Language of document : ECLI:EU:T:2023:830

Rechtssache T-313/22

Roman Arkadyevich Abramovich

gegen

Rat der Europäischen Union

 Urteil des Gerichts (Erste erweiterte Kammer) vom 20. Dezember 2023

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen – Einfrieren von Geldern – Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Gelder und wirtschaftliche Ressourcen eingefroren werden – Beschränkung der Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten – Liste der Personen, Organisationen und Einrichtungen, deren Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten Beschränkungen unterliegt – Aufnahme des Namens des Klägers in die Listen und Belassung auf den Listen – Begriff ‚führende Geschäftsleute‘ – Art. 2 Abs. 1 Buchst. g des Beschlusses 2014/145/GASP – Begründungspflicht – Verteidigungsrechte – Beurteilungsfehler – Verhältnismäßigkeit – Gleichbehandlung – Eigentumsrecht – Unternehmerische Freiheit – Recht auf Privatleben – Anwendung von Einreisebeschränkungen auf einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats – Freizügigkeit der Unionsbürger“

1.      Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Führende Geschäftsleute, die in Wirtschaftssektoren tätig sind, die für die Regierung der Russischen Föderation eine wesentliche Einnahmequelle darstellen, und mit diesen in Verbindung stehende Personen – Pflicht, in der Begründung die besonderen und konkreten Gründe zur Rechtfertigung dieser Maßnahme anzugeben – Beschluss, der in einem Kontext ergeht, der dem Betroffenen bekannt ist und der es ihm ermöglicht, die Tragweite der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen – Zulässigkeit einer summarischen Begründung

(Art. 296 Abs. 2 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2 Buchst. c; Beschluss 2014/145/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2022/429, [GASP] 2022/1530, [GASP] 2023/572 und [GASP] 2023/811 geänderten Fassung; Verordnungen des Rates Nr. 269/2014, 2022/427, 2022/1529, 2023/571 und 2023/806)

(vgl. Rn. 39-42, 45-47, 50)

2.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Einfrieren von Geldern – Verteidigungsrechte – Folgebeschluss, mit dem der Name des Klägers auf der Liste der von diesen Maßnahmen betroffenen Personen belassen wurde – Keine neuen Gründe – Verpflichtung des Rates, dem Betroffenen die neuen Umstände mitzuteilen, die bei der regelmäßigen Überprüfung der restriktiven Maßnahmen berücksichtigt wurden – Mitteilung der neuen Umstände an die betroffene Person zwecks Stellungnahme

(Beschluss 2014/145/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2022/1530 und [GASP] 2023/572 geänderten Fassung; Verordnungen des Rates Nr. 269/2014, 2022/1529 und 2023/571)

(vgl. Rn. 59)

3.      Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Verteidigungsrechte – Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Anspruch auf vorherige förmliche Anhörung – Fehlen – Verletzung des Anhörungsrechts – Fehlen

(Beschluss 2014/145/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2022/1530 und [GASP] 2023/572 geänderten Fassung; Verordnungen des Rates Nr. 269/2014, 2022/1529 und 2023/571)

(vgl. Rn. 60)

4.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Einfrieren von Geldern führender Geschäftsleute, die in Wirtschaftssektoren tätig sind, die für die Regierung der Russischen Föderation eine wesentliche Einnahmequelle darstellen, und mit diesen in Verbindung stehender Personen – Verteidigungsrechte – Folgebeschluss, mit dem der Name des Klägers auf der Liste der von diesen Maßnahmen betroffenen Personen belassen wurde – Keine neuen Gründe – Keine neuen belastenden Umstände – Mitteilung der belastenden Umstände – Fehlen – Verletzung des Anhörungsrechts – Fehlen

(Beschluss 2014/145/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2022/1530 und [GASP] 2023/572 geänderten Fassung; Verordnungen des Rates Nr. 269/2014, 2022/1529 und 2023/571)

(vgl. Rn. 62, 65-67)

5.      Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Verteidigungsrechte – Recht auf Anhörung – Verpflichtung der Organe, den Standpunkt der Beteiligten zu übernehmen – Fehlen – Verpflichtung zur Beantwortung sämtlicher Argumente der Beteiligten – Fehlen

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2)

(vgl. Rn. 69, 70)

6.      Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Umfang der Kontrolle – Beweis für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme – Pflicht der zuständigen Unionsbehörde, im Streitfall die Stichhaltigkeit der gegen die betroffenen Personen oder Organisationen angeführten Begründung nachzuweisen – Beurteilungsfehler – Fehlen

(Art. 275 Abs 2 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47; Beschluss 2014/145/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2022/429, [GASP] 2022/1530, [GASP] 2023/572 und [GASP] 2023/811 geänderten Fassung; Verordnungen des Rates Nr. 269/2014, 2022/427, 2022/1529, 2023/571 und 2023/806)

(vgl. Rn. 75-79, 102-106, 112, 113, 116, 117, 120, 121)

7.      Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Umfang der Kontrolle – Beweis für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme – Pflicht der zuständigen Unionsbehörde, im Streitfall die Stichhaltigkeit der gegen die betroffenen Personen oder Organisationen angeführten Begründung nachzuweisen – Umfang des Ermessensspielraums der betreffenden zuständigen Behörde – Verwertbarkeit der für eine vorausgegangene Aufnahme in die Liste beigebrachten Beweise, sofern sich die Gründe, die Situation des Klägers und die Lage in der Ukraine nicht geändert haben

(Beschluss 2014/145/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2022/429, [GASP] 2022/1530, [GASP] 2023/572 und [GASP] 2023/811 geänderten Fassung; Verordnungen des Rates Nr. 269/2014, 2022/427, 2022/1529, 2023/571 und 2023/806)

(vgl. Rn. 80, 81)

8.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Kriterien für den Erlass der restriktiven Maßnahmen – Führende Geschäftsleute, die in Wirtschaftssektoren tätig sind, die für die Regierung der Russischen Föderation eine wesentliche Einnahmequelle darstellen, und mit diesen in Verbindung stehende Personen – Begriff – Erfordernis, enge Verbindungen oder ein Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit zwischen der von den Maßnahmen betroffenen Person und der russischen Regierung oder ihren Handlungen nachzuweisen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben – Fehlen

(Beschluss 2014/145/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2022/429, [GASP] 2022/1530, [GASP] 2023/572 und [GASP] 2023/811 geänderten Fassung, Art. 2 Abs. 1 Buchst. g; Verordnung Nr. 269/2014 des Rates, Art. 3 Abs. 1 Buchst. g, Verordnungen des Rates 2022/427, 2022/1529, 2023/571 und 2023/806)

(vgl. Rn. 92-97)

9.      Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Kriterien für den Erlass der restriktiven Maßnahmen – Führende Geschäftsleute, die in Wirtschaftssektoren tätig sind, die für die Regierung der Russischen Föderation eine wesentliche Einnahmequelle darstellen, und mit diesen in Verbindung stehende Personen – Begriff des für die Regierung der Russischen Föderation eine wesentliche Einnahmequelle darstellenden Wirtschaftssektors

(Beschluss 2014/145/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2022/429, [GASP] 2022/1530, [GASP] 2023/572 und [GASP] 2023/811 geänderten Fassung, Art. 2 Abs. 1 Buchst. g; Verordnung Nr. 269/2014 des Rates, Art. 3 Abs. 1 Buchst. g; Verordnungen des Rates 2022/427,  2022/1529, 2023/571 und 2023/806)

(vgl. Rn. 108, 109)

10.    Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Einfrieren von Geldern führender Geschäftsleute, die in Wirtschaftssektoren tätig sind, die für die Regierung der Russischen Föderation eine wesentliche Einnahmequelle darstellen, und mit diesen in Verbindung stehender Personen – Kein Erlass restriktiver Maßnahmen des Rates gegen Geschäftsleute ohne russische Staatsangehörigkeit – Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz – Fehlen

(Beschluss 2014/145/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2022/429, [GASP] 2022/1530, [GASP] 2023/572 und [GASP] 2023/811 geänderten Fassung; Verordnungen des Rates Nr. 269/2014, 2022/427, 2022/1529, 2023/571 und 2023/806)

(vgl. Rn. 127, 130)

11.    Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Einfrieren von Geldern führender Geschäftsleute, die in Wirtschaftssektoren tätig sind, die für die Regierung der Russischen Föderation eine wesentliche Einnahmequelle darstellen, und mit diesen in Verbindung stehender Personen – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit – Angemessenheit der restriktiven Maßnahmen – Restriktive Maßnahmen, mit denen ein legitimes Ziel der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik verfolgt wird

(Art. 5 Abs. 4 und Art. 21 Abs. 2 Buchst. c EUV; Beschluss 2014/145/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2022/429, [GASP] 2022/1530, [GASP] 2023/572 und [GASP] 2023/811 geänderten Fassung; Verordnungen des Rates Nr. 269/2014, 2022/427, 2022/1529, 2023/571 und 2023/806)

(vgl. Rn. 137-141, 144-146, 149)

12.    Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Ukraine – Einfrieren von Geldern bestimmter Personen und Einrichtungen angesichts der Lage in der Ukraine – Einschränkung des Rechts auf Achtung des Privatlebens, des Eigentumsrechts, der unternehmerischen Freiheit sowie des Freizügigkeits- und des Aufenthaltsrechts – Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Fehlen

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 7, 16, 17, 45 und 52 Abs. 1; Beschluss 2014/145/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2022/429, [GASP] 2022/1530, [GASP] 2023/572 und [GASP] 2023/811 geänderten Fassung; Verordnungen des Rates Nr. 269/2014, 2022/427, 2022/1529, 2023/571 und 2023/806)

(vgl. Rn. 155-164, 166)

13.    Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Grundrechte – Unschuldsvermutung – Beschluss über das Einfrieren von Geldern bestimmter Personen und Organisationen angesichts der Lage in der Ukraine – Vereinbarkeit mit dem genannten Grundsatz – Voraussetzungen

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 48 Abs. 1; Beschluss 2014/145/GASP des Rates in der durch die Beschlüsse [GASP] 2022/429, [GASP] 2022/1530, [GASP] 2023/572 und [GASP] 2023/811 geänderten Fassung; Verordnungen des Rates Nr. 269/2014, 2022/427, 2022/1529, 2023/571 und 2023/806)

(vgl. Rn. 167)

14.    Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Rechtswidrigkeit – Schaden – Kausalzusammenhang – Kumulative Voraussetzungen – Nichtvorliegen einer der Voraussetzungen – Abweisung der Schadensersatzklage in vollem Umfang

(Art. 340 Abs. 2 AEUV)

(vgl. Rn. 172-175)

Zusammenfassung

Nach dem militärischen Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine am 24. Februar 2022 erließ der Rat der Europäischen Union am 15. März 2022 den Beschluss 2022/429(1) und die Verordnung 2022/427(2), mit denen Herr Roman Arkadyevich Abramovich in die Listen der Personen, Organisationen und Einrichtungen aufgenommen wurde, die der Rat seit 2014(3) in Anbetracht der Unterstützung von Handlungen aufstellt, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen.

Gegen den Kläger, einen Geschäftsmann mit russischer, israelischer und portugiesischer Staatsangehörigkeit, verhängte der Rat angesichts der engen Verbindungen des Klägers zu Präsident Putin und seiner Eigenschaft als Großaktionär von Evraz, eines der größten Steuerzahler Russlands, gemäß Art. 1 Abs. 1 Buchst. b und e bzw. Art. 2 Abs. 1 Buchst. d und g des Beschlusses 2014/145 in geänderter Fassung ein Verbot der Einreise in und der Durchreise durch das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und ordnete das Einfrieren seiner Gelder und Bankguthaben an. Diese Maßnahmen wurden in Bezug auf den Kläger im September 2022(4), im März 2023(5) und im April 2023(6) aus den gleichen Gründen verlängert.

Der Kläger hat beim Gericht der Europäischen Union Klage erhoben und begehrt sowohl die Nichtigerklärung der Rechtsakte des Rates als auch Ersatz des Schadens, der ihm durch diese Rechtsakte entstanden sein soll.

Das Gericht weist die Klage insgesamt ab und präzisiert den Anwendungsbereich des Aufnahmekriteriums nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. g des Beschlusses 2014/145 (im Folgenden: Kriterium zu Buchst. g), das auf die Eigenschaft als führender Geschäftsmann abstellt, der in Wirtschaftssektoren tätig ist, die für die Regierung Russlands eine wesentliche Einnahmequelle darstellen.

Würdigung durch das Gericht

Zur Begründungspflicht weist das Gericht zunächst darauf hin, dass ein beschwerender Rechtsakt hinreichend begründet ist, wenn er in einem Kontext ergangen ist, der dem Betroffenen bekannt war und es ihm gestattet, die Tragweite der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen. In der Begründung eines Rechtsakts des Rates, mit dem eine restriktive Maßnahme verhängt wird, muss nicht nur die Rechtsgrundlage dieser Maßnahme genannt werden, sondern es müssen auch die besonderen und konkreten Gründe angegeben werden, aus denen der Rat es für angebracht hielt, den Betroffenen einer solchen Maßnahme zu unterwerfen. Im vorliegenden Fall waren dem Kläger Kontext und Umstände des Erlasses der angefochtenen Rechtsakte wohlbekannt. Außerdem werden in der Begründung der angefochtenen Rechtsakte ausdrücklich die Aufnahmekriterien und die tatsächlichen Gründe genannt, aus denen der Rat beschlossen hat, den Namen des Klägers in die fraglichen Listen aufzunehmen bzw. ihn auf diesen Listen zu belassen. Das Gericht kommt daher zu dem Ergebnis, dass in den angefochtenen Rechtsakten die ihnen zugrunde liegenden rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte rechtlich hinreichend angegeben sind.

Zum Recht des Klägers auf Anhörung stellt das Gericht sodann fest, dass der alleinige Umstand, dass der Rat nicht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass für die Verlängerung der restriktiven Maßnahmen keine stichhaltigen Gründe gegeben seien, und er es auch nicht für notwendig erachtet hat, angesichts der vom Kläger vorgelegten Stellungnahmen Überprüfungen vorzunehmen, nicht bedeutet, dass er von dieser Stellungnahme keine Kenntnis genommen hat. Denn die Achtung der Verteidigungsrechte und des Rechts auf Anhörung verlangt zwar, dass die Unionsorgane der von einer beschwerenden Maßnahme betroffenen Person Gelegenheit geben, ihren Standpunkt sachgerecht zu vertreten, verpflichtet sie aber nicht dazu, diesen Standpunkt zu übernehmen. Das Gericht kommt daher zu dem Schluss, dass der Rat seine Verpflichtungen in Bezug auf das Recht des Klägers auf Anhörung erfüllt hat.

Zur Aufnahme des Klägers in die Listen auf der Grundlage des Kriteriums zu Buchst. g stellt das Gericht fest, dass dieses Kriterium ohne weitere, auf eine unmittelbare oder mittelbare Verbindung mit der russischen Regierung bezogene Voraussetzungen auf den Begriff „führende Geschäftsleute“ im Zusammenhang mit einer Tätigkeit „in Wirtschaftssektoren [abstellt]…, die eine wesentliche Einnahmequelle für die [russische] Regierung …darstellen“. In diesem Zusammenhang besteht eine logische Verknüpfung zwischen der Ausrichtung auf diese Personengruppe und dem Ziel der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen, das darin besteht, den Druck auf Russland und die Kosten für dessen Handlungen gegen die Ukraine zu erhöhen. Folglich ist das Kriterium zu Buchst. g zum einen dahin auszulegen, dass es für Geschäftsleute gilt, die wegen ihrer Bedeutung in ihrem Tätigkeitsbereich und der Bedeutung dieses Bereiches für die russische Wirtschaft als einflussreich angesehen werden, und zum anderen dahin, dass diejenigen Wirtschaftssektoren für die russische Regierung eine wesentliche Einnahmequelle darstellen müssen, in denen diese Personen tätig sind.

Im vorliegenden Fall ist der Rat nach Auffassung des Gerichts zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger insbesondere aufgrund seines beruflichen Status, der Bedeutsamkeit seiner wirtschaftlichen Tätigkeiten, des Umfangs seiner Kapitalbeteiligungen an Evraz und namentlich seiner Eigenschaft als Hauptaktionär der Muttergesellschaft dieses Konzerns ein führender Geschäftsmann war.

Zudem hat der Rat ein Bündel hinreichend konkreter, genauer und übereinstimmender Indizien vorgelegt, die belegen können, dass der Wirtschaftssektor, in dem der Kläger tätig ist, für die russische Regierung eine wesentliche Einnahmequelle darstellt. Entgegen dem Vorbringen des Klägers bezieht sich die Wendung „die eine wesentliche Einnahmequelle für die [russische] Regierung … darstellen“ im Sinne des Kriteriums zu Buchst. g auf die Einnahmen aus bedeutenden Wirtschaftsbereichen in Russland und nicht nur auf die von führenden Geschäftsleuten gezahlten Steuern. Im Übrigen ist der Umstand unerheblich, dass die Steuereinnahmen aus dem Stahl- und Bergbausektor hauptsächlich den Haushalten der lokalen föderierten Einheiten zugewiesen werden sollen. Denn diese Einnahmequelle, auch wenn sie nicht für den föderalen Haushalt bestimmt ist und von der Regierung nicht unmittelbar zur Deckung ihrer Militärausgaben verwendet wird, ermöglicht dieser Regierung gleichwohl bei einer Gesamtbetrachtung, ohne danach zu unterscheiden, ob diese Einnahmen aus dem föderalen oder aus regionalen Haushalten stammen, mehr Ressourcen für ihre Handlungen zur Untergrabung der territorialen Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine bereitzustellen.

Folglich hat der Rat beurteilungsfehlerfrei entschieden, den Namen des Klägers in die in Rede stehenden Listen aufzunehmen und ihn auf diesen Listen zu belassen.

Zum Vorbringen des Klägers, die Anwendung des Kriteriums zu Buchst. g durch den Rat sei insofern diskriminierend, als dieses Kriterium Geschäftsleute mit russischer Staatsangehörigkeit und Unternehmen mit russischer Staatszugehörigkeit betreffe und ausländische Unternehmen außer Acht lasse, stellt das Gericht fest, dass dieses Kriterium nicht auf die Staatsangehörigkeit der benannten Personen abstellt, sondern sich auf alle natürlichen Personen bezieht, die führende Geschäftsleute im Sinne dieses Kriteriums sind. Folglich können die von den in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen betroffenen Personen jedwede Staatsangehörigkeit besitzen, sofern sie das genannte Kriterium erfüllen.

Hinsichtlich der Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hält das Gericht die negativen Folgen, die sich aus der Anwendung der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen auf den Kläger ergeben, angesichts der überragenden Bedeutung der mit diesen Maßnahmen verfolgten Ziele, die sich in das übergeordnete Ziel der Erhaltung des Friedens einfügen, nicht für offensichtlich unverhältnismäßig. Das Vorgehen des Rates, aufgrund der sich verschlechternden Lage in der Ukraine den Kreis der von den in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen betroffenen Personen und Organisationen schrittweise zu erweitern, um die verfolgten Ziele zu erreichen, bestätigt dies. Außerdem sind diese Maßnahmen im Hinblick auf die verfolgten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen angemessen und erforderlich, da alternative und weniger belastende Maßnahmen es nicht ermöglichen würden, die verfolgten Ziele ebenso wirksam zu erreichen. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit liegt also nicht vor.

Schließlich stellt das Gericht zu den von der Klägerin geltend gemachten Grundrechtsverletzungen fest, dass die Grundrechte nach Art. 52 Abs. 1 der Charta nicht schrankenlos gewährleistet werden und Einschränkungen unterworfen werden können, sofern die betreffenden Einschränkungen gesetzlich vorgesehen sind, den Wesensgehalt des betreffenden Grundrechts achten, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen entsprechen. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Im Übrigen haben die restriktiven Maßnahmen keinen strafrechtlichen Charakter und beeinträchtigen daher nicht das in Art. 48 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union zuerkannte Recht auf Unschuldsvermutung. Daher sind die Einschränkungen der Grundrechte des Klägers, die sich aus den gegen ihn mit den angefochtenen Rechtsakten erlassenen restriktiven Maßnahmen ergeben, nicht unverhältnismäßig und führen nicht zur Rechtswidrigkeit der genannten Rechtsakte.

Da die Voraussetzung der Rechtswidrigkeit des dem Rat vorgeworfenen Verhaltens nicht erfüllt ist, bleibt schließlich für die außervertragliche Haftung der Union kein Raum. Folglich weist das Gericht den Schadensersatzantrag des Klägers zurück.


1      Beschluss (GASP) 2022/429 des Rates vom 15. März 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2022, L 87I, S. 44).


2      Durchführungsverordnung (EU) 2022/427 des Rates vom 15. März 2022 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2022, L 87I, S. 1).


3      Beschluss 2014/145/GASP des Rates vom 17. März 2014 über restriktive Maßnahmen angesichts von Handlungen, die die territoriale Unversehrtheit, Souveränität und Unabhängigkeit der Ukraine untergraben oder bedrohen (ABl. 2014, L 78, S. 16).


4      Beschluss (GASP) 2022/1530 des Rates vom 14. September 2022 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP (ABl. 2022, L 239, S. 149) und Durchführungsverordnung (EU) 2022/1529 des Rates vom 14. September 2022 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 (ABl. 2022, L 239, S. 1).


5      Beschluss (GASP) 2023/572 des Rates vom 13. März 2023 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP (ABl. 2023, L 75I, S. 134) und Durchführungsverordnung (EU) 2023/571 des Rates vom 13. März 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 (ABl. 2023, L 75I, S. 1).


6      Beschluss (GASP) 2023/811 des Rates vom 13. April 2023 zur Änderung des Beschlusses 2014/145/GASP (ABl. 2023, L 101, S. 67) und Durchführungsverordnung (EU) 2023/806 des Rates vom 13. April 2023 zur Durchführung der Verordnung (EU) Nr. 269/2014 (ABl. 2023, L 101, S. 1).