Language of document : ECLI:EU:C:2016:536

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MELCHIOR WATHELET

vom 7. Juli 2016(1)

Rechtssache C‑301/15

Marc Soulier,

Sara Doke

gegen

Ministre de la Culture et de la Communication,

Premier ministre

(Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État [Staatsrat, Frankreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2001/29/EG – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Ausschließliches Vervielfältigungsrecht – Art. 2 – Recht der öffentlichen Wiedergabe – Art. 3 – Ausnahmen und Beschränkungen – Art. 5 – Nationale Regelung, die einer Verwertungsgesellschaft die Rechte für eine gewerbsmäßige Nutzung vergriffener Bücher verleiht – Widerspruchsrecht der Urheber oder ihrer Rechtsnachfolger“





I –    Einleitung

1.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich, im Folgenden: Conseil d’État), das am 19. Juni 2015 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, betrifft die Auslegung der Art. 2 und 5 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft(2).

2.        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Soulier und Frau Doke (im Folgenden: Kläger des Ausgangsverfahrens) einerseits und dem Ministre de la Culture et de la Communication (Minister für Kultur und Kommunikation) sowie dem Premier ministre (Premierminister) (im Folgenden: Beklagte des Ausgangsverfahrens) andererseits über die Rechtmäßigkeit des Décret n° 2013‑182, du 27 février 2013, portant application des articles L. 134‑1 à L. 134‑9 du code de la propriété intellectuelle et relatif à l’exploitation numérique des livres indisponibles du XXe siècle(3) (Dekret Nr. 2013‑182 vom 27. Februar 2013 über die Anwendung der Art. L. 134‑1 bis L. 134‑9 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum und betreffend die digitale Nutzung vergriffener Bücher des 20. Jahrhunderts, im Folgenden: streitiges Dekret).

II – Rechtlicher Rahmen

A –    Unionsrecht

3.        In Art. 2 („Vervielfältigungsrecht“) der Richtlinie 2001/29 heißt es:

„Die Mitgliedstaaten sehen für folgende Personen das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten:

a)      für die Urheber in Bezug auf ihre Werke,

…“

4.        Art. 3 („Recht der öffentlichen Wiedergabe von Werken und Recht der öffentlichen Zugänglichmachung sonstiger Schutzgegenstände“) der Richtlinie 2001/29 bestimmt u. a. in seinen Abs. 1 und 3 Folgendes:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.

(3)      Die in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Rechte erschöpfen sich nicht mit den in diesem Artikel genannten Handlungen der öffentlichen Wiedergabe oder der Zugänglichmachung für die Öffentlichkeit.“

5.        Art. 4 („Verbreitungsrecht“) der Richtlinie 2001/29 lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern in Bezug auf das Original ihrer Werke oder auf Vervielfältigungsstücke davon das ausschließliche Recht zusteht, die Verbreitung an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten.

(2)      Das Verbreitungsrecht erschöpft sich in der Gemeinschaft in Bezug auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke eines Werks nur, wenn der Erstverkauf dieses Gegenstands oder eine andere erstmalige Eigentumsübertragung in der Gemeinschaft durch den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung erfolgt.“

6.        Art. 5 („Ausnahmen und Beschränkungen“) der Richtlinie 2001/29 bestimmt u. a. in seinem Abs. 2, dass die Mitgliedstaaten in den darin aufgezählten Fällen verschiedene Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf das in Art. 2 vorgesehene Vervielfältigungsrecht vorsehen können.

7.        Des Weiteren bestimmt dieser Artikel in seinem Abs. 3, dass die Mitgliedstaaten in den darin aufgezählten Fällen verschiedene Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf die in den Art. 2 und 3 vorgesehenen Rechte der Vervielfältigung und der Wiedergabe vorsehen können.

8.        Art. 5 sieht darüber hinaus in seinem Abs. 5 vor:

„Die in den Absätzen 1, 2, 3 und 4 genannten Ausnahmen und Beschränkungen dürfen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.“

B –    Französisches Recht

 Gesetz über vergriffene Bücher

9.        Mit der Loi n° 2012‑287, du 1er mars 2012, relative à l’exploitation numérique des livres indisponibles du XXe siècle (Gesetz Nr. 2012‑287 vom 1. März 2012 über die digitale Nutzung vergriffener Bücher des 20. Jahrhunderts) (JORF Nr. 53 vom 2. März 2012, S. 3986, im Folgenden: Gesetz über vergriffene Bücher) wurde Titel III des Buches I des ersten Teils des Code de la propriété intellectuelle (Gesetzbuch über das geistige Eigentum), der sich der „Nutzung der Rechte“, die mit dem Urheberrecht verbunden sind, widmet, durch ein Kapitel IV („Besondere Bestimmungen über die digitale Nutzung vergriffener Bücher“), das aus den Art. L. 134‑1 bis L. 134‑9 dieses Gesetzbuchs besteht, ergänzt. Einige dieser Artikel wurden in weiterer Folge durch die Loi n° 2015‑195, du 20 février 2015, portant diverses dispositions d’adaptation au droit de l’Union européenne dans les domaines de la propriété littéraire et artistique et du patrimoine culturel (Gesetz Nr. 2015‑195 vom 20. Februar 2015 über verschiedene Bestimmungen zur Anpassung an das Recht der Europäischen Union in den Bereichen des literarischen und künstlerischen Eigentums und des Kulturerbes) (JORF Nr. 45 vom 22. Februar 2015, S. 3294) geändert oder aufgehoben.

10.      Die sich aus diesen beiden Gesetzen ergebenden Art. L. 134‑1 bis L. 134‑9 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum sehen Folgendes vor:

„Artikel L. 134‑1

Im Sinne dieses Kapitels ist ein vergriffenes Buch ein in Frankreich vor dem 1. Januar 2001 veröffentlichtes Buch, das nicht mehr gewerbsmäßig von einem Herausgeber verbreitet und derzeit nicht in gedruckter oder digitaler Form veröffentlicht wird.

Artikel L. 134-2

Es wird eine öffentliche Datenbank eingerichtet, die frei und kostenlos von einem Dienst für Veröffentlichungen über das Internet zur Verfügung gestellt wird, der die vergriffenen Bücher erfasst. Die französische Nationalbibliothek stellt sicher, dass diese Datenbank umgesetzt und aktualisiert wird und die in den Art. L. 134‑4, L. 134‑5 und L. 134-6 vorgesehenen Eintragungen vorgenommen werden.

Artikel L. 134-3

(1)      Ist ein Buch seit mehr als sechs Monaten in der in Art. 134‑2 genannten Datenbank eingetragen, so wird das Recht, seine Vervielfältigung und Darstellung in digitaler Form zu erlauben, von einer Verwertungsgesellschaft nach Titel II des Buches III dieses Teils ausgeübt, die hierfür vom Minister für Kultur zugelassen ist.

Außer in dem Fall nach Art. L. 134‑5 Abs. 3 werden die Vervielfältigung und Darstellung des Buches in digitaler Form gegen Zahlung einer Vergütung nicht exklusiv und für einen verlängerbaren Zeitraum von fünf Jahren erlaubt.

(2)      Die zugelassenen Gesellschaften sind zur Wahrung der ihnen übertragenen Rechte prozessfähig.

(3)      Die in Abs. 1 vorgesehene Zulassung wird erteilt unter Berücksichtigung

2.      der ausgewogenen Vertretung der Urheber und der Herausgeber auf Gesellschafterebene und in den Leitungsorganen;

5.      der Billigkeit der Regeln über die Verteilung der erhaltenen Beträge unter den Berechtigten, unabhängig davon, ob sie Parteien des Verlagsvertrags sind. Der Betrag, den der oder die Urheber des Buches erhält bzw. erhalten, darf nicht geringer als jener sein, den der Herausgeber erhält;

6.      der Beweismittel, deren Heranziehung die Gesellschaft vorschlägt, um die Anspruchsberechtigten zwecks Aufteilung der erhaltenen Beträge zu ermitteln und aufzufinden;

Artikel L. 134-4

(1)      Der Urheber eines vergriffenen Buches oder der Herausgeber, der über das Recht verfügt, dieses in gedruckter Form zu vervielfältigen, kann gegen die Ausübung des in Art. L. 134‑3 Abs. 1 Unterabs. 1 genannten Rechts zur Erteilung der Erlaubnis durch eine Verwertungsgesellschaft Widerspruch einlegen. Dies ist der in Art. L. 134‑2 Abs. 1 genannten Einrichtung bis spätestens sechs Monate nach der Aufnahme des betreffenden Buches in die im selben Absatz genannte Datenbank schriftlich mitzuteilen.

Der Widerspruch ist in die in Art. L. 134‑2 genannte Datenbank aufzunehmen.

Nach Ablauf der in Abs. 1 Unterabs. 1 genannten Frist kann der Urheber eines vergriffenen Buches der Ausübung des Rechts der Vervielfältigung oder Darstellung dieses Buches widersprechen, wenn er der Ansicht ist, dass die Vervielfältigung oder Darstellung dieses Buches seiner Ehre oder seinem Ruf schaden kann. Die Ausübung dieses Rechts zieht keine Entschädigung nach sich.

(2)      Der Herausgeber, der seinen Widerspruch unter den Voraussetzungen nach Abs. 1 Unterabs. 1 mitgeteilt hat, muss innerhalb von zwei Jahren nach dieser Mitteilung das betreffende vergriffene Buch nutzen. Er muss gegenüber der nach Art. L. 134‑3 zugelassenen Gesellschaft auf beliebige Weise nachweisen, dass er das Buch tatsächlich nutzt. Wird das Buch nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist genutzt, so wird der Eintrag des Widerspruchs in der in Art. L. 134‑2 genannten Datenbank gelöscht und das Recht, seine Vervielfältigung und Darstellung in digitaler Form zu erlauben, unter den in Art. L. 134‑3 Abs. 1 Unterabs. 2 vorgesehenen Voraussetzungen ausgeübt.

Artikel L. 134-5

Wurde bis zum Ablauf der in Art. L. 134‑4 Abs. 1 vorgesehenen Frist vom Urheber oder vom Herausgeber kein Widerspruch mitgeteilt, so bietet die Verwertungsgesellschaft dem Herausgeber, der über das Recht zur Vervielfältigung eines vergriffenen Buches in gedruckter Form verfügt, an, die Vervielfältigung und Darstellung dieses Buches in digitaler Form zu erlauben.

Die in Abs. 1 genannte Erlaubnis der Nutzung wird von der Verwertungsgesellschaft exklusiv und für einen Zeitraum von zehn Jahren erteilt, der stillschweigend verlängert wird.

Legt der Urheber, der auf beliebige Weise nachweist, dass dieser Herausgeber nicht über das Recht der Vervielfältigung eines Buches in gedruckter Form verfügt, keinen Widerspruch ein, so muss der Herausgeber, der seine Annahmeentscheidung mitgeteilt hat, das betreffende vergriffene Buch innerhalb von drei Jahren nach dieser Mitteilung nutzen. Er muss gegenüber dieser Gesellschaft auf beliebige Weise nachweisen, dass er das Buch tatsächlich nutzt.

Wird das in Abs. 1 genannte Angebot nicht angenommen oder das Werk nicht innerhalb der in Abs. 5 vorgesehenen Frist genutzt, so erlaubt die Verwertungsgesellschaft die Vervielfältigung und Darstellung des Buches in digitaler Form unter den in Art. L. 134‑3 Abs. 1 Unterabs. 2 vorgesehenen Voraussetzungen.

Artikel L. 134-6

Der Urheber und der Herausgeber, der über das Recht verfügt, ein vergriffenes Buch in gedruckter Form zu vervielfältigen, teilen der in Art. L. 134‑3 genannten Verwertungsgesellschaft jederzeit gemeinsam ihre Entscheidung mit, ihr das Recht zu entziehen, die Vervielfältigung oder Darstellung dieses Buches in digitaler Form zu erlauben.

Der Urheber eines vergriffenen Buches kann jederzeit beschließen, der in Art. L. 134‑3 genannten Verwertungsgesellschaft das Recht zu entziehen, die Vervielfältigung und Darstellung des Buches in digitaler Form zu erlauben, wenn er nachweist, dass er der einzige Inhaber der in Art. L. 134‑3 umschriebenen Rechte ist. Diese Entscheidung hat er der Verwertungsgesellschaft mitzuteilen.

Der Herausgeber, der seine Entscheidung unter den in Abs. 1 vorgesehenen Voraussetzungen mitgeteilt hat, muss das betreffende Buch innerhalb von 18 Monaten nach dieser Mitteilung nutzen. Er muss gegenüber der Verwertungsgesellschaft auf beliebige Weise nachweisen, dass er das Buch tatsächlich nutzt.

Die Gesellschaft informiert alle Nutzer, denen sie eine Erlaubnis zur Nutzung des betreffenden Buches erteilt hat, über die in den Abs. 1 und 2 genannten Entscheidungen. Die Berechtigten können sich nicht dem widersetzen, dass die vor der Mitteilung begonnene Nutzung dieses Buches während der verbleibenden Dauer der in Art. L. 134‑3 Abs. 1 Unterabs. 2 oder in Art. L. 134‑5 Abs. 3 genannten Erlaubnis höchstens fünf Jahre lang und nicht exklusiv fortgesetzt wird.

Artikel L. 134-7

Die Durchführungsbestimmungen zu diesem Kapitel, insbesondere die Modalitäten des Zugangs zu der in Art. L. 134‑2 vorgesehenen Datenbank, die Art und das Format der gesammelten Daten, die Maßnahmen zur Bekanntmachung, die am besten geeignet sind, um die bestmögliche Information der Berechtigten zu gewährleisten, sowie die Bedingungen für Erteilung und Entzug der in Art. L. 134‑3 vorgesehenen Zulassung der Verwertungsgesellschaften, werden durch Dekret nach Stellungnahme des Conseil d’État erlassen.

Artikel L. 134-9

Abweichend von Art. L. 321-9 Abs. 1 bis 3 verwenden die in Art. L. 134‑3 genannten zugelassenen Gesellschaften für Maßnahmen zur Unterstützung von Schöpfungen, für Maßnahmen zur Schulung von Autoren und für Maßnahmen der Büchereien zur Förderung von Lesungen die Beträge, die sie aus der Nutzung der vergriffenen Bücher eingenommen haben und die nicht verteilt werden konnten, weil die bestimmungsgemäßen Empfänger bis zum Ablauf der in Art. L. 321‑1 letzter Absatz vorgesehenen Frist nicht ermittelt oder nicht aufgefunden werden konnten.

…“

11.      Die Bestimmungen zur Durchführung der Art. L. 134‑1 bis L. 134-9 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum wurden mit dem streitigen Dekret erlassen.

III – Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

12.      Die Kläger des Ausgangsverfahrens haben eine am 2. Mai 2013 im Sekretariat der Streitsachenabteilung des Conseil d’État eingegangene Klageschrift eingereicht, mit der sie beantragen, das streitige Dekret wegen Überschreitung von Befugnissen für nichtig zu erklären. Sie tragen u. a. vor, das Gesetz über vergriffene Bücher, das durch das Dekret angewendet werde, sei mit den in der Richtlinie 2001/29 abschließend aufgeführten Beschränkungen und Ausnahmen des Rechts, die Vervielfältigung eines vom Urheberrecht geschützten Werks zu erlauben, nicht vereinbar.

13.      Das Syndicat des écrivains de langue française (Gewerkschaft französischsprachiger Schriftsteller, SELF), die Vereinigung „Autour des auteurs“ und 35 natürliche Personen sind in weiterer Folge dem Verfahren als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kläger des Ausgangsverfahrens beigetreten.

14.      Die Beklagten des Ausgangsverfahrens haben die Abweisung der Klage beantragt, wobei sie u. a. geltend machen, das streitige Dekret verstoße nicht gegen die Ziele der Richtlinie 2001/29, da es keine Ausnahme oder Beschränkung des ausschließlichen Rechts der Vervielfältigung des Werks im Sinne dieser Richtlinie begründe.

15.      Die Société française des intérêts des auteurs de l’écrit (Französische Gesellschaft für die Vertretung der Interessen der Autoren, im Folgenden: SOFIA) ist dem Verfahren später beigetreten, wobei auch sie die Abweisung der Klage beantragt. Mit Erlass des Ministers für Kultur und Kommunikation vom 21. März 2013 (JORF Nr. 76 vom 30. März 2013, S. 5420) war diese Gesellschaft für die Ausübung der Rechte zur digitalen Nutzung der sogenannten „vergriffenen“ Bücher des 20. Jahrhunderts zugelassen worden.

16.      Mit Entscheidung vom 19. Dezember 2013 befasste das vorlegende Gericht den Conseil constitutionnel (Verfassungsrat, Frankreich) mit einer vorrangigen Frage der Verfassungsmäßigkeit des streitigen Dekrets. Mit Entscheidung vom 28. Februar 2014 stellte dieser fest, die Art. L. 134‑1 bis L. 134‑9 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum stünden mit der Verfassung im Einklang, weil zum einen das durch sie eingerichtete System der kollektiven Wahrnehmung der Rechte auf Vervielfältigung und Darstellung vergriffener Bücher in digitaler Form zu keiner Enteignung führe und zum anderen der Rahmen der Voraussetzungen, unter denen den Urhebern diese Rechte zukommen, das Eigentumsrecht mit Blick auf das vom Gesetzgeber verfolgte im Allgemeininteresse liegende Ziel nicht unverhältnismäßig einschränke.

17.      Um die Erschließung mangels gewerbsmäßiger Verbreitung in der Öffentlichkeit unzugänglich gewordenen literarischen Kulturguts sicherzustellen, wurde dem Conseil d’État zufolge mit dem streitigen Dekret eine Regelung geschaffen, durch welche die digitale Nutzung von in Frankreich vor dem 1. Januar 2001 veröffentlichten Büchern wiedergegebenen, aber nicht mehr gewerbsmäßig von einem Herausgeber verbreiteten und auch nicht in gedruckter oder digitaler Form veröffentlichten Werken begünstigt werden solle. Das Recht, die Vervielfältigung oder Darstellung dieser Bücher in digitaler Form zu erlauben, werde in diesem Fall binnen einer Frist von sechs Monaten ab ihrer Aufnahme in eine der Öffentlichkeit zugängliche Datenbank, die unter der Verantwortung der französischen Nationalbibliothek stehe, von Verwertungsgesellschaften ausgeübt, die zu diesem Zweck vom Minister für Kultur zugelassen seien.

18.      Der Conseil d’État führt aus, der Urheber eines vergriffenen Buches oder der Herausgeber, der über das Recht verfüge, dieses in gedruckter Form zu vervielfältigen, könne sich der Ausübung dieses Rechts bis spätestens sechs Monate nach der Aufnahme des Buches in die Datenbank widersetzen. Der Urheber eines vergriffenen Buches könne sogar nach Ablauf dieser Frist zu jedem Zeitpunkt der Ausübung dieses Rechts der Vervielfältigung oder Darstellung widersprechen, wenn er der Ansicht sei, dass die Vervielfältigung oder Darstellung des Buches seiner Ehre oder seinem Ruf schaden könne. Der Urheber eines vergriffenen Buches könne darüber hinaus unter den in Art. L 134‑6 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum vorgesehenen Voraussetzungen zu jedem Zeitpunkt entscheiden, der zugelassenen Verwertungsgesellschaft das Recht zu entziehen, die Vervielfältigung und die Darstellung des Buches in digitaler Form zu erlauben.

19.      Das vorlegende Gericht wies zunächst sämtliche Klagegründe der Kläger des Ausgangsverfahrens zurück, die auf andere Rechtsgrundlagen als die Art. 2 und 5 der Richtlinie 2001/29 gestützt waren, und stellte anschließend fest, dass die Antwort auf die Rüge der Kläger des Ausgangsverfahrens betreffend diese Bestimmungen von der Frage abhänge, ob die genannten Bestimmungen der Richtlinie 2001/29 einer Regelung wie der durch die Art. L. 134‑1 bis L. 134‑9 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum eingeführten entgegenstünden, die zugelassenen Verwertungsgesellschaften die Ausübung des Rechts übertrage, die Vervielfältigung und Darstellung „vergriffener Bücher“ in digitaler Form zu erlauben, und den Urhebern dieser Bücher oder deren Rechtsnachfolgern unter den von ihr festgelegten Voraussetzungen gestatte, sich dieser Ausübung zu widersetzen oder sie zu beenden.

20.      Unter diesen Voraussetzungen hat der Conseil d’État beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Stehen die Art. 2 und 5 der Richtlinie 2001/29 einer Regelung wie der durch die Art. L. 134‑1 bis L. 134‑9 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum eingeführten entgegen, die zugelassenen Verwertungsgesellschaften die Ausübung des Rechts überträgt, die Vervielfältigung und die Darstellung „vergriffener Bücher“ in digitaler Form zu erlauben, und es den Urhebern dieser Bücher oder deren Rechtsnachfolgern unter den von ihr festgelegten Voraussetzungen gestattet, dieser Ausübung zu widersprechen oder sie zu beenden?

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

21.      Herr Soulier, Frau Doke, die SOFIA, die französische, die deutsche, die italienische und die polnische Regierung sowie die Europäische Kommission haben zu der Vorlagefrage schriftliche Erklärungen abgegeben. Die SOFIA, die französische, die tschechische und die polnische Regierung sowie die Kommission haben in der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 2016 mündliche Erklärungen abgegeben.

22.      Nach Ansicht von Herrn Soulier und Frau Doke sowie der Kommission ist die Vorlagefrage zu bejahen, während sich die SOFIA, die französische, die deutsche und die polnische Regierung für deren Verneinung aussprechen. Die italienische Regierung schlägt vor, die Vorlagefrage vorbehaltlich von Überprüfungen durch das vorlegende Gericht zu verneinen. Das vorlegende Gericht solle ersucht werden, konkret zu überprüfen, ob die fragliche Regelung die Rechte der Urheber nicht unverhältnismäßig einschränke, indem es insbesondere deren Bestimmungen betreffend ihre vorherige Information, ihre Möglichkeiten zum Widerspruch und zum Entzug sowie die Modalitäten ihrer Vergütung untersucht.

V –    Würdigung

A –    Tragweite des Vorabentscheidungsersuchens

23.      Mit seinem Vorabentscheidungsersuchen möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob eine nationale Regelung, die zugelassenen Verwertungsgesellschaften die Ausübung des Rechts überträgt, die Vervielfältigung und Darstellung(4) sogenannter „vergriffener“ Bücher in digitaler Form gegen Vergütung(5) zu erlauben(6), mit Art. 2 Buchst. a(7) der Richtlinie 2001/29, durch den ein ausschließliches Vervielfältigungsrecht zugunsten der Urheber eingeführt wird, und mit deren Art. 5, der den Mitgliedstaaten gestattet, Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf dieses Recht vorzusehen(8), vereinbar ist.

24.      Ungeachtet dessen, dass das vorlegende Gericht nur auf die Art. 2 und 5 der Richtlinie 2001/29 Bezug nimmt, gehe ich wie die Kläger des Ausgangsverfahrens, die deutsche Regierung und die Kommission davon aus, dass eine nationale Regelung wie die des Ausgangsverfahrens – die unter gewissen Umständen die digitale Nutzung sogenannter „vergriffener“ Bücher durch eine zugelassene Verwertungsgesellschaft erlaubt – nicht nur im Licht von Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29(9), sondern auch von deren Art. 3 Abs. 1, der für die Urheber das ausschließliche Recht, die öffentliche Wiedergabe ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten, vorsieht, zu prüfen ist.

25.      Denn die Nutzung einer digitalen Fassung eines Buches, so dass die Öffentlichkeit darauf zugreifen kann, bedeutet ihre öffentliche Zugänglichmachung und stellt meines Erachtens eine öffentliche Wiedergabe eines Werks im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dar(10).

26.      Folglich ist im Sinne von Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 die digitale Nutzung urheberrechtlich geschützter Bücher eine „Vervielfältigung“ und eine „öffentliche Wiedergabe“ eines Werks, die vom Urheber einzeln und getrennt erlaubt werden müssen(11), sofern diese Handlungen nicht unter eine in Art. 5 dieser Richtlinie vorgesehene Ausnahme oder Beschränkung fallen(12).

B –    Art. 5 der Richtlinie 2001/29

27.      Bevor ich mich zur Auslegung von Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 äußere, schließe ich zunächst die Relevanz von Art. 5 dieser Richtlinie und des durch ihn eingerichteten Systems der Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf die in den Art. 2 bis 4 verankerten ausschließlichen Rechte für die Entscheidung des Ausgangsverfahrens aus.

28.      Denn eine Regelung wie die des Ausgangsverfahrens gehört nicht(13) zu den in Art. 5 der Richtlinie 2001/29(14) ausführlich und abschließend(15) aufgezählten Ausnahmen und Beschränkungen.

29.      Darüber hinaus sind für dieses System der Ausnahmen und Beschränkungen durch Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29, der vorsieht, dass sie „nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden [dürfen], in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden“(16), enge Grenzen festgesetzt worden. Um eine in Art. 5 dieser Richtlinie vorgesehene Ausnahme in Anspruch nehmen zu können, muss daher die Ausnahme oder Beschränkung in Bezug auf das Recht auf Vervielfältigung oder auf öffentliche Wiedergabe außerdem die in Art. 5 Abs. 5 dieser Richtlinie festgelegten Voraussetzungen erfüllen(17).

30.      Schließlich räumen – entgegen den Erklärungen der SOFIA – weder Art. 5 der Richtlinie 2001/29 noch irgendeine andere Bestimmung dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, die Tragweite dieser Ausnahmen oder Beschränkungen zu erweitern(18).

31.      Dies könnte nur auf Initiative des europäischen Gesetzgebers erfolgen. Wie die Kommission gehe auch ich davon aus, dass, wenn die Mitgliedstaaten die Möglichkeit hätten, andere Ausnahmen vom Urheberrecht als die auf europäischer Ebene vorgesehenen einzuführen, die mit dem Urheberrecht verbundene Rechtssicherheit vereitelt würde.

C –    Tragweite der ausschließlichen Rechte nach Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29, die Vervielfältigung von Werken und deren öffentliche Wiedergabe zu erlauben oder zu verbieten

32.      Da hier keine Beschränkung oder Ausnahme im Sinne von Art. 5 der Richtlinie 2001/29 in Frage kommt, ist noch die Tragweite der ausschließlichen Rechte nach den Art. 2 und 3 dieser Richtlinie zu prüfen, um sie der Regelung gegenüberzustellen, um die es im Vorabentscheidungsersuchen geht.

1.      Vorbemerkungen

33.      Die einheitliche Anwendung des Unionsrechts und der Gleichheitssatz verlangen, dass die Begriffe einer Vorschrift des Unionsrechts, die wie die Art. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29 für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen sind(19).

34.      Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden(20). Das Hauptziel der Richtlinie 2001/29 besteht im vorliegenden Fall darin, u. a. für die Urheber ein hohes Schutzniveau zu erreichen(21) und ihnen die Möglichkeit zu geben, für die Nutzung ihrer Werke u. a. bei einer Vervielfältigung oder einer öffentlichen Wiedergabe eine angemessene Vergütung zu erhalten(22).

35.      Nach Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 steht den Urhebern das ausschließliche Recht zu, die Vervielfältigung oder die öffentliche Wiedergabe ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten(23).

36.      Der Gerichtshof hat festgestellt, dass das fragliche ausschließliche Recht vorbeugender Art ist, weil es dem Urheber erlaubt, sich bei Nutzern seines Werks vor der Vervielfältigung (oder der öffentlichen Wiedergabe), die diese Nutzer durchzuführen beabsichtigen, einzuschalten(24), und zwar, um diese zu verbieten.

37.      Folglich hat der Urheber nach Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 das ausschließliche Recht, zu entscheiden, ob und gegebenenfalls wann und wie er die Vervielfältigung oder die öffentliche Wiedergabe seines Werks erlaubt oder verbietet.

2.      Die ausschließlichen Rechte des Urhebers und eine nationale Regelung wie die des Ausgangsverfahrens

a)      Ausdrückliche und vorherige Zustimmung des Urhebers

38.      Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 erfordern meines Erachtens die ausdrückliche und vorherige Zustimmung(25) des Urhebers zu jeder Vervielfältigung oder öffentlichen Wiedergabe – auch in digitaler Form – seines Werks. Diese Zustimmung(26) bildet ein wesentliches Vorrecht der Urheber.

39.      Mangels abweichender europäischer Ausnahmeregelungen(27) kann die vorherige, ausdrückliche Zustimmung des Urhebers zur Vervielfältigung oder öffentlichen Wiedergabe seines Werks nicht abgeschafft, vermutet oder beschränkt werden, indem sie durch eine stillschweigende Zustimmung(28) oder eine Vermutung der Übertragung ersetzt wird, wogegen der Urheber innerhalb einer bestimmten Frist und unter Voraussetzungen, die sich nach dem nationalen Recht richten, Widerspruch einlegen müsste. Daraus folgt, dass eine nationale Regelung wie das streitige Dekret, die die vorherige, ausdrückliche Zustimmung des Urhebers durch eine stillschweigende oder eine vermutete Zustimmung ersetzt, ihm einen wesentlichen Bestandteil seines Rechts des geistigen Eigentums entzieht.

b)      Ändern die Möglichkeit des Widerspruchs und des Entzugs sowie das Recht auf eine Vergütung die Tragweite der fraglichen ausschließlichen Rechte?

40.      Der Umstand, dass der Urheber nach der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit hat, sich dem zu widersetzen(29), dass die SOFIA das Recht, die Vervielfältigung und die öffentliche Wiedergabe seines Werks in digitaler Form zu erlauben, ausübt(30), oder der SOFIA das Recht zu entziehen(31), die Vervielfältigung eines Buches oder dessen öffentliche Wiedergabe in digitaler Form zu erlauben, ändert nichts an dieser Feststellung(32).

41.      Außerdem ändert die Tatsache, dass der Urheber nach der nationalen Regelung für die Vervielfältigung oder die öffentliche Wiedergabe seines Werks eine Vergütung oder eine Entschädigung erhält(33), nichts an der Missachtung seiner ausschließlichen Rechte.

42.      Denn die ausschließlichen Rechte nach Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 umfassen das Recht, für die Nutzung der Werke eine angemessene Vergütung zu erhalten, beschränken sich aber nicht auf dieses Recht. Hierzu hat der Gerichtshof bereits festgestellt, dass das Urheberrecht nach Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 beispielsweise vom Recht mit Entschädigungscharakter(34) der ausübenden Künstler und der Tonträgerhersteller nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2006/115 zu unterscheiden ist.

c)      Hat das Fehlen gewerbsmäßiger Verbreitung des Werks in der Öffentlichkeit einen Einfluss auf den Inhalt der fraglichen ausschließlichen Rechte?

43.      Die Tatsache, dass der Urheber sein Werk nicht zur Gänze nutzt – beispielsweise mangels gewerbsmäßiger Verbreitung in der Öffentlichkeit(35) –, ändert nichts an seinem ausschließlichen Recht, die Vervielfältigung oder die öffentliche Wiedergabe seines Werks zu erlauben oder zu verbieten.

44.      Insoweit vertritt die italienische Regierung die Auffassung, dass „es in der klassischen Ausgestaltung des Eigentumsrechts, die sich aus dem Grundeigentum entwickelt hat, stets zulässig war, dass das Gesetz – neben für dieses Recht spezifischen Beschränkungen, aufgrund deren der Eigentümer wegen des übergeordneten Allgemeininteresses [bestimmte] Handlungen Dritter mit Auswirkungen auf seine Möglichkeit, über seinen Vermögensgegenstand zu verfügen, akzeptieren muss – Fälle vorsehen [konnte], in denen das Recht am Vermögensgegenstand aufgrund der Nichtnutzung erlischt, wenn ihn Dritte produktiv und somit gesellschaftlich nützlich benutzen. Denn obwohl der Eigentümer u. a. auch die Möglichkeit hat, seinen Vermögensgegenstand nicht zu nutzen, das Eigentumsrecht also nicht verjährt, war das Interesse, den Dritten, der, wenngleich ohne Titel, den Vermögensgegenstand tatsächlich nutzt und die Entwicklung von dessen wirtschaftlichem Potenzial ermöglicht, – gegenüber dem Eigentümer, der an seinem Vermögensgegenstand kein Interesse zeigt und ihn somit dem Produktionskreislauf entzieht – zu bevorzugen, seit jeher mit umfasst“.

45.      Auf der Grundlage der hier anwendbaren Vorschriften kann dieser These im vorliegenden Fall nicht gefolgt werden.

46.      Für den Fall, dass der Urheber seine ausschließlichen Rechte nach Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 nicht oder nur zum Teil ausübt, ist in dieser Richtlinie nämlich keinerlei Sanktion oder Konsequenz vorgesehen. Folglich bleiben die fraglichen ausschließlichen Rechte auch dann unberührt(36), wenn sie von ihrem Inhaber nicht „genutzt“ werden.

47.      Diese Auslegung wird auch durch die Richtlinie 2012/28 bestätigt.

48.      Diese Richtlinie betrifft bestimmte Formen der Nutzung sogenannter verwaister Werke, d. h. urheberrechtlich geschützter Werke, deren Rechteinhaber nicht ermittelt werden konnte oder zwar ermittelt, aber nicht ausfindig gemacht werden konnte. Sie wurde erlassen, weil es „[i]m Falle verwaister Werke … nicht möglich [ist], eine solche vorherige Zustimmung zur Vervielfältigung oder zur öffentlichen Zugänglichmachung einzuholen“(37).

49.      Hierzu bestimmt Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2012/28, dass die Mitgliedstaaten Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf die Rechte auf Vervielfältigung und öffentliche Zugänglichmachung gemäß den Art. 2 bzw. 3 der Richtlinie 2001/29 vorsehen, um sicherzustellen, dass es den in Art. 1 Abs. 1(38) der Richtlinie 2012/28 genannten Einrichtungen gestattet ist, in ihren Sammlungen enthaltene verwaiste Werke(39) u. a. zum Zweck der Digitalisierung zu vervielfältigen und sie öffentlich zugänglich zu machen.

50.      Die in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2012/28 vorgesehene Ausnahme oder Beschränkung in Bezug auf die Art. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29 ist somit eng begrenzt.

51.      Außerdem sieht Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2012/28 vor, dass „[d]ie in Artikel 1 Absatz 1 genannten Einrichtungen … ein verwaistes Werk gemäß Absatz 1 … nur [nutzen], um Ziele im Zusammenhang mit ihren im Gemeinwohl liegenden Aufgaben zu verfolgen, insbesondere die Bewahrung, die Restaurierung sowie die Bereitstellung des kulturellen und bildungspolitischen Zwecken dienenden Zugangs zu Werken und Tonträgern, die in ihrer Sammlung enthalten sind. Die Einrichtungen dürfen bei einer solchen Nutzung ausschließlich zur Deckung ihrer Kosten für die Digitalisierung verwaister Werke und ihre öffentliche Zugänglichmachung Einnahmen erwirtschaften“(40).

52.      Es wäre meines Erachtens paradox, wenn nach der Richtlinie 2012/28 für die Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe eines verwaisten Werks viel strengere Voraussetzungen bestünden als nach einer nationalen Regelung wie der des Ausgangsverfahrens für die entsprechende Nutzung sogenannter „vergriffener“ Bücher(41).

53.      Denn entgegen der Richtlinie 2012/28, die vor der Nutzung des Werks eine sorgfältige und nach Treu und Glauben durchgeführte Suche nach den Rechteinhabern verlangt, muss nach der fraglichen nationalen Regelung der Urheber nicht einzeln angesprochen werden. Gemäß Art. L. 134‑3 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum hat der Urheber, wenn ein Buch in die in Art. L. 134‑2 genannte Datenbank eingetragen wird, sechs Monate Zeit, dem zu widersprechen, dass die SOFIA das Recht ausübt, die Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe seines Werks in digitaler Form zu erlauben. Des Weiteren erfasst die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung die gewerbsmäßige Nutzung sogenannter „vergriffener“ Bücher, während Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 2012/28 jede gewerbsmäßige Nutzung des verwaisten Werks ausdrücklich ausschließt.

d)      Zu den von der fraglichen nationalen Regelung vorgesehenen Verwaltungsregeln

54.      Die SOFIA(42), die französische(43), die deutsche und die polnische Regierung gehen davon aus, dass die Regelung des Ausgangsverfahrens den Schutz des Urheberrechts nicht berühre und bloß eine Regelung für die Verwaltung bestimmter Rechte darstelle, da Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 nicht dem entgegenstünden, dass die Mitgliedstaaten die Regeln für die Verwaltung der Urheberrechte festlegten.

55.      Meines Erachtens verstößt eine solche Konzeption des Urheberrechts gegen Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29(44). Denn dadurch, dass diese Bestimmungen das ausschließliche Recht des Urhebers vorsehen, die Vervielfältigung oder öffentliche Wiedergabe seiner Werke zu erlauben oder zu verbieten, betreffen sie auch die Art, auf die der Urheber diese Rechte ausübt.

56.      Zwar werden durch die Richtlinie 2001/29 die Regelungen der betreffenden Mitgliedstaaten für die Verwaltung von Urheberrechten nicht harmonisiert und nicht berührt(45), jedoch hat der Unionsgesetzgeber seine Befugnisse im Bereich des geistigen Eigentums ausgeübt, indem er vorgesehen hat, dass dem Urheber grundsätzlich das ausschließliche Recht zusteht, die Vervielfältigung und die öffentliche Wiedergabe seines Werks zu erlauben oder zu verbieten.

57.      Unter diesen Voraussetzungen können die Mitgliedstaaten keine Regeln für die Verwaltung mehr erlassen, die die Regelung der Union in Frage stellen(46), auch dann nicht, wenn damit ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel(47) verfolgt würde. Denn bevor die Verwaltung des Rechts auf Vervielfältigung und auf öffentliche Wiedergabe in Betracht kommt, muss der Inhaber dieser ausschließlichen Rechte eine Verwertungsgesellschaft ermächtigt haben, seine Rechte zu verwalten.

58.      Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass die vorangegangenen Erwägungen durch die Richtlinie 2014/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die kollektive Wahrnehmung von Urheber- und verwandten Schutzrechten und die Vergabe von Mehrgebietslizenzen für Rechte an Musikwerken für die Online-Nutzung im Binnenmarkt(48) bestätigt werden, die „die Anforderungen …, die erforderlich sind, um eine ordnungsgemäße Wahrnehmung von Urheber‑ und verwandten Schutzrechten durch Organisationen für die kollektive Rechtewahrnehmung sicherzustellen“(49), festlegt, wenngleich sie zeitlich nicht auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist.

59.      Nach Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2014/26 haben „[d]ie Rechtsinhaber … das Recht, eine Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung ihrer Wahl mit der Wahrnehmung von Rechten, von Kategorien von Rechten oder von Arten von Werken und sonstigen Schutzgegenständen ihrer Wahl in den Gebieten ihrer Wahl ungeachtet des Mitgliedstaats der Staatsangehörigkeit, des Wohnsitzes oder der Niederlassung der Organisation für die kollektive Rechtewahrnehmung beziehungsweise des Rechtsinhabers zu beauftragen“(50). Eine Regelung wie die des Ausgangsverfahrens stünde nicht im Einklang mit diesem Artikel.

60.      Zudem geht aus Art. 5 Abs. 7 der Richtlinie 2014/26 klar hervor, dass der Inhaber eines Urheberrechts „ausdrücklich für jedes Recht oder jede Kategorie von Rechten oder jede Art von Werken und jeden sonstigen Schutzgegenstand seine Zustimmung zur Wahrnehmung dieser Rechte“ erteilen muss. Des Weiteren ist „[d]iese Zustimmung … zu dokumentieren“.

61.      Diese Zustimmung bleibt somit der Eckpunkt der durch einen Urheber ausgeübten ausschließlichen Rechte.

e)      Einfluss der am 20. September 2011 unterzeichneten Absichtserklärung über die Grundprinzipien der Digitalisierung und der Bereitstellung vergriffener Werke(51)

62.      Die SOFIA, die französische, die deutsche und die polnische Regierung führen schließlich aus, die Regelung des Ausgangsverfahrens füge sich in den Zusammenhang der auf Unionsebene durchgeführten Arbeiten ein, deren Ergebnisse in der am 20. September 2011 von Vertretern europäischer Bibliotheken, Autoren, Journalisten, Künstler, Verleger und Verwertungsgesellschaften im Beisein der Kommission unterzeichneten Absichtserklärung über die Grundprinzipien der Digitalisierung und der Bereitstellung vergriffener Werke(52) (im Folgenden: Erklärung) festgehalten worden seien. Die Erklärung, auf die die Richtlinie 2012/28 ausdrücklich verweise(53), berücksichtige die Möglichkeit, die vergriffenen Bücher in großem Maßstab zu digitalisieren, um sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. In der Erklärung werde zudem eingeräumt, dass die Zustimmung der Urheber zur kollektiven Wahrnehmung der entsprechenden Nutzungsrechte angenommen werden könne, sofern zum einen alles unternommen worden sei, um sie darüber zu informieren, und zum anderen ihre Interessen durch Möglichkeiten des Nichtbeitritts oder des Entzugs geschützt würden.

63.      Der vierte Erwägungsgrund der Richtlinie 2012/28 lautet: „Diese Richtlinie lässt in den Mitgliedstaaten entwickelte spezifische Lösungen zur umfassenderen Massendigitalisierung, wie im Fall der sogenannten ‚vergriffenen Werke‘, unberührt. Diese Lösungen berücksichtigen die Besonderheiten der verschiedenen Arten von Inhalten und der verschiedenen Nutzer und bauen auf dem Konsens der maßgeblichen Interessengruppen auf. Dieser Ansatz wurde auch in der [Erklärung] verfolgt. Diese Richtlinie lässt diese [Erklärung] unberührt, in der die Mitgliedstaaten und die Kommission aufgefordert werden, zu gewährleisten, dass zwischen Nutzern, Rechteinhabern und Verwertungsgesellschaften auf freiwilliger Basis geschlossenen Vereinbarungen über die Vergabe von Lizenzen für die Nutzung vergriffener Werke nach den in der [Erklärung] enthaltenen Grundsätzen die erforderliche Rechtssicherheit im nationalen und grenzüberschreitenden Rahmen zugutekommt.“(54)

64.      Meines Erachtens hat diese Erklärung keine Rechtsverbindlichkeit, die die Tragweite der in Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen ausschließlichen Rechte beschränken könnte, und enthält lediglich eine an die Kommission und die Mitgliedstaaten gerichtete Aufforderung, die Rechtssicherheit von zwischen Nutzern, Rechteinhabern und Verwertungsgesellschaften auf freiwilliger Basis geschlossenen Vereinbarungen(55) zu gewährleisten. Von auf „freiwilliger Basis geschlossenen Vereinbarungen“ ist aber in der fraglichen nationalen Regelung gar nicht die Rede.

VI – Ergebnis

65.      Ohne das legitime Ziel, vergriffene Bücher erforderlichenfalls unter Verwendung neuer Technologien wieder zum Leben zu erwecken, zu verneinen, schlage ich dem Gerichtshof angesichts der Ziele der Richtlinie 2001/29, des klaren Wortlauts von deren Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1, des Fehlens einer Ausnahme vom Grundsatz der ausdrücklichen und vorherigen Zustimmung sowie des Fehlens anderer unionsrechtlicher Bestimmungen, die in eine andere Richtung weisen würden, vor, die vom Conseil d'État (Staatsrat, Frankreich) zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage folgendermaßen zu beantworten:

Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft stehen einer Regelung wie der durch die Art. L. 134‑1 bis L. 134‑9 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum eingeführten, die zugelassenen Verwertungsgesellschaften die Ausübung des Rechts überträgt, die Vervielfältigung und Darstellung „vergriffener Bücher“ in digitaler Form zu erlauben, selbst dann entgegen, wenn sie den Urhebern dieser Bücher oder deren Rechtsnachfolgern unter bestimmten von ihr festgelegten Voraussetzungen gestattet, sich dieser Ausübung zu widersetzen oder sie zu beenden.


1 –      Originalsprache: Französisch.


2 –      ABl. 2001, L 167, S. 10.


3 –      JORF vom 1. März 2013, S. 3835. Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass das Gesetz über vergriffene Bücher auf Bücher anwendbar ist, die in Frankreich zwischen dem 1. Januar 1900 und dem 31. Dezember 2000 veröffentlicht wurden.


4 –      Art. L. 122-1 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum bestimmt, dass „[d]as Nutzungsrecht des Urhebers das Darstellungs- und das Vervielfältigungsrecht [umfasst]“. Art. L. 122-2 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum bestimmt, dass „die Darstellung in der öffentlichen Wiedergabe des Werks durch irgendein Verfahren [besteht]“. Vgl. entsprechend Art. 3 der Richtlinie 2001/29.


5 –      Vgl. Art. L. 134-3 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum.


6 –      Nach Ansicht der französischen Regierung wird das Recht, die Vervielfältigung und die öffentliche Wiedergabe des Werks zu erlauben, von der SOFIA im Rahmen eines widerrufbaren gesetzlichen Auftrags erteilt. Sie merkt an, dass sich der Urheber nach einer Frist von sechs Monaten „jederzeit die Möglichkeit [bewahrt], unter den gesetzlichen Voraussetzungen das Recht auszuüben, aus dem System der kollektiven Rechtewahrnehmung auszuscheiden“. Vgl. Rn. 8 der Erklärungen der französischen Regierung.


7 –      Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29 erfasst urheberrechtlich geschützte Werke einschließlich literarischer Werke wie Bücher. Hierzu halte ich fest, dass vom streitigen Dekret nur Bücher erfasst sind.


8 –      Urteil vom 12. September 2006, Laserdisken (C‑479/04, EU:C:2006:549, Rn. 25).


9 –      Im Urteil vom 11. September 2014, Eugen Ulmer (C‑117/13, EU:C:2014:2196, Rn. 37), hat der Gerichtshof festgestellt, dass „die Digitalisierung eines Werks, da sie im Wesentlichen darin besteht, es vom analogen in das digitale Format umzuwandeln, eine Handlung zur Vervielfältigung des Werks darstellt“ und folglich vom ausschließlichen Recht nach Art. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29 erfasst wird.


10 –      Der Begriff „öffentliche Wiedergabe“ in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 ist im weiten Sinn zu verstehen, wie übrigens deren 23. Erwägungsgrund ausdrücklich bestimmt, dem zufolge „[m]it dieser Richtlinie … das für die öffentliche Wiedergabe geltende Urheberrecht weiter harmonisiert werden [sollte]. Dieses Recht sollte im weiten Sinne verstanden werden, nämlich dahin gehend, dass es jegliche Wiedergabe an die Öffentlichkeit umfasst, die an dem Ort, an dem die Wiedergabe ihren Ursprung nimmt, nicht anwesend ist. Dieses Recht sollte jegliche entsprechende drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Übertragung oder Weiterverbreitung eines Werks, einschließlich der Rundfunkübertragung, umfassen“. Vgl. Urteil vom 7. März 2013, ITV Broadcasting u. a. (C‑607/11, EU:C:2013:147, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Begriff „Wiedergabe“ umfasst jede Übertragung geschützter Werke unabhängig vom eingesetzten technischen Mittel oder Verfahren. (Urteil vom 4. Oktober 2011, Football Association Premier League u. a. [C‑403/08 und C‑429/08, EU:C:2011:631, Rn. 193]). Im Urteil vom 13. Februar 2014, Svensson u. a. (C‑466/12, EU:C:2014:76, Rn. 19), hat der Gerichtshof befunden: „Wie aus Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 hervorgeht, reicht es für eine ‚Handlung der Wiedergabe‘ insbesondere aus, wenn ein Werk einer Öffentlichkeit in der Weise zugänglich gemacht wird, dass deren Mitglieder dazu Zugang haben, ohne dass es darauf ankommt, ob sie diese Möglichkeit nutzen oder nicht“. Der Begriff „Öffentlichkeit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 umfasst eine unbestimmte Zahl potenzieller Adressaten und impliziert zudem eine ziemlich große Zahl von Personen (Urteil vom 7. März 2013, ITV Broadcasting u. a. [C‑607/11, EU:C:2013:147, Rn. 32]).


11 –      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. März 2013, ITV Broadcasting u. a. (C‑607/11, EU:C:2013:147, Rn. 24). In Rn. 39 dieses Urteils hat der Gerichtshof befunden, dass bei einer Übertragung der in eine terrestrische Fernsehsendung integrierten Werke und der Zugänglichmachung dieser Werke über das Internet „jede dieser beiden Übertragungen einzeln und getrennt von den betreffenden Urhebern erlaubt werden [muss], da jede von ihnen unter spezifischen technischen Bedingungen nach einem unterschiedlichen Verfahren zur Verbreitung der geschützten Werke durchgeführt wird und jede für die Öffentlichkeit bestimmt ist“. Hervorhebung nur hier. Nach der Feststellung des Gerichtshofs in Rn. 15 des Urteils vom 13. Februar 2014, Svensson u. a. (C‑466/12, EU:C:2014:76), ergibt sich „aus Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29, dass jede Handlung der öffentlichen Wiedergabe eines Werkes vom Inhaber des Urheberrechts erlaubt werden muss“.


12 –      Vgl. entsprechend Urteil vom 27. Februar 2014, OSA (C‑351/12, EU:C:2014:110, Rn. 36).


13 –      Die Kläger des Ausgangsverfahrens, die französische, die deutsche und die italienische Regierung, die SOFIA (hilfsweise) sowie die Kommission vertreten die Ansicht, dass eine nationale Regelung wie das streitige Dekret keine Ausnahme oder Beschränkung im Sinne von Art. 5 der Richtlinie 2001/29 darstelle. Nach Auffassung der deutschen Regierung „unterscheidet sich [eine solche Regelung] grundsätzlich von einer Ausnahme oder Beschränkung im Sinne von Artikel 5 der Richtlinie 2001/29“. Der französischen Regierung zufolge „stellt die französische Regelung über vergriffene Werke, sollte der Gerichtshof davon ausgehen, dass sie in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/29 fällt, … keine Ausnahme oder Beschränkung im Sinne von Art. 5 der Richtlinie 2001/29 dar“. Die SOFIA schlägt (äußerst hilfsweise) vor, die Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen, dass die in ihrem Art. 5 genannten Ausnahmen nicht abschließend sind, so dass sie es einem Mitgliedstaat nicht verwehrt, eine Regelung zu erlassen, durch die wie im vorliegenden Fall eine zusätzliche Ausnahme von dem durch ihren Art. 2 garantierten ausschließlichen Vervielfältigungsrecht eingeführt wird. Der italienischen Regierung zufolge „scheint die streitige Regelung … auf Voraussetzungen und Rechtfertigungen zu verweisen, die sich von den in Art. 5 der Richtlinie [2001/29] vorgesehenen unterscheiden“. Sie vertritt die Auffassung, dass sich das fragliche Gesetz „– obwohl es mit einer Opt-out-Regelung versehen ist – als eine Art Zwangslizenz darstellt, die mit keinem der vom Unionsgesetzgeber vorgesehenen Fälle vergleichbar ist und im internationalen Umfeld völlig neu zu sein scheint“.


14 –      Das Ziel dieses Art. 5 bestand u. a. darin, den Mitgliedstaaten die Wahrnehmung ihrer Zuständigkeiten u. a. im Bereich Ausbildung und Unterricht zu ermöglichen und einen angemessenen Rechts- und Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Kategorien von Rechtsinhabern sowie zwischen den verschiedenen Kategorien von Rechtsinhabern und Nutzern von Schutzgegenständen zu sichern. Vgl. hierzu Urteil vom 12. September 2006, Laserdisken (C‑479/04, EU:C:2006:549, Rn. 78). Der 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 lautet: „Ziel dieser Richtlinie ist es auch, Lernen und kulturelle Aktivitäten durch den Schutz von Werken und sonstigen Schutzgegenständen zu fördern; hierbei müssen allerdings Ausnahmen oder Beschränkungen im öffentlichen Interesse für den Bereich Ausbildung und Unterricht vorgesehen werden.“ Vgl. entsprechend Urteil vom 12. November 2015, Hewlett-Packard Belgium (C‑572/13, EU:C:2015:750, Rn. 54).


15 –      Nach dem 32. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 sind „[d]ie Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Wiedergabe … in dieser Richtlinie erschöpfend aufgeführt. Einige Ausnahmen oder Beschränkungen gelten, soweit dies angemessen erscheint, nur für das Vervielfältigungsrecht“. Mit anderen Worten enthält die Richtlinie 2001/29 keine allgemeine, auf abstrakten Kriterien beruhende Ausnahme wie etwa die Ausnahme des fair use (angemessene Nutzung), die beispielsweise in § 107 des Urheberrechtsgesetzes der Vereinigten Staaten (U. S. Code, Titel 17, § 107) vorgesehen ist. Denn auch wenn diese Bestimmung eine beispielhafte und somit nicht abschließende Liste von Ausnahmen vom Urheberrecht enthält, sieht sie gleichwohl vor, dass die Nutzung eines Werks in einem bestimmten Fall angemessen sein muss, was die Prüfung und Abwägung von vier Faktoren mit sich bringt, nämlich erstens des Ziels und der Art der Nutzung des Werks, einschließlich der Frage, ob diese Nutzung zu kommerziellen oder zu gemeinnützigen Bildungszwecken erfolgt, zweitens der Art des geschützten Werks, drittens des Umfangs und der Bedeutung des genutzten Teils im Verhältnis zum geschützten Werk in seiner Gesamtheit und viertens die Auswirkung der Nutzung auf den potenziellen Markt oder den Wert des geschützten Werks.


16 –      Urteil vom 12. September 2006, Laserdisken (C‑479/04, EU:C:2006:549, Rn. 79). Hervorhebung nur hier.


17 –      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Oktober 2011, Football Association Premier League u. a. (C‑403/08 und C‑429/08, EU:C:2011:631, Rn. 181). In der Rechtssache, in der das Urteil vom 10. April 2014, ACI Adam u. a. (C‑435/12, EU:C:2014:254, Rn. 25 und 26), ergangen ist, hat der Gerichtshof festgestellt, dass in Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29 keine Ausnahmen oder Beschränkungen, die die Mitgliedstaaten in Bezug auf die erfassten Rechte vorsehen könnten, festgelegt sind, sondern lediglich die Reichweite der in den vorangehenden Absätzen dieser Vorschrift festgelegten Ausnahmen und Beschränkungen bestimmt wird. Daher soll Art. 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29 nicht die Reichweite der einzelnen in den vorangehenden Absätzen dieser Vorschrift vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen ausdehnen.


18 –      Außerdem sind die einzelnen Ausnahmen und Beschränkungen nach Art. 5 der Richtlinie 2001/29, da sie von den in den Art. 2 bis 4 dieser Richtlinie vorgesehenen Rechten abweichen, eng auszulegen. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. April 2014, ACI Adam u. a. (C‑435/12, EU:C:2014:254, Rn. 22 und 23). In der Rechtssache, in der das Urteil vom 27. Februar 2014, OSA (C‑351/12, EU:C:2014:110), ergangen ist, hat der Gerichtshof die Tragweite dieser Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf die verschiedenen ausschließlichen Rechte eng ausgelegt und eine analoge Anwendung abgelehnt. In den Rn. 38 und 40 dieses Urteils hat der Gerichtshof nämlich befunden, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2001/29 nur für Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf das in Art. 2 dieser Richtlinie vorgesehene Vervielfältigungsrecht eine Grundlage bildet und daher nicht als Grundlage für Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf das in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie vorgesehene ausschließliche Recht der Urheber dienen kann, die öffentliche Wiedergabe ihrer Werke zu erlauben oder zu verbieten.


19 –      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 2009, Infopaq International (C‑5/08, EU:C:2009:465, Rn. 27), zu Art. 2 der Richtlinie 2001/29 und vom 7. Dezember 2006, SGAE (C‑306/05, EU:C:2006:764, Rn. 31), zu Art. 3 dieser Richtlinie.


20 –      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Dezember 2006, SGAE (C‑306/05, EU:C:2006:764, Rn. 34).


21 –      Nach dem neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 muss „[j]ede Harmonisierung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte … von einem hohen Schutzniveau ausgehen, da diese Rechte für das geistige Schaffen wesentlich sind“. Diese Richtlinie zielt darauf ab, dass die Mitgliedstaaten namentlich in der Informationsgesellschaft den effektiven Schutz des geistigen Eigentums und insbesondere des Urheberrechts sicherstellen. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. Januar 2008, Promusicae (C‑275/06, EU:C:2008:54, Rn. 57).


22 –      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Dezember 2006, SGAE (C‑306/05, EU:C:2006:764, Rn. 36).


23 –      Im Einklang mit den Erklärungen der SOFIA gehe ich davon aus, dass diese Vorschriften den Inhalt der fraglichen Rechte festlegen und deren Inhaber bestimmen. Vgl. in diesem Sinne 21. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29, der folgendermaßen lautet: „Diese Richtlinie sollte den Umfang der unter das Vervielfältigungsrecht fallenden Handlungen in Bezug auf die verschiedenen Begünstigten bestimmen. Dabei sollte der gemeinschaftliche Besitzstand zugrunde gelegt werden. Um die Rechtssicherheit im Binnenmarkt zu gewährleisten, muss die Definition dieser Handlungen weit gefasst sein.“ Hervorhebung nur hier.


24 –      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. März 2012, SCF (C‑135/10, EU:C:2012:140, Rn. 75), und vom 27. Februar 2014, OSA (C‑351/12, EU:C:2014:110, Rn. 36), die sich auf das ausschließliche Recht nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 beziehen. Meines Erachtens gilt dieselbe rechtliche Beurteilung für das ausschließliche Recht nach Art. 2 Buchst. a dieser Richtlinie.


25 –      Vgl. entsprechend Art. 4 der Richtlinie 2001/29. In der Rechtssache, in der das Urteil vom 12. September 2006, Laserdisken (C‑479/04, EU:C:2006:549), ergangen ist, hat der Gerichtshof befunden, dass „[i]n Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 2001/29 … das ausschließliche Recht des Urhebers verankert [ist], die Verbreitung des Originals oder von Vervielfältigungsstücken seines Werks an die Öffentlichkeit in beliebiger Form durch Verkauf oder auf sonstige Weise zu erlauben oder zu verbieten“ (Rn. 19). In Rn. 20 heißt es weiter: „Artikel 4 Absatz 2 regelt die Erschöpfung dieses Rechts. Danach erschöpft sich das Verbreitungsrecht in Bezug auf das Original oder auf Vervielfältigungsstücke eines Werks nur, wenn der Erstverkauf dieses Gegenstands oder eine andere erstmalige Eigentumsübertragung in der Gemeinschaft durch den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung erfolgt.“ Hervorhebung nur hier.


26 –      Vgl. auch sechster Erwägungsgrund der Richtlinie 2012/28/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über bestimmte zulässige Formen der Nutzung verwaister Werke (ABl. 2012, L 299, S. 5), der lautet: „Die ausschließlichen Rechte der Rechteinhaber an der Vervielfältigung ihrer Werke und sonstigen Schutzgegenstände und an ihrer öffentlichen Zugänglichmachung, die mit der Richtlinie 2001/29 … harmonisiert wurden, erfordern für die Digitalisierung und die öffentliche Zugänglichmachung eines Werks oder sonstigen Schutzgegenstands dievorherige Zustimmung des Rechteinhabers.“


27 –      Vgl. u. a. Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (ABl. 2006, L 376, S. 28), der ausdrücklich bestimmt, dass, wenn „ausübende Künstler mit einem Filmproduzenten einen Vertrag als Einzel- oder Tarifvereinbarung über eine Filmproduktion ab[schließen], … vermutet [wird], dass der unter diesen Vertrag fallende ausübende Künstler, sofern in den Vertragsbestimmungen nichts anderes vorgesehen ist, sein Vermietrecht … abgetreten hat“. Vgl. dagegen meine Ausführungen oben zu Art. 5 der Richtlinie 2001/29. Vgl. auch die Bestimmungen der Richtlinie 2012/28.


28 –      Nach Ansicht der italienischen Regierung wird durch das Gesetz über vergriffene Bücher „ein Mechanismus der Vermutung der Zustimmung“ eingerichtet. Der Kommission zufolge macht die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung „die Digitalisierung eines vergriffenen Buches nicht von der vorherigen ausdrücklichen Zustimmung seines Urhebers abhängig. Ebenso wenig verlangt sie von der Verwertungsgesellschaft, dass sie eine solche Zustimmung von den Urhebern einholt, die von der Vervielfältigung oder öffentlichen Wiedergabe ihrer Werke in digitaler Form betroffen sind“.


29 –      Vgl. in diesem Sinne Art. L. 134‑4 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum. Der Urheber kann nämlich innerhalb von sechs Monaten nach Aufnahme des betreffenden Buches in die angegebene Datenbank der Nutzung des Werks widersprechen. Nach Ablauf dieser Frist und nach der Nutzung seines Werks durch die SOFIA kann der Urheber dieser noch widersprechen, wenn er der Ansicht ist, dass die Vervielfältigung oder die Darstellung dieses Buches seiner Ehre oder seinem Ruf schaden kann. Den Klägern des Ausgangsverfahrens zufolge „ist ein solcher Fall höchst unwahrscheinlich, wenn nicht gar illusorisch: Eine solche Verletzung kann nicht durch die Vermarktung eines digitalen Exemplars des Werks erfolgen, es sei denn, die Qualität der Digitalisierung wäre extrem schwach (aber dies verwiese auf das Urheberpersönlichkeitsrecht, nämlich jenes auf Achtung des Werks)“. In der mündlichen Verhandlung hat die französische Regierung vorgetragen, es genüge, dass der Urheber ohne weiteren Beweis eine Verletzung seiner Ehre oder seines Rufs geltend mache.


30 –      Ich bin im Übrigen der Auffassung, dass ein solches Widerspruchsverfahren einer „Förmlichkeit“ gleichkommt, die nach Art. 5 Abs. 2 der am 9. September 1886 in Bern unterzeichneten Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (Pariser Fassung vom 24. Juli 1971), in der am 28. September 1979 geänderten Fassung (im Folgenden: Berner Übereinkunft) unzulässig ist. Denn die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung macht die Wahrung und die Ausübung der fraglichen ausschließlichen Rechte in Bezug auf die sogenannten „vergriffenen“ Bücher davon abhängig, dass der Urheber innerhalb von sechs Monaten Widerspruch erhebt. Sodann ist festzustellen, dass sich die Union, obwohl sie nicht Vertragspartei der Berner Übereinkunft ist, nach Art. 1 Abs. 4 des am 20. Dezember 1996 in Genf angenommenen Urheberrechtsvertrags der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO), dem sie beigetreten ist, der Teil ihrer Rechtsordnung ist und der mit der Richtlinie 2001/29 umgesetzt werden soll, dennoch an die Art. 1 bis 21 der Berner Übereinkunft halten muss. Folglich muss die Union auch Art. 5 Abs. 2 der Berner Übereinkunft nachkommen. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Februar 2012, Luksan (C‑277/10, EU:C:2012:65, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).


31 –      Vgl. Art. L. 134‑6 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum. In der Vorlagefrage benutzt der Conseil d’État seinerseits das Wort „beenden“. Zudem scheint es – vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht –, dass die Möglichkeit des Entzugs durch den Urheber von dem Beweis abhängt, dass er der einzige Inhaber der Rechte der Vervielfältigung und der öffentlichen Wiedergabe in digitaler Form ist. Denn Art. L. 134‑6 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum bestimmt, dass „[d]er Urheber und der Herausgeber, der über das Recht verfügt, ein vergriffenes Buch in gedruckter Form zu vervielfältigen, … der in Art. L. 134‑3 genannten Verwertungsgesellschaft jederzeit gemeinsam ihre Entscheidung mit[teilen], ihr das Recht zu entziehen, die Vervielfältigung oder die Darstellung dieses Buches in digitaler Form zu erlauben“. Hervorhebung nur hier. Nach Ansicht der Kläger des Ausgangsverfahrens steht dieser Beweis „folglich nicht im freien Belieben, sondern fällt vielmehr in die Kategorie der probatio diabolica. In Wahrheit läuft dies darauf hinaus, dass vom Urheber der unmögliche Negativbeweis verlangt wird, dass er die fraglichen Rechte nicht übertragen hat“. In der mündlichen Verhandlung hat die französische Regierung die Ansicht vertreten, dass eine eidesstattliche Erklärung des Urhebers, dass er der einzige Inhaber der Rechte der Vervielfältigung und der öffentlichen Wiedergabe in digitaler Form ist, ausreiche, damit ein Dritter, insbesondere ein Herausgeber, das Gegenteil beweisen müsse. „[D]ie Annahme, dass eine Beschränkung des Urheberrechts für jede Regelung der kollektiven Wahrnehmung der Urheberrechte bestünde, die keine ausdrückliche und individuell erteilte Erlaubnis der betreffenden Urheber vorsähe, sondern auf der Ausübung der Rechte durch die betreffende Verwertungsgesellschaft im Rahmen eines jederzeit widerrufbaren gesetzlichen Auftrags beruhte, wäre überschießend.“


32 –      Ebenfalls aus Art. L. 134‑6 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum geht – vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht – hervor, dass sich die Berechtigten nicht dem widersetzen können, dass die vor der Mitteilung der Entscheidung, der SOFIA das Recht zu entziehen, die Vervielfältigung und die Darstellung des Buches in digitaler Form zu erlauben, begonnene Nutzung eines Buches „während der verbleibenden Dauer der in Art. L. 134‑3 Abs. 1 Unterabs. 2 oder in Art. L. 134‑5 Abs. 3 genannten Erlaubnis höchstens fünf Jahre lang und nicht exklusiv fortgesetzt wird“.


33 –      Vgl. in diesem Sinne Art. L. 134‑3 Abs. 3 Ziff. 5 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum, der eine Aufteilung der Vergütung für die digitale Nutzung sogenannter „vergriffener“ Bücher zwischen den Urhebern und den Herausgebern vorsieht. Die Kläger des Ausgangsverfahrens merken an, dass vor den 90er-Jahren keine Übertragung der Rechte der digitalen Nutzung erfolgt sei. Ihrer Ansicht nach stehen „die Rechte der digitalen Nutzung zweifellos zur Gänze allein den Urhebern zu, die sie mangels ausdrücklicher Übertragung zu keinem Zeitpunkt auf den Herausgeber übertragen haben können. Folglich verpflichtet das Gesetz [über vergriffene Bücher], indem es eine paritätische Zusammensetzung (aus Urhebern und Herausgebern) der Organe der Verwertungsgesellschaft vorschreibt, die Urheber, ihr ausschließliches Recht kollektiv auszuüben und die Vorrechte des Urheberrechts (über die Nutznießer und die Bedingungen einer Nutzungserlaubnis zu entscheiden) mit Dritten ohne Rechtstitel gleichberechtigt zu teilen“. Wenn die Rechte der digitalen Nutzung mangels einer Übertragung auf einen Dritten wie etwa einen Herausgeber zur Gänze bloß den Urhebern zustehen, beeinträchtigt die Regelung zur Aufteilung der Vergütung für die digitale Nutzung sogenannter „vergriffener“ Bücher zwischen den Urhebern und den Herausgebern meines Erachtens auch die ausschließlichen Rechte des Urhebers nach Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29. Vgl. entsprechend Urteil vom 12. November 2015, Hewlett-Packard Belgium (C‑572/13, EU:C:2015:750, Rn. 47 und 48).


34 –      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Februar 2014, OSA (C‑351/12, EU:C:2014:110, Rn. 35).


35 –      Vgl. in diesem Sinne Art. L. 134‑1 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum.


36 –      Vgl. im Umkehrschluss Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 2008, L 299, S. 25) und Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1), die die Möglichkeit vorsehen, für die Nichtbenutzung der Marke Sanktionen zu verhängen, es sei denn, dass berechtigte Gründe vorliegen. In Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95 heißt es beispielsweise: „Eine Marke wird für verfallen erklärt, wenn sie innerhalb eines ununterbrochenen Zeitraums von fünf Jahren in dem betreffenden Mitgliedstaat für die Waren oder Dienstleistungen, für die sie eingetragen ist, nicht ernsthaft benutzt worden ist und keine berechtigten Gründe für die Nichtbenutzung vorliegen.“ Vgl. auch Art. 51 der Verordnung Nr. 207/2009.


37 –      Hervorhebung nur hier. Vgl. siebter Erwägungsgrund der Richtlinie 2012/28.


38 –      Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2012/28 lautet: „Diese Richtlinie betrifft bestimmte Formen der Nutzung verwaister Werke durch öffentlich zugängliche Bibliotheken, Bildungseinrichtungen und Museen sowie Archive, im Bereich des Film- oder Tonerbes tätige Einrichtungen und öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, die in den Mitgliedstaaten ihren Sitz haben, um die Ziele im Zusammenhang mit ihren im Gemeinwohl liegenden Aufgaben zu erreichen.“


39 –      Damit ein Werk als verwaistes Werk angesehen werden kann, muss nach Treu und Glauben nach Inhabern von Rechten an diesem Werk gesucht worden sein. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2012/28 bestimmt nämlich: „Zur Feststellung, ob ein Werk … ein verwaistes Werk ist, sorgen die in Artikel 1 Absatz 1 genannten Einrichtungen dafür, dass eine sorgfältige Suche nach jedem einzelnen Werk … nach Treu und Glauben durchgeführt wird. Die sorgfältige Suche wird vor der Nutzung des Werks … durchgeführt“.


40 –      Hervorhebung nur hier.


41 –      Festzustellen ist zudem, dass die SOFIA in der mündlichen Verhandlung angegeben hat, dass sie beachtliche Ressourcen gezielt dafür verwende, die Urheber aufzufinden, um sie für die Vervielfältigung und die öffentliche Wiedergabe ihrer Werke in digitaler Form zu vergüten. Auf die Frage hin, aus welchem Grund sie diese Ressourcen nicht dafür verwende, die Urheber zu ermitteln, bevor sie die Vervielfältigung und die öffentliche Wiedergabe ihrer Werke in digitaler Form erlaube, und ihre vorherige ausdrückliche Zustimmung einzuholen, hat die SOFIA geantwortet, es wäre zu schwierig, die individuelle Zustimmung der betreffenden Urheber einzuholen.


42 –      Nach Ansicht der SOFIA betrifft die fragliche nationale Regelung nicht den Inhalt des Vervielfältigungsrechts und die von diesem Vorrecht erfassten Handlungen, sondern die Ausübung des Vervielfältigungsrechts aufgrund eines gesetzlichen Auftrags.


43 –      Der französischen Regierung zufolge regelt das streitige Dekret nicht den Inhalt der fraglichen Urheberrechte, sondern bloß die Ausübung dieser Rechte unter bestimmten Voraussetzungen durch vom Minister für Kultur zugelassene Verwertungsgesellschaften. Die Ausübung von Rechten der Vervielfältigung und der öffentlichen Wiedergabe durch eine Verwertungsgesellschaft ziehe keine Übertragung des Eigentumsrechts nach sich, sondern stelle bloß eine Art der kollektiven Ausübung dieser Rechte dar.


44 –      Ich schließe mich den Erklärungen der Kommission an, wonach „die französische Gesetzesregelung, die vorsieht, dass unter bestimmten Umständen diese Rechte in Bezug auf die vergriffenen Bücher von der zugelassenen Gesellschaft und nicht vom Urheber ausgeübt werden, den anwendbaren Bestimmungen der Richtlinie 2001/29 diametral entgegensteht“. Hervorhebung nur hier.


45 –      Vgl. 18. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29: „Diese Richtlinie berührt nicht die Regelungen der betroffenen Mitgliedstaaten für die Verwaltung von Rechten, beispielsweise der erweiterten kollektiven Lizenzen.“


46 –      Vgl. entsprechend Urteil vom 9. Februar 2010, Luksan (C‑277/10, EU:C:2012:65, Rn. 64). Dagegen sind die Mitgliedstaaten, sofern das Erfordernis einer vorherigen ausdrücklichen Zustimmung eingehalten wird, zuständig, die Modalitäten dieser Zustimmung festzulegen, indem sie beispielsweise für die Übertragung der Rechte zur Nutzung des Urheberrechts Schriftform verlangen. Vgl. in diesem Sinne 30. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29, wonach „[d]ie von dieser Richtlinie erfassten Rechte … unbeschadet der einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über das Urheberrecht … übertragen oder abgetreten werden oder Gegenstand vertraglicher Lizenzen sein [können]“.


47 –      Die französische Regierung merkt an, dass das Gesetz über vergriffene Bücher „darauf gerichtet ist, vergriffene Werke nach Modalitäten, die die Vergütung der Urheber und somit die Beachtung des Urheberrechts sicherstellen, zu bewahren und der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen“. Der deutschen Regierung zufolge liegt die fragliche nationale Regelung im Interesse der Rechtsinhaber sowie der Allgemeinheit. Die SOFIA führt aus: „[S]oweit eine Regelung wie die des Ausgangsverfahrens in den Anwendungsbereich von Art. 2 der Richtlinie 2001/29 fällt und eine Ausnahme oder Beschränkung darstellt, die nicht von ihrem Art. 5 zugelassen wird, ist dennoch zu bestimmen, ob eine solche Regelung durch ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel gerechtfertigt werden kann, das darin besteht, einen gerechten Ausgleich zwischen dem durch Art. 17 Abs. 2 der [Charta der Grundrechte der Europäischen Union] geschützten Recht des geistigen Eigentums einerseits und der durch Art. 11 Abs. 1 dieser Charta garantierten Informationsfreiheit andererseits zu schaffen.“


48 –      ABl. 2014, L 84, S. 72.


49 –      Vgl. Art. 1 der Richtlinie 2014/26.


50 –      Hervorhebung nur hier.


51 –      Die Erklärung ist – nur in englischer Sprache – auf der Website der Kommission unter folgender Adresse abrufbar: http://ec.europa.eu/internal_market/copyright/out-of-commerce/index_en.htm.


52 –      Im Anschluss an die Unterschriften der beteiligten Verbände findet sich die Anmerkung „As witnessed by: Michel Barnier, Commissioner for International Market and Services“.


53 –      Vgl. vierter Erwägungsgrund der Richtlinie 2012/28.


54 –      Hervorhebung nur hier.


55 –      Hervorhebung nur hier.