Language of document : ECLI:EU:T:2024:114

Rechtssache T763/20

(auszugsweise Veröffentlichung)

Inner Mongolia Shuangxin Environment-Friendly Material Co. Ltd

gegen

Europäische Kommission

 Urteil des Gerichts (Neunte erweiterte Kammer) vom 21. Februar 2024

„Dumping – Einfuhren bestimmter Polyvinylalkohole mit Ursprung in China – Endgültiger Antidumpingzoll – Durchführungsverordnung (EU) 2020/1336 – Berechnung des Normalwerts – Nennenswerte Verzerrungen im Ausfuhrland – Art. 2 Abs. 6a der Verordnung (EU) 2016/1036 – Recht der WTO – Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung – Wahl des geeigneten repräsentativen Landes – Ohne Weiteres verfügbare Daten – Mangelnde Bereitschaft zur Mitarbeit – Begriff ‚erforderliche Informationen‘ – Art. 18 der Verordnung 2016/1036 – Preisunterbietung – Marktsegmente – Methode der Warenkennnummern – Art. 3 Abs. 2 und 3 der Verordnung 2016/1036 – Verteidigungsrechte – Vertrauliche Behandlung – Art. 19 und 20 der Verordnung 2016/1036“

1.      Recht der Europäischen Union – Auslegung – Methoden – Auslegung in Ansehung der von der Union geschlossenen völkerrechtlichen Verträge – Auslegung der Verordnung 2016/1036 in Ansehung des GATTAntidumping-Übereinkommens von 1994 – Berücksichtigung der Auslegung durch das Streitbeilegungsgremium – Auslegung des Sekundärrechts contra legem – Unzulässigkeit

(Art. 216 Abs. 2 AEUV; Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens [Antidumping-Übereinkommen von 1994]; Verordnung 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 Abs. 6a und 7)

(vgl. Rn. 20-22, 28-33, 39-49)

2.      Internationale Übereinkünfte – Übereinkommen zur Errichtung der Welthandelsorganisation – GATT 1994 – Unmöglichkeit, sich auf die WTO-Übereinkommen zu berufen, um die Rechtmäßigkeit eines Unionsrechtsakts in Frage zu stellen – Ausnahmen – Unionsrechtsakt, mit dem ihre Umsetzung sichergestellt werden soll oder der ausdrücklich und speziell auf sie verweist

(Art. 216 Abs. 2 AEUV; Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens [Antidumping-Übereinkommen von 1994]; Verordnung 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 Abs. 6a)

(vgl. Rn. 23, 24, 38)

3.      Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Festsetzung der Antidumpingzölle – Antidumpingzoll, der den zur Abwendung der schädigenden Auswirkungen der gedumpten Einfuhren erforderlichen Betrag nicht übersteigen darf – Anwendung der Regel des niedrigeren Zolls

(Verordnung 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 Abs. 6a)

(vgl. Rn. 56-58)

4.      Nichtigkeitsklage – Gründe – Ins Leere gehender Klagegrund – Begriff – Klagegründe zur Stützung einer Klage gegen eine Verordnung zur Einführung von Antidumpingzöllen – Klagegründe, mit denen die Dumpingspanne in Frage gestellt wird – Dumpingspanne, die bei der Berechnung der Antidumpingzölle nicht berücksichtigt wurde – Ins Leere gehende Klagegründe – Beurteilungskriterien

(Art. 263 AEUV)

(vgl. Rn. 62-65, 69, 173)

5.      Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Dumpingspanne – Bestimmung des Normalwerts – Nennenswerte Marktverzerrungen im Ausfuhrland – Rechnerische Ermittlung des Normalwerts anhand von unverzerrten Preisen oder Vergleichswerten – Berücksichtigung der entsprechenden Herstell- und Verkaufskosten in einem geeigneten repräsentativen Land – Wahl des geeigneten repräsentativen Landes – Kriterien – Relevante Daten, die ohne Weiteres verfügbar sind – Begriff – Länder, die vertrauliche, nicht öffentlich zugängliche Daten zur Verfügung gestellt haben – Ausschluss

(Verordnung 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 Abs. 6a, Art. 6 Abs. 7, Art. 19 und 20)

(vgl. Rn. 86-104)

6.      Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Dumpingspanne – Bestimmung des Normalwerts – Nennenswerte Marktverzerrungen im Ausfuhrland – Rechnerische Ermittlung des Normalwerts anhand von unverzerrten Preisen oder Vergleichswerten – Berücksichtigung der entsprechenden Herstell- und Verkaufskosten in einem geeigneten repräsentativen Land – Wahl des geeigneten repräsentativen Landes – Ermessen der Organe – Kriterien – Angemessener Sozial- und Umweltschutz – Keine Relevanz bei Vorliegen eines einzigen geeigneten repräsentativen Landes

(Verordnung 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 2 Abs. 6a Buchst. a und Abs. 7 Buchst. a)

(vgl. Rn. 119-134)

7.      Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Durchführung der Untersuchung – Verwendung der verfügbaren Informationen im Fall mangelnder Bereitschaft des Unternehmens zur Mitarbeit – Voraussetzungen – Verweigerung des Zugangs zu den erforderlichen Informationen – Begriff „erforderliche Informationen“ – Informationen zu Produktionsmengen und Herstellungskosten – Einbeziehung

(Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens [Antidumping-Übereinkommen von 1994], Art. 6.8; Verordnung 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 18 Abs. 1 und 3)

(vgl. Rn. 140-161)

8.      Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Durchführung der Untersuchung – Pflicht der Kommission, die Unterrichtung der betroffenen Parteien sicherzustellen – Geltungsbereich – Verteidigungsrechte – Verstoß – Voraussetzungen – Möglichkeit für das betreffende Unternehmen, sich besser zu verteidigen, wenn kein Verfahrensfehler vorliegt

(Verordnung 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 19 und 20)

(vgl. Rn. 166)

9.      Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Schädigung – Ermessen der Organe – Gerichtliche Kontrolle – Grenzen

(Art. 263 AEUV; Verordnung 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3)

(vgl. Rn. 198, 199)

10.    Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Schädigung – Zu berücksichtigende Faktoren – Auswirkungen der gedumpten Einfuhren auf die Preise gleichartiger Waren auf dem Markt der Union – Berechnung der Unterbietungsspanne – Berechnungsmethode – Ermessen der Kommission – Verpflichtung der Kommission, die Segmente des Markts für die betroffene Ware zu berücksichtigen – Fehlen, sofern keine außergewöhnlichen Umstände vorliegen

(Verordnung 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 1 Abs. 4 und Art. 3 Abs. 2 und 3)

(vgl. Rn. 200-209)

11.    Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Schädigung – Zu berücksichtigende Faktoren – Auswirkungen der gedumpten Einfuhren auf die Preise gleichartiger Waren auf dem Markt der Union – Berechnung der Unterbietungsspanne – Berechnungsmethode – Verpflichtungen der Kommission, sämtliche von den in die Stichprobe einbezogenen Unionsherstellern getätigten Verkäufe gleichartiger Waren zu berücksichtigen – Fehlen

(Verordnung 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Abs. 2 und 3)

(vgl. Rn. 240, 244-249)

12.    Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Untersuchung – Wahrung der Verteidigungsrechte – Verpflichtung der Organe zur Unterrichtung der betroffenen Unternehmen im Einklang mit der Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit der Informationen – Entscheidung der Kommission, mit der ein Antrag des betroffenen Unternehmens auf Zugang zu vertraulichen Informationen abgelehnt wurde – Kein Rechtsfehler der Kommission – Unternehmen, das den Anhörungsbeauftragten nicht mit dieser ablehnenden Entscheidung befasst hat – Umstand, der die Feststellung stützt, dass die Kommission keinen Rechtsfehler begangen hat

(Übereinkommen zur Durchführung des Artikels VI des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens [Antidumping-Übereinkommen von 1994], Art. 6.5; Verordnung 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 6 Abs. 7, Art. 19 und 20)

(vgl. Rn. 257, 258, 264-273)

Zusammenfassung

Das von einem chinesischen ausführenden Hersteller angerufene Gericht weist die Klage auf Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung 2020/1336 der Europäischen Kommission zur Einführung endgültiger Antidumpingzölle auf die Einfuhren bestimmter Polyvinylalkohole (im Folgenden: PVAL) mit Ursprung in der Volksrepublik China(1) ab. Bei dieser Gelegenheit erläutert das Gericht den Begriff „ohne Weiteres verfügbar[e]“ Daten im Zusammenhang mit der Auswahl des geeigneten repräsentativen Landes für die Berechnung des Normalwerts der von einer Antidumpinguntersuchung betroffenen Ware bei Vorliegen nennenswerter Marktverzerrungen im Ausfuhrland. Es macht auch Ausführungen zum Begriff „erforderliche… Informationen“, die die interessierten Parteien der Kommission im Rahmen der Antidumpinguntersuchung zur Verfügung stellen müssen. Im vorliegenden Fall leitete die Kommission auf eine Beschwerde der Kuraray Europe GmbH, des größten Herstellers von PVAL in der Europäischen Union, eine Antidumpinguntersuchung ein, zu deren Abschluss sie die angefochtene Verordnung erließ.

Die Inner Mongolia Shuangxin Environment-Friendly Material Co. Ltd, ein chinesisches Unternehmen, das PVAL herstellt und in die Europäische Union ausführte und sich durch die von der Kommission eingeführten Antidumpingzölle in ihren Rechten verletzt sah, erhob beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung 2020/1336, soweit diese sie betrifft(2).

Würdigung durch das Gericht

Die Klägerin stützt ihre Klage erstens darauf, dass die Kommission Art. 2 Abs. 6a Buchst. a der Grundverordnung(3) falsch ausgelegt habe. Nach diesem Artikel wird der Normalwert der betreffenden Ware, wenn wegen nennenswerter Verzerrungen auf dem Inlandsmarkt des Ausfuhrlands festgestellt wird, dass es nicht angemessen ist, die Preise und Kosten auf diesem Markt zu verwenden, ausschließlich anhand von Herstell- und Verkaufskosten, die unverzerrte Preise oder Vergleichswerte widerspiegeln, rechnerisch ermittelt. Hierzu kann die Kommission als Quellen u. a. die entsprechenden Herstell- und Verkaufskosten in einem geeigneten repräsentativen Land mit einem dem Ausfuhrland ähnlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstand heranziehen, vorausgesetzt, die jeweiligen Daten sind ohne Weiteres verfügbar. Stehen mehrere Länder zur Wahl, wird das Land bevorzugt, in dem ein angemessener Sozial- und Umweltschutz besteht.

In diesem Zusammenhang stellt das Gericht fest, dass die Kommission keinen Fehler begangen hat, als sie die Türkei und nicht Mexiko als repräsentatives Land für die rechnerische Ermittlung des Normalwerts der betroffenen Ware wählte. Die Kommission konnte sich nämlich nur auf die von einem Unternehmen mit Sitz in der Türkei vorgelegten Daten stützen, da die von den in Mexiko ansässigen Unternehmen vorgelegten Daten nicht als „ohne Weiteres verfügbar[e]“ Daten eingestuft werden konnten.

Was zunächst den Begriff „ohne Weiteres verfügbar[e]“ Daten betrifft, bestätigt das Gericht die von der Kommission in der angefochtenen Verordnung vorgenommene wörtliche Auslegung, wonach „öffentlich zugänglich“ bedeute, dass etwas der allgemeinen Öffentlichkeit zur Verfügung stehe, während unter „ohne Weiteres verfügbar“ zu verstehen sei, dass etwas jedem zur Verfügung stehe, sofern bestimmte Voraussetzungen wie die Zahlung einer Gebühr erfüllt seien. Die von den in Mexiko ansässigen Unternehmen vorgelegten Daten seien entweder nur in vertraulicher, nicht öffentlich zugänglicher Form übermittelt worden oder nur für einen anderen als den von der Untersuchung erfassten Zeitraum verfügbar gewesen.

Gestützt auf eine systematische und teleologische Auslegung ist das Gericht der Ansicht, dass dieser Begriff im Hinblick auf die Anforderungen auszulegen ist, die sich aus den Bestimmungen der Grundverordnung über vertrauliche Informationen und die Unterrichtung der Parteien ergeben, um deren Verteidigungsrechte zu schützen. So werden mit der Grundverordnung zwei Ziele verfolgt, nämlich zum einen den interessierten Parteien die Möglichkeit zu geben, ihren Standpunkt sachgerecht darzulegen, und zum anderen die Vertraulichkeit der im Laufe der Untersuchung eingeholten Informationen zu wahren(4). Wenn die Kommission also versucht, „ohne Weiteres verfügbar[e]“ Daten zu erhalten, ist sie angesichts dieser Ziele berechtigt, die Verwendung von Daten zu verweigern, die von der Partei, die sie vorgelegt hat, als vertraulich angesehen werden und von der sie keine nicht vertrauliche Zusammenfassung erhalten kann, auf deren Grundlage die anderen an der Untersuchung interessierten Parteien ihre Verteidigungsrechte ausüben könnten.

Sodann führt das Gericht aus, dass die Kommission, indem sie die von dem in der Türkei ansässigen Unternehmen vorgelegten Daten akzeptiert hat, ihre Sorgfaltspflicht nicht verletzt hat, indem sie den Normalwert der betroffenen Ware auf unangemessene oder unvertretbare Weise berechnet hat. Das Vorbringen der Klägerin, mit dem die Relevanz der ausgewählten Daten – in Ansehung des Untersuchungszeitraums sowie der in diesen Daten enthaltenen Informationen – bestritten wird, ist im vorliegenden Fall nämlich nicht bewiesen. Sie erbringt daher keinen hinreichenden Beweis, um die Plausibilität der Sachverhaltswürdigung in der angefochtenen Verordnung zu entkräften.

Schließlich hat die Kommission zu Recht festgestellt, dass sie die in Art. 2 Abs. 6a Buchst. a der Grundverordnung vorgesehene Bewertung des Sozial- und Umweltschutzes nicht vornehmen müsse, nachdem sie zu dem Schluss gelangt war, dass die Türkei das einzige geeignete repräsentative Land sei.

Was zweitens den Verstoß gegen Art. 18 der Grundverordnung betrifft, weist das Gericht das Vorbringen der Klägerin zurück, die Kommission habe bei der rechnerischen Ermittlung des Normalwerts zu Unrecht die verfügbaren Fakten im Sinne von Art. 18 der Grundverordnung herangezogen, obwohl die Klägerin nach besten Kräften kooperiert habe.

Der Zweck von Art. 18 der Grundverordnung besteht nämlich darin, der Kommission zu ermöglichen, die Antidumpinguntersuchung auch dann fortzusetzen, wenn die interessierten Parteien die Zusammenarbeit verweigern oder unzureichend mitarbeiten. So erlaubt es Abs. 1 dieser Bestimmung der Kommission, auf die verfügbaren Fakten zurückzugreifen, wenn die verlangten Auskünfte letztlich nicht eingeholt werden. Um als kooperierend im Sinne dieser Bestimmung angesehen zu werden, müssen die Parteien alle Informationen vorlegen, über die sie verfügen und die die Organe für erforderlich halten, um ihre Feststellungen zu treffen.

Was den Begriff „erforderliche… Informationen“ betrifft, ergibt sich aus dem Wortlaut, dem Kontext und dem Zweck von Art. 18 Abs. 1 der Grundverordnung, dass sich der Begriff auf die Informationen im Besitz der interessierten Parteien bezieht, zu deren Vorlage die Unionsorgane diese Parteien auffordern, um die im Rahmen einer Antidumpinguntersuchung gebotenen Feststellungen zu treffen. Somit stellen Informationen zu Produktionsmengen und Herstellungskosten der von einer Antidumpinguntersuchung betroffenen Ware erforderliche Informationen im Sinne dieser Bestimmung dar.

Im vorliegenden Fall stellt das Gericht zunächst fest, dass die Klägerin nicht die Nachweise vorgelegt hat, die die Kommission in Bezug auf die für die selbst hergestellten Produktionsfaktoren verwendeten Inputs von ihr verlangt hatte, da diese Informationen für die Ermittlung des Normalwerts erforderlich waren. Da der Normalwert nach einer auf den Herstellungskosten beruhenden Methode rechnerisch ermittelt wurde, war es nämlich erforderlich, die Verbrauchsmengen aller für die Herstellung von PVAL verwendeten Inputs zu kennen, einschließlich der für die Produktion der selbst hergestellten Produktionsfaktoren verwendeten erforderlichen Inputs. Da die Klägerin die behauptete Unmöglichkeit, diese Informationen vorzulegen, nicht bewiesen hat, hat die Kommission nicht gegen Art. 18 Abs. 1 verstoßen, indem sie als Ersatz für diese Informationen auf die verfügbaren Fakten zurückgegriffen hat.

Was sodann den behaupteten Verstoß gegen Art. 18 Abs. 3 der Grundverordnung betrifft, weist das Gericht darauf hin, dass die Abs. 1 und 3 dieser Vorschrift unterschiedliche Situationen betreffen. Während Art. 18 Abs. 1 allgemein die Fälle beschreibt, in denen die von den Organen zu Untersuchungszwecken benötigten Informationen nicht geliefert wurden, betrifft Art. 18 Abs. 3 die Fälle, in denen die für die Untersuchung erforderlichen Informationen geliefert wurden, aber nicht relevant sind, so dass die verfügbaren Fakten nicht notwendigerweise verwendet werden müssen. Da die Klägerin jedoch die erforderlichen Informationen nicht übermittelt hat, ist Art. 18 Abs. 3 der Grundverordnung nicht anwendbar, da die Kommission nur die verfügbaren Fakten verwenden kann, um die fehlenden Informationen zu ersetzen.

Schließlich hat die Kommission auch nicht gegen die Verteidigungsrechte der Klägerin verstoßen, indem sie ihr nicht rechtzeitig den „Bericht über die Nachprüfung“ übermittelt hat, der ihr vor dem Schreiben zu übermitteln war, mit dem die Kommission ihr ihre Absicht mitteilte, die verfügbaren Fakten im Sinne von Art. 18 der Grundverordnung zu verwenden. In diesem Zusammenhang ergibt sich aus der gefestigten Rechtsprechung, dass eine Verletzung der Verteidigungsrechte nur dann zur Nichtigerklärung einer am Ende des Verfahrens erlassenen Entscheidung führt, wenn das Verfahren ohne die Regelwidrigkeit zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Die Klägerin hat jedoch nichts vorgetragen, was belegen könnte, dass es nicht ausgeschlossen sei, dass das Verfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können, wenn sie den Bericht früher erhalten hätte.

Was die weiteren Klagegründe betrifft, mit denen die von der Kommission in der angefochtenen Verordnung zugrunde gelegte Dumpingspanne beanstandet wird, ergibt deren Prüfung, dass die Dumpingspanne fehlerfrei berechnet wurde, so dass sie über der Schadensspanne liegt, die in Anwendung der Regel des niedrigeren Zolls bei der Bestimmung des Antidumpingzollsatzes herangezogen wurde. Da die besagten Klagegründe dieses Ergebnis nicht in Frage stellen können, weist das Gericht sie als ins Leere gehend zurück.


1      Durchführungsverordnung (EU) 2020/1336 der Kommission vom 25. September 2020 zur Einführung endgültiger Antidumpingzölle auf die Einfuhren bestimmter Polyvinylalkohole mit Ursprung in der Volksrepublik China (im Folgenden: angefochtene Verordnung) (ABl. 2020, L 315, S. 1).


2      Es ist auf zwei weitere Urteile hinzuweisen, die am selben Tag über zwei Nichtigkeitsklagen gegen die angefochtene Verordnung ergangen sind: Das Urteil Sinopec Chongqing SVW Chemical u. a./Kommission (T‑762/20) und das Urteil Anhui Wanwei Updated High-Tech Material Industry und Inner Mongolia Mengwei Technology/Kommission (T‑764/20).


3      Verordnung (EU) 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Ländern (ABl. 2016, L 176, S. 21, im Folgenden: Grundverordnung).


4      Vgl. in diesem Sinne Art. 6 Abs. 7 und Art. 19 und 20 der Grundverordnung.