Language of document : ECLI:EU:T:2010:481

BESCHLUSS DES GERICHTS (Siebte Kammer)

24. November 2010(*)

„Nichtigkeitsklage – Erdgasbinnenmarkt – Art. 22 der Richtlinie 2003/55/EG – Schreiben, in dem die Kommission eine Regulierungsbehörde auffordert, ihre Entscheidung über die Gewährung einer Ausnahme zu ändern – Unanfechtbare Handlung – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑381/09

RWE Transgas a.s. mit Sitz in Prag (Tschechische Republik), Prozessbevollmächtigte: zunächst Rechtsanwälte W. Deselaers, D. Seeliger, S. Einhaus, sodann Rechtsanwälte W. Deselaers, D. Seeliger, S. Einhaus und T. Weck,

Klägerin,

unterstützt durch

Tschechische Republik, vertreten durch M. Smolek als Bevollmächtigten,

Streithelferin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch G. Wilms, B. Schima und O. Beynet als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung, die in dem Schreiben der Kommission vom 12. Juni 2009 an die Bundesnetzagentur gemäß Art. 22 Abs. 4 der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. L 176, S. 57) enthalten sein soll,

erlässt

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

zum Zeitpunkt der Beratung unter Mitwirkung des Präsidenten N. J. Forwood sowie der Richter E. Moavero Milanesi (Berichterstatter) und J. Schwarcz,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Rechtlicher Rahmen

1        Gemäß Art. 22 der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG (ABl. L 176, S. 57) können größere neue Erdgasinfrastrukturen, d. h. Verbindungsleitungen zwischen den Mitgliedstaaten, Flüssig-Erdgas- (LNG-) und Speicheranlagen, auf Antrag und unter bestimmten Bedingungen von den Art. 18 bis 20 und Art. 25 Abs. 2 bis 4 dieser Richtlinie ausgenommen werden. Die Ausnahmeentscheidung wird von der Regulierungsbehörde im Sinne von Art. 25 der Richtlinie 2003/55 oder von der zuständigen Stelle des Mitgliedstaats getroffen und ist ordnungsgemäß zu begründen und zu veröffentlichen.

2        Art. 22 Abs. 4 der Richtlinie 2003/55 sieht vor:

„Die zuständige Behörde übermittelt der Kommission die Ausnahmeentscheidung unverzüglich zusammen mit allen einschlägigen Begleitinformationen. Diese Informationen können der Kommission in einer Zusammenfassung übermittelt werden, anhand deren die Kommission eine fundierte Entscheidung treffen kann.

Die Kommission kann binnen zwei Monaten nach Eingang einer Mitteilung verlangen, dass die betreffende Regulierungsbehörde bzw. der betreffende Mitgliedstaat die Entscheidung über die Gewährung der Ausnahme ändert oder widerruft. Die Zweimonatsfrist kann um einen weiteren Monat verlängert werden, wenn die Kommission zusätzliche Informationen anfordert.

Kommt die betreffende Regulierungsbehörde bzw. der betreffende Mitgliedstaat der Aufforderung nicht binnen vier Wochen nach, so wird nach dem Verfahren des Artikels 30 Absatz 2 umgehend eine endgültige Entscheidung getroffen.

Die Kommission behandelt wirtschaftlich sensible Informationen vertraulich.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

3        Die Klägerin, die RWE Transgas a.s., importiert Gas in die Tschechische Republik und verkauft es an Großhandelskunden. Sie gehört zur RWE-Gruppe, die von der RWE AG mit Sitz in Essen (Deutschland) kontrolliert wird.

4        Die Gasverteilung in der Tschechischen Republik erfolgt über vier regionale Unternehmen. Die Fernleitungstätigkeiten der RWE Gruppe in der Tschechischen Republik sind in der RWE Transgas Net, s.r.o., einer 100 -prozentigen Tochtergesellschaft der Klägerin, zusammengefasst. Die Klägerin kauft alle benötigten Beförderungsleistungen bei der RWE Transgas Net ein.

5        Es ist geplant, mehrere neue Gasleitungen zu bauen, vor allem die auf dem Meeresgrund verlaufende Nord Stream, die Russland und Deutschland durch internationale Gewässer der Ostsee verbinden und die Europäische Union mit Gas aus den russischen Gasfeldern versorgen soll, sowie die Gasleitungen OPAL und Gazelle, die durch die Nord Stream beförderte Gasmengen aufnehmen und weiterleiten sollen.

6        Die OPAL soll den Anlandungspunkt der Nord Stream in Lubmin (Deutschland) entlang der polnischen Grenze durch Deutschland mit Brandov (Republik Tschechien) verbinden. Die Gazelle, die von der Klägerin errichtet und von RWE Transgas Net betrieben wird, soll Brandov durch die Tschechische Republik in südöstlicher Richtung mit Waidhaus (Deutschland) verbinden.

7        Die drei Projekte sind voneinander unabhängig. Wirtschaftlich hängen sie nur insofern zusammen, als die Gasleitungen des gegenwärtigen europäischen Netzwerks nicht ausreichen, um die Gasmengen aus der Nord Stream aufzunehmen.

8        Was das Gasleitungsvorhaben OPAL anbelangt, beantragten die beiden Betreiber, die OPAL NEL Transport GmbH und die E.ON Ruhrgas Nord Stream Anbindungsgesellschaft mbH im Juli und August 2008 bei der Bundesnetzagentur (im Folgenden: BNetzA) jeweils, das Vorhaben der Anwendung der Bestimmungen des § 28a des Energiewirtschaftsgesetzes (im Folgenden: EnWG) vom 7. Juli 2005 (BGBl. 2005 I S. 1970), durch das die Richtlinie 2003/55 in Deutschland umgesetzt worden ist, zu entziehen.

9        Am 25. Februar 2009 erließ die BNetzA zwei Beschlüsse, mit denen die beantragten Ausnahmen von den Bestimmungen der §§ 20 bis 25 EnWG über den regulierten Zugang Dritter zum Netz und die Festsetzung der Tarife für einen Zeitraum von 22 Jahren gewährt wurden, da die Gasleitung im Wesentlichen eine Verbindung im Sinne der Richtlinie 2003/55 darstelle und die Voraussetzungen des innerstaatlichen Rechts zur Umsetzung von Art. 22 dieser Richtlinie erfülle.

10      Am 13. März 2009 übermittelte die BNetzA der Kommission der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 22 Abs. 4 der Richtlinie 2003/55 die fraglichen Ausnahmeentscheidungen. Am 26. März 2009 veröffentlichte die Kommission eine Bekanntmachung der Notifizierung dieser Ausnahmeentscheidungen und forderte Dritte auf, binnen zwei Wochen, d. h. bis zum 9. April 2009, dazu Stellung zu nehmen.

11      Mit Schreiben vom 12. Juni 2009 (im Folgenden: angefochtenes Schreiben) verlangte die Kommission gemäß Art. 22 Abs. 4 der Richtlinie 2003/55 von der BNetzA Folgendes:

„Um die Verbesserung des Wettbewerbs bei der Gasversorgung sicherzustellen, wird die BNetzA aufgefordert, ihre Ausnahmeentscheidung dahingehend zu ändern, dass die folgenden Bedingungen aufgenommen werden:

Die Kapazitätsbuchungen von marktbeherrschenden Unternehmen sollen nach folgenden Prinzipien begrenzt werden:

(a) Ein Unternehmen[,] das in einem oder mehreren der relevanten vor- oder nachgelagerten Erdgasmärkte, welche die Tschechische Republik oder Lieferung von Gas in die Tschechische Republik umfassen, marktbeherrschend ist, darf, vorbehaltlich der Regelung in Buchstabe (b), in keinem Jahr mehr als 50 % der Ausspeisekapazität der OPAL-Pipeline an der tschechischen Grenze buchen. Die Buchungen von Unternehmen, die zur selben Unternehmensgruppe gehören wie Gazprom und Wingas[,] werden zusammen betrachtet … Buchungen von marktbeherrschenden Unternehmen bzw. Unternehmensgruppen, zwischen denen langfristige und wesentliche Gasliefervereinbarungen bestehen (wie zwischen RWE Transgas und Gazprom), werden aggregiert betrachtet, d. h. die Buchungen beider Unternehmen zusammen dürfen 50 % nicht überschreiten.

(b) Die Kapazitätsobergrenze von 50 % darf überschritten werden, wenn das betroffene Unternehmen (bzw. die betroffenen Unternehmen) auf der OPAL eine Gasmenge von 3 Mrd. m3/a dem Markt in einem offenen, transparenten und nichtdiskriminierenden Verfahren anbietet (‚Gas Release-Programm‘). Die Betreibergesellschaft bzw. das (die) Unternehmen, welche(s) zur Ausführung des Gas-Release-Programmes verpflichtet ist (sind), muss (müssen) die Verfügbarkeit korrespondierender Transportkapazität mit frei wählbarem Ausspeisepunkt gewährleisten (‚Capacity-Release-Programm[‘])- Die Ausgestaltung des Gas-Release- und des Capacity-Release-Programmes ist von der BNetzA zu genehmigen.“

12      Die BNetzA übernahm mit Beschluss vom 7. Juli 2009 wörtlich die in dem angefochtenen Schreiben von der Kommission angesprochenen Nebenbestimmungen. Am 16. Juli 2009 erhielt die Klägerin von dem angefochten Schreiben Kenntnis.

 Verfahren und Anträge der Parteien

13      Mit Klageschrift, die am 25. September 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

14      Mit Schreiben, das am 26. Oktober 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Concord Power Nordal GmbH beantragt, in der vorliegenden Rechtssache als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerin zugelassen zu werden, ihren Antrag auf Zulassung als Streithelferin aber mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 zurückgezogen.

15      Am 18. Dezember 2009 hat die Kommission nach Art. 114 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts gegen die Klage eine Unzulässigkeitseinrede erhoben.

16      Der Präsident der Siebten Kammer des Gerichts hat Concord Power Nordal mit Beschluss vom 1. Februar 2010 als Streithilfeantragstellerin gestrichen.

17      Die Klägerin hat am 18. Februar 2010 zur Unzulässigkeitseinrede Stellung genommen.

18      Mit Beschluss des Präsidenten der Siebten Kammer des Gerichts vom 22. Februar 2010 ist die Tschechische Republik als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerin zugelassen worden, und sie hat am 31. März 2010 ihren auf die Frage der Zulässigkeit der Klage beschränkten Streithilfeschriftsatz eingereicht.

19      Die Klägerin beantragt,

–        den 89. Erwägungsgrund Buchst. a Satz 3 des angefochtenen Schreibens für nichtig zu erklären,

–        hilfsweise, das angefochtene Schreiben insgesamt für nichtig zu erklären,

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

20      In ihrer Stellungnahme zur Unzulässigkeitseinrede beantragt die Tschechische Republik,

–        die Unzulässigkeitseinrede zurückzuweisen,

–        die Klage für zulässig zu erklären.

21      Die Kommission beantragt,

–        die Klage für unzulässig zu erklären,

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

22      Nach Art. 114 § 1 der Verfahrensordnung kann das Gericht auf Antrag einer Partei vorab über die Unzulässigkeit entscheiden.

23      Im vorliegenden Fall ist das Gericht in der Lage, aufgrund des Akteninhalts zu entscheiden, so dass über die auf die Art des angefochtenen Schreibens gestützte Unzulässigkeitseinrede der Kommission ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden ist.

 Vorbringen der Parteien

24      Die Kommission macht geltend, das angefochtene Schreiben stelle keine Entscheidung im Sinne von Art. 230 Abs. 4 EG, sondern eine bloße Aufforderung an die BNetzA dar, ihre Entscheidung vom 25. Februar 2009 gemäß Art. 22 Abs. 4 der Richtlinie 2003/55 zu ändern.

25      Das angefochtene Schreiben füge sich in einen mehrstufigen Entscheidungsvorgang ein, der mit einer Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde, im vorliegenden Fall der BNetzA, beginne, die über die Gewährung einer Ausnahme entscheide. Diese Entscheidung sei der Kommission, die die betreffende Behörde innerhalb einer Frist von zwei oder drei Monaten auffordern könne, die Entscheidung zu ändern oder zu widerrufen, mitgeteilt worden. Die nationale Regulierungsbehörde verfüge somit über einen gewissen Handlungsspielraum, in dessen Rahmen sie entweder versuchen könne, die Kommission davon zu überzeugen, dass die nationale Ausnahmeentscheidung nicht geändert oder widerrufen werden müsse, oder sich der Auffassung der Kommission anschließen könne. Die Kommission treffe mithin keine endgültige Entscheidung im Sinne von Art. 22 Abs. 4 Unterabs. 4 der Richtlinie 2003/55, da zwischen ihr und der nationalen Behörde ein bloßer Dialog stattfinde.

26      Die Rechtslage, für die die Richtlinie 2003/55 gelte, sei ungeachtet bestimmter Unterschiede im Detail mit der Rechtslage vergleichbar, für die die Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste (Rahmenrichtlinie) (ABl. L 108, S. 33) gelte. Das Gericht habe befunden, dass es sich bei der Stellungnahme der Kommission gemäß Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2002/21 nicht um eine anfechtbare Rechtshandlung handele (Beschluss des Gerichts vom 12. Dezember 2007, Vodafone España und Vodafone Group/Kommission, T‑109/06, Slg. 2007, S. II‑5151).

27      Aus der Sicht der Kommission entsteht dadurch, dass ihre Aufforderung an die nationale Behörde nicht als anfechtbare Rechtshandlung angesehen werde, keine Rechtsschutzlücke. Die Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde könne von Anfang an nach nationalem Recht angefochten werden. Auch wenn die Kommission dadurch einschreiten könne, dass sie diese Behörde auffordere, die Entscheidung zu ändern oder zu widerrufen, sei dies nur eine bloße Möglichkeit, da die Entscheidung gegenüber den Beteiligten auch in Bestandskraft erwachsen könne. Ferner setze eine der Aufforderung der Kommission entsprechende Änderung der Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde die Fristen für die Einlegung eines nationalen Rechtsbehelfs erneut in Gang. Nur wenn die Kommission eine endgültige Entscheidung gemäß Art. 22 Abs. 4 Unterabs. 4 der Richtlinie 2003/55 treffe, führe das Verfahren zur Vornahme einer Unionshandlung, die verbindliche Rechtswirkungen erzeuge und vor den Unionsgerichten angefochten werden könne.

28      Die Klägerin beruft sich auf die Rechtsprechung, nach der für die Prüfung, ob eine Maßnahme mit einem Rechtsmittel gemäß Art. 230 EG angefochten werden könne, auf den Inhalt der angefochtenen Rechtshandlung abzustellen sei, um festzustellen, ob die Rechtshandlung bezwecke, trotz des anwendbaren Rechtsrahmens verbindliche Rechtswirkungen zu erzeugen (Beschluss Vodafone España und Vodafone Group/Kommission, Randnr. 135). Der Tenor des angefochtenen Schreibens sei auf eine Maßnahme gerichtet, die von der BNetzA ein bestimmtes Verhalten verlange und die keinen bloßen Dialog zwischen der Kommission und der nationalen Regulierungsbehörde eröffne.

29      Die Vorgaben der Kommission im Tenor des angefochtenen Schreibens seien wörtlich in die Änderungsbeschlüsse der BNetzA vom 7. Juli 2009 übernommen worden, in denen bestätigt werde, dass „gemäß § 28a Abs. 3 EnWG i. V. m. Art. 22 Abs. 4 [der Richtlinie 2003/55] dem Änderungsverlangen der Europäischen Kommission binnen einer Frist von vier Wochen durch die betroffene Regulierungsbehörde nachzukommen ist“.

30      Entgegen dem Vorbringen der Kommission sei die sich aus der Richtlinie 2003/55 ergebende Rechtslage mit der Rechtslage gemäß der Richtlinie 2002/21 nicht vergleichbar, so dass der Beschluss Vodafone España und Vodafone Group/Kommission nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden könne.

31      Nach Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2002/21 übermittle die nationale Regulierungsbehörde der Kommission einen Entwurf der geplanten Maßnahme. Die Kommission könne entweder gegenüber der betreffenden nationalen Regulierungsbehörde eine unverbindliche Stellungnahme abgeben, um deutlich zu machen, dass aus ihrer Sicht keine ernsthaften Zweifel an der Vereinbarkeit der Maßnahme mit dem Unionsrecht bestünden, oder die Behörde auffordern, ihren Entwurf der Maßnahme zurückzuziehen.

32      Dagegen habe die BNetzA der Kommission im vorliegenden Fall nicht nur einen Entwurf gemäß Art. 22 Abs. 4 der Richtlinie 2003/55 übermittelt, sondern ihre nach Konsultation der nationalen Regulierungsbehörden der anderen Mitgliedstaaten gemäß Art. 22 Abs. 3 Buchst. e dieser Richtlinie getroffene Ausgangsentscheidung.

33      Unterstützt durch die Tschechische Regierung weist die Klägerin darauf hin, dass die Kommission im Rahmen eines Änderungsverlangens gemäß Art. 22 Abs. 4 der Richtlinie 2003/55 ein Vetorecht ausübe, das von dem Mitgliedstaat oder der Regulierungsbehörde vor allem in dem Fall nicht außer Acht gelassen werden könne, in dem – wie im vorliegenden Fall – der Inhalt der angefochtenen Entscheidung keinen Zweifel daran lasse, dass das Änderungsverlangen verbindliche Rechtswirkungen erzeugen solle. Wenn die Kommission nur einen bloßen unverbindlichen Dialog mit der nationalen Regulierungsbehörde eröffnet hätte, wäre der Tenor ihrer Entscheidung nicht so formuliert, dass er dieser Behörde keinen Prüfungs- oder Untersuchungsspielraum lasse.

34      Wenn das angefochtene Schreiben nicht vor dem Unionsrichter angefochten werden könne, gebe es keine Möglichkeit zur Überprüfung der Maßnahme der Kommission. Da nämlich die BNetzA an den Tenor des angefochtenen Schreibens gebunden sei, erübrige sich eine endgültige Entscheidung der Kommission im Sinne von Art. 22 Abs. 4 Unterabs. 4 der Richtlinie 2003/55. Außerdem könne auf nationaler Ebene eine Klage gegen die Entscheidungen der BNetzA aus dem Grund als unzulässig abgewiesen werden, dass diese Entscheidungen nur die inzwischen bestandskräftige Entscheidung der Kommission umsetzten.

35      Dadurch dass die Kommission die BNetzA in Form einer noch nicht endgültigen Entscheidung zur Änderung der Entscheidung auffordere, verlange sie von der BNetzA nicht nur eine Änderung, sondern treffe auch eine die Klägerin unmittelbar belastende Maßnahme, ohne diese zuvor angehört zu haben; dies sei mit dem Gebot eines wirksamen Rechtsschutzes unvereinbar.

36      Die Tschechische Republik vertritt die Auffassung, dass die Frage, ob die Aufforderung der Kommission gemäß Art. 22 Abs. 4 Unterabs. 4 der Richtlinie 2003/55 verbindlich sei, vom Inhalt der letztlich von der BNetzA und der Kommission selbst getroffenen Rechtshandlungen abhänge. Die Richtlinie lasse es nicht zu, dass die nationale Regulierungsbehörde die Aufforderung der Kommission unbeachtet lasse und nicht befolge.

 Würdigung durch das Gericht

37      Nach ständiger Rechtsprechung ist die Nichtigkeitsklage nach Art. 230 EG nur gegen solche Handlungen gegeben, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugen, welche die Interessen der Klägerin durch einen Eingriff in ihre Rechtsstellung beeinträchtigen. Insbesondere liegt im Fall von Handlungen oder Entscheidungen, die in einem mehrphasigen Verfahren ergehen, eine anfechtbare Handlung grundsätzlich nur bei Maßnahmen vor, die den Standpunkt der Kommission beim Abschluss dieses Verfahrens endgültig festlegen, nicht aber bei Zwischenmaßnahmen, die die abschließende Entscheidung vorbereiten sollen (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 11. November 1981, IBM/Kommission, 60/81, Slg. 1981, 2639, Randnr. 10, und vom 22. Juni 2000, Niederlande/Kommission, C‑147/96, Slg. 2000, I‑4723, Randnr. 26; Beschluss des Gerichts vom 2. Juni 2004, Pfizer/Kommission, T‑123/03, Slg. 2004, II‑1631, Randnr. 22).

38      Ferner sind Maßnahmen rein vorbereitender Art zwar nicht als solche anfechtbar, die ihnen etwa anhaftenden rechtlichen Mängel können jedoch im Rahmen der Klage gegen die endgültige Handlung, deren Vorbereitung sie dienen, geltend gemacht werden (Urteile des Gerichtshofs, IBM/Kommission, Randnr. 12, und vom 14. Februar 1989, Bossi/Kommission, 346/87, Slg. 1989, 303, 333; Urteil des Gerichts vom 24. Februar 1994, Caló/Kommission, T‑108/92, Slg. ÖD 1994, I‑A-59 und II‑213, Randnr. 13, und Beschluss Pfizer/Kommission, Randnr. 24).

39      Im vorliegenden Fall ist davon auszugehen, dass die Richtlinie 2003/55 den nationalen Regulierungsbehörden, die zur Entwicklung des Erdgasbinnenmarkts und zur Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen durch transparente Zusammenarbeit untereinander und mit der Kommission beitragen, eine zentrale Rolle zuteilen wollte. So benötigen diese Behörden zum einen für die Ausübung ihrer sich aus dem Unionsrecht ergebenden Befugnisse keine Genehmigung der Kommission, und zum anderen sollen mit den Eingriffsmöglichkeiten der Kommission nur nationale Entscheidungen verhindert werden, die negative Auswirkungen auf den Binnenmarkt haben können.

40      Art. 22 der Richtlinie 2003/55 sieht eine unmittelbare Beteiligung der Kommission vor, wenn er bestimmt, dass die nationale Regulierungsbehörde dieser die Ausnahmeentscheidung unverzüglich zusammen mit allen einschlägigen Begleitinformationen übermittelt, um ihr eine fundierte Entscheidung zu ermöglichen.

41      Gemäß Art. 22 Abs. 4 Unterabs. 3 der Richtlinie 2003/55 kann die Kommission binnen zwei Monaten nach Eingang einer Mitteilung oder, wenn zusätzliche Informationen angefordert werden, binnen drei Monaten verlangen, dass die Regulierungsbehörde die Entscheidung über die Gewährung einer Ausnahme ändert oder widerruft. Somit geht aus der Richtlinie ausdrücklich hervor, dass das Eingreifen der Kommission in dieser Phase als „Verlangen“ und nicht als „Entscheidung“ verstanden wird. Gemäß Art. 22 Abs. 4 Unterabs. 4 der Richtlinie 2003/55 trifft die Kommission eine endgültige Entscheidung nach dem „Komitologie-Verfahren“, wenn die Regulierungsbehörde der Aufforderung nicht binnen eines Monats nachkommt.

42      Im vorliegenden Fall beruht das angefochtene Schreiben unstreitig auf Art. 22 Abs. 4 Unterabs. 3 der Richtlinie 2003/55.

43      Außerdem heißt es in dem angefochtenen Schreiben, dass, „[u]m die Verbesserung des Wettbewerbs bei der Gasversorgung sicherzustellen, … die BNetzA aufgefordert [wird], ihre Ausnahmeentscheidung dahingehend zu ändern, dass [bestimmte] Bedingungen aufgenommen werden“. Im letzten Absatz dieses Schreibens „fordert [die Kommission die BNetzA] gemäß Artikel 22 Absatz 4 der [Richtlinie 2003/55] dazu auf, binnen vier Wochen erstens ihre Entscheidung nach Erhalt dieses Schreibens entsprechend … zu ändern und zweitens die Kommission hiervon zu unterrichten“.

44      Es ist festzustellen, dass der Wortlaut des angefochtenen Schreibens der Kommission die Unverbindlichkeit des Änderungsverlangens gegenüber der BNetzA hervorhebt. Die Aufforderung stellt nur eine Zwischenstufe in dem mehrphasigen Verfahren gemäß Art. 22 der Richtlinie 2003/55 dar. Es wäre nämlich auch möglich, dass die nationale Regulierungsbehörde auf die Aufforderung der Kommission mit dieser einen Dialog einleitet, in dem es ihr gelingen könnte, diese davon zu überzeugen, dass die nationale Entscheidung über die Gewährung der Ausnahme weder zu ändern noch zu widerrufen sei.

45      Die Unverbindlichkeit des angefochtenen Schreibens wird dadurch bestätigt, dass die Kommission gemäß Art. 22 Abs. 4 Unterabs. 4 der Richtlinie 2003/55 eine endgültige Entscheidung nur in dem Fall trifft, dass die nationale Regulierungsbehörde der Aufforderung nicht nachkommt.

46      Ferner ist festzustellen, dass aus der Befugnis der Kommission, unter den Voraussetzungen von Art. 22 Abs. 4 Unterabs. 4 der Richtlinie 2003/55 eine endgültige Entscheidung zu treffen, nach der die nationale Regulierungsbehörde verpflichtet wird, die Ausnahmeentscheidung zu ändern oder zu widerrufen, nicht folgt, dass sich aus der Aufforderung der Kommission gemäß Art. 22 Abs. 3 dieser Richtlinie verbindliche Rechtswirkungen ergeben, selbst wenn diese Aufforderung eine notwendige Voraussetzung für die mögliche Annahme einer endgültigen Entscheidung darstellt.

47      Nach alledem stellt das auf Art. 22 Abs. 4 Unterabs. 3 der Richtlinie 2003/55 beruhende angefochtene Schreiben keine Handlung dar, die verbindliche Rechtswirkungen erzeugt und gemäß Art. 230 EG angefochten werden kann.

48      Im Übrigen kann die Klägerin auch mit dem Vorbringen einen Erfolg haben, die Unanfechtbarkeit des angefochtenen Schreibens führe zu einer Lücke im Bereich des wirksamen Rechtsschutzes.

49      Zwar wird die Aufforderung der Kommission gemäß Art. 22 Abs. 3 Unterabs. 3 der Richtlinie 2003/55, anders als eine Entscheidung der Kommission gemäß Art. 22 Abs. 3 Unterabs. 4 dieser Richtlinie, nicht als eine Handlung der Union angesehen, die unmittelbar vor dem Unionsrichter angefochten werden kann. Entgegen dem Vorbringen der Klägerin verlangt das Recht auf wirksamen Rechtsschutz jedoch nicht, dass eine Aufforderung der Kommission im Sinne dieser Bestimmung unmittelbar vor dem Unionsrichter angefochten werden kann, sondern, dass den Betroffenen unter Einbeziehung der nationalen Rechtsbehelfe ein vollständiges Rechtsschutzsystem zur Verfügung steht.

50      Im vorliegenden Fall kann die Ausnahmeentscheidung der nationalen Regulierungsbehörde vor dem nationalen Gericht angefochten werden, das dem Gerichtshof der Europäischen Union die Frage nach der Auslegung von Art. 22 der Richtlinie 2003/55 zur Vorabentscheidung vorlegen oder die nationale Entscheidung selbst mit der Begründung für nichtig erklären kann, dass die Ausnahme nicht hätte gewährt werden dürfen oder in anderer Weise hätte gewährt werden müssen. Außerdem kann die nationale Entscheidung nach einer Aufforderung der Kommission gegenüber der nationalen Regulierungsbehörde im nationalen Rechtsweg angefochten werden, wenn die Behörde der Aufforderung nachkommt. Kommt die nationale Regulierungsbehörde der Aufforderung der Kommission dagegen nicht nach, ist diese nach Abschluss des Verfahrens befugt, eine endgültige Entscheidung zu treffen, die eine Unionshandlung mit verbindlichen Rechtswirkungen darstellt und die vor dem Unionsrichter angefochten werden kann.

51      Folglich ergibt sich aus dem Zusammenhang, in dem das angefochtene Schreiben ergangen ist, dass es keine verbindlichen Rechtswirkungen erzeugt und Art. 22 der Richtlinie 2003/55 nicht gegen den Anspruch auf einen wirksamen Rechtsschutz verstößt.

52      Da das angefochtene Schreiben keine Maßnahme darstellt, die die Haltung der Kommission endgültig festlegt, erzeugt es keine verbindlichen Rechtswirkungen, welche die Interessen der Klägerin beeinträchtigen können und gegen die daher die Nichtigkeitsklage gemäß Art. 230 EG gegeben ist. Die vorliegende Klage ist daher, ohne dass die weitere Unzulässigkeitseinrede der Kommission zu prüfen ist, als unzulässig abzuweisen.

 Kosten

53      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

54      Im Übrigen tragen nach Artikel 87 § 4 der Verfahrensordnung die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten Die Tschechische Republik trägt daher ihre Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

beschlossen:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die RWE Transgas a.s. trägt ihre eigenen Kosten und die Kosten der Europäischen Kommission.

3.      Die Tschechische Republik trägt ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 24. November 2010

Der Kanzler

 

      Der Präsident

E. Coulon

 

      N. J. Forwood


* Verfahrenssprache: Deutsch.