 3. Oktober 2018, Wajos/EUIPO (Form eines Behältnisses) (T‑313/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:638, Rn. 26), wonach für die Wirtschaftsteilnehmer in der Nahrungsmittelbranche, die durch starken Wettbewerb gekennzeichnet sei, ein beträchtlicher Anreiz bestehe, ihre Waren insbesondere durch ihr Erscheinungsbild und die Konzeption ihrer Verpackung von denen der Konkurrenz zu unterscheiden, um die Aufmerksamkeit der Verbraucher zu erregen. Demgemäß sei davon auszugehen, dass der Durchschnittsverbraucher vollauf in der Lage sei, die Form der Verpackung dieser Produkte als Hinweis auf deren betriebliche Herkunft wahrzunehmen, sofern diese Form hinreichende Merkmale aufweise, um seine Aufmerksamkeit zu wecken.

28      Diese Rechtsprechung habe die Beschwerdekammer jedoch in Rn. 11 der angefochtenen Entscheidung außer Acht gelassen, indem sie im Wesentlichen festgestellt habe, dass es schwieriger sein könne, die Unterscheidungskraft eines aus dem Erscheinungsbild der Ware selbst oder ihrer Verpackung bestehenden dreidimensionalen Zeichens nachzuweisen als die einer Wort- oder Bildmarke. Folglich sei der Beschwerdekammer ein Beurteilungsfehler unterlaufen, indem sie für das streitige Zeichen eine größere Unterscheidungskraft verlangt habe.

29      Das EUIPO tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

30      Nach Art. 4 der Verordnung 2017/1001 kann die Form oder Verpackung einer Ware eine Markenform darstellen, soweit sie geeignet ist, Waren eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden

31      Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 sind Marken, die keine Unterscheidungskraft haben, von der Eintragung ausgeschlossen.

32      Nach ständiger Rechtsprechung besagt die Unterscheidungskraft einer Marke im Sinne dieser Bestimmung, dass die Marke geeignet ist, die Ware oder Dienstleistung, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware somit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. Urteile vom 20. Oktober 2011, Freixenet/HABM, C‑344/10 P und C‑345/10 P, EU:C:2011:680, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 24. September 2019, Fränkischer Weinbauverband/EUIPO [Form einer ellipsoiden Flasche], T‑68/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:677, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Die Unterscheidungskraft einer Marke ist zum einen im Hinblick auf die Waren oder Dienstleistungen, für die sie angemeldet worden ist, und zum anderen im Hinblick auf ihre Wahrnehmung durch die maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen (vgl. Urteile vom 20. Oktober 2011, Freixenet/HABM, C‑344/10 P und C‑345/10 P, EU:C:2011:680, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 16. Januar 2014, Steiff/HABM [Fähnchen mit Metallknopf im mittleren Bereich des Ohrs eines Stofftiers], T‑434/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:6, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Ferner ist daran zu erinnern, dass bei der Beurteilung, ob einer Marke Unterscheidungskraft fehlt, auf den von ihr hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen ist. Dies bedeutet jedoch nicht, dass nicht zunächst die einzelnen Gestaltungselemente dieser Marke nacheinander geprüft werden können. Es kann sich nämlich als zweckmäßig erweisen, bei der Gesamtbeurteilung jeden einzelnen Bestandteil der betreffenden Marke zu untersuchen (vgl. Urteil vom 16. Januar 2014, Fähnchen mit Metallknopf im mittleren Bereich des Ohrs eines Stofftiers, T‑434/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:6, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Im Übrigen genügt ein Minimum an Unterscheidungskraft, um das in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 207/2009 geregelte absolute Eintragungshindernis entfallen zu lassen (vgl. Urteil vom 25. September 2015, Bopp/HABM [Darstellung eines achteckigen grünen Rahmens], T‑209/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:701, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Nach ständiger Rechtsprechung sind die Kriterien für die Beurteilung der Unterscheidungskraft dreidimensionaler Marken, die aus dem Erscheinungsbild der Ware selbst bestehen, keine anderen als die für andere Kategorien von Marken geltenden. Jedoch wird im Rahmen der Anwendung dieser Kriterien eine dreidimensionale Marke, die aus dem Erscheinungsbild der Ware selbst besteht, vom Durchschnittsverbraucher nicht notwendig in der gleichen Weise wahrgenommen wie eine Wort- oder Bildmarke, die aus einem Zeichen besteht, das vom Erscheinungsbild der mit der Marke bezeichneten Waren unabhängig ist. Denn wenn grafische oder Wortelemente fehlen, schließen die Durchschnittsverbraucher aus der Form der Waren oder der ihrer Verpackung gewöhnlich nicht auf die Herkunft dieser Waren; daher kann es schwieriger sein, die Unterscheidungskraft einer solchen dreidimensionalen Marke nachzuweisen als diejenige einer Wort- oder Bildmarke (vgl. Urteile vom 20. Oktober 2011, Freixenet/HABM, C‑344/10 P und C‑345/10 P, EU:C:2011:680, Rn. 45 und 46 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 24. September 2019, Form einer ellipsoiden Flasche, T‑68/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:677, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. auch entsprechend Urteil vom 8. April 2003, Linde u. a., C‑53/01 bis C‑55/01, EU:C:2003:206, Rn. 48).

37      Insbesondere ist die Aufmachung eines flüssigen Produkts ein zwingendes Vertriebserfordernis, dem der Durchschnittsverbraucher in erster Linie eine bloße Portionierungsfunktion beimisst. Eine dreidimensionale Marke, die aus einer solchen Aufmachung besteht, hat nur dann Unterscheidungskraft, wenn sie es dem normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der betroffenen Ware ermöglicht, diese von der Ware anderer Unternehmen zu unterscheiden, ohne eine Untersuchung oder einen Vergleich vorzunehmen und ohne eine besondere Aufmerksamkeit an den Tag zu legen (vgl. Urteil vom 24. September 2019, Form einer ellipsoiden Flasche, T‑68/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:677, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. auch entsprechend Urteil vom 12. Februar 2004, Henkel, C‑218/01, EU:C:2004:88, Rn. 53).

38      Je mehr sich die angemeldete Form der Form annähert, in der die betreffende Ware am wahrscheinlichsten in Erscheinung tritt, umso eher ist zu erwarten, dass dieser Form die Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 fehlt. Nur eine Marke, die erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweicht und deshalb ihre wesentliche herkunftskennzeichnende Funktion erfüllt, besitzt auch Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 (vgl. Urteile vom 29. April 2004, Henkel/HABM, C‑456/01 P und C‑457/01 P, EU:C:2004:258, Rn. 39, und vom 12. Dezember 2019, EUIPO/Wajos, C‑783/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1073, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. auch entsprechend Urteil vom 12. Februar 2004, Henkel, C‑218/01, EU:C:2004:88, Rn. 49).

39      Ferner ist daran zu erinnern, dass Neuheit oder Originalität für die Beurteilung der Unterscheidungskraft einer Marke keine maßgeblichen Kriterien sind, so dass es für die Eintragungsfähigkeit einer Marke nicht genügt, dass sie originell ist. Sie muss sich vielmehr wesentlich von den handelsüblichen Grundformen der betreffenden Ware unterscheiden und darf nicht als eine einfache oder mögliche Variante dieser Formen erscheinen. Außerdem ist es für die Feststellung der fehlenden Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke nicht erforderlich, die Handelsüblichkeit der Form nachzuweisen (vgl. Urteil vom 7. Oktober 2015, The Smiley Company/HABM [Form eines Sterngesichts], T‑244/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:764, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juni 2019, Gibson Brands/EUIPO – Wilfer [Form eines Gitarrenkorpus], T‑340/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:455, Rn. 39).

40      Das Gericht hat zudem klargestellt, dass es die Tatsache, dass auf dem Markt zahlreiche Erscheinungsformen bestehen, mit denen der Verbraucher konfrontiert wird, wenig wahrscheinlich macht, dass er einen bestimmten Formentyp nicht als Hinweis auf die diesen Markt kennzeichnende Vielfalt, sondern auf einen bestimmten Hersteller ansieht. Die große Vielfalt der originellen oder phantasievollen Formen, die sich bereits auf dem Markt befinden, verringert nämlich die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer bestimmten Form davon ausgegangen wird, dass sie erheblich von der auf diesem Markt üblichen Norm abweicht und somit allein aufgrund ihrer Besonderheit oder ihrer Originalität von den Verbrauchern identifiziert wird (Urteil vom 28. Juni 2019, Form eines Gitarrenkorpus, T‑340/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:455, Rn. 36.)

41      Daraus folgt, dass, wenn eine dreidimensionale Marke in der Form der von der Anmeldung erfassten Ware oder deren Verpackung besteht, der bloße Umstand, dass diese Form eine Variante der üblichen Formen dieser Warengattung oder der Verpackung dieser Warengattung ist, nicht ausreicht, um darzutun, dass es der genannten Marke nicht an Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 fehlt. Es ist stets zu prüfen, ob diese Marke es dem normal informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der fraglichen Ware erlaubt, diese – ohne Prüfung und ohne besondere Aufmerksamkeit – von Waren anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. Urteil vom 12. Dezember 2019, EUIPO/Wajos, C‑783/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1073, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42      In der vorliegenden Rechtssache hat die Beschwerdekammer in den Rn. 8 bis 13 der angefochtenen Entscheidung die Rechtsprechung zur Prüfung der Unterscheidungskraft einer dreidimensionalen Marke, die in der Form der Ware selbst oder in ihrer Verpackung besteht, dargestellt. Sie hat insbesondere darauf hingewiesen, dass eine solche Marke wesentlich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweichen müsse. In den Rn. 14 bis 27 der angefochtenen Entscheidung hat sie diese Rechtsprechung auf das streitige Zeichen angewandt und ist in den Rn. 25 bis 27 zu dem Ergebnis gekommen, dass erstens dieses Zeichen nur aus einer Kombination von typischen Bestandteilen der betreffenden Waren bestehe, nämlich einer Flasche und einem Etikett, deren Form und Anordnung sich nicht wesentlich von den Grundformen der fraglichen Waren unterschieden, sondern vielmehr als eine einfache Variante dieser Formen erschienen, zweitens die angeblichen Abweichungen von der Branchennorm nur nach einer aufmerksameren Prüfung wahrnehmbar seien, die der Durchschnittsverbraucher nicht vornehme, so dass sie nicht als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der von der Anmeldung erfassten Waren, wahrgenommen würden, und drittens der Durchschnittsverbraucher die Marke als eine ästhetische, dekorative oder funktionelle Ausarbeitung der ihren Gegenstand bildenden Waren wahrnehme, die im Übrigen nicht wesentlich von der Branchennorm abweiche.

43      Zwar ergibt sich aus Rn. 26 des von der Klägerin angeführten Urteils vom 3. Oktober 2018, Form eines Behältnisses (T‑313/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:638), dass für die Wirtschaftsteilnehmer in der Nahrungsmittelbranche, die durch starken Wettbewerb gekennzeichnet ist, ein beträchtlicher Anreiz besteht, ihre Waren insbesondere durch ihr Erscheinungsbild und die Konzeption ihrer Verpackung von denen der Konkurrenz zu unterscheiden, um die Aufmerksamkeit der Verbraucher zu erregen, so dass der Durchschnittsverbraucher vollauf in der Lage ist, die Form der Verpackung der betreffenden Waren als Hinweis auf deren betriebliche Herkunft wahrzunehmen, sofern diese Form Merkmale aufweist, die ausreichen, um seine Aufmerksamkeit zu wecken.

44      Zum einen ist jedoch daran zu erinnern, dass es seit dem Urteil vom 8. April 2003, Linde u. a. (C‑53/01 bis C‑55/01, EU:C:2003:206, Rn. 48), das zur Zeit der Geltung der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1) ergangen ist, dessen Grundsätze aber auf die vorliegende Rechtssache übertragen werden können, ständiger Rechtsprechung entspricht, dass die Durchschnittsverbraucher, wenn grafische oder Wortelemente fehlen, aus der Form der Waren oder der ihrer Verpackung gewöhnlich nicht auf die Herkunft dieser Waren schließen; daher kann es schwieriger sein, die Unterscheidungskraft einer solchen dreidimensionalen Marke nachzuweisen als diejenige einer Wort- oder Bildmarke (vgl. oben, Rn. 36).

45      Zum anderen hat das Gericht in Rn. 26 des Urteils vom 3. Oktober 2018, Form eines Behältnisses (T‑313/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:638), auf sein Urteil vom 3. Dezember 2003, Nestlé Waters France/HABM (Form einer Flasche) (T‑305/02, EU:T:2003:328, Rn. 34), Bezug genommen, das ergangen ist, bevor der Gerichtshof in den Urteilen vom 12. Februar 2004, Henkel (C‑218/01, EU:C:2004:88, Rn. 49), vom 29. April 2004, Henkel/HABM (C‑456/01 P und C‑457/01 P, EU:C:2004:258, Rn. 39), und vom 7. Oktober 2004, Mag Instrument/HABM (C‑136/02 P, EU:C:2004:592, Rn. 31), entschieden hat, dass bei dreidimensionalen Marken, die aus der Form der Ware selbst oder der ihrer Verpackung bestehen, nur eine Marke, die erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweicht und deshalb ihre wesentliche Herkunftsfunktion erfüllt, auch Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 besitzt (siehe oben, Rn. 38).

46      Der Grundsatz, der sich aus Rn. 34 des Urteils vom 3. Dezember 2003, Form einer Flasche (T‑305/02, EU:T:2003:328), ergibt, ist also im Licht der späteren Rechtsprechung des Gerichtshofs (siehe oben, Rn. 36 bis 38) auszulegen. Folglich ist die Prämisse, dass der Durchschnittsverbraucher vollauf in der Lage sein muss, die Form der Verpackung der betreffenden Waren als Hinweis auf deren betriebliche Herkunft wahrzunehmen, sofern diese Form Merkmale aufweist, die ausreichen, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, dahin zu verstehen, dass sie sich auf den Fall bezieht, dass die beantragte dreidimensionale Marke, die in der Form der Ware selbst oder deren Verpackung besteht, erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweicht.

47      Dies gilt umso mehr, als das Gericht im Urteil vom 3. Oktober 2018, Form eines Behältnisses (T‑313/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:638, Rn. 28), ausgeführt hat, dass bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft einer dreidimensionalen Marke, die in der Form der Ware selbst oder deren Verpackung besteht, ermittelt werden muss, ob die beantragte Marke erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweicht. In seinem Urteil vom 12. Dezember 2019, EUIPO/Wajos (C‑783/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1073, Rn. 24, 26 und 30), hat der Gerichtshof die Anwendung des Kriteriums der „erheblichen Abweichung von der Norm und der Branchenüblichkeit“ ausdrücklich bestätigt.

48      Die Klägerin ist daher zu Unrecht der Auffassung, dass die Beschwerdekammer bei der Beurteilung der Unterscheidungskraft der angemeldeten Marke falsche Kriterien angewendet hat.

49      Der zweite Teil des Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.

 Zum dritten Teil des Klagegrundes: fehlerhafte Feststellung des Fehlens von Unterscheidungskraft beim streitigen Zeichen

50      Im Hinblick auf den oben in Rn. 18 erfolgten klarstellenden Hinweis erhebt die Klägerin im Rahmen dieses dritten Teils des Klagegrundes zwei Rügen. Erstens macht sie im Wesentlichen geltend, die Beschwerdekammer habe die Norm und die Branchenüblichkeit unrichtig definiert. Zweitens besäßen die Form des Etiketts und die Art, wie es auf der Flasche angebracht sei, keinerlei funktionellen Aspekt und wichen erheblich von der Norm und der Branchenüblichkeit ab.

–       Zur ersten Rüge: fehlerhafte Definition der Norm und der Branchenüblichkeit

51      Die Klägerin trägt vor, die von der Beschwerdekammer angeführten Beispiele seien für die Norm und die Branchenüblichkeit nicht repräsentativ. In der Lebensmittelbranche und speziell bei alkoholischen Getränken bestehe die Norm darin, ein Etikett auf der Flasche anzubringen, das gewöhnlich rechteckig und zur Gänze fest mit einem Teil des zylindrischen Flaschenkorpus verbunden sei.

52      Das EUIPO tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

53      Insoweit ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung, dass ein Kläger, der geltend macht, dass eine Anmeldemarke entgegen der vom EUIPO vorgenommenen Beurteilung Unterscheidungskraft habe, durch konkrete und fundierte Angaben darzulegen hat, dass die Anmeldemarke von Haus aus Unterscheidungskraft besitzt (vgl. Urteile vom 28. September 2010, Rosenruist/HABM [Darstellung zweier Kurven auf einer Hosentasche], T‑388/09, nicht veröffentlicht, EU:T:2010:410, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 21. November 2018, Bopp/EUIPO [Abbildung eines gleichseitigen Achtecks], T‑460/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:816, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

54      Ferner ist daran zu erinnern, dass die Beschwerdekammer nicht zusätzlich allgemein und abstrakt alles anzugeben braucht, was der Norm und der Üblichkeit in der betreffenden Branche entspricht (vgl. Urteil vom 13. Mai 2020, Cognac Ferrand/EUIPO [Form eines Geflechts auf einer Flasche], T‑172/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:202, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer, indem sie die Beurteilung der Prüferin bezüglich der Vielfalt der Etikettenformen und deren Positionierung auf Getränkeflaschen bestätigt und einige davon in Rn. 17 der angefochtenen Entscheidung wiedergegeben hat, dargetan, dass die Norm und die Üblichkeit in dieser Branche durch eine große Vielfalt der Aufmachungsformen gekennzeichnet sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juni 2019, Form eines Gitarrenkorpus, T‑340/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:455, Rn. 38 und 39).

56      Selbst angenommen, dass bei den fraglichen Waren, wie die Klägerin behauptet, zumeist rechteckige Etiketten verwendet werden, die zur Gänze mit einem Teil des zylinderförmigen Korpus der Flasche fest verbunden sind, können die Norm und die Branchenüblichkeit, wie das EUIPO zu Recht geltend macht, nicht allein auf die statistisch am häufigsten vorkommende Form reduziert werden, sondern umfassen alle Formen, denen der Verbraucher gewöhnlich auf dem Markt begegnet.

57      Daher ist die erste Rüge zurückzuweisen.

–       Zur zweiten Rüge: unrichtige Beurteilung der Funktionalität des Etiketts und der erheblichen Abweichung von der Norm und der Branchenüblichkeit

58      Die Klägerin macht erstens geltend, dass die Form des Etiketts und die Art und Weise, in der es um die Flasche geschlungen sei, sehr ungewöhnlich seien. Das streitige Zeichen sei durch sein Etikett in Form eines rechtwinkligen Dreiecks gekennzeichnet, dessen Hypotenuse sich am unteren Ende der Flasche befinde und dessen Höhe um die Flasche herum variiere, so dass es auf einer Seite eine nach oben weisende Spitze und auf der gegenüberliegenden Seite einen Ausschnitt in Form des Großbuchstabens „V“ bilde, wodurch es an eine Bischofsmitra erinnere. Das Etikett reiche aufgrund seiner Höhe über den zylindrischen Korpus der Flasche hinaus, so dass es in Höhe der Spitze nicht an der Flaschenform anliege.

59      Dagegen bestünden die Etiketten bei fast allen von der Beschwerdekammer herangezogenen Beispielen nicht aus glattem, sondern aus grobem Papier. Diese Etiketten lägen nicht nur zum Teil, sondern vollständig am Flaschenkorpus an. Das einzige in der angefochtenen Entscheidung angeführte Beispiel eines Etiketts, das vollständig um den Korpus der Flasche geschlungen sei, betreffe jedoch ein rechteckiges Etikett, dessen Höhe um die Flasche herum gleich sei, aber kein Etikett mit unregelmäßiger Höhe und nach oben weisender Spitze.

60      Das streitige Zeichen unterscheide sich also sehr deutlich von diesen Beispielen und damit von der Branchennorm. In keinem der von der Beschwerdekammer angeführten Beispiele sei eine Flasche wiedergegeben, deren Etikett die charakteristischen Merkmale des streitigen Zeichens aufweise. Dessen besonderes Erscheinungsbild sei selbst von Weitem wahrnehmbar. Die maßgeblichen Verkehrskreise nähmen es nicht als eine klassische Variante der möglichen Formen für die betreffenden Waren wahr, sondern als einen einprägsamen Herkunftshinweis, der es ihnen auch ohne einen Blick auf die darauf geschriebenen Angaben ermögliche, die Waren der Klägerin von Waren anderer betrieblicher Herkunft zu unterscheiden.

61      Zweitens sei die Behauptung der Beschwerdekammer in Rn. 20 der angefochtenen Entscheidung, dass die nach oben weisende Spitze des Etiketts nicht sichtbar oder bemerkbar sein könne, wenn eine Person, die die Flüssigkeit aus der Flasche trinke, diesen Teil der Flasche mit der Hand ergreife, erstaunlich. Zum einen befinde sich die Spitze nicht auf Höhe des Flaschenkorpus, d. h. ihrem unteren Teil, wo der Verbraucher sie ergreife, wenn er die Flüssigkeit zu sich nehmen wolle, sondern in Höhe des Flaschenhalses, so dass er die Spitze beim Trinken nicht mit seiner Hand verdecke. Zum anderen sei keinesfalls erforderlich, dass ein Zeichen ständig für den Verbraucher sichtbar sein müsse, damit ihm Unterscheidungskraft zugesprochen werden könne. Andernfalls wäre keine Marke schutzfähig, da jedes Zeichen, das auf einer Ware angebracht sei, je nach deren Lagerung oder Benutzung zeitweilig verborgen sei.

62      Drittens weise das von der Klägerin bezeichnete Etikett entgegen den Ausführungen der Beschwerdekammer in Rn. 24 der angefochtenen Entscheidung keinen funktionalen Aspekt auf und sei nicht dazu bestimmt, den Tropfen der Flüssigkeit aufzufangen, der, unmittelbar nachdem diese in ein Glas geschüttet oder direkt aus der Flasche getrunken worden sei, am Flaschenhals zurückbleibe. Es handelte sich nämlich nicht um eine Serviette, sondern um ein Etikett aus dünnem Papier ohne Saugfähigkeit. Ein Tropfen, der an der Flasche hinunterlaufe, sei es auf der Seite der Spitze oder auf der Seite, die einen „V“-Ausschnitt bilde, werde von dem in Rede stehenden Etikett ebenso wenig zurückgehalten wie von jedem anderen aus Papier bestehenden Etikett.

63      Das EUIPO tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen.

64      Insoweit ist erstens daran zu erinnern, dass das streitige Zeichen in der aus vier verschiedenen Blickwinkeln gezeigten dreidimensionalen Darstellung einer dunklen, mit einem Kronkorken verschlossenen Flasche besteht. Um den unteren Teil des Flaschenkorpus ist unregelmäßig ein weißes Etikett geschlungen, mit Ausnahme einer nach oben weisenden Spitze, die an diesem Teil nicht am Flaschenkorpus anliegt. Auf der anderen Seite der Flasche bildet das Etikett einen Ausschnitt in Form des Großbuchstabens „V“.

65      Wie sowohl die Beschwerdekammer als auch die Prüferin festgestellt haben, ist die Getränkebranche durch eine große Vielfalt an Formen und Arten der Anbringung der Etiketten auf den Flaschen gekennzeichnet. Es gibt u. a. Etiketten aus grobem oder – wie das in Rede stehende – glattem Papier, sowie Etiketten, die die Flasche ganz bedecken, oder solche, die sie wie hier nur teilweise umgeben. Einige Etiketten sind vollständig mit der Flasche verbunden, während andere Etiketten, wie das hier in Rede stehende, teilweise von ihr abstehen. Ferner gibt es rechteckige und runde Etiketten und solche, die wie hier eine andere geometrische Form haben. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass ein Etikett wie das, dessen Eintragung hier beantragt wurde, oder auch nur ein sehr ähnliches Etikett, auf dem Markt der betreffenden Waren noch nicht vorhanden ist, doch ist daran zu erinnern, dass Neuheit oder Originalität kein maßgebliches Kriterium für die Beurteilung der Unterscheidungskraft einer Marke ist. Das Erscheinungsbild und die Positionierung des hier in Rede stehenden Etiketts auf der Flasche liegen in der Kontinuität der Formen, die der Verbraucher gewöhnlich auf dem Markt sehen kann. Wie sich insbesondere aus den Rn. 17 bis 25 der angefochtenen Entscheidung ergibt, stellt dieses Etikett, das keineswegs erheblich von der Norm und der Branchenüblichkeit abweicht, somit nur eine mögliche Variante bereits bestehender Formen dar.

66      Wie die Beschwerdekammer, insbesondere in den Rn. 23 und 26 der angefochtenen Entscheidung, zutreffend festgestellt hat, setzt die Wahrnehmung der Unterschiede zwischen dem Etikett, das Gegenstand des streitigen Zeichens ist, und den anderen gewöhnlich auf dem Markt vorhandenen Formen von Etiketten eine aufmerksame Prüfung voraus, die der Durchschnittsverbraucher der fraglichen Waren nicht vornehmen wird. Diese Abweichungen werden somit seine Aufmerksamkeit nicht erregen, und er wird sie nicht als unterscheidungskräftiges Zeichen im Gedächtnis behalten (vgl. die oben in den Rn. 37 und 41 angeführte Rechtsprechung).

67      Jedenfalls genügt ein bloßes Abweichen von der Norm und der Branchenüblichkeit nicht für die Bejahung der Unterscheidungskraft des streitigen Zeichens (Urteil vom 13. Mai 2020, Form eines Geflechts auf einer Flasche, T‑172/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:202, Rn. 55).

68      Zweitens erwartet der Durchschnittsverbraucher, wie aus den Rn. 18, 19, 22 und 27 der angefochtenen Entscheidung hervorgeht und wie das EUIPO zu Recht geltend macht, dass das Etikett als Träger für Informationen über die fraglichen Waren einschließlich ihrer betrieblichen Herkunft dient, nicht dagegen, dass es als solches, d. h. ohne irgendein grafisches oder figuratives Element, auf deren Herkunft hinweist. Die Klägerin räumt im Übrigen ein, dass das Etikett mit Wortbestandteilen versehen sein wird (siehe oben, Rn. 60). Die Verbraucher könnten das Etikett auch als eine ästhetische Ausarbeitung ansehen. Mangels Informationen, die diesen Verbrauchern nahelegen, dass dieses Zeichen auf die Herkunft der betreffenden Waren hinweisen soll, können sie sich nicht vorstellen, dass es auf einen konkreten Hersteller hinweisen soll, und werden ihm keine besondere Aufmerksamkeit widmen (vgl. entsprechend Urteile vom 9. Oktober 2002, Glaverbel/HABM [Oberfläche einer Glasplatte], T‑36/01, EU:T:2002:245, Rn. 28, und vom 21. November 2018, Bopp/EUIPO [Darstellung eines gleichseitigen Achtecks], T‑460/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2018:816, Rn. 63).

69      Folglich ist das streitige Zeichen nicht geeignet, auf die Herkunft der fraglichen Waren hinzuweisen. Es besitzt daher nicht das erforderliche Minimum an Unterscheidungskraft.

70      Dieses Ergebnis wird durch das Vorbringen der Klägerin nicht in Frage gestellt.

71      Erstens hat sie nicht dargetan, dass der Durchschnittsverbraucher das Etikett als Anspielung auf eine Bischofsmitra verstehen werde, was dazu beitrüge, es von der Norm und der Branchenüblichkeit abzuheben. Zum einen hat eine Bischofsmitra anders als das in Rede stehende Etikett gewöhnlich zwei Spitzen, eine vorn und eine hinten. Zum anderen müsste die Bedeutung des Etiketts als Bischofsmitra von Verbrauchern auf der Ebene der gesamten Union verstanden werden. Eine Mitra mit nach oben weisenden Spitzen gehört jedoch gewöhnlich nur zum Gewand der Bischöfe der katholischen und der anglikanischen Kirche und anderer weniger verbreiteter Kirchen. In den evangelischen und orthodoxen Kirchen, die in mehreren Mitgliedstaaten weit verbreitet sind, findet sie keine Verwendung. Jedenfalls hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass es nicht darauf ankomme, dass die Verbraucher das Etikett als Anspielung auf eine Mitra erkennten.

72      Zweitens ist die von der Beschwerdekammer in Rn. 20 der angefochtenen Entscheidung getroffene Feststellung, dass die Verbraucher möglicherweise nicht wahrnähmen, dass die Spitze des Etiketts von dem oberen Teil der Flasche abstehe, je nachdem, wie sie die Flasche hielten, wenn sie ihren Inhalt konsumierten, im Licht der oben in den Rn. 37 und 41 angeführten Rechtsprechung zu verstehen, wie sie u. a. in den Rn. 12, 22, 23 und 26 der angefochtenen Entscheidung wiedergegeben und angewandt wurde, wonach die in Rede stehenden normal informierten und angemessen aufmerksamen Verkehrskreise im Allgemeinen beim Kauf der betreffenden Waren keine besondere Aufmerksamkeit an den Tag legen, so dass das fragliche Etikett und die Art, wie es auf der Flasche angebracht ist, ihre Aufmerksamkeit nicht tatsächlich erregen werden. Die Beschwerdekammer hat auch nicht festgestellt, dass kein Verbraucher diesen Bestandteil bemerke. Sie hat somit nur auf die Möglichkeit hingewiesen, dass ein normal aufmerksamer Verbraucher diese Besonderheit möglicherweise nicht wahrnehme, wenn er die Flasche auf eine bestimmte Weise halte. Diese Situation lässt sich, da man die Flasche sowohl unten als auch oben halten kann, in der Tat nicht ausschließen, auch wenn sie möglicherweise nur selten eintreten wird.

73      Im Übrigen geht insbesondere aus den Rn. 17 bis 19, 21, 22 und 27 der angefochtenen Entscheidung eindeutig hervor, dass dieses besondere Merkmal des Etiketts von den Verbrauchern nicht als ein Element wahrgenommen wird, das geeignet ist, ihm Unterscheidungskraft zu verleihen. Denn zum einen stellt es nur eine geringfügige ästhetische oder dekorative Variante im Verhältnis zu den auf dem Markt vorhandenen Formen dar. Zum anderen erwarten die Verbraucher, dass das Etikett als Träger von Informationen über die fraglichen Waren einschließlich ihrer betrieblichen Herkunft dient, nicht dagegen, dass es als solches, d. h. ohne irgendein grafisches oder figuratives Element, auf ihre Herkunft hinweist. Die Begründung in Rn. 20 der angefochtenen Entscheidung war daher im Grunde genommen nicht tragend.

74      Drittens ist die in den Rn. 24 bis 27 der angefochtenen Entscheidung gegebene Begründung bezüglich der Funktion des fraglichen Etiketts als Tropfenfänger zwar, wie das EUIPO im Übrigen selbst eingeräumt hat, nur wenig überzeugend, sie ist aber jedenfalls nicht tragend. Zum einen reichen nach den vorstehenden Erwägungen bereits die übrigen in der angefochtenen Entscheidung aufgeführten Gründe aus, um die Unterscheidungskraft des streitigen Zeichens verneinen zu können, zum anderen werden die fraglichen Feststellungen mit den Ausdrücken „ebenso“ und „oder sogar“ eingeleitet, die ihre Nachrangigkeit in der Begründung der Beschwerdekammer bestätigen. Folglich ist das Vorbringen der Klägerin, mit dem sie sich gegen diese Begründung wendet, zurückzuweisen, weil es im vorliegenden Fall ins Leere geht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Januar 2020, Vinos de Arganza/EUIPO – Nordbrand Nordhausen [ENCANTO], T‑239/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:12, Rn. 51).

75      Die Verbraucher der betreffenden Waren werden das streitige Zeichen also nicht als Hinweis auf ihre betriebliche Herkunft auffassen, so dass dieses Zeichen nicht über das Minimum an Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 verfügt.

76      Diese Feststellung des Fehlens eines Minimums an Unterscheidungskraft trifft umso mehr zu, als das streitige Zeichen über das fragliche Etikett hinaus auch aus einer dunklen Flasche mit Verschluss besteht, deren völlige Üblichkeit im Verhältnis zu der Branchennorm die Beschwerdekammer festgestellt und die Klägerin nicht bestritten hat. Das streitige Zeichen stellt somit nur eine Variante der auf dem Markt vorhandenen Arten der Aufmachung dar.

77      Nach alledem hat die Klägerin nicht dargetan, dass das streitige Zeichen erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit auf einem Markt, der durch eine große Vielfalt von Verpackungsformen gekennzeichnet ist, abweicht. Deshalb ist auch die zweite Rüge des dritten Teils des Klagegrundes zurückzuweisen.

78      Nach alledem ist der einzige Klagegrund zurückzuweisen und die Klage daher insgesamt abzuweisen.

 Kosten

79      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die Brasserie St Avold trägt die Kosten.

Collins

Kreuschitz

Steinfatt

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 25. November 2020.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Französisch.