Language of document : ECLI:EU:T:1999:51

URTEIL DES GERICHTS (Zweite erweiterte Kammer)

11. März 1999 (1)

„EGKS-Vertrag — Wettbewerb — Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Verbänden von Unternehmen und verabredete Praktiken — Preisfestsetzung — Marktaufteilung — Informationsaustauschsysteme“

In der Rechtssache T-148/94

Preussag Stahl AG, Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in Salzgitter, Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Horst Satzky und Bernhard M. Maassen, Brüssel, Martin Heidenhain, Frankfurt, und Constantin Frick, Bremen, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts René Faltz, 6, rue Heine, Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch Julian Currall und Norbert Lorenz, beide Juristischer Dienst, sowie durch Géraud Sajust de Bergues, zur Kommission abgeordneter nationaler Beamter, dann durch Jean-Louis Dewost, Generaldirektor des Juristischen Dienstes, Julian Currall und Guy Charrier, zur Kommission abgeordneter nationaler Beamter, als Bevollmächtigte, Beistand: Rechtsanwalt Heinz-Joachim Freund, Frankfurt, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Beklagte,

hauptsächlich wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 94/215/EGKS der Kommission vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete Praktiken von europäischen Trägerherstellern (ABl. L 116, S. 1)

erläßt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ

DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Richters C. W. Bellamy in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten sowie der Richter A. Potocki und J. Pirrung,

Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23., 24., 25., 26. und 27. März 1998,

folgendes

Urteil

Sachverhalt

A — Vorbemerkungen

1.
    Die vorliegende Klage ist auf die Nichtigerklärung der Entscheidung 94/215/EGKS der Kommission vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete Praktiken von europäischen Trägerherstellern (ABl. L 116, S. 1; im folgenden: Entscheidung oder angefochtene Entscheidung) gerichtet, mit der die Kommission die gegen Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag verstoßende Beteiligung von 17 europäischen Stahlunternehmen und einem ihrer Wirtschaftsverbände an einer Reihe von Vereinbarungen, Beschlüssen und verabredeten Praktiken zur Festsetzung von Preisen, zur Marktaufteilung und zum Austausch vertraulicher Informationen auf dem Trägermarkt der Gemeinschaft feststellte und gegen vierzehn Unternehmen aus dieser Branche Geldbußen wegen Zuwiderhandlungen zwischen dem 1. Juli 1988 und dem 31. Dezember 1990 festsetzte.

2.
    Die Klägerin, die früher den Namen Stahlwerke Peine-Salzgitter AG trug (und in der Entscheidung mit „Peine-Salzgitter“ bezeichnet wird), gehört zu einem Konzern, dessen Muttergesellschaft die Preussag AG ist. Die Klägerin ist einer der bedeutendsten Stahlproduzenten Deutschlands und hatte 1989/90 einen konsolidierten Umsatz von 3,225 Milliarden DM. 1990 erzielte sie bei Trägern in der Gemeinschaft einen Umsatz von 352 Millionen DM oder umgerechnet 172 Millionen ECU.

3.
    Zehn weitere Adressaten der Entscheidung, und zwar NMH Stahlwerke GmbH (im folgenden: NMH; Rechtssache T-134/94), Eurofer ASBL (im folgenden: Eurofer; Rechtssache T-136/94), ARBED SA (im folgenden: ARBED; Rechtssache T-137/94), Cockerill-Sambre SA (im folgenden: Cockerill-Sambre; Rechtssache T-138/94), Thyssen Stahl AG (im folgenden: Thyssen; Rechtssache T-141/94), Unimétal—Société française des aciers longs SA (im folgenden: Unimétal; Rechtssache T-145/94), Krupp Hoesch Stahl AG (im folgenden: Krupp Hoesch; Rechtssache T-147/94), British Steel plc (im folgenden: British Steel; Rechtssache T-151/94), Siderúrgica Aristrain Madrid SL (im folgenden: Aristrain; Rechtssache T-156/94) und Empresa Nacional Siderúrgica SA (im folgenden: Ensidesa; Rechtssache T-157/94) haben ebenfalls vor dem Gericht Klage erhoben.

4.
    Da die elf Rechtssachen durch Beschluß des Gerichts vom 10. Dezember 1997 zu gemeinsamer Beweisaufnahme und mündlicher Verhandlung verbunden worden sind, wird im vorliegenden Urteil auf einige in Parallelsachen vorgelegte Unterlagen Bezug genommen. Ferner wird, da die Klägerinnen in diesen Rechtssachen einige Argumente im Rahmen gemeinsamer Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vorgetragen haben, von „Klägerinnen“ gesprochen.

B — Die Beziehungen zwischen der Stahlindustrie und der Kommission zwischen 1970 und 1990

Die Krise in den siebziger Jahren und die Gründung von Eurofer

5.
    Ab 1974 wurde die europäische Stahlindustrie hart von einem Nachfragerückgang getroffen, der zu einem Überangebot und Überkapazitäten und damit zu niedrigen Preisen führte.

6.
    Am 1. Januar 1977 beschloß die Kommission auf der Grundlage von Artikel 46 EGKS-Vertrag den „Simonet-Plan“, in dessen Rahmen sich jedes Unternehmen einseitig freiwillig verpflichten sollte, seine Lieferungen an das Niveau anzupassen, das jeweils in den vierteljährlich gemäß Artikel 46 Absatz 3 Nr. 2 des Vertrages veröffentlichten Vorausschätzungsprogrammen empfohlen wurde. Da sich dieses System als unzureichend erwies, um den Markt zu stabilisieren, wurde es 1978 durch den „Davignon-Plan“ ersetzt, der die einseitigen freiwilligen Verpflichtungen u. a. durch die Festsetzung von Richt- und Mindestpreisen ergänzte („Eurofer-I-Vereinbarung“).

7.
    Die einseitigen freiwilligen Verpflichtungen der Unternehmen gegenüber der Kommission wurden von ihnen zuvor in der Wirtschaftsvereinigung Eurofer erörtert, deren Gründung die Kommission 1977 unterstützt hatte. Tatsächlich stützte sich die Kommission bei der Bewältigung der Krise in der Stahlindustrie so sehr auf Eurofer, daß in einem Schreiben vom 13. Juli 1978 des Kommissionsmitglieds Davignon an den Präsidenten von Eurofer vom „gemeinsamen Vorgehen zur Überwindung der Krise, für das Kommission und Hersteller sich entschieden haben“, die Rede ist (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 2).

Das von 1980 bis 1988 geltende Quotensystem

8.
    Da sich die Lage auf dem Stahlmarkt weiter verschlechterte, erließ die Kommission die Entscheidung Nr. 2794/80/EGKS vom 31. Oktober 1980 zur Einführung eines Systems von Erzeugungsquoten für Stahl für die Unternehmen der Stahlindustrie (ABl. L 291, S. 1). In dieser Entscheidung stellte die Kommission eine offensichtliche Krise im Sinne von Artikel 58 EGKS-Vertrag fest und schrieb für die meisten Stahlerzeugnisse einschließlich der Träger verbindliche Produktionsquoten vor.

9.
    Diese Krisenregelung läßt sich wie folgt beschreiben: Die Kommission setzte für verschiedene Produktkategorien quartalsweise ein gemeinschaftsweites Produktionsziel fest und teilte dann jedem Unternehmen eine Produktionsquote und eine Quote für Lieferungen auf Gemeinschaftsebene zu („I-Quoten“). Außerdem wurde vereinbart, daß jedes Unternehmen eine Lieferquote für jeden nationalen Markt erhielt („i-Quoten“). Eurofer war im Rahmen der Vereinbarungen Eurofer II bis Eurofer V mit der Aufteilung der „I-Quote“ jedes Unternehmens in „i-Quoten“ betraut. Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den Unternehmen griff gegebenenfalls die Kommission ein (vgl. den Schiedsspruch von Herrn Davignon vom 2. Juni 1982 zu den „i-Quoten“ von Italsider, Anhang 3, Schriftstück 11, der Klageschrift in der Rechtssache T-151/94).

10.
    Ferner ist darauf hinzuweisen, daß die Kommissionsmitglieder Davignon und Andriessen mit Schreiben vom 17. Januar 1983 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 6) folgende Warnung an Eurofer richteten:

„Die Kommission begrüßt die Kooperation, mit der die Unternehmen und ihre Verbände u. a. bei der Preispolitik zum Erfolg der Antikrisenmaßnahmen beigetragen haben. Sie sieht diese Kooperation als wesentlichen Teil ihrer Stahlpolitik an und hofft, daß sie sich fortsetzen wird.

Sie weist die Verbände und insbesondere Eurofer jedoch darauf hin, daß sie bei der Ausübung ihrer Tätigkeit den Rahmen und die Grenzen von Artikel 48 EGKS-Vertrag strikt einhalten müssen.

Die Kommission möchte klarstellen, daß sie es nicht hinnehmen kann, wenn die Stahlunternehmen oder ihre Verbände die Entscheidungen, die die Kommission bei der Ausarbeitung der Preispolitik treffen wird, vorwegnehmen oder umgehen oder wenn die von ihr im Rahmen ihrer Antikrisenpolitik getroffenen Maßnahmen und gegebenen Empfehlungen als Vorwand benutzt werden, um Absprachen zu treffen oder gegen den Vertrag verstoßende Beschlüsse zu fassen. Solche Absprachen oder Beschlüsse würden unter Artikel 65 fallen, wären nichtig und müßten von der Kommission geahndet werden.“

11.
    Der Präsident von Eurofer gab Herrn Davignon und Herrn Andriessen mit Schreiben vom 8. Februar 1983 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 7) folgende Antwort:

„Wir möchten Sie ... darauf hinweisen, daß im Mengenbereich die Vereinbarungen zur Produktions- und Lieferbeschränkung auf dringendes Ersuchen der Europäischen Kommission und des Rates getroffen wurden. Die Kommission wurde über alle Einzelheiten ihrer Durchführung informiert, und wir sind fest entschlossen, weiterhin so zu verfahren.

Im Preisbereich haben die Kommission und der Rat immer wieder die Notwendigkeit einer Anhebung betont, die es den Stahlunternehmen ermöglichen soll, ausreichende Einnahmen zu erzielen ...

Die Kommission wird gewissenhaft über alle Bemühungen zur Erreichung des Zieles, das sie sich gesetzt hat, informiert, und wir sind entschlossen, dies auch in Zukunft zu tun.

Unter diesen Umständen gehen wir davon aus, daß Sie uns unverzüglich unterrichten werden, wenn irgendwann die Gefahr bestehen sollte, daß unsere Tätigkeit über die von der Kommission vertretene Auslegung der Bestimmungen des Vertrages von Paris hinausgeht.“

12.
    Da die offensichtliche Krise andauerte, wurden die von der Kommission festgesetzten Quoten zwischen 1984 und 1986 mehrfach verlängert und vervollständigt, u. a. durch die Einführung eines Systems von Mindestpreisen für Träger und andere Erzeugnisse (Entscheidung Nr. 3715/83/EGKS der Kommission vom 23. Dezember 1983 zur Festsetzung von Mindestpreisen für bestimmte Stahlerzeugnisse, ABl. L 373, S. 1). Die Kommission erließ ferner die Entscheidung Nr. 3483/82/EGKS vom 17. Dezember 1982 über die Pflicht der Unternehmen der Gemeinschaft zur Meldung ihrer Lieferungen bestimmter Stahlerzeugnisse (ABl. L 370, S. 1), durch die ein „Überwachungssystem“ eingeführt wurde, in dessen Rahmen jedes Unternehmen seine Lieferungen nach Ländern getrennt zu melden hatte.

13.
    Anfang 1984 baute die Kommission das Quotensystem durch den Erlaß der Entscheidung Nr. 234/84/EGKS vom 31. Januar 1984 zur Verlängerung des Systems der Überwachung und der Erzeugungsquoten für bestimmte Erzeugnisse der Unternehmen der Stahlindustrie (ABl. L 29, S. 1) weiter aus. In der neunten Begründungserwägung dieser Entscheidung wird auf eine Erklärung des Rates vom 22. Dezember 1983 Bezug genommen, wonach „die Stabilität der herkömmlichen Ströme von Stahlerzeugnissen in der Gemeinschaft ein wesentliches Element ist, das erhalten werden muß, damit die Umstrukturierung des Stahlsektors in einem Wettbewerbskontext erfolgt, der mit der durch das System der Erzeugungsquoten auferlegten Solidarität vereinbar ist“. In Artikel 15B der genannten Entscheidung ist deshalb für den Fall, daß ein Mitgliedstaat insoweit Beschwerde einlegt, vorgesehen, daß die Kommission, nachdem sie die Berechtigung dieser Beschwerde geprüft hat, die für die festgestellten Störungen verantwortlichen Unternehmen ersucht, sich schriftlich zu verpflichten, das Ungleichgewicht bei ihren herkömmlichen Lieferungen im Lauf des folgenden Quartals auszugleichen. Will sich ein Unternehmen diesem Solidaritätsprinzip nicht unterwerfen, so kann die Kommission den Teil seiner Quoten kürzen, der innerhalb des Gemeinsamen Marktes geliefert werden kann.

14.
    Die Politik der Stabilität der herkömmlichen Handelsströme und die Bemühungen, die Preise auf einem akzeptablen Niveau zu halten, waren Gegenstand mehrerer Schriftwechsel zwischen der Kommission und Eurofer; zu nennen sind dabei

—    ein Vermerk von Eurofer vom 2. Juli 1984, der die bei einem Treffen von Vertretern der Kommission und der Industrie in Brüssel am 27. Juni 1984 gegebenen Erläuterungen enthält (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 8) und in dem es zur Anwendung von Artikel 15B der Entscheidung Nr. 234/84 heißt:

    „Die Kommission hat das System des Artikels 15B als Antwort auf die Bedenken der nationalen Regierungen eingeführt. Es kann keinesfalls das .i-System' der Eurofer-IV-Vereinbarung ersetzen. Die Kommission braucht Eurofer im Gegenteil für Marktbewertungen und für die Regelung aller Einzelheiten. Ohne Eurofer wäre die Kommission in größten Schwierigkeiten. ... Im allgemeinen interessiert sich die Kommission nur füreine grobe Analyse der Situation, die nicht auf nebensächliche Details eingeht. ... Für die Zukunft ist die Kommission bereit, ein auf Quoten beruhendes System in Erwägung zu ziehen, würde dann aber die volle Unterstützung von Eurofer benötigen.“

—    das Protokoll eines Treffens der Kommission mit Eurofer am 16. Dezember 1985, an dem das Kommissionsmitglied Narjes teilnahm (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 10); darin heißt es zu den herkömmlichen Handelsströmen:

    „Die Kommission brachte ihre große Besorgnis über die jüngsten Marktentwicklungen zum Ausdruck. Sie bedauerte, daß Eurofer V noch nicht zustande gekommen ist, und unterstrich die Verantwortung der Hersteller für die Preise. ... Die Kommission forderte die Teilnehmer auf, erneut Wege zur gegenseitigen Kooperation zu prüfen, da sie der Ansicht ist, daß Eurofer bei der Durchführung von Artikel 58 eine entscheidende Rolle spielte. Sie beabsichtigt, die Kriterien für die Anwendung von Artikel 15B so bald wie möglich festzulegen, um die Lage zu meistern, falls Eurofer keinen Erfolg haben sollte, oder eine private Abmachung zu erleichtern.“

—    das Protokoll eines Treffens von Herrn Narjes mit Eurofer am 10. März 1986 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 13), in dem es zum spanischen Markt heißt:

    „Narjes erinnerte an die Entscheidung der Kommission zur Beschränkung der Lieferungen nach Spanien. ... Hinsichtlich der Lastenverteilung sprach er sich für eine interne Vereinbarung der Eurofer-Hersteller aus.“

—    das Protokoll eines Treffens von Herrn Narjes mit Vertretern von Eurofer am 16. Mai 1986 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 14), in dem es heißt:

    „Die Kommission hob die Notwendigkeit hervor, die veröffentlichten Preise in der Gemeinschaft schnell auf dem gleichen Niveau zu harmonisieren und Unterschiede zwischen den veröffentlichten Preisen und den Marktpreisen zu vermeiden. Die Branchenrabatte sollten realitätsnah sein. Bestätigt wurde die Bereitschaft der französischen Stahlindustrie, die Preise anzuheben, aber auch das Erfordernis, dabei von eindringenden Konkurrenten unterstützt zu werden. Eurofer brachte die Hoffnung zum Ausdruck, daß die Eurofer-V-Vereinbarung die geeeignete Grundlage für eine allgemeine Erholung der Preise bringen werde.“

15.
    Im gleichen Zeitraum schloß die Kommission eine Reihe völkerrechtlicher Verträge mit dem Königreich Schweden, dem Königreich Norwegen und der Republik Finnland, um die Stabilität der herkömmlichen Handelsströme zwischen diesen Ländern und der Gemeinschaft sicherzustellen („Vereinbarungssystem“); vgl. die in der mündlichen Verhandlung von den Parteien vorgelegten Schreiben der Kommission vom 4. März 1986, 13. Februar 1987 und 21. Januar 1988 an die schwedischen Behörden, vom 4. März 1986, 11. März 1987 und 10. Februar 1988 an die norwegischen Behörden und vom 4. März 1986, 10. April 1987 und 12. Februar 1988 an die finnischen Behörden, die im Rahmen des Abkommens vom 22. Juli 1972 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und dem Königreich Schweden andererseits (ABl. 1973, L 350, S. 76), des Abkommens vom 14. Mai 1973 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen

Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und dem Königreich Norwegen andererseits (ABl. 1974, L 348, S. 17) und des Abkommens vom 5. Oktober 1973 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl einerseits und der Republik Finnland andererseits (ABl. 1974, L 348, S. 1) ausgetauscht wurden.

16.
    Eine ähnliche Vereinbarung wurde mit dem Königreich Spanien im Protokoll Nr. 10 zur Beitrittsakte für eine Übergangszeit von drei Jahren getroffen. So setzte die Kommission für die Jahre 1986, 1987 und 1988 die jeweilige Höhe der Lieferungen von Stahlerzeugnissen aus Spanien auf die Märkte der Gemeinschaft mit Ausnahme Portugals fest. Diese besonderen Übergangsmaßnahmen wurden bis zum 31. Dezember 1988 angewandt.

Die Ereignisse, die der Beendigung der Regelung für die offensichtliche Krise am 30. Juni 1988 vorausgingen

17.
    Die Kommission bereitete ab 1985 die Beendigung der Krisenregelung und die Rückkehr zu normalen Marktbedingungen vor. In einem von den Dienststellen der Generaldirektion Binnenmarkt und gewerbliche Wirtschaft (GD III) der Kommission im Lauf des Jahres 1985 verfaßten Schriftstück (Dokument III/534/FR, Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 5) wird darauf hingewiesen, daß „das Quotensystem weitgehend auf dem von Eurofer angewandten freiwilligen System“ beruht habe und daß es darauf ankomme, „bis Mitte nächsten Jahres eine Vereinbarung für die Zukunft zu erzielen, denn wenn dies nicht geschieht, wird es in der zweiten Jahreshälfte einen Kampf um Marktanteile geben, der durchaus katastrophale Auswirkungen auf die Preise und die Erlöse der Unternehmen haben könnte“. In dem Schriftstück wird folgender Schluß gezogen: „Eurofer muß daher ermuntert werden, seine Verantwortung zu übernehmen und Vorschläge zu unterbreiten, wie die Stahlindustrie von einer Zeit des Schutzes zu den Bedingungen des freien Marktes übergehen sollte.“

18.
    In ihrer Mitteilung an den Rat über die Einführung eines Produktionsquotensystems auf der Grundlage von Artikel 58 des EGKS-Vertrags für die Zeit nach dem 31. Dezember 1985 (KOM[85] 509, Klageschrift in der Rechtssache T-145/94, Anlage 14) beschreibt die Kommission die Einzelheiten einer Übergangszeit vor der Rückkehr zum normalen Wettbewerb. Sie vertritt die Ansicht, daß der Höhepunkt der Krise praktisch überstanden sei, und kommt zu folgendem Ergebnis:

„Die Restrukturierung der europäischen Stahlindustrie ist ... noch nicht beendet. ... Eine Übergangsperiode von höchstens drei Jahren erweist sich deshalb als notwendig. Diese Phase wird der Stahlindustrie die Möglichkeit geben, schrittweise den Übergang von den gegenwärtigen strengen Marktregeln zum freien Wettbewerb, den der EGKS-Vertrag zum Ziel hat, zu vollziehen. ... [D]as für die Zeit vom 1. Januar 1986 an vorgesehene Quotensystem ... wird das letzte vor der

Rückkehr zum freien Wettbewerb sein. ... [D]ie Kommission [möchte] in der nächsten Entscheidung nicht die Regeln des Artikels 15B der Entscheidung 234/84/EGKS in der derzeitigen Form übernehmen. ... Die Kommission möchte jedoch während der ersten Phase der Übergangsperiode die statistische Kontrolle des Stahlhandelsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten auf Grundlage der Produktionsbescheinigungen und der Begleitdokumente fortsetzen. Diese Kontrollen erlauben die Prüfung, ob die traditionellen Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten nicht in schwerwiegender Weise gestört werden. Sollten anhand der statistischen Kontrolle solche Störungen festgestellt werden, wird die Kommission unverzüglich untersuchen, ob das verantwortliche Unternehmen bei der Suche nach neuen Kunden gegen die Regeln des Vertrages, insbesondere gegen die Preisregeln, verstoßen hat.“

19.
    In ihrer Entscheidung Nr. 3485/85/EGKS vom 27. November 1985 zur Verlängerung des Systems der Überwachung und der Erzeugungsquoten für bestimmte Erzeugnisse der Unternehmen der Stahlindustrie (ABl. L 340, S. 5) führte die Kommission aus, daß dank der Verbesserung der Marktbedingungen

„das Quotensystem in einer Übergangsphase von zwei — maximal drei — Jahren ganz abgebaut werden kann. Der Rat hatte schon auf seiner Tagung am 25. Juli 1985 auf die Notwendigkeit hingewiesen, so rasch wie möglich auf geregelte Art und Weise zu einem Markt des freien Wettbewerbs zwischen den Unternehmen der Gemeinschaft zurückzukehren.“

20.
    In dem von Eurofer verfaßten Protokoll des Treffens zwischen der Kommission und Eurofer am 16. Mai 1986 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 14) heißt es unter der Überschrift „Durchführung von Artikel 58 im Jahr 1987“: „Für die Zukunft nach 1987 erklärten die Vertreter der Kommission, daß sie dazu noch keine Meinung hätten.“ Im gleichen Protokoll wird ausgeführt, daß die Verantwortlichen von Eurofer, nachdem die Vertreter der Kommission gegangen waren, ihrerseits mehrere Möglichkeiten in Erwägung zogen:

„Eine erste Diskussion hat gezeigt, daß unter drei Möglichkeiten auszuwählen war:

—    völlige Freiheit, und wie dann am besten zu kooperieren ist;

—    Fortführung von Artikel 58, und wie dann mit der Kommission zu verfahren ist;

—    kein Artikel 58, aber eine private Abmachung.

    Dann welche Art von Abmachung (Produktion, Lieferungen) und worauf erstreckt (Rohstahl, bestimmte Erzeugnisse usw.)

Alle Mitglieder waren sich einig, daß das Ziel jedenfalls darin besteht, ein Preisniveau festzusetzen, das für eine große Zahl von Unternehmen gewinnbringend ist.

Verschiedene Meinungen wurden geäußert; eine, beruhend auf der Existenz von Überkapazitäten in den nächsten Jahren, ging dahin, daß Vereinbarungen über Mengen unvermeidlich seien, eine andere, beruhend auf den Erfahrungen der Vergangenheit, bezweifelte die Fähigkeit aller Unternehmen, die für den Abschluß einer privaten Abmachung erforderlichen Anpassungen nach einer langen Zeit künstlicher Maßnahmen zu akzeptieren.“

21.
    In ihrer Entscheidung Nr. 3746/86/EGKS vom 5. Dezember 1986 zur Änderung der Entscheidung Nr. 3485/85 (ABl. L 348, S. 1) führte die Kommission aus: „Die Einführung des Artikels 15B war im Augenblick der Zuspitzung der Stahlkrise zwingend geworden. Heute ist diese Bestimmung nicht mehr gerechtfertigt; es ist daher angezeigt, sie zu streichen“.

22.
    In ihrer am 18. September 1987 vorgelegten Mitteilung an den Rat über die Stahlpolitik (KOM[87] 388 endg./2, ABl. C 272, S. 3) gab die Kommission u. a. folgende Erklärungen ab:

„[D]ie Kommission [ist] nur dann bereit, das Quotensystem — dessen Aktualisierung übereinstimmend als notwendig angesehen wird — zu verlängern, wenn damit Anreize zur Stillegung und feste Verpflichtungen seitens der Unternehmen und der betreffenden Regierungen verbunden sind.

...

Obwohl auch weiterhin Krisenbedingungen für Flacherzeugnisse und Formstahl bestehen, wird die Kommission in Anbetracht der Bremswirkung, die das Quotensystem an sich hinsichtlich der Umstrukturierung der Industrie ausüben kann, ein derartiges System nur in dem Maße realisieren, als die Unternehmen ihr gegenüber feste Verpflichtungen hinsichtlich eines zufriedenstellenden Niveaus von Stillegungen eingehen, die gemäß einem Zeitplan abzuwickeln sind, der drei Jahre nicht überschreiten darf.

...

Die Kommission ...

...

—    ... beendet das System im Laufe des Jahres 1988, wenn die Unternehmen nicht bis zum 1. August 1988 zusätzliche Anstrengungen unternommen haben ...“

23.
    Am 8. Oktober 1987 übertrug die Kommission einer Gruppe von drei „Weisen“ (Herrn Colombo, Herrn Friderichs und Herrn Mayoux) die Aufgabe, bei drei Produktgruppen, zu denen auch Träger gehörten, zu untersuchen, ob die Stahlunternehmen bereit seien, sich zu einer schnellen und ausreichenden Stillegung der Überkapazitäten zu verpflichten.

24.
    Im „Bericht der Drei Weisen“ (ABl. 1988, C 9, S. 6) heißt es:

„Ganz offensichtlich sind die Unternehmen, die seit sieben Jahren durch ein Quotensystem geschützt werden und sich daran gewöhnt haben, daß es immer wieder verlängert wird, nicht bereit, sich so weit zu Stillegungen zu verpflichten, daß eine Verlängerung des Systems gerechtfertigt wäre.

...

Angesichts der internationalen Wirtschaftslage läßt sich jedoch voraussehen, daß die derzeitige Situation mit den relativ hohen Preisen nicht lange anhalten wird und daß die Überkapazitäten mit Sicherheit erneut auf den Markt drücken und so die Stahlproduzenten zur Umstrukturierung und Stillegung von Anlagen zwingen werden.

Die Kommission muß daher mit Entschlossenheit und gleichzeitig im vollen Bewußtsein ihrer Verantwortung handeln.

Das derzeitige Quotensystem kann nicht beibehalten werden, wenn sich die Unternehmen nicht verpflichten, ihre Kapazitäten abzubauen. Überläßt man sich jedoch plötzlich den Kräften des Marktes, so könnte der Preisverfall, der zweifellos die Folge sein wird, auf sämtliche Unternehmen drücken und damit die geplante Umstrukturierung noch schwieriger machen.“

25.
    Am Ende des Berichts heißt es:

„Zum Schluß unserer Arbeit möchten wir noch einmal auf die Schwere der Stahlkrise hinweisen, deren Ausmaß sehr viel größer ist, als die meisten Vertreter der Industrie zugeben wollen. Die Krise verlangt eine entschlossene und unmißverständliche Haltung der Gemeinschaftsbehörden, um der Industrie ihre Verantwortung zu zeigen.

Die Umstrukturierung der Stahlunternehmen eilt, wenn sie der weltweiten Konkurrenz standhalten und auf einem immer offeneren Markt voll konkurrenzfähig werden wollen.“

26.
    Im Lauf des Jahres 1987 gab die Kommission auch ihre Auffassung zur Aufrechterhaltung der „traditionellen Handelsströme“ auf. So vertrat sie in Anhang I ihrer erwähnten Mitteilung an den Rat vom 18. September 1987 die

Ansicht, daß „die Aufrechterhaltung der traditionellen Handelsströme bei Stahlprodukten zwischen den Mitgliedstaaten nicht im Einklang mit dem Ziel der Gemeinschaft steht, bis 1992 einen offenen Binnenmarkt zu schaffen“.

27.
    Die neue Stahlpolitik der Gemeinschaft wurde in der dem Rat am 16. Juni 1988 vorgelegten Mitteilung der Kommission über die Stahlpolitik (KOM[88] 343 endg., ABl. C 194, S. 23) dargelegt. In bezug auf die zu ergreifenden Maßnahmen heißt es dort:

„Es ist darauf hinzuweisen, daß der EGKS-Vertrag als Normalfall von einem freien Wettbewerb auf dem Markt ausgeht und die Kommission in Artikel 5 nur dann damit beauftragt, direkt in die Erzeugung einzugreifen, wenn es die Umstände erfordern. ... Der Vertrag sieht ebenfalls vor, daß der Wettbewerb unter normalen Bedingungen stattzufinden hat.

Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, daß die Vollendung des Binnenmarktes im Jahre 1992 auch ein vorrangiges Ziel für den Stahlmarkt ist. Die Vorbereitung auf den Termin 1992 erfordert eine grundlegende Änderung der Strategie der Unternehmer, die häufig noch zu sehr von Erwägungen im Hinblick auf nationale Märkte geprägt ist.“

28.
    Die Kommission kam zu folgendem Ergebnis:

„Die Lage auf dem Eisen- und Stahlmarkt hat sich so weit verbessert, daß das Quotensystem nicht mehr gerechtfertigt ist. Dieses System hat sich außerdem als ungeeignet erwiesen, um die Unternehmen zur Vollendung ihrer Restrukturierung anzuregen ... [D]ie Kommission [ist] der Auffassung ..., daß die strukturelle Anpassung im Rahmen der normalen Marktgesetze fortzusetzen ist ...“

29.
    Der Rat nahm auf seiner 1255. Tagung am 24. Juni 1988 zur Kenntnis, daß die Kommission das Quotensystem bei allen Stahlerzeugnissen zum 30. Juni 1988 auslaufen lassen wollte. Unter Bezugnahme auf die von der Kommission vorgesehenen flankierenden Maßnahmen und Maßnahmen zur Marktüberwachung (monatliche Statistiken über Produktion und Lieferungen, Vorausschätzungsprogramme, Gespräche mit den Beteiligten) unterstrich der Rat, „daß niemand das Überwachungssystem dazu mißbrauchen darf, um Artikel 65 des EGKS-Vertrags zu umgehen“ (vgl. den Auszug aus dem Entwurf eines Protokolls über die 1255. Tagung des Rates, Anlage 3 der Klagebeantwortung in der Rechtssache T-151/94).

30.
    Am 4. Mai 1988 veröffentlichte die Kommission überdies eine Pressemitteilung (IP[88] 261, vgl. Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 5, Schriftstück 4) über die von ihr im Rahmen der Sache „nichtrostender Flachstahl“ (siehe unten, Randnr. 36) durchgeführte Prüfung. Darin heißt es u. a.:

„Dies ist seit dreizehn Jahren die erste Kartellprüfung der Kommission im Stahlbereich. Nachdem das offizielle Quotensystem der Kommission für einige Stahlerzeugnisse bereits ausgelaufen ist und vorgeschlagen wurde, das Quotensystem am 30. Juni 1988 zu beenden, ist klar, daß die Kommission eine Ersetzung des Gemeinschaftssystems durch inoffizielle und rechtswidrige Vereinbarungen der Industrie selbst nicht hinnehmen kann.“

31.
    Die Krisenregelung endete bei Trägern offiziell am 30. Juni 1988. Gleichzeitig trat die Eurofer-V-Vereinbarung außer Kraft. Das durch die Entscheidung Nr. 3483/82 eingeführte System zur Überwachung der Lieferungen zwischen Mitgliedstaaten blieb jedoch bis November 1988 bestehen.

Das ab 1. Juli 1988 geltende Überwachungssystem

32.
    Auch wenn die Regelung für die offensichtliche Krise am 30. Juni 1988 ausgelaufen war, ergibt sich aus einem internen Vermerk der GD III vom 24. Oktober 1988, den die Beklagte in Befolgung des Beschlusses des Gerichts vom 10. Dezember 1997 (siehe unten, Randnr. 56) vorgelegt hat, daß sich der Rat und die Kommission über das Erfordernis verständigt hatten, die Anpassung der Unternehmen an etwaige Änderungen der Nachfrage zu erleichtern. Zu diesem Zweck wurde vereinbart, daß die Kommission den Markt weiterhin mit Hilfe von drei Maßnahmen überwachen werde:

—    der Sammlung monatlicher Statistiken über Produktion und Absatz bestimmter Erzeugnisse;

—    der Verfolgung der Marktentwicklung dieser Erzeugnisse im Rahmen der vierteljährlichen Vorausschätzungsprogramme;

—    einer regelmäßigen Befragung der Unternehmen zur Marktlage und zu den Markttendenzen.

33.
    Die Kommission setzte diese Politik u. a. durch ihre Entscheidung Nr. 2448/88/EGKS vom 19. Juli 1988 zur Einführung eines Überwachungssystems für bestimmte Erzeugnisse für die Unternehmen der Stahlindustrie (ABl. L 212, S. 1) um, in dessen Rahmen ihr jedes Unternehmen seine Lieferungen zu melden hatte. Dieses System lief am 30. Juni 1990 aus und wurde durch eine individuelle und freiwillige Informationsregelung ersetzt.

34.
    Es gab somit weiterhin regelmäßige enge Kontakte zwischen den Unternehmen und der GD III, bei denen die Marktparameter (Produktion, Lieferung, Lagerbestände, Preise, Ausfuhren, Einfuhren usw.) erörtert wurden. Diese Kontakte bestanden in folgendem Rahmen:

a)    den offiziellen vierteljährlichen Treffen von Vertretern der Hersteller, der Verbraucher und der Händler mit Vertretern der Kommission, bei denen gemäß Artikel 46 des Vertrages die Vorausschätzungsprogramme („Forward Programmes“) erörtert wurden; solche Treffen fanden u. a. am 4. Mai 1988, 1. September 1988, 3. November 1988, 1. Februar 1989, 28. April 1989, 1. September 1989, 7. November 1989, 7. Februar 1990, 3. Mai 1990, 4. September 1990 und 5. November 1990 statt;

b)    den auf eine kleine Zahl von Vertretern der Industrie, die nicht Mitglied von Eurofer sein mußten, und der Kommission beschränkten Konsultationstreffen („Consultation Meetings“), die u. a. am 27. Oktober 1988, 26. Januar 1989, 28. April 1989, 27. Juli 1989, 26. Oktober 1989, 25. Januar 1990 und 27. Juli 1990 stattfanden;

c)    den auf ganz wenige Vertreter der Industrie, die nicht Mitglied von Eurofer sein mußten, und der Kommission beschränkten Treffen im kleinen Kreis („Restricted Meetings“) vom 8. Dezember 1988, 21. März 1989, 15. Juni 1989 und 13. Dezember 1989;

d)    den Arbeitsessen („Steel Lunches“), zu denen Vertreter von Eurofer und der Kommission anläßlich von Konsultationstreffen oder Treffen im kleinen Kreis in informellem Rahmen zusammenkamen.

35.
    Diese verschiedenen Treffen dienten hauptsächlich dazu, der Kommission die für die Anwendung von Artikel 46 des Vertrages und des durch die Entscheidung Nr. 2448/88 eingeführten Überwachungssystems erforderlichen Informationen der Industrie zu verschaffen. An ihnen nahmen Beamte der GD III (u. a. Herr Ortún, Herr Kutscher, Herr Evans, Herr Drees, Herr Aarts und Herr Vanderseypen), der Vorsitzende des CDE, die Vorsitzenden der „Product Committees“ von Eurofer, einige Vertreter anderer Stahlverbände und einige Mitarbeiter von Eurofer teil. Die Vertreter der Industrie lieferten der Kommission allgemeine Informationen über die Wirtschaftslage bei jedem Erzeugnis. Die bei diesen Gelegenheiten ausgetauschten — allgemeinen und produktbezogenen — Angaben betrafen den tatsächlichen Verbrauch, den sichtbaren Verbrauch, die Preise, die Bestellungen, die Lieferungen, die Einfuhren, die Ausfuhren und die Lagerbestände. Eine Zusammenfassung der Konsultationstreffen, besser bekannt unter dem Namen „Speaking Notes“, wurde der GD III von Eurofer in der Regel einige Tage nach dem jeweiligen Treffen zugeleitet.

Die Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ vom 18. Juli 1990

36.
    Am 18. Juli 1990 erließ die Kommission die Entscheidung 90/417/EGKS in einem Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend eine Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen von europäischen Herstellern von kaltgewalzten, nichtrostenden flachen Stahlerzeugnissen (ABl. L 220, S. 28; im folgenden: Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“), mit der sie gegen einige

Stahlunternehmen, zu denen British Steel, die Thyssen Edelstahlwerke AG und Ugine aciers de Châtillon et Gueugnon, eine Tochtergesellschaft von Unimétal, gehörten, wegen einer am 15. April 1986 geschlossenen, gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages verstoßenden Vereinbarung über Liefermengen und Preise Geldbußen zwischen 25 000 ECU und 100 000 ECU festsetzte.

Die von der Kommission ab 1990 angestellten Überlegungen zur Zukunft des EGKS-Vertrags

37.
    Im Lauf des Jahres 1990 stellte die Kommission Überlegungen zur Zukunft des EGKS-Vertrags an, wie der Entwurf einer diese Frage betreffenden Mitteilung von Herrn Bangemann, dem für Industriepolitik zuständigen Kommissionsmitglied, an die übrigen Mitglieder der Kommission vom 23. Oktober 1990 (Anlage 10 der Klageschrift in der Rechtssache T-156/94) zeigt. In diesem Schriftstück sprach sich die Kommission für ein Auslaufen des EGKS-Vertrags im Jahr 2002 aus, „wobei die in dem EGKS-Vertrag enthaltene Flexibilität genutzt wird, [um] ihn so weit wie möglich an die Lage der beiden Bereiche anzupassen und schrittweise die Aufnahme (.phasing-in') dieser Bereiche in den EWG-Vertrag im Jahre 2002 vorzubereiten“ (vgl. auch die Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament vom 15. März 1991 über die Zukunft des EGKS-Vertrags, SEK[91] 407 endg., Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 1).

38.
    In ihrer Mitteilung vom September 1991 über die EGKS-Wettbewerbspolitik (IV/832/91) (Erwiderung in der Rechtssache T-151/94, Anlage 5) gab die Kommission ihre Absicht bekannt, „dafür zu sorgen, daß die EGKS- und EWG-Wettbewerbsregeln künftig so weit wie möglich einander angeglichen werden“. Ferner wies sie in ihrem 1991 veröffentlichten Zwanzigsten Bericht über die Wettbewerbspolitik u. a. darauf hin, daß „der Zeitpunkt gekommen ist, um die EGKS-Wettbewerbsregeln so weit wie möglich an die des EWG-Vertrages anzupassen“ (Nr. 122).

C — Das Verwaltungsverfahren vor der Kommission

39.
    Am 16., 17. und 18. Januar 1991 ließ die Kommission aufgrund von Einzelentscheidungen gemäß Artikel 47 des Vertrages in den Geschäftsräumen von sieben Unternehmen und zwei Unternehmensverbänden Nachprüfungen vornehmen. Weitere Nachprüfungen wurden am 5., 7. und 25. März 1991 vorgenommen. Von verschiedenen beteiligten Unternehmen und Unternehmensverbänden wurden zusätzliche Auskünfte erteilt, die die Kommission gemäß Artikel 47 des Vertrages verlangt hatte.

40.
    Die Kommission richtete an die betroffenen Unternehmen und Verbände, zu denen auch die Klägerin gehörte, am 6. Mai 1992 eine Mitteilung der

Beschwerdepunkte. Die Klägerin antwortete darauf mit Schreiben vom 5. August 1992 und vom 16. Oktober 1992.

41.
    Die Parteien hatten außerdem bei einer Anhörung, die vom 11. bis zum 14. Januar 1993 in Brüssel stattfand und deren Protokoll ihnen am 8. Juli 1993 und am 8. September 1993 übersandt wurde, die Möglichkeit, ihren Standpunkt vorzutragen. Bei dieser Gelegenheit forderte der Anhörungsbeauftragte die anwesenden Parteien auf, ihm im Hinblick auf ihre zahlreichen Andeutungen, daß zwischen der GD III und den Trägerherstellern in dem von den Beschwerdepunkten erfaßten Zeitraum bestimmte Kontakte bestanden hätten, alle insoweit in ihrem Besitz befindlichen Beweismittel zukommen zu lassen. Die Klägerin antwortete darauf mit Schreiben vom 16. Februar 1993.

42.
    Mit Schreiben vom 22. April 1993 teilte der Anhörungsbeauftragte den Betroffenen mit, daß er nicht beabsichtige, eine zweite Anhörung durchzuführen.

43.
    Am 15. Februar 1994, einen Tag vor dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung, wurden die Verhandlungen zwischen der Kommission und Vertretern der Stahlindustrie über die Umstrukturierung dieser Industrie durch freiwillige Verringerung der Produktionskapazitäten erfolglos abgebrochen.

44.
    Nach dem Protokoll der 1189. Sitzung der Kommission (Vor- und Nachmittag), das die Beklagte auf Ersuchen des Gerichts vorgelegt hat, wurde die Entscheidung am Nachmittag des 16. Februar 1994 endgültig erlassen.

45.
    Am Mittag des 16. Februar 1994 veranstaltete Herr Van Miert, das für Wettbewerbsfragen zuständige Mitglied der Kommission, eine Pressekonferenz, bei der er bekanntgab, daß die Kommission soeben die Entscheidung erlassen habe, und die Höhe der gegen die Klägerin sowie gegen British Steel und ARBED festgesetzten Geldbußen mitteilte. Diese Angaben entsprachen nicht den in der Entscheidung genannten Beträgen. Er erläuterte ferner einige bei der Festsetzung der Geldbußen herangezogene Kriterien und beantwortete Fragen der Journalisten. Er bestritt u. a. jeden Zusammenhang zwischen dem Erlaß der Entscheidung und dem Fehlschlagen der Verhandlungen über die freiwillige Verringerung der Produktionskapazitäten am Vortag.

46.
    Am 24. Februar 1994 warfen bei einer Debatte im Europäischen Parlament einige Abgeordnete die Frage auf, welche Gründe die Kommission dazu veranlaßt hätten, die Entscheidung einen Tag nach dem Fehlschlagen der Verhandlungen über die Umstrukturierung der Stahlindustrie zu erlassen. Herr Van Miert verteidigte den Standpunkt der Kommission und wies darauf hin, daß es sich dabei um zwei getrennte Vorgänge handele.

D — Die angefochtene Entscheidung

47.
    Die angefochtene Entscheidung, die der Klägerin am 3. März 1994 zusammen mit einem Begleitschreiben von Herrn Van Miert vom 28. Februar 1994 (im folgenden: Schreiben vom 28. Februar 1994) zuging, enthält folgenden verfügenden Teil:

Artikel 1

Die folgenden Unternehmen haben in dem in dieser Entscheidung beschriebenen Umfang an den jeweils unter ihrem Namen aufgeführten wettbewerbswidrigen Praktiken teilgenommen, die den normalen Wettbewerb im Gemeinsamen Markt verhinderten, einschränkten und verfälschten. Soweit Geldbußen festgesetzt werden, ist die Dauer des Verstoßes in Monaten angegeben, außer im Fall der Aufpreisharmonisierung, wo die Teilnahme an dem Verstoß mit .x' angegeben ist.

...

Peine-Salzgitter

a)    Austausch vertraulicher Informationen im Rahmen der

    Träger-Kommission und der Walzstahl-Vereinigung

(30)

b)     Preisfestsetzung in der Träger-Kommission

(30)

c)     Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt

(3)

d)     Preisfestsetzung auf dem italienischen Markt

(9)

e)     Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt

(30)

f)     Marktaufteilung, .Traverso-System'

(3 + 3)

g)     Marktaufteilung, Frankreich

(3)

h)     Marktaufteilung, Deutschland

(6)

i)     Marktaufteilung, Italien

(3)

j)    Harmonisierung von Aufpreisen

(x)

...

Artikel 2

Eurofer hat gegen Artikel 65 EGKS-Vertrag verstoßen, indem sie den Austausch vertraulicher Informationen im Zusammenhang mit den von ihren Mitgliedern begangenen Verstößen nach Artikel 1 organisierte.

Artikel 3

Die in den Artikeln 1 und 2 genannten Unternehmen und Unternehmensverbände stellen die in den Artikeln 1 und 2 genannten Verstöße, soweit noch nicht bereits geschehen, ab. Zu diesem Zweck unterlassen sie es, die in Artikel 1 bzw. 2 genannten Handlungen oder Verhaltensweisen zu wiederholen oder fortzusetzen und Maßnahmen gleicher Wirkung zu ergreifen.

Artikel 4

Wegen der in Artikel 1 genannten und nach dem 30. Juni 1988 (31. Dezember 1988(2) im Fall von Aristrain und Ensidesa) begangenen Verstöße werden folgende Geldbußen festgesetzt:

...

Preussag AG

9 500 000 ECU

...

Artikel 5

Die gemäß Artikel 4 festgesetzten Geldbußen sind binnen drei Monaten, gerechnet vom Tag der Bekanntgabe dieser Entscheidung an, auf folgende Bankkonten einzuzahlen:

...

Nach Ablauf dieser Frist werden automatisch Zinsen zu dem Satz fällig, der vom Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit in seinen Ecu-Transaktionen am ersten Arbeitstag des Monats des Erlasses dieser Entscheidung angewandt wurde, zuzüglich 3,5 v. H., d. h. 9,75 %.

Geldbußen, die 20 000 ECU überschreiten, können jedoch in fünf gleich großen Jahresraten bezahlt werden, wobei

—    die erste Rate binnen drei Monaten nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu zahlen ist;

—    die zweite, dritte, vierte und fünfte Rate jeweils ein Jahr, zwei, drei bzw. vier Jahre nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu zahlen sind. Die jeweilige Rate erhöht sich um den auf den gesamten noch ausstehenden

Betrag errechneten Zins, unter Anwendung des vom Europäischen Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit in seinen Ecu-Transaktionen im Monat vor der Fälligkeit jeder Jahresrate angewandten Zinssatzes. Voraussetzung für diese Erleichterung ist die Vorlage einer für die Kommission annehmbaren Bankbürgschaft zur Deckung des verbleibenden Hauptbetrags und der Zinsen zum im ersten Gedankenstrich genannten Zeitpunkt.

    Im Fall eines Zahlungsverzugs wird dieser Zinssatz um 3,5 Prozentpunkte erhöht.

...

Artikel 6

Diese Entscheidung ist an folgende Unternehmen gerichtet:

...

— Preussag Stahl AG

...“

48.
    Nach einem Hinweis auf Artikel 5 der Entscheidung heißt es im Schreiben vom 28. Februar 1994:

„Falls Sie ein Gericht der Gemeinschaft anrufen, verfolgt die Kommission die Einziehung der Forderung so lange nicht, wie die Sache vor diesem Gericht anhängig ist, allerdings unter der doppelten Voraussetzung,

—    daß Sie sich damit einverstanden erklären, daß auf Ihre Schuld zwischen dem Zeitpunkt ihrer Fälligkeit und dem Zeitpunkt der im Monat nach der Verkündung des endgültigen Urteiles zu leistenden Zahlung Zinsen erhoben werden, wobei der Zinssatz

    —    bei einer von Ihnen gewählten einmaligen Zahlung 7,75 % beträgt,

    —    bei einer von Ihnen gewählten Ratenzahlung 7,75 % für die erste Rate und für die nachfolgenden Raten den in Artikel 5 vorgesehenen Wert zuzüglich eineinhalb Punkten beträgt;

—    daß Sie der Kommission spätestens bei Ablauf der in Artikel 5, erster Gedankenstrich, der Entscheidung genannten Frist eine für sie ausreichende Garantie geben, die sich auf die Schuld als solche und die Zinsen bezieht. ...“

Verfahren vor dem Gericht, Entwicklung nach der Klageerhebung und Anträge der Parteien

49.
    Die vorliegende Klage wurde mit Klageschrift erhoben, die am 11. April 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist.

50.
    Mit Schreiben an die Kanzlei vom 7. September 1994 hat Aristrain, die Klägerin in der Rechtssache T-156/94, die Frage aufgeworfen, ob die Kommission im vorliegenden Fall ihre Verpflichtungen aus Artikel 23 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes (im folgenden: Artikel 23) hinsichtlich der Übersendung der Vorgänge erfüllt hat. Die zur Stellungnahme zu diesem Ersuchen aufgeforderte Kommission hat mit Schreiben vom 12. Oktober 1994 im wesentlichen geantwortet, daß sie der Ansicht ist, den Anforderungen von Artikel 23 genügt zu haben.

51.
    Die Kanzlei des Gerichts hat die Kommission mit Schreiben vom 25. Oktober 1994 aufgefordert, ihren Verpflichtungen aus Artikel 23 nachzukommen. Mit Begleitschreiben vom 24. November 1994 hat die Kommission bei der Kanzlei insgesamt etwa 11 000 die Entscheidung betreffende Schriftstücke eingereicht; in diesem Schreiben hat die Kommission u. a. geltend gemacht, daß Schriftstücke, die Geschäftsgeheimnisse enthielten, sowie ihre eigenen internen Unterlagen den betroffenen Unternehmen nicht zugänglich gemacht werden sollten.

52.
    Im Anschluß an eine informelle Zusammenkunft mit den Parteien am 14. März 1995 hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) die Parteien mit Schreiben der Kanzlei vom 30. März 1995 ersucht, schriftlich zu den aufgeworfenen Fragen der Vertraulichkeit sowie zu einer etwaigen Verbindung der Rechtssachen Stellung zu nehmen. In Anbetracht der Unvollständigkeit der Antworten der Parteien hat das Gericht mit Schreiben der Kanzlei vom 21. Juli 1995 (25. Juli im Fall von British Steel) einen zweiten Fragenkatalog an sie gerichtet. Ferner hat es die Beklagte aufgefordert, zu einem neuen Antrag von British Steel vom 14. Juli 1995 Stellung zu nehmen.

53.
    In ihren Antworten auf die Fragen des Gerichts, die zwischen dem 6. und dem 15. September 1995 eingegangen sind, haben die Klägerinnen u. a. ihre Anträge auf Einsicht in die internen Unterlagen der Kommission anhand einer Liste dieser Unterlagen konkretisiert, die einem Schreiben der Kommission an das Gericht vom 25. Juni 1995 beigefügt war.

54.
    Durch Beschluß vom 19. Juni 1996 in den Rechtssachen T-134/94, T-136/94, T-137/94, T-138/94, T-141/94, T-145/94, T-147/94, T-148/94, T-151/94, T-156/94 und T-157/94 (NMH Stahlwerke u. a./Kommission, Slg. 1996, II-537; im folgenden: Beschluß vom 19. Juni 1996) hat das Gericht (Zweite erweiterte Kammer, der der Berichterstatter inzwischen zugeteilt worden war) über das Recht der Klägerinnen auf Einsicht in die von der Beklagten übersandten Aktenstücke entschieden, die zum einen von den Klägerinnen selbst und zum anderen von nicht an den vorliegenden Verfahren beteiligten Dritten stammen und in deren Interesse von der

Kommission als vertraulich eingestuft wurden. Das Gericht hat sich dagegen die Entscheidung über die Anträge der Klägerinnen auf Einsicht in die von der Beklagten als interne Unterlagen eingestuften Schriftstücke in diesen Akten sowie über ihre Anträge auf Beibringung von in diesen Akten nicht enthaltenen Unterlagen vorbehalten und die Beklagte zugleich aufgefordert, ausführlich und konkret anzugeben, aus welchen Gründen bestimmte, von ihr als „intern“ eingestufte Schriftstücke in diesen Akten ihrer Ansicht nach den Klägerinnen nicht übermittelt werden können.

55.
    Die Beklagte ist dieser Aufforderung des Gerichts mit Schreiben vom 11., 12. und 13. September 1996 nachgekommen. In den gleichen Schreiben hat sie vorgeschlagen, alle Rechtssachen gemäß Artikel 14 der Verfahrensordnung des Gerichts an das Plenum des Gerichts zu verweisen. Die um Stellungnahme zu diesem Antrag ersuchten Klägerinnen haben dem Gericht zwischen dem 4. und dem 18. Oktober 1996 schriftlich geantwortet. Die Klägerinnen in den Rechtssachen T-134/94, T-137/94, T-138/94, T-148/94, T-151/94 und T-157/94 haben sich gegen eine solche Verweisung ausgesprochen.

56.
    Durch Beschluß vom 10. Dezember 1997 in den Rechtssachen T-134/94, T-136/94, T-137/94, T-138/94, T-141/94, T-145/94, T-147/94, T-148/94, T-151/94, T-156/94 und T-157/94 (NMH Stahlwerke u. a./Kommission, Slg. 1997, II-2293; im folgenden: Beschluß vom 10. Dezember 1997) hat das Gericht (Zweite erweiterte Kammer) über die Anträge der Klägerinnen auf Einsicht in die von der Kommission als „intern“ eingestuften Unterlagen entschieden und angeordnet, daß bestimmte dem Gericht gemäß Artikel 23 übersandte Unterlagen über die Kontakte zwischen der GD III und der Stahlindustrie in dem in der Entscheidung bei der Festlegung der Höhe der Geldbußen herangezogenen Zeitraum der Zuwiderhandlung sowie bestimmte Unterlagen der Generaldirektion Auswärtige Beziehungen (GD I) über Kontakte zwischen der Kommission und einigen nationalen skandinavischen Behörden zu den Akten der Rechtssache genommen werden. Ferner hat das Gericht die Erhebung einiger Beweise angeordnet und der Kommission aufgegeben, ihre eigenen Protokolle oder Vermerke über Treffen der GD III mit Vertretern der Stahlindustrie zwischen Juli 1988 und November 1990 vorzulegen. Schließlich hat das Gericht die Verbindung der Rechtssachen zu gemeinsamer Beweiserhebung und mündlicher Verhandlung angeordnet, ohne sie an das Plenum zu verweisen.

57.
    Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen und den Parteien gemäß Artikel 64 der Verfahrensordnung einige schriftliche Fragen zu stellen. Mit Schreiben der Kanzlei vom 26. November 1997 hat es u. a. die Beklagte gebeten, das endgültige Protokoll der Sitzung der Kommission vom 16. Februar 1994 (Vormittag und Nachmittag) vorzulegen, soweit es den Erlaß der angefochtenen Entscheidung betrifft. Im gleichen Schreiben hat das Gericht die Kommission ferner gebeten, für jede Klägerin und für die Unternehmen Norsk Jernverk et Inexa Profil AB anzugeben,

—    welchen Umsatz sie bei der Festsetzung der Geldbuße jedes Unternehmens herangezogen hat;

—    welche unterschiedlichen Prozentsätze sie auf die Umsätze angewandt hat, um die Geldbuße jedes betroffenen Unternehmens zu berechnen;

—    welche Argumente oder Erwägungen sie im einzelnen bei jedem Unternehmen hinsichtlich der verschiedenen erschwerenden oder mildernden Umstände berücksichtigt hat, um zum Endbetrag der Geldbuße zu gelangen.

58.
    Die Beklagte hat auf diese Fragen des Gerichts mit Schreiben vom 21. Januar 1998 geantwortet, das am 22. Januar 1998 bei der Kanzlei eingegangen ist. Mit diesem Schreiben hat sie dem Gericht zwei Schriftstücke übermittelt, die mit „Projet de procès-verbal de la 1189ème réunion de la Commission tenue à Bruxelles (Breydel) le mercredi 16 février 1994 (matin et après-midi)“ (Entwurf des Protokolls der 1189. Sitzung der Kommission in Brüssel [Breydel] am Mittwoch, dem 16. Februar 1994 [Vormittag und Nachmittag]) und „Projet de procès-verbal spécial de la 1189ème réunion de la Commission tenue à Bruxelles (Breydel) le mercredi 16 février 1994 (matin et après-midi)“ (Entwurf des Sonderprotokolls der 1189. Sitzung der Kommission in Brüssel [Breydel] am Mittwoch, dem 16. Februar 1994 [Vormittag und Nachmittag]) überschrieben sind, und vorgetragen, diese beiden Schriftstücke fielen unter das Beratungsgeheimnis und dürften den Klägerinnen nicht zugänglich gemacht werden.

59.
    Am 14. Januar 1998 hat das Gericht eine informelle Sitzung mit den Parteien durchgeführt, um den reibungslosen Ablauf der mündlichen Verhandlung zu planen. Es hat den Parteien u. a. mitgeteilt, daß sie in dem in den Beschlüssen vom 19. Juni 1996 und vom 10. Dezember 1997 genannten Umfang und in der von der Kanzlei festzulegenden Weise Anspruch auf Einsicht in die ihm gemäß Artikel 23 übermittelten Akten haben. Es hat die Parteien überdies gebeten, ihm nach der Einsichtnahme in die Akten mitzuteilen, auf welche zusätzlichen Unterlagen sie im einzelnen in der mündlichen Verhandlung eingehen möchten.

60.
    Die Klägerin sowie die Klägerinnen ARBED, Aristrain, Cockerill-Sambre, British Steel, Ensidesa und Unimétal haben die genannten Akten des Gerichts eingesehen und eine Kopie der Unterlagen erhalten, die sie für ihre Verteidigung zu benötigen glaubten. Mit Schreiben vom 9. Februar 1998 hat Ensidesa zu einigen der fraglichen Unterlagen Stellung genommen.

61.
    Mit Schreiben der Kanzlei vom 30. Januar 1998 hat das Gericht der Kommissionund Eurofer einige zusätzliche Fragen zu dem von Eurofer eingeführten und in der Entscheidung unter dem Namen „Fast Bookings“ beschriebenen System des monatlichen Informationsaustauschs über Bestellungen und Lieferungen gestellt. Sie haben darauf mit Schreiben vom 17. und vom 23. Februar 1998 geantwortet.

62.
    Mit Schreiben der Kanzlei vom 6. Februar 1998 hat das Gericht der Beklagten außerdem einige ergänzende Fragen zu der im vorliegenden Fall angewandten Berechnungsmethode der Geldbußen gestellt, auf die sie mit Schreiben vom 23. Februar 1998 geantwortet hat, das am 24. Februar 1998 bei der Kanzlei eingegangen ist.

63.
    Durch Beschluß vom 16. Februar 1998 hat das Gericht (Zweite erweiterte Kammer) angeordnet, nur das am 22. Januar 1998 bei der Kanzlei eingegangene, mit „Projet de procès-verbal de la 1189ème réunion de la Commission tenue à Bruxelles (Breydel) le mercredi 16 février 1994 (matin et après-midi)“ überschriebene Schriftstück zu den Akten der Rechtssache zu nehmen und den Klägerinnen zuzuleiten.

64.
    Mit Schreiben vom 13. und vom 19. Februar 1998 haben die Klägerinnen gemeinsame Anträge gestellt, mit denen sie die Erhebung von Beweisen, insbesondere zur Berechnung der Geldbußen, und die Vorlage von Unterlagen über den Erlaß der Entscheidung begehren. Die Kommission hat darauf mit Schreiben vom 2. März 1998 geantwortet.

65.
    Mit Schreiben der Kanzlei vom 11. März 1998 hat das Gericht die Beklagte gebeten, ihre Antworten vom 21. Januar 1998 und vom 23. Februar 1998 auf die Fragen des Gerichts dadurch zu vervollständigen, daß sie für jede Klägerin die genauen arithmetischen Berechnungen angibt, anhand deren konkret nachvollzogen werden kann, wie die Bußgeldbeträge ermittelt wurden, und das endgültige Protokoll der Sitzung der Kommission (Vormittag und Nachmittag), in der die angefochtene Entscheidung erlassen wurde, sowie dessen Anlagen, soweit sie diese Entscheidung betreffen, vorzulegen. Die Beklagte hat darauf mit Schreiben vom 19. März 1998 geantwortet und bei der Kanzlei das endgültige Protokoll der Sitzung der Kommission vom 16. Februar 1994 sowie dessen Anlagen eingereicht.

66.
    Durch Beschluß vom 23. März 1998 hat das Gericht angeordnet, Herrn Ortún und Herrn Vanderseypen, zwei Beamte der GD III, sowie Herrn Kutscher, einen ehemaligen Beamten der GD III, als Zeugen zu den Kontakten zwischen der GD III und der Stahlindustrie in der Zeit vom 1. Juli 1988 bis Ende 1990 zu vernehmen, die bei der Bußgeldbemessung als Zeitraum der Zuwiderhandlung zugrunde gelegt wurde.

67.
    In der Sitzung, die vom 23. bis zum 27. März 1998 stattfand, haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen der Zweiten erweiterten Kammer des Gerichts, bestehend aus dem Präsidenten A. Kalogeropoulos sowie den Richtern C. P. Briët, C. W. Bellamy, A. Potocki und J. Pirrung, beantwortet. Die Klägerinnen haben zu einigen Punkten gemeinsame mündliche Ausführungen gemacht. Das Gericht hat Professor Steindorff, den ehemaligen Generalsekretär der deutschen Delegation bei den Verhandlungen vor der Unterzeichnung des EGKS-Vertrags, als Sachverständigen gehört. Das Gericht hat ferner Herrn Ortún, Herrn

Vanderseypen und Herrn Kutscher sowie auf Antrag der Klägerin zwei ihrer Mitarbeiter, Herrn Mette und Herrn Kröll, als Zeugen vernommen. Dem Gericht wurde außerdem eine von Aristrain vorgelegte Videoaufzeichnung der Pressekonferenz von Herrn Van Miert am 16. Februar 1994 vorgeführt.

68.
    In der Sitzung wurde, entweder auf Ersuchen des Gerichts oder mit seiner Zustimmung, eine Reihe neuer Unterlagen eingereicht. Das Gericht hat die Kommission ferner gebeten, einige Unterlagen über ihre Beziehungen zu den nationalen skandinavischen Behörden in den Jahren 1989 und 1990 vorzulegen. Diese Unterlagen sind der Kanzlei mit einem Begleitschreiben der Kommission vom 12. Mai 1998 zugegangen.

69.
    Die mündliche Verhandlung wurde am Ende der Sitzung vom 27. März 1998 geschlossen. Da zwei Mitglieder der Kammer nach dem Ablauf ihrer Amtszeit am 17. September 1998 nicht mehr an den Beratungen teilnehmen konnten, wurden die Beratungen des Gerichts gemäß Artikel 32 der Verfahrensordnung von den drei Richtern fortgesetzt, deren Unterschrift das vorliegende Urteil trägt.

70.
    Die Klägerin beantragt,

1.    die Entscheidung, durch die

    —    festgestellt wurde, daß die Klägerin gegen Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag verstoßen hat (Artikel 1),

    —    der Klägerin aufgegeben wurde, die in Artikel 1 der Entscheidung genannten Handlungen oder Verhaltensweisen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung zu unterlassen (Artikel 3),

    —    wegen der in Artikel 1 der Entscheidung genannten und nach dem 30. Juni 1988 begangenen Verstöße eine Geldbuße in Höhe von 9 500 000 ECU festgesetzt wurde (Artikel 4),

    aufzuheben oder für nichtig zu erklären,

hilfsweise

2.    die festgesetzte Geldbuße aufzuheben oder herabzusetzen,

    den in Artikel 5 der Entscheidung für Stundungen festgesetzten Zinssatz auch für anwendbar zu erklären auf Stundungen durch Aussetzung der Einziehung wegen Anrufung des Gerichts,

in jedem Fall

3.    zum Beweis für die Richtigkeit der Behauptungen der Klägerin folgende Zeugen zu vernehmen:

    Herrn Dr. Jürgen Kolb für die Vorgänge im CDE,

    Herrn Jörg Kröll und Herrn Hans Mette für die Vorgänge in der Träger-Kommission,

    Herrn Hans Mette für die Vorgänge in den Eurofer/Scandinavia-Sitzungen und für die Gespräche mit ausländischen Herstellern,

    die Herren Kutscher, Ortún, Drees, Evans und Vanderseypen für die Kenntnis der Kommission über den Informationsaustausch und das Marktverhalten der Unternehmen sowie für die Zusammenarbeit zwischen Kommission, Verbänden und Unternehmen, insbesondere bei den Treffen zwischen der Kommission und der Stahlindustrie,

4.    die Kommission zu verurteilen, die Kosten des Verfahrens zu tragen.

71.
    Die Kommission beantragt,

—    die Klage abzuweisen;

—    die Klägerin zu verurteilen, die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung

A — Zur Verletzung von Verfahrensrechten der Klägerin

72.
    Die Klägerin trägt erstens vor, die Kommission habe die Beweislast verkannt, als sie die Ansicht vertreten habe, daß die Behauptung der Parteien, ihr seien die fraglichen wettbewerbsbeschränkenden Praktiken bekannt gewesen, durch keinen konkreten Beweis erhärtet werde (Randnr. 312 der Entscheidung). Nach den geltenden Beweisregeln und angesichts des eindeutigen Inhalts der von der Klägerin vorgelegten Dokumente (der Protokolle der Treffen zwischen der Kommission und Vertretern der Stahlindustrie und der Speaking Notes) hätte die Kommission nach Befragung der zuständigen Beamten der GD III auf diese Behauptung im einzelnen antworten müssen. Sie könne der Klägerin nicht die volle Beweislast für Vorgänge auferlegen, die sich in ihrer eigenen Sphäre abgespielt hätten.

73.
    Zweitens habe die Kommission dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, daß sie ihr trotz ihres dahin gehenden Antrags keine Gelegenheit gegeben habe, sich zu den Ergebnissen der Ermittlungen, mit denen die Kommission geprüft habe, ob sie damals von den in der Entscheidung beanstandeten Praktiken gewußt habe, und den Ergebnissen der Prüfung der Schriftstücke zu äußern, die die

Klägerin hierzu nach der Anhörung vorgelegt habe (vgl. zu beiden Aspekten Randnr. 312 der Entscheidung). Die Nichtübermittlung dieser Ergebnisse verstoße gegen Artikel 36 Absatz 1 des Vertrages, der sich u. a. auf die den Betroffenen entlastenden Anhaltspunkte beziehe.

74.
    Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß sich diese Rügen formal von der Frage unterscheiden, ob die Beklagte zu der Annahme berechtigt war, daß die von den Klägerinnen nach der Anhörung vorgelegten Unterlagen ihre Behauptungen nicht bestätigten. Auf diese Frage wird später eingegangen (siehe unten, Abschnitt D, der die Mitwirkung der Kommission an den der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlungen betrifft).

75.
    Mit einer ersten Rüge wirft die Klägerin der Kommission im wesentlichen vor, sich auf die Prüfung der von den Unternehmen vorgelegten Unterlagen beschränkt und selbst keine hinreichend ernsthafte interne Untersuchung durchgeführt zu haben.

76.
    Insoweit ist festzustellen, daß die Kommission mit Behauptungen konfrontiert wurde, die — wie sie im übrigen in Randnummer 312 der Entscheidung eingeräumt hat — für die Verteidigung der betroffenen Unternehmen von erheblicher Bedeutung waren, und daß sie, da es um das Verhalten ihrer eigenen Dienststellen ging, besser als die genannten Unternehmen klären konnte, ob die Behauptungen zutrafen.

77.
    Unter diesen Umständen folgt aus den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Waffengleichheit, daß die Kommission verpflichtet war, diesen Aspekt des Falles ernsthaft zu prüfen, um zu ermitteln, inwieweit die fraglichen Behauptungen begründet waren. Es war jedoch Sache der Kommission und nicht der Klägerinnen, über die Vorgehensweise bei diesen Ermittlungen zu entscheiden.

78.
    Wie den Akten zu entnehmen ist, wandte sich Herr Temple Lang, der Leiter der Direktion D „Kartelle, Mißbrauch marktbeherrschender Stellungen und sonstige Wettbewerbsverzerrungen III“ der GD IV, in der Note Nr. 002793 vom 22. Juli 1991, also vor der Übersendung der Beschwerdepunkte, mit folgenden Worten an Herrn Ortún, den Leiter der Direktion E „Binnenmarkt und gewerbliche Wirtschaft III“ der GD III:

„Wir möchten ... klären, in welchem Maß zwischen der GD III und dem CDE Eurofer bei den Treffen zur Vorbereitung der Vorausschätzungsprogramme Stahl Informationen ausgetauscht wurden. Könnten Sie uns folgendes beschreiben:

—    die Methode zur Berechnung der Gemeinschaftszahlen für Rohstahl und die Produktgruppen, wenn sie veröffentlicht wurden;

—    die statistischen Angaben, die die GD III bei den Treffen mit der Delegation des CDE erhielt, sowie den Grad ihrer Zusammenfassung und ihre Häufigkeit.

Haben Sie bei Ihren Treffen von einer .Traverso-Methode' gehört, die zur Anpassung der Nachfrage und der Lieferungen auf den nationalen Märkten bei den verschiedenen Produktgruppen zu dienen scheint?“

79.
    In seiner Antwortnote Nr. 10018 vom 12. September 1991 (Anlage 1 der Klagebeantwortung) teilte Herr Ortún Herrn Temple Lang u. a. folgendes mit:

„2.    Was die von Eurofer erhaltenen Informationen anbelangt, so bekamen wir neben den Ihnen bekannten Schnellstatistiken von Eurofer über Bestellungen und Lieferungen die Prognosen in der beigefügten Form ... Die Angaben waren stets gemeinschaftsweit zusammengefaßt.

    Ich weise ferner darauf hin, daß die GD III (als das System produktbezogener Prognosen anlief) darauf geachtet hatte, nur Prognosen der Produktion (und nicht der Lieferungen) zu veröffentlichen, sie zu runden und ihre Definition zu ändern ..., um ... sich von den von Eurofer gewählten Definitionen abzugrenzen.

3.    Die Treffen mit dem CDE fanden im Rahmen der Sitzungen der für die Überwachung zuständigen Sachverständigengruppe in der Regel alle drei Monate statt, um die Marktsituation zu erörtern. Diese Treffen waren in letzter Zeit mehr gelegentlicher Art. Das letzte Treffen, bei dem uns wie üblich die beigefügte [Speaking] Note übergeben wurde, war am 19. Juli 1991. Wir halten diese Treffen für nützlich, um eine regelmäßige Marktbeobachtung sicherzustellen. ...

4.    Was eine sogenannte .Traverso-Methode' anbelangt, so muß ich gestehen, daß keiner meiner derzeitigen Mitarbeiter [davon] gehört hat.“

80.
    Die dem Gericht gemäß Artikel 23 von der Kommission übermittelten Akten enthalten ferner eine Note von Herrn Ehlermann, dem Generaldirektor der GD IV, an Herrn Perissich, den Generaldirektor der GD III, vom 27. Januar 1993 (S. 9729 der Akten; dieses Schriftstück wurde der Klägerin aufgrund des Beschlusses vom 10. Dezember 1997 zugänglich gemacht), die wie folgt lautet:

„In der im Betreff genannten Sache haben meine Dienststellen die Ihren insbesondere bei der Vorbereitung der Mitteilung der Beschwerdepunkte und im Zusammenhang mit den schriftlichen Antworten einiger Unternehmen, in denen auf das Vorgehen der GD III Bezug genommen wird, konsultiert.

Die Anhörung, die vom 11. bis zum 14. Januar 1993 stattfand und an der Vertreter Ihrer Dienststellen teilnahmen, hat ergeben, daß die Parteien bei ihrer Verteidigung die größte Bedeutung dem Argument beimessen, daß die Kommission, im konkreten Fall die GD III, über die beanstandeten Praktiken

insbesondere durch die von der Industrie verfaßten .Speaking Notes' informiert gewesen sei.

Der Anhörungsbeauftragte hat es abgelehnt, den Parteien und ihren Vertretern die von ihnen beantragte Einsicht in die Akten der GD III zu gewähren, aber er hat ihnen vorgeschlagen, der GD IV innerhalb von zwei Wochen nach dem Ende derAnhörung die in ihrem Besitz befindlichen Unterlagen zu übermitteln, die sie ihres Erachtens entlasten könnten.

In bezug auf diesen speziellen Punkt wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie nochmals prüfen könnten, ob derartige Unterlagen (sei es Schriftverkehr zwischen den Unternehmen und der Kommission oder seien es Unterlagen der Unternehmen, die Dienststellen der Kommission zur Verfügung gestellt wurden) in Ihren Archiven vorhanden sind, und mir gegebenenfalls Kopien davon mit Ihrer Stellungnahme zu übermitteln.“

81.
    Herr Perissich antwortete Herrn Ehlermann mit Note Nr. 001836 vom 12. Februar 1993 (Anlage 4 der Klagebeantwortung). Er fügte seiner Note die oben erwähnte Note von Herrn Ortún vom 12. September 1991 samt Anlagen bei und führte aus:

„Wie Sie den Anlagen entnehmen können, konnte der ganz allgemeine Charakter der Informationen in diesen .Speaking Notes' bei meinen Dienststellen keinesfalls den Verdacht wecken, daß diese das Ergebnis etwaiger gegen den EGKS-Vertrag verstoßender Praktiken sein könnten.

Diese Treffen mit Eurofer dienten immer nur zu der in Artikel 46.1 des Vertrages vorgesehenen fortlaufenden Untersuchung der Marktentwicklung.

Wenn Sie es wünschen, können wir Ihnen die Speaking Notes für andere Quartale zukommen lassen. Weitere Unterlagen, die unseres Erachtens mit diesem Fall in Verbindung gebracht werden können, gibt es in den Archiven der GD III nicht.“

82.
    Ferner übersandte Herr Temple Lang Herrn Ortún mit Note vom 18. Februar 1993 (S. 9763 der dem Gericht gemäß Artikel 23 von der Kommission übermittelten Akten; dieses Schriftstück wurde der Klägerin aufgrund des Beschlusses des Gerichts vom 10. Dezember 1997 zugänglich gemacht) die Unterlagen (Speaking Notes), die der GD IV von der Klägerin und Unimétal nach der Anhörung übergeben worden waren, und ersuchte ihn, sie zu prüfen und ihm mitzuteilen, „welche Bedeutung den darin enthaltenen Informationen im Zusammenhang mit den den Trägerherstellern zur Last gelegten Praktiken zukommt“. Desgleichen übersandte Herr Temple Lang Herrn Ortún mit Note vom 22. Februar 1993 (S. 9764 der dem Gericht gemäß Artikel 23 von der Kommission übermittelten Akten; dieses Schriftstück wurde der Klägerin aufgrund des Beschlusses des Gerichts vom 10. Dezember 1997 zugänglich gemacht) die von den Klägerinnen Cockerill-Sambre, TradeARBED und British Steel übersandten Unterlagen mit der Bitte um Stellungnahme.

83.
    Herr Ortún übermittelte Herrn Temple Lang mit Note vom 5. Mai 1993 (S. 9769 der dem Gericht gemäß Artikel 23 von der Kommission übermittelten Akten; dieses Schriftstück wurde der Klägerin aufgrund des Beschlusses des Gerichts vom 10. Dezember 1997 zugänglich gemacht) seine Stellungnahme und bekräftigte im wesentlichen die früheren Ausführungen der GD III.

84.
    Die Akten der Kommission (siehe Anlage 4 der Klagebeantwortung) enthalten überdies eine vertrauliche Note von Herrn Ortún an Herrn Schaub (GD IV) vom 19. Februar 1993, die als „Argumentationshilfe für Anschuldigungen“ zur „Entgegnung auf die Behauptungen der Hersteller über die Kenntnis und sogar die Verwicklung der GD III in die von der Kommission (GD IV) gerügten Praktiken“ bezeichnet wird.

85.
    Zur angeblichen Beteiligung der GD III am Informationsaustausch über Mengen und am Monitoring heißt es in der genannten Note:

„Treffen mit den Wirtschaftsexperten von Eurofer, zu denen auch nicht zu Eurofer gehörende Unabhängige hinzugezogen wurden, fanden im Rahmen der Entscheidung Nr. 2448/88 über die Marktüberwachung statt, die ab dem Ende des Quotensystems bis Ende Juni 1990 in Kraft war.

Die zusammengefaßten Ergebnisse der Produktion und des Absatzes der Unternehmen wurden den Teilnehmern zur Stellungnahme und zum Vergleich mit den im Rahmen des Vorausschätzungsprogramms Stahl (Programme Prévisionnel Acier; PPA) vorgenommenen Schätzungen übergeben. Die Tendenzen im Außenhandel bei den gleichen Erzeugnissen wurden ebenfalls analysiert, um die Marktbeurteilung zu vervollständigen.

Diese Treffen erlaubten es auch, zum Zweck des PPA Informationen über die künftigen Markttendenzen (insbesondere der Ausfuhren) bei den Erzeugnissen zu sammeln, die Gegenstand der Überwachung waren. Bei diesen Treffen war nie von Vorschlägen für eine etwaige produktbezogene Marktorganisation die Rede.

Die .Speaking Notes', deren sich der Vertreter des CDE (im allgemeinen Herr Traverso) bei diesen Treffen bediente, wurden von Eurofer vorab in Abwesenheit der Beamten der GD III erstellt. Daß die GD III diese .Speaking Notes' am Rand der .Monitoring-Sitzungen' erhielt, bedeutete keinesfalls eine Billigung etwaiger gegen den EGKS-Vertrag verstoßender Praktiken.

...

Erst am Ende des Monitoring traten die .Steel Lunches' aus praktischen Gründen an die Stelle derartiger Treffen. Diese Treffen mit Eurofer dienten immer nur zu der in Artikel 46.1 des Vertrages vorgesehenen fortlaufenden Untersuchung der Marktentwicklung. Ferner ist darauf hinzuweisen, daß unsere Dienststellen zu

diesem Zweck Kontakte zu allen betroffenen Kreisen (Verbänden unabhängiger Hersteller, Händlern und Verbrauchern) unterhielten.“

86.
    Zur angeblichen Kenntnis der GD III von den verabredeten Praktiken im Preisbereich heißt es in derselben Note:

„a)    In bezug auf die Preise beschränkten sich die oben angesprochenen Speaking Notes stets auf die Darstellung einer ganz allgemeinen Entwicklung der Indizes (z. B. aller Flacherzeugnisse) in der Vergangenheit und eine Schätzung der für das nächste Quartal erwarteten Entwicklung.

    Auch hier konnte der ganz allgemeine Charakter der Informationen bei unseren Dienststellen keinesfalls den Verdacht auf etwaige gegen den EGKS-Vertrag verstoßende Praktiken wecken.

b)    Aufpreisharmonisierung

    Nach der Entscheidung Nr. 31/53/EGKS müssen die Unternehmen der Kommission ihre Preislisten sowie alle Änderungen mitteilen ... Da die Dienststellen der GD III im Besitz aller Preislisten waren und regelmäßig deren Änderungen erhielten, konnten sie Parallelen bei der Struktur, den Preisniveaus und gelegentlich den Zeitpunkten der Veröffentlichung der Listenaufpreise beobachten. Da diese Praxis nicht gegen die Vorschriften von Artikel 60 verstößt, wurde sie von unseren Dienststellen — wie auch bei den zahlreichen Kontrollen der GD IV gemäß Artikel 60 — nie beanstandet.“

87.
    Aus all diesen Unterlagen ergibt sich, daß die Kommission die von den Unternehmen bei der Anhörung gemachten Ausführungen und vorgelegten Unterlagen, die der GD III zur Stellungnahme und Erläuterung übermittelt wurden, gebührend berücksichtigt hat. Darüber hinaus wurde die GD III von der GD IV erstmals während der verwaltungsinternen Untersuchung und ein zweites Mal nach der Anhörung offiziell aufgefordert, sich zu ihrer angeblichen „Verwicklung“ in die fraglichen Praktiken zu äußern.

88.
    Es ist richtig, daß die mit der Bearbeitung der „Träger-Fälle“ betrauten Beamten der GD IV offenbar keinen unmittelbaren Kontakt mit den Beamten der GD III aufnahmen, die an den Treffen mit den Herstellern teilgenommen hatten, und daß sie auch nicht verlangten, die auf Ersuchen des Gerichts vorgelegten Protokolle dieser Treffen und die übrigen in den Archiven der GD III befindlichen internen Vermerke prüfen zu können. Einer Dienststelle der Kommission kann jedoch kein Vorwurf daraus gemacht werden, daß sie den genauen und eingehenden Erläuterungen, die auf ihr Verlangen von einer anderen Dienststelle — die zu kontrollieren im übrigen nicht ihre Aufgabe ist — abgegeben wurden, Glauben schenkt, ohne zu versuchen, sie auf andere Weise nachzuprüfen.

89.
    Die Klägerin hat folglich nicht nachgewiesen, daß im vorliegenden Fall keine hinreichend ernsthafte interne Untersuchung durchgeführt wurde. Ihre erste Rüge ist daher zurückzuweisen.

90.
    Ferner wirft die Klägerin der Kommission mit einer zweiten Rüge, nach der die Kommission den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör dadurch verletzt haben soll, daß sie ihr die Ergebnisse ihrer internen Untersuchung nicht mitgeteilt habe, im wesentlichen vor, die mündlichen Erörterungen nach dem Abschluß dieser Untersuchung nicht wiedereröffnet zu haben. Hierzu ist festzustellen, daß der durch Artikel 36 Absatz 1 des Vertrages gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verlangt, daß die Kommission auf das gesamte Vorbringen des Betroffenen antwortet, zusätzliche Ermittlungen durchführt oder von dem Betroffenen benannte Zeugen anhört, wenn sie den Sachverhalt für hinreichend geklärt hält (Urteile des Gerichtshofes vom 16. Mai 1984 in der Rechtssache 9/83, Eisen und Metall Aktiengesellschaft/Kommission, Slg. 1984, 2071, Randnr. 32, und vom 12. November 1985 in der Rechtssache 183/83, Krupp/Kommission, Slg. 1985, 3609, Randnr. 7).

91.
    Im vorliegenden Fall waren die betroffenen Unternehmen in der Lage, auf die in ihrem Besitz befindlichen angeblichen Entlastungsbeweise in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte einzugehen. In der Anhörung am 11., 12., 13. und 14. Januar 1993 hatten sie jedenfalls Gelegenheit, ihren Standpunkt eingehend darzulegen, und die Kommission bot ihnen überdies eine zusätzliche Gelegenheit zur schriftlichen Erläuterung ihrer Ansicht (vgl. Urteil Krupp/Kommission, Randnr. 8).

92.
    Unter diesen Umständen war die Tatsache, daß die Klägerinnen nach der Anhörung einige Unterlagen vorlegten und daß die Kommission im Anschluß an diese Anhörung entschied, eine interne Untersuchung einzuleiten, für sich allein nicht geeignet, die Kommission zur Wiedereröffnung der mündlichen Erörterungen nach dem Abschluß dieser Untersuchung zu verpflichten.

93.
    Im übrigen hat die Beklagte dem Anspruch der betroffenen Unternehmen auf rechtliches Gehör dadurch hinreichend Rechnung getragen, daß sie die Unternehmen über die Ergebnisse dieser Untersuchung durch ein Schreiben des Anhörungsbeauftragten vom 22. April 1993 informiert hat, in dem ausgeführt wird, daß die von ihnen im Anschluß an die Anhörung vorgelegten Unterlagen nicht den Schluß zuließen, daß der Kommission ihre Praktiken bekannt gewesen seien, und die Durchführung einer zweiten Anhörung nicht rechtfertigten.

94.
    Die Kommission war insbesondere nicht verpflichtet, den betroffenen Unternehmen im Lauf des Verwaltungsverfahrens die internen Vermerke über ihre Untersuchung, die später ihren Klagebeantwortungen in den einzelnen Rechtssachen beigefügt wurden, zukommen zu lassen oder ihnen Gelegenheit zu geben, zu den Vermerken

während des Verwaltungsverfahrens Stellung zu nehmen, da diese ihrem Wesen nach vertraulichen Unterlagen offensichtlich kein entlastendes Element enthielten.

95.
    In einem Fall wie dem vorliegenden ist davon auszugehen, daß die Verfahrensrechte der betroffenen Unternehmen dadurch hinreichend gewährleistet sind, daß sie die Möglichkeit haben, vor dem Gericht Klage zu erheben, dabei die Richtigkeit des von der Kommission in Randnummer 312 der Entscheidung gezogenen Schlusses in Frage zu stellen und das Gericht gegebenenfalls zu ersuchen, die zur Klärung dieses Aspekts des Sachverhalts erforderlichen Maßnahmen zu treffen (vgl. den Beschluß vom 10. Dezember 1997).

96.
    Außerdem hat die Beklagte durch die Angabe in Randnummer 312 der Entscheidung, daß ihre eigenen gründlichen Ermittlungen „keine Fakten erbracht [haben], die die Behauptungen der Parteien belegen könnten“, eine im Hinblick auf Artikel 15 EGKS-Vertrag ausreichende Begründung für ihre Entscheidung gegeben, die mündlichen Erörterungen nicht wiederzueröffnen.

97.
    Das von der Klägerin auf eine Verletzung ihrer Verfahrensrechte gestützte Vorbringen ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

B — Zur Verletzung wesentlicher Formvorschriften

Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin

98.
    In der mündlichen Verhandlung sind bei einer gemeinsamen Stellungnahme im Namen aller Klägerinnen folgende Rügen vorgetragen worden, die die Verletzung wesentlicher Formvorschriften während des Verfahrens zum Erlaß der Entscheidung betreffen.

99.
    Die Klägerinnen weisen zunächst darauf hin, daß Herr Van Miert in der von ihm am Mittag des 16. Februar 1994 veranstalteten Pressekonferenz fälschlich behauptet habe, daß die Entscheidung bereits erlassen worden sei, und daß er überdies in bezug auf einige Geldbußen falsche Zahlen genannt habe (vgl. Anhang 1 der Klageschrift in der Rechtssache T-151/94). Die Pressemitteilungen der Kommission, die vor dem Erlaß der Entscheidung vorbereitet worden seien, hätten ebenfalls Fehler enthalten, u. a. hinsichtlich der Identität der Unternehmen, gegen die eine Geldbuße festgesetzt worden sei.

100.
    Unter diesen Umständen erheben die Klägerinnen unter Berufung auf das Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juni 1994 in der Rechtssache C-137/92 P (Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555; im folgenden: PVC-Urteil) und die Urteile des Gerichts vom 6. April 1995 in den Rechtssachen T-80/89, T-81/89, T-83/89, T-87/89, T-88/89, T-90/89, T-93/89, T-95/89, T-97/89, T-99/89, T-100/89, T-101/89, T-103/89, T-105/89, T-107/89 und T-112/89 (BASF u. a./Kommission, Slg. 1995, II-729, Randnrn. 114 und 119; im folgenden: LDPE-Urteil) und vom 29.

Juni 1995 in der Rechtssache T-31/91 (Solvay/Kommission, Slg. 1995, II-1821, Randnr. 50) vier Hauptvorwürfe.

101.
    Erstens sei das nach Artikel 5 der damals geltenden Geschäftsordnung der Kommission vom 17. Februar 1993 (93/492/Euratom, EGKS, EWG, ABl. L 230, S. 15; im folgenden: Geschäftsordnung von 1993) erforderliche Quorum von neun anwesenden Mitgliedern der Kommission nicht erreicht worden. Auch wenn aus Seite 2 des Protokolls der Sitzung der Kommission vom 16. Februar 1994 hervorzugehen scheine, daß beim Erlaß der Entscheidung am Nachmittag (Punkt XXV, S. 43) neun Mitglieder anwesend gewesen seien, ergebe sich aus der Liste der Personen, die „in Abwesenheit der Mitglieder der Kommission“ an der Sitzung teilgenommen hätten, auf Seite 40 des Protokolls, daß bei diesem Teil der Sitzung in Wirklichkeit nur sechs Kommissionsmitglieder anwesend gewesen seien. Wegen der Nichterreichung des Quorums habe gemäß Artikel 6 der Geschäftsordnung von 1993 keine gültige Abstimmung über den Erlaß der Entscheidung stattfinden können.

102.
    Zweitens sei die Entscheidung von der Kommission nicht in der den Klägerinnen notifizierten Form erlassen worden. Es sei zumindest nicht möglich, den genauen Inhalt der Entscheidung zu ermitteln, die die Kommission am 16. Februar 1994 habe erlassen wollen.

103.
    Nach dem Protokoll der Sitzung (S. 43) habe die Kommission „die in dem Schriftstück K(94) 321/2 und /3 wiedergegebene Entscheidung in den verbindlichen Sprachen“ genehmigt, während die den Klägerinnen notifizierte Entscheidung das Aktenzeichen K(94) 321 endg. trage. Überdies gebe es nach der dem Gericht gemäß Artikel 23 im Anhang des Schreibens der Kommission vom 27. Juni 1995 übermittelten Liste interner Unterlagen eine weitere Fassung der Entscheidung, die das Aktenzeichen K(94) 321/4 und das Datum des 25. Februar 1994 trage.

104.
    Außerdem bestünden gewisse Zweifel hinsichtlich der verschiedenen Fassungen der Entscheidung, die im Anschluß an das Ersuchen des Gerichts vom 11. März 1998 bei der Kanzlei eingereicht worden seien. Abgesehen davon, daß nur die spanische und die italienische Fassung die Angabe „verbindliche Fassung“ auf ihrem Deckblatt trügen, schienen die Schriftstücke K(94) 321/2 und K(94) 321/3 aus mehreren gesondert ausgearbeiteten Schriftstücken zu bestehen, die unterschiedliche Schrifttypen aufwiesen und nicht einheitlich durchnumeriert seien.

105.
    Nachdem sich die Kommission in der mündlichen Verhandlung bereit erklärt hat, die Vertraulichkeit der internen Unterlagen über den Erlaß der Entscheidung aufzuheben, die sich in den Ordnern 57, 58 und 61 der dem Gericht gemäß Artikel 23 übermittelten Akten befinden, sehen die Rechtsanwälte der Klägerinnen ihre Zweifel durch die Entdeckung einer Reihe von Unterschieden zwischen den internen Unterlagen in diesen Ordnern und den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3 bestätigt, die in einer in der mündlichen Verhandlung eingereichten

Liste aufgeführt sind. Außerdem bestünden erhebliche Unterschiede zwischen der Unterlage im Aktenordner 61 der Kommission, bei der es sich um das von der Kommission in ihrer Vormittagssitzung vom 16. Februar 1994 geprüfte Schriftstück K(94) 321/1 handele, und den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3. Diese Unterschiede sind in einer zweiten in der mündlichen Verhandlung eingereichten Liste aufgeführt. Schließlich seien an der italienischen Fassung des Schriftstücks K(94) 321/2 nach dem Eingang eines Telefax des Übersetzungsdienstes der Kommission am 16. Februar 1994 zwischen 17 Uhr 09 und 17 Uhr 14, also nach dem Schluß der Sitzung um 16 Uhr 25, einige manuelle Änderungen vorgenommen worden.

106.
    Drittens seien weder die Fassung K(94) 321 endg. noch die Fassungen K(94) 321/2 und K(94) 321/3 der Entscheidung gemäß Artikel 16 der Geschäftsordnung von 1993 festgestellt worden. Keine dieser Fassungen sei dem Protokoll im Sinne dieser Bestimmung, die eine körperliche Verbindung verlange, beigefügt worden. Außerdem würden im Protokoll die ihm beigefügten Unterlagen nicht erwähnt.

107.
    Von einer Feststellung des Protokolls gemäß den Artikeln 9 und 16 der Geschäftsordnung von 1993 könne jedenfalls deshalb nicht ausgegangen werden, weil auf dem Deckblatt die Originalunterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs fehlten.

108.
    Viertens enthalte das Protokoll nicht das Datum, an dem es vom Präsidenten und vom Generalsekretär der Kommission unterschrieben worden sei, so daß nicht davon ausgegangen werden könne, daß es zum Zeitpunkt seiner Genehmigung festgestellt worden sei.

109.
    Schließlich bitten die Klägerinnen das Gericht, Beweisbeschlüsse zu erlassen, die es ihnen ermöglichen sollen, das in den Archiven der Kommission befindliche Original des Protokolls einzusehen, und mit denen sich, z. B. anhand der Terminkalender der Kommissionsmitglieder und anderer vergleichbarer Unterlagen, klären lasse, welche Kommissionsmitglieder beim Erlaß der Entscheidung in der Nachmittagssitzung des 16. Februar 1994 tatsächlich anwesend gewesen seien.

Würdigung durch das Gericht

Zulässigkeit

110.
    Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift nicht geltend gemacht, daß beim Erlaß der Entscheidung Verfahrensfehler begangen worden seien. Das Protokoll der Sitzung der Kommission vom 16. Februar 1994 und seine Anlagen sind jedoch erst während des Verfahrens — im Anschluß an Beweiserhebungen und prozeßleitende Maßnahmen des Gerichts — zutage getreten. Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung schließt neue Angriffsmittel nicht aus, sofern sie auf solche Gründe gestützt werden. Folglich ist der vorliegende Klagegrund zulässig.

Die Nichterreichung des Quorums

111.
    Der durch Artikel H Nr. 2 des Vertrages über die Europäische Union eingefügte Artikel 13 Absatz 1 EGKS-Vertrag sieht vor, daß die Beschlüsse der Kommission mit der Mehrheit der Anzahl ihrer — damals 17 — Mitglieder gefaßt werden. Gemäß Artikel 13 Absatz 2 des Vertrages kann die Kommission nur dann wirksam tagen, wenn die in ihrer Geschäftsordnung festgesetzte Anzahl von Mitgliedern anwesend ist.

112.
    Artikel 5 der Geschäftsordnung von 1993 lautet: „Die Kommission ist beschlußfähig, wenn die Mehrheit der im Vertrag vorgesehenen Zahl der Mitglieder anwesend ist.“ Folglich lag das Quorum für die Beschlußfähigkeit der Kommission in ihrer Sitzung vom 16. Februar 1994 bei neun anwesenden Mitgliedern.

113.
    In Artikel 6 der Geschäftsordnung heißt es: „Die Kommission beschließt auf Vorschlag eines oder mehrerer ihrer Mitglieder. Die Kommission nimmt auf Antrag eines ihrer Mitglieder eine Abstimmung vor. Dabei wird über den ursprünglichen Vorschlag oder über einen von dem oder den zuständigen Mitglied(ern) oder dem Präsidenten geänderten Vorschlag abgestimmt. Die Beschlüsse der Kommission werden mit der Mehrheit der im Vertrag vorgesehenen Zahl der Mitglieder gefaßt.“ Auch daraus folgt, daß die Beschlüsse der Kommission damals der Zustimmung von neun ihrer Mitglieder bedurften.

114.
    Aus dem Protokoll der 1189. Sitzung der Kommission in Brüssel am 16. Februar 1994 (im folgenden: Protokoll), das dem Gericht auf seine Ersuchen vom 27. November 1997 und vom 11. März 1998 übersandt wurde, geht hervor, daß diese Sitzung in zwei Teilen am Vormittag und am Nachmittag stattfand. Punkt XVII des Protokolls, der am Vormittag erörtert wurde, lautet wie folgt:

„XVII. FALL DER ANWENDUNG VON ARTIKEL 65 EGKS-VERTRAG

    (K[94] 321; SEK[94] 267)

    Herr RENAUDIERE, Mitglied des Kabinetts von Herrn VAN MIERT, nimmt an den Beratungen über diesen Punkt teil.

    Herr VAN MIERT erläutert der Kommission die verschiedenen Gesichtspunkte des ihm vorliegenden Falles. Er weist auf die besondere Schwere der festgestellten Zuwiderhandlungen hin. Er unterbreitet der Kommission Vorschläge für die gegen die fraglichen Unternehmen festzusetzenden Geldbußen.

    Die Kommission stimmt der von Herrn VAN MIERT vorgeschlagenen Entscheidung im wesentlichen zu und erörtert ausführlich die Höhe der Geldbußen. Es wird vereinbart, zu einem späteren Zeitpunkt der

vorliegenden Sitzung über den von Herrn VAN MIERT vorzulegenden Entwurf der endgültigen Entscheidung zu befinden.

    Die übrigen Beratungen der Kommission über diesen Punkt sind Gegenstand eines Sonderprotokolls.“

115.
    Punkt XXV des Protokolls, der am Nachmittag erörtert wurde, lautet wie folgt:

„XXV. FALL DER ANWENDUNG VON ARTIKEL 65 EGKS-VERTRAG      (FORTSETZUNG VON PUNKT XVII) (K[94] 321/2 und 3; SEK[94] 267)

    Die Kommission führt ihre am Vormittag begonnenen Beratungen fort. Sie setzt gegen die fraglichen Unternehmen folgende Geldbußen fest:

    ARBED SA:

11 200 000 ECU

    British Steel plc:

32 000 000 ECU

    Unimétal SA:

12 300 000 ECU

    Saarstahl AG:

4 600 000 ECU

    Ferdofin SpA:

9 500 000 ECU

    Thyssen Stahl AG:

6 500 000 ECU

    Preussag AG:

9 500 000 ECU

    Empresa Nacional Siderúrgica SA:

4 000 000 ECU

    Siderúrgica Aristrain Madrid SL:

10 600 000 ECU

    SA Cockerill Sambre:

4 000 000 ECU

    Krupp-Hoesch Stahl AG:

13 000 ECU

    NMH Stahlwerke GmbH:

150 000 ECU

    Norsk Jernverk AS:

750 ECU

    Inexa Profil AB:

600 ECU

    Die Kommission beschließt ferner, daß Geldbußen, die 20 000 ECU überschreiten, in Raten bezahlt werden können. Sie genehmigt infolgedessen die in dem Schriftstück K(94) 321/2 und /3 wiedergegebene Entscheidung in den verbindlichen Sprachen.

*

* *

Die Sitzung wird um 16 Uhr 25 geschlossen.“

116.
    Aus Punkt XVII in Verbindung mit Punkt XXV des Protokolls ergibt sich, daß die Entscheidung nicht während der Beratung von Punkt XVII am Vormittag endgültig erlassen wurde, sondern während der Beratung von Punkt XXV am Nachmittag.

117.
    Aus der Liste der Anwesenden auf Seite 2 des Protokolls geht ferner hervor, daß bei der Beratung von Punkt XXV durch die Kommission neun Mitglieder der Kommission anwesend waren, und zwar Herr Delors, Sir Leon Brittan, Herr Van

Miert, Herr Ruberti, Herr Millan, Herr Van den Broek, Herr Flynn, Herr Steichen und Herr Paleokrassas. Das nach Artikel 5 der Geschäftsordnung von 1993 erforderliche Quorum war somit erreicht. Die Entscheidung konnte auch nach Artikel 6 der Geschäftsordnung mit Zustimmung der neun anwesenden Mitglieder gefaßt werden.

118.
    Das Vorbringen der Klägerinnen beruht indessen auf einer Anwesenheitsliste auf Seite 40 des Protokolls, in der es heißt, daß Herr Budd und Herr Santopinto, die Kabinettschefs von Sir Leon Brittan und Herrn Ruberti, sowie Frau Evans, ein Mitglied des Kabinetts von Herrn Flynn, „in Abwesenheit der Mitglieder der Kommission“ an der Sitzung teilgenommen hätten. Die Klägerinnen folgern daraus, daß Sir Leon Brittan, Herr Ruberti und Herr Flynn entgegen den Angaben auf Seite 2 des Protokolls bei dem unter Punkt XXV behandelten Erlaß der Entscheidung nicht anwesend gewesen seien.

119.
    Dem kann nicht gefolgt werden. Wie schon aus dem Wortlaut der Liste auf Seite 2 des Protokolls hervorgeht, dient sie einer genauen Aufstellung der An- oder Abwesenheit der Mitglieder der Kommission bei der betreffenden Sitzung. Diese Aufstellung betrifft sowohl die Vormittags- als auch die Nachmittagssitzung und ist somit der Beweis für die Anwesenheit der fraglichen Kommissionsmitglieder bei diesen beiden Sitzungsteilen, sofern nicht ausdrücklich angegeben ist, daß ein Mitglied bei der Erörterung eines bestimmten Punktes abwesend war. Die Liste auf Seite 40 des Protokolls betrifft dagegen nicht die Anwesenheit der Kommissionsmitglieder, sondern nur die etwaiger anderer Personen wie z. B. der Kabinettschefs. Unter diesen Umständen können die indirekten Schlüsse, die die Klägerinnen aus der genannten Liste ziehen zu können glauben, nicht höher bewertet werden als die ausdrücklichen Angaben zur An- oder Abwesenheit der Kommissionsmitglieder auf Seite 2 des Protokolls.

120.
    Das Gericht ist jedenfalls der Ansicht, daß die Angabe „An der Sitzung nehmen in Abwesenheit der Mitglieder der Kommission teil“ auf Seite 40 des Protokolls als Synonym für „An der Sitzung nehmen teil, falls ein Mitglied bei einem bestimmten Punkt abwesend ist,“ verstanden werden muß.

121.
    Diese Angabe ist nämlich im Zusammenhang mit Artikel 8 der Geschäftsordnung von 1993 zu sehen, in dem es u. a. heißt: „Ist ein Mitglied der Kommission abwesend, so kann sein Kabinettschef an der Sitzung teilnehmen und auf Aufforderung des Präsidenten die Meinung des abwesenden Mitglieds vortragen.“ Die Liste auf Seite 40 des Protokolls soll daher die Liste auf Seite 2 nicht ersetzen, sondern die Personen angeben, die gemäß Artikel 8 zur Teilnahme an der Sitzung berechtigt sind und dort gegebenenfalls die Meinung des abwesenden Mitglieds vortragen können.

122.
    Die Tatsache, daß ein Kabinettschef in Abwesenheit des von ihm vertretenen Kommissionsmitglieds dessen Meinung zu einem bestimmten Punkt vortragen kann,

schließt es jedoch nicht aus, daß das betreffende Kommissionsmitglied bei der Erörterung eines anderen Punktes in die Sitzung zurückkehrt, ohne daß sein Kabinettschef den Sitzungssaal nach seiner Rückkehr verläßt. Die Angabe auf Seite 40 des Protokolls, daß Herr Budd, Herr Santopinto und Frau Evans der Nachmittagssitzung beigewohnt hätten, kann deshalb allein damit zu erklären sein, daß gemäß Seite 2 des Protokolls Sir Leon Brittan, Herr Ruberti und Herr Flynn bei der Erörterung einiger Punkte der Tagesordnung für den Nachmittag abwesend waren, und zwar bei den Punkten XXIII.B, XXIII.C und teilweise XXIV (Sir Leon Brittan) sowie den Punkten XXIII.B und teilweise XXIII.C (Herr Ruberti und Herr Flynn). Daraus folgt daher nicht, daß diese drei Kommissionsmitglieder bei der Beratung über Punkt XXV entgegen den ausdrücklichen Angaben auf Seite 2 des Protokolls abwesend waren.

123.
    Diese Auslegung wird durch Seite 7 des Protokolls bestätigt, auf der sich für den Vormittag — entsprechend der Liste auf Seite 40 für den Nachmittag — eine Liste der Personen befindet, die „in Abwesenheit“ der Mitglieder der Kommission an der Sitzung teilnahmen. Wenn die Auslegung der Formulierung „An der Sitzung nehmen in Abwesenheit der Mitglieder der Kommission teil“ durch die Klägerinnen zuträfe, wäre daraus, daß nach dieser Liste Herr Kubosch, ein Mitglied des Kabinetts von Herrn Bangemann, und Herr Budd, der Kabinettschef von Sir Leon Brittan, während des gesamten Vormittags anwesend waren, zu folgern, daß die beiden genannten Kommissionsmitglieder den ganzen Vormittag über abwesend waren. Dies ist ersichtlich nicht der Fall, denn gemäß Seite 2 des Protokolls waren Herr Bangemann am Vormittag bei den Punkten I bis XVIII und Sir Leon Brittan bei den Punkten XVII bis XXII anwesend.

124.
    Demnach war das erforderliche Quorum anwesender Mitglieder beim Erlaß der Entscheidung am Nachmittag des 16. Februar 1994 erfüllt.

125.
    Im übrigen sieht Artikel 6 der Geschäftsordnung von 1993 vor, daß die Kommission auf Vorschlag eines oder mehrerer Mitglieder beschließt und nur auf Antrag eines ihrer Mitglieder eine Abstimmung vornimmt. Mangels eines solchen Antrags brauchte die Kommission in der Nachmittagssitzung keine förmliche Abstimmung vorzunehmen. Da gemäß Artikel 6 die Beschlüsse der Kommission mit der Mehrheit der im Vertrag vorgesehenen Mitgliederzahl gefaßt werden, die damals neun Mitglieder betrug, waren die am Nachmittag des 16. Februar 1994 anwesenden neun Mitglieder jedenfalls nicht daran gehindert, einstimmig den Erlaß der Entscheidung zu beschließen.

126.
    Folglich ist die erste Rüge der Klägerinnen unbegründet.

Die fehlende wörtliche Übereinstimmung zwischen der erlassenen und der der Klägerin notifizierten Entscheidung

127.
    Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes müssen der verfügende Teil und die Begründung der ihrem oder ihren Adressaten notifizierten Entscheidung

— abgesehen von rein orthographischen oder grammatikalischen Anpassungen, die am Wortlaut eines Rechtsakts noch nach seiner endgültigen Verabschiedung durch das Kommissionskollegium vorgenommen werden dürfen — mit der vom Kollegium erlassenen Entscheidung übereinstimmen (PVC-Urteil, Randnrn. 62 bis 70).

128.
    Nach Punkt XXV des Protokolls hat die Kommission „die in dem Schriftstück K(94) 321/2 und /3 wiedergegebene Entscheidung in den verbindlichen Sprachen “ erlassen.

129.
    Folglich ist der maßgebliche Vergleich zwischen der Fassung K(94) 321/2 in Verbindung mit der Fassung K(94) 321/3 der Entscheidung, die von der Kommission am Nachmittag des 16. Februar 1994 erlassen wurden, und den verschiedenen, den Klägerinnen in den verbindlichen Sprachen notifizierten Fassungen der Entscheidung anzustellen.

130.
    Ein sachlicher Unterschied zwischen der Fassung K(94) 321/2 in Verbindung mit der Fassung K(94) 321/3 der Entscheidung, die von der Kommission in den vier verbindlichen Sprachen bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht worden sind, und den Fassungen der Entscheidung, die den Klägerinnen notifiziert wurden, ist aber von den Klägerinnen nicht geltend gemacht worden und für das Gericht nicht ersichtlich. Daß die Entscheidung in Form von zwei Schriftstücken — K(94) 321/2 und K(94) 321/3 — erlassen wurde, wobei im zweiten mehrere, zum Teil handschriftliche Änderungen am ersten vorgenommen wurden, spielt unter diesen Umständen keine Rolle, zumal diese Änderungen im wesentlichen nur die Ratenzahlung der Geldbußen und den Beschluß betreffen, keine Geldbußen unter 100 ECU festzusetzen. Auch die Tatsache, daß die Schriftstücke K(94) 321/2 und K(94) 321/3 in einigen Sprachfassungen nicht durchgehend paginiert sind oder unterschiedliche Schrifttypen aufweisen, ist unerheblich, da das intellektuelle und das formelle Element dieser Schriftstücke zusammen genommen der den Klägerinnen notifizierten Fassung der Entscheidung entsprechen (PVC-Urteil, Randnr. 70).

131.
    Die Unterschiede zwischen den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3 zeugen vielmehr vom Bestreben der Kommission, die Entscheidung erst förmlich zu erlassen, nachdem alle vom Kollegium beschlossenen Änderungen, insbesondere hinsichtlich der Ratenzahlung der Geldbußen und der Nichtfestsetzung von Geldbußen unter 100 ECU, in alle Sprachfassungen eingefügt worden waren.

132.
    Aus dem Vorstehenden folgt ferner, daß die auf einem eingehenden Vergleich zwischen einigen in den Aktenordnern 57, 58 und 61 der Kommission befindlichen Unterlagen und den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3 beruhenden Argumente fehl gehen. Wie oben ausgeführt, ist der maßgebliche Vergleich zwischen den von der Kommission vorgelegten Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3 einerseits und der den Klägerinnen notifizierten Fassung andererseits anzustellen und nicht zwischen den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3

einerseits und einigen Entwürfen und anderen möglicherweise älteren Unterlagen in den Akten der Kommission andererseits. Es gibt insbesondere keinen Beweis dafür, daß das im Ordner 61 enthaltene Schriftstück B, das ein Arbeitsdokument zu sein scheint, das Schriftstück K(94) 321 darstellt oder dem von der Kommission in der Vormittagssitzung des 16. Februar 1994 geprüften Schriftstück entspricht. Dem Schriftstück K(94) 321 kommt ohnehin keine Bedeutung zu, da die von der Kommission erlassene endgültige Fassung der Entscheidung aus den Schriftstücken K(94) 321/2 und K(94) 321/3 besteht.

133.
    Auch etwaige Unklarheiten hinsichtlich des genauen Zeitpunkts, zu dem die Übersetzung einiger geringfügiger Änderungen der italienischen Fassung der Entscheidung übersandt wurde, sind unerheblich, zumal sich die italienische Fassung der Entscheidung nicht an die Klägerin richtet.

134.
    Schließlich ist unstreitig, daß das Schriftstück K(94) 321/4 nur eine nicht vertrauliche Fassung des Schriftstücks K(94) 321 endg. ist, in der einige Zahlen, bei denen es sich um Geschäftsgeheimnisse der Adressaten handelt, zum Zweck der Notifizierung der Entscheidung an andere Adressaten entfernt wurden.

135.
    Folglich ist die zweite Rüge der Klägerinnen unbegründet.

Die fehlende Feststellung der Entscheidung

136.
    Zur dritten Rüge der Klägerinnen, nach der die Fassungen K(94) 321/2 und K(94) 321/3 der Entscheidung nicht in der in Artikel 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung von 1993 vorgesehenen Weise festgestellt worden seien, ist darauf hinzuweisen, daß diese Bestimmung folgendes vorsieht:

„Die von der Kommission in einer Sitzung oder im schriftlichen Verfahren gefaßten Beschlüsse werden in der Sprache oder in den Sprachen, in denen sie verbindlich sind, dem Protokoll der Kommissionssitzung beigefügt, in der diese Beschlüsse angenommen wurden oder in der ihre Annahme vermerkt wurde. Diese Beschlüsse werden durch die Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs auf der ersten Seite dieses Protokolls festgestellt.“

137.
    Ferner sieht Artikel 9 Absatz 2 der Geschäftsordnung von 1993 vor, daß die Protokolle der Kommission „durch die Unterschrift des Präsidenten und des Generalsekretärs festgestellt“ werden.

138.
    In Artikel 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung von 1993 war nicht festgelegt, in welcher Weise die in einer Sitzung gefaßten Beschlüsse dem Protokoll „beigefügt“ werden mußten, während sie z. B. gemäß Artikel 16 der Geschäftsordnung der Kommission in der Fassung des Beschlusses 95/148/EG, Euratom, EGKS vom 8. März 1995 (ABl. L 97, S. 82) „untrennbar mit dem Protokoll ... verbunden“ sein müssen.

139.
    Im vorliegenden Fall ist dem Gericht das Protokoll mit den verschiedenen verbindlichen Sprachfassungen der Schriftstücke K(94) 321/2 und K(94) 321/3 in demselben Behältnis und so zugegangen, wie es die Prozeßvertreter der Kommission nach ihren Angaben im Anschluß an das Ersuchen des Gerichts vom 11. März 1998 vom Generalsekretariat der Kommission erhalten haben. Daher ist davon auszugehen, daß diese Schriftstücke dem Protokoll in der Weise „beigefügt“ waren, daß sie mit ihm zusammen aufbewahrt wurden, ohne körperlich mit ihm verbunden zu sein.

140.
    Artikel 16 Absatz 1 der Geschäftsordnung von 1993 soll sicherstellen, daß die Kommission den dem Adressaten notifizierten Beschluß ordnungsgemäß erlassen hat. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin aber keinen sachlichen Unterschied zwischen der ihr notifizierten Fassung der Entscheidung und der Fassung dargetan, die der Kommission zufolge dem Protokoll „beigefügt“ wurde.

141.
    Unter diesen Umständen hat die Klägerin angesichts der Gültigkeitsvermutung für Gemeinschaftshandlungen (Urteil des Gerichts vom 27. Oktober 1994 in der Rechtssache T-35/92, Deere/Kommission, Slg. 1994, II-957, Randnr. 31) nicht nachgewiesen, daß die Schriftstücke K(94) 321/2 und K(94) 321/3 dem Protokoll nicht im Sinne von Artikel 16 der Geschäftsordnung von 1993 „beigefügt“ waren. Daher ist davon auszugehen, daß diese Schriftstücke durch die Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs auf der ersten Seite des Protokolls festgestellt wurden.

142.
    Zu der Tatsache, daß das dem Gericht vorgelegte Protokoll seinerseits eine Fotokopie ist, die nicht die Originalunterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs trägt, ist festzustellen, daß die erste Seite des Protokolls mit dem Stempel „Beglaubigte Ausfertigung, Der Generalsekretär, Carlo Trojan“ versehen ist und daß dieser Stempel die Originalunterschrift von Herrn Trojan, dem derzeitigen Generalsekretär der Kommission, trägt. Diese Beglaubigung durch den derzeitigen Generalsekretär der Kommission ist als rechtlich hinreichender Beweis dafür anzusehen, daß das Original des Protokolls die Originalunterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs der Kommission trägt.

143.
    Folglich ist die dritte Rüge nicht begründet.

Die fehlende Angabe des Datums der Unterzeichnung des Protokolls

144.
    Zur vierten Rüge der Klägerinnen, daß auf dem Protokoll das Datum seiner Unterzeichnung durch den Präsidenten und den Generalsekretär der Kommission fehle, genügt die Feststellung, daß die erste Seite des dem Gericht vorgelegten Protokolls die Angabe „Brüssel, den 23. Februar 1994“ und den Satz enthält: „Das vorliegende Protokoll wurde von der Kommission in ihrer 1190. Sitzung in Brüssel am 23. Februar 1994 angenommen.“ Es folgen die Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs sowie die Beglaubigung der Übereinstimmung der

Ausfertigung des Protokolls mit dem Original durch Herrn Trojan. Somit wurde das Protokoll vom Präsidenten und vom Generalsekretär am 23. Februar 1994 in Einklang mit der Geschäftsordnung von 1993 ordnungsgemäß unterzeichnet.

145.
    Auch die vierte Rüge der Klägerinnen ist folglich unbegründet.

146.
    Schließlich haben die unzutreffenden Angaben von Herrn Van Miert in seiner Pressekonferenz am Mittag des 16. Februar 1994, bei der er bekanntgab, daß die Kommission soeben die Entscheidung erlassen habe, und einige Bußgeldbeträge nannte, die nicht den in der Entscheidung festgesetzten Beträgen entsprachen, als solche keine Auswirkungen auf den ordnungsgemäßen Erlaß der Entscheidung durch das Kommissionskollegium, da sich die gerichtliche Kontrolle nur auf die von der Kommission erlassene Entscheidung erstrecken kann (vgl. Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1991 in der Rechtssache T-30/89, Hilti/Kommission, Slg. 1991, II-1439, Randnr. 136).

147.
    Nach alledem sind die verschiedenen Argumente, mit denen geltend gemacht wird, daß die Kommission im Verwaltungsverfahren wesentliche Formvorschriften verletzt habe, in vollem Umfang zurückzuweisen, ohne daß die von den Klägerinnen beantragten Beweisaufnahmen angeordnet zu werden brauchen.

C — Zum Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages

148.
    Im Rahmen ihres auf einen Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages gestützten Vorbringens erhebt die Klägerin drei Hauptvorwürfe. Erstens habe die Kommission bei der Feststellung der in Artikel 1 der Entscheidung aufgezählten Zuwiderhandlungen einen unzutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt. Zweitens sei dieser Sachverhalt — selbst wenn man ihn als erwiesen ansehe — rechtlich falsch gewürdigt worden; insbesondere habe die Kommission zu Unrecht die aus Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag abgeleiteten Rechtsanschauungen angewandt, obwohl der EGKS-Vertrag einen völlig anderen rechtlichen Rahmen habe. Drittens seien die den Unternehmen zur Last gelegten Verhaltensweisen der GD III bekannt gewesen und von ihr sogar unterstützt oder zumindest toleriert worden, so daß kein Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages vorliege. Schließlich sei die Begründung in mehrfacher Hinsicht unzureichend.

149.
    Angesichts der Verflechtung der von der Klägerin geltend gemachten Argumente sind die einzelnen ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlungen nacheinander zu prüfen; dabei ist zunächst zu klären, ob die ihnen zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen rechtlich hinreichend erwiesen sind, und dann zu ermitteln, ob die in der Entscheidung vorgenommene rechtliche Bewertung dieses Sachverhalts zutrifft. Auf die Frage, ob die Handlungen der GD III geeignet sind, dem so bewerteten Sachverhalt seinen rechtswidrigen Charakter zu nehmen, wird unten in Abschnitt D eingegangen.

Zur Festsetzung von Preisen (Zielpreise) in der Träger-Kommission

1. Tatsächliche Feststellungen

150.
    Die Kommission wirft der Klägerin in Artikel 1 der Entscheidung vor, an einer Zuwiderhandlung in Form der Festsetzung von Preisen in der Träger-Kommission teilgenommen zu haben. Der für die Geldbuße herangezogene Zeitraum beträgt 30 Monate und erstreckt sich vom 1. Juli 1988 bis zum 31. Dezember 1990 (vgl. Randnrn. 80 bis 121, 223 bis 243, 311 und 314 der Entscheidung).

151.
    Im vorliegenden Fall leugnet die Klägerin nicht, an den in der Entscheidung beschriebenen Sitzungen der Träger-Kommission teilgenommen zu haben, macht aber u. a. geltend, daß dort keine „Vereinbarungen“ getroffen, sondern nur Informationen der Mitglieder über deren „Schätzungen“ oder „Prognosen“ in bezug auf die Preise oder über die tatsächlichen Marktpreise ausgetauscht worden seien. Außerdem gebe es für die ihr zur Last gelegten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken keinen rechtlich hinreichenden Beweis, wie insbesondere ein vom Sachverständigen Bishop in der Verwaltungsanhörung vorgelegtes Wirtschaftsgutachten zeige.

— Vorbemerkungen

152.
    Bevor die in den Randnummern 80 bis 121 und 223 bis 237 der Entscheidung beanstandeten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken im einzelnen untersucht werden, ist einleitend festzustellen, daß die Beweise in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung aller einschlägigen tatsächlichen Gegebenheiten zu würdigen sind (vgl. die Schlußanträge des zum Generalanwalt bestellten Richters Vesterdorf zum Urteil vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-1/89, Rhône-Poulenc/Kommission, Slg. 1991, II-867, II-869 — gemeinsame Schlußanträge zu den „Polypropylen-Urteilen“ vom 24. Oktober 1991 in den Rechtssachen T-2/89 und T-3/89, Slg. 1991, II-1087 und II-1177, vom 17. Dezember 1991 in den Rechtssachen T-4/89, T-6/89, T-7/89 und T-8/89, Slg. 1991, II-1523, II-1623, II-1711 und II-1833, und vom 10. März 1992 in den Rechtssachen T-9/89 bis T-15/89, Slg. 1992, II-499, II-629, II-757, II-907, II-1021, II-1155 und II-1275).

153.
    Insoweit steht erstens außer Streit, daß die Träger-Kommission ebenso wie die übrigen „Product Committees“ von Eurofer in der Zeit der offensichtlichen Krise geschaffen wurde, um das Verhalten der Stahlunternehmen, insbesondere im Rahmen des Systems der „I“- und „i-Quoten“ und der Eurofer-I- bis Eurofer-V-Vereinbarungen (siehe oben, Randnrn. 9 ff.), besser zu koordinieren. Nach dem Ende der Krise trat diese Kommission, der die wichtigsten Trägerhersteller der Gemeinschaft angehörten und die über ein ständiges Sekretariat verfügte, weiterhin regelmäßig zusammen. Im vorliegenden Fall stellt vor allem dieses System regelmäßiger Sitzungen den Bezugsrahmen für die Beurteilung der maßgeblichen Beweise dar (vgl. Randnrn. 30, 36, 37 und 212 der Entscheidung).

154.
    Zweitens nahm die Klägerin unstreitig an allen 25 in Randnummer 36 der Entscheidung aufgezählten Sitzungen der Träger-Kommission teil, d. h. an den Sitzungen vom 7. April, 19. Mai, 28. Oktober und 25. November 1987, vom 3. Mai, 19. Juli, 18. Oktober, 15. November und 13. Dezember 1988, vom 10. Januar, 7. Februar, 19. April, 6. Juni, 11. Juli, 3. August, 21. September, 7. November und 12. Dezember 1989 sowie vom 14. Februar, 21. März, 16. Mai, 10. Juli, 11. September, 9. Oktober und 4. Dezember 1990 (Randnr. 38 Buchstabe a der Entscheidung). Die Teilnahme eines Unternehmens an Sitzungen, in denen wettbewerbswidrige Handlungen vorgenommen wurden, reicht zum Nachweis seiner Beteiligung an diesen Handlungen aus, sofern keine Indizien vorliegen, die das Gegenteil beweisen (vgl. Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-14/89, Montedipe/Kommission, Slg. 1992, II-1155, Randnrn. 129 und 144).

155.
    Drittens steht fest, daß die bei diesen Sitzungen gefaßten Beschlüsse der Eurofer/Scandinavia-Gruppe mitgeteilt wurden, die ebenso wie die Träger-Kommission arbeitete und der die wichtigsten Hersteller der Gemeinschaft und Skandinaviens angehörten (vgl. u. a. die Randnrn. 81, 84, 86 bis 88, 93, 187, 189, 191 und 192 der Entscheidung). Ferner steht fest, daß die Klägerin zwischen dem 5. Februar 1986 und dem 31. Oktober 1990 an den 20 in Randnummer 178 der Entscheidung aufgeführten Sitzungen der Eurofer/Scandinavia-Gruppe teilnahm (vgl. Randnr. 181 der Entscheidung).

156.
    Viertens ist speziell zu der Behauptung, daß es sich vorliegend nicht um „Vereinbarungen über die Preise“, sondern um einen „Informationsaustausch über die erwarteten Preise“ oder über die „tatsächlichen Marktpreise“ gehandelt habe, festzustellen, daß in den Protokollen in Zusammenhang mit den Preisen zwar häufig Ausdrücke wie „Schätzungen“ oder „Prognosen“ gebraucht werden; bei der Gesamtwürdigung der Beweise sind jedoch folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:

a)    Zahlreiche Preistabellen (z. B. die Tabellen, in denen die in den Sitzungen vom 25. Juli 1988, 18. Oktober 1988, 10. Januar 1989 und 19. April 1989 festgelegten Preise angegeben sind) wurden relativ lange vor dem betreffenden Quartal erstellt und enthalten sehr detaillierte Angaben, die u. a. die verschiedenen Produktkategorien, die einzelnen Länder, den genauen Betrag der geplanten Erhöhungen und die Rabatte betreffen. Derartige Tabellen können nicht als bloße Wiedergabe von „Schätzungen “ der Unternehmen in bezug auf die Entwicklung der Marktpreise angesehen werden.

b)    In zahlreichen Fällen spricht der Wortlaut der Protokolle nicht für die Auffassung der Klägerin; vgl. z. B. nachstehende Ausführungen: „Die Preiserhöhungen ... führen zu folgendem Preisniveau“ (Sitzung vom 18. Oktober 1988). „Folgende Preisniveaus werden für das zweite Quartal 1989 erwartet. Diese Preise sind gegenüber T1/89 Erhöhungen um: [es folgt eine genaue Tabelle]“ (Sitzung vom 10. Januar 1989). „[D]ie Prognosen T2/89

[werden] im dritten Quartal 1989 beibehalten; es handelt sich um folgende Niveaus: [es folgt eine genaue Tabelle]“ (Sitzung vom 19. April 1989). „Die für das dritte Quartal 1989 erwarteten und erzielten Preise werden in diesem Zusammenhang im vierten Quartal 1989 beibehalten“ (Sitzung vom 11. Juli 1989).

c)    In den Protokollen ist ferner vielfach davon die Rede, daß die für das betreffende Quartal „erwarteten“ Preise „erzielt“ oder von den Kunden „angenommen“ worden seien (vgl. Randnrn. 94, 95, 97 bis 99, 101, 102 und 118 der Entscheidung).

d)    Die Protokolle der Sitzungen der Träger-Kommission sind in Verbindung mit den Protokollen der Sitzungen der Eurofer/Scandinavia-Gruppe zu sehen, die u. a. dazu dienten, den skandinavischen Herstellern die bei der vorangegangenen Sitzung der Träger-Kommission gefaßten Beschlüsse zu übermitteln (vgl. Randnrn. 177 ff. der Entscheidung). Aus den Protokollen der Sitzungen der Eurofer/Scandinavia-Gruppe geht aber ganz klar hervor, daß es sich vorliegend um Preisabsprachen handelte (siehe unten).

e)    Zu den von der Kommission vorgelegten Beweisen gehören nicht nur die Protokolle der Träger-Kommission und der Eurofer/Scandinavia-Gruppe, sondern auch andere Unterlagen, die von den Unternehmen selbst stammen, wie z. B. das Fernschreiben von TradeARBED an Thyssen vom 22. September 1988, der interne Vermerk der Klägerin vom 13. Januar 1989, der Vermerk von TradeARBED für die Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 31. Januar 1990, die Schreiben der Klägerin an Unimétal vom 6. November und vom 19. Dezember 1989, das Schreiben von TradeARBED an Unimétal vom 7. Februar 1990 und die in der Entscheidung (u. a. in den Randnrn. 96, 100, 111, 112, 114, 115 und 117) erwähnten Unterlagen von British Steel.

f)    Die Klägerin hat nicht bestritten, daß in den Sitzungen der Träger-Kommission vom 19. April 1989, 6. Juni 1989 und 16. Mai 1990 Vereinbarungen über die Aufpreisharmonisierung getroffen wurden. Überdies hat die Kommission zu Recht geltend gemacht, daß die Klägerin auch den Vereinbarungen zustimmte, die in den Sitzungen vom 15. November 1988 und vom 4. Dezember 1990 getroffen wurden (siehe unten). In Anbetracht des engen Zusammenhangs zwischen den Basispreisen und den Aufpreisen ist es nicht plausibel, daß die Teilnehmer über die einen Vereinbarungen trafen und über die anderen nicht.

g)    Die Klägerin hat die Behauptung der Kommission in Randnummer 37 der Entscheidung, daß die endgültigen Fassungen der Protokolle der Träger-Kommission mit gewisser Vorsicht formuliert worden seien, nicht in Abrede gestellt.

157.
    Im Licht dieser allgemeinen Erwägungen sind alle der Klägerin zur Last gelegten Vereinbarungen oder verabredeten Praktiken bei der Preisfestsetzung zu prüfen.

— Die angeblich 1986 und 1987 getroffenen Vereinbarungen

158.
    In Randnummer 223 der Entscheidung stellt die Kommission unter Bezugnahme auf die Randnummern 80 bis 86 fest, daß „Preisabsprachen ... in den Jahren 1986 und 1987 verschiedentlich getroffen“ worden seien.

159.
    Die Klägerin hat zwar die Existenz dieser Absprachen nicht ausdrücklich bestritten, doch die Bezugnahme in Randnummer 223 der Entscheidung auf „verschiedentlich getroffene“ Preisabsprachen in den Jahren 1986 und 1987 ist zu ungenau, um dahin ausgelegt zu werden, daß die Kommission der Klägerin vorwirft, an ihnen beteiligt gewesen zu sein.

160.
    An dieser Feststellung ändert sich auch dann nichts, wenn man unterstellt, daß die Randnummern 80 bis 86 der Entscheidung, auf die Randnummer 223 Bezug nimmt, zum Nachweis der Existenz einer 1986 getroffenen Vereinbarung (Randnrn. 80 und 81) und zwei weiterer 1987 getroffener Vereinbarungen (Randnrn. 82 bis 86) dienen.

161.
    In Randnummer 223 der Entscheidung werden diese angeblichen Vereinbarungen nämlich nicht näher konkretisiert; dies läßt den Schluß zu, daß sie in den Augen der Kommission nur die Vorgeschichte der Kartelle darstellen, die dann in den Randnummern 224 bis 237 der Entscheidung im einzelnen beschrieben werden.

— Die angeblich vor dem 2. Februar 1988 getroffene Vereinbarung über die Preise in Deutschland und Frankreich

162.
    In Randnummer 224 der Entscheidung stellt die Kommission fest, daß in einer Sitzung an einem nicht näher zu bestimmenden Datum vor dem 2. Februar 1988 vereinbart worden sei, die Preise in Deutschland und Frankreich anzuheben. Sie stützt sich auf einen Auszug aus dem Protokoll der Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 2. Februar 1988, in dem es heißt: „Preise: Beschluß zur Vornahme von Preisanhebungen zum 1. April um 20 DM auf dem deutschen Markt für Kategorien 1, 2A, 2B2 und 2B3 und um 10 DM für die Kategorie 2B1, um 50 FF auf dem französischen Markt für alle Kategorien ausgenommen 2C“ (Randnr. 87 der Entscheidung, S. 674 bis 678 der Akten).

163.
    Schon im Wortlaut des Protokolls der Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 2. Februar 1988 wird auf eine Vereinbarung über Preiserhöhungen auf dem deutschen und dem französischen Markt Bezug genommen. Der Vereinbarungscharakter dieser Preiserhöhungen ergibt sich zum einen daraus, daß das (französische) Wort „décision“ im Singular verwendet wird, und zum anderen aus der Einheitlichkeit der Erhöhungen auf jedem der betreffenden Märkte. Die Klägerin nahm im übrigen unstreitig an dieser Sitzung teil. Das Vorliegen der von

der Kommission behaupteten Tatsachen ist somit rechtlich hinreichend nachgewiesen.

— Die angeblich vor dem 25. Juli 1988 festgelegten Zielpreise

164.
    In Randnummer 224 der Entscheidung stellt die Kommission ferner fest: „Weitere Zielpreise (für das vierte Quartal 1988) wurden vor dem 25. Juli 1988 vereinbart ...“ Sie stützt sich auf eine dem Protokoll der Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 25. Juli 1988 beigefügte Übersicht der nach Kategorien aufgeschlüsselten „Marktpreise Q4-88“ für Deutschland, Frankreich und den belgisch-luxemburgischen Markt (Randnr. 88 der Entscheidung).

165.
    Die streitige Übersicht wurde am oder vor dem 25. Juli 1988 und somit relativ lange vor dem Bezugsquartal erstellt; sie enthält genaue, nach Ländern und Produktkategorien aufgeschlüsselte Preisangaben. Daraus folgt, daß es sich um detaillierte Preise handelt, die die Parteien gemeinsam anwenden wollten, und nicht um eine bloße Wiedergabe der — aktuellen oder prognostizierten — tatsächlichen Marktpreise.

166.
    Im übrigen ist nach dem tatsächlichen Zusammenhang davon auszugehen, daß durch dieses Schriftstück die Eurofer/Scandinavia-Gruppe über eine solche Vereinbarung informiert wurde. Derartige Informationen wurden den Mitgliedern dieser Gruppe regelmäßig übermittelt, wobei dies zumindest einige Male in Form einer dem Protokoll der betreffenden Sitzung beigefügten Übersicht geschah.

167.
    Das Vorliegen der von der Kommission behaupteten Tatsachen ist somit rechtlich hinreichend nachgewiesen.

— Die angeblich am 18. Oktober 1988 festgelegten Zielpreise

168.
    In den Randnummern 225 und 226 der Entscheidung beanstandet die Kommission eine Vereinbarung über Zielpreise für das erste Quartal 1989, die in der Sitzung der Träger-Kommission vom 18. Oktober 1988 getroffen worden sein soll. Sie stützt sich insbesondere auf folgende Beweismittel:

—    das Protokoll dieser Sitzung, in dem u. a. von Preiserhöhungen die Rede ist, die auf 25 DM bis 40 DM in der Bundesrepublik Deutschland, 50 FRF bis 100 FRF in Frankreich und 200 BFR bis 800 BFR in Benelux „eingeschätzt“ werden, wobei die Preise, zu denen diese Erhöhungen „führen“, in einer nach Ländern sowie nach Produkt- und Kundenkategorien aufgeschlüsselten Übersicht aufgeführt sind (Randnr. 89 der Entscheidung);

—    die Übersicht, die zur Erstellung der Zielpreise für das vierte Quartal 1988 diente (S. 2507 der Akten, Anlage zum Protokoll der Sitzung der

Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 25. Juli 1988, Randnr. 90 der Entscheidung);

—    ein Fernschreiben von Thyssen an TradeARBED vom 22. September 1988 (Randnr. 91 der Entscheidung);

—    das Protokoll der Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 3. November 1988 (S. 2488 bis 2493 der Akten), in dem es heißt:

    „Für das erste Quartal 1989 sind neue Anhebungen geplant, die vom Handel im übrigen bereits erwartet werden. Sie führen zu Erhöhungen um 25 DM bis 40 DM in Deutschland, 50 FF bis 100 FF in Frankreich und 200 FB bis 800 FB in Benelux.“

—    die Tatsache, daß „Absprachen ... getroffen [wurden], um die Preise durch Harmonisierung und Heraufsetzung von Aufpreisen zu erhöhen“.

169.
    Die in den Randnummern 225 und 226 der Entscheidung genannten Anhaltspunkte stellen zusammen genommen eine schlüssige und stichhaltige Indizienkette dar, die zum Nachweis des beanstandeten Sachverhalts geeignet ist.

170.
    Insbesondere enthält das Protokoll der Sitzung der Träger-Kommission vom 18. Oktober 1988, an der die Klägerin teilnahm, nach Produkten und Märkten aufgeschlüsselte detaillierte Preisangaben für die einzelnen Kundenkategorien sowie den Satz: „Die Preiserhöhungen ... führen zu folgendem Preisniveau ...“ Außerdem entsprechen die genannten Zahlen den Angaben im Protokoll der Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 3. November 1988 (Randnr. 200 der Entscheidung), an der die Klägerin ebenfalls teilnahm; dies beweist, daß der Beschluß der Träger-Kommission vom 18. Oktober 1988 auch der Eurofer/Scandinavia-Gruppe mitgeteilt wurde.

171.
    Im übrigen ist das Fernschreiben von Thyssen an TradeARBED vom 22. September 1988 ein zusätzliches klares Indiz für den Vereinbarungscharakter der im Protokoll der Sitzung vom 18. Oktober 1988 aufgeführten Preise. Dieses Fernschreiben lautet wie folgt:

„An und für sich ist ein Gespräch am sinnvollsten nach dem Skandinav./Eurofer-Termin. Da dieser aber spät ist, sollten wir m. E. unseren Freunden unsere Absichten EG im Durchschnitt mitteilen und für Parallelität plädieren, d. h. für skand. Programm Erhöhung um:

                Schweden        SEK 100,—

                Norwegen        NOK 100,—

                Finnland        DM 40,—

Für 2C kann dann 29. 09. beschlossen werden.“

172.
    Soweit darin von „Absichten EG“ gesprochen wird, handelte es sich um gemeinsame Absichten mehrerer Unternehmen. Der Verfasser des Fernschreibens möchte beim „skandinavischen Programm“ für „Parallelität“ zwischen der geplanten durchschnittlichen Erhöhung in der Gemeinschaft und der von den Teilnehmern an der nächsten Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe einvernehmlich zu beschließenden Erhöhung plädieren (dieser Beschluß wurde am 3. November 1988 tatsächlich gefaßt). Außerdem wird dem Empfänger des Fernschreibens ein baldiger „Beschluß“ über die Preise der Kategorie 2C vorgeschlagen; dies zeigt, daß es sich um einvernehmlich festgesetzte Preise handelte.

173.
    Die Kommission hat in Randnummer 225, siebter Gedankenstrich, der Entscheidung auch zu Recht die Ansicht vertreten, daß es überraschend wäre, wenn die Unternehmen, als sie sich in der Träger-Kommission über harmonisierte Aufpreise verständigten, die Höhe der Basispreise dem freien Spiel des Wettbewerbs überlassen hätten (siehe unten). Gerade in der Sitzung vom 18. Oktober 1988 wurde ein Vorschlag von Usinor Sacilor zur Harmonisierung der Güteaufpreise geprüft, bevor er in der Sitzung vom 15. November 1988 grundsätzlich angenommen wurde (Randnr. 122 der Entscheidung).

174.
    In Einklang mit den Erwägungen in Randnummer 226 der Entscheidung wird der zumindest in moralischer Hinsicht zwingende Charakter der von der Kommission beanstandeten Vereinbarungen im übrigen dadurch belegt, daß keiner der Sitzungsteilnehmer ankündigte, die vorgeschlagenen Preise nicht anwenden zu wollen (vgl. Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89, Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Randnr. 232), sowie durch die späteren Erklärungen der Unternehmen, daß die fraglichen Preise von den Kunden angenommen worden seien (vgl. Randnrn. 94 und 95 der Entscheidung).

175.
    Die Kommission hat somit das Vorliegen des beanstandeten Sachverhalts in bezug auf die am 18. Oktober 1988 getroffene Vereinbarung über die Zielpreise rechtlich hinreichend nachgewiesen.

— Die angeblich in der Sitzung vom 10. Januar 1989 beschlossenen Zielpreise

176.
    Gemäß Randnummer 227 der Entscheidung hat die Träger-Kommission in ihrer Sitzung vom 10. Januar 1989 Zielpreise für Lieferungen nach Frankreich, Deutschland, Benelux und Italien im zweiten Quartal dieses Jahres vereinbart.

177.
    Die Kommission stützt sich auf das Protokoll dieser Sitzung (vgl. Randnr. 95 der Entscheidung), in dem die Erhöhungen für das Bezugsquartal, aufgeschlüsselt nach Märkten und Kategorien, angegeben werden. Dann werden die infolge dieser Erhöhungen erwarteten Preisniveaus genannt. Die Kommission beruft sich ferner auf eine undatierte Aktennotiz von British Steel über die Ergebnisse dieser Sitzung

und auf einen internen Vermerk der Klägerin vom 13. Januar 1989 (Randnr. 96 der Entscheidung).

178.
    Die in den Randnummern 95 und 96 der Entscheidung aufgeführten Unterlagen sind ein rechtlich hinreichender Beweis für den beanstandeten Sachverhalt.

179.
    Die Parteien bedienten sich erneut der bereits in der Sitzung vom 18. Oktober 1988 angewandten Technik und legten im Protokoll vom 10. Januar 1989 für jeden Markt und jede Produkt- und Kundenkategorie genau und detailliert die Erhöhungen sowie die daraus folgenden neuen Preise fest. Solche Angaben setzen eine Vereinbarung über die fraglichen Preise voraus. Diese Schlußfolgerung wird durch zwei andere, von der Kommission in Randnummer 96 der Entscheidung erwähnte Unterlagen bestätigt, und zwar durch die undatierte Aktennotiz von British Steel (S. 2001 bis 2003 der Akten) und den Vermerk der Klägerin vom 13. Januar 1989 (S. 3051 f. der Akten). In der Aktennotiz von British Steel werden Preise für Frankreich, Deutschland und die Beneluxländer genannt, die mit den Angaben im Protokoll der Sitzung vom 10. Januar 1989 übereinstimmen. Sodann ist die Rede von „Price Intentions“ (Preisabsichten), bei denen es sich angesichts der Einheitlichkeit der Erhöhungen und der daraus folgenden neuen Preise nur um gemeinsame Absichten der Mitglieder der Träger-Kommission handeln kann. Dem Vermerk der Klägerin vom 13. Januar 1989 zufolge waren die Erhöhungen bereits „anvisiert“ worden, bevor sie in der Sitzung „konkretisiert“ wurden. Nach der Aufzählung der für Deutschland geltenden Erhöhungen heißt es in dem Vermerk weiter: „Auch in den wichtigsten übrigen Ländern der Gemeinschaft sind auf die einzelnen Kategorien bezogen selektive Preiserhöhungen beschlossen worden ...“ Diese Formulierung zeigt ebenfalls, daß es eine Willensübereinstimmung gab.

180.
    Auf dieses Ergebnis hat es keinen Einfluß, daß die in der undatierten Aktennotiz von British Steel angegebenen neuen Preise für Italien um 20 000 LIT pro Tonne über den Angaben im Protokoll der fraglichen Sitzung liegen. Diese Abweichung in der Aktennotiz von British Steel, die nur die neuen Preise für Italien betrifft, ist auf einen schlichten Irrtum bei der schriftlichen Niederlegung der betreffenden neuen Preise zurückzuführen.

— Die angeblich in der Sitzung vom 7. Februar 1989 festgelegten Zielpreise für den italienischen und den spanischen Markt

181.
    Gemäß Randnummer 227 der Entscheidung hat die Träger-Kommission in ihrer Sitzung vom 7. Februar 1989 Zielpreise für den italienischen und den spanischen Markt festgelegt.

182.
    Die Kommission stützt sich auf das Protokoll dieser Sitzung (vgl. Randnr. 98 der Entscheidung), dem sie entnimmt, daß Preise für zwei Trägerkategorien in Italien und weitere Preise für Spanien festgelegt und die im Protokoll der Sitzung vom 10. Januar 1989 enthaltenen Preisangaben (vgl. Randnr. 95 der Entscheidung) ergänzt worden seien.

183.
    Trotz des Wortlauts des Protokolls der Sitzung vom 7. Februar 1989 (S. 97 bis 106 der Akten), in dem die fraglichen Angaben als „Ergänzung der Preisprognosen zweites Quartal 1989“ bezeichnet werden, belegen mehrere Anhaltspunkte, daß es sich in Wirklichkeit um vereinbarte Preise handelte.

184.
    Erstens waren die Preise, die durch diese Angaben ergänzt werden sollten, bereits in der Sitzung vom 10. Januar 1989 einvernehmlich festgelegt worden (siehe oben). In der Sitzung vom 7. Februar 1989 stellten die Teilnehmer im übrigen fest, daß die zuletzt genannten Preise problemlos erzielt worden seien oder erzielt würden (vgl. Randnr. 98 der Entscheidung).

185.
    Zweitens heißt es im Protokoll, daß das neue Preisniveau bei der Kategorie 2C in Italien „einerseits einen .Einklang' zwischen den auf allen europäischen Märkten praktizierten Preisen wahrt und andererseits den Wettbewerb durch geschweißte Träger aus Walzprofilen für Stützen (profilés reconstitués soudés; prs) berücksichtigt“. In bezug auf den spanischen Markt heißt es, die für das laufende Quartal „vorgesehenen Preise“ würden im nächsten Quartal „beibehalten, um die erreichten Niveaus zu konsolidieren“. Aus diesen Formulierungen geht hervor, daß unter den Unternehmen Einigkeit darüber bestand, durch die Anwendung dieser Preise bestimmte gemeinsame Ziele zu erreichen. Die Unternehmen waren somit notwendigerweise mit der Anwendung dieser Preise einverstanden.

186.
    Das Vorliegen des in Randnummer 227 Absatz 2 der Entscheidung beanstandeten Sachverhalts ist somit rechtlich hinreichend nachgewiesen.

— Die angeblich in der Sitzung vom 19. April 1989 vereinbarten Zielpreise

187.
    Gemäß Randnummer 228 der Entscheidung wurden in der Sitzung der Träger-Kommission vom 19. April 1989 Zielpreise vereinbart, die im dritten Quartal 1989 in Deutschland, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Italien und Spanien zur Anwendung gelangen sollten und die mit den Zielpreisen für das vorangegangene Quartal praktisch identisch waren.

188.
    Die Kommission stützt sich auf das Protokoll dieser Sitzung, in dem nach derFeststellung, daß die erwarteten Preise in Deutschland, Frankreich und Italien erzielt worden seien, die Preise für das folgende Quartal angegeben werden (Randnr. 99 der Entscheidung).

189.
    Die Kommission hat in rechtlich hinreichender Weise nachgewiesen, daß die im Protokoll vom 19. April 1989 (S. 125 bis 145 der Akten) genannten Preise Gegenstand einer Vereinbarung waren.

190.
    Erstens ist zu der Angabe im maßgeblichen Abschnitt dieses Schriftstücks, daß die „Prognosen T2/89 im dritten Quartal 1989 beibehalten“ würden, festzustellen, daß diese „Prognosen“ in Wirklichkeit das Ergebnis einer Vereinbarung der betroffenen

Unternehmen in den Sitzungen der Träger-Kommission vom 10. Januar 1989 und vom 7. Februar 1989 waren (siehe oben). Die „Beibehaltung“ dieser „Prognosen “ hatte ebenfalls Vereinbarungscharakter und diente nunmehr der Aufrechterhaltung des bisherigen Preisniveaus. Dies wird dadurch bestätigt, daß es in dem Schriftstück ferner heißt, die für das zweite Quartal „vorgesehenen Preise“ oder die „Prognosen“ für dieses Quartal seien „von den Kunden ... angenommen“ worden (S. 126 der Akten). Die Angabe zum deutschen Markt, daß die entsprechenden „Prognosen ... eingetreten“ seien, ist im gleichen Sinn auszulegen.

191.
    Zweitens werden die Preise für das folgende Quartal im Protokoll der Sitzung vom 19. April 1989 ebenso genau und detailliert angegeben wie die Preise für das vierte Quartal 1988 und die ersten beiden Quartale 1989 in den vorangegangenen Protokollen. Solche detaillierten Angaben können nicht als Wiedergabe bloßer Prognosen oder Schätzungen ausgelegt werden.

— Die Festsetzung der im Vereinigten Königreich ab Juni 1989 anzuwendenden Preise

192.
    In den Randnummern 229 und 230 der Entscheidung verweist die Kommission auf eine verabredete Praktik zur Festsetzung der im Vereinigten Königreich ab Juni 1989 anzuwendenden Preise, die auf eine Initiative von British Steel zurückgehe und von ihren Konkurrenten akzeptiert worden sei.

193.
    Zur Stützung dieses Vorbringens beruft sich die Kommission auf einen internen Vermerk von British Steel vom 24. April 1989 (vgl. Randnr. 100 der Entscheidung) sowie auf den Hinweis in den Protokollen der Sitzungen der Träger-Kommission vom 6. Juni 1989 und vom 11. Juli 1989, daß nach Angaben von British Steel die Preiserhöhung von den Kunden angenommen worden sei (vgl. Randnrn. 101 und 102 der Entscheidung).

194.
    Die Behauptung der Kommission, daß British Steel den übrigen Unternehmen am 19. April 1989 eine Erhöhung ihrer Preise im Vereinigten Königreich angekündigt und sie aufgefordert habe, sich dieser Erhöhung anzuschließen (Randnr. 229 der Entscheidung), wird durch den in Randnummer 100 der Entscheidung angesprochenen Vermerk vom 24. April 1989 (S. 1969 f. der Akten) rechtlich hinreichend belegt. Ferner steht fest, daß die Klägerin, die an der Sitzung vom 19. April 1989 teilnahm, sowohl die Ankündigung von British Steel als auch deren Aufforderung erhielt, die neuen Preise im Vereinigten Königreich anzuwenden.

195.
    Die Kommission hat auch ihre Behauptung, daß British Steel die Preise mit ihren Konkurrenten abgestimmt habe (Randnr. 230 der Entscheidung), rechtlich hinreichend belegt. Sie hat in Randnummer 229 der Entscheidung zu Recht ausgeführt, daß die Zusammenarbeit, zu der das streitige Verhalten gehörte, bereits verschiedentlich zu Preisfestsetzungsvereinbarungen für kontinentaleuropäische EGKS-Märkte geführt hatte, an denen British Steel beteiligt war. Unter diesen

Umständen kann deren Vorgehen nicht als einseitiges Verhalten gegenüber einem Konkurrenten angesehen werden, mit dem sie keine Zusammenarbeit verband.

196.
    Da British Steel bei zahlreichen früheren Sitzungen der Träger-Kommission bereit war, sich hinsichtlich der kontinentaleuropäischen Preise zumindest moralisch zu binden, konnte sie vernünftigerweise von ihren Konkurrenten erwarten, daß ihre Aufforderung, sich an ihre neuen Preise im Vereinigten Königreich zu halten, von diesen bei der Festlegung ihres eigenen Verhaltens auf diesem Markt berücksichtigt würde. Dies gilt auch für die Klägerin, die unstreitig an den betreffenden Sitzungen teilnahm.

197.
    Schließlich hat die Kommission in rechtlich hinreichender Weise nachgewiesen, daß die Unternehmen der Aufforderung von British Steel tatsächlich gefolgt sind (Randnrn. 229 und 230 der Entscheidung). Insoweit hat die Klägerin weder die Angaben von British Steel, daß ihre Preiserhöhungen auf dem britischen Markt angenommen worden seien, noch die Behauptung der Kommission bestritten, daß die Preise damals im Vereinigten Königreich deutlich höher gewesen seien als auf den kontinentaleuropäischen EGKS-Märkten (Randnr. 229 der Entscheidung). Da unter diesen Umständen Angebote auf kontinentaleuropäischem Preisniveau die Hinnahme der neuen Preise von British Steel durch die örtliche Kundschaft verhindert hätten, ist die Tatsache, daß ihre Preiserhöhungen „ohne Schwierigkeiten“ angenommen wurden, mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ein ausreichender Beleg dafür, daß sich die Klägerin der Durchsetzung der fraglichen Preiserhöhungen durch British Steel nicht in den Weg gestellt hat.

198.
    Somit sind die der Argumentation in den Randnummern 229 und 230 der Entscheidung zugrunde liegenden tatsächlichen Behauptungen rechtlich hinreichend erwiesen.

— Die angeblich in der Sitzung vom 11. Juli 1989 getroffene Vereinbarung, auf dem deutschen Markt die Zielpreise für das dritte Quartal 1989 im vierten Quartal beizubehalten

199.
    In Randnummer 231 der Entscheidung schließt die Kommission aus dem Protokoll der Sitzung der Träger-Kommission vom 11. Juli 1989 (vgl. Randnr. 102 der Entscheidung), daß dort vereinbart worden sei, im vierten Quartal 1989 in Deutschland die gleichen Zielpreise wie im vorangegangenen Quartal anzuwenden.

200.
    Das Protokoll der Sitzung vom 11. Juli 1989 (S. 182 bis 188 der Akten) stellt einen rechtlich hinreichenden Beweis für das Vorliegen der von der Kommission beanstandeten Vereinbarung über die Beibehaltung der Preise auf dem deutschen Markt im vierten Quartal 1989 dar.

201.
    Im maßgeblichen Abschnitt dieses Schriftstücks heißt es unter der Überschrift „Erwartete Preisentwicklung im vierten Quartal 1989“:

„Auf deutscher Seite ist geplant — da für den 1. Oktober 1989 eine Erhöhung der Dimensions- und Güteaufpreise um 20 bis 25 DM/Tonne vorgesehen ist —, die Basispreise nicht anzuheben. Die für das dritte Quartal 1989 erwarteten und erzielten Preise werden in diesem Zusammenhang im vierten Quartal 1989 beibehalten. Ein Informationsaustausch über die übrigen Gemeinschaftsmärkte wird bei der nächsten Sitzung der Träger-Kommission stattfinden.“

202.
    Aus dem Aufbau dieses Abschnitts folgt, daß nur die übrigen Märkte Gegenstand eines späteren „Informationsaustauschs“ sein sollten, während die Preise auf dem deutschen Markt in der fraglichen Sitzung einvernehmlich „beibehalten“ wurden.

203.
    Die Ankündigung der deutschen Hersteller ist vor allem im Zusammenhang der regelmäßigen Sitzungen der Träger-Kommission und der übrigen Vereinbarungen zu sehen, deren Existenz vorstehend bereits festgestellt worden ist. So waren die „beibehaltenen“ Preise ihrerseits am 19. April 1989 Gegenstand einer Vereinbarung in der Träger-Kommission (siehe oben, Randnrn. 187 ff.). Die in bezug auf den deutschen Markt getroffenen Maßnahmen fügten sich somit in die Praxis früherer Sitzungen ein, die Preise für die wichtigsten Märkte der Gemeinschaft quartalsweise festzulegen.

204.
    Im übrigen kann eine Vereinbarung, die Preise nicht zu erhöhen, eine Vereinbarung zur Festsetzung der Preise im Sinne von Artikel 65 § 1 des Vertrages darstellen.

— Der angeblich in der Sitzung vom 12. Dezember 1989 gefaßte Beschluß über die im ersten Quartal 1990 zu erreichenden Zielpreise

205.
    Gemäß Randnummer 232 der Entscheidung beschloß die Träger-Kommission in ihrer Sitzung vom 12. Dezember 1989, die im vierten Quartal 1989 herangezogenen Zielpreise auch im ersten Quartal 1990 anzuwenden.

206.
    Insoweit stützt sich die Kommission auf einen Vermerk eines Vertreters von TradeARBED, der als Grundlage für Ausführungen in der Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 31. Januar 1990 gedient haben soll (S. 2414 bis 2416 der Akten, vgl. Randnr. 107 der Entscheidung).

207.
    Dieser Vermerk von TradeARBED (S. 2414 der Akten) ist ein rechtlich hinreichender Beweis für das Vorliegen der streitigen Vereinbarung über das erste Quartal 1990. Dieses Schriftstück diente unstreitig als Grundlage für Ausführungen eines Vertreters von TradeARBED in der Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 31. Januar 1990. Folglich ist die darin enthaltene Angabe, daß die „Preise des vierten Quartals 1989 ... im Prinzip ... fortgeschrieben werden [konnten]“, dahin auszulegen, daß sie sich wie gewöhnlich auf die aus der Zusammenarbeit in der Träger-Kommission hervorgegangenen Vereinbarungen bezog.

— Die aus der Ankündigung von Unimétal in der Sitzung vom 14. Februar 1990 hervorgehende Festsetzung der Preise für die Kategorie 2C auf dem französischen Markt41

208.
    In Randnummer 233 der Entscheidung geht die Kommission auf eine von Unimétal in der Sitzung vom 14. Februar 1990 angekündigte Anhebung der Preise von Trägern der Kategorie 2C auf dem französischen Markt ein. Nach Ansicht der Kommission, die sich auf die Erwägungen in den Randnummern 109 und 110 der Entscheidung stützt, handelte es sich dabei nicht um einen einseitigen Beschluß von Unimétal, sondern um eine Vereinbarung der betroffenen Unternehmen.

209.
    Der der Klägerin zur Last gelegte Sachverhalt ist, wenn man die in den Randnummern 233, 109 und 110 der Entscheidung aufgeführten Anhaltspunkte im Zusammenhang der Sitzungen der Träger-Kommission sieht, in rechtlich hinreichender Weise bewiesen.

210.
    Diesen Anhaltspunkten ist zu entnehmen, daß Unimétal von zwei Konkurrenten, der Klägerin und TradeARBED, zur Anhebung ihrer Preise aufgefordert worden war. Angesichts unterschiedlicher Preise in Frankreich und Deutschland ging es diesen Unternehmen zufolge darum, „Verzerrungen von Lieferströmen vor[zu]beugen“ (vgl. das Schreiben des Vorsitzenden der Träger-Kommission an Unimétal vom 6. November 1989, Randnr. 109 der Entscheidung, S. 3009 bis 3011 der Akten) oder zu verhindern, daß „das Preisgefüge in Deutschland [gestört]“ werde (vgl. das Telefax von TradeARBED an Unimétal vom 7. Februar 1990, Randnr. 110 der Entscheidung, S. 2413 der Akten).

211.
    Da Unimétal dieser Aufforderung zumindest in gewissem Umfang nachkam, hatte die vorgenommene Erhöhung Vereinbarungscharakter.

212.
    Außerdem wurde die Ankündigung einer Preiserhöhung für die betreffende Kategorie in der Sitzung vom 14. Februar 1990 in Anwesenheit nicht nur von TradeARBED und der Klägerin, sondern auch der übrigen in der Träger-Kommission zusammenarbeitenden Unternehmen vorgenommen.

213.
    Im übrigen ließ sich die fragliche Erhöhung nicht mit wirtschaftlichen Erwägungen erklären, denn TradeARBED hatte im vorgenannten Telefax das Vorliegen einer „für eine Preisanhebung im allgemeinen wenig günstigen Situation“ eingeräumt. Unter diesen Umständen konnte der angekündigte Preis nur dann Bestand haben, wenn auch alle anderen betroffenen Unternehmen ihn anwandten.

214.
    Diese Anhaltspunkte sind — in ihrem Zusammenhang gesehen — ein rechtlich hinreichender Beweis dafür, daß sich Unimétal durch die Ankündigung die Unterstützung aller an der Sitzung vom 14. Februar 1990 teilnehmenden Unternehmen, zu denen auch die Klägerin gehörte, sichern wollte, um zu verhindern, daß die Anwendung niedrigerer Preise den Erfolg der beabsichtigten

„Harmonisierung“ gefährdet. Aufgrund der Tatsache, daß in früheren Sitzungen für die wichtigsten Märkte der Gemeinschaft ähnliche Vereinbarungen getroffen worden waren, konnte Unimétal — und dies galt generell für alle Unternehmen, die ein Interesse an der Erhöhung hatten — davon ausgehen, daß der Appell befolgt würde.

— Die Festsetzung der im zweiten Quartal 1990 im Vereinigten Königreich anzuwendenden Preise

215.
    Aus der Argumentation in den Randnummern 220 und 234 bis 236 der Entscheidung geht hervor, daß die Kommission den betreffenden Unternehmen, zu denen auch die Klägerin gehört, vorwirft, für das zweite Quartal 1990 die im Vereinigten Königreich anzuwendenden Preise verabredet und die den Gegenstand dieser Abrede bildenden Preise angewandt zu haben.

216.
    Zur Stützung ihrer Argumentation macht die Kommission erstens geltend, BritishSteel habe die Adressaten ihres Telefax vom 14. Februar 1990 über die Preise unterrichtet, die sie im Vereinigten Königreich nicht als „marktstörend“ betrachtet habe (Randnr. 234 der Entscheidung) und deshalb tolerieren würde (letzter Satz von Randnr. 112 der Entscheidung). Diese Annahme wird durch die handschriftlichen Anmerkungen auf dem Original dieses Telefax vom 14. Februar 1990 (S. 1887 der Akten) in Verbindung mit dem internen Vermerk von British Steel vom 20. Februar 1990 (S. 1908 der Akten) rechtlich hinreichend bewiesen. Den Anmerkungen läßt sich entnehmen, worin die den Adressaten des Telefax zugesagte telefonische Unterrichtung bestand. Sie beziehen sich auf „Interpenetrationsmargen“, d. h. auf Preise, die keinen als übermäßig angesehenen Strom von Einfuhren zur Folge haben. In dem vorgenannten Vermerk erklärt der Verfasser ausdrücklich, den Vertreter von Unimétal über die Preise informiert zu haben, „die [seines] Erachtens nicht marktstörend sind“.

217.
    Zweitens macht die Kommission geltend, daß die Ankündigung von British Steel einer „verabredeten Praktik“ entsprochen habe (Randnr. 235 der Entscheidung; siehe auch Randnr. 220), d. h., British Steel habe unter den konkreten Umständen davon ausgehen können, daß sich die übrigen Unternehmen den angekündigten Preisen anschließen würden. Diese Behauptung wird durch die von der Kommission herangezogenen Anhaltspunkte rechtlich hinreichend belegt. Die Ankündigung war Teil des „ständigen Dialogs zwischen diesem Unternehmen und seinen Wettbewerbern in anderen Mitgliedstaaten“ (Randnr. 235 der Entscheidung). Wie bereits festgestellt (siehe oben, Randnr. 196), konnte British Steel aufgrund ihrer Beteiligung an den zuvor in der Träger-Kommission getroffenen Vereinbarungen im Gegenzug von ihren Konkurrenten eine gewisse Solidarität erwarten. Diese Schlußfolgerung wird zumindest für die betroffenen deutschen Unternehmen — die Klägerin, Thyssen und Saarstahl — durch die in den Randnummern 235 und 55 der Entscheidung erwähnte Übersicht (S. 1864 der Akten) gestützt, die bestätigt, daß sich diese Unternehmen und British Steel um eine gewisse Kongruenz der Handelsströme zwischen beiden Ländern bemühten und daß deshalb alle Parteien

bereit waren, je nach den Umständen im Interesse der anderen Parteien Solidarität zu zeigen.

218.
    Drittens macht die Kommission geltend, daß die fraglichen Unternehmen ihre Preise letztlich doch nach den Vorgaben von British Steel erhöht hätten (Randnr. 236 der Entscheidung). Den Beweis für diese Annahme sieht die Kommission darin, daß British Steel, obwohl sie zunächst unter ihrer Preisliste liegende Angebote kritisiert habe, ihre Preise wenige Monate später, im Anschluß an die Sitzung vom 16. Mai 1990, erhöht habe (vgl. Randnr. 115 der Entscheidung). Diese unstreitige Tatsache ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ein rechtlich hinreichender Beweis dafür, daß es British Steel weitgehend gelungen ist, die Einhaltung ihrer Preise durch ihre Konkurrenten durchzusetzen. Angesichts des unterschiedlichen Preisniveaus auf dem Kontinent und im Vereinigten Königreich hätte British Steel im Mai 1990 eine Erhöhung nicht ernsthaft in Erwägung ziehen können, wenn sie sich des solidarischen Verhaltens der kontinentaleuropäischen Hersteller nicht sicher gewesen wäre.

219.
    Folglich sind die tatsächlichen Behauptungen, die den Erwägungen in den Randnummern 234 bis 236 der Entscheidung zugrunde liegen, rechtlich hinreichend bewiesen.

— Die Festsetzung der im dritten Quartal 1990 im Vereinigten Königreich anzuwendenden Preise

220.
    Aus den Erwägungen in Randnummer 237 der Entscheidung geht in Verbindung mit Randnummer 220 (Absätze 1 und 3) hervor, daß die Kommission den Unternehmen vorwirft, Preise verabredet zu haben, die im dritten Quartal 1990 im Vereinigten Königreich gelten sollten, und die den Gegenstand dieser Abrede bildenden Preise angewandt zu haben.

221.
    Die Behauptung der Kommission, daß British Steel ihren Konkurrenten ihre neuen Preise mitgeteilt und sie zu deren Einhaltung aufgefordert habe, wird durch das Telefax dieses Unternehmens vom 7. Juni 1990 belegt (vgl. Randnr. 115 der Entscheidung, S. 1798 der Akten). British Steel hat diese Aufforderung im übrigen in der Sitzung der Träger-Kommission vom 10. Juli 1990 wiederholt (vgl. Randnr. 117 der Entscheidung, S. 1964 bis 1966 der Akten). In diesen Punkten ist die Behauptung der Kommission somit rechtlich hinreichend bewiesen.

222.
    Soweit die Kommission daraus auf eine Absprache schließt, ist bereits festgestellt worden, daß British Steel angesichts der früheren Aktivitäten der Träger-Kommission vernünftigerweise erwarten konnte, daß ihre Konkurrenten auf dem britischen Markt ein solidarisches Preisverhalten zeigen und insbesondere bei der Festlegung ihres eigenen Verhaltens auf diesem Markt der Aufforderung zur Einhaltung der neuen Preise von British Steel Rechnung tragen würden, die diese

in einer Sitzung an sie gerichtet hatte. Die Kommission hat somit die von ihr behauptete Absprache rechtlich hinreichend belegt.

223.
    Schließlich ergibt sich ein hinreichender Beweis für die Einhaltung der von British Steel angekündigten Preise durch die übrigen Unternehmen aus der Angabe im Protokoll der Sitzung vom 11. September 1990 (Randnr. 118 der Entscheidung, S. 1666 bis 1679 der Akten), daß die britischen Kunden die Erhöhung der Listenpreise von British Steel akzeptiert hätten. Denn wenn sich die übrigen Unternehmen nicht weitgehend an die neuen von British Steel angekündigten Preise gehalten hätten, wäre es kaum denkbar, daß die Kundschaft eine solche Erhöhung akzeptiert hätte. Dem steht nicht entgegen, daß die Konkurrenten von British Steel, bevor sie sich entschlossen, deren Vorgaben zu folgen, zunächst niedrigere Preise angewandt hatten (vgl. Randnr. 117 der Entscheidung). Auch daß in dieser Zeit das Verhalten von TradeARBED (und nicht der Klägerin) von British Steel als Verletzung einer zwischen beiden Gesellschaften bestehenden Vereinbarung dargestellt wurde, kann an der Beurteilung durch das Gericht nichts ändern.

224.
    Folglich sind die den Erwägungen in Randnummer 237 der Entscheidung zugrunde liegenden Tatsachenbehauptungen rechtlich hinreichend bewiesen.

225.
    Nach alledem werden sämtliche Tatsachen, auf die sich die Ausführungen in den Randnummern 224 bis 237 der Entscheidung zum Abschluß von Vereinbarungen über die Preise und zu den von der Kommission dort als „verabredete Praktiken “ eingestuften Verhaltensweisen stützen, durch die von ihr herangezogenen Unterlagen rechtlich hinreichend belegt.

— Die von der Klägerin vorgetragenen Argumente wirtschaftlicher Natur

226.
    Auf dieses Ergebnis haben die von der Klägerin vorgetragenen Argumente wirtschaftlicher Natur keinen Einfluß. Sie führt aus, die verstärkte Interpenetration der Märkte im Bezugszeitraum für die Festsetzung der Geldbußen zeuge davon, daß es keine Preisabsprachen gegeben habe; die 1988 und 1989 eingetretenen Preiserhöhungen seien nur auf eine günstige Konjunktur zurückzuführen. Ferner verweist sie auf eine Analyse, die der Sachverständige Bishop in der Verwaltungsanhörung vorgetragen hat (S. 113 bis 127 des Anhörungsprotokolls) und nach der die Marktpreise das unter normalen Wettbewerbsbedingungen zu erwartende Maß nicht überschritten. So hätten sich die realen Trägerpreise in der Gemeinschaft zwischen 1987 und 1991 auf einem historischen Tiefstand befunden, abgesehen vom Jahr 1989, als sie jedoch nur das Niveau des Jahres 1985 erreicht hätten, in dem die Nachfrage so gering wie nie zuvor gewesen sei. Diese Preisentwicklung sei nicht allein mit den damals erzielten Produktivitätszuwächsen zu erklären.

227.
    Soweit die Klägerin damit geltend machen will, daß es die in den Randnummern 224 bis 237 der Entscheidung beanstandeten Kartelle nicht gegeben habe, ist

bereits dargelegt worden, daß die Tatsachen, auf deren Grundlage die Kommission die fraglichen Vereinbarungen und verabredeten Praktiken festgestellt hat, durch die einschlägigen Unterlagen bei einer Betrachtung im allgemeinen Kontext der damals bestehenden Zusammenarbeit in der Träger-Kommission rechtlich hinreichend bewiesen sind.

228.
    Die auf der allgemeinen Entwicklung der Trägerpreise in der Gemeinschaft beruhende Argumentation der Klägerin ist ihrer Art nach nicht geeignet, die Richtigkeit dieser tatsächlichen Feststellungen in Frage zu stellen. Der Sachverständige hat im übrigen in der Anhörung selbst eingeräumt, daß er mit seiner Analyse nicht die Mitteilung der Beschwerdepunkte kommentieren, sondern nur die Frage beantworten wolle, ob die Maßnahmen der Unternehmen erfolgreich gewesen seien (vgl. S. 127 des Anhörungsprotokolls).

229.
    Gleiches gilt für das Vorbringen der Klägerin, das sie auf eine verstärkte Interpenetration der nationalen Märkte im maßgeblichen Zeitraum und die konjunkturellen Ursachen für die Preisentwicklung stützt. Keiner dieser von der Klägerin in abstrakter Form angeführten Umstände ist geeignet, die auf der Grundlage konkreter von der Kommission vorgelegter Beweise getroffene Feststellung in Frage zu stellen, daß es die in den Randnummern 224 bis 237 der Entscheidung beanstandeten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken gab. Da es sich um drei verabredete Praktiken in bezug auf den Markt des Vereinigten Königreichs handelt, sind die Ausführungen der Klägerin außerdem zu allgemein, um der Schlußfolgerung entgegen zu stehen, daß die Praktiken zu den auf diesem Markt beobachteten Preiserhöhungen beigetragen haben (siehe oben, Randnrn. 198, 219 und 224).

— Ergebnis

230.
    Aus den vorstehenden Darlegungen folgt, daß das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen ist, soweit es sich gegen die tatsächlichen Feststellungen in den Randnummern 224 bis 237 der Entscheidung richtet. Aus ihnen folgt ferner, daß die Kommission sowohl das Vorliegen der Vereinbarungen und verabredeten Praktiken, die der Klägerin zur Last gelegt werden, als auch ihre individuelle Beteiligung an diesen Vereinbarungen und verabredeten Praktiken rechtlich hinreichend belegt und die fraglichen Zuwiderhandlungen ausreichend konkretisiert hat.

2. Zur rechtlichen Bewertung des Sachverhalts

231.
    An dieser Stelle ist die rechtliche Bewertung der Verhaltensweisen, die die Kommission in den Randnummern 224 bis 237 der Entscheidung beanstandet hat, im Hinblick a) auf die in Artikel 65 § 1 des Vertrages angesprochenen Arten von Kartellen, b) den Zweck oder die Wirkung solcher Verhaltensweisen und c) den Begriff des normalen Wettbewerbs im Sinne dieser Bestimmung zu beurteilen.

a) Zur Bewertung der beanstandeten Verhaltensweisen im Hinblick auf die in Artikel 65 § 1 des Vertrages angesprochenen Arten von Kartellen

232.
    Nach Ansicht der Klägerin ergibt sich schon aus dem Wortlaut von Artikel 65 des Vertrages, daß bei verabredeten Praktiken, die ihm unterfielen, nur dann eine Geldbuße festgesetzt werden könne, wenn der Betroffene die den Gegenstand der fraglichen Verabredung bildenden Praktiken tatsächlich angewandt habe; etwas anderes gelte nach dieser Bestimmung bei Vereinbarungen und nach Artikel 15 Absatz 2 Buchstabe a der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962 (Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages, ABl. 1962, Nr. 13, S. 204; im folgenden: Verordnung Nr. 17) im Bereich des EG-Vertrags. Diese Auslegung entspreche den deutschen Bestimmungen über Wettbewerbsbeschränkungen. Die im Urteil Rhône-Poulenc/Kommission (Randnrn. 121 ff.) entwickelte Auslegung von Artikel 85 EG-Vertrag sei auf Artikel 65 EGKS-Vertrag nicht übertragbar, da sie vom Postulat der Selbständigkeit der Wirtschaftsteilnehmer ausgehe. Da die Kommission zu Unrecht davon ausgegangen sei, daß eine Geldbuße auch dann festgesetzt werden könne, wenn eine verabredete Praktik nicht durchgeführt worden sei (vgl. Randnr. 220 der Entscheidung), habe sie vielfach offengelassen, ob die fraglichen Zuwiderhandlungen eine Vereinbarung oder eine verabredete Praktik seien, und im zuletzt genannten Fall das Vorliegen einer Durchführungsmaßnahme nicht nachgewiesen.

233.
    In Artikel 4 des Vertrages heißt es:

„Als unvereinbar mit dem gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl werden innerhalb der Gemeinschaft gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags aufgehoben und untersagt:

...

d)    einschränkende Praktiken, die auf eine Aufteilung oder Ausbeutung der Märkte abzielen.“

234.
    Artikel 65 § 1 des Vertrages verbietet „alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, alle Beschlüsse von Verbänden von Unternehmen und alle verabredeten Praktiken, die darauf abzielen würden, auf dem gemeinsamen Markt unmittelbar oder mittelbar den normalen Wettbewerb zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen, insbesondere

a)    die Preise festzusetzen oder zu bestimmen;

b)    die Erzeugung, die technische Entwicklung oder die Investitionen einzuschränken oder zu kontrollieren;

c)    die Märkte, Erzeugnisse, Abnehmer oder Versorgungsquellen aufzuteilen. “

235.
    Im vorliegenden Fall werden die der Klägerin zur Last gelegten Verhaltensweisen in den Randnummern 224 bis 228 und 231 bis 233 der Entscheidung von der Kommission als „Vereinbarungen“ zur Festsetzung der Preise im Sinne dieser Bestimmung eingestuft. Wie aus den vorstehend festgestellten Tatsachen inrechtlich hinreichender Weise hervorgeht, haben sich die betroffenen Unternehmen, zu denen auch die Klägerin gehört, in allen Fällen, um die es in diesen Randnummern der Entscheidung geht, nicht auf einen bloßen Austausch von Informationen über ihre „Prognosen“ oder „Schätzungen“ der Preise oder über die tatsächlichen Marktpreise beschränkt, sondern ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht, auf dem Markt ein bestimmtes Preisverhalten zu zeigen, d. h. so vorzugehen, daß die in den fraglichen Sitzungen vereinbarten Preise erreicht oder gegebenenfalls beibehalten werden. Eine solche Willensübereinstimmung stellt eine „Vereinbarung“ im Sinne von Artikel 65 § 1 des Vertrages dar. Insoweit gibt es im übrigen keinen Grund, den Begriff „Vereinbarung“ im Sinne von Artikel 65 § 1 des Vertrages anders auszulegen als den Begriff „Vereinbarung“ im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag (vgl. Urteil Rhône-Poulenc/Kommission, Randnr. 120).

236.
    Der Begriff „verabredete Praktiken“, mit dem in der Entscheidung die der Klägerin zur Last gelegten Verhaltensweisen in bezug auf die drei Preiserhöhungen auf dem britischen Markt bezeichnet werden (vgl. Randnrn. 220 und 230 am Ende), ist unter Berücksichtigung der Zielsetzung von Artikel 65 § 1 und des rechtlichen Rahmens des Vertrages auszulegen.

237.
    In seiner Stellungnahme 1/61 vom 13. Dezember 1961 (Slg. 1961, 527) hat der Gerichtshof ausgeführt, daß der Zweck von Artikel 4 Buchstabe d des Vertrages darin besteht, die Unternehmen daran zu hindern, mit Hilfe einschränkender Praktiken eine Stellung zu erlangen, die ihnen eine Aufteilung oder Ausbeutung der Märkte gestattet. Dieses durch Artikel 65 § 1 des Vertrages umgesetzte Verbot gilt nach Ansicht des Gerichtshofes in ganzer Strenge und ist für die vom Vertrag geschaffene Wirtschaftsordnung kennzeichnend (S. 566). Überdies hat der Gerichtshof zu der in Artikel 60 des Vertrages vorgesehenen Regelung über die Veröffentlichung der Preise (siehe unten) ausgeführt: „Der Vertrag geht davon aus, daß die freie Preisbildung durch das Recht der einzelnen Unternehmen gewährleistet ist, ihre Preise selbst festzusetzen und, wenn sie dieselben abändern wollen, neue Preislisten zu veröffentlichen. Wenn sich die Marktlage ändert, sind die Erzeuger gezwungen, ihre Preislisten dem anzupassen; auf diese Weise .bildet der Markt den Preis'“ (Urteil des Gerichtshofes vom 21. Dezember 1954 in der Rechtssache 1/54, Frankreich/Hohe Behörde, Slg. 1954, 7, 32). Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes geht ferner hervor, daß — auch wenn der Stahlmarkt ein oligopolistischer Markt ist, der durch die Regelung in Artikel 60 des Vertrages gekennzeichnet ist, die sicherstellt, daß infolge der Pflicht zur Veröffentlichung der Preistafeln und Transporttarife die von den einzelnen Unternehmen angewandten Preise transparent bleiben — die daraus resultierende Unbeweglichkeit oder Parallelität der Preise als solche nicht in Widerspruch zum

Vertrag steht, falls sie nicht die Folge einer — wenn auch nur stillschweigenden — Vereinbarung der Parteien, „sondern des freien Spiels der Kräfte auf dem Markt und der Strategie unabhängiger Wirtschaftseinheiten mit entgegengesetzten Interessen ist“ (Urteil vom 15. Juli 1964 in der Rechtssache 66/63, Niederlande/Hohe Behörde, Slg. 1964, 1149, 1180).

238.
    Dieser Rechtsprechung ist zu entnehmen, daß die Vorstellung, wonach jedes Unternehmen die Politik, die es auf dem Markt verfolgen möchte, eigenständig und ohne Absprache mit seinen Konkurrenten zu bestimmen hat, dem EGKS-Vertrag und insbesondere dessen Artikeln 4 Buchstabe d und 65 § 1 zu entnehmen ist.

239.
    Unter diesen Umständen wird mit dem Verbot „verabredeter Praktiken“ durch Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag grundsätzlich der gleiche Zweck verfolgt wie mit dem entsprechenden Verbot „abgestimmter Verhaltensweisen“ durch Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag. Es soll genauer gesagt die praktische Wirksamkeit des Verbotes in Artikel 4 Buchstabe d des Vertrages gewährleisten, indem es in dessen Verbotstatbestände eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen einbezieht, die zwar noch nicht bis zum Abschluß einer Vereinbarung im eigentlichen Sinn gediehen ist, jedoch bewußt ihre praktische Zusammenarbeit an die Stelle der Risiken des im Vertrag als normal angesehenen Wettbewerbs treten läßt (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, ICI/Kommission, Slg. 1972, 619, Randnr. 64).

240.
    Speziell zu den drei von der Kommission als „verabredete Praktiken“ beanstandeten Fällen der Preiserhöhung auf dem britischen Markt ist folgendes festzustellen: a) Diese drei Fälle fügen sich in den Rahmen einer regelmäßigen Abstimmung in zahlreichen Sitzungen und Schriftwechseln der Mitgliedsunternehmen der Träger-Kommission ein, die u. a. zur Koordinierung ihres Preisverhaltens auf den verschiedenen nationalen Märkten diente. b) In jedem der drei Fälle, in denen es um die Preise auf dem britischen Markt ging, gab British Steel ihren Konkurrenten in einer Sitzung, an der die meisten von ihnen teilnahmen, ihr künftiges Preisverhalten auf dem Markt bekannt und forderte sie dazu auf, sich ebenso zu verhalten; sie wurde somit in der ausdrücklichen Absicht tätig, die künftigen Wettbewerbshandlungen ihrer Konkurrenten zu beeinflussen. c) Die regelmäßige Koordination in der Träger-Kommission war so gestaltet, daß British Steel vernünftigerweise erwarten konnte, ihre Konkurrenten würden ihrer Forderung weitgehend nachkommen oder dieser bei der Festlegung ihrer eigenen Geschäftspolitik zumindest Rechnung tragen. d) Die von der Kommission herangezogenen Beweise zeigen, daß die fraglichen Unternehmen den Vorschlägen von British Steel weitgehend gefolgt sind. Insbesondere hat die Klägerin keinen Anhaltspunkt dafür geliefert, daß sie sich den Forderungen von British Steel widersetzt oder den in den fraglichen Sitzungen mitgeteilten Preisinitiativen nicht angeschlossen hätte.

241.
    Aus all diesen Umständen ergibt sich, daß die betreffenden Unternehmen in den drei genannten Fällen die Risiken des im Vertrag als normal angesehenen

Wettbewerbs durch eine praktische Zusammenarbeit untereinander ersetzt haben, die von der Kommission zu Recht als „verabredete Praktiken“ im Sinne von Artikel 65 § 1 eingestuft wurde.

242.
    Zum Vorbringen der Klägerin, der Begriff „verabredete Praktik“ im Sinne von Artikel 65 § 1 des Vertrages setze voraus, daß die Unternehmen die den Gegenstand ihrer Abrede bildenden Praktiken angewandt hätten, geht aus der Rechtsprechung des Gerichts zum EG-Vertrag hervor, daß das Vorliegen einer verabredeten Praktik nicht davon abhängt, daß sich die Abrede in dem von der Klägerin verstandenen Sinn auf das Marktverhalten der Konkurrenten erstreckte. Es genügt gegebenenfalls die Feststellung, daß jedes Unternehmen die von ihm bei seinen Kontakten mit seinen Konkurrenten erlangten Informationen zwangsläufig unmittelbar oder mittelbar berücksichtigen mußte (Urteil Rhône-Poulenc/Kommission, Randnr. 123).

243.
    Diese Rechtsprechung ist auf den Anwendungsbereich von Artikel 65 EGKS-Vertrag übertragbar, da der Begriff der verabredeten Praktik dort die gleiche Funktion erfüllt wie der entsprechende Begriff im EG-Vertrag.

244.
    Dieses Ergebnis wird durch den Wortlaut von Artikel 65 § 5 des Vertrages nicht beeinträchtigt, wonach die Kommission bei „verabredeten Praktiken“ nur dann Geldbußen festsetzen kann, wenn die Betroffenen zu den Bestimmungen des § 1 im Widerspruch stehende Praktiken „anwenden“. Die Unternehmen wenden eine verabredete Praktik im Sinne dieser Bestimmung an, wenn sie sich tatsächlich an einer Vorgehensweise beteiligen, die zur Beseitigung der Ungewißheit über ihr künftiges Marktverhalten dient und zwangsläufig voraussetzt, daß jedes von ihnen die von seinen Konkurrenten erlangten Informationen berücksichtigt (vgl. Urteil Rhône-Poulenc/Kommission, Randnr. 123). Die Kommission braucht daher nicht nachzuweisen, daß der fragliche Informationsaustausch zu einem bestimmten Ergebnis geführt hat oder auf dem relevanten Markt umgesetzt wurde.

245.
    Diese Auslegung bestätigt der Wortlaut von Artikel 65 § 1 des Vertrages, der „alle verabredeten Praktiken, die darauf abzielen würden, auf dem gemeinsamen Markt unmittelbar oder mittelbar den normalen Wettbewerb zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen“, verbietet. Dieses Verbot gilt für jede verabredete Praktik, die „die Tendenz hat“ oder „geeignet ist“, den normalen Wettbewerb zu beeinträchtigen, ohne daß zur Feststellung einer Zuwiderhandlung eine tatsächliche und konkrete Wettbewerbsbeeinträchtigung nachgewiesen zu werden braucht. Der Gerichtshof hat im übrigen in seinem Urteil vom 20. März 1957 in der Rechtssache 2/56 (Geitling u. a./Hohe Behörde, Slg. 1957, 11) ausgeführt (S. 40), daß es für die Feststellung einer Verfälschung oder Einschränkung des Wettbewerbs durch eine Vereinbarung keiner Würdigung ihrer konkreten Auswirkungen bedarf, da sich diese Feststellung bereits aus dem abstrakten Tatbestand von Artikel 65 § 1 des Vertrages ergibt.

246.
    Aber selbst wenn der von der Klägerin vertretenen Auslegung zu folgen wäre, wonach der Begriff der verabredeten Praktik ein dem Ergebnis der Abrede entsprechendes Marktverhalten voraussetzt, wäre diese Voraussetzung im vorliegenden Fall in bezug auf die drei Preisanhebungen auf dem Markt des Vereinigten Königreichs erfüllt. Es steht nämlich fest, daß die Unternehmen in jedem dieser Fälle den Forderungen von British Steel weitgehend nachgekommen sind, so daß die neuen Preise tatsächlich durchgesetzt werden konnten.

247.
    Nach alledem hat die Klägerin keinen Rechtsfehler bei der Einordnung der fraglichen Verhaltensweisen unter die Begriffe „Vereinbarung“ oder „verabredete Praktiken“ in Artikel 65 § 1 des Vertrages dargelegt.

b) Zu Zweck und Wirkung der beanstandeten Kartelle und verabredeten Praktiken

248.
    Gemäß Randnummer 238 der Entscheidung „zielten“ die in den Randnummern 223 bis 237 beanstandeten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken „darauf ab“, den Wettbewerb im Sinne von Artikel 65 § 1 des Vertrages einzuschränken. In Randnummer 221 der Entscheidung zählt es die Kommission u. a. zum „Zweck“ der fraglichen Verhaltensweisen, „die Preise ... zu erhöhen und zu harmonisieren“. In Randnummer 222 vertritt die Kommission im Anschluß an den Hinweis, daß die Analyse dieses Zweckes den Nachweis einer nachteiligen Wirkung auf den Wettbewerb entbehrlich mache, die Ansicht, daß diese Wirkung gleichwohl alles andere als unbedeutend gewesen sei.

249.
    Die Klägerin verweist erneut auf die wirtschaftliche Entwicklung im Bezugszeitraum für die Festsetzung der Geldbußen und insbesondere auf die Entwicklung der Preise und des Interpenetrationsgrades sowie die Analyse des Sachverständigen Bishop; sie führt aus, die den Unternehmen zur Last gelegten Praktiken hätten sich nur begrenzt ausgewirkt.

250.
    Die Formulierung in Artikel 65 § 1 des Vertrages, daß er sich auf Kartelle bezieht, die „darauf abzielen würden“, den normalen Wettbewerb zu verfälschen, schließt das Wort „bezwecken“ in Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag ein. Die Kommission hat daher in Randnummer 222 der Entscheidung zu Recht festgestellt, daß sie zum Nachweis eines Verstoßes gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages das Vorliegen einer nachteiligen Wirkung auf den Wettbewerb nicht darzutun brauchte.

251.
    In Anbetracht der zahlreichen Anhaltspunkte für die Durchsetzung der im vorliegenden Fall vereinbarten Preiserhöhungen ist jedenfalls festzustellen, daß die beanstandeten Verhaltensweisen, an denen die führenden Trägerhersteller der Gemeinschaft mitwirkten, zwangsläufig eine nicht zu vernachlässigende Wirkung auf den Markt hatten, wie die Kommission in Randnummer 222 der Entscheidung ausgeführt hat.

252.
    Schließlich enthält Randnummer 222 eine ausreichende Begründung in bezug auf Zweck und Wirkung der Zuwiderhandlung.

c) Zur Einordnung der beanstandeten Verhaltensweisen im Hinblick auf das Kriterium „normaler Wettbewerb“

Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin

253.
    Nach Ansicht der Klägerin, die sich vornehmlich auf das Gutachten von Professor Steindorff stützt, unterscheidet sich der historische und normative Kontext von Artikel 65 EGKS-Vertrag insofern grundlegend von dem des Artikels 85 EG-Vertrag, als der EGKS-Vertrag eine Marktordnung vorsieht, die durch Transparenz und einige planwirtschaftliche Elemente gekennzeichnet ist, wobei der tatsächliche Wettbewerb nur eingeschränkte Bedeutung hat. Der Begriff „normaler Wettbewerb“ könne sich daher nur auf den Wettbewerb beziehen, der in dem so gesteckten Rahmen ausgeübt werden könne.

254.
    Die in den Artikeln 2 bis 5 des Vertrages verankerten industriepolitischen Ziele seien festgelegt worden, um den Hauptsorgen der Nachkriegszeit gerecht zu werden, die darin bestanden hätten, die Ausweitung der Produktion zu stimulieren, eine gerechte Verteilung der Produkte zu gewährleisten und die Versorgungssicherheit zu fördern. Außerdem beschränke das auf Artikel 4 Buchstabe b beruhende Diskriminierungsverbot in Artikel 60 des Vertrages, wie die Kommission einräume (vgl. Randnr. 240 der Entscheidung), selbst den Wettbewerb.

255.
    Artikel 65, der erst am Ende der Verhandlungen über den EGKS-Vertrag eingefügt worden sei, sei im Einklang mit den in den früheren Verhandlungsphasen festgelegten Zielen und nur insoweit anzuwenden, als er mit den industriepolitischen Zielen des Vertrages vereinbar sei. Historisch gesehen habe dieser Artikel dazu gedient, den Zugang der Wirtschaftsteilnehmer der Gemeinschaft zu Kohle und Stahl aus Deutschland zu erleichtern, die Übernahme der Steuerungsaufgaben der Hohen Behörde durch Kartelle zu verhindern und einen Markt zu schaffen, in dem die Unternehmen ein Interesse an der Erhöhung und Verbesserung ihrer Produktion hätten.

256.
    Zu berücksichtigen seien die Besonderheiten der vom EGKS-Vertrag betroffenen Märkte, bei denen es sich um oligopolistische Märkte relativ homogener Produkte mit hohen fixen Produktionskosten handele. Es bestünden erhebliche Marktzutrittsschranken, da die Produktion große Kapitalinvestitionen voraussetze. Die Elastizität der Nachfrage sei gering. Diese Besonderheiten seien der Grund für eine Reihe von Bestimmungen, zu denen es im EG-Vertrag kein Gegenstück gebe, und zwar für die Vorschriften auf dem Gebiet der Preise in Artikel 60 und die Vorschriften in den Artikeln 58 und 61, die der Kommission im Krisenfall ein Eingreifen ermöglichten.

257.
    Aufgrund des in Artikel 60 des Vertrages verankerten Grundsatzes der Transparenz enthalte die offene Ankündigung eines Herstellers, seine Listenpreise

erhöhen zu wollen, als solche kein mit Artikel 65 des Vertrages unvereinbares Element.

258.
    Im übrigen ziele Artikel 60 darauf ab, den Preisdifferenzierungswettbewerb künstlich in einen Preislistenwettbewerb umzuformen. Er verhindere nämlich eine punktuelle Senkung der Preise, obwohl die Hersteller insbesondere bei einem Überangebot ein Interesse an solchen Preissenkungen haben könnten. Die einzige Ausnahme von diesem Grundsatz bestehe in der Möglichkeit, ihr Angebot an das eines anderen Herstellers anzugleichen, dessen Preisliste unter Heranziehung eines anderen Versandortes (Frachtbasis) erstellt worden sei, oder — unter der Kontrolle der Kommission — an das Angebot eines Unternehmens außerhalb der Gemeinschaft.

259.
    In bezug auf den Wettbewerb zwischen Herstellern mit gleicher Frachtbasis sei festzustellen, daß etwaige Unterschiede zwischen ihren Preislisten in der Praxis wegen der Homogenität der Produkte und der Markttransparenz keinen Bestand haben könnten. Dieses Phänomen könne einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 des Vertrages nicht gleichgestellt werden.

260.
    In bezug auf den Wettbewerb zwischen Unternehmen mit unterschiedlicher Frachtbasis biete das in Artikel 60 § 2 Buchstabe b, zweiter und dritter Gedankenstrich, des Vertrages vorgesehene Angleichungsrecht nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten, denn es sei nicht unbedingt rentabel, Produkte zum niedrigsten Listenpreis über eine gewisse Entfernung hinaus zu liefern. Daher hätten sich in der Praxis relativ stabile Liefergebiete gebildet, in denen der Marktpreis durch den niedrigsten Listenpreis der Hersteller des betreffenden Gebietes bestimmt werde. Zur Möglichkeit, die Angebote an den Preisen auszurichten, die Unternehmen außerhalb der Gemeinschaft verlangten (Artikel 60 § 2 Buchstabe b, letzter Absatz, des Vertrages), sei darauf hinzuweisen, daß die Kommission die Einfuhren aus Drittländern über viele Jahre hinweg begrenzt habe.

261.
    Das System von Artikel 60 sei jedoch fehlgeschlagen (vgl. die Mitteilung der Kommission an den Rat und an das Europäische Parlament vom 15. März 1991 über die Zukunft des EGKS-Vertrags), was zu einem regen Wettbewerb auf dem Markt geführt habe.

262.
    Der Begriff „normaler Wettbewerb“ sei auch im Licht der Artikel 5 und 46 des Vertrages auszulegen. Die Veröffentlichung von Marktvorausschätzungsprogrammen gemäß diesen Bestimmungen führe aber zu einer vollständigen Markttransparenz hinsichtlich der von den einzelnen Unternehmen vorgesehenen Lieferungen. Die Kommission erwarte von den Unternehmen, daß sie sich an diesen Vorausschätzungen orientierten. Im übrigen seien die Unternehmen zur Vorbereitung der Treffen mit der Kommission — wie dieser bewußt sei — vor der Erstellung der Vorausschätzungsprogramme gezwungen gewesen, sich gegenseitig über ihre individuellen kurzfristigen Erwartungen hinsichtlich der Märkte zu informieren, um daraus ein möglichst objektives Bild

abzuleiten. Im vorliegenden Fall hätten solche Diskussionen zunächst innerhalb der Träger-Kommission stattgefunden. Artikel 48 Absatz 3 des Vertrages lasse den Schluß zu, daß diese Form des Informationsaustauschs aufgrund des mit ihr verbundenen Arbeitsaufwands im Rahmen von Unternehmensverbänden und nicht innerhalb der Kommission stattfinden müsse.

263.
    Aus all diesen Gründen seien die im Rahmen der Auslegung von Artikel 85 EG-Vertrag aufgestellten Grundsätze somit nicht automatisch auf den Bereich von Artikel 65 EGKS-Vertrag übertragbar. Insbesondere sei das abstrakte Modell des freien Spiels eines wirksamen Wettbewerbs, das Artikel 85 EG-Vertrag zugrunde liege, im Bereich des EGKS-Vertrags nicht anwendbar. Der Gerichtshof habe es u. a. in seinem Urteil vom 13. April 1994 in der Rechtssache C-128/92 (Banks, Slg. 1994, I-1209) abgelehnt, Artikel 65 EGKS-Vertrag ebenso wie Artikel 85 EG-Vertrag unmittelbare Wirkung zuzuerkennen.

264.
    Im Ergebnis gehe aus diesen Auslegungselementen hervor, daß der EGKS-Vertrag einen auf hoher Transparenz beruhenden informierten Wettbewerb schaffen wolle. Die Information der Konkurrenten über künftige Preise verstoße daher zumindest dann nicht gegen Artikel 65 EGKS-Vertrag, wenn die Kommission daran im Rahmen von Artikel 46 aktiv teilgenommen habe.

265.
    Bei ihren gemeinsamen mündlichen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen u. a. vorgetragen, daß der im EG-Vertrag enthaltene Grundsatz der Marktwirtschaft dem Grundsatz der Planwirtschaft des EGKS-Vertrags gegenüberzustellen sei. Sie haben in diesem Zusammenhang auf das Werk von Professor Paul Reuter mit dem Titel La Communauté européenne du charbon et de l'acier (Paris, LGDJ, 1953) verwiesen, in dem es heißt: „Der durch den Vertrag geschaffene Wettbewerb ist kein freier Wettbewerb und kann es nicht sein, sondern nur ein fairer und geregelter Wettbewerb“ (S. 143), der nach Regeln abläuft, mit denen die „Arbeitsbedingungen [der Unternehmen] denen öffentlicher Stellen angeglichen werden“ (S. 205). Der „normale“ Wettbewerb des EGKS-Vertrags habe nur untergeordneten Charakter, wie die Vorschriften über die Veröffentlichung von Preistafeln anhand bestimmter Frachtbasen (Artikel 60 § 2), die Transparenzpflicht (Artikel 46 bis 48) und die Möglichkeit zur Aussetzung des Wettbewerbs (Artikel 61, 53 und 58) zeigten. Im Rahmen dieses Vertrages stelle der Wettbewerb nur ein Instrument neben anderen dar (vgl. Urteil Banks). Da die Kommission die Aufgabe habe, die Ziele des Vertrages miteinander in Einklang zu bringen und so über die Anwendung und den Inhalt der Wettbewerbsregeln zu bestimmen (vgl. den Zwanzigsten Bericht über die Wettbewerbspolitik, Nr. 120), müsse sie eng mit den Unternehmen zusammenarbeiten.

266.
    Diese Darstellung wurde in der mündlichen Verhandlung durch ein Referat von Professor Steindorff ergänzt. Er kam zu dem Ergebnis, daß Artikel 65 angesichts des gesamten, durch bestimmte mit den Besonderheiten des Sektors zusammenhängende politische Ziele gekennzeichneten EGKS-Vertrags eng

auszulegen sei. Gespräche zwischen Unternehmen im Rahmen des in den Artikeln 46 bis 48 des Vertrages vorgesehenen Systems seien nie als Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 angesehen worden (vgl. den Bericht der französischen Delegation über den EGKS-Vertrag und das Abkommen über die Übergangsbestimmungen, 1951, sowie das vorerwähnte Werk von Professor Paul Reuter). Sie seien Teil des normalen Wettbewerbs, sofern die Kommission sie leite oder die Unternehmen, wenn sie aus eigener Initiative tätig würden, in gutem Glauben und zur Vorbereitung ihrer Gespräche mit der Kommission handelten. Artikel 60 des Vertrages sei so konzipiert worden, daß er Unterbietungen einschränke und die vorhandenen Beziehungen zwischen den Herstellern und ihren Kunden schütze. Im Rahmen des EG-Vertrags wäre ein solches System mit dessen Artikel 85 unvereinbar. Angesichts der mit der Durchführung von Artikel 60 des Vertrages verbundenen und von der Kommission anerkannten Schwierigkeiten verstoße ein Informationsaustausch über Preise, die ohnehin veröffentlicht werden sollten, nicht gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages.

Würdigung durch das Gericht

267.
    Das Vorbringen der Klägerin beruht auf drei Hauptelementen: dem normativen Zusammenhang von Artikel 65 § 1 des Vertrages, dem Artikel 60 des Vertrages und den Artikeln 46 bis 48 des Vertrages.

— Der Zusammenhang von Artikel 65 § 1 des Vertrages

268.
    Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Unternehmen im vorliegenden Fall mehrere Vereinbarungen über die Preise getroffen haben, die in einem bestimmten Quartal anzuwenden oder zumindest als das Ziel anzusehen waren, dessen Erreichung die Unternehmen einvernehmlich anstrebten (vgl. Randnr. 225 Absatz 2 der Entscheidung). Die drei verabredeten Praktiken in bezug auf die Preise auf dem Markt des Vereinigten Königreichs sollten gewährleisten, daß das Preisniveau der kontinentaleuropäischen Hersteller die von British Steel angekündigten Erhöhungen nicht gefährdet. Es handelt sich somit nicht um den bloßen Austausch von Informationen über „Prognosen“ oder „Schätzungen“ künftiger Preise oder über die tatsächlichen Marktpreise, wie die Klägerin behauptet.

269.
    In Anbetracht des Zweckes von Artikel 65 § 1 des Vertrages, der darin besteht, die Autonomie der Unternehmen auf dem Markt sicherzustellen, damit das durch Artikel 4 Buchstabe d aufgestellte Verbot „einschränkende[r] Praktiken, die auf eine Aufteilung oder Ausbeutung der Märkte abzielen“, eingehalten wird, ist davon auszugehen, daß eine solche Koordinierung der Verhaltensweisen durch eine Vereinbarung oder eine verabredete Praktik zur Erreichung bestimmter Zielpreise dazu dient, im Sinne von Artikel 65 § 1 „die Preise festzusetzen“, und daher gegen diese Bestimmung verstößt.

270.
    Auch die historischen Gründe für die Einfügung von Artikel 65 in den Vertrag — ihre zutreffende Darstellung durch die Klägerin unterstellt — können keine

Auslegung dieser Bestimmung rechtfertigen, die gegen ihren objektiven Zweck verstößt, wie er sich aus ihrem Wortlaut und ihrem normativen Zusammenhang ergibt. Im übrigen heißt es in der Erklärung der französischen Regierung vom 9. Mai 1950, die der Abfassung des Vertrages vorausging: „Im Gegensatz zu einem internationalen Kartell zur Aufteilung und Ausbeutung der nationalen Märkte durch einschränkende Praktiken und die Aufrechterhaltung hoher Profite wird die geplante Organisation die Verschmelzung der Märkte und die Ausdehnung der Produktion sicherstellen.“

271.
    Der oligopolistische Charakter der vom Vertrag erfaßten Märkte kann zwar in gewissem Umfang die Wirkungen des Wettbewerbs abschwächen (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 18. Mai 1962 in der Rechtssache 13/60, Geitling u. a./Hohe Behörde, Slg. 1962, 179, 225 f.; im folgenden: Urteil Geitling II), aber diese Erwägung rechtfertigt keine Auslegung von Artikel 65, die Verhaltensweisen von Unternehmen zuläßt, mit denen — wie im vorliegenden Fall — der Wettbewerb insbesondere durch Maßnahmen zur Preisfestsetzung noch weiter verringert wird. Angesichts der Konsequenzen, die die oligopolistische Struktur des Marktes haben kann, ist es um so notwendiger, den verbleibenden Wettbewerb zu schützen (vgl. in bezug auf die Anwendung von Artikel 65 § 2 des Vertrages das Urteil Geitling II, S. 226). Die gleichen Erwägungen gelten für die übrigen von der Klägerin angeführten Faktoren wie die Homogenität der Produkte oder die mit der Kapitalintensität der Branche verbundenen Marktzutrittsschranken.

272.
    Hinsichtlich der planwirtschaftlichen Ausrichtung des Vertrages ist bereits ausgeführt worden, daß Artikel 4 Buchstabe d des Vertrages, der u. a. durch Artikel 65 § 1 des Vertrages umgesetzt wird, ein strenges Verbot enthält, das für die vom Vertrag geschaffene Wirtschaftsordnung kennzeichnend ist (Stellungnahme 1/61, S. 566; Urteil Banks, Randnrn. 11, 12 und 16). Das Ziel des freien Wettbewerbs hat somit im Rahmen des Vertrages eigenständigen Charakter und ist ebenso zwingender Natur wie die übrigen in den Artikeln 2 bis 4 festgelegten Ziele des Vertrages (vgl. Urteil Frankreich/Hohe Behörde, S. 23, und Urteil des Gerichtshofes vom 21. Juni 1958 in der Rechtssache 8/57, Groupement des hauts fourneaux et aciéries belges/Hohe Behörde, Slg. 1958, 233, 251).

273.
    Auch der von der Klägerin vertretenen Auffassung, daß Artikel 65 § 1 nur insoweit anzuwenden sei, als er mit den im Vertrag verankerten industriepolitischen Zielen vereinbar sei, kann nicht gefolgt werden. Eine derartige Einschränkung ist in dieser Bestimmung nicht enthalten; sie verbietet vielmehr generell Kartelle, die auf die Verfälschung des normalen Wettbewerbs abzielen (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juli 1960 in den Rechtssachen 36/59, 37/59, 38/59 und 40/59, Präsident Ruhrkohlen-Verkaufsgesellschaft u. a./Hohe Behörde, Slg. 1960, 887, 921).

274.
    Schließlich ist die Tatsache, daß der Gerichtshof Artikel 65 § 1 des Vertrages im Urteil Banks wegen der ausdrücklichen Bestimmungen in Artikel 65 § 4 keineunmittelbare Wirkung zuerkannt hat, für die vorliegende Rechtssache unerheblich.

275.
    Gleiches gilt für das auf einen Vergleich zwischen den Artikeln 65 § 2 EGKS-Vertrag und 85 Absatz 3 EG-Vertrag gestützte Vorbringen der Klägerin.

— Artikel 60 des Vertrages

276.
    Zu dem auf Artikel 60 des Vertrages gestützten Vorbringen der Klägerin ist darauf hinzuweisen, daß diese Bestimmung, durch die Artikel 4 Buchstabe b des Vertrages umgesetzt wird, in § 1 folgendes verbietet:

„—    die Praktiken unlauteren Wettbewerbs, vor allem die nur vorübergehenden oder nur örtlichen Preissenkungen, die auf Erlangung einer Monopolstellung innerhalb des gemeinsamen Marktes gerichtet sind;

—    die diskriminierenden Praktiken, die auf dem gemeinsamen Markt die Anwendung von ungleichen Bedingungen auf vergleichbare Geschäfte durch ein und denselben Verkäufer mit sich bringen, insbesondere wenn die Käufer wegen ihrer Nationalität unterschiedlich behandelt werden“.

277.
    Artikel 60 § 2 Buchstabe a des Vertrages schreibt im Hinblick auf die erwähnten Ziele die Veröffentlichung der auf dem Gemeinsamen Markt angewandten Preistafeln und Verkaufsbedingungen vor. Gemäß Artikel 60 § 2 Buchstabe b dürfen die angewandten Arten der Preisstellung nicht dazu führen, daß die von einem Unternehmen auf dem Gemeinsamen Markt angewandten Preise, wenn sie auf ihr Äquivalent an der Frachtbasis zurückgeführt sind, die für die Aufstellung seiner Preistafel gewählt wurde, die Preise überschreiten, die in dieser Preistafel für ein vergleichbares Geschäft vorgesehen sind, oder diese Preise in einem Umfang unterschreiten, der insbesondere über das Maß hinausgeht, das es erlaubt, das erfolgte Angebot nach der für eine andere Frachtbasis aufgestellten Preistafel auszurichten, die dem Käufer die günstigsten Bedingungen am Lieferort bietet.

278.
    Nach ständiger Rechtsprechung soll die in Artikel 60 § 2 des Vertrages vorgesehene Pflicht zur Veröffentlichung der Preise erstens verbotene Praktiken soweit wie möglich verhindern, zweitens den Käufern erlauben, sich genau über die Preise zu informieren und auch an der Diskriminierungskontrolle teilzunehmen, und drittens den Unternehmen erlauben, die Preise ihrer Konkurrenten genau kennenzulernen, so daß sie sich diesen anpassen können (vgl. Urteil Frankreich/Hohe Behörde, S. 24, und Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1979 in der Rechtssache 149/78, Rumi/Kommission, Slg. 1979, 2523, Randnr. 10).

279.
    Die Regelung in Artikel 60 des Vertrages und insbesondere das Verbot, auch nur zeitweise von der Preistafel abzuweichen, stellen in der Tat eine erhebliche Einschränkung des Wettbewerbs dar.

280.
    Im vorliegenden Fall ist Artikel 60 des Vertrages jedoch für die Frage, wie die der Klägerin zur Last gelegten Verhaltensweisen im Hinblick auf Artikel 65 § 1 zu beurteilen sind, unerheblich.

281.
    Erstens geht das Vorbringen der Klägerin fehl, soweit es auf dem Gedanken beruht, daß es sich vorliegend um den bloßen Austausch von Informationen über „Schätzungen“ oder „Prognosen“ künftiger Preise oder über die tatsächlichen Marktpreise handele, denn nach den obigen Feststellungen hat sich die Klägerin an Vereinbarungen und verabredeten Praktiken zur Preisfestsetzung beteiligt. Es handelt sich im vorliegenden Fall insbesondere nicht um die offene Ankündigung eines Herstellers, seine Listenpreise erhöhen zu wollen.

282.
    Zweitens sind die in den Preistafeln enthaltenen Preise nach ständiger Rechtsprechung von jedem Unternehmen selbständig und ohne — auch nur stillschweigende — Vereinbarung mit anderen Unternehmen festzusetzen (vgl. Urteile Frankreich/Hohe Behörde, S. 31, und Niederlande/Hohe Behörde, S. 1180). Insbesondere steht die Tatsache, daß die Bestimmungen von Artikel 60 auf die Einschränkung des Wettbewerbs abzielen, der Anwendung des Kartellverbots in Artikel 65 § 1 des Vertrages nicht entgegen (Urteil Niederlande/Hohe Behörde).

283.
    Drittens sieht Artikel 60 des Vertrages vor der Veröffentlichung der Preistafeln keinen Kontakt zwischen den Unternehmen zur gegenseitigen Unterrichtung über ihre künftigen Preise vor. Da solche Kontakte die selbständige Aufstellung der Preistafeln verhindern, sind sie geeignet, den normalen Wettbewerb im Sinne von Artikel 65 § 1 des Vertrages zu verfälschen.

284.
    Außerdem geht, selbst wenn man unterstellt, daß das System von Artikel 60 des Vertrages damals nicht wie im Vertrag vorgesehen funktionierte (vgl. das der Klageschrift in der Rechtssache T-151/94 in Anhang 5 als Schriftstück 2 beigefügte Arbeitsdokument der Kommission), aus dem Aufbau seiner Artikel 4, 60 und 65 hervor, daß der Vertrag sowohl das Interesse an der Anwendung nicht diskriminierender und veröffentlichter Preise als auch das Interesse an einem nicht durch Absprachen verfälschten Wettbewerb schützt. Das Gericht kann es daher nicht hinnehmen, daß die Nichteinhaltung der das zuerst genannte Interesse schützenden Vorschriften durch die betroffenen Unternehmen zur Unanwendbarkeit der das zuletzt genannte Interesse schützenden Vorschriften führt. Es oblag im übrigen den Unternehmen, selbst die Bestimmungen von Artikel 60 des Vertrages einzuhalten, statt untereinander eine private Koordinierung der Preise vorzunehmen, die angeblich diese Bestimmung ersetzte, für deren Durchführung die Kommission zuständig ist.

285.
    Vereinbarungen der Hersteller können dem System von Artikel 60 des Vertrages jedenfalls schon deshalb nicht gleichgestellt werden, weil sie es den Käufern nicht erlauben, sich genau über die Preise zu informieren und an der Diskriminierungskontrolle teilzunehmen (vgl. die Urteile Frankreich/Hohe Behörde, S. 24, und Rumi/Kommission, Randnr. 10).

— Artikel 46 bis 48 des Vertrages

286.
    Zu den aus den Artikeln 5 und 46 bis 48 des Vertrages abgeleiteten Argumenten ist festzustellen, daß die Gemeinschaft nach Artikel 5 Absatz 2, erster Gedankenstrich, des Vertrages das Handeln der Beteiligten dadurch erhellt und erleichtert, daß sie Auskünfte einholt, für Beratungen sorgt und allgemeine Ziele bestimmt. Gemäß Artikel 5 Absatz 2, dritter Gedankenstrich, sorgt die Gemeinschaft für Schaffung, Aufrechterhaltung und Beachtung normaler Wettbewerbsbedingungen und greift in die Erzeugung und den Markt nur dann direkt ein, wenn es die Umstände erfordern. In Artikel 46 des Vertrages heißt es u. a., daß die Kommission im Benehmen mit den Unternehmen Marktentwicklung und Preistendenzen fortlaufend zu untersuchen sowie in regelmäßigen Zeitabständen als Hinweis dienende Programme für Erzeugung, Verbrauch, Ausfuhr und Einfuhr unter Berücksichtigung der voraussichtlichen Entwicklung aufzustellen hat. Artikel 47 des Vertrages sieht vor, daß die Kommission unter Beachtung des Berufsgeheimnisses die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Auskünfte einholen kann. Artikel 48 des Vertrages bestimmt u. a., daß die Unternehmensverbände jede Tätigkeit ausüben können, die zu den Bestimmungen des Vertrages nicht im Widerspruch steht, daß sie berechtigt sind, der Kommission in den Fällen, in denen der Vertrag die Anhörung des durch Artikel 18 des Vertrages geschaffenen Beratenden Ausschusses vorsieht, die Bemerkungen ihrer Mitglieder zuzuleiten, und daß sie verpflichtet sind, über ihre Tätigkeit der Kommission die von ihr für erforderlich erachteten Auskünfte zu erteilen.

287.
    Keine der vorgenannten Bestimmungen erlaubt es den Unternehmen, durch den Abschluß von Vereinbarungen oder durch verabredete Praktiken zur Preisfestsetzung der hier in Rede stehenden Art gegen das Verbot in Artikel 65 § 1 des Vertrages zu verstoßen.

288.
    Im übrigen werden die Argumente, die das angebliche Bedürfnis der Unternehmen betreffen, im Rahmen ihrer Zusammenarbeit mit der GD III nach dem 1. Juli 1988 untereinander Informationen auszutauschen, unten in Abschnitt D eingehend behandelt.

289.
    Unter diesem Vorbehalt ergibt sich aus dem Vorstehenden, daß die Kommission weder die Tragweite von Artikel 65 § 1 des Vertrages verkannt noch die Bestimmungen von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag zu Unrecht auf den vorliegenden Sachverhalt angewandt hat. Ferner stellen die Erläuterungen der Kommission in den Randnummern 239 bis 241 der Entscheidung eine ausreichende Begründung dieses Aspekts der Entscheidung dar.

290.
    Demnach sind unter dem gleichen Vorbehalt alle Argumente zurückzuweisen, die gegen die in den Randnummern 224 bis 237 der Entscheidung vorgenommene Einordnung der Verhaltensweisen, die der Klägerin zur Last gelegt werden, als Vereinbarungen oder verabredete Praktiken zur Festsetzung von Zielpreisen vorgebracht worden sind.

Zu den Vereinbarungen über die Harmonisierung von Aufpreisen

291.
    In Artikel 1 der Entscheidung wirft die Kommission der Klägerin vor, sich an einem als „Harmonisierung von Aufpreisen“ bezeichneten Verhalten beteiligt zu haben. Nach den Randnummern 122 bis 142 (Sachverhalt) und 244 bis 252 (rechtliche Würdigung) der Entscheidung sollen die betreffenden Unternehmen in den Sitzungen der Träger-Kommission vom 15. November 1988, 19. April 1989, 6. Juni 1989, 16. Mai 1990 und 4. Dezember 1990 fünf aufeinanderfolgende Vereinbarungen über die Harmonisierung von Aufpreisen getroffen haben.

Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin

292.
    Die Klägerin vertritt die Ansicht, daß gegen sie wegen der Aufpreisharmonisierung keine Geldbuße festgesetzt werden könne.

293.
    Generell gesehen trage diese Harmonisierung zur Vereinheitlichung der Systeme zur Preisberechnung bei und erleichtere damit den Preisvergleich. Die Kommission selbst sei 1977 tätig geworden, um die Aufpreisregeln zum Zweck der Festlegung von Einfuhrbasispreisen zu harmonisieren. Sie habe damals die Vertreter der Stahlindustrie u. a. aufgefordert, die Aufpreisstrukturen neu zu definieren, um für alle Mitgliedstaaten zu möglichst einheitlichen Aufpreisen zu kommen. Trotz dieser Intervention sei ihr Berechnungsschema sehr komplex geblieben. Das Erfordernis der Erleichterung des Preisvergleichs werde vor allem auf internationaler Ebene deutlich; dies liege an der Schwankung der Wechselkurse sowie daran, daß die unter Heranziehung verschiedener Frachtbasen festgelegten Preislisten auch über längere Zeit voneinander abweichen könnten.

294.
    Im übrigen habe die Kommission seit vielen Jahren von der Aufpreisharmonisierung gewußt. Auf nationaler Ebene habe diese Harmonisierung aufgrund von Artikel 60 des Vertrages automatischen Charakter. Die der Kommission bekanntgegebenen Preislisten hätten diese Aufpreise enthalten. Ihr seien auch alle Änderungen der Aufpreise — einschließlich der in der Entscheidung angesprochenen — bekanntgegeben worden. Außerdem habe die Kommission 1976 in Belgien Nachforschungen über die Aufpreisharmonisierung angestellt, ohne sie zu beanstanden. Die Kommission habe nicht ernsthaft glauben können, daß die als Folge europaweiter Harmonisierung angekündigte Erhöhung (vgl. das Vorausschätzungsprogramm Stahl für das dritte Quartal 1989, ABl. 1989, C 178, S. 2) ohne Kontakte zwischen den Unternehmen denkbar gewesen sei. Unter diesen Umständen seien die betreffenden Unternehmen und insbesondere die Klägerin zu der Annahme berechtigt gewesen, daß ihr Verhalten nicht als im Widerspruch zu Artikel 65 des Vertrages stehend angesehen würde, und sie hätten somit nicht schuldhaft gehandelt.

295.
    Von den einzelnen der Klägerin zur Last gelegten Aufpreisharmonisierungen sei die angeblich am 15. November 1988 getroffene Vereinbarung über Güteaufpreise

(Randnrn. 122 und 244 der Entscheidung) ihrer Art nach für sie nicht von Interesse gewesen, da die Aufpreise der übrigen Hersteller auf das in Deutschland geltende Niveau hätten angehoben werden sollen. Die Kommission müsse nachweisen, daß die Klägerin bereit gewesen sei, die Höhe ihrer eigenen Aufpreise beizubehalten; dies habe sie nicht getan.

296.
    Auf den Sitzungen der Träger-Kommission vom 19. April 1989 (Randnrn. 125, 126 und 245 der Entscheidung) und vom 6. Juni 1989 (Randnrn. 129 bis 131 und 246 der Entscheidung) habe die Klägerin zwar an Beschlüssen teilgenommen, die Aufpreise (im ersten Fall die Abmessungs- und im zweiten die Güteaufpreise) unter gleichzeitiger Anhebung zu harmonisieren. Diese Beschlüsse hätten sich jedoch nicht auf die Möglichkeit jedes betroffenen Herstellers ausgewirkt, seine Preise an die von Herstellern aus Drittländern anzugleichen, und hätten folglich als solche keine Preiserhöhungen dargestellt, sondern nur den Handlungsspielraum der Unternehmen erhöht. So seien die Aufpreiserhöhungen in einigen Fällen zu Lasten der Basispreise vorgenommen worden (vgl. Randnrn. 114 und 131 der Entscheidung). Die Klägerin habe im übrigen die am 6. Juni 1989 beschlossene Erhöhung (zum 1. Oktober 1989) nicht vorgenommen. Schließlich hätten die Unternehmen die Kommission von dieser beabsichtigten Erhöhung unterrichtet (vgl. die Speaking Note vom 1. August 1989).

297.
    Es treffe auch zu, daß sie an der am 16. Mai 1990 beschlossenen Harmonisierung der (Abmessungs-)Aufpreise teilgenommen habe (vgl. Randnrn. 132 bis 137 und247 der Entscheidung). Sie habe ihre neuen Aufpreise am 18. Mai 1990 gemeldet. Einige Unternehmen seien ihr gefolgt. Die Kommission sei darüber informiert worden, daß der Markt die Erhöhung akzeptiert habe (vgl. die Speaking Note vom 25. Juli 1990).

298.
    Die Erhöhung ihrer Abmessungsaufpreise zum 1. Januar 1991, die auf der Sitzung der Träger-Kommission vom 4. Dezember 1990 angekündigt und der Kommission am 6. Dezember mitgeteilt worden sei, habe auf einem autonomen Entschluß und nicht auf einer während dieser Sitzung getroffenen Vereinbarung beruht (vgl. Randnrn. 138 bis 142 der Entscheidung). Daß ihr Diskussionen über die Aufpreisharmonisierung vorausgegangen seien, lasse nicht den Schluß auf einen solchen Zusammenhang zu. Die Erhöhung der Listenpreise sei der Kommission jedenfalls vor ihrem Vollzug gemeldet worden, und auch ihr tatsächlicher Vollzug sei ihr mitgeteilt worden (vgl. die Speaking Note vom 25. April 1991).

Würdigung durch das Gericht

299.
    Die Klägerin bestreitet nicht, daß am 19. April 1989, am 6. Juni 1989 und am 16. Mai 1990 Vereinbarungen getroffen wurden.

300.
    Soweit sie geltend macht, an der Vereinbarung, die in der Sitzung vom 15. November 1988 erzielt wurde (Randnr. 244 der Entscheidung), nicht beteiligt gewesen zu sein, kann ihrem Vorbringen nicht gefolgt werden. Ihre Teilnahme an

dieser Sitzung reicht zum Nachweis ihrer Beteiligung aus, sofern keine Indizien vorliegen, die das Gegenteil beweisen (vgl. Urteil Montedipe/Kommission, Randnrn. 129 und 144). Daß es sich dabei um die Beibehaltung und nicht um eine Erhöhung der von ihr selbst angewandten Aufpreise handelte, stellt kein solches für sie sprechendes Indiz dar. Die Anpassung der Aufpreise durch ihre Konkurrenten war offensichtlich zur Verbesserung ihrer Möglichkeiten geeignet, ihr eigenes Preisniveau durchzusetzen, ohne daran durch niedrigere Angebote gehindert zu werden.

301.
    Die von der Klägerin bestrittene Existenz der Vereinbarung oder verabredeten Praktik vom 4. Dezember 1990 wird durch die in Randnummer 248 der Entscheidung aufgezählten schlüssigen und stichhaltigen Indizien rechtlich hinreichend bewiesen. Insbesondere waren der „italienische“ (Randnr. 138) und der „deutsche“ Vorschlag (Randnr. 139), die dieser Sitzung vorausgingen, ihrer Natur nach dazu bestimmt, durch ein solches Kartell gebilligt zu werden. Sowohl im Protokoll der streitigen Sitzung, in dem es heißt, daß sich andere Hersteller dem Schritt der Klägerin anschließen könnten (Randnr. 141 der Entscheidung, Absatz 1 am Ende; S. 2327 der Akten), als auch im Telefax der Walzstahl-Vereinigung an British Steel vom 13. Dezember 1990 (Randnr. 141, letzter Absatz, der Entscheidung; S. 315 der Akten) wird die Änderung der Aufpreise mit dem Bestreben nach ihrer Harmonisierung begründet. Es ging ferner darum, das Preisniveau ohne Änderung der Basispreise anzuheben (vgl. das Telefax der Walzstahl-Vereinigung an Ferdofin vom 19. Dezember 1990, Randnr. 121 der Entscheidung; S. 291 der Akten).

302.
    Das Vorbringen der Klägerin zu den tatsächlichen Feststellungen im Zusammenhang mit der Aufpreisharmonisierung ist daher in vollem Umfang zurückzuweisen.

303.
    Alle in den Randnummern 244 bis 248 der Entscheidung aufgezählten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken dienten nicht nur zur Harmonisierung, sondern auch zur Anhebung der Aufpreise und zielten somit darauf ab, die Preise im Sinne von Artikel 65 § 1 des Vertrages festzusetzen. Daß es den betreffenden Unternehmen nach Angaben der Klägerin unbenommen blieb, ihre Preise an die von Herstellern aus Drittländern anzugleichen, ändert daran nichts.

304.
    Auch dem Argument, daß die Klägerin die am 6. Juni 1989 beschlossene Erhöhung nicht vorgenommen habe, kann nicht gefolgt werden. Die etwaige Nichtanwendung der Vereinbarung würde nämlich nichts an ihrer Existenz ändern (vgl. Urteil Rhône-Poulenc/Kommission, Randnr. 67). Der These der Klägerin steht jedenfalls entgegen, daß sie selbst Ferdofin zur Anwendung der neuen Aufpreise angehalten hat (vgl. Randnr. 130 der Entscheidung) und daß diese neuen Aufpreise nach späteren Angaben „vollständig erzielt“ wurden (vgl. das Protokoll der Sitzung vom 14. Februar 1990, Randnr. 131 der Entscheidung).

305.
    Soweit die Klägerin darauf abstellt, daß sich die Kommission 1976 über die Harmonisierung der Aufpreise informiert und auf die dabei von den Unternehmen erhaltenen Informationen nicht reagiert habe, kann ihrem Vorbringen nicht gefolgt werden. Die Klägerin hat weder erläutert, welcher Art die den Gegenstand dieses angeblichen Austauschs zwischen der Kommission und den Unternehmen bildenden Angaben oder Informationen waren, noch in welchem Zusammenhang diese Ereignisse gestanden haben sollen oder welche Verbindung zwischen ihnen und mehr als elf Jahre später gezeigten Verhaltensweisen bestehen könnte.

306.
    Soweit sich das Vorbringen der Klägerin auf die von der Kommission beim Groupement belge de la sidérurgie angestellten Ermittlungen bezieht, ist der diese Ermittlungen betreffende Vermerk vom 24. Februar 1976 (Anlage 5 der Klageschriften in den Rechtssachen T-137/94 und T-138/94) nicht geeignet, ihre Behauptungen zu untermauern. Aus dem Vermerk geht hervor, daß der Vertreter des Groupement die den Gegenstand der Ermittlungen bildenden Sitzungen als „für die Herbeiführung einer gewissen Markttransparenz und einer einheitlichen Qualität unabdingbar“ bezeichnet hatte. Keines dieser Ziele setzte eine Harmonisierung oder gar eine Erhöhung der Aufpreise voraus. Außerdem enthält dieses Schriftstück eine Erklärung derselben Person, nach der die internationalen Kontakte zwischen den Unternehmen nicht zu „Preisabsprachen“ geführt hätten.

307.
    Auch dem Vorbringen, daß sich die Kommission dadurch an den streitigen Verhaltensweisen beteiligt habe, daß sie die Harmonisierung der Aufpreise gefordert habe, um Ende 1977 im Rahmen von Antidumpingmaßnahmen die Einfuhrbasispreise festlegen zu können, kann nicht gefolgt werden. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die hier relevanten Harmonisierungsvereinbarungen, die mehr als zehn Jahre nach diesem Vorgang getroffen wurden, mit ihm in irgendeinem Zusammenhang stehen.

308.
    Die Tatsache, daß die Kommission, die über die Änderungen der Preislisten der Klägerin und der übrigen betroffenen Unternehmen informiert war, Übereinstimmungen zwischen diesen Preislisten hätte feststellen können, ist für sich genommen kein ausreichender Beweis dafür, daß sie von den fraglichen Vereinbarungen wußte oder sie gar billigte.

309.
    Die Prüfung der „Speaking Notes“ vom 1. August 1989, 25. Juli 1990 und 25. April 1991, auf die sich die Klägerin berufen hat, zeigt, daß sie nur allgemeine Informationen über die wahrscheinlichen Tendenzen bei den Aufpreisen oder über die Hinnahme der neuen Aufpreise durch den Markt enthalten. Sie ermöglichten es der Kommission daher nicht, auf das Vorliegen von Vereinbarungen oder verabredeten Praktiken in diesem Bereich zu schließen (siehe auch unten, Abschnitt D).

310.
    Selbst wenn man davon ausgeht, daß die Harmonisierung der Aufpreisstruktur (Dimensionen, Güten usw.) im Rahmen der Veröffentlichung der Preistafeln gemäß Artikel 60 des Vertrages von gewissem Nutzen sein könnte, ist festzustellen, daß

es sich vorliegend um Vereinbarungen handelt, die nicht nur die Struktur, sondern auch die Höhe der Aufpreise und insbesondere ihre fünfmalige Anhebung zwischen dem 15. November 1988 und dem 4. Dezember 1990 betrafen. Da Artikel 60 des Vertrages keine Preisabsprachen zuläßt, geht das auf dieser Bestimmung beruhende Vorbringen der Klägerin fehl.

311.
    Folglich sind die Einwände der Klägerin gegen die Feststellung der Kommission in den Randnummern 122 bis 142 und 244 bis 252 der Entscheidung, daß unter Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages Vereinbarungen über die Harmonisierung von Aufpreisen getroffen worden seien, vorbehaltlich der in Abschnitt D geprüften Argumentation in vollem Umfang zurückzuweisen.

Zur Marktaufteilung im Rahmen der „Traverso-Methode“

312.
    In Artikel 1 der Entscheidung wirft die Kommission der Klägerin die Beteiligung an einer von ihr als „Traverso-System“ bezeichneten Marktaufteilung vor. Der Zeitraum, für den wegen dieser Beteiligung eine Geldbuße festgesetzt wurde, beträgt zweimal drei Monate. Die Gründe für diesen Vorwurf sind in den Randnummern 72 bis 79 (Sachverhalt) und 254 bis 259 (rechtliche Würdigung) der Entscheidung genannt.

313.
    In den Randnummern 254 bis 259 der Entscheidung führt die Kommission u. a. aus, das streitige System sei „am 19. Juli 1988 oder kurz davor eingerichtet“ und „[f]ür das vierte Quartal 1988 und das erste Quartal 1990 ... betrieben“ worden. Mittels dieses Systems hätten die beteiligten Unternehmen — die Klägerin, Thyssen, Klöckner, Saarstahl, Unimétal, Ferdofin, Cockerill-Sambre, TradeARBED und British Steel — versucht, „Angebot und Nachfrage miteinander in Einklang zu bringen“ (Randnr. 254).

314.
    Der Kommission zufolge meldeten die Unternehmen ihre Lieferpläne Herrn Traverso, dem damaligen Vorsitzenden des CDE (vgl. Randnr. 31 der Entscheidung). Dieser habe mit jedem Unternehmen Kontakt aufnehmen und Änderungen vorschlagen können, wenn er es für zweckdienlich gehalten habe (Randnr. 256). Die Zahlen seien sodann in Form von „Lieferplänen“ für jedes Unternehmen und jeden relevanten Markt an die beteiligten Unternehmen weitergegeben worden (Randnrn. 256 und 257). Unternehmen, die sich nicht an diese Zahlen gehalten hätten, seien vom Vorsitzenden des CDE und von Eurofer angesprochen und aufgefordert worden, die traditionellen Handelsströme zu respektieren. Die beteiligten Unternehmen hätten somit eine nach Artikel 65 § 1 des Vertrages unzulässige verabredete Praktik angewandt, indem sie „einander ihre Lieferpläne mitteilten und die Empfehlungen des Vorsitzenden des CDE in die Tat umsetzten“ (Randnr. 258 der Entscheidung).

Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin

315.
    Die Klägerin bestreitet, an einem solchen System teilgenommen zu haben. Das in der Sitzung vom 19. Juli 1988 ausgearbeitete Modell sei nicht zum Gegenstand einer Vereinbarung geworden und nicht in die Praxis umgesetzt worden, sondern ein reines Denkmodell gewesen. Hierzu hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, die Erörterung dieses Modells sei mit der Ungewißheit zu erklären, die damals hinsichtlich der Verlängerung des Quotensystems über den 30. Juni 1988 hinaus geherrscht habe. Es sei darum gegangen, einige diesem System ablehnend gegenüberstehende Unternehmen daran zu hindern, für die Zeit nach dem 30. Juni 1988 Lieferungen zu planen, die sich als überhöht erweisen könnten. Der relevante Abschnitt des betreffenden Protokolls sei im übrigen im Konjunktiv abgefaßt. Der spontane Informationsaustausch auf der Sitzung des CDE vom 27. und 28. Juli 1988 (Randnr. 74 der Entscheidung) habe damit nichts zu tun, sondern sei mit der Entscheidung Nr. 2448/88 zu erklären. Andernfalls wäre nicht nur ein bloßer Appell der im Telefax vom 4. August 1988 (Randnr. 74 der Entscheidung) erwähnten Art zu erwarten gewesen, sondern eine steuernde Einflußnahme von Herrn Traverso, um eine Überschreitung der von den Unternehmen angekündigten Zahlen zu verhindern. Die beteiligten Unternehmen hätten zudem nicht erwartet, daß ihre Konkurrenten die angekündigten Zahlen einhielten (vgl. den Schriftwechsel zwischen Unimétal und British Steel, Randnr. 77 der Entscheidung), wie die später von der Klägerin festgestellten Überschreitungen (vgl. den in Randnr. 75 der Entscheidung erwähnten internen Vermerk) im übrigen bestätigten.

316.
    Die Kommission habe nicht nachgewiesen, daß die Traverso-Methode Anfang 1990 wiederaufgenommen worden sei (vgl. Randnrn. 78 und 79 der Entscheidung). Das Schreiben der Klägerin vom 31. Januar 1990, das sich auf das „Monitoring poutrelles“ und u. a. auf Märkte außerhalb der EGKS beziehe, habe zur Vorbereitung der Sondersitzung vom 2. Februar 1990 gedient, die sich mit der kurzfristigen Information über Lagerbestände befaßt habe.

317.
    Zum Protokoll der zuletzt genannten Sitzung, das in Form einer Aktennotiz der GD III erstellt und von der Kommission in der mündlichen Verhandlung (und damit so spät, daß die Klägerin ihren Anspruch auf rechtliches Gehör nicht ausüben könne) vorgelegt worden sei, sei festzustellen, daß die damals von Eurofer vorgeschlagene Methode (S. 2 des Schriftstücks) den von der Klägerin selbst in ihrem Schreiben vom 31. Januar 1990 angegebenen Zahlen entsprochen habe. Außerdem habe sich die Klägerin an die in ihrem Schreiben angekündigten Mengen nicht gebunden gefühlt und diese überschritten. Im übrigen gingen die Bezugnahmen auf die Vermerke von British Steel vom 20. Juli und 21. März 1990, deren Verfasser nicht bekannt sei (Randnrn. 78 und 79 der Entscheidung), fehl. Schließlich habe die Kommission der Klägerin keine Einsicht in die angebliche Bestätigung von British Steel gewährt, daß die Traverso-Methode wiederaufgenommen worden sei (Randnr. 78 der Entscheidung); diese Annahme werde durch den Vorschlag des Vorsitzenden der Träger-Kommission vom 12. Dezember 1989 widerlegt, ein System quartalsweiser Erklärungen über die Lieferabsichten der Betroffenen einzuführen (vgl. Nr. 108 der Beschwerdepunkte).

Würdigung durch das Gericht

— Zur ersten Phase des Traverso-Systems (viertes Quartal 1988)

318.
    Die Kommission stützt ihre Schlußfolgerung, daß sich die Klägerin im vierten Quartal 1988 an einer als „Traverso-System“ bezeichneten verabredeten Praktik beteiligt habe, auf folgende Beweismittel:

—    einen Auszug aus dem Protokoll der Sitzung der Träger-Kommission vom 19. Juli 1988 (vgl. Randnr. 72 der Entscheidung, S. 2207 der Akten);

—    ein Telefax von Eurofer an ARBED/TradeARBED, British Steel, Cockerill-Sambre, Usinor Sacilor, Ferdofin, Klöckner, Saarstahl, Thyssen und die Klägerin, das am 4. August 1988 bei der Klägerin einging und sich auf eine „Tabelle mit den am Ende der letzten CDE-Sitzung vom 27./28. Juli 1988 in Paris erfaßten endgültigen Lieferabsichten“ bezieht (Randnr. 74 der Entscheidung, S. 3380 der Akten);

—    einen (undatierten) internen Vermerk der Klägerin, in dem ihre Lieferabsichten und die von Thyssen, Klöckner, Saarstahl, Unimétal, Ferdofin, Cockerill-Sambre, TradeARBED und British Steel für das vierte Quartal 1988 mit den tatsächlichen Lieferungen verglichen werden (Randnr. 75 der Entscheidung);

—    ein Fernschreiben von Unimétal an British Steel vom 28. November 1988 und die Antwort von British Steel vom 6. Dezember 1988 (Randnr. 77 der Entscheidung, S. 1989 und 1986 der Akten).

319.
    Die vorgenannten Schriftstücke sind ein rechtlich hinreichender Beweis dafür, daß die betreffenden Unternehmen im vierten Quartal 1988 eine verabredete Praktik anwandten, bei der sie sich in der Absicht, die Empfehlungen des Vorsitzenden des CDE in die Tat umzusetzen, gegenseitig ihre Lieferpläne mitteilten, um Angebot und Nachfrage miteinander in Einklang zu bringen. Die Übermittlung der „Lieferabsichten“ an Eurofer ist in der Übersicht im Protokoll der Sitzung vom 19. Juli 1988 ebenso wie die Überprüfung dieser Zahlen anhand der Markteinschätzungen und — für den Fall, daß die mitgeteilten Absichten „in signifikanter Weise von den historischen Daten abweichen“ — von Herrn Traverso anschließend vorzuschlagende Änderungen ausdrücklich vorgesehen (Randnr. 72, S. 2207 der Akten). In Einklang damit wurden die „endgültigen Lieferabsichten“ in der Sitzung des CDE vom 27. und 28. Juli 1988 in Paris „erfaßt“ (Telefax vom 4. August 1988, Randnr. 74 der Entscheidung, S. 3380 der Akten). In der Tabelle, auf die sich dieses Telefax bezieht (vgl. Randnr. 75 der Entscheidung, S. 3383 f. der Akten), entspricht im übrigen die Summe der „Lieferabsichten“ für jeden Markt der als „neue Markteinschätzung“ angegebenen Zahl. Im Telefax selbst heißt es:

„Neben den in Paris geprüften Zahlen sind ... einige geringfügige Berichtigungen für den englischen und den dänischen Markt vorgenommen worden.“

320.
    Darüber hinaus wurde in der Sitzung vom 19. Juli 1988 vom „erwünschten Gleichgewicht“ gesprochen (vgl. Randnr. 72 der Entscheidung). Desgleichen ist im Telefax vom 4. August 1988 von der Erwartung des Vorsitzenden des CDE die Rede, daß die betreffenden Unternehmen die mitgeteilten „Absichten“ nicht überschreiten, die — wie es dort heißt — „mit der Preisstabilität zusammenhängen“. Diese Ausführungen zeigen, daß die betreffenden Unternehmen mit den genannten Absichten einverstanden waren und daß das Ziel des Systems in der Tat darin bestand, die „Lieferabsichten“ mit den „Markteinschätzungen“ in Einklang zu bringen (vgl. Randnr. 72 sowie die in Randnr. 75 der Entscheidung angesprochene Tabelle).

321.
    Dieses Ziel hätte jedoch kaum erreicht werden können, wenn die Unternehmen in Unkenntnis der für ihre Konkurrenten geltenden endgültigen Zahlen deren Einhaltung nicht hätten kontrollieren können. Eine solche Kontrolle wurde im übrigen nach der Weitergabe der streitigen Tabelle sowohl von der Klägerin selbst (vgl. ihren in Randnr. 75 der Entscheidung erwähnten internen Vermerk) als auch von British Steel und Unimétal (vgl. die in Randnr. 77 der Entscheidung erwähnten Fernschreiben) vorgenommen. Außerdem gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, daß diese Unternehmen die Verbreitung individueller Daten unter Konkurrenten als ungewöhnlich angesehen hätten.

322.
    Folglich wurde die „Traverso-Methode“ entgegen der Behauptung der Klägerin für das vierte Quartal 1988 ein- und durchgeführt und stellte somit kein reines Denkmodell dar. Das Argument, damals habe Ungewißheit hinsichtlich der Verlängerung des Quotensystems bestanden, greift im übrigen nicht durch, da die Sitzung vom 19. Juli 1988 erst nach dem Auslaufen dieses Systems am 30. Juni 1988 stattfand (siehe oben, Randnr. 29). Das Telefax vom 4. August 1988 enthält zumindest moralisch verpflichtende Formulierungen („Unser Vorsitzender erwartet von allen Unternehmen, daß sie diese Lieferabsichten, die mit der Preisstabilität zusammenhängen, nicht überschreiten.“) Die fragliche Vorgehensweise läßt sich auch nicht mit der Entscheidung Nr. 2448/88 erklären, die Mitteilungen an die Kommission selbst (und nicht an private Instanzen oder Stellen) über die tatsächlichen Lieferungen in einem vor der Mitteilung liegenden Zeitraum (und nicht die „Absichten“ der betreffenden Unternehmen) vorsah. Schließlich stellt der Schriftwechsel zwischen Unimétal und British Steel insofern einen gewichtigen Anhaltspunkt für den Gegenstand des Systems dar, als er davon zeugt, daß die verbreiteten Zahlen eingehalten werden sollten.

323.
    Die Klägerin nahm an der Sitzung der Träger-Kommission vom 19. Juli 1988 teil (Randnr. 38 Buchstabe a der Entscheidung), sie war Adressatin des Telefax vom 4. August 1988, und ihre eigenen Lieferabsichten sind in der diesem Telefax beigefügten Tabelle enthalten. Ihre Beteiligung an der fraglichen verabredeten Praktik ist somit rechtlich hinreichend bewiesen.

324.
    Im übrigen hinderte die Tatsache, daß die Klägerin die im Rahmen dieses Systems festgelegten Zahlen überschritt (vgl. Randnr. 76 der Entscheidung), die Kommission nicht daran, die Zuwiderhandlung im Grundsatz festzustellen.

— Zur zweiten Phase des Traverso-Systems (erstes Quartal 1990)

325.
    Die Wiederaufnahme des Systems im ersten Quartal 1990 wird durch die beiden in Randnummer 78 der Entscheidung erwähnten Schriftstücke — das Schreiben der Klägerin an den Vorsitzenden des CDE vom 31. Januar 1990 (S. 3422 f. der Akten) und den Briefingvermerk von British Steel vom 20. Juli 1990 (S. 1964 bis 1966 der Akten) — rechtlich hinreichend belegt.

326.
    Der Inhalt des Schreibens der Klägerin vom 31. Januar 1990 stimmt mit den Merkmalen der Traverso-Methode überein. Es ist an den Vorsitzenden des CDE gerichtet und enthält die „Lieferabsichten“ für die ersten beiden Quartale 1990, die grundsätzlich durch die Zahlen früherer Zeiträume, d. h. durch „historische Daten“ im Sinne der im Protokoll der Sitzung vom 19. Juli 1988 verwendeten Terminologie (vgl. Randnr. 72 der Entscheidung), gerechtfertigt werden. Eine besondere Rechtfertigung wird für das erste Quartal 1990 angegeben; sie geht dahin, daß verschobene Lieferungen zuvor nicht hätten ausgeführt werden können. Diese Auslegung wird nicht schon dadurch in Frage gestellt, daß als Gegenstand des Schreibens das „Monitoring poutrelles“ genannt wird.

327.
    Das Schreiben der Klägerin vom 31. Januar 1990 läßt sich nicht mit der Sitzung vom 2. Februar 1990 erklären, auf das es sich bezieht. Nach dem von der Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Protokoll diente diese Sitzung u. a. dazu, eine Bestandsaufnahme der von der Industrie zur Verfolgung der Entwicklung der Lagerbestände herangezogenen Methoden und Quellen vorzunehmen, von denen eine, die auf einer produktbezogenen Vorgehensweise beruhte, tatsächlich — wie die Klägerin ausgeführt hat — von Eurofer vorgestellt wurde. Um eine solche Bestandsaufnahme der Methoden zu ermöglichen, war es aber offensichtlich nicht erforderlich, daß die Hersteller Eurofer individuelle Lieferabsichten für die verschiedenen nationalen Märkte der Gemeinschaft mitteilen. Diese Absichten stellen auch keine Informationen über die Lagerbestände im Sinne von Punkt 3 des Protokolls dar. Unter diesen Umständen ist das Vorbringen zur Sitzung vom 2. Februar 1990 einschließlich der Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör zurückzuweisen, da das Schriftstück eindeutig kein entlastendes Element enthält.

328.
    Im internen Vermerk von British Steel vom 20. Juli 1990 über die Sitzung der Träger-Kommission vom 10. Juli 1990 ist die Rede von Angriffen anderer Hersteller wegen der Absatzentwicklung von British Steel auf dem Kontinent. Das Unternehmen beruft sich zu seiner Verteidigung darauf, daß sein Absatz im vorangegangenen Quartal „within the Traverso guidelines“ (innerhalb der Traverso-Vorgaben) geblieben sei. Entgegen der Behauptung der Klägerin ist die

Bezugnahme auf „Vorgaben“ in diesem Vermerk keineswegs unverständlich, sondern damit zu erklären, daß der Vorsitzende des CDE die Einhaltung der im Rahmen des Systems festgelegten Zahlen erwartete.

329.
    Nach der Antwort der Kommission vom 21. Januar 1998 auf die Fragen des Gerichts stellt der Vermerk von British Steel vom 20. Juli 1990 die „Bestätigung“ für die Wiederaufnahme des Traverso-Systems dar, von der in Randnummer 78 der Entscheidung die Rede ist. Die Klägerin hatte unstreitig während des Verwaltungsverfahrens Zugang zum relevanten Teil dieses Schriftstücks, und das gesamte Schriftstück wurde im gerichtlichen Verfahren vorgelegt.

330.
    Auch das Vorbringen der Klägerin, daß im Dezember 1989 zu dieser Methode, die sich als nicht sehr wirkungsvoll erwiesen habe, eine Alternative vorgeschlagen worden sei (vgl. Nr. 108 der Beschwerdepunkte), ändert nichts daran, daß das System Anfang 1990 wiederaufgenommen wurde, wie das Schreiben der Klägerin und der interne Vermerk von British Steel zeigen.

331.
    Die Aktennotiz von British Steel über die Sitzung vom 21. März 1990, wonach ein Mitarbeiter von Unimétal den Zusammenbruch des Systems festgestellt habe (vgl. Randnr. 79 der Entscheidung), zeigt allenfalls, daß gegen Ende des ersten Quartals 1990, auf das sich der Vorwurf der Kommission beschränkt, nicht mehr mit der Einhaltung der verbreiteten Zahlen durch die Unternehmen gerechnet werden konnte. Dies steht der Annahme, daß die Methode bis zu diesem „Zusammenbruch“ durchaus funktionierte, jedoch nicht entgegen. Zur Beurteilung der Bedeutung dieser Notiz braucht ihr Verfasser nicht ermittelt zu werden.

332.
    Das Argument, daß die Klägerin die in ihrem Schreiben vom 31. Januar 1990 angekündigten Zahlen überschritten habe, reicht zur Widerlegung der von der Kommission erbrachten Beweise für die Wiederaufnahme des Systems nicht aus.

333.
    Nach alledem sind die in der Entscheidung geschilderte Einführung und Anwendung des streitigen Systems für das vierte Quartal 1988 und das erste Quartal 1990 rechtlich hinreichend bewiesen. Gleiches gilt für die Beteiligung der Klägerin an den beiden Phasen dieses Systems.

334.
    Vorbehaltlich der im folgenden in Abschnitt D zu prüfenden Erwägungen ist daher das gesamte Vorbringen der Klägerin in Zusammenhang mit dem Traverso-System zurückzuweisen.

Zur Vereinbarung über die Aufteilung des französischen Marktes im vierten Quartal 1989

335.
    In Artikel 1 der Entscheidung wird der Klägerin eine Aufteilung des französischen Marktes zur Last gelegt und für die Festsetzung der Geldbuße von einer Dauer von drei Monaten ausgegangen.

336.
    Zur Stützung dieses Vorwurfs verweist die Kommission in den Randnummern 63 bis 71 (Sachverhalt) und 260 bis 262 (rechtliche Würdigung) der Entscheidung auf eine Vereinbarung zur Aufteilung der Lieferungen auf den französischen Markt für das vierte Quartal 1989. Diese Vereinbarung sei in der Sitzung der Träger-Kommission vom 21. September 1989 oder kurz davor oder danach zwischen der Klägerin, Thyssen, Saarstahl, Ferdofin, Cockerill-Sambre, TradeARBED, British Steel, Ensidesa und Unimétal getroffen worden. Ensidesa sei an der Ausarbeitung des Systems nicht aktiv beteiligt gewesen, habe sich aber daran gehalten.

337.
    Die Klägerin bestreitet, daß es eine Vereinbarung über die Aufteilung des französischen Marktes im vierten Quartal 1989 gab. In der Sitzung vom 13. September 1989 habe der Marktführer in Frankreich an seine Konkurrenten appelliert, sich angesichts der hohen Lagerbestände bei der Belieferung dieses Marktes zurückzuhalten. Keines der Unternehmen, an die der Appell gerichtet worden sei, habe sich jedoch mit dieser Forderung einverstanden erklärt (vgl. den in Randnr. 63 der Entscheidung erwähnten handschriftlichen Vermerk, S. 3138 der Akten, in dem im übrigen die Zahlen angegeben würden, auf deren Grundlage die Diskussion geführt worden sei, sowie das in Randnr. 67 der Entscheidung zitierte Fernschreiben der Walzstahl-Vereinigung vom 26. September 1989, das die Absicht der Klägerin wiedergebe, ungekürzt zu liefern). Diese Weigerung habe sich nicht nur auf die sogenannte „Alternative Gaillard“ bezogen, sondern auf jede gemeinsame Festlegung der Liefermengen. Im übrigen seien die im Fernschreibenvom 26. September 1989 angegebenen Zahlen um 20 % überschritten worden (Randnr. 69 der Entscheidung), was beweise, daß der fragliche Appell nicht befolgt worden sei. Auch aus den übrigen von der Kommission herangezogenen Unterlagen, insbesondere dem in Randnummer 63 der Entscheidung zitierten Schriftstück der Walzstahl-Vereinigung, dessen erste Seite der Klägerin nie übermittelt worden sei, gehe nicht hervor, daß es eine Absprache gegeben habe. Daß nach den Angaben im Vermerk vom 25. September 1989 selbst die nicht zu Eurofer gehörenden Hersteller Lieferkürzungen angekündigt hätten, spreche gegen die Annahme einer Vereinbarung zwischen den Mitgliedern dieses Verbandes. In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin geltend gemacht, ihre ursprünglichen Lieferabsichten für den französischen Markt seien geringer gewesen als die von der Walzstahl-Vereinigung errechnete Zahl, aber höher als die von Herrn Gaillard vorgeschlagene Zahl. Unter diesen Umständen habe sie an keiner Vereinbarung über eine Aufteilung des französischen Marktes mitgewirkt.

338.
    Die Kommission stützt ihre Schlußfolgerungen auf folgende Anhaltspunkte:

a)    eine Sitzung von Vertretern der Klägerin, von Thyssen, Saarstahl, British Steel, Unimétal, TradeARBED und Cockerill-Sambre/Steelinter vom 13. September 1989, in der es um die Trägerlieferungen auf den französischen Markt im vierten Quartal 1989 ging (Randnr. 63 der Entscheidung);

b)    ein in den Geschäftsräumen der Klägerin entdecktes Schriftstück der Walzstahl-Vereinigung (Randnr. 63 der Entscheidung, S. 3140 f. der Akten) sowie einen handschriftlichen Begleitvermerk der Klägerin zu diesem Schriftstück (S. 3138 der Akten);

c)    einen internen Vermerk der Klägerin vom 19. September 1989 (Randnr. 64 der Entscheidung, S. 3139 der Akten);

d)    das Protokoll der Sitzung der Träger-Kommission vom 21. September 1989 (Randnr. 65 der Entscheidung, S. 211 bis 217 der Akten);

e)    einen von der Walzstahl-Vereinigung erstellten Vermerk vom 25. September 1989 über die Ergebnisse der Sitzung vom 21. September 1989 (Randnr. 66 der Entscheidung, S. 207 bis 210 der Akten);

f)    ein Fernschreiben der Walzstahl-Vereinigung vom 26. September 1989 an die Klägerin, Thyssen, Saarstahl, Ferdofin, TradeARBED, British Steel, Ensidesa und Unimétal (Randnrn. 67 und 261 der Entscheidung, S. 3136 der Akten);

g)    einen Kurzbericht über die Ergebnisse der Sitzung der Träger-Kommission vom 7. November 1989, in dem von dem Wunsch gesprochen wird, „daß das .System der Mengen Q4-89 französischer Markt' für Q1-90 verlängert und auf sämtliche EGKS-Märkte ausgedehnt wird“ (Randnrn. 68 und 261, letzter Gedankenstrich, der Entscheidung, S. 224 bis 229 der Akten), sowie das Protokoll dieser Sitzung (Randnr. 71 der Entscheidung, S. 230 bis 235 der Akten).

339.
    Überdies stellt die Kommission auf der Grundlage der durch das Liefermonitoring für das vierte Quartal 1989 ermittelten Daten fest, daß sich die meisten beteiligten Unternehmen entweder an den erstellten Lieferplan gehalten oder sogar geringere als die vorgesehenen Mengen geliefert hätten. Nur drei Unternehmen (Thyssen, Ferdofin und British Steel) hätten diese Mengen deutlich überschritten (Randnrn. 262 und 69 der Entscheidung).

340.
    Die Erwägungen, die in den Randnummern 261 und 262 der Entscheidung auf der Grundlage der in den Randnummern 63 bis 71 aufgezählten Beweismittel angestellt werden, rechtfertigen in rechtlich hinreichender Weise die Schlußfolgerung der Kommission, daß für das vierte Quartal 1989 unter Bezugnahme auf die Mengenangaben in dem in Randnummer 67 zitierten Fernschreiben vom 26. September 1989 eine Vereinbarung über die Aufteilung des französischen Marktes getroffen wurde.

341.
    Erstens geht aus den in den Randnummern 63 und 64 der Entscheidung genannten Anhaltspunkten hervor, daß sich die betreffenden Unternehmen im Anschluß an die Sitzung der Träger-Kommission vom 13. September 1989, in der es u. a. um die

Lieferungen auf den französischen Markt ging, und vor der Sitzung vom 21. September 1989 um eine solche Vereinbarung bemühten.

342.
    Der interne Vermerk der Klägerin vom 19. September 1989 (Randnr. 64, S. 3139 der Akten) zeigt, daß diese Unternehmen Gespräche aufgenommen hatten, um auf der Grundlage von zwei Vorschlägen einen Aufteilungsschlüssel zu finden. In dem von der Walzstahl-Vereinigung erstellten Schriftstück (S. 3141 der Akten), auf das der Verfasser des Vermerks Bezug nimmt, werden die vorangegangenen Lieferungen der betreffenden Unternehmen und auf dieser Grundlage zwei verschiedene Aufteilungsschlüssel dargestellt. Der erste trägt die Überschrift „französischer Markt — Träger — 4. Quartal 1989“, und der zweite wird mit „Alternative Gaillard“ bezeichnet. Die Klägerin hatte im übrigen Zugang zur ersten Seite des Schriftstücks auf Seite 3141 der Akten (S. 3388 der Akten), das Daten über die früheren Lieferungen der betreffenden Unternehmen auf den französischen Markt enthält, denn das gesamte Schriftstück wurde in ihren eigenen Geschäftsräumen gefunden. Außerdem wurde ihr zusammen mit der Mitteilung der Beschwerdepunkte eine Kopie übersandt (vgl. Anhang 3 dieser Mitteilung), und das Schriftstück stand ihr in den Akten der Kommission zur Verfügung (vgl. Anhang 2 der Mitteilung der Beschwerdepunkte).

343.
    Nach dem Vermerk vom 19. September 1989 war die Klägerin damit „einverstanden“, daß anhand des „von der [Walzstahl-Vereinigung] zusammengestellte[n] Papier[s]“, das sie als „Basis für die Aufteilung der Eurofer-Einlieferer“ ansah, bei ihr der den früheren Lieferungen entsprechende Prozentsatz Anwendung findet. Unter einem Vorbehalt („Die Basis muß jedoch 33 000 moto [Monatstonnen] sein.“) sprach sie sich für den ersten Aufteilungsschlüssel aus und lehnte den zweiten, von einem Mitarbeiter von Unimétal vorgeschlagenen Schlüssel (die „Alternative Gaillard“) ab. Dieser Standpunkt wird auch in dem in Randnummer 63, letzter Absatz, der Entscheidung erwähnten handschriftlichen Vermerk dieses Unternehmens (S. 3138 der Akten) vertreten. Aus beiden Schriftstücken geht hervor, daß auch die übrigen Unternehmen die „Alternative Gaillard“ ablehnten.

344.
    Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Klägerin ihre Absicht bekanntgegeben hätte, den französischen Markt ungekürzt zu beliefern. Selbst wenn man unterstellt, daß die von der Walzstahl-Vereinigung für sie errechnete individuelle Menge ihre ursprünglichen Lieferabsichten überstieg, hatte sie kein Interesse daran, die Zuteilung dieser Menge abzulehnen.

345.
    Zweitens werden im Protokoll der Sitzung, die am 21. September 1989 — zwei Tage, nachdem der vorgenannte Vermerk der Klägerin vom 19. September 1989 verfaßt worden war — stattfand, zwar nur die von Unimétal vorzunehmenden Lieferungen erwähnt; offenbar hatten aber alle betroffenen Werke „reduzierte Lieferabsichten“ angekündigt (vgl. den Vermerk der Walzstahl-Vereinigung, Randnr. 66 der Entscheidung, S. 207 bis 210 der Akten). Die zuletzt genannte Angabe kann

vernünftigerweise nur so verstanden werden, daß die wenige Tage zuvor entfalteten Bemühungen zur Erzielung einer Vereinbarung über die auf den französischen Markt zu liefernden Mengen Erfolg hatten. In Anbetracht des Zusammenhangs dieser vorangegangenen Gespräche kann mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, daß die von den betroffenen Unternehmen angekündigten Lieferungen auf eigenständig getroffenen Entscheidungen beruhten. Die von der Klägerin angeführte Tatsache, daß selbst nicht zu Eurofer gehörende Unternehmen geplante Lieferkürzungen angekündigt hatten, schließt die Annahme einer Vereinbarung zwischen den in der Entscheidung genannten Unternehmen, zu denen auch die Klägerin gehört, nicht aus.

346.
    Drittens wurden im Fernschreiben der Walzstahl-Vereinigung vom 26. September 1989 (Randnr. 67 der Entscheidung, S. 3136 der Akten) die Einzelheiten der damit erzielten Vereinbarung deren Parteien mitgeteilt. Bei den Unternehmen, für die eine Liefermenge angegeben wird, handelt es sich um diejenigen, für die eine solche Menge in den vorbereitenden Unterlagen der Walzstahl-Vereinigung vorgesehen war; nur Klöckner erscheint (mit einer unbedeutenden Menge) allein in diesen vorbereitenden Unterlagen (Randnr. 63 der Entscheidung). Eine aufmerksame Prüfung der Zahlen zeigt im übrigen, daß die in den zuletzt genannten Unterlagen bei sieben der betroffenen Unternehmen (der Klägerin, Thyssen, Saarstahl, Ferdofin, Cockerill-Sambre, ARBED und British Steel) verwendeten vergangenheitsbezogenen Prozentsätze offenbar als Grundlage für die Ermittlung des endgültigen auf jedes von ihnen entfallenden Anteils an der ihnen zugeteilten Gesamtmenge dienten. So betrugen die vergangenheitsbezogenen Prozentsätze im Fall der Klägerin 11,6 % und 11,4 %, und ihr endgültiger Anteil lag nach dem Fernschreiben vom 26. September 1989 bei 11,5 %.

347.
    Daß die im fraglichen Fernschreiben angegebenen Mengen dort als „Zirka-Mengen“ bezeichnet werden, steht der Annahme, daß sie Gegenstand einer Vereinbarung der betroffenen Unternehmen waren, nicht entgegen.

348.
    Viertens vertraten die Unternehmen in der Sitzung vom 7. November 1989, an der die Klägerin teilnahm, offenbar die Ansicht, daß die im streitigen Quartal auszuliefernden Bestellungen einen „angemessenen“ Umfang hätten (vgl. den in Randnr. 68 der Entscheidung erwähnten Kurzbericht und das in Randnr. 71 erwähnte Protokoll, S. 230 bis 235 der Akten), und äußerten den Wunsch, „daß das .System der Mengen Q4-89 französischer Markt' für Q1-90 verlängert und auf sämtliche EGKS-Märkte ausgedehnt wird“. Im Zusammenhang gesehen bedeutet diese Angabe, daß ein solches System zur Aufteilung der Mengen für den betreffenden Markt und das betreffende Quartal tatsächlich eingeführt worden war.

349.
    Fünftens werden die soeben genannten Beweise durch die Aussagen, die Herr Mette und Herr Kröll, zwei Mitarbeiter der Klägerin, in der mündlichen Verhandlung gemacht haben, nicht entkräftet.

350.
    Herr Mette hat im wesentlichen ausgeführt, aufgrund der damaligen überhöhten Lagerbestände auf dem französischen Markt habe die Walzstahl-Vereinigung eine Umfrage durchgeführt, um in Erfahrung zu bringen, welche Lieferabsichten die Unternehmen für diesen Markt im betreffenden Quartal hätten. Konfrontiert mit den zwei Berechnungen, die in den von dieser Vereinigung vorbereiteten Unterlagen enthalten gewesen seien, habe die Klägerin ihr mitgeteilt, daß sie 9 500 Tonnen liefern wolle. Dies habe sie aufgrund der vorstehend geschilderten Situation bei den Lagerbeständen von sich aus getan. Da die mitgeteilte Menge unter der von der Walzstahl-Vereinigung errechneten Menge gelegen habe, sei die Klägerin in dieser Frage nicht mehr angesprochen worden und habe sich an keiner Vereinbarung oder Abstimmung beteiligt. Er habe von derlei Vereinbarungen oder Abstimmungen für das zweite Halbjahr 1989 und den französischen Markt auch nichts gehört. Wenn die Unternehmen wegen der hohen Lagerbestände tatsächlich reduzierte Lieferabsichten angegeben hätten, seien sie nicht davon ausgegangen, sich um die Einhaltung der im Fernschreiben vom 26. September 1989 mitgeteilten Zahlen bemühen zu müssen. Damals habe jedes Unternehmen seine eigene Politik verfolgt. Die Klägerin habe sich jedenfalls nicht an die sie betreffende Zahl gehalten.

351.
    Aus den internen Unterlagen der Klägerin (Randnrn. 63 und 64 der Entscheidung; S. 3138 f. der Akten) geht aber klar hervor, daß sich die zuständigen Mitarbeiter dieses Unternehmens und insbesondere der Zeuge Mette damals des Erfordernisses bewußt waren, zwischen zwei Verteilungsschlüsseln zu wählen; diese Situation läßt sich nach Ansicht des Gerichts nur mit dem Versuch erklären, insoweit zu einem Konsens zu gelangen. Die Aussagen des Zeugen lassen keine andere Auslegung zu. Aus ihnen geht insbesondere nicht hervor, weshalb es in einer Situation, in der jedes Unternehmen angeblich eigenständig über sein Marktverhalten entschied, erforderlich gewesen sein soll, nicht nur eine „Umfrage“ über die Lieferabsichten durchzuführen, sondern den Unternehmen neben einer Warnung wegen der hohen Lagerbestände auch noch genaue Vorschläge über die Aufteilung einer bestimmten Gesamtliefermenge anhand ihrer früheren Lieferungen zu unterbreiten. Die Aussagen des Zeugen bieten auch für den Umstand, daß Unimétal es für erforderlich hielt, in der Sitzung vom 21. September 1989 (Randnr. 65 der Entscheidung) nach der Schätzung des sichtbaren Verbrauchs nicht nur die von ihr selbst geplanten Lieferungen zu erörtern, sondern auch die Mengen, die ihres Erachtens von den Unternehmen, die nicht zu Eurofer gehörten, und aus Drittländern zu erwarten waren, keine andere Erklärung als die, daß es eine Absprache über die Marktaufteilung gab. Schließlich sollten sowohl der Inhalt des Fernschreibens vom 26. September 1989 als auch der in der Sitzung der Träger-Kommission vom 7. November 1989 geäußerte Wunsch, das „System der Mengen Q4-89 französischer Markt“ zu verlängern und auszudehnen (Randnr. 68 der Entscheidung), die Klägerin an die Existenz der vereinbarten Marktaufteilung erinnern. Die Aussage des Zeugen, daß sein Unternehmen wegen einer solchen Aufteilung nicht weiter angesprochen worden sei und daß er selbst nichts davon gehört habe, ermöglicht keine abweichende Auslegung.

352.
    Herr Kröll hat ausgesagt, er habe in Vertretung von Herrn Mette an einer Sitzung im September 1989 teilgenommen, in der es um die Marktsituation in Frankreich gegangen sei. Herr Gaillard, ein Mitarbeiter von Unimétal, habe wegen derÜberversorgung französischer Händler eine Lieferzurückhaltung aller Beteiligten für erforderlich gehalten. Die Walzstahl-Vereinigung habe dazu Modellrechnungen erstellt, die Herr Kröll mit einer handschriftlichen Notiz an Herrn Mette, den in dieser Angelegenheit Zuständigen, weitergegeben habe. Im Beisein des Zeugen sei keine Vereinbarung über eine konkrete Verringerung der Lieferungen einzelner Unternehmen auf den französischen Markt getroffen worden. Seines Wissens liege eine solche Vereinbarung auch den Berechnungen der Walzstahl-Vereinigung nicht zugrunde.

353.
    Insoweit genügt die Feststellung, daß keine dieser Aussagen dem in der Entscheidung gezogenen Schluß entgegensteht, daß die streitige Vereinbarung nach der Sitzung vom 13. September 1989 auf der Grundlage der von der Walzstahl-Vereinigung angestellten Berechnungen getroffen wurde, als der Zeuge nicht mehr in das Geschehen einbezogen war.

354.
    Zur Beteiligung der Klägerin an dieser Vereinbarung ist festzustellen, daß sie an der Sitzung vom 13. September 1989 teilnahm (Randnr. 63 der Entscheidung) und daß die vorbereitenden Unterlagen der Walzstahl-Vereinigung ihre Liefermengen enthielten. Ihre eigenen internen Unterlagen (S. 3138 f. der Akten) belegen, daß sie sich an dieser Vorbereitungsphase aufmerksam beteiligte. Sie nahm auch an der Sitzung vom 21. September 1989 teil. Die von der Walzstahl-Vereinigung am 26. September 1989 versandte Übersicht (Randnr. 67 der Entscheidung) war u. a. an die Klägerin gerichtet, und unter ihrem Namen ist darin eine Liefermenge zu finden. Aus all diesen übereinstimmenden Anhaltspunkten ist zu folgern, daß die Klägerin an der streitigen Vereinbarung mitwirkte.

355.
    Nach alledem sind der Abschluß der streitigen Vereinbarung und die Beteiligung der Klägerin an ihr rechtlich hinreichend bewiesen. Diese Vereinbarung zielte auf eine Aufteilung der Märkte im Sinne von Artikel 65 § 1 Buchstabe c des Vertrages ab und war somit — vorbehaltlich der im folgenden in Abschnitt D zu prüfenden Umstände — nach dieser Bestimmung verboten.

Zum Informationsaustausch in der Träger-Kommission (Auftrags- und Liefermonitoring) und im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung

356.
    Gemäß Artikel 1 der Entscheidung nahm die Klägerin 30 Monate lang an einem „Austausch vertraulicher Informationen im Rahmen der Träger-Kommission und der Walzstahl-Vereinigung“ teil. In den Randnummern 39 bis 60 (Sachverhalt) und 263 bis 272 (rechtliche Würdigung) stellt die Kommission die Einzelheiten dieser Systeme dar.

357.
    Der im allgemeinen als „Monitoring“ bezeichnete Austausch von Informationen im Rahmen der Träger-Kommission bestand aus zwei Teilen, die die Aufträge und die

Lieferungen der beteiligten Unternehmen betrafen (Randnr. 263 der Entscheidung). Er wurde vom Sekretariat der Träger-Kommission organisiert (Randnr. 47), das damals von Usinor Sacilor wahrgenommen wurde (Randnr. 33) und das die Zahlen sammelte und sie in Form von Statistiken weitergab (Randnr. 40).

358.
    Das 1984 eingeführte Auftragsmonitoring erlaubte es den beteiligten Unternehmen, sich gegenseitig regelmäßig über die bei ihnen eingegangenen Aufträge zu unterrichten, die in einem bestimmten Quartal in folgenden Ländern ausgeliefert werden sollten (Randnr. 39): Frankreich, Deutschland, Belgien/Luxemburg, Niederlande, Vereinigtes Königreich, Italien, Spanien, Portugal und Griechenland/Irland/Dänemark. Mindestens seit Anfang 1989 wurden diese Zahlen vom Sekretariat der Träger-Kommission auf wöchentlicher Basis zusammengestellt und weitergegeben (Randnr. 40).

359.
    Das Liefermonitoring, das erstmals Anfang 1989 mit den Statistiken für das vierte Quartal 1988 durchgeführt wurde, betraf die vierteljährlichen Lieferungen der Teilnehmer auf den EGKS-Märkten (Randnr. 41). Nach Unternehmen aufgeschlüsselte Zahlen wurden für folgende Märkte ausgetauscht: EGKS insgesamt, Deutschland, Frankreich, Vereinigtes Königreich, Benelux, Italien, Griechenland/Irland/Dänemark, Portugal und Spanien. Diese Zahlen wurden einen oder zwei Monate nach dem Ende des jeweiligen Quartals verteilt (Randnr. 42).

360.
    Der Entscheidung zufolge wurden die Monitoring-Systeme Ende Juli 1990 im Anschluß an den Erlaß der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ ausgesetzt (Randnrn. 43 bis 46), später aber wiederaufgenommen (Randnr. 45). So seien individualisierte Zahlen der von der Klägerin und anderen beteiligten Unternehmen im vierten Quartal 1990 und im ersten Quartal 1991 auszuliefernden Bestellungen dem Sekretariat der Träger-Kommission übermittelt und von der Walzstahl-Vereinigung im Dezember 1990 und im Januar 1991 weitergegeben worden (Randnr. 46 und Anhang 1, Nr. 28, der Entscheidung).

361.
    Dieser Informationsaustausch in der Träger-Kommission wurde durch einen Informationsaustausch im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung ergänzt. Die Kommission verweist in diesem Zusammenhang auf Aufstellungen vom 1. Oktober 1990 und vom 23. November 1990 über die Lieferungen und die Auftragseingänge der Klägerin und anderer Unternehmen auf den einzelnen Märkten der Gemeinschaft. In den ersten, für die Sitzung der Träger-Kommission vom 9. Oktober 1990 vorbereiteten Aufstellungen seien die von Januar bis Juli 1990 gelieferten Mengen monatsweise aufgeschlüsselt worden. Sie hätten ferner für die Zeit vom 2. Juni bis zum 22. September 1990 den wöchentlichen Stand der im dritten und vierten Quartal dieses Jahres auszuliefernden Aufträge enthalten. Die für die Sitzung der Träger-Kommission vom 4. Dezember 1990 vorbereiteten Aufstellungen vom 23. November 1990 hätten in gleicher Weise aufgeschlüsselte, aber neuere Zahlen über die von Januar bis September 1990 gelieferten Mengen

und die im vierten Quartal dieses Jahres auszuliefernden Aufträge enthalten (Randnrn. 47 und 48 der Entscheidung).

362.
    In den Randnummern 49 bis 60 und 268 der Entscheidung macht die Kommission geltend, der Informationsaustausch sei häufig von Gesprächen in der Träger-Kommission begleitet worden, in deren Verlauf sich die Unternehmen über das Verhalten ihrer Konkurrenten bei Aufträgen oder Ausfuhren sowie über Unterschiede zwischen den angekündigten Aufträgen und den ausgeführten Lieferungen beklagt hätten.

Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien

363.
    Ohne sich gegen die in der Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen zu wenden, vertritt die Klägerin die Auffassung, durch die Teilnahme an dem innerhalb der Träger-Kommission praktizierten Monitoring-System nicht gegen Artikel 65 des Vertrages verstoßen zu haben.

364.
    Sie trägt vor, die Kommission selbst habe zusammen mit Eurofer im Rahmen einer 1978 gegründeten „Monitoring-Group“ auf der Grundlage von Artikel 46 des Vertrages ein Monitoring-System eingeführt, das im Rahmen der Entscheidung Nr. 2448/88 fortgesetzt worden sei. Dieses System habe darauf abgezielt, jedem Unternehmen die Möglichkeit zu geben, sich jederzeit über die Übereinstimmung zwischen seinem Produktions- und Lieferprogramm und dem von der Kommission aufgestellten Programm zu unterrichten und seine Unsicherheit über das Marktverhalten der Konkurrenten zu verringern. Die Kommission habe ihre Stahlpolitik auf die Vorausschätzungen von Eurofer gestützt, die als besonders verläßlich gegolten hätten. Das System habe zur eingehenden Marktbeobachtung und nicht zu wettbewerbswidrigen Vereinbarungen oder Praktiken gedient.

365.
    Aufgrund des Auftrags- und Liefermonitorings hätten die Unternehmen zwar nachträglich das Marktverhalten ihrer Konkurrenten erkennen können. Sie hätten sich jedoch darauf beschränkt, schriftlich die Informationen festzuhalten, die damals dank der durch die Diskussionen zwischen ihnen und der Kommission entstandenen Markttransparenz verfügbar gewesen seien. Wie die Artikel 5 und 46 des Vertrages zeigten, die für jedes Unternehmen und für jede Produktkategorie in allen Mitgliedstaaten eine Produktionsplanung vorsähen, führe die Veröffentlichung von Marktvorausschätzungsprogrammen zu einer vollständigen Markttransparenz hinsichtlich der von den einzelnen Unternehmen vorgesehenen Lieferungen. Die Kommission erwarte von den Unternehmen, daß sie sich an diesen Vorausschätzungen orientierten; dies könne nur mit Hilfe des Monitoring geschehen. Im übrigen gebe es keinen Beweis für die Behauptung in Randnummer 269 der Entscheidung, daß der Informationsaustausch zur Koordinierung des Marktverhaltens gedient habe. Er habe vielmehr die nötigen Voraussetzungen für ein unabhängiges und selbständiges Verhalten jedes Unternehmens im Rahmen des vom EGKS-Vertrag gewollten informierten Wettbewerbs geschaffen. Die Unternehmen hätten sich tatsächlich so verhalten (vgl. Randnrn. 51, 53 und 60 der

Entscheidung). Artikel 65 des Vertrages könne jedenfalls keinen mit dem Diskriminierungsverbot und dem Grundsatz der Transparenz, die in Artikel 60 verankert seien, unvereinbaren Wettbewerb schützen.

366.
    Zur Aktualität der ausgetauschten Informationen (Randnr. 268 der Entscheidung) sei festzustellen, daß diese nur bereits realisierte Vorgänge (Aufträge oder Lieferungen) und damit Mengen betroffen hätten, die dem Markt und dem Wettbewerb schon entzogen gewesen seien. Sie hätten es den Unternehmen deshalb nicht ermöglicht, ihr künftiges Verhalten zu koordinieren.

367.
    Außerdem seien Informationen der im Rahmen des Monitoring ausgetauschten Art von den Unternehmen seit vielen Jahren nicht mehr als streng vertraulich betrachtet worden.

368.
    Die von der Kommission hervorgehobene Besonderheit, daß es sich um einen oligopolistischen Markt mit homogenen Gütern handele, habe schon beim Inkrafttreten des Vertrages bestanden. Darüber hinaus gehöre das Prinzip der Gruppensolidarität nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 18. März 1980 in den Rechtssachen 154/78, 205/78, 206/78, 226/78, 227/78, 228/78, 263/78 und 264/78, 31/79, 39/79, 83/79 und 85/79, Valsabbia u. a./Kommission, Slg. 1980, 907) zu den tragenden Grundsätzen des Vertrages.

369.
    Die Kommission könne sich nicht auf das Interesse berufen, zugunsten der Abnehmer den „Geheimwettbewerb“ zu erhalten, der nach ihren Angaben selbst auf oligopolistisch strukturierten Märkten existiere. Der EGKS-Vertrag kenne keinen legalen Geheimwettbewerb. So müßten sogar die nicht der Veröffentlichungspflicht unterliegenden Abweichungen den Konkurrenten mitgeteilt werden (vgl. Artikel 5 Absätze 1 und 2 und Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der Entscheidung Nr. 31/53 der Hohen Behörde vom 2. Mai 1953 über die Veröffentlichung der von den Unternehmen der Stahlindustrie angewandten Preislisten und Verkaufsbedingungen, ABl. 1953, Nr. 6, S. 111, in der im ABl. C 29 vom 12. Mai 1973, S. 32, veröffentlichten geänderten Fassung).

370.
    Die in der Träger-Kommission auf der Grundlage der ausgetauschten Zahlen geführten Diskussionen seien von der Kommission nicht als Teil von Mengenabsprachen beanstandet worden. Anders als in dem Fall, der zur Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ geführt habe, hätten sich die Reaktionen der Konkurrenten im vorliegenden Fall auf gelegentliche Ermahnungen beschränkt, traditionelle Lieferströme einzuhalten. Die Aufrechterhaltung dieser Lieferströme sei aber auch nach dem Ende der Krisenregelung das erklärte Ziel der Stahlpolitik der Kommission gewesen. Die Kommission könnte den Unternehmen nur dann vorwerfen, über das zulässige Maß hinausgegangen zu sein, wenn sie damals die Grenze zwischen zulässigem und unzulässigem Monitoring unter Berücksichtigung des Transparenzprinzips des EGKS-Vertrags klargestellt hätte.

371.
    Schließlich verbiete Artikel 65 § 1 des Vertrages nur Absprachen, die auf die Verfälschung des normalen Wettbewerbs „abzielen“. Diese Voraussetzung sei im vorliegenden Fall nicht erfüllt, da die Klägerin keine Wettbewerbsbeeinträchtigung beabsichtigt habe. In ihrem internen Vermerk vom 10. September 1990, auf den sich die Kommission stütze (Randnr. 59 der Entscheidung), sei lediglich von einigen bei Eurofer entstandenen Zweifeln und von der Absicht der Klägerin die Rede, das Marktverhalten der einzelnen Wirtschaftsteilnehmer im nachhinein zu erkennen.

372.
    Nach Ansicht der Kommission war der im vorliegenden Fall von den Unternehmen vorgenommene Informationsaustausch aus den in den Randnummern 263 bis 272 der Entscheidung genannten Gründen mit Artikel 65 des Vertrages unvereinbar.

373.
    In ihrer Antwort vom 21. Januar 1998 auf eine schriftliche Frage des Gerichts hat die Kommission indessen geltend gemacht, daß die streitigen Informationsaustauschsysteme keine eigenständige Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages dargestellt hätten, sondern Bestandteil umfassenderer Zuwiderhandlungen gewesen seien, die insbesondere in Preisfestsetzungs- und Marktaufteilungsabsprachen bestanden hätten. Sie hätten daher insofern gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages verstoßen, als sie die Begehung dieser anderen Zuwiderhandlungen erleichtert hätten. In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission Zweifel an der unmittelbaren Übertragbarkeit der „Traktor-Urteile“ des Gerichtshofes und des Gerichts (Urteil des Gerichtshofes vom 28. Mai 1998 in der Rechtssache C-7/95 P, Deere/Kommission, Slg. 1998, I-3111, Randnrn. 88 bis 90; Urteil des Gerichts in der Rechtssache Deere/Kommission, Randnr. 51) auf den EGKS-Vertrag geäußert und zugleich vorgetragen, es handele sich hier nicht nur um einen Informationsaustausch, sondern — wie vor allem aus den Randnummern49 bis 60 der Entscheidung hervorgehe — auch um die Verwendung dieser Informationen zu unerlaubten Zwecken.

Würdigung durch das Gericht

— Zur Art der der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlung

374.
    In Anbetracht des Vorbringens der Kommission in ihrer schriftlichen Antwort vom 21. Januar 1998 und in der mündlichen Verhandlung ist zunächst festzustellen, ob es sich bei der Zuwiderhandlung, die der Klägerin in den Randnummern 263 bis 272 der Entscheidung zur Last gelegt wird, um eine eigenständige Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages handelt oder ob die streitigen Informationsaustauschsysteme deshalb eine Zuwiderhandlung darstellen, weil sie die Begehung der übrigen in der Entscheidung aufgeführten Zuwiderhandlungen erleichterten. Dies ist nicht nur für die rechtliche Bewertung der fraglichen Verhaltensweisen von Bedeutung, sondern auch für die Frage, ob zur Ahndung dieser Verhaltensweisen eine gesonderte Geldbuße festgesetzt werden durfte.

375.
    In Randnummer 267 der Entscheidung vertritt die Kommission die Ansicht, daß die fraglichen Unternehmen über das zulässige Maß eines Informationsaustauschs

hinausgegangen seien, da erstens die ausgetauschten Informationen über die Lieferungen und die auf den einzelnen Märkten auszuliefernden Aufträge jedes Unternehmens gewöhnlich als streng vertraulich betrachtet würden und zweitens die Zahlen über die Auftragseingänge wöchentlich fortgeschrieben und rasch an die Teilnehmer weitergegeben worden seien, während die Zahlen über die Lieferungen kurz nach Ende des jeweiligen Quartals weitergegeben worden seien. Die Kommission zieht daraus folgenden Schluß: „Jedes teilnehmende Unternehmen kannte somit in umfassender und detaillierter Weise die von seinen Wettbewerbern geplanten Lieferungen und deren tatsächliche Lieferungen. Damit waren die Unternehmen in der Lage, das von ihren Wettbewerbern beabsichtigte bzw. tatsächliche Marktverhalten zu erkennen und ihr eigenes Handeln dementsprechend einzurichten.“

376.
    Sodann führt die Kommission in den Randnummern 267 und 268 der Entscheidung aus, dies sei der Grund für den Austausch gewesen, da die ausgetauschten Informationen als Grundlage für die in den Randnummern 49 bis 60 der Entscheidung beschriebenen Erörterungen über die Handelsströme gedient hätten. Die Unternehmen hätten diese Zahlen sehr genau verfolgt und nachgeprüft, ob sich die Lieferungen mit den angekündigten Aufträgen gedeckt hätten. Den Parteien sei es bei den Erörterungen gelungen, einen „beachtlichen Grad an Transparenz untereinander zustandezubringen“. Die Kommission fügt hinzu, wenn es sich um einen auf Zahlen von rein historischem Wert beschränkten Austausch ohne mögliche Auswirkung auf den Wettbewerb gehandelt hätte, wären solche Erörterungen nicht zu erklären.

377.
    In Randnummer 269 der Entscheidung kommt die Kommission zu dem Ergebnis, daß die Parteien ein „Solidaritäts- und Kooperationssystem, das dazu bestimmt war, [ihre] Geschäftstätigkeiten zu koordinieren“, geschaffen und damit „an die Stelle der normalen Wettbewerbsrisiken eine praktische Zusammenarbeit, in deren Zuge Wettbewerbsbedingungen entstanden, die von jenen in einer normalen Marktsituation verschieden waren“, gesetzt hätten.

378.
    In den Randnummern 270 und 271 der Entscheidung weist die Kommission darauf hin, daß der Austausch individueller Informationen, die das Marktverhalten der Unternehmen beeinflussen könnten, durch ihre am 29. Juli 1968 veröffentlichte Bekanntmachung über Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine zwischenbetriebliche Zusammenarbeit betreffen (ABl. C 75, S. 3, berichtigt im ABl. C 84, S. 14; im folgenden: Bekanntmachung von 1968), nicht gedeckt sei. Aus den im Rahmen des EWG-Vertrags erlassenen Entscheidungen 87/1/EWG vom 2. Dezember 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/31.128 — Fettsäuren, ABl. 1987, L 3, S. 17; im folgenden: Fettsäuren-Entscheidung) und 92/157/EWG vom 17. Februar 1992 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/31.370 und 31.446 — UK Agricultural Tractor Registration Exchange, ABl. L 68, S. 19; im folgenden: Entscheidung „UK Agricultural Tractor Registration Exchange“) ergebe sich, daß

der vorliegende Informationsaustausch, der genaue und aktuelle Informationen über die Auftragseingänge und die Lieferungen der Hersteller umfaßt habe, mit denen sich in einem engen Oligopol das Verhalten der einzelnen Unternehmen ermitteln lasse, gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages verstoßen habe.

379.
    Die Kommission hat ihre rechtliche Würdigung in den Randnummern 263 bis 271 der Entscheidung demnach auf die in den Randnummern 49 bis 60 der Entscheidung geschilderten Merkmale des Monitoring und des Informationsaustauschs im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung gestützt, zu denen auch die Erörterungen über die Handelsströme gehörten, die auf der Grundlage der ausgetauschten Informationen stattfanden.

380.
    Auch wenn aus der Entscheidung ferner hervorgeht, daß das Monitoring einige andere den betreffenden Unternehmen zur Last gelegte Zuwiderhandlungen, insbesondere die „Traverso-Methode“ und die Vereinbarung über den französischen Markt im vierten Quartal 1989, tatsächlich erleichterte, gibt es in der Entscheidung keinen Anhaltspunkt dafür, daß dies bei der rechtlichen Würdigung des streitigen Informationsaustauschsystems im Hinblick auf Artikel 65 § 1 des Vertrages berücksichtigt wurde.

381.
    Im Ergebnis wurden die streitigen Informationsaustauschsysteme somit in den Randnummern 263 bis 272 der Entscheidung als eigenständige Zuwiderhandlungen gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages angesehen. Das Vorbringen der Kommission in ihrer Antwort vom 21. Januar 1998 und in der mündlichen Verhandlung ist daher zurückzuweisen, soweit es auf die Änderung dieser rechtlichen Würdigung abzielt.

— Zum wettbewerbswidrigen Charakter des Monitoring

382.
    Artikel 65 § 1 des Vertrages beruht auf dem Grundgedanken, daß jeder Wirtschaftsteilnehmer die Politik, die er auf dem Gemeinsamen Markt verfolgen möchte, eigenständig zu bestimmen hat.

383.
    Im vorliegenden Fall waren die weitergegebenen Angaben über die Aufträge und Lieferungen der Teilnehmer auf den wichtigsten Märkten der Gemeinschaft nach Unternehmen und nach Mitgliedstaaten aufgeschlüsselt. Sie erlaubten es somit, die Position jedes Unternehmens im Verhältnis zum Gesamtabsatz der Teilnehmer auf allen betroffenen räumlichen Märkten in Erfahrung zu bringen.

384.
    Dank der Aktualität der Daten und der Häufigkeit ihrer Übermittlung waren die Unternehmen in der Lage, jeden Schritt bei der Entwicklung der Anteile der Teilnehmer an den fraglichen Märkten genau zu verfolgen.

385.
    So wurden die Zahlen über die in einem bestimmten Quartal auszuliefernden Aufträge (Auftragsmonitoring) vom Sekretariat der Träger-Kommission wöchentlich zusammengestellt und weitergegeben (Randnr. 40 der Entscheidung). Aus den in

Anhang 1 der Entscheidung genannten Unterlagen geht ferner hervor, daß zwischen dem Bezugszeitpunkt einer Übersicht und dem Zeitpunkt, zu dem sie erstellt oder den Unternehmen zur Verfügung gestellt wurde, normalerweise weniger als drei Wochen lagen. Ebenso wurden die in Anhang 1 der Entscheidung aufgeführten Liefertabellen mit einer Ausnahme (und zwar der in Nr. 26 des Anhangs genannten Tabelle, die etwa zwei Monate nach dem Bezugsquartal datiert) entweder vor dem Ende des Bezugsquartals — bisweilen sogar mehrere Wochen davor — oder einige Tage danach verbreitet.

386.
    Die Lieferzahlen wurden stets weniger als drei Monate nach dem Ende des betreffenden Quartals verbreitet.

387.
    Die gesamte so gestaltete Zusammenarbeit beschränkte sich allein auf die teilnehmenden Hersteller unter Ausschluß der Verbraucher und der übrigen Konkurrenten.

388.
    Es ist im übrigen unstreitig, daß der Austausch homogene Produkte betraf (vgl. Randnr. 269 der Entscheidung), so daß der Wettbewerb anhand der Merkmale der Produkte nur eine begrenzte Rolle spielte.

389.
    Zur Marktstruktur ist festzustellen, daß 1989 auf zehn der am Monitoring der Träger-Kommission teilnehmenden Unternehmen zwei Drittel des sichtbaren Verbrauchs entfielen (Randnr. 19 der Entscheidung). Bei einer solchen oligopolistischen Struktur des Marktes, die selbst schon den Wettbewerb verringern kann, ist es um so notwendiger, die Entscheidungsfreiheit der Unternehmen und den verbleibenden Wettbewerb zu schützen.

390.
    Die in den Randnummern 49 bis 60 der Entscheidung genannten Anhaltspunkte bestätigen, daß die streitigen Systeme in Anbetracht aller Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere der Aktualität und der Aufschlüsselung der allein für die Hersteller bestimmten Daten, der Produktmerkmale und des Konzentrationsgrads des Marktes, die Entscheidungsfreiheit der Teilnehmer erheblich beeinflußten.

391.
    Im allgemeinen waren die verbreiteten Informationen Gegenstand regelmäßiger Erörterungen in der Träger-Kommission. Wie vor allem die in Randnummer 268 der Entscheidung wiedergegebenen Anhaltspunkte zeigen, wurden als überhöht angesehene Auftragseingänge (Randnr. 51) und Lieferungen der Betroffenen, insbesondere in andere Mitgliedstaaten (Randnrn. 51, 53 und 60), kritisiert, wobei in einigen Fällen die Lieferungen zwischen zwei Ländern oder Zonen analysiert wurden (Randnrn. 53, 55 und 57). So ist z. B. in einer Übersicht, die die Klägerin im März 1990 an British Steel sandte (S. 1864 der Akten), u. a. die Differenz zwischen den Lieferungen von British Steel nach Deutschland und den Lieferungen deutscher Hersteller in das Vereinigte Königreich angegeben. Sie enthält folgende handschriftliche Anmerkung von Herrn Kröll, dem Mitarbeiter der Klägerin:

„According to these figures there is — I fear — no backlog due to BS plc!“ (Nach diesen Zahlen gibt es — so fürchte ich — keinen Rückstand zugunsten von BS plc!) Im übrigen nahmen die Unternehmen regelmäßig auf Zahlen aus der Vergangenheit Bezug (Randnrn. 51, 53, 57 und 58), wobei sie den Begriff „traditionelle Handelsströme“ verwandten (Randnr. 57). Bei den Erörterungen wurden wegen als überzogen angesehener Verhaltensweisen Drohungen ausgesprochen (Randnr. 58), und die kritisierten Unternehmen versuchten mehrfach, ihr Verhalten zu erklären (Randnrn. 52 und 56). Schließlich diente die Verbreitung der Lieferzahlen offenbar auch zur Aufdeckung etwaiger Abweichungen von den angekündigten Aufträgen (Randnr. 54). Auf diese Weise verbesserte das Liefermonitoring die Effektivität des Auftragsmonitoring (vgl. Randnr. 268 der Entscheidung).

392.
    Folglich waren die Informationen, die die Unternehmen im Rahmen der streitigen Systeme erhielten, geeignet, ihr Verhalten spürbar zu beeinflussen, und zwar sowohl deshalb, weil sich jedes Unternehmen der genauen Überwachung durch seine Konkurrenten bewußt war, als auch deshalb, weil es selbst gegebenenfalls auf deren Verhalten anhand erheblich aktuellerer und genauerer Daten reagieren konnte, als auf anderem Weg zur Verfügung standen. Letzteres wird insbesondere durch den in Randnummer 59 der Entscheidung zitierten Briefingvermerk der Klägerin vom 10. September 1990 bestätigt („Ein Zahlenaustausch nur der aggregierten Zahlen ist für uns (Meinungsbildung der deutsch-luxemburgischen Gruppe am 30.08.90) (fast) wertlos, da das Marktverhalten der einzelnen Anbieter nicht mehr nachvollzogen werden kann.“). Dem Argument der Klägerin, daß die fraglichen Informationen dank der „Transparenz des Marktes“ bereits verfügbar gewesen seien, kann daher nicht gefolgt werden.

393.
    Gleiches gilt für ihre Behauptung, wonach das System dem Wettbewerb nicht geschadet habe, weil die betreffenden Vorgänge bereits realisiert worden und die entsprechenden Mengen dem Markt entzogen gewesen seien. Aus den gleichen Gründen war die Kommission schließlich in Randnummer 267 der Entscheidung zu der Annahme berechtigt, daß solche Informationen normalerweise als streng vertraulich betrachtet werden; dies wird dadurch bestätigt, daß interessierte Unternehmen die vom Sekretariat verbreiteten Angaben nur auf Gegenseitigkeit erhalten konnten (vgl. Randnr. 45 der Entscheidung).

394.
    Im übrigen fand die gegenseitige Kontrolle zumindest stillschweigend unter Heranziehung der Zahlen aus der Vergangenheit in einem Zusammenhang statt, in dem die Politik der Kommission bis Januar 1987 auf die Aufrechterhaltung der „traditionellen Handelsströme“ — eines von den Teilnehmern ausdrücklich verwendeten Begriffs — gerichtet war. Der Austausch diente somit zur Abschottung der Märkte unter Bezugnahme auf die traditionellen Handelsströme.

395.
    Die im Rahmen des von der Walzstahl-Vereinigung organisierten Systems verbreiteten Angaben, die ebenfalls die auszuliefernden Aufträge und die ausgeführten Lieferungen betrafen, waren mit den soeben geprüften Angaben

sowohl hinsichtlich ihrer Aufschlüsselung als auch hinsichtlich ihrer Aktualität vergleichbar (vgl. Randnr. 48 der Entscheidung). Dieses System kam im dritten und im vierten Quartal 1990 zum Einsatz und verschaffte den Mitgliedern der Walzstahl-Vereinigung nach Unternehmen aufgeschlüsselte Aufstellungen, als sie vom Sekretariat der Träger-Kommission nur noch globale Angaben erhielten (vgl. Randnr. 48 der Entscheidung).

396.
    Folglich schufen die streitigen Informationsaustauschsysteme entgegen der Behauptung der Klägerin keineswegs die nötigen Voraussetzungen für ein unabhängiges Verhalten der teilnehmenden Hersteller, sondern verringerten spürbar deren Entscheidungsfreiheit, indem sie an die Stelle der normalen Wettbewerbsrisiken eine praktische Zusammenarbeit der Hersteller setzten.

397.
    Das der Klägerin zur Last gelegte Verhalten war folglich auch nicht durch Abschnitt II Nummer 1 der Bekanntmachung von 1968 gedeckt, der schon nach seinem Wortlaut nicht für einen Austausch von Informationen gilt, der die Entscheidungsfreiheit der Teilnehmer einschränkt oder geeignet ist, ein koordiniertes Marktverhalten zu erleichtern. Im übrigen handelte es sich vorliegend um einen Austausch individualisierter Daten im Rahmen eines oligopolistischen Marktes homogener Produkte, der zur Abschottung der Märkte unter Bezugnahme auf die traditionellen Handelsströme diente. Der Austausch zielte somit darauf ab, den Wettbewerb zu verhindern, einzuschränken oder zu verfälschen; dies reicht zur Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages aus, ohne daß ermittelt zu werden braucht, welche Absichten die betreffenden Unternehmen und insbesondere die Klägerin verfolgten.

398.
    Soweit die Klägerin zur Rechtfertigung der streitigen Systeme und ihrer Mitwirkung an ihnen auf Artikel 60 des Vertrages oder dessen Durchführungsbestimmungen Bezug nimmt, kann ihrem Vorbringen nicht gefolgt werden. Zum einen beschränken sich all diese Bestimmungen auf den Preisbereich und beziehen sich nicht auf Informationen über die auf den Markt gebrachten Mengen. Zum anderen sollen von der in Artikel 60 § 2 des Vertrages vorgesehenen Veröffentlichung der Preise u. a. die Verbraucher profitieren (vgl. insbesondere das Urteil Frankreich/Hohe Behörde, S. 23), während die streitigen Systeme nur den teilnehmenden Herstellern zugute kamen. Desgleichen gestattet Artikel 47 des Vertrages der Kommission keinesfalls, Informationen über das Wettbewerbsverhalten der Unternehmen bei den Mengen bekanntzugeben, die allein den Herstellern nutzen. Aus den gleichen Gründen kann sich die Klägerin nicht auf einen im EGKS-Vertrag enthaltenen allgemeinen Grundsatz der Transparenz berufen, zumal es sich vorliegend um vertrauliche Angaben handelt, die ihrem Wesen nach Geschäftsgeheimnisse darstellen.

399.
    Die Klägerin vermochte im übrigen nicht deutlich zu machen, inwiefern die praktische Zusammenarbeit im Rahmen des Monitoring, die ausschließlich im Interesse der Teilnehmer lag, irgendeiner der vom System und den Vorschriften des

EGKS-Vertrags im Interesse der Allgemeinheit vorgesehenen Formen der „Solidarität“ gleichgestellt werden könnte, von denen im Urteil Valsabbia u. a./Kommission die Rede ist (vgl. Randnr. 59 des Urteils). Ihr Vorbringen ist somit auch in diesem Punkt zurückzuweisen.

400.
    Zu der auf die Artikel 5 und 46 bis 48 EGKS-Vertrag sowie die Entscheidung Nr. 2448/88 gestützten Argumentation, daß der Austausch von Informationen im Rahmen der Zusammenarbeit mit der Kommission erforderlich gewesen sei, ist festzustellen, daß keine dieser Bestimmungen ausdrücklich einen Austausch von Informationen der vorliegenden Art zwischen Unternehmen erlaubt. Die Frage, ob ein solcher Austausch durch das Verhalten der GD III stillschweigend gestattet wurde, wird in Abschnitt D behandelt.

401.
    Unter diesem Vorbehalt und insbesondere in Anbetracht des Grundprinzips des Vertrages, wonach der dort angestrebte Wettbewerb im Spiel unabhängiger und entgegengesetzter Kräfte und Wirtschaftsstrategien auf dem Markt besteht (Urteil Niederlande/Hohe Behörde), hat die Kommission keinen Rechtsfehler begangen, als sie in Randnummer 271 der angefochtenen Entscheidung auf einige frühere Entscheidungen verwies, die sie im Bereich des EWG-Vertrags in bezug auf oligopolistische Märkte getroffen hatte. Speziell zur Entscheidung „UK Agricultural Tractor Registration Exchange“ haben sowohl das Gericht als auch der Gerichtshof ausgeführt, daß der Austausch von Marktinformationen auf einem hochgradig konzentrierten oligopolistischen Markt geeignet ist, den Unternehmen Aufschluß über die Marktposition und die Verkaufsstrategie ihrer Konkurrenten zu geben und damit den noch bestehenden Wettbewerb zwischen den Wirtschaftsteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen (Urteil des Gerichts in der Rechtssache Deere/Kommission, Randnr. 51; Urteil des Gerichtshofes in der Rechtssache Deere/Kommission, Randnrn. 88 bis 90). Dies gilt erst recht, wenn die ausgetauschten Informationen wie im vorliegenden Fall Gegenstand regelmäßiger Erörterungen zwischen den teilnehmenden Unternehmen waren.

402.
    Schließlich konnten die fraglichen Unternehmen angesichts der Art der Erörterungen in der Träger-Kommission und der in diesem Rahmen ausgetauschten Daten sowie des Wortlauts der Bekanntmachung von 1968 keinen vernünftigen Zweifel daran haben, daß der betreffende Austausch verboten war; dies geht im übrigen auch aus den in Abschnitt D dargelegten Erwägungen hervor. Angebliche Schwierigkeiten bei der Beurteilung der Rechtswidrigkeit eines Verhaltens haben jedenfalls keinen Einfluß auf das Verbot selbst, das objektiven Charakter hat. Im übrigen hat die Kommission ihren Standpunkt, daß die streitigen Systeme dem normalen Wettbewerb widersprochen hätten, in den Randnummern 266 bis 271 der Entscheidung rechtlich hinreichend begründet.

403.
    Nach alledem ist das Vorbringen der Klägerin zum Informationsaustausch in der Träger-Kommission und im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung vorbehaltlich der in Abschnitt D getroffenen Feststellungen in vollem Umfang zurückzuweisen.

Zu den Praktiken auf den einzelnen Märkten

1. Die Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt

404.
    In Artikel 1 der Entscheidung legt die Kommission der Klägerin die Beteiligung an einer Vereinbarung über die Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt zur Last. Der für die Geldbuße herangezogene Zeitraum beträgt drei Monate. In Randnummer 273 der Entscheidung zählt die Kommission verschiedene als wettbewerbsbeschränkende Praktiken auf dem deutschen Markt eingestufte Verhaltensweisen auf. Im ersten und im dritten Gedankenstrich führt sie folgendes aus:

„—    Peine-Salzgitter, Thyssen und TradeARBED beteiligten sich an verschiedenen Preisfestsetzungsvereinbarungen ab Dezember 1986 (siehe Randnummern 147 bis 148);

...

—    auf einem Treffen im Januar 1988 beschlossen Peine-Salzgitter, TradeARBED, Hoesch, Saarstahl und Thyssen gemeinsame Preisempfehlungen und stimmten sich über wichtige Aspekte ihrer künftigen Preispolitik ab (siehe Randnummer 150)“.

Im fünften Gedankenstrich führt die Kommission aus:

„—    [B]ei mindestens zwei Anlässen im Jahr 1989 vereinbarten verschiedene Hersteller, ihre Einlieferungen in den deutschen Markt zwecks Stabilisierung dieses Marktes einzuschränken. Von diesen Unternehmen konnte nur Peine-Salzgitter als Teilnehmer an der ersten dieser Vereinbarungen mit Sicherheit ermittelt werden (siehe Randnummer 153) ...“

405.
    Die Klägerin bestreitet, sich an einer Vereinbarung über die Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt beteiligt zu haben. Ihr Briefingvermerk vom 20. April 1989, der sich auf ein Treffen von Herstellern und Händlern am 16. Februar 1989 beziehe (vgl. Randnr. 153 der Entscheidung) und auf den sich dieser Vorwurf allein stütze, spreche nur von einer Zusage der Hersteller gegenüber den mit einer Überbevorratung der Läger und den damit verbundenen Finanzierungslasten konfrontierten Händlern, keinen Druck auf den Markt auszuüben.

406.
    Die Kommission führt in ihren Schriftsätzen unter Bezugnahme auf Randnummer 273, fünfter Gedankenstrich, der Entscheidung aus, die fragliche Absprache habe sich nicht auf die Listenpreise der Klägerin bezogen, sondern auf eine Verpflichtung der Hersteller, keinen Abnahmedruck auf den Markt auszuüben. Die Unternehmen hätten damit ihre Preise durchsetzen und einem Verfall der

Marktpreise vorbeugen wollen. Diese Einordnung unterscheide sich nicht von der in den Beschwerdepunkten (Nr. 292).

407.
    In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission indessen vorgetragen, die beanstandete Vereinbarung sei, wie sich aus Randnummer 273, dritter Gedankenstrich, der Entscheidung ergebe, die am 20. Januar 1988 getroffene Vereinbarung über das Verhalten „bei künftigen Preisansagen“. Diese Vereinbarung habe offenbar mindestens bis zum 18. April 1989 gegolten (vgl. Randnr. 152 der Entscheidung).

408.
    Die der Klägerin zur Last gelegte Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt soll gemäß Artikel 1 der Entscheidung nach dem 30. Juni 1988 stattgefunden haben (vgl. die genaue Bezugnahme auf einen Zeitraum der Zuwiderhandlung von drei Monaten). In Randnummer 273 der Entscheidung ist jedoch von keiner Preisabsprache nach dem 30. Juni 1988 die Rede; die einzigen wettbewerbswidrigen Praktiken, die der Klägerin dort im fünften Gedankenstrich für die Zeit nach diesem Datum zur Last gelegt werden, betreffen zwei Vereinbarungen, die nicht als Vereinbarungen zur Festsetzung der Preise im Sinne von Artikel 65 § 1 des Vertrages eingestuft werden können (vgl. Randnrn. 153 und 154 der Entscheidung).

409.
    In Randnummer 273, fünfter Gedankenstrich, der Entscheidung heißt es, daß die erste dort beanstandete Vereinbarung dazu gedient habe, die „Einlieferungen in den deutschen Markt zwecks Stabilisierung dieses Marktes einzuschränken“. Die zur Stützung dieser Feststellung angeführte Randnummer 153 lautet wie folgt:

„In einem von Peine-Salzgitter im Hinblick auf ein Treffen mit Händlern am 21. April 1989 erstellten Briefingvermerk, der das Datum vom 20. April 1989 trägt, wird vermerkt, daß anläßlich des letzten Treffens dieser Gruppe am 16. Februar 1989 vereinbart worden war, daß die beteiligten Hersteller im zweiten Quartal 1989 keinen Druck auf den Markt ausüben würden. Der Verfasser bemerkt dazu, daß dies eingehalten worden zu sein scheint.“

410.
    Dabei handelt es sich nicht um eine Vereinbarung zur Festsetzung der Preise im Sinne von Artikel 65 § 1 Buchstabe a des Vertrages. Da mit ihr die auf den deutschen Markt zu liefernden Mengen durch eine abgestimmte Begrenzung koordiniert werden sollten, zielte sie vielmehr auf eine Aufteilung dieses Marktes im Sinne von Artikel 65 § 1 Buchstabe c ab. Die zweite Vereinbarung mit gleichem Gegenstand, auf die sich Randnummer 273, fünfter Gedankenstrich, der Entscheidung bezieht, wurde von der Kommission im übrigen so eingestuft (siehe unten, Randnrn. 414 ff.).

411.
    Das Verhalten, auf das die Kommission in der mündlichen Verhandlung Bezug genommen hat, wird im dritten Gedankenstrich von Randnummer 273 behandelt. Wie aus Artikel 1 der Entscheidung und insbesondere aus den TradeARBED und Hoesch gewidmeten Abschnitten hervorgeht, wurde dieses vor dem 30. Juni 1988 liegende Verhalten bei der Geldbuße nicht berücksichtigt. Die Entscheidung enthält

im übrigen keine näheren Angaben zur Geltungsdauer der am 20. Januar 1988 getroffenen Vereinbarung. Die Ausführungen in der mündlichen Verhandlung sind darüber hinaus mit der Angabe in Artikel 1 der Entscheidung unvereinbar, daß bei der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße ein Zeitraum von drei Monaten herangezogen worden sei, denn nach diesen Ausführungen hätte bei der Festsetzung der Geldbuße ein Zeitraum der Zuwiderhandlung von mindestens neun Monaten (vom 30. Juni 1988 bis zum 18. April 1989) herangezogen werden müssen.

412.
    Folglich wird der in Artikel 1 der Entscheidung erhobene Vorwurf einer Beteiligung der Klägerin an einer Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt nach dem 30. Juni 1988 durch die Gründe der Entscheidung nicht gestützt.

413.
    Artikel 1 der Entscheidung ist daher hinsichtlich dieses Vorwurfs für nichtig zu erklären.

2. Die Aufteilung des deutschen Marktes

414.
    In Artikel 1 der Entscheidung wirft die Kommission der Klägerin vor, an einer Aufteilung des deutschen Marktes teilgenommen zu haben. Der für die Geldbuße herangezogene Zeitraum beträgt sechs Monate.

415.
    In Randnummer 273, fünfter Gedankenstrich, der Entscheidung führt die Kommission aus, daß bei mindestens zwei Anlässen im Jahr 1989 verschiedene Hersteller vereinbart hätten, ihre Einlieferungen in den deutschen Markt zwecks Stabilisierung dieses Marktes einzuschränken; sie fügt hinzu, daß „bei dem zweiten Anlaß nur Peine-Salzgitter, Saarstahl und TradeARBED als Parteien identifiziert werden konnten, die eine Begrenzung ihrer Lieferungen vereinbarten (siehe Randnummer 154)“.

416.
    Zur Stützung dieses Vorwurfs verweist die Kommission in Randnummer 154 der Entscheidung auf zwei Schreiben der Klägerin vom 19. und 20. Dezember 1989, die an TradeARBED und an Saarstahl gerichtet waren (S. 2989 f. und S. 2985 f. der Akten). Sie schließt aus diesen Schreiben, daß die drei Unternehmen für das zweite Halbjahr 1989 einer Beschränkung ihrer Lieferungen auf den deutschen Markt zugestimmt hätten.

417.
    Die Klägerin bestreitet, daß es eine Vereinbarung über die Aufteilung des deutschen Marktes gab. In der damaligen Situation, die durch zu große Lagerbestände der Händler gekennzeichnet gewesen sei, hätten die betroffenen Unternehmen erklärt, daß sie bei ihren Lieferungen auf den deutschen Markt Zurückhaltung üben wollten, ohne daß die Klägerin diese Verpflichtung, die sie sichselbst in ihrem eigenen Interesse auferlegt habe, von der Haltung der übrigen Unternehmen abhängig gemacht habe. In der Formulierung im Schreiben vom 20. Dezember 1989, es sei „verabredet“ worden, die Liefermenge zu verringern, sei nur ihre Hoffnung zum Ausdruck gekommen, daß die anderen Unternehmen ihre

Absichtserklärungen ebenso ernst nehmen würden wie sie selbst. Die beiden fraglichen Schreiben seien im übrigen zu einem Zeitpunkt verfaßt worden, zu dem es nicht mehr möglich gewesen sei, die Einhaltung einer Vereinbarung für das zweite Halbjahr 1989 mit Erfolg anzumahnen.

418.
    Das im Schreiben vom 20. Dezember 1989 verwendete Wort „verabredet“ deute allenfalls auf eine verabredete Praktik und nicht auf eine Vereinbarung hin, so daß gegen die fraglichen Unternehmen nur dann eine Geldbuße hätte festgesetzt werden können, wenn ihrer Absprache ein entsprechendes Verhalten gefolgt wäre. Saarstahl, TradeARBED und Thyssen hätten ihre Lieferungen auf den deutschen Markt aber im fraglichen Zeitraum gesteigert. Die Klägerin habe sie dagegen im Vergleich zum Bezugszeitraum um deutlich mehr als 10 % verringert.

419.
    Schließlich würde sich, falls man das Vorliegen einer Vereinbarung unterstelle, diese nach dem Wortlaut des Schreibens vom 20. Dezember 1989 nur auf das dritte Quartal 1989 und nicht auf das gesamte zweite Halbjahr dieses Jahres beziehen.

420.
    Die beiden Unterlagen, auf die sich die Kommission stützt — die Schreiben der Klägerin vom 19. und 20. Dezember 1989 an TradeARBED und Saarstahl — sind ein rechtlich hinreichender Beweis für den Abschluß der streitigen Vereinbarung und die Beteiligung der Klägerin an ihr.

421.
    In ihrem Schreiben an Saarstahl vom 20. Dezember 1989, das den Vermerk „Vertraulich“ trägt und vom Adressaten nach Kenntnisnahme vernichtet werden sollte (S. 2985 f. der Akten), erinnert die Klägerin die Verantwortlichen dieser Gesellschaft an eine Vereinbarung zwischen ihr und anderen Unternehmen, die der Entwicklung bei den Lagerbeständen Rechnung tragen sollte („Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung haben wir uns im II. Quartal alle gemeinsam und ohne Widerspruch bereit erklärt, in der 2. Jahreshälfte liefermäßig Zurückhaltung zu üben, um den Händlern einen Abbau ihrer Lagerbestände zu ermöglichen und um keine Nervosität in den Markt zu tragen. Konkret wurde für das III. Quartal 1989 ein Mengenabschlag von 10 % gegenüber dem III. Quartal 1988 vereinbart.“). Im gleichen Schreiben wirft die Klägerin sodann Saarstahl vor, diese Vereinbarung nicht eingehalten zu haben („Der Zahlenvergleich anhand der Statistik der Wirtschaftsvereinigung bzw. der Eurofer-Lieferzahlen zeigt ein eindeutiges Bild. You can't argue facts.“), und weist die Behauptung von Saarstahl, nur unter Vorbehalt zugestimmt zu haben, zurück.

422.
    In ihrem Schreiben an TradeARBED vom 19. Dezember 1989 (S. 2989 f. der Akten) wies die Klägerin ebenfalls auf die Situation bei den Lagerbeständen hin, aufgrund der „in der 2. Jahreshälfte die Lieferungen durch uns alle zurückgenommen werden [sollten]“. Sie selbst vertrat die Ansicht, „sich entsprechend im Markt bewegt“ zu haben, kritisierte aber die angebliche Steigerung der Lieferungen durch TradeARBED, die Adressatin des Schreibens, und Thyssen.

423.
    Das von der Klägerin in diesem Zusammenhang angeführte Argument, daß die beiden Schreiben zu einem Zeitpunkt verfaßt worden seien, zu dem es nicht mehr möglich gewesen sei, die Einhaltung der angeblichen Vereinbarung anzumahnen, geht fehl, da ihre Ausführungen als Vorwurf in bezug auf ein früheres Verhalten auszulegen sind.

424.
    Unter diesen Umständen kann der Behauptung der Klägerin nicht gefolgt werden, daß die Erklärungen der Unternehmen über die Verringerung ihrer Lieferungen, die im zuletzt genannten Schreiben angesprochen werden, zumindest für sie nur einseitigen Charakter gehabt hätten.

425.
    Daß einige Unternehmen von den vereinbarten Mengen abwichen und sich somit nicht an die getroffene Vereinbarung hielten, ist kein Gesichtspunkt, der an der Existenz der Vereinbarung selbst zweifeln läßt. Dies gilt erst recht für das von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Argument, daß sie sich nicht an einer Absprache über eine Verringerung um 10 % beteiligt haben könne, da sie ihre Lieferungen um einen höheren Prozentsatz verrringert habe.

426.
    Die Aussage des Zeugen Kröll, der das Schreiben vom 20. Dezember 1989 verfaßt hat, in der mündlichen Verhandlung hat keinen Einfluß auf die Schlußfolgerung des Gerichts, daß es sich im vorliegenden Fall um eine Vereinbarung über die koordinierte Verringerung der Lieferungen handelte. Nach dieser Aussage führten die im Schreiben angesprochenen Kontakte nicht zu einer Vereinbarung mit einer individuellen Verpflichtung jedes Teilnehmers zur Beschränkung seiner Lieferungen auf eine bestimmte Menge. Es habe sich vielmehr um eine einhellige Bewertung gehandelt, daß angesichts der Situation bei den Lagerbeständen eine gewisse Verringerung der Gesamtlieferungen sowohl erforderlich als auch ausreichend sei, um eine Störung des Marktes zu verhindern und ihn zu stabilisieren. Die Entscheidung der Klägerin, ihre eigenen Lieferungen zu verringern, sei ohne weitere Kontaktaufnahme oder Abstimmung mit ihren Konkurrenten getroffen worden.

427.
    Die Angaben des Zeugen lassen jedoch keine andere als die vom Gericht gewählte Auslegung des klaren Wortlauts der beiden Schreiben zu. Der Zeuge vermochte insbesondere nicht zu erklären, weshalb die Klägerin anderen Unternehmen — verklausuliert, aber unmißverständlich — die Verletzung einer zwischen ihnen getroffenen Vereinbarung vorwarf. Er vermochte auch nicht zu erklären, inwiefern die Tatsache, daß die Klägerin das Verhalten ihrer Konkurrenten anhand detaillierter Zahlen überprüfte und auf dieser Grundlage ebenso detaillierte Vorwürfe erhob, mit der These vereinbar ist, daß die genannten Konkurrenten nur einer Marktanalyse Rechnung tragen sollten, ohne in bezug auf ihre Liefermengen zahlenmäßige Verpflichtungen zu haben. Schließlich konnte der Zeuge keine überzeugende Erklärung dafür geben, daß in dem von ihm selbst verfaßten Schreiben ein angeblicher Vorbehalt von Saarstahl angesprochen wird. Die von ihm insoweit gegebene Erklärung geht dahin, daß diese Gesellschaft selbst erklärt habe,

im Trägerbereich Zurückhaltung üben und dies bei der Produktion bestimmter anderer Erzeugnisse ausgleichen zu wollen.

428.
    Zurückzuweisen ist auch das Vorbringen der Klägerin, daß es sich im vorliegenden Fall nur um eine „verabredete Praktik“ gehandelt haben könne. Zum einen ist diese These nicht mit dem Wortlaut der beiden genannten Schreiben vereinbar. Zum anderen ist die rechtliche Einstufung des fraglichen Verhaltens als „Vereinbarung“ oder „verabredete Praktik“ im vorliegenden Zusammenhang jedenfalls unerheblich.

429.
    Zur Dauer der somit erwiesenen Zuwiderhandlung ist festzustellen, daß sich die an der Vereinbarung Beteiligten gemäß dem Schreiben vom 20. Dezember 1989 verpflichtet hatten, „in der 2. Jahreshälfte [1989] liefermäßig Zurückhaltung zu üben“. Es trifft zu, daß in diesem Schreiben der genaue Umfang der geplanten Einschränkung nur für das dritte Quartal dieses Jahres angegeben wird. Bei den Ausführungen im Schreiben vom 19. Dezember 1989, nach denen sich vor allem TradeARBED nicht an die getroffenen Vereinbarungen gehalten habe, wird jedoch als Bezugszeitraum sowohl die „2. Jahreshälfte“ 1989 als auch das „III. und IV. Quartal“ dieses Jahres genannt. Folglich wurde für diesen gesamten Zeitraum einvernehmlich ein hinreichend genauer Parameter festgelegt.

430.
    Nach alledem sind das Vorliegen und die Dauer der streitigen Vereinbarung sowie die Beteiligung der Klägerin an ihr rechtlich hinreichend bewiesen. Diese Vereinbarung zielte auf die Aufteilung des betreffenden Marktes ab und verstieß daher gegen Artikel 65 § 1 Buchstabe c des Vertrages.

3. Die Preisfestsetzung auf dem italienischen Markt

431.
    In Artikel 1 der Entscheidung wirft die Kommission der Klägerin vor, an einer Preisfestsetzung auf dem italienischen Markt teilgenommen zu haben. Der für die Geldbuße herangezogene Zeitraum beträgt neun Monate. Bei diesem Zeitraum handelt es sich unstreitig um das dritte Quartal 1988, das erste Quartal 1989 und das dritte Quartal 1990 (vgl. Randnr. 275, fünfter, siebter und letzter Gedankenstrich, der Entscheidung).

— Zum dritten Quartal 1988

432.
    In Randnummer 275, fünfter Gedankenstrich, der Entscheidung führt die Kommission aus, zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt vor dem 28. Juni 1988 seien Preiserhöhungen für das dritte Quartal 1988 vereinbart worden; an dieser Vereinbarung seien zumindest Ferdofin und die Klägerin beteiligt gewesen.

433.
    Zur Stützung dieses Vorwurfs verweist die Kommission in Randnummer 166 der Entscheidung auf ein vom Sekretariat der Träger-Kommission am 18. Mai 1988 verschicktes Telefax (S. 10 der Akten) und auf ein Fernschreiben von Ferdofin an die Klägerin vom 28. Juni 1988 (S. 4084 der Akten).

434.
    Die Klägerin bestreitet, an einer Preisfestsetzung für den italienischen Markt teilgenommen zu haben. Sie weist darauf hin, daß die Preisliste von Ferdofin (Frachtbasis: Pallanzeno) für ihre Lieferungen nach Italien maßgebend gewesen sei. Die Preise, die sich aus ihrer eigenen Preisliste (Frachtbasis: Oberhausen) und den Transportkosten ergeben hätten, seien nämlich höher gewesen als die norditalienischen Preise. Unter diesen Umständen habe das Fernschreiben vom 28. Juni 1988 dazu gedient, ihr die Rabatte mitzuteilen, die Ferdofin einigen italienischen Großhändlern — den Parteien der im Fernschreiben erwähnten „Vereinbarung“ — von sich aus eingeräumt habe. Eine derartige Information ermögliche es dem Empfänger, sein Angleichungsrecht gemäß Artikel 60 des Vertrages auszuüben. Ferdofin sei verpflichtet gewesen, alle Interessenten über solche Rabatte zu informieren (vgl. Artikel 5 Absatz 2 und 4 Absatz 1 Buchstabe b der Entscheidung Nr. 31/53). Ebenso hätten die Hersteller mit dem Telefax vom 18. Mai 1988 über die von Ferdofin geplanten Preiserhöhungen in Italien informiert werden sollen. Es enthalte keine Bitte um Zustimmung zu den geplanten Erhöhungen.

435.
    Die Klägerin fügt hinzu, da die angebliche Preisfestsetzung vor dem 30. Juni 1988 liege, könne wegen dieser jedenfalls keine Geldbuße verhängt werden.

436.
    Im Telefax vom 18. Mai 1988, das u. a. an die Klägerin verschickt wurde, heißt es:

„Auf Ersuchen von Herrn Arnuzzo und zur Klarstellung der Preisplanung Q3-88 auf dem italienischen Markt bitte ich Sie, sich folgendes vorzumerken:

—    Die Erhöhung um 50 000 LIT zum 1.07.1988 betrifft die gesamten Kategorien 2a - 2b1 - 2b2 - 2b3 und 2c mit den im Protokoll der Träger-Kommission vom 15. März in Brüssel (Seite 3) zu findenden Preisen Q2-88.

—    Sie gilt für alle Großkunden und Kleinhändler sowie die Verbraucher.“

437.
    Im Fernschreiben vom 28. Juni 1988 wird auf ein Telefongespräch von Herrn Mette, dem Mitarbeiter der Klägerin, mit Herrn Arnuzzo, einem Mitarbeiter von Ferdofin, Bezug genommen. Herr Arnuzzo weist Herrn Mette nach der Bemerkung, er habe vernommen, daß „Peine-Salzgitter Probleme mit Italien hat“, auf folgendes hin:

„In gemeinsamer Vereinbarung wurde für das III. Quartal eine Preiserhöhung von 30 LIT/kg anstatt 50 LIT/kg (wie von uns verlangt) für die 5 Großhändler entschieden, die die vorgeschlagene Preiserhöhung von 50 LIT/kg abgelehnt haben.“

438.
    Nachdem sowohl die Preis- und Mengenpolitik in Italien (Nrn. 1 bis 3 und 5) als auch die Möglichkeit der Klägerin angesprochen worden ist, Preiserhöhungen auf ihren Heimatmärkten durchzusetzen (Nr. 4), endet das Fernschreiben mit folgender

Bemerkung: „Zum Schluß meine ich, daß das Hauptziel die Preiserhöhung bleiben muß. Dies ist erreichbar nur durch die Mengenbegrenzung. Aus diesen Gründen bleibe ich der Meinung, daß die Quoten vom III. Quartal auf keinen Fall zu erhöhen sind“ (vgl. Randnr. 167 der Entscheidung).

439.
    Aus mehreren Anhaltspunkten folgt, daß die streitige Vereinbarung zwischen den in der Entscheidung genannten Unternehmen und nicht, wie die Klägerin behauptet, zwischen Ferdofin und einigen italienischen Großhändlern getroffen wurde.

440.
    Erstens waren die fraglichen Unternehmen nach dem Wortlaut des Telefax vom 18. Mai 1988 bereits auf Ersuchen von Ferdofin gebeten worden, sich die neuen Preise vorzumerken. Dieses Ersuchen erging im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen den Unternehmen „zur Klarstellung der Preisplanung Q3-88 auf dem italienischen Markt“. In dieser Formulierung und in ihrem Zusammenhang kommt der Gedanke zum Ausdruck, daß die „Planung“ nicht allein durch eigenständige Entscheidung von Ferdofin, gegebenenfalls in Form einer Vereinbarung mit einigen wichtigen Kunden, verwirklicht werden konnte.

441.
    Zweitens sollte die im Telefax vom 18. Mai 1988 erwähnte Erhöhung bei den „imProtokoll der Träger-Kommission vom 15. März in Brüssel ... zu findenden Preisen Q2-88“ vorgenommen werden. Daß dieses Protokoll in der Entscheidung nicht erwähnt wird, ändert nichts daran, daß bereits die Referenzpreise für das zweite Quartal 1988 in einer Sitzung vom 13. März 1988 durch einige Unternehmen, zu denen auch die Klägerin und Ferdofin gehörten, einvernehmlich festgelegt worden waren (vgl. Randnrn. 275, vierter Gedankenstrich, und 162 bis 165 der Entscheidung). Die Klägerin hat weder die Existenz dieser früheren Vereinbarung noch ihre Beteiligung daran bestritten.

442.
    Drittens ist im Fernschreiben vom 28. Juni 1988 von einer „Vereinbarung“ über eine Preiserhöhung im dritten Quartal 1988 von 30 LIT/kg anstatt 50 LIT/kg für die fünf Großhändler die Rede. In diesem Absatz wird nicht von einer Vereinbarung „mit“ den Großhändlern gesprochen, die nur als Gruppe von Kunden genannt sind, für die bestimmte Preise gelten.

443.
    Der auf Antrag der Klägerin vernommene Zeuge Mette hat ausgeführt, das im Fernschreiben vom 28. Juni 1988 erwähnte Gespräch habe nur dazu gedient, ihn darüber zu informieren, daß die von Ferdofin ursprünglich geplante Erhöhung auf dem italienischen Markt (50 000 LIT/t) bei den Großhändlern nicht durchsetzbar gewesen sei. Es habe insoweit keine Vereinbarung zwischen Ferdofin und der Klägerin gegeben. Er sei stets an Informationen über die Preise von Ferdofin auf dem italienischen Markt interessiert gewesen, um das Angleichungsrecht gemäß Artikel 60 des Vertrages ausüben zu können, da die anhand der Frachtbasis Oberhausen festgelegten Preise der Klägerin auf diesem Markt nicht konkurrenzfähig gewesen seien. Die einleitende Bemerkung im Fernschreiben vom 28. Juni 1988, daß „Peine-Salzgitter Probleme mit Italien hat“, sei mit

Verständigungsproblemen zu erklären, da Herr Arnuzzo nicht gut Englisch spreche und der Zeuge weder Italienisch noch Französisch verstehe.

444.
    Die Bemerkungen von Herrn Arnuzzo zu den „Problemen“ der Klägerin in Italien lassen sich nicht mit Verständigungsproblemen erklären. Aus dem Fernschreiben vom 28. Juni 1988 geht hervor, daß die von Herrn Arnuzzo angesprochenen „Probleme“ die Preise auf dem italienischen Markt betrafen.

445.
    Darüber hinaus hat sich der Zeuge im wesentlichen auf die Behauptung beschränkt, daß es sich im vorliegenden Zusammenhang um eine bloße Preisinformation von Ferdofin gehandelt habe. Die oben genannten Beweismittel zeigen jedoch, daß es sich sehr wohl, wie die Kommission vorträgt, um eine Preisabsprache handelte.

446.
    Das Vorliegen der streitigen Vereinbarung, die auf eine Festsetzung der Preise im Sinne von Artikel 65 § 1 Buchstabe a des Vertrages abzielte, ist somit rechtlich hinreichend bewiesen.

447.
    Nach den Kriterien, die in den Randnummern 311 und 314 der Entscheidung aufgestellt wurden, war die Kommission berechtigt, diese Vereinbarung bei der Geldbuße zu berücksichtigen. Sie wurde zwar vor dem 30. Juni 1988 getroffen, betraf aber die Zeit danach.

448.
    Daher sind die Rügen der Klägerin in vollem Umfang zurückzuweisen.

— Zum ersten Quartal 1989

449.
    In Randnummer 275, siebter Gedankenstrich, der Entscheidung führt die Kommission aus, bei einem Treffen am 3. Oktober 1988 seien zwischen TradeARBED, British Steel, der Klägerin, Unimétal und Ferdofin Zielpreise vereinbart worden.

450.
    In Randnummer 169 der Entscheidung führt die Kommission aus, Ferdofin habe die Ergebnisse dieses Treffens in der Sitzung der Träger-Kommission vom 18. Oktober 1988 erläutert (vg. S. 3552 der Akten). Sie nimmt ferner auf ein Telefax von TradeARBED an Norsk Jernverk vom 5. Oktober 1988 (S. 2502 der Akten) Bezug.

451.
    Die Klägerin trägt vor, anläßlich der Sitzung vom 3. Oktober 1988 (die hauptsächlich den Wunsch von Ferdofin betroffen habe, eine Begrenzung der auf den italienischen Markt gelieferten Mengen zu erreichen) habe Ferdofin ihre Konkurrenten lediglich über eine Änderung ihrer Preisliste informiert, um ihnen die in Artikel 60 des Vertrages vorgesehene Angleichung zu ermöglichen. Mit dem Telefax vom 5. Oktober 1988 sei diese Information Norsk Jernverk übermittelt worden.

452.
    Nach dem Aufbau des Protokolls der Sitzung der Träger-Kommission vom 18. Oktober 1988 bestehe kein Zusammenhang zwischen der „Klärung der aktuellen Lage auf dem italienischen Markt“, die sich logischerweise auf das vierte Quartal 1988 bezogen habe, und der Angabe des neuen, für das folgende Quartal vorgesehenen Preisniveaus.

453.
    Die von Ferdofin vorgenommene Preiserhöhung habe die Klägerin nicht daran gehindert, ihre Preise an die von Ferdofin anzugleichen, da diese niedriger geblieben seien.

454.
    Aus den beiden belastenden Unterlagen ist zu schließen, daß die Preise im ersten Quartal 1989 durch Vereinbarung festgesetzt wurden.

455.
    Das Telefax von TradeARBED an Norsk Jernverk vom 5. Oktober 1988 (S. 2502 der Akten) lautet wie folgt (vgl. Randnr. 169 der Entscheidung):

„Betr.: Formstahl HE für den italienischen Markt

Im Anschluß an unsere telefonische Unterredung nachstehend die Preise für den italienischen Markt Formstahl HE, welche am Montag 3.10. in Mailand festgelegt wurden.“

456.
    Des weiteren werden die erwähnten Preise im Protokoll der Sitzung der Träger-Kommission vom 18. Oktober 1988 (S. 3552 der Akten) als eines der „Ergebnisse des Marktgesprächs Träger/italienischer Markt am 3. Oktober 1988 in Mailand“ bezeichnet. Die „Klärung der aktuellen Lage“, von der im gleichen Zusammenhang die Rede ist, bezog sich entgegen der Behauptung der Klägerin auf das von der Kommission genannte erste Quartal 1989, wie aus der Bezugnahme auf diesen Zeitraum in dem die „Mengen“ betreffenden Absatz des Protokolls hervorgeht, der sich unmittelbar vor dem Absatz über das neue Preisniveau befindet.

457.
    Die Aussage des Zeugen Mette, nach der es sich im vorliegenden Fall um eine bloße Mitteilung der von Ferdofin eigenständig festgesetzten Preise handelte, kann die vom Gericht vorgenommene Auslegung der Unterlagen nicht in Frage stellen. Die einzige ergänzende Angabe des Zeugen neben dieser Behauptung geht dahin, daß Ferdofin für die Durchführung einer Preiserhöhung keine Unterstützung von anderen Herstellern benötigt habe, da sie über die breiteste Produktpalette und einen Marktanteil von 50 % verfügt habe. Da es jedoch keine Umstände gibt, mit denen sich der klare Wortlaut der beiden Unterlagen in anderer Weise erklären ließe, ändert diese ergänzende Angabe nichts an dem Schluß, daß die streitige Vereinbarung tatsächlich getroffen wurde, unabhängig davon, welches Kräfteverhältnis zwischen den einzelnen Teilnehmern bestanden haben mag.

458.
    Das Vorliegen der streitigen Vereinbarung, die auf eine Preisfestsetzung im Sinne von Artikel 65 § 1 Buchstabe a des Vertrages abzielte, ist somit rechtlich hinreichend bewiesen. Die in Artikel 60 des Vertrages vorgesehenen

Angleichungsmöglichkeiten stellen den rechtswidrigen Charakter der fraglichen Vereinbarung nicht in Frage.

459.
    Demnach sind die Rügen der Klägerin zurückzuweisen.

— Zum dritten Quartal 1990

460.
    In Randnummer 275, achter Gedankenstrich, der Entscheidung führt die Kommission aus, auf einem Treffen am 15. Mai 1990 hätten TradeARBED, die Klägerin, Saarstahl, Unimétal, Thyssen und Ferdofin eine Vereinbarung über die Festsetzung der Preise für das dritte Quartal 1990 getroffen.

461.
    Die Klägerin bestreitet, daß es eine solche Vereinbarung gab. Ferdofin habe die übrigen Hersteller nur über die geplante Änderung ihrer Preisliste informiert. Die Klägerin habe sich vor allem für die Rabatte der großen Händler interessiert.

462.
    Der im Vermerk des Sekretariats der Träger-Kommission vom 18. Mai 1990 (Randnr. 170 der Entscheidung) verwendete Begriff „prévus“ könne so verstanden werden, daß er sich auf die von den Betroffenen erwarteten Preise beziehe. Aus diesem Schriftstück und der offiziellen Niederschrift vom 16. Mai 1990 gehe hervor, daß für das dritte Quartal 1990 der Fortbestand der im laufenden Quartal festgestellten Preise prognostiziert worden sei. Wenn im Vermerk vom 18. Mai 1990 die angegebenen Preise nicht allein Ferdofin zugeordnet würden, so liege dies daran, daß sie aufgrund von Artikel 60 de facto für alle Konkurrenten gültig seien.

463.
    Daß es die von der Kommission behauptete Vereinbarung in einer Sitzung vom 15. Mai 1990, an der die Klägerin teilnahm (Randnr. 171 der Entscheidung), tatsächlich gab, wird durch den Inhalt des vom Sekretariat der Träger-Kommission erstellten internen Vermerks vom 18. Mai 1990 (Randnr. 170 der Entscheidung, S. 2266 bis 2268 der Akten) rechtlich hinreichend bewiesen; dort heißt es:

„III — Zum italienischen Markt

Am 15.05.1990 fand ein Arbeitsessen statt, bei dem die Lage auf dem italienischen Markt erörtert wurde. Die (in der Plenarsitzung vom 16.05.1990 bekanntgegebenen) Ergebnisse dieses Treffens sind:

Auf dem italienischen Markt für die fünf großen Händler vorgesehenen Preise:

Kat.    2A        480 000 LIT Frachtbasis Pallenzeno

        {    (bedeutet eine Erhöhung um 20 000 LIT

    2B1        gegenüber den derzeit geltenden Niveaus)

Kat.    2B2        510 000 LIT (Bestätigung der derzeit geltenden Preise)

Kat.    2B3        530 000 LIT (dto.)

Kat.    2C        550 000 LIT (Bestätigung für einige, leichte Anhebung für andere).“

Die in dem Vermerk aufgeführten Preise werden nicht als die allein von Ferdofin vorgesehenen Preise dargestellt, sondern als die Preise für den italienischen Markt im allgemeinen. Außerdem waren sie nach dem Wortlaut des Vermerks nicht Gegenstand einer bloßen Prognose, sondern in einigen Fällen einer „Bestätigung“ und in anderen einer „leichten Anhebung“. Schließlich wurden sie als „Ergebnis“ der Sitzung vom 15. Mai 1990 bezeichnet; dies schließt die Annahme aus, daß Ferdofin sie eigenständig festlegte.

464.
    Die Aussage des Zeugen Mette in der mündlichen Verhandlung ändert nichts an dieser Bewertung.

465.
    Der Zeuge hat sich nämlich auf die Behauptung beschränkt, bei dem Treffen am 15. Mai 1990 habe es keine Preisabsprache gegeben, sondern Ferdofin habe lediglich angekündigt, was sie insoweit zu tun beabsichtige. Diese Sichtweise reicht nicht aus, um den klaren Wortlaut des Vermerks vom 18. Mai 1990 in Frage zu stellen.

466.
    Folglich ist die eine Preisfestsetzung auf dem italienischen Markt im dritten Quartal 1990 betreffende Rüge der Klägerin zurückzuweisen.

467.
    Nach alledem sind die Rügen, die die Preisfestsetzung auf dem italienischen Markt betreffen, in vollem Umfang zurückzuweisen.

4. Aufteilung des italienischen Marktes

468.
    In Artikel 1 der Entscheidung wirft die Kommission der Klägerin vor, an einer Aufteilung des italienischen Marktes teilgenommen zu haben. Der für die Geldbuße herangezogene Zeitraum beträgt drei Monate.

469.
    Hierzu führt die Kommission in Randnummer 275, sechster Gedankenstrich, der Entscheidung aus, am 21. Juni 1988 sei ein Beschluß zur Erneuerung der Marktaufteilungsvereinbarung für das dritte Quartal 1988 gefaßt worden. An dieser Vereinbarung seien Ferdofin, TradeARBED, British Steel, Cockerill-Sambre, die Klägerin, Saarstahl, Thyssen und Unimétal beteiligt gewesen. Die Kommission verweist auf die Randnummern 167 und 168 der Entscheidung.

470.
    Die Klägerin bestreitet, daß es eine Vereinbarung über die Aufteilung des italienischen Marktes gab. Sowohl Saarstahl (vgl. ihr in Randnr. 167 der Entscheidung erwähntes Telefax vom 21. Juni 1988, S. 4 der Akten, in dem die Verwendung des Begriffes „Mengenabsprachen“ auf einer Ungenauigkeit beruhe) als auch die Klägerin selbst hätten sich dem am 21. Juni 1988 erörterten Vorschlag

von Ferdofin widersetzt, die für das vorangegangene Quartal geltenden Quoten fortzuschreiben. Herr Arnuzzo (Ferdofin) habe mit Fernschreiben vom 28. Juni 1988 (S. 4084 der Akten) einen vorherigen telefonischen Appell wiederholt, die Klägerin möge bei ihren Lieferungen Zurückhaltung üben. Der in dem Fernschreiben, das die Sekretärin von Herrn Arnuzzo formuliert habe, der selbst des Deutschen nicht mächtig sei, verwendete Begriff „Quoten“ sei im Sinne von„Mengen“ (der Bedeutung des italienischen Wortes „quote“) zu verstehen. Die Klägerin habe auch diesen Appell zurückgewiesen, da sie an der Erhöhung ihrer Lieferungen nach Italien interessiert gewesen sei. Es sei im übrigen unwahrscheinlich, daß sie die Erhöhung einer Quote habe verlangen können, mit der sie sich nur wenige Tage zuvor einverstanden erklärt habe.

471.
    Das Fehlen einer Vereinbarung werde durch das Fernschreiben von Ferdofin an die Klägerin vom 4. August 1988 bestätigt (Randnr. 168 der Entscheidung, S. 4085 der Akten). Ferdofin habe darin angesichts dessen, daß die Lieferungen der Klägerin zugenommen hätten, einen erneuten Appell gleicher Art an sie gerichtet (vgl. insbesondere Nr. 6 des Schriftstücks).

472.
    Am 21. Juni 1988 sei lediglich „beschlossen“ worden, die Mengenentwicklung auf dem italienischen Markt weiter zu beobachten; dies werde durch das Telefax der Walzstahl-Vereinigung vom 22. Juni 1988 (Randnr. 167 der Entscheidung, S. 5 der Akten) bestätigt. Es sei undenkbar, daß eine Entscheidung über die Marktaufteilung innerhalb eines Tages zur Übermittlung von Auftragszahlen führen könne, die diese Aufteilung widerspiegelten.

473.
    Da der angebliche Beschluß vom 21. Juni 1988 vor dem 30. Juni 1988 gefaßt worden sei, könne deswegen jedenfalls keine Geldbuße festgesetzt werden. Eine solche Sanktion sei auch nicht aufgrund des Verhaltens der Klägerin nach diesem Beschluß gerechtfertigt. Im dritten Quartal 1988 habe sie nämlich ihre Lieferungen nach Italien erhöht.

474.
    Die Feststellung der streitigen Vereinbarung beruht auf folgenden Unterlagen:

—    dem Telefax von Saarstahl an die Walzstahl-Vereinigung vom 21. Juni 1988 (S. 4 der Akten),

—    dem Telefax der Walzstahl-Vereinigung an das Sekretariat der Träger-Kommission vom 22. Juni 1988 (S. 5 der Akten),

—    dem Fernschreiben von Ferdofin an die Klägerin vom 28. Juni 1988 (S. 4084 der Akten) und

—    dem Fernschreiben von Ferdofin an die Klägerin vom 4. August 1988 (S. 4085 der Akten).

475.
    Aus dem Telefax von Saarstahl an die Walzstahl-Vereinigung vom 21. Juni 1988 (Randnr. 167 der Entscheidung, S. 4 der Akten) geht hervor, daß sich die Mitgliedsunternehmen von Eurofer bereit erklärten, im dritten Quartal 1988 die für das vorangegangene Quartal in bezug auf den italienischen Markt getroffenen „Mengenabsprachen“ fortzuschreiben. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte ist dies als Bezugnahme auf die Marktaufteilungsvereinbarung für das vorangegangene Quartal (vgl. Randnrn. 275, vierter Gedankenstrich, sowie 163 und 164 der Entscheidung) zu verstehen, deren Vorliegen die Klägerin nicht bestritten hat. Dem Vorbringen, daß die Bezugnahme auf einer „Ungenauigkeit“ beruhe, kann unter diesen Umständen nicht gefolgt werden.

476.
    Saarstahl fügte bei dieser Gelegenheit zwar hinzu, daß sie dem „Beschluß“ nicht zustimmen könne, lehnte eine solche Vereinbarung jedoch nicht grundsätzlich ab, sondern bezeichnete lediglich die für sie vorgesehene Menge (2 000 t/Quartal) als nicht ausreichend. Das Telefax von Saarstahl vom 21. Juni 1988 enthält keinen Anhaltspunkt dafür, daß sie die Vereinbarung als solche oder deren Modalitäten ablehnte.

477.
    Das Telefax der Walzstahl-Vereinigung an das Sekretariat der Träger-Kommission vom 22. Juni 1988 (Randnr. 167 der Entscheidung, S. 5 der Akten) zeigt, daß am Vortag ein „Beschluß“ gefaßt worden war. Dabei wird der gleiche Vorbehalt von Saarstahl angesprochen. Angesichts des engen Zusammenhangs zwischen beiden Unterlagen ist die Bezugnahme auf den genannten „Beschluß“ als Bestätigung für den Abschluß einer — zu diesem Zeitpunkt noch unter dem eventuellen Vorbehalt des Einwands von Saarstahl stehenden — Vereinbarung über die Aufteilung des betreffenden Marktes anzusehen. Die These der Klägerin, daß sich die Vereinbarung nur auf die Beobachtung der Mengenentwicklung erstreckt habe, ist daher zurückzuweisen.

478.
    Bei den im Telefax der Walzstahl-Vereinigung vom 22. Juni 1988 enthaltenen Buchungszahlen von Thyssen, Saarstahl und der Klägerin für das dritte Quartal 1988 handelte es sich nach Ansicht des Gerichts um eine Aufstellung der für das Referenzquartal, dessen Beginn unmittelbar bevorstand, bereits eingegangenen Aufträge. Das Argument der Klägerin, daß die genannten Zahlen in diesem frühen Stadium die von der Kommission beanstandete Aufteilung nicht hätten widerspiegeln können, ist daher zurückzuweisen.

479.
    Der Abschluß der Vereinbarung wird überdies durch das Fernschreiben von Ferdofin an die Klägerin vom 28. Juni 1988 (Randnr. 167 der Entscheidung, S. 4084 der Akten) bestätigt. Ferdofin führt darin aus, daß „die Quoten vom III. Quartal auf keinen Fall zu erhöhen sind“. Der Beweiswert dieser eindeutigen Bezugnahme auf die Existenz von „Quoten“ wird durch die Behauptung der Klägerin, daß der Verfasser möglicherweise die Begriffe „Quoten“ und „Mengen“ miteinander verwechselt habe, nicht in Frage gestellt. Der zitierte Absatz zeigt ebenso wie der vorhergehende Absatz, in dem von staatlichen „Quoten“ die Rede ist, die einige

Tage später auslaufen sollten, daß dieser Begriff richtig verstanden und benutzt wurde.

480.
    Im übrigen spricht die den Punkten 1 und 2 des Fernschreibens von Ferdofin an die Klägerin vom 4. August 1988 (S. 4085 der Akten) zu entnehmende Tatsache, daß die Klägerin einige Tage nach dem Abschluß der Vereinbarung offenbar eine Änderung der für sie festgesetzten Zahl verlangte, weder gegen die Existenz dieser Vereinbarung noch gegen ihre Beteiligung daran. Schließlich läßt das Fernschreiben vom 4. August 1988 (Punkt 8), wie die Kommission in Randnummer 168 der Entscheidung zu Recht ausgeführt hat, den Schluß zu, daß Saarstahl für das fragliche Quartal eine Quote von mehr als 2 000 Tonnen erhielt.

481.
    Angesichts dessen ist auch die Behauptung der Klägerin zurückzuweisen, daß sich Ferdofin bei allen in den soeben analysierten Unterlagen genannten Gelegenheiten darauf beschränkt habe, an Zurückhaltung bei den Lieferungen zu appellieren. Speziell zu Punkt 6 des Fernschreibens vom 4. August 1988 ist festzustellen, daß er Verhandlungen zwischen den Unternehmen über die Mengenpolitik im vierten Quartal 1988 betraf (wobei Ferdofin bestimmte Forderungen der Klägerin zurückwies) und daher keinen Einfluß auf die Schlußfolgerungen für das vorhergehende Quartal hat.

482.
    Der Zeuge Mette hat in seiner Aussage einige im Sommer 1988 mit Herrn Arnuzzo (Ferdofin) geführte Telefongespräche erwähnt, bei denen er dessen Wunsch zurückgewiesen habe, sich an den ausgelaufenen Mengen aus der Zeit des Quotensystems zu orientieren. Diese allgemeine Behauptung erlaubt es nicht, die genannten Unterlagen anders zu verstehen, als es das Gericht getan hat. Gleiches gilt für die Behauptung, daß der Zeuge von etwaigen Quoten für das fragliche Quartal und den fraglichen Markt nichts gewußt habe.

483.
    Folglich hat die Kommission das Vorliegen der streitigen Vereinbarung über Quoten für den italienischen Markt im dritten Quartal 1988 in rechtlich hinreichender Weise nachgewiesen. Eine solche Marktaufteilungsvereinbarung verstößt gegen Artikel 65 § 1 Buchstabe c des Vertrages.

484.
    Zu der Frage, ob die Kommission berechtigt war, wegen dieser Vereinbarung eine Geldbuße zu verhängen, ist zum einen festzustellen, daß dies angesichts des Bezugszeitraums der Vereinbarung, der nach dem 30. Juni 1988 lag, gerechtfertigt erscheint. Zum anderen beeinflußt die Tatsache, daß die von der Klägerin gelieferten Mengen ihre Quote überstiegen, weder das Vorliegen der Vereinbarung noch die Einstufung ihres wettbewerbswidrigen Gegenstands und steht somit der Verhängung einer Geldbuße ebenfalls nicht entgegen.

485.
    Nach alledem sind die Rügen der Klägerin hinsichtlich der Aufteilung des italienischen Marktes in vollem Umfang zurückzuweisen.

Zur Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt im Rahmen der Tätigkeiten der Eurofer/Scandinavia-Gruppe

486.
    In Artikel 1 der Entscheidung wird der Klägerin die Beteiligung an einer die Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt betreffenden Zuwiderhandlung zur Last gelegt. Der für die Geldbuße herangezogene Zeitraum beträgt 30 Monate.

487.
    Die Gründe für diesen Vorwurf sind in den Randnummern 177 bis 209 (Sachverhalt) und 284 bis 296 (rechtliche Würdigung) der Entscheidung genannt. Die Kommission schildert eine Reihe von Verhaltensweisen, die sie als Vereinbarungen über die Festsetzung von Zielpreisen für die skandinavischen Märkte bezeichnet, die quartalsweise in den Sitzungen der Eurofer/Scandinavia-Gruppe auf der Grundlage einer einzigen fortdauernden Rahmenvereinbarung getroffen worden seien (Randnrn. 288, 289, 291 und 294); dabei stützt sie sich hauptsächlich auf Sitzungsprotokolle. Soweit diese Vereinbarungen den dänischen Markt beträfen, würden sie von Artikel 65 § 1 des Vertrages erfaßt (Randnrn. 286, 287, 292 und 293).

488.
    Die Klägerin bestreitet, sich im maßgeblichen Zeitraum an Vereinbarungen über die Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt beteiligt zu haben. Sie trägt u. a. vor, die Sitzungen der Eurofer/Scandinavia-Gruppe hätten nicht zur Festlegung der Preise für den dänischen Markt nach einem „allgemeinen Plan“ (Randnr. 287 der Entscheidung) gedient, sondern zu Diskussionen über die Anwendung von Artikel 60 auf die norwegischen und schwedischen Hersteller gemäß den Übereinkommen mit den skandinavischen Ländern (siehe oben, Randnr. 15) und zu deren Einbeziehung in den rechtmäßigen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedern von Eurofer. Die Preiserhöhungen auf dem dänischen Markt stellten jedenfalls keine Zuwiderhandlung dar, die neben der Geldbuße, die wegen der angeblichen Preisfestsetzungen auf dem deutschen Markt verhängt worden sei, eine gesonderte Sanktion rechtfertigen könne. Sie stimmten nämlich mit den Veränderungen der Preislisten überein, die unter Bezugnahme auf die von der Klägerin und Thyssen verwendete Frachtbasis Oberhausen festgelegt worden seien. Diese Preislisten seien automatisch auch auf Dänemark anwendbar, da es dort keinen Trägerhersteller gebe. Die unter Bezugnahme auf eine entferntere Frachtbasis festgelegten Preislisten seien in der Praxis auf diesem Markt nicht konkurrenzfähig. In Anbetracht der geringen Bedeutung des dänischen Marktes für die Klägerin und die deutschen Hersteller im allgemeinen (vgl. Randnr. 9 der Entscheidung sowie die Tabellen 5 und 9) habe die Klägerin kein Interesse daran gehabt, ihre Preislisten im Hinblick auf den dänischen Markt zu ändern. Es habe für diesen Markt kein eigenständiges „Preisziel“ gegeben; der Hinweis auf ein solches Ziel in einem Vermerk von British Steel vom 3. August 1989 (Randnr. 204 der Entscheidung, S. 2083 bis 2086 der Akten) betreffe nur den Handelsstabstahl und nicht die Träger. Diese Angaben würden dadurch bestätigt, daß sich die Preise auf beiden Märkten — abgesehen von geringfügigen Unterschieden, die auf die Art und Weise der Rechnungsstellung zurückzuführen seien — parallel entwickelt hätten (vgl. den Vermerk vom 3. August 1989, wo unter den Rubriken „Preisziel“ und

„erzielter Preis“ jeweils die gleichen Preise angegeben würden, die den geltenden Listenpreisen entsprochen hätten, und wo hinsichtlich der Aufpreise auf die deutschen Preislisten verwiesen werde).

489.
    Schließlich bringe die im Vermerk vom 3. August 1989 enthaltene Bemerkung über die Beibehaltung der geltenden Preise („Obgleich die Auftragsmengen begrenzt waren, wurden die Juli/Sept. Preise erzielt, und es wurde vereinbart, daß die Niveaus Okt./Dez. unverändert bleiben.“) nur eine übereinstimmende Erwartung der Betroffenen zum Ausdruck.

490.
    Darüber hinaus haben die Klägerinnen im Rahmen gemeinsamer Ausführungen in der mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf einige Unterlagen über Kontakte zwischen der GD I der Kommission und den skandinavischen Behörden, die dem Gericht gemäß Artikel 23 übermittelt und im Anschluß an den Beschluß vom 10. Dezember 1997 zu den Akten der Rechtssache genommen wurden, sowie auf die in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Schriftstücke über die „Vereinbarungen“ zwischen der Gemeinschaft und Norwegen, Schweden und Finnland (siehe oben, Randnr. 15) geltend gemacht, sowohl der Kommission als auch den skandinavischen Behörden seien die Tätigkeiten der Eurofer/Scandinavia-Gruppe bekannt gewesen; diese Tätigkeiten seien von ihnen sogar unterstützt worden, da sie für die Durchführung der „Vereinbarungen“ unabdingbar gewesen seien. Unter diesen Umständen könne kein Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages vorliegen.

491.
    Zunächst ist festzustellen, daß die Klägerin die Einschätzung der Kommission, die in den Randnummern 184 bis 209 der Entscheidung beschriebenen Schriftstücke seien ein rechtlich hinreichender Beweis für die Existenz eines Systems von Sitzungen, in deren Verlauf Vereinbarungen über die zwischen dem 5. Februar 1986 und dem 31. Oktober 1990 für Dänemark geltenden Zielpreise getroffen worden seien, nicht im einzelnen bestritten hat.

492.
    Nach der Prüfung dieser Schriftstücke — der in den Randnummern 184 bis 209 der Entscheidung behandelten Protokolle und anderen Unterlagen über die Sitzungen vom 5. Februar 1986, 22. April 1986, 30. Juli 1986, 28. Oktober 1986, 3. Februar 1987, 28. April 1987, 4. August 1987, 4. November 1987, 2. Februar 1988, 25. Juli 1988, 3. November 1988, 1. Februar 1989, 25. April 1989, 31. Juli 1989, 30. Oktober 1989, 31. Januar 1990, 24. April 1990, 31. Juli 1990 und 31. Oktober 1990 — ist das Gericht der Ansicht, daß sie die Einschätzung der Kommission bestätigen.

493.
    Insbesondere gibt es zahlreiche Schriftstücke, in denen von der „Programmierung“ der Preise (Randnrn. 184, 192, 193 und 195), der „Festsetzung“ von Preisen oder von „festgesetzten“, „beschlossenen“ oder „vereinbarten“ Preisen die Rede ist (Randnrn. 184, 186, 187, 189, 190, 191, 192, 200, 201 und 204). Ferner wird in zahlreichen Schriftstücken davon gesprochen, daß die Preise „belassen“ werden oder „unverändert bleiben“ sollten (Randnrn. 204, 205, 207 und 208), daß

Vorschläge in einer kommenden Sitzung gebilligt werden sollten (Randnr. 199), daß die Unternehmen den Kunden vor einer kommenden Sitzung keine Preise nennen sollten (Randnrn. 198 und 201), daß in bestimmten Sitzungen Beschlüsse über die Preise gefaßt worden seien (Randnrn. 187, 188, 189, 190, 191, 197 und 205) und daß die in einer früheren Sitzung beschlossenen Preise erzielt worden seien (Randnrn. 184, 193, 195, 200, 202, 203 und 204 der Entscheidung).

494.
    So wird der Inhalt der Sitzungen der Eurofer/Scandinavia-Gruppe z. B. durch folgenden in Randnummer 206 der Entscheidung zitierten Vermerk des Vorsitzenden dieser Gruppe vom 1. Februar 1990 weithin bestätigt:

„Bis jetzt waren die Reaktionen auf unsere Sitzungen positiv, und verschiedene Vertreter für andere Produkte beneiden uns sogar um die Ergebnisse und das Einvernehmen unseres Clubs.

Ich sage dies nicht ohne Grund, da sich im ersten Quartal vor allem im Stabstahlsektor nicht jeder an die Spielregeln gehalten hat. Ich bitte deshalb Sie als Vertreter des Eurofer/Scandinavia-Clubs, im Interesse unserer Unternehmen alles zu tun, damit wir diesen Raum mit dem festen Entschluß, den Markt zu stabilisieren, verlassen und so die Ehre unseres Clubs retten können.“

495.
    Daß in einigen Unterlagen zurückhaltendere Formulierungen wie das Wort „Prognosen“ gebraucht worden sein mögen, kann unter diesen Umständen nichts daran ändern, daß es sich um Vereinbarungen über die Preisfestsetzung handelte. Dieses Ergebnis steht auch in Einklang mit dem Wortlaut des von der Klägerin angeführten Vermerks von British Steel vom 3. August 1989 (S. 2083 bis 2086 der Akten), der nicht als Ausdruck einer bloßen Erwartung verstanden werden kann („Market situation: ... the basis prices set for July/Sept. will be continued Oct./Dec... Denmark: ... it was agreed that the levels [of prices] would remain the same Oct./Dec.“) (Marktsituation: ... die für Juli/Sept. festgesetzten Basispreise [werden] Okt./Dez. beibehalten ... Dänemark: ... es wurde vereinbart, daß die Niveaus [der Preise] Okt./Dez. unverändert bleiben.).

496.
    Da die Existenz von Vereinbarungen über Zielpreise für Dänemark rechtlich hinreichend bewiesen ist, kann dem Vorbringen der Klägerin nicht gefolgt werden, daß sich die Unternehmen darauf beschränkt hätten, die Marktsituation zu erörtern, über Preisvorausschätzungen zu diskutieren und ganz allgemein Informationen auszutauschen.

497.
    Dies gilt um so mehr, als die Klägerin behauptet, daß die anhand der Frachtbasis Oberhausen erstellten Preislisten für den Wettbewerb auf dem dänischen Markt maßgebend gewesen seien und daß die Preiserhöhungen in Dänemark daher nur die Folge von Preisänderungen in Deutschland gewesen seien.

498.
    Die Auffassung der Klägerin wird insgesamt gesehen schon dadurch widerlegt, daß es Vereinbarungen über den dänischen Markt gab, die in der Eurofer/Scandinavia-Gruppe im Rahmen auf die skandinavischen Märkte beschränkter Maßnahmen getroffen wurden und sich von den in der Träger-Kommission für den deutschen Markt und andere Märkte der Gemeinschaft getroffenen Vereinbarungen unterschieden. Zumindest eine dieser Vereinbarungen, die in der Sitzung vom 30. Juli 1986 getroffen wurde (Randnr. 188 der Entscheidung), sieht ausdrücklich die Anwendung der deutschen Preise auf den dänischen Markt vor. Dieser Vereinbarungen hätte es nicht bedurft, wenn es nur darum gegangen wäre, mit Rücksicht auf den Wettbewerb und die geltenden Bestimmungen den zur Anwendung kommenden deutschen Preisen zu folgen. Die bloße Tatsache, daß es eine gewisse Parallelität der Preise in Deutschland und Dänemark gegeben haben mag, kann an dieser Beurteilung nichts ändern.

499.
    Die Beteiligung der Klägerin an den in der Eurofer/Scandinavia-Gruppe getroffenen Vereinbarungen wird in den Randnummern 285, 180 und 181 der Entscheidung hinreichend nachgewiesen. Daraus geht hervor, daß sie an allen Sitzungen dieser Gruppe teilnahm. Nach den Gründen der Entscheidung werden die Tätigkeiten der Gruppe allen beteiligten Unternehmen zur Last gelegt (Randnrn. 287 und 289 der Entscheidung). Der einzige Unterschied betrifft den jeweiligen Umfang der Verantwortung der Mitgliedsunternehmen von Eurofer und der skandinavischen Hersteller (Randnrn. 294 und 295 der Entscheidung).

500.
    Die fraglichen Vereinbarungen dienten zur Festsetzung von Preisen im Sinne von Artikel 65 § 1 Buchstabe a des Vertrages und waren somit nach dieser Bestimmung verboten.

501.
    Zu dem in der mündlichen Verhandlung erhobenen Vorwurf, daß die GD I im Rahmen der damals bestehenden „Vereinbarungen“ zwischen der Gemeinschaft und Norwegen, Schweden und Finnland Kenntnis von den Tätigkeiten der Eurofer/Scandinavia-Gruppe gehabt habe oder hätte haben müssen, ist vorab festzustellen, daß die Unterlagen auf den Seiten 9773 bis 9787 der Akten der Kommission, die gemäß dem Beschluß vom 10. Dezember 1997 zu den Akten der Rechtssache genommen wurden, erst während des Verfahrens zutage getreten sind, so daß Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts die Klägerin nicht daran hindert, neue Angriffsmittel vorzubringen, die sich auf diese Unterlagen stützen.

502.
    Insoweit geht zunächst für die Zeit von 1986 bis 1988 aus den von der Gemeinschaft und den norwegischen, schwedischen und finnischen Behörden ausgetauschten Schreiben und Memoranden hervor, daß in dieser Zeit zwischen den betreffenden Parteien gewisse „Vereinbarungen“ über die Aufrechterhaltung der traditionellen Handelsströme bestanden (vgl. Punkt c der mit Norwegen ausgetauschten Schreiben vom 4. März 1986, 11. März 1987 und 10. Februar 1988, Punkt c der mit Finnland ausgetauschten Schreiben vom 4. März 1986, 10. April 1987 und 12. Februar 1988 sowie die Punkte 13 bis 15 des Schreibens vom 4. März 1986 und die Punkte 8 bis 10 der Schreiben vom 13. Februar 1987 und vom 5. Februar 1988, die mit Schweden ausgetauscht wurden). Gemäß Abschnitt V Nr. 10

der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ bedeutete dies in der Praxis, daß der bestehende Umfang der Ausfuhren skandinavischer Stahlerzeugnisse in die Gemeinschaft nicht verändert werden durfte und daß keine Schwankungen bei der regionalen Verteilung, der Zusammensetzung der Erzeugnisse oder den Lieferfristen zulässig waren („Dreifachklausel“).

503.
    Im einzelnen wurden folgende Unterlagen geprüft: die von den Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Mitteilung der Kommission an den Rat vom 13. November 1986 über die Außenhandelspolitik auf dem Stahlsektor (KOM[86] 585 endg.); ein Aktenvermerk vom 30. Mai 1985 (S. 9774 der Akten) über ein Treffen mit den schwedischen Behörden am 29. Mai 1985 wegen bestimmter schwedischer Lieferungen von Stabeisen und -stahl nach Dänemark, in dem es heißt, daß ein Vertreter der GD I die Gelegenheit dazu genutzt habe, die schwedischen Behörden auf das Interesse der Kommission an der Beibehaltung des zur Sicherstellung der harmonischen Entwicklung des Handelsverkehrs mit Stahlerzeugnissen zwischen der Gemeinschaft und Schweden dienenden „Gentlemen's Agreement“ zwischen Eurofer und dem Verband schwedischer Stahlwerke aufmerksam zu machen; das von den schwedischen Unternehmen Ovako Profiler AB und SSAB Svenskt Stål AB im Verwaltungsverfahren vorgelegte Memorandum vom 30. Mai 1985, das sich in den dem Gericht gemäß Artikel 23 übermittelten Akten befindet und den Klägerinnen durch den Beschluß vom 10. Juni 1996 zugänglich gemacht wurde; der handschriftliche Vermerk über ein Treffen der GD I mit den schwedischen Behörden, das offenbar am 4. Dezember 1985 oder 1986 stattfand; der Vermerk über ein Konsultationstreffen der Behörden der Gemeinschaft und Schwedens am 20. November 1986 (S. 9777 bis 9784 der Akten); der Vermerk über eine Sitzung der „Contact Group ECSC—Sweden“ am 11. und 12. Juni 1987.

504.
    Wie diese Unterlagen zeigen, kann erstens nicht ausgeschlossen werden, daß die Tätigkeiten der Eurofer/Scandinavia-Gruppe ihren Ursprung in dem gemeinsamen Bestreben der Behörden der Gemeinschaft und Skandinaviens fanden, die Ausfuhren von Stahlerzeugnissen im Rahmen der vorgenannten „Vereinbarungen“ auf ihr traditionelles Niveau zu beschränken. Aus den Akten geht nämlich hervor, daß dieses Ziel ohne die Zusammenarbeit der betroffenen Unternehmen, insbesondere im Rahmen der „Gentlemen's Agreements“ zwischen Eurofer und den schwedischen Stahlunternehmen, nicht hätte erreicht werden können.

505.
    Zweitens geht aus den Akten hervor, daß sowohl die Behörden der Gemeinschaft als auch die skandinavischen Behörden den Abschluß solcher „Gentlemen's Agreements“ oder zumindest unmittelbare Kontaktaufnahmen zwischen den betroffenen Unternehmen zur Lösung der im Rahmen der genannten Vereinbarungen auftretenden Probleme unterstützten. Im übrigen hat die Kommission in Abschnitt X Nr. 12 Buchstabe a der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ ausdrücklich eingeräumt, daß die Vereinbarungen die Freiheit der betroffenen Unternehmen, Mengen nach eigenem Ermessen zu liefern, eingeschränkt hätten und daß die GD I die skandinavischen Unternehmen in einem

Briefwechsel indirekt ermutigt habe, bilaterale Vereinbarungen mit Unternehmen in der Gemeinschaft einzugehen.

506.
    Es ist richtig, daß die fraglichen Vereinbarungen keine Preisabsprachen, sondern nur eine Mengenbeschränkung betrafen. Da jedoch der dänische Markt damals als herkömmlicher Bestandteil des skandinavischen Stahlmarkts angesehen wurde und die Unterbietung der Preise zu einem Anstieg der verkauften Mengen geführt hätte, kann nicht ausgeschlossen werden, daß die in der Eurofer/Scandinavia-Gruppe getroffenen Preisabsprachen in bezug auf den dänischen Markt zumindest teilweise als angemessene Unterstützung der zwischen der Gemeinschaft und den betreffenden skandinavischen Ländern für die Jahre 1986, 1987 und 1988 zur Aufrechterhaltung der traditionellen Handelsströme geschlossenen Vereinbarungen gedacht waren.

507.
    Gleichwohl erlaubt keine Bestimmung des Vertrages solche Preisabsprachen, und weder der Rat noch die Kommission oder die Unternehmen sind berechtigt, die Vorschriften von Artikel 65 § 1 des Vertrages zu mißachten oder sich über die Pflicht zu ihrer Einhaltung hinwegzusetzen.

508.
    Daraus folgt, daß die in der Eurofer/Scandinavia-Gruppe in den Jahren 1986, 1987 und 1988 getroffenen Preisabsprachen selbst dann, wenn sie im Rahmen von Vereinbarungen zur Beschränkung der Handelsströme zwischen der Gemeinschaft und den skandinavischen Ländern zustande gekommen und von der Kommission und/oder den skandinavischen Behörden unterstützt oder — zumindest indirekt — toleriert worden sein sollten, gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages verstießen, soweit sie eine Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt umfaßten.

509.
    Da die fraglichen Vereinbarungen zwischen der Gemeinschaft und den skandinavischen Ländern indessen bis zum 31. Dezember 1988 in Kraft blieben, können die Mißverständnisse, die es der Entscheidung zufolge (Randnr. 311) möglicherweise vor dem 30. Juni 1988 gab, in bezug auf die Eurofer/Scandinavia-Vereinbarungen zumindest bis zum 31. Dezember 1988 fortbestanden haben. Dem wird das Gericht bei der Festsetzung der Geldbuße Rechnung tragen (siehe die folgenden Ausführungen zum Hilfsantrag, mit dem die Nichtigerklärung von Artikel 4 der Entscheidung oder zumindest die Herabsetzung der Geldbuße begehrt wird).

510.
    Für die Zeit nach dem 31. Dezember 1988 ergibt sich aus dem Schreiben der Kommission an die norwegischen Behörden vom 5. April 1989 und ihrem Schriftwechsel mit den schwedischen Behörden vom 4. April 1989 und vom 28. Mai 1990, die von der Beklagten auf Ersuchen des Gerichts mit Begleitschreiben vom 12. Mai 1998 vorgelegt worden sind, daß es nach dem 1. Januar 1989 keine Bestimmung über die Aufrechterhaltung der traditionellen Handelsströme zwischen der Gemeinschaft und den betreffenden Ländern mehr gab. Folglich fehlte jedenfalls ab 1. Januar 1989 jede Rechtfertigung für den Abschluß privater

Vereinbarungen der betroffenen Unternehmen über die Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt.

511.
    Schließlich betrifft das Schriftstück vom 17. Juni 1989 (S. 9323 der Akten), auf das sich die Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung berufen haben, eine Beschwerde der belgischen Behörden wegen eines angeblichen Verstoßes einigernorwegischer Unternehmen gegen Artikel 60 des Vertrages, der gemäß Artikel 20 des Freihandelsabkommens zwischen Norwegen und der Gemeinschaft für die betreffenden Erzeugnisse galt; es hat somit nichts mit der der Klägerin im Rahmen der Eurofer/Scandinavia-Vereinbarungen zur Last gelegten Zuwiderhandlung zu tun.

512.
    Unter diesen Umständen ist das Vorbringen der Klägerin zu den in der Entscheidung festgestellten Vereinbarungen über die Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt zurückzuweisen.

Ergebnis

513.
    Vorbehaltlich der Ausführungen des Gerichts in den vorstehenden Randnummern 412 und 509 sowie der im folgenden Abschnitt D behandelten Argumentation hat die Prüfung des auf einen Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages gestützten Vorbringens nicht ergeben, daß die Kommission bei der Feststellung der in der Entscheidung beanstandeten Zuwiderhandlungen gegen diesen Artikel einen tatsächlichen oder rechtlichen Fehler begangen hat. Bei der Prüfung durch das Gericht hat sich auch die Begründung, insbesondere hinsichtlich der Beteiligung der Klägerin an den beanstandeten Zuwiderhandlungen, nicht als unzureichend erwiesen.

514.
    Folglich ist dieses Vorbringen in vollem Umfang zurückzuweisen.

D — Zur Verwicklung der Kommission in die der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlungen

Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin

515.
    Die Klägerin macht in ihrer Klageschrift geltend, der Kommission sei in dem von der Entscheidung erfaßten Zeitraum bewußt gewesen, daß die Unternehmen miteinander in Kontakt gestanden und über welche Gegenstände sie gesprochen hätten. Sie habe die Unternehmen sogar zu diesem Verhalten aufgefordert, weil sie auf deren Mitwirkung angewiesen gewesen sei, um die ihr nach dem Vertrag obliegenden industriepolitischen Aufgaben erfüllen zu können. Sie habe die Herstellung größtmöglicher Markttransparenz somit auch nach dem Ende der Krisenregelung gewünscht.

516.
    Da sich andere Klägerinnen auf ähnliche Klagegründe berufen haben, war die Rolle der GD III im vorliegenden Fall Gegenstand gemeinsamer Ausführungen in

der mündlichen Verhandlung. Die Klägerin hat sich dabei die insoweit im Namen aller betroffenen Klägerinnen vorgetragene Argumentation zu eigen gemacht. Daher sind diese verschiedenen Klagegründe und Argumente zusammenzufassen, um sie im Rahmen des vorliegenden Urteils gemeinsam zu prüfen.

517.
    Die Klägerinnen machen auf der Grundlage eines chronologischen Überblicks über die Mitwirkung der Kommission an der Bewältigung der Stahlkrise seit den siebziger Jahren und ihrem Tätigwerden nach dem Ende der Krisenzeit geltend, die Kommission habe die in der Entscheidung beanstandeten Verhaltensweisen selbst veranlaßt und danach unterstützt oder zumindest von ihnen gewußt und sie geduldet.

518.
    Da die Entscheidung somit in unterschiedlichem Maß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, die „Estoppel-“Doktrin oder die Rechtsregel „nemo auditur turpitudinem suam allegans“ verstoße, sei die Kommission nicht berechtigt gewesen, die in der Entscheidung genannten Verhaltensweisen der Unternehmen zu ahnden.

519.
    Um die Krise der europäischen Stahlindustrie zu meistern, habe die Kommission ab 1974 auf der Grundlage der Artikel 46, 47 und 58 ff. des Vertrages verschiedene Maßnahmen getroffen. Zu nennen seien dabei u. a. der Simonet-Plan von 1977 und der Davignon-Plan von 1978 sowie die Entscheidung Nr. 2794/80 zur Einführung eines Systems verbindlicher Erzeugungsquoten und ihre diversen Begleitmaßnahmen (siehe oben, Randnrn. 5 ff.).

520.
    Insbesondere habe das durch die Entscheidung Nr. 2794/80 eingeführte Quotensystem von Anfang an Teil eines vor allem hinsichtlich der Einführung nationaler „i-Quoten“, deren Anwendung durch die Hersteller die Kommission zur Umsetzung ihres eigenen Systems gemeinschaftsweiter „I-Quoten“ gewünscht habe, auf der horizontalen Zusammenarbeit der Unternehmen beruhenden umfassenderen Gesamtkonzepts sein sollen.

521.
    Die Vereinigung Eurofer sei dabei namentlich im Rahmen der Eurofer-II- bis Eurofer-V-Vereinbarungen, die während der gesamten Laufzeit der Regelung für die offensichtliche Krise bis Juli 1988 im wesentlichen in der Schaffung und Verwaltung des Systems von „i-Lieferquoten“ auf den nationalen Märkten und in der Beschaffung von Daten über Produktion und Lieferungen bestanden hätten, die wichtigste Schnittstelle zwischen der Kommission und den Herstellern gewesen. Die Eurofer-Vereinbarungen hätten ferner die Verpflichtung der Beteiligten enthalten, die in Abstimmung mit der Kommission festgelegten Preisziele zu beachten.

522.
    Der Austausch von Informationen sei in der gesamten Stahlbranche seit dem Beginn der Krise üblich gewesen; insoweit sei auf das Urteil des Gerichtshofes vom 10. Juli 1985 in der Rechtssache 27/84 (Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie/Kommission, Slg. 1985, 2385) zu verweisen, in der die Kommission

eingeräumt habe, daß unter den zu Eurofer gehörenden großen Stahlunternehmen bereits eine gewisse Transparenz vorhanden sei, so daß bestimmte von ihnen stammende Informationen nicht unter das Berufsgeheimnis im Sinne von Artikel 47 des Vertrages fielen.

523.
    Für den Krisenzeitraum stützen die Klägerinnen ihre Ausführungen im einzelnen auf Auszüge aus folgenden Schriftstücken, von denen einige bereits in den obigen Randnummern 5 ff. erwähnt wurden: das Ersuchen der Kommission um Zustimmung des Rates zur Einführung eines Systems von Erzeugungsquoten für die Stahlindustrie (KOM[80] 586 endg., Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 3), die Entschließung des Rates vom 3. März 1981 über die Politik zur Sanierung der Eisen- und Stahlindustrie (vgl. die Pressemitteilung des Rates vom 26. und 27. März 1981, Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 4), Anlage IV des Dokuments III/534/85/FR der Kommission über die Genehmigung der Eurofer-Vereinbarungen (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 5), das Schreiben von Herrn Andriessen und Herrn Davignon an Eurofer vom 17. Januar 1983 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 6), die Antwort von Herrn Etchegaray, dem Vorsitzenden von Eurofer, an Herrn Andriessen und Herrn Davignon vom 8. Februar 1983 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 7), die Entscheidung Nr. 3483/82, Nr. 302 des Neunzehnten Gesamtberichts über die Tätigkeit der Gemeinschaften, die Entscheidung Nr. 234/84, das Protokoll eines Treffens der Kommission mit Sachverständigen von Eurofer am 27. Juni 1984 in Brüssel (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 8), einen Vermerk von Eurofer im Anschluß an ein Treffen des Kommissionsmitglieds Narjes mit den Vorsitzenden von Eurofer am 26. September 1985 in Düsseldorf (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 9), das Protokoll eines Treffens von Herrn Narjes mit Eurofer am 16. Dezember 1985 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 10), verschiedene Schreiben, die zeigen, daß die Kommission an der Schlichtung von Streitigkeiten der Hersteller in bezug auf das System der „i-Quoten“ mitwirkte (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstücke 11 und 12), das Protokoll eines Treffens von Herrn Narjes mit Eurofer am 10. März 1986 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 13), den „Bericht der Drei Weisen“, das Protokoll eines Treffens von Herrn Narjes mit Führungskräften von Eurofer am 16. Mai 1986 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 14) und die Mitteilung der Kommission an den Rat über die Stahlpolitik vom 16. Juni 1988.

524.
    Obwohl die Regelung für die offensichtliche Krise am 30. Juni 1988 ausgelaufen sei, werde in Nr. 278 des XXI. Gesamtberichts über die Tätigkeit der Gemeinschaften von der Bereitschaft der Kommission gesprochen, das Quotensystem ab 1. Januar 1988 um drei Jahre zu verlängern und einen Ende 1986 von Eurofer vorgeschlagenen konzertierten Plan zur Kapazitätsverringerung umzusetzen. Da die Kommission jedoch die im Dezember 1987 als Voraussetzung für eine etwaige Verlängerung des Systems festgelegten Mindeststillegungsverpflichtungen nicht zugesagt bekommen

habe, habe sie dem Rat keine Fortführung vorgeschlagen. Das Quotensystem sei im Juli 1988 folglich nicht deshalb beendet worden, weil nach Ansicht der Kommission keine offensichtliche Krise mehr bestanden habe, sondern um die Unternehmen für ihre mangelnde Zusammenarbeit zu bestrafen. Dieser Sachverhalt zeige ferner, daß die Kommission Mitte 1988 in der Forderung an die Unternehmen, eine Vereinbarung über eine konzertierte Verringerung ihrer Kapazitäten zu treffen, keinen Verstoß gegen Artikel 65 des Vertrages gesehen habe, obwohl dies — wenn man der in der Entscheidung vertretenen engen Auslegung des genannten Artikels folge — ebenso verboten sei wie Maßnahmen im Preisbereich. Die Kommission habe somit anerkannt, daß eine flexible Anwendung von Artikel 65 § 1 des Vertrages möglich sei.

525.
    In der Zeit nach dem 30. Juni 1988 habe die Kommission — bis November 1988 — das durch die Entscheidung Nr. 3483/82 eingeführte System zur Überwachung der Lieferungen beibehalten. Sie habe ferner das durch die Entscheidung Nr. 2448/88 eingeführte Überwachungssystem geschaffen, bei dem die Unternehmen für bestimmte Erzeugnisse monatlich die hergestellten und ausgelieferten Mengen hätten melden müssen. Dieses System sei im Juni 1990 außer Kraft getreten, aber die konkrete Situation habe sich nicht verändert, wie zwei Schreiben von Beamten der Kommission an Eurofer vom 10. und 12. September 1990 (Anlagen 7 und 8 der Klageschrift in der Rechtssache T-137/94) zeigten. Alle diese Maßnahmen hätten dazu gedient, die Markttransparenz zu erhöhen, um die Anpassung der Unternehmen an etwaige Änderungen der Nachfrage zu erleichtern, ohne daß diese Transparenz als Verstoß gegen Artikel 65 des Vertrages angesehen worden sei.

526.
    In diesem Rahmen und insbesondere im Rahmen der Artikel 46 bis 48 des Vertrages und des durch die Entscheidung Nr. 2448/88 eingeführten Überwachungssystems hätten sich die Kontakte zwischen der GD III und den Trägerherstellern in der Zeit nach der Regelung für die offensichtliche Krise sogar noch intensiviert, da die Treffen im kleinen Kreis, die Konsultationstreffen und die Arbeitsessen zu den offiziellen vierteljährlichen Treffen hinzugekommen seien, bei denen gemäß den Artikeln 46 bis 48 des Vertrages die Vorausschätzungsprogramme erörtert würden.

527.
    Verschiedene Auszüge aus „Speaking Notes“ und anderen Protokollen von Treffen nach dem Auslaufen der Krisenregelung (vgl. Anhang 3 der Klageschrift in der Rechtssache T-151/94) sowie die von der Kommission im Anschluß an den Beschluß vom 10. Dezember 1997 vorgelegten internen Vermerke der GD III zeigten, daß die Kommission von der Sammlung und dem Austausch von Informationen über die Aufträge, die Lieferungen, das tatsächliche Preisniveau und das geschätzte künftige Preisniveau durch Eurofer und die Träger-Kommission sowie von der Harmonisierung der Aufpreise und den übrigen den Unternehmen in der Entscheidung zur Last gelegten Praktiken gewußt und sie sogar unterstützt habe.

528.
    Unter diesen Umständen seien die verschiedenen den Klägerinnen zur Last gelegten Vereinbarungen und Praktiken — ihren Nachweis unterstellt — vor allem im Hinblick auf die Artikel 46 bis 48 des Vertrages und das durch die Entscheidung Nr. 2448/88 eingeführte Überwachungssystem als rechtmäßige Tätigkeiten anzusehen.

529.
    Aus den genannten Unterlagen gehe hervor, daß die Kommission und speziell die GD III ihre Gespräche mit den Herstellern und die ihr bei dieser Gelegenheit gelieferten Informationen sehr geschätzt habe, daß die Kommission im Rahmen eines recht allgemeinen Meinungsaustauschs die häufigen Initiativen der Hersteller zur Stabilisierung der Preise und der Produktion angeregt oder zumindest gebilligt habe, daß die Kommission den Herstellern nach dem Muster der während der Zeit der offensichtlichen Krise bei der vierteljährlichen Aufteilung der „I-Quoten“ auf die nationalen Märkte („i-Quoten“) angewandten Praxis ihren Standpunkt zur erwünschten Marktentwicklung mitgeteilt und Eurofer die Regelung der praktischen Einzelheiten des von ihr befürworteten Vorgehens auf dem Markt überlassen habe, daß die Kommission selbst im Rahmen ihres Vorgehens zur Marktsanierung bei den Bemühungen der Hersteller zur Bewältigung der Preis- und Produktionsschwankungen eine entscheidende Rolle gespielt habe und daß die Hersteller ohne Unterstützung oder zumindest Billigung der Kommission nichts hätten unternehmen können. Aus den „Speaking Notes“ ergebe sich zwar nicht, welche Informationen in der Träger-Kommission im einzelnen ausgetauscht und zur Ermittlung der Preistendenzen und der Mengenprognosen verwendet worden seien, aber die Kommission habe gewußt oder hätte wissen müssen, daß ein solcher Informationsaustausch unter den Herstellern zur Vorbereitung der Gespräche mit ihr ebenso unabdingbar gewesen sei wie in der jüngsten Vergangenheit, und sie hätte den Herstellern deshalb raten müssen, die Methode zur Erstellung ihrer Prognosen zu ändern. Die „Speaking Notes“ enthielten auch zahlreiche ganz klare Hinweise auf Erörterungen über die Preise und auf das gemeinsame Bestreben der Kommission und der Hersteller, ihr Niveau zu halten. Die Kommission habe sogarversucht, die Preisdisziplin unmittelbar zu stärken, indem sie z. B. 1989 die Einführung einer Verpflichtung der Hersteller ins Auge gefaßt habe, sich gegenseitig die angewandten Rabatte mitzuteilen (vgl. Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 5).

530.
    Obwohl dem Anhörungsbeauftragten die Protokolle und Vermerke über die zahlreichen Treffen der Kommission mit den Stahlunternehmen in dieser Zeit vollständig übermittelt worden seien, gehe aus Randnummer 312 der Entscheidung hervor, daß die Kommission eine eingehende Prüfung dieser Unterlagen, deren Erheblichkeit sie pauschal verneine, unterlassen habe.

531.
    Es treffe zu, daß die Kommission regelmäßig auf Artikel 65 des Vertrages und insbesondere darauf hingewiesen habe, daß er in der Krisenzeit in vollem Umfang anwendbar bleibe. Mangels praktischer Vorgaben der Kommission seien diese bloßen Hinweise jedoch bedeutungslos gewesen.

532.
    So habe z. B. die auf Verlangen von Herrn Kutscher in das Protokoll des Konsultationstreffens vom 26. Januar 1989 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 16) aufgenommene Erklärung, daß die Kommission keine gegen Artikel 65 des Vertrages verstoßenden Preis- oder Mengenabsprachen hinnehmen könne, den Herstellern keine Leitlinien verschafft, wie sie die von der Kommission benötigten Marktprognosen erstellen sollten, ohne Aufträge und Lieferungen zu „überwachen“ oder Informationen über Preisänderungen auszutauschen.

533.
    In der Entscheidung selbst werde in Randnummer 311 anerkannt, daß es „Mißverständnisse“ hinsichtlich der Anwendbarkeit von Artikel 65 des Vertrages in der Krisenzeit gegeben haben könne. Die Unsicherheit sei nach dem 30. Juni 1988 nicht weggefallen. Sie habe im Gegenteil noch zugenommen, da die Kommission weiterhin in die Branche eingegriffen und zugleich ohne nähere Erläuterung erklärt habe, daß die Bestimmungen von Artikel 65 Anwendung fänden.

534.
    Unter diesen Umständen habe die von der Kommission am 4. Mai 1988 anläßlich der Einleitung des Verfahrens „nichtrostender Flachstahl“ veröffentlichte Pressemitteilung, in der es heiße, daß sie keine unrechtmäßigen Absprachen dulden werde (vgl. Randnr. 305 der Entscheidung), keinen praktischen Nutzen besessen. Das Kommissionsmitglied Van Miert habe im übrigen in der Pressekonferenz vom 16. Februar 1994 eingeräumt, daß in der Zeit nach der offensichtlichen Krise eine gewisse Unklarheit bestanden haben könnte. Daher hätten Leitlinien veröffentlicht werden müssen, um jedes Mißverständnis auszuräumen (vgl. z. B. im Rahmen des EG-Vertrags die Leitlinien für die Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln im Telekommunikationsbereich, ABl. 1991, C 233, S. 2).

535.
    Erstmals in ihrer am 18. Juli 1990 erlassenen Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ habe die Kommission das Verhalten der Unternehmen in der fraglichen Zeit mißbilligt und Praktiken verurteilt, die sie zuvor in ähnlicher Form akzeptiert und sogar unterstützt habe. Diese Verurteilung stehe somit in Widerspruch zur früheren Haltung der Kommission, aufgrund deren die Unternehmen angenommen hätten, daß ihre Praktiken mit Artikel 65 des Vertrages in Einklang stünden.

536.
    Die Kommission habe ihre Auslegung der Wettbewerbsregeln des EGKS-Vertrags Ende 1990 geändert (siehe oben, Randnrn. 37 und 38). Sie verstoße jedoch gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes, wenn sie Artikel 65 des Vertrages rückwirkend auf die Unternehmen anwende, nachdem sie in der fraglichen Zeit damit einverstanden gewesen sei, ihn nicht auf die streitigen Praktiken anzuwenden, und solche Praktiken im Gegenteil unterstützt oder zumindest mit den Unternehmen ähnliche Praktiken entwickelt habe.

537.
    Dem Grundsatzargument der Kommission, daß eine behördliche Duldung eine Zuwiderhandlung keinesfalls legitimieren oder rechtfertigen könne, seien die

Urteile des Gerichtshofes vom 12. November 1987 in der Rechtssache 344/85 (Ferriere San Carlo/Kommission, Slg. 1987, 4435) und vom 24. November 1987 in der Rechtssache 223/85 (RSV/Kommission, Slg. 1987, 4617) entgegenzuhalten.

538.
    Die Rechtsprechung in den Urteilen des Gerichtshofes vom 11. Dezember 1980 in der Rechtssache 1252/79 (Lucchini/Kommission, Slg. 1980, 3753, Randnr. 9) und vom 28. März 1984 in der Rechtssache 8/83 (Bertoli/Kommission, Slg. 1984, 1649, Randnr. 21), nach der eine nachlässige Verfolgung durch die Kommission eine Zuwiderhandlung nicht legitimieren könne, sei dagegen auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar. Die Kommission habe sich hier gegenüber den Trägerherstellern nicht bloß nachlässig verhalten, sondern die in der Entscheidung beanstandeten Verhaltensweisen in voller Kenntnis der Sachlage geduldet und sogar unterstützt.

539.
    In der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen ferner eine eingehende Analyse der „Speaking Notes“ und der auf Verlangen des Gerichts eingereichten Unterlagen der GD III vorgelegt. Außerdem haben sie sich auf die vom Gericht vernommenen Zeugen und insbesondere auf Herrn Kutscher berufen.

Zusammenfassung der Zeugenvernehmung

540.
    Durch Beschluß vom 23. März 1998 hat das Gericht angeordnet, Herrn Pedro Ortún und Herrn Guido Vanderseypen, zwei Beamte der GD III, sowie Herrn Hans Kutscher, einen ehemaligen Beamten der GD III, als Zeugen zu den Kontakten zwischen der GD III und der Stahlindustrie in der Zeit von Juli 1988 bis Ende 1990 zu vernehmen, die in der Entscheidung bei der Bußgeldbemessung als Zeitraum der Zuwiderhandlung zugrunde gelegt wurde. Die Zeugen sind vom Gericht in der Sitzung vom 23. März 1998 vernommen und gemäß Artikel 68 § 5 der Verfahrensordnung vereidigt worden.

541.
    Herr Ortún, der damalige Leiter der Direktion E „Stahl“ der GD III (die später in Direktion „Binnenmarkt und gewerbliche Wirtschaft III“ umbenannt wurde), hat in seiner Aussage und seinen Antworten auf Fragen des Gerichts erklärt, daß die nach dem 30. Juni 1988 entsprechend dem Mandat, das der Rat der Kommission am 24. Juni 1988 erteilt habe, eingeführten Konsultationstreffen mit der gesamten Stahlindustrie sowie die auf Mitglieder von Eurofer beschränkten Treffen dazu gedient hätten, der Kommission einen möglichst genauen Überblick über die Situation und die Tendenzen auf den verschiedenen Produktmärkten zu verschaffen, um deren Überwachung im Rahmen der Entscheidung Nr. 2448/88 zu ermöglichen und die Aufstellung der Vorausschätzungsprogramme zu erleichtern, und daß sie die aus anderen Quellen — wie nicht zu Eurofer gehörenden Herstellern, Verbrauchern, Händlern und von der Kommission beauftragten unabhängigen Sachverständigen — stammenden Informationen ergänzt hätten. Bei diesen Treffen sei normalerweise für jede Produktgruppe ein Vertreter der Industrie als Branchensprecher aufgetreten und habe Informationen über die Entwicklung der Nachfrage, der Produktion, der Lieferungen, der Lagerbestände, der Preise, der Ausfuhren, der Einfuhren und anderer Marktparameter in den

nächsten Monaten geliefert. Dieser ständige Meinungsaustausch mit der Industrie über die wichtigsten Marktparameter habe vorausgesetzt, daß die Hersteller vor ihren Treffen mit der GD III zusammengekommen seien, um ihre Eindrücke und Meinungen zu den künftigen Tendenzen auf den verschiedenen Produktmärkten einschließlich der Preisentwicklung auszutauschen; der GD III, die keine Protokolle dieser internen Sitzungen erhalten habe, sei aber nicht bekannt gewesen, welche Informationen dabei ausgetauscht worden seien und welchen Gebrauch die Hersteller davon gemacht hätten; sie habe sich auch nicht besonders darum gekümmert. Auf Fragen des Gerichts hat Herr Ortún geantwortet, nach Juni 1988 habe die Kommission weder eine Politik der Stabilität der traditionellen Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten verfolgt noch die Erhöhung oder Beibehaltung der Preise angestrebt, sondern nur verhindern wollen, daß Konjunkturschwankungen zu erheblichen abrupten Preisänderungen ohne direkten Zusammenhang mit der Entwicklung der Nachfrage führten. Er hat ferner betont, daß die GD III, obwohl es nicht ihr Ziel oder ihre Hauptaufgabe gewesen sei, zu prüfen oder darüber zu wachen, daß die mit dem Informationsaustausch der Hersteller vor den Treffen mit ihr verbundenen Praktiken den Wettbewerbsregeln des Vertrages entsprächen, die Hersteller mehrfach auf ihre Pflicht zur Einhaltung der Bestimmungen von Artikel 65 hingewiesen habe und deshalb davon ausgegangen sei, daß sie diese einhielten.

542.
    Herr Kutscher, der damals Hauptberater in der Direktion E der GD III war, hat in seiner Aussage und seinen Antworten auf Fragen des Gerichts u. a. ausgeführt, er habe auf Wunsch von Herrn Narjes, dem damals für die Industriepolitik zuständigen Mitglied der Kommission, in das Protokoll des Konsultationstreffens vom 26. Januar 1989 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 16) folgende Warnung aufnehmen lassen: „[S]ollte die Kommission feststellen, daß innerhalb des Industriezweigs Vereinbarungen über Preise und Tonnagen vorliegen, die gegen Artikel 65 des EGKS-Vertrages verstoßen, [würde] sie die erforderlichen Schritte nach diesem Artikel einleiten ...“ Diese Warnung, die er mit mehr oder weniger gleichen Worten bereits am 1. und 20. Juni 1988 sowie im Oktober 1988 vor dem Beratenden Ausschuß der EGKS ausgesprochen habe, habe ein klarer Hinweis an die Industrie sein sollen, daß nach dem Ende des Quotensystems der freie Wettbewerb voll zum Tragen komme und daß die Bestimmungen von Artikel 65 des Vertrages strikt eingehalten werden müßten, und mit ihr habe verhindert werden sollen, daß sich ein Kartell der in der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ festgestellten Art wiederhole.

543.
    Herr Kutscher hat ferner eingeräumt, daß die GD III gewußt habe, daß die Mitgliedsunternehmen von Eurofer vor ihren Treffen mit der Kommission zusammengekommen seien und bei diesem Anlaß die Entwicklung der verschiedenen Marktparameter erörtert hätten, um zu einem gewissen Konsens über die künftigen Markttendenzen zu gelangen, dessen Inhalt dann Gegenstand der Gespräche mit der GD III gewesen sei. Es wäre für die Kommission oder für eine Wirtschaftsvereinigung wie Eurofer nach seinen Angaben praktisch unmöglich

gewesen, jeden Hersteller einzeln zu befragen. Um der Kommission die von ihr benötigten Informationen zu liefern, hätten sich die Hersteller somit zum Austausch ihrer Meinungen und Prognosen über die Tendenzen bei Preisen, Lagerbeständen, Einfuhren usw. treffen müssen. Es sei dann Aufgabe des Vorsitzenden der betreffenden Sitzung gewesen, die ausgetauschten Informationen zusammenzufassen und der Kommission bei den Konsultationstreffen mitzuteilen.

544.
    Herr Kutscher hat insbesondere ausdrücklich eingeräumt, daß die Unternehmen im Rahmen ihrer Sitzungen ihre jeweiligen Prognosen hinsichtlich der künftigen Preise verschiedener Produkte oder sogar ihre entsprechenden Absichten ausgetauscht hätten. Seines Erachtens verstößt ein Meinungsaustausch der Hersteller über ihre individuellen künftigen Preisabsichten nicht gegen das Verbot verabredeter Praktiken in Artikel 65 § 1 des Vertrages, selbst wenn ihm tatsächlich eine den ausgetauschten Prognosen entsprechende allgemeine Preisänderung folgt, sofern sich dieser Meinungsaustausch auf konjunkturelle Feststellungen beschränkt und nicht zu einer Vereinbarung, Abstimmung oder Absprache über die Preisänderung führt. Auf einem Markt wie dem Stahlmarkt werde eine bei guter Konjunktur — wie sie 1988/89 geherrscht habe — von einem Hersteller eigenständig beschlossene Preiserhöhung sehr schnell bekannt, und wenn sie mit der Konjunkturentwicklung in Einklang stehe, schlössen sich die meisten Konkurrenten von sich aus fast automatisch an, ohne daß es einer Absprache zwischen ihnen bedürfe, denn jeder wolle von der günstigen Situation profitieren.

545.
    Herr Kutscher hat jedoch betont, daß die GD III keine Kenntnis von Vereinbarungen oder verabredeten Praktiken gehabt habe, die über einen solchen Informationsaustausch der Unternehmen hinausgegangen seien, und daß die insoweit gelegentlich von ihm persönlich gehegten Zweifel von seinen Gesprächspartnern zerstreut worden seien. Er hat in diesem Punkt speziell auf das Konsultationstreffen vom 27. Juli 1989 Bezug genommen (vgl. die von der Beklagten gemäß dem Beschluß vom 10. Dezember 1997 vorgelegte Aktennotiz vom 3. August 1989 über dieses Treffen), in dessen Verlauf er auf die Ankündigung von Herrn Meyer, dem Vorsitzenden der Träger-Kommission, daß der Markt ausgewogen sei und sogar noch leichte Preiserhöhungen ab dem 1. Oktober 1989 zulasse, erwidert habe, daß die Kommission auf die vollständige Einhaltung der Preisvorschriften in Artikel 65 des Vertrages Wert lege. Der Vertreter der Industrie habe ihn mit der Versicherung beruhigt, daß sich die betroffenen Unternehmen in diesem konkreten Fall darauf beschränkt hätten, den Handel und die Kunden über ihre jeweiligen Preiserhöhungsabsichten zu informieren. Es sei damals im übrigen durchaus üblich gewesen, daß die Stahlproduzenten ihre Hauptkunden vorab über ihre individuellen künftigen Preisabsichten informierten. Außerdem hätten die 1988/89 von den Herstellern bei den Treffen angekündigten bescheidenen Preiserhöhungen mit der günstigen Konjunkturentwicklung in Einklang gestanden und daher bei der GD III nicht den Verdacht erwecken können, daß sie das Ergebnis einer Absprache seien. Schließlich habe es bei den zahlreichen Gesprächen mit den Vertretern der Stahlindustrie — abgesehen von dem Vorfall mit Herrn Meyer — nie den geringsten Anhaltspunkt dafür gegeben, daß die Industrie

bei Trägern oder anderen Stahlerzeugnissen Preis- oder Mengenabsprachen getroffen habe.

546.
    Herr Vanderseypen, der damals der Direktion E der GD III angehörte, hat in seiner Aussage und seinen Antworten auf Fragen des Gerichts u. a. ausgeführt, wie sein von der Beklagten gemäß dem Beschluß vom 10. Dezember 1997 vorgelegter Aktenvermerk vom 7. April 1989 belege, sei der GD III bekannt gewesen, daß Eurofer von seinen Mitgliedern Schnellstatistiken mit globalen monatlichen Angaben über Aufträge und Lieferungen erhalten habe, die zehn bis zwanzig Tage nach Ablauf des betreffenden Monats vorgelegen hätten; sie habe aber nichts von dem System des Monitoring der individuellen Aufträge und Lieferungen der beteiligten Unternehmen gewußt, das etwa zur gleichen Zeit durch Eurofer eingeführt worden sei. Die fraglichen Schnellstatistiken seien auf Unternehmensebene zusammengefaßt, aber nach Produkten und nationalen Zielmärkten aufgeschlüsselt gewesen, so daß kein mitwirkendes Unternehmen den Marktanteil seiner Konkurrenten habe ermitteln können. Die Kommission habe von Eurofer nie nach Unternehmen aufgeschlüsselte Zahlen erhalten, sie habe keine Kenntnis davon gehabt, daß bei Eurofer solche Zahlen in Umlauf gewesen seien, und die von ihm befragten Gesprächspartner hätten noch im Juli 1990 erklärt, daß Eurofer keinen solchen Austausch vorgenommen habe.

547.
    Zu den bei den fraglichen Treffen genannten Zahlen über die Preistendenzen sei festzustellen, daß Aufträge für Stahlerzeugnisse im allgemeinen durch Lieferungen innerhalb von drei Monaten ausgeführt würden. Diese Angaben hätten daher häufig aufgrund der ersten für das folgende Quartal eingegangenen Bestellungen gemacht werden können. Die Preisangaben in den „Speaking Notes“ seien daher nicht zwangsläufig Absichtserklärungen, sondern möglicherweise beginnende Realität, nämlich die in den ersten eingehenden Bestellungen zu findenden Preise.

Würdigung durch das Gericht

Vorbemerkungen

548.
    Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß sich das Vorbringen der Klägerinnen seinem Wesen nach nur auf die ihnen im Rahmen der Tätigkeiten der Träger-Kommission zur Last gelegten Zuwiderhandlungen beziehen kann. Insoweit besteht es im wesentlichen aus vier Teilen:

a)    Während der offensichtlichen Krise habe die Kommission die Unternehmen insbesondere im Rahmen der Durchführung des Systems der „i-Quoten“ auf den nationalen Märkten, der Preisabsprachen und der Bemühungen um freiwillige Vereinbarungen über den Kapazitätsabbau zu einer engen horizontalen Zusammenarbeit ermuntert. Sie habe dadurch den Eindruck erweckt, daß solche Verhaltensweisen entweder nicht gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages verstießen oder daß diese Bestimmung einen flexiblen Inhalt

habe, der von der Politik der Kommission zu einem bestimmten Zeitpunkt abhänge. Die Kommission habe bei den Unternehmen zumindest Unklarheit darüber geschaffen, welche Verhaltensweisen nach Artikel 65 § 1 des Vertrages verboten seien.

b)    Am Ende der Krisenzeit habe die Kommission keine praktischen Vorgaben oder Leitlinien gegeben, die die fraglichen Mißverständnisse hätten ausräumen können, so daß die Unternehmen nicht imstande gewesen seien, die genaue Tragweite von Artikel 65 § 1 des Vertrages zu ermitteln. Außerdem habe die Kommission keine Übergangsmaßnahmen getroffen, sondern die Wettbewerbsregeln des EGKS-Vertrags ohne Vorwarnung rückwirkend den Regeln des EG-Vertrags angepaßt.

c)    Nach dem Ende der Krisenzeit habe die Kommission jedenfalls davon gewußt und es sogar unterstützt, daß im Rahmen zahlreicher Treffen der Unternehmen mit der GD III zur Sicherstellung der Umsetzung der Artikel 46 bis 48 des Vertrages und des durch die Entscheidung Nr. 2448/88 eingeführten Überwachungssystems insbesondere über Aufträge, Lieferungen, das tatsächliche und das geschätzte künftige Preisniveau Informationen gesammelt und ausgetauscht worden seien. Die Kommission habe die den Unternehmen in der Entscheidung zur Last gelegten Praktiken somit gekannt und sogar geduldet.

d)    Folglich seien die fraglichen Praktiken vor allem im Hinblick auf die Artikel 46 bis 48 des Vertrages rechtmäßig.

Zum Verhalten der Kommission in der Krisenzeit

549.
    Wie aus den obigen Randnummern 6 ff. hervorgeht, verfolgte die Kommission seit Beginn der Krise in der Stahlindustrie Mitte der siebziger Jahre aktiv eine Politik der Anpassung des Angebots an die Nachfrage, der Aufrechterhaltung der Stabilität traditioneller Handelsströme sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gemeinschaft und der Stützung der Preise, um die erforderlichen Umstrukturierungen in Form von Kapazitätsverringerungen zu ermöglichen und zugleich das Überleben möglichst vieler Unternehmen sicherzustellen. Da das Angebot weit höher war als die Nachfrage, sah sich die Kommission veranlaßt, dem Auftragsmangel durch die Festsetzung von Quoten nach den Grundsätzen der gleichmäßigen Lastenverteilung und der Erbringung gleicher Opfer zu begegnen, in denen eine gewisse Solidarität der Unternehmen angesichts der Krise zum Ausdruck kam, die geordnete strukturelle Anpassungen begünstigen sollte.

550.
    Diese Politik wurde in enger Zusammenarbeit mit der Industrie und vor allem mit Hilfe von Eurofer durchgeführt, und zwar sowohl durch freiwillige Verpflichtungen der Unternehmen gegenüber der Kommission, die für die Jahre 1977 bis 1980 kennzeichnend waren, als auch durch das System der „I-“ und „i-Quoten“ und der Eurofer-Vereinbarungen in den Jahren 1980 bis 1988.

551.
    Dabei entwickelten die Unternehmen mit Unterstützung und jedenfalls mit Wissen der GD III Praktiken, die in mehrfacher Hinsicht den ihnen in der Entscheidung zur Last gelegten Praktiken ähneln. Sie widmeten sich u. a. der Überwachung der traditionellen Handelsströme, deren Aufrechterhaltung, die die Aufteilung der Märkte anhand nationaler Grenzen voraussetzte, im übrigen bis 1986 in Artikel 15B der Entscheidung Nr. 234/84 ausdrücklich vorgesehen war. Sie trafen ferner Vorkehrungen zur Aufdeckung und Verhinderung störender Verhaltensweisen durch die Überwachung der Aufträge und Lieferungen und schufen Systeme zur Anpassung des Angebots an die Nachfrage und zur Stützung der Preise.

552.
    Die Kommission sah sich somit veranlaßt, Verhaltensweisen zuzulassen, zu billigen oder zu unterstützen, die nach außen hin den auf marktwirtschaftlichen Prinzipien beruhenden normalen Regeln für das Funktionieren des gemeinsamen Marktes zuwiderliefen (Urteil Valsabbia u. a./Kommission, Randnr. 80) und die daher unter das Kartellverbot in Artikel 65 des Vertrages fallen konnten. So erhob sie zu einem Zeitpunkt, als sie eine Harmonisierung und eine allgemeine Anhebung der Preise in der Gemeinschaft anstrebte, keinen Einwand gegen einen Aufruf der Vertreter der französischen Stahlindustrie zum Abschluß einer Vereinbarung über die Preisfestsetzung auf dem französischen Markt (vgl. das Protokoll des Treffens des Kommissionsmitglieds Narjes mit Vertretern von Eurofer am 16. Mai 1986). Aus einigen offiziellen Unterlagen (vgl. z. B. die Entscheidung Nr. 1831/81/EGKS der Kommission vom 24. Juni 1981 zur Einführung eines Überwachungssystems und eines neuen Systems von Erzeugungsquoten für bestimmte Erzeugnisse für die Unternehmen der Stahlindustrie, ABl. L 180, S. 1, und das Protokoll des Treffens von Herrn Narjes mit Eurofer am 10. März 1986) geht ferner hervor, daß die Kommission gewisse „private Abmachungen“, „Abreden“, „interne Vereinbarungen“ und „freiwillige Systeme“ der Unternehmen offen unterstützte.

553.
    In dieser Zeit war die Kommission offenbar der Ansicht, daß diese privaten Vereinbarungen, Praktiken und Systeme nicht unter Artikel 65 des Vertrages fielen, sofern sie nur mit ihrer allgemeinen Politik in Einklang stehende Durchführungs- oder Begleitmaßnahmen der Unternehmen darstellten. Die von der Kommission hierzu vertretene Auffassung wird bereits im Schreiben von Herrn Davignon und Herrn Andriessen an den Vorsitzenden von Eurofer vom 17. Januar 1983 dargelegt (siehe oben, Randnr. 10). Das System der einander ergänzenden „I-“ und „i-Quoten“ im Rahmen der Eurofer-Vereinbarungen macht dies am deutlichsten.

554.
    Abschnitt VIII Nr. 13 der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ bestätigt, daß nach Ansicht der Kommission „ein grundlegender Unterschied zwischen Vereinbarungen, die von den Unternehmen nach Konsultation mit der Kommission im wesentlichen mit dem Ziel geschlossen werden, die von der Kommission getroffenen Maßnahmen wirksamer zu gestalten und deren Überwachung zu vereinfachen, und andererseits Vereinbarungen [besteht], die von den Unternehmen eigenständig ohne Konsultierung der Kommission (die in diesem Falle lediglich unverbindlich in Kenntnis gesetzt wurde) getroffen wurden und

deren Ziel nicht in begleitenden Maßnahmen zu bestehenden Einschränkungen, sondern in der Schaffung neuer Beschränkungen mit zusätzlichen wirtschaftlichen Auswirkungen bestand“.

555.
    Desgleichen führt die Kommission in Randnummer 309 der Entscheidung folgendes aus: „Die Tatsache, daß der Wettbewerb in verschiedener Hinsicht durch das Tätigwerden der Gemeinschaft begrenzt worden ist, erlaubt es den Unternehmen nicht, zusätzliche Beschränkungen aufzuerlegen oder den Wettbewerb in anderer Hinsicht einzuschränken. In solchen Fällen ist es entscheidend, daß die Unternehmen und deren Verbände nichts weiteres unternehmen, um den Wettbewerb einzuschränken.“

556.
    Die einzige der Klägerin für die Zeit vor dem 1. Juli 1988 hinreichend präzise zur Last gelegte Zuwiderhandlung, die mit den Tätigkeiten der Träger-Kommission zusammenhängt, ist jedoch die auf einer Sitzung an einem nicht näher zu bestimmenden Datum vor dem 2. Februar 1988 getroffene Vereinbarung, auf die in Randnummer 224 der Entscheidung eingegangen wird. Wie nämlich aus der Entscheidung hervorgeht, wurden die übrigen Vereinbarungen in der Träger-Kommission über die Preisfestsetzung, die Aufpreisharmonisierung, die Traverso-Methode und den französischen Markt nach dem 30. Juni 1988 getroffen. Ferner geht aus der Entscheidung hervor, daß sich die mit dem Auftrags- und Liefermonitoring und dem Austausch von Informationen im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung zusammenhängenden Zuwiderhandlungen auf die Zeit nach dem 30. Juni 1988 beziehen, denn das Liefermonitoring begann erst nach dem 18. Oktober 1988 (Randnr. 41 der Entscheidung), und alle von der Kommission angeführten Nachweise für den Gegenstand und die Wirkung des Informationsaustauschs stammen aus der Zeit nach dem 30. Juni 1988 (vgl. Randnrn. 49 bis 60 und Anhang I der Entscheidung).

557.
    Was die somit allein relevante Preisfestsetzungsvereinbarung vor dem 2. Februar 1988 anbelangt, so ist bereits auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes hingewiesen worden, nach der das Verbot in Artikel 65 § 1 des Vertrages in ganzer Strenge gilt und für die vom Vertrag geschaffene Wirtschaftsordnung kennzeichnend ist (Stellungnahme 1/61, S. 566). Unabhängig von der Tragweite der Artikel 46 bis 48, 58 oder 61 des Vertrages ermächtigen diese Bestimmungen die Unternehmen nicht zum Abschluß nach Artikel 65 § 1 des Vertrages verbotener Vereinbarungen über die Preisfestsetzung und gestatten es der Kommission auch nicht, solche Vereinbarungen zu unterstützen oder zu dulden.

558.
    Die Klägerin hat dem Gericht jedenfalls keine Anhaltspunkte geliefert, die es ermöglichen, eine unmittelbare Verbindung zwischen der fraglichen Vereinbarung und den von der Kommission in der Krisenzeit gemäß den Bestimmungen des Vertrages getroffenen Maßnahmen herzustellen.

559.
    Folglich kann das Verhalten der Kommission während der Zeit der offensichtlichen Krise die Einstufung der Preisfestsetzungsvereinbarung vor dem 2. Februar 1988 als Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages nicht beeinträchtigen.

560.
    Es ist jedoch hinzuzufügen, daß trotz des Schreibens von Herrn Davignon und Herrn Andriessen an Eurofer vom 17. Januar 1983 die Praxis der Kommission während der Zeit der offensichtlichen Krise dazu führte, daß nicht ohne weiteres ermittelt werden konnte, worin sie damals die genaue Tragweite von Artikel 65 des Vertrages sah. Sie hat deshalb in Randnummer 311 der Entscheidung zu Recht ausgeführt, daß sie „[i]m Hinblick auf die möglichen Mißverständnisse betreffend die Anwendbarkeit von Artikel 65 in der Zeit der offensichtlichen Krise und der Anwendung des Quotensystems“ beschlossen habe, „gegen die Unternehmen keine Geldbußen für ihr Verhalten bis zum 30. Juni 1988 ... festzusetzen“.

Zum Fortbestand von Mißverständnissen über die Auslegung oder Anwendung von Artikel 65 § 1 des Vertrages nach der Zeit der offensichtlichen Krise

561.
    Zunächst können etwaige nach dem Ende der Zeit der offensichtlichen Krise fortbestehende Zweifel an der tatsächlichen Tragweite von Artikel 65 § 1 des Vertrages oder, angesichts der unklaren Haltung der Kommission bis zum 30. Juni 1988, an deren Standpunkt hierzu keinen Einfluß auf die Einstufung der der Klägerin für die Folgezeit zur Last gelegten Verhaltensweisen als Zuwiderhandlungen haben.

562.
    Nach dem Ende der Zeit der offensichtlichen Krise konnte die Klägerin jedenfalls keine ernsthaften Zweifel an der Haltung der Kommission zur Anwendung von Artikel 65 § 1 des Vertrages oder an der Tragweite dieser Bestimmung in bezug auf die ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlungen haben.

563.
    Insoweit erkannte die Kommission Mitte der achtziger Jahre, daß das Quotensystem und seine Begleitmaßnahmen die für eine dauerhafte Sanierung derBranche als unabdingbar angesehenen strukturellen Anpassungen keineswegs begünstigten, sondern den Unternehmen eine Art von Schutzschirm verschafft hatten (vgl. dazu den „Bericht der Drei Weisen“, siehe oben, Randnr. 24). Die Kommission stellte daher das Scheitern des seit 1980 geltenden Quotensystems fest und beschloß, über einen Zeitraum von zwei oder drei Jahren die Rückkehr zu einer normalen Wettbewerbsregelung nach den Vorschriften des Vertrages zu planen. Sie erwartete nämlich, daß die Marktkräfte herbeiführen würden, was mit Lenkungsmaßnahmen nicht hatte erreicht werden können, da die Wiederherstellung des freien Wettbewerbs in einer Branche mit struktureller Überkapazität zwangsläufig über kurz oder lang zum Verschwinden der leistungsschwächsten Einheiten führen müßte (siehe oben, Randnrn. 27 und 28).

564.
    Die Kommission war berechtigt, die Regelung für die offensichtliche Krise zu beenden, da die in Artikel 58 § 3 des Vertrages genannten formalen

Voraussetzungen vorlagen. Folglich fanden die „auf marktwirtschaftlichen Prinzipien beruhenden“ normalen Regeln für das Funktionieren des Gemeinsamen Marktes für Kohle und Stahl (Urteil Valsabbia u. a./Kommission, Randnr. 80) nach dem Ende dieser Regelung automatisch wieder Anwendung.

565.
    Diese Änderung der Politik der Kommission wurde den Betroffenen auch klar mitgeteilt und war mit geeigneten Übergangsmaßnahmen verbunden.

566.
    Die Abschaffung des Quotensystems wurde mehrere Jahre vor ihrem Inkrafttreten, nämlich schon 1985, öffentlich angekündigt. Sie wird in zahlreichen offiziellen Schriftstücken aus der Zeit von 1985 bis 1988 klar angesprochen und wurde den Betroffenen zudem, u. a. im Rahmen der Treffen zwischen der Kommission und Eurofer, speziell mitgeteilt (siehe oben, Randnrn. 17 ff.).

567.
    Die Unternehmen wußten insbesondere spätestens seit September 1985, daß eine Übergangsregelung eingeführt worden war. Dabei war die Kommission bereit, das Quotensystem um mehrere Jahre zu verlängern, um es der Industrie zu ermöglichen, sich allmählich auf eine Rückkehr zu normalen Wettbewerbsbedingungen einzustellen. Sie ließ von einer Gruppe von drei „Weisen“ ein Gutachten erstellen, das bestätigte, daß ihre Auffassung zutraf und daß die Industriellen die Schwere der Krise und die Notwendigkeit, sich an die weltweite Konkurrenz anzupassen, nicht erkannt hatten. Auch 1988 war sie bereit, das Quotensystem bis Ende 1990 zu verlängern, falls sich die Stahlindustrie ihr gegenüber verpflichtete, wenigstens 75 % der von ihr festgestellten Überkapazitäten abzubauen. Selbst nach der Rückkehr zu den normalen Wettbewerbsregeln traf die Kommission schließlich verschiedene begleitende Übergangsmaßnahmen, zu denen u. a. das für die Zeit vom 1. Juli 1988 bis zum 30. Juni 1990 durch die Entscheidung Nr. 2448/88 eingeführte Überwachungssystem gehörte. Es kann daher nicht geltend gemacht werden — wie es einige Klägerinnen tun —, daß die Kommission die Unternehmen schuldhaft in eine unzumutbare Situation gebracht habe, indem sie sie plötzlich und unvorbereitet dem freien Wettbewerb überlassen habe.

568.
    Außerdem hat Eurofer — wie aus dem oben in Randnummer 20 auszugsweise zitierten Protokoll der Sitzung vom 16. Mai 1986 hervorgeht — ihrerseits geprüft, in welcher Weise auf die neue Politik der Kommission reagiert werden kann.

569.
    Darüber hinaus wurden die Unternehmen mehrfach auf das Erfordernis der Einhaltung der Wettbewerbsregeln des Vertrages und insbesondere auf die zwingenden Vorschriften in Artikel 65 aufmerksam gemacht. Namentlich durch die Pressemitteilung vom 4. Mai 1988 und im Lauf des Verwaltungsverfahrens in der Sache „nichtrostender Flachstahl“ erhielten sie ganz klare Hinweise. Ferner wurden in die Protokolle einiger Treffen von Vertretern der Kommission und der Industrie auf ausdrückliches Verlangen der Kommissionsbeamten offizielle Erklärungen oder Warnungen aufgenommen (siehe unten, Randnrn. 589 und 590).

570.
    Im übrigen ist bereits festgestellt worden, daß die vorliegende Rechtssache Vereinbarungen oder verabredete Praktiken zur Preisfestsetzung, zur Aufteilung der Märkte und zum Austausch nach Ländern und Unternehmen aufgeschlüsselter Informationen über Aufträge und Lieferungen der beteiligten Unternehmen betrifft, die zur Koordinierung ihrer Geschäftstätigkeiten und zur Beeinflussung der Handelsströme nach dem Ende der Krisenzeit dienten. Die Unternehmen konnten keine ernstlichen Zweifel daran haben, daß solche Verhaltensweisen gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages verstießen.

571.
    Da es sich um klare Verstöße gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages handelte, bedurfte es zu ihrer Feststellung auch keiner „Anpassung“ der Wettbewerbsregeln des EGKS-Vertrags an die Regeln des EG-Vertrags durch die Kommission, so daß das Vorbringen der Klägerinnen zu den von ihr ab 1990 angestellten Überlegungen zur Zukunft des EGKS-Vertrags irrelevant ist.

572.
    Die Klägerinnen können sich demnach nicht auf angebliche Mißverständnisse in bezug auf die Anwendung oder die Tragweite von Artikel 65 § 1 des Vertrages nach dem Ende der Regelung für die offensichtliche Krise berufen.

Zur Verwicklung der GD III in die nach dem Ende der Regelung für die offensichtliche Krise festgestellten Zuwiderhandlungen

573.
    Um diesen Aspekt der Klage näher aufzuklären, hat das Gericht durch Beschluß vom 10. Dezember 1997 die Vorlage der Noten, Aktenvermerke oder Protokolle angeordnet, die die Beamten der GD III in Zusammenhang mit ihren Treffen mit den Vertretern der Stahlindustrie während des Anwendungszeitraums des Überwachungssystems verfaßt haben, das durch die Entscheidung Nr. 2448/88 eingeführt worden war. Es hat ferner Herrn Ortún, Herrn Vanderseypen und Herrn Kutscher als Zeugen zu den Kontakten zwischen der GD III und der Stahlindustrie in der Zeit vernommen, die bei der Bußgeldbemessung in der Entscheidung als Zeitraum der Zuwiderhandlung zugrunde gelegt wurde.

574.
    Weder die Aktenstücke, die dem Gericht von den Parteien vorgelegt wurden, noch die von ihm angeordneten Beweisaufnahmen und prozeßleitenden Maßnahmen haben den Nachweis erbracht, daß die GD III von den der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlungen gegen Artikel 65 des Vertrages wußte oder sie gar veranlaßte, unterstützte oder duldete.

575.
    Es gibt insbesondere keinen Beleg dafür, daß die Kommission von den in der Entscheidung beanstandeten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken zur Festsetzung von Zielpreisen und zur Aufteilung der Märkte, von den Informationsaustauschsystemen, die über den von ihr selbst im Rahmen der Treffen zur Vorbereitung der Vorausschätzungsprogramme organisierten Austausch hinausgingen, und speziell von dem in den Randnummern 39 bis 60 und 263 bis 272 der Entscheidung beschriebenen Auftrags- und Liefermonitoring oder von dem

in den Randnummern 143 und 144 der Entscheidung beschriebenen System des Austauschs individueller Statistiken im Rahmen von Eurofer wußte.

576.
    In diesem Zusammenhang äußerte sich der Rat auf seiner 1255. Tagung in Luxemburg am 24. Juni 1988 wie folgt (vgl. Anlage 3 der Klagebeantwortung in der Rechtssache T-151/94):

—    Er nahm zur Kenntnis, daß die Kommission das Quotensystem bei allen Stahlerzeugnissen zum 30. Juni 1988 auslaufen lassen wollte.

—    Er befürwortete eine Reihe von Maßnahmen, um den Unternehmen die Anpassung an mögliche Nachfrageänderungen zu erleichtern, und zwar die Erstellung monatlicher Statistiken über Produktion und Lieferungen auf der Grundlage von Artikel 47 des Vertrages, die laufende Beobachtung der Marktentwicklung im Rahmen der auf Artikel 46 des Vertrages gestützten Vorausschätzungsprogramme und regelmäßige Erörterungen der Marktlage und der Markttendenzen mit den Beteiligten.

—    Er unterstrich zugleich, daß niemand das Überwachungssystem dazu mißbrauchen dürfe, um Artikel 65 des Vertrages zu umgehen.

577.
    Die Kommission führte daher auf der Grundlage der Entscheidung Nr. 2448/88 ein System zur Marktüberwachung unter Mitwirkung von Eurofer ein.

578.
    Es trifft zu, daß die Kommission in diesem Rahmen das generelle Ziel verfolgte, das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage zu erhalten und folglich das allgemeine Preisniveau zu stabilisieren, um es den Stahlunternehmen zu ermöglichen, wieder Gewinne zu erzielen (vgl. z. B. den internen Vermerk der GD III vom 24. Oktober 1988 über das Treffen mit der Industrie am 27. Oktober 1988, die Aktennotiz der GD III vom 10. Mai 1989 über das Konsultationstreffen am 27. April 1989, die Aktennotiz der GD III vom 28. Oktober 1989 über das Konsultationstreffen am 26. Oktober 1989 und den internen Vermerk der GD III vom 8. November 1989 über ein Treffen mit den Herstellern am 7. November 1989).

579.
    Die Kommission favorisierte somit die Konsultation der auf dem Markt tätigen Hersteller mit dem Ziel, direkte Informationen über die Markttendenzen zu erhalten und so für eine größere Transparenz der verfügbaren Informationen zu sorgen (vgl. den internen Vermerk der GD III vom 24. Oktober 1988), um die Anpassung der Unternehmen an mögliche Nachfrageänderungen zu erleichtern.

580.
    Dieser umfassende und ins einzelne gehende Informationsaustausch, in den die Verkaufsleiter der Unternehmen einbezogen waren, denen eine größere Nähe zum tatsächlichen Marktgeschehen zugeschrieben wurde (vgl. den internen Vermerk vom 24. Oktober 1988), erstreckte sich u. a. auf die Angebots- und Nachfrageparameter sowie auf das Niveau und die vergangene und künftige

Entwicklung der Preise der verschiedenen Stahlerzeugnisse auf den jeweiligen nationalen Märkten. Die Kommission appellierte auch regelmäßig an den Sinn der Hersteller für Mäßigung und Selbstdisziplin, indem sie sie z. B. aufforderte, das Angebot bei ungünstiger Konjunkturentwicklung einzuschränken.

581.
    Wie die folgende Prüfung zeigt, gibt es in den Akten indessen keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Kommission bei dieser Gelegenheit die verschiedenen Absprachen unterstützte oder duldete, die der Klägerin in der Entscheidung zur Last gelegt werden.

— Vereinbarungen über die Preisfestsetzung

582.
    Zu den der Klägerin zur Last gelegten Vereinbarungen über Preisfestsetzungen ist bereits festgestellt worden, daß es sich im vorliegenden Fall entgegen ihrer Behauptung nicht um den bloßen Austausch von Informationen über „Preisprognosen“ handelte, sondern um echte Vereinbarungen über Preisfestsetzungen. Nichts in den Akten läßt darauf schließen, daß die Kommission von solchen Vereinbarungen Kenntnis hatte.

583.
    Es trifft zu, daß in zahlreichen Unterlagen über Treffen zwischen der Industrie und der GD III von Preisprognosen die Rede ist.

584.
    Es trifft ferner zu, daß im nachhinein aus den gesamten dem Gericht vorgelegten Unterlagen hervorgeht, daß einige Informationen, die der GD III über die künftigen Trägerpreise gegeben wurden, auf Vereinbarungen in der Träger-Kommission beruhten (vgl. u. a. die Protokolle der Sitzungen der Träger-Kommission vom 18. Oktober 1988, 10. Januar, 19. April, 6. Juni und 11. Juli 1989 in Verbindung mit den Protokollen und „Speaking Notes“ der Konsultationstreffen vom 27. Oktober 1988, 26. Januar, 27. April und 27. Juli 1989).

585.
    Die Beamten der GD III konnten jedoch damals nicht erkennen, daß von den zahlreichen Informationen, die ihnen Eurofer u. a. in bezug auf die allgemeine Marktlage, die Lagerbestände, die Ein- und Ausfuhren sowie die Nachfragetendenzen verschaffte, die Preisinformationen auf Vereinbarungen der Unternehmen beruhten.

586.
    Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß trotz der sehr großen Zahl von Treffen und Kontakten zwischen den Unternehmen und der GD III keine der Klägerinnen geltend gemacht hat, die GD III auch nur inoffiziell über ihre Beteiligung an den in der Entscheidung als Zuwiderhandlungen eingestuften Verhaltensweisen informiert zu haben. Der GD III wurde auch kein Sitzungsprotokoll der Träger-Kommission übermittelt, obwohl die Unternehmen wissen mußten, daß die GD III die in diesen Protokollen enthaltenen eingehenden Informationen sehr geschätzt hätte.

587.
    Den Aktenstücken und insbesondere den „Speaking Notes“ zu den Treffen zwischen der Kommission und der Industrie sowie den vom Gericht angeordneten Beweisaufnahmen und prozeßleitenden Maßnahmen läßt sich allenfalls entnehmen, daß die GD III wußte, daß vor den Treffen mit der Kommission Sitzungen der Mitgliedsunternehmen von Eurofer stattfanden, die darin die Entwicklung der einzelnen Marktparameter erörterten, bis sie zu einer Art von Konsens in bezug auf die künftigen Markttendenzen kamen, dessen Inhalt dann Gegenstand der Gespräche mit der GD III war.

588.
    Wie Herr Kutscher bei seiner Vernehmung als Zeuge ausdrücklich eingeräumt hat, war der GD III zwar bekannt, daß die Unternehmen im Rahmen dieser Sitzungen ihre jeweiligen Prognosen für die künftigen Preise und sogar ihre entsprechendenindividuellen Absichten austauschten; er hat aber auch die Ansicht vertreten, daß ein solcher Meinungsaustausch der Hersteller nicht unter Artikel 65 § 1 des Vertrages falle, selbst wenn ihm tatsächlich eine den ausgetauschten Prognosen entsprechende allgemeine Preisänderung folge, sofern sich dieser Meinungsaustausch auf konjunkturelle Feststellungen beschränke und nicht zu einer Vereinbarung oder Absprache über die Preisänderung führe.

589.
    Überdies enthält das Protokoll des Konsultationstreffens vom 26. Januar 1989 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 16) eine ausdrückliche Warnung von Herrn Kutscher, wonach die Kommission, wenn sie feststellen sollte, daß innerhalb des Industriezweigs Vereinbarungen über Mengen und Preise vorliegen, die gegen Artikel 65 des Vertrages verstoßen, die erforderlichen Schritte einleiten würde. Bei seiner Vernehmung als Zeuge hat Herr Kutscher ausgeführt, daß er diese Erklärung auf ausdrücklichen Wunsch des Kommissionsmitglieds Narjes schriftlich habe festhalten lassen, um die Industrie klar darauf hinzuweisen, daß nach dem Ende des Quotensystems der freie Wettbewerb voll stattfinden müsse und daß die Bestimmungen von Artikel 65 des Vertrages strikt einzuhalten seien, damit sich ein Kartell wie bei nichtrostendem Flachstahl nicht wiederhole.

590.
    Herr Kutscher hat, ohne daß ihm die Klägerinnen insoweit widersprochen hätten, weiter ausgeführt, daß er drei ähnliche Erklärungen am 1. und 20. Juni 1988 sowie im Oktober 1988 vor dem Beratenden Ausschuß der EGKS abgegeben habe.

591.
    Aus der Aktennotiz der GD III über das Konsultationstreffen am 27. Juli 1989 geht außerdem hervor, daß Herr Kutscher unter Bezugnahme auf eine ihm verdächtig erscheinende Ankündigung einer Preiserhöhung darauf hinwies, daß die Kommission auf die vollständige Einhaltung der Vorschriften in Artikel 65 des Vertrages Wert lege. Die Antwort des Vertreters der Träger-Kommission, daß sich die von dieser Erhöhung betroffenen Unternehmen darauf beschränkt hätten, den Handel und die Kunden über ihre jeweiligen Preiserhöhungsabsichten zu informieren, ergab den Eindruck, daß es sich um ein eigenständiges Verhalten handelte.

592.
    Die Klägerinnen haben somit nicht nachgewiesen, daß die ihnen in der Entscheidung zur Last gelegten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken zur Preisfestsetzung den Beamten der GD III bekannt waren oder von diesen sogar geduldet oder unterstützt wurden.

— Vereinbarungen über die Harmonisierung der Aufpreise

593.
    Wie zuvor in den Randnummern 305 ff. bereits ausgeführt worden ist, war der Kommission die von den Unternehmen praktizierte Harmonisierung der Aufpreise nicht bekannt. Diese Feststellung wird nicht dadurch in Frage gestellt, daß es in der „Speaking Note“ von Eurofer für das Konsultationstreffen am 27. Juli 1989 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 18) heißt, die Dimensions- und Güteaufpreise würden vermutlich steigen, und daß diese Prognose offenbar als Grundlage für die Bemerkung der Kommission im Vorausschätzungsprogramm Stahl für das dritte Quartal 1989 (ABl. 1989, C 178, S. 2 bis 9) diente, wonach es „keine Anzeichen für stärkere Aufwärtsbewegungen [bei den Preisen für Formstahl] in den kommenden Monaten [gibt], außer bei Preiszuschlägen, die generell europaweit harmonisiert werden“.

— Vereinbarungen zur Aufteilung der Märkte

594.
    Die Akten belegen nicht, daß die Unternehmen von der Kommission ermuntert wurden, sich abzustimmen, um u. a. durch den Abschluß von Vereinbarungen im Rahmen der Traverso-Methode oder in bezug auf den französischen Markt im vierten Quartal 1989 den Markt zu regulieren oder zu stabilisieren.

595.
    Es gibt in den Akten keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Kommission die Traverso-Methode kannte, die erstmals im Juli 1988 und damit vor Beginn der Konsultationstreffen im Oktober 1988 eingesetzt wurde.

596.
    Hinsichtlich der Vereinbarung über den französischen Markt für das vierte Quartal 1989 haben die Klägerinnen vor allem auf das Protokoll des Konsultationstreffens vom 1. September 1989 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 32) verwiesen, in dem es in bezug auf die Lage auf dem französischen Markt heißt: „Es wurde an die nationalen Hersteller appelliert, Zurückhaltung zu üben, um die anderen Märkte der Gemeinschaft nicht zu destabilisieren.“ Bei diesem Protokoll handelt es sich jedoch im Gegensatz zu den „Speaking Notes“, die der Kommission zur Kenntnisnahme übermittelt wurden, um ein allein von Eurofer verfaßtes Schriftstück, das die Kommission bis zum vorliegenden Verfahren nicht kannte, und im internen Vermerk der GD III zum gleichen Treffen ist von einem solchen Appell zur Zurückhaltung keine Rede. Dem fraglichen Schriftstück fehlt daher der Beweiswert. Der darin angesprochene Appell zur Zurückhaltung ist im übrigen allgemein gehalten und läßt nicht darauf schließen, daß ihm eine Vereinbarung über die Aufteilung des französischen Marktes zugrunde lag.

597.
    Die Klägerinnen haben in ihren gemeinsamen Ausführungen darauf verwiesen, daß es in dem genannten Protokoll heißt: „Der Vorsitzende [des Treffens] stimmte zu, daß das Vorausschätzungsprogramm als Leitlinie für ein vernünftiges Marktverhalten ... angesehen werden sollte.“ Unmittelbar davor wird im gleichen Schriftstück ausgeführt, mangels eines Quotensystems könne nur daran appelliert werden, sich vernünftig zu verhalten, ohne daß es eine Garantie für das Ergebnis gebe. Dies zeigt, daß das vernünftige Verhalten oder die Selbstdisziplin, die die Kommission von der Industrie erwartete, von jedem einzelnen an den Tag gelegt werden und nicht das Ergebnis einer Absprache der Hersteller sein sollte.

598.
    Es trifft zu, daß es in der „Speaking Note“ für das Konsultationstreffen am 27. April 1989 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 17) zur Lage auf dem Betonstahlmarkt heißt (S. 8): „Darüber hinaus stellen einige Veränderungen bei den traditionellen Handelsströmen, die derzeit aufgrund von Angeboten italienischer Hersteller auf dem deutschen und dem französischen Markt stattfinden, angesichts der unmittelbaren Auswirkung dieser Angebote auf das Preisniveau eine starke Bedrohung für die Preisstabilität in diesem Bereich dar. Dies könnte leicht zu schweren Einbußen bei Walzdraht führen und muß daher aufmerksam beobachtet werden.“ Und in der „Speaking Note“ für das Konsultationstreffen am 27. Juli 1989 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 18) wird zu den „negativen Faktoren“, die die Preisentwicklung auf dem Markt für Langerzeugnisse beeinflußten, die „Zunahme der Interpenetrationen“ gezählt.

599.
    Diese Anhaltspunkte sind jedoch kein ausreichender Nachweis dafür, daß die Kommission zu dieser Zeit ihre frühere Politik der Aufrechterhaltung traditioneller Handelsströme fortsetzte oder eine ähnliche Politik der Hersteller auch nur stillschweigend billigte. Zum einen handelt es sich nämlich um vereinzelte und dadurch atypische Angaben in den „Speaking Notes“ und den Protokollen der damals sehr zahlreichen Treffen. Zum anderen sind sie im wesentlichen beschreibender Art, beschränken sich auf die Wiedergabe der Beurteilung der konjunkturellen Lage durch die Industrie und laufen allenfalls darauf hinaus, daß eine „aufmerksame Beobachtung“ gefordert wird, ohne ein Tätigwerden auf dem Markt als Reaktion auf die angesprochene „Bedrohung“ auch nur in Betracht zu ziehen.

— Austausch von Informationen über Aufträge und Lieferungen

600.
    Aus den Akten geht hervor, daß die von der Klägerin angesprochene „Monitoring Group“ (siehe oben, Randnr. 364), die 1978 von der Kommission und den Stahlunternehmen geschaffen worden sein soll, mit der Zuwiderhandlung, die der Klägerin in bezug auf den als „Monitoring“ bezeichneten Austausch von Informationen über Aufträge und Lieferungen im Rahmen der Träger-Kommission zur Last gelegt wird, nichts zu tun hat (vgl. die Antwort der Kommission vom 21. Januar 1998 auf Fragen des Gerichts).

601.
    Aus den Akten geht ferner nicht nur hervor, daß die Kommission vom Austausch von Informationen über Aufträge und Lieferungen im Rahmen der Träger-Kommission keine Kenntnis hatte, sondern daß Eurofer sowohl der GD III als auch der GD IV die Existenz von Informationsaustauschsystemen, die sich auf individualisierte Daten erstreckten, bewußt verheimlichte.

602.
    Bei dem Treffen im kleinen Kreis vom 21. März 1989, an dem Vertreter der GD III und der Industrie teilnahmen (vgl. das Protokoll dieses Treffens, Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 3, Schriftstück 24), teilte Herr von Hülsen, der Generaldirektor von Eurofer, der GD III mit, daß im Rahmen dieser Vereinigung ein System beschleunigter statistischer Erhebungen eingeführt worden sei, das sich auf die zusammengefaßten monatlichen Auftrags- und Lieferdaten erstrecke; er teilte aber nicht mit, daß das Auftrags- und Liefermonitoring eingeführt worden war, obwohl dessen erste Ergebnisse von den beteiligten Unternehmen in der Sitzung der Träger-Kommission vom 9. Februar 1989 erstmals erörtert worden waren.

603.
    Herr Vanderseypen, der in der mündlichen Verhandlung als Zeuge vernommen worden ist, hat bestätigt, daß die fraglichen Schnellstatistiken auf Unternehmensebene zusammengefaßt, aber nach Produkten und nationalen Zielmärkten aufgeschlüsselt waren, so daß kein Unternehmen den Marktanteil seiner Konkurrenten ermitteln konnte. Er hat hinzugefügt, die Kommission habe von Eurofer nie nach Unternehmen aufgeschlüsselte Zahlen erhalten und keine Kenntnis davon gehabt, daß bei Eurofer solche Zahlen in Umlauf gewesen seien.

604.
    Aus den in den Anhängen I und II der Entscheidung aufgeführten Unterlagen ergibt sich aber, daß nach Unternehmen und nationalen Märkten aufgeschlüsselte Auftrags- und Lieferstatistiken unter den betreffenden Unternehmen, zu denen auch die Klägerin gehörte, sowohl im Rahmen des in den Randnummern 39 bis 60 der Entscheidung beschriebenen Monitoring als auch im Rahmen des in den Randnummern 143 bis 146 der Entscheidung beschriebenen Austauschs von Informationen mit Hilfe von Eurofer ausgetauscht wurden.

605.
    Im Schreiben vom 22. Juni 1990 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 4, Schriftwechsel 1) sprach Herr Temple Lang, Direktor in der GD IV, u. a. das allgemeine Problem der Sammlung und des Austauschs von Informationen und statistischen Angaben im Rahmen von Eurofer an. Er wies darauf hin, daß es die Kommission in einer Sitzung des Statistischen Ausschusses Stahl vom 11. Juni 1990 „angesichts der ungewöhnlichen Lösung bei der Sammlung von Informationen für erforderlich hielt, die Mitglieder des Ausschusses und insbesondere den Vertreter von Eurofer auf die Anwendbarkeit von Artikel 65 EGKS-Vertrag aufmerksam zu machen“. Er wies ferner auf den „Standpunkt der Kommission in der Frage der gemeinsamen Erstellung von Statistiken und des Informationsaustauschs ... unter Unternehmen oder im Rahmen einer dritten Stelle“ hin, wobei er den Unterschied „zwischen einer Vereinbarung über die Sammlung allgemein bekannter und nicht

aktueller Informationen einerseits und der Sammlung aktueller und detaillierter Statistiken, die den Konkurrenten sonst nicht zugänglich wären, andererseits“ hervorhob. Er fügte hinzu, daß die Mitglieder des Ausschusses bereits in der Sitzung vom 7. Juli 1989 durch die Übersendung einer Kopie der Bekanntmachung von 1968 informiert worden seien. Er ersuchte den Generaldirektor von Eurofer deshalb um eine Reihe von Auskünften, um „prüfen zu können, ob [seine] Aktivitäten im Bereich der gemeinsamen Erstellung von Statistiken den wirksamen Wettbewerb beeinträchtigen können“, und insbesondere um eine „Beschreibung der Methode zur Sammlung und Verteilung von Statistiken innerhalb [seiner] Vereinigung“.

606.
    Aus der Antwort des Generaldirektors von Eurofer vom 24. Juli 1990 (Klageschrift in der Rechtssache T-151/94, Anhang 4, Schriftwechsel 1) geht jedoch hervor, daß die GD IV trotz ihrer ausdrücklichen Bitte nicht genau über Art und Umfang des Informationsaustauschs im Rahmen von Eurofer sowie unter den Mitgliedern der Träger-Kommission — d. h. darüber, daß es sich um individuelle, nach Unternehmen und Ländern aufgeschlüsselte Auftrags- und Lieferdaten handelte — informiert wurde.

607.
    Zugleich richtete die Verwaltung von Eurofer am 30. Juli 1990, also weniger als eine Woche nach der Antwort von Eurofer auf das Auskunftsverlangen der GD IV, u. a. an den Vorsitzenden und das Sekretariat der Träger-Kommission ein Schreiben mit der Überschrift „Austausch und Verteilung von Statistiken“ (S. 1681 der Akten der Kommission), dessen Wortlaut in Randnummer 44 der Entscheidung wie folgt wiedergegeben wird:

„Die jüngste Entscheidung der Kommission in der Sache nichtrostende Flacherzeugnisse und verschiedentliche Kontakte zwischen der GD IV und dem Eurofer-Vorstand haben die Aufmerksamkeit auf die Frage des Austauschs bzw. der Verteilung von Statistiken durch uns oder die Ausschußsekretariate und deren Vereinbarkeit mit Artikel 65 des EGKS-Vertrags gelenkt.

Bis zu einer eingehenden rechtlichen Prüfung der Frage haben wir beschlossen, die Weitergabe von Statistiken mit individualisierten Produktions-, Liefer- oderAuftragszahlen auszusetzen, und bitten Sie, auch im Rahmen Ihres Ausschusses einstweilen von einer derartigen Weitergabe abzusehen.

Von diesem Ersuchen nicht betroffen sind natürlich die Erfassung individualisierter Zahlen durch eine neutrale Stelle, d. h. Eurofer, und die Weitergabe globaler Ergebnisse ohne individualisierte Zahlen, wie wir dies gewöhnlich tun. Solche Statistiken sind rechtlich absolut unbedenklich, da mit ihnen nur überschlägige Informationen über die Wirtschafts- und Marktentwicklung vermittelt werden sollen. Diese Statistiken werden von uns wie bisher fortgeführt, wobei Sie in gleicher Weise verfahren können.“

608.
    Somit ist festzustellen, daß Eurofer — trotz des an sie gerichteten ausdrücklichen Auskunftsverlangens der GD IV — der Kommission den Austausch und die Verteilung individueller Statistiken, die mit ihrem Wissen in ihren Produktausschüssen und insbesondere in der Träger-Kommission stattfanden, bewußt verheimlichte und die Ausschüsse zugleich bat, davon künftig abzusehen.

609.
    Im übrigen ist erwiesen, daß die Mitgliedsunternehmen der Träger-Kommission, nachdem sie der Bitte von Eurofer vom 30. Juli 1990 zunächst nachgekommen waren, den Austausch nach Unternehmen aufgeschlüsselter Daten mit Billigung der Verwaltung von Eurofer rasch wiederaufnahmen; nur British Steel weigerte sich, solche Informationen zur Verfügung zu stellen (vgl. Randnrn. 44 bis 46 der Entscheidung).

— Sonstige Vereinbarungen

610.
    Die Klägerin hat — abgesehen von den Eurofer/Scandinavia-Vereinbarungen, die das Gericht gesondert geprüft hat — nicht einmal behauptet, geschweige denn nachgewiesen, daß die GD III von den übrigen Vereinbarungen wußte, die der Klägerin in der Entscheidung zur Last gelegt werden.

— Ergebnis

611.
    Aus alledem ist zu schließen, daß die Stahlunternehmen und ihre Wirtschaftsvereinigung Eurofer der Kommission ab 1988 relativ allgemeine und ungenaue Angaben zukommen ließen und zugleich ihrerseits neben ihren wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen ganz präzise und eingehende, auf einzelne Unternehmen bezogene Gespräche führten, deren Existenz und Inhalt sie sowohl der GD III als auch der GD IV verheimlichten. Die Unternehmen waren sich über die unterschiedliche Natur dieser beiden Kategorien von Informationen voll und ganz im klaren und gingen bewußt so vor, daß sie nur die einen, nicht aber die anderen der Kommission mitteilten.

612.
    Die Unternehmen verletzten folglich die Wettbewerbsregeln des Vertrages und trafen zugleich Vorkehrungen, um sich vor der Wachsamkeit der mit der Marktüberwachung betrauten Beamten der GD III zu schützen. Sie können sich daher zur Entlastung von ihrer Pflicht zur Einhaltung von Artikel 65 § 1 des Vertrages nicht darauf berufen, daß diese Beamten von ihren Praktiken gewußt hätten oder hätten wissen müssen.

613.
    Artikel 65 § 4 des Vertrages, der vorsieht, daß nach § 1 untersagte Vereinbarungen und Beschlüsse „nichtig“ sind, hat jedenfalls einen objektiven Inhalt und ist sowohl für die Unternehmen als auch für die Kommission verbindlich, die die Unternehmen davon nicht freistellen kann (vgl. Stellungnahme 1/61 des Gerichtshofes). Unter diesen Umständen kann eine Duldung oder ein nachlässiges Vorgehen der Verwaltung keinen Einfluß auf die Rechtswidrigkeit eines Verstoßes

gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages haben (Urteile Lucchini/Kommission und Bertoli/Kommission).

614.
    Dies gilt insbesondere dann, wenn die fragliche Duldung — ihr Vorliegen unterstellt — von der für die gewerbliche Wirtschaft zuständigen Generaldirektion der Kommission ausgeht und nicht von der Generaldirektion für Wettbewerbsfragen. Beim geringsten Zweifel der Unternehmen an der Rechtmäßigkeit ihres Verhaltens hätten sie sich zur Klärung der Lage an die Dienststellen der GD IV wenden müssen.

615.
    Es liegt auf der Hand, daß das Schreiben des Vorsitzenden von Eurofer an Herrn Davignon vom 8. Februar 1983 (siehe oben, Randnr. 11) nicht geeignet ist, die Unternehmen von ihrer Verantwortung für Verhaltensweisen in einem anderen Zeitraum und während der Geltung einer völlig anderen Regelung zu entlasten. Aus dem Schreiben läßt sich auch keine Verpflichtung der Kommission herleiten, beim geringsten Verdacht auf wettbewerbswidriges Handeln sofort tätig zu werden. Davon abgesehen beruht das Schreiben auf der Prämisse, daß die Kommission über „alle Einzelheiten“ der Praktiken von Eurofer „gewissenhaft informiert“ wurde, was hier nicht geschehen ist.

Zu der Frage, ob die der Klägerin zur Last gelegten Handlungen insbesondere im Hinblick auf die Artikel 46 bis 48 des Vertrages erlaubt waren

616.
    Wie bereits festgestellt, ließen die Artikel 46 bis 48 des Vertrages die hier relevanten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken nicht zu (siehe oben, Randnrn. 286 bis 290).

617.
    Im übrigen haben die Klägerinnen insbesondere in ihrem gemeinsamen Vorbringen unter Bezugnahme auf die Auffassung von Professor Reuter selbst eingeräumt, daß die von der Kommission im Rahmen dieser Artikel in „Zusammenarbeit“ mit den Beteiligten und mit ihrem Einverständnis getroffenen Maßnahmen, auch wenn sie „offensichtlich verabredete Praktiken darstellen“, nur dann nicht unter Artikel 65 des Vertrages fallen, wenn „die Hohe Behörde selbst mitspielt und sogar dirigiert“.

618.
    Desgleichen hat Professor Steindorff in seinen Ausführungen, die er in der mündlichen Verhandlung im Namen der Klägerinnen gemacht hat, in bezug auf den Austausch von Informationen unter Unternehmen zur Vorbereitung der Treffen mit der Kommission erklärt, ein solcher vorheriger Austausch sei nur dann nicht nach Artikel 65 § 1 des Vertrages verboten, wenn die Kommission ihn leite. Die Unternehmen müßten in gutem Glauben handeln und diesen Austausch als bloße Vorbereitung für die Gespräche mit der Kommission ansehen, die ihrerseits im Rahmen von Artikel 46 des Vertrages tätig werde.

619.
    Dies war hier nicht der Fall. Aus den Akten geht vielmehr hervor, daß die in der Entscheidung genannten Unternehmen, als ihnen klar wurde, daß die Kommission nichts mehr tun wollte, um die Stabilität der traditionellen Handelsströme

aufrechtzuerhalten, sich an ihre Stelle setzten und begannen, als privates Kartell tätig zu werden. So bemühten sich die fraglichen Unternehmen nach dem Auslaufen des Quotensystems am 30. Juni 1988, die während der Krisenzeit eingeführten hoheitlichen Maßnahmen durch gemeinsame, vor allem im Rahmen der Träger-Kommission getroffene private Maßnahmen zu ersetzen.

620.
    Diese Reaktion wurde durch das von der GD III ab Juli 1988 eingeführte System der Überwachung und Konsultation weder erforderlich gemacht noch herausgefordert oder nahegelegt.

621.
    Im übrigen waren die Zuwiderhandlungen und insbesondere der in der Entscheidung beanstandete Informationsaustausch geheim, und es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Käufer, die übrigen Hersteller oder die Kommission darüber informiert wurden. Die bereits geprüften Bestandteile der Akten zeigen vielmehr, daß die Unternehmen darauf achteten, ihr Vorgehen vor der Kommission zu verbergen, wobei sie u. a. eine Sondersitzung der Ausschüsse von Eurofer durchführten, die der Abfassung der Sitzungsprotokolle gewidmet war.

622.
    Die in der Entscheidung genannten Trägerhersteller ersetzten folglich nach dem Auslaufen der Regelung für die offensichtliche Krise gemeinsam und entgegen dem ausdrücklichen Willen der Kommission, der u. a. in der Pressemitteilung vom 4. Mai 1988 über die Sache „nichtrostender Flachstahl“ zum Ausdruck kam, die hoheitliche Verwaltung der Branche heimlich durch ihr eigenes System kollektiver Marktordnung, um die Wirkungen des normalen Wettbewerbs auszuschalten oder zu mildern. Ein solches Verhalten ist nach Artikel 65 § 1 des Vertrages verboten.

623.
    Im übrigen spielt es für das vorliegende Urteil keine Rolle, ob es eine nach Artikel 65 § 1 des Vertrages verbotene verabredete Praktik dargestellt hätte, wenn sich die Unternehmen auf eine allgemeine Erörterung und einen gegenseitigen Austausch von Preisabsichten der von Herrn Kutscher beschriebenen Art beschränkt hätten, um die Kommission über die Markttendenzen zu informieren. Erstens war dies nicht das Ziel der streitigen Vereinbarungen und verabredeten Praktiken. Zweitens hat die Kommission derartige Verhaltensweisen in der Entscheidung nicht beanstandet. Drittens setzten im vorliegenden Fall die Kontakte zwischen den Herstellern vor dem Meinungsaustausch mit der Kommission über die wichtigsten Parameter und die Tendenzen des Marktes keineswegs die Begehung der in der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlungen voraus. Schließlich können die Klägerinnen, da sie ihr Vorgehen der Kommission nicht in vollem Umfang offenbart haben, keinesfalls geltend machen, nicht unter das Verbot in Artikel 65 § 1 des Vertrages zu fallen.

624.
    Daher ist das gesamte aus den Aktivitäten der GD III abgeleitete Vorbringen der Klägerinnen zur Stützung des Antrags auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung zurückzuweisen.

E — Zum Ermessensmißbrauch

625.
    Im Rahmen gemeinsamer Ausführungen in der mündlichen Verhandlung haben sich die Klägerinnen auf den Klagegrund eines Ermessensmißbrauchs berufen, der darin bestehen soll, daß die Kommission, statt ihre Befugnisse aufgrund des Vertrages und insbesondere dessen Artikel 58 auszuüben, die Hersteller habe „zwingen“ wollen, die von ihr als unabdingbar angesehenen Umstrukturierungen vorzunehmen, und deren Weigerung durch die Verhängung hoher Geldbußen in der Entscheidung „geahndet“ habe, die am Tag nach dem Abbruch der mit Vertretern der Stahlindustrie geführten Verhandlungen erlassen worden sei.

626.
    Die Klägerin hat sich jedoch in ihren Schriftsätzen nicht auf den Klagegrund eines Ermessensmißbrauchs berufen. Da während des Verfahrens vor dem Gericht kein neuer Gesichtspunkt zutage getreten ist, aus dem sich ein Ermessensmißbrauch ergeben könnte, ist diese Rüge in bezug auf die Klägerin als unzulässig zurückzuweisen.

Zum Hilfsantrag, mit dem die Nichtigerklärung von Artikel 4 der Entscheidung oder zumindest die Herabsetzung der Geldbuße begehrt wird

A — Vorbemerkungen

627.
    In Artikel 4 der Entscheidung wird wegen der in Artikel 1 geschilderten Zuwiderhandlungen eine Geldbuße von 9 500 000 ECU gegen die Klägerin festgesetzt. Die zur Ermittlung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen und der Höhe der individuellen Geldbußen herangezogenen Kriterien sind in den Randnummern 298 bis 317 und 319 bis 324 der Entscheidung zu finden.

628.
    In Beantwortung von Fragen des Gerichts hat die Kommission die Berechnungsweise der Geldbußen näher erläutert und mehrere Übersichten vorgelegt, aus denen sich die Berechnung für jedes einzelne Unternehmen ergibt (vgl. Anlage 6 ihrer Antwort vom 21. Januar 1998, ihre Antwort vom 23. Februar 1998 und die am 19. März 1998 vorgelegten Übersichten).

629.
    Daraus geht hervor, daß die Kommission die Geldbuße anhand eines „Grundtarifs“ von 7,5 % des Trägerumsatzes des betreffenden Unternehmens in der Gemeinschaft im Jahr 1990 ermittelte. Dieser Prozentsatz verteilt sich nach folgendem Schlüssel auf die in Randnummer 300 der Entscheidung genannten drei Arten von Zuwiderhandlungen: Preisfestsetzung 3 %, davon 2,5 % für die Absprachen über die Basispreise und 0,5 % für die Absprachen über die Aufpreisharmonisierung; Marktaufteilung 3 %; Informationsaustausch 1,5 %.

630.
    Die Kommission gewichtete diese Prozentsätze insbesondere nach der Dauer und der räumlichen Ausdehnung jeder Zuwiderhandlung.

631.
    So wandte die Kommission zur Differenzierung der Geldbußen nach Maßgabe der Dauer jeder Zuwiderhandlung — außer bei den Absprachen über die Aufpreisharmonisierung — den Quotienten aus der Zahl der als Zeitraum der Zuwiderhandlung tatsächlich angesetzten Monate und der Höchstzahl von 30 Monaten an. Da sich manche Zuwiderhandlungen nur auf einen oder einige nationale Märkte erstreckten, wandte sie ferner zur Differenzierung der Geldbußen nach Maßgabe der räumlichen Ausdehnung jeder Zuwiderhandlung einen Prozentsatz an, der dem Anteil des fraglichen Marktes oder der fraglichen Märkte am sichtbaren Gesamtverbrauch in der Gemeinschaft entsprach (Deutschland 21 %, Frankreich 17 %, Vereinigtes Königreich 17 %, Spanien 15 %, Italien 14 %, Niederlande 7 %, belgisch-luxemburgische Wirtschaftsunion 6 %, Dänemark 2 %).

632.
    Bei jeder Zuwiderhandlung wurden sodann gegebenenfalls gewisse Zu- oder Abschläge vorgenommen, um etwaigen erschwerenden oder mildernden Umständen Rechnung zu tragen.

633.
    Schließlich wurde der Gesamtbetrag, der sich aus der obigen Berechnung ergab, bei Thyssen, British Steel und Unimétal wegen des Vorliegens eines„Wiederholungsfalls“ um ein Drittel erhöht.

634.
    Nach der Antwort der Kommission vom 19. März 1998 wurde die Geldbuße der Klägerin auf der Grundlage eines relevanten Umsatzes von 172 Millionen ECU wie folgt errechnet:

a) Vereinbarungen über die Preisfestsetzung

Millionen ECU
Träger-Kommission 172 x 2,5 %
x 30/30
4,3000
deutscher Markt 172 x 2,5 % x
21 %
x 3/30
0,0903
italienischer Markt 172 x 2,5 % x
14 %
x 9/30
0,1806
dänischer Markt 172 x 2,5 % x
2 %
x 30/30
0,0860
Aufpreisharmonisierung 172 x 0,5 %
0,8600
Summe
5,5169
b) Vereinbarungen über die Marktaufteilung
Traverso-Methode 172 x 3 % x 6/30
1,0320
französischer Markt 172 x 3 % x 17 % x 3/30
0,0877
deutscher Markt 172 x 3 % x 21 % x 6/30
0,2167
italienischer Markt 172 x 3 % x 14 % x 3/30
0,0722
Summe
1,4086
c) Informationsaustausch

172

x

1,5 %

x

30/30

2,5800

Summe a)+b)+c)

9,5055

Gesamtbetrag der Geldbuße

9,5000

B — Zum fehlenden Verschulden der Klägerin und dem angeblichen Erfordernis, die verbotenen Praktiken näher zu bezeichnen, statt Geldbußen festzusetzen

Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin

635.
    Die Klägerin wiederholt, daß sie weder an Preisfestsetzungen noch an Marktaufteilungen teilgenommen habe. Sie fügt hinzu, sie habe jedenfalls die Unzulässigkeit ihres Verhaltens nicht erkennen können und daher nicht schuldhaft gehandelt.

636.
    Erstens sei nur schwer ersichtlich, inwieweit ein Informationsaustausch über die Preise zulässig sei und wo die Grenze zwischen den Anwendungsbereichen der Artikel 65 und 60 § 1 des Vertrages liege. Die Kommission hätte daher, statt eine Geldbuße festzusetzen, zumindest hinsichtlich des Informationsaustauschs über die Preise die verbotenen Praktiken nach Artikel 60 § 1 Absatz 2 des Vertrages näher bezeichnen müssen. Unter besonderen Umständen könne nämlich die Anwendung dieser Bestimmung der Anwendung von Artikel 65 des Vertrages entgegenstehen (Urteil des Gerichtshofes vom 21. März 1955 in der Rechtssache 6/54, Niederlande/Hohe Behörde, Slg. 1955, 215).

637.
    Zweitens gehe aus dem in Randnummer 312 der Entscheidung angesprochenen „Non-paper“ hervor, daß sich die Kommission schon 1989 des unauflöslichen Widerspruchs zwischen den für die Preisbildung geltenden Bestimmungen des Vertrages und den Erfordernissen des Marktes bewußt gewesen sei. Daß unter diesen Umständen auf der Grundlage von Artikel 65 des Vertrages gegen die Klägerin eine Geldbuße verhängt worden sei, statt gemäß den Artikeln 5 Absatz 2 und 60 § 1 Absatz 2 des Vertrages die verbotenen Praktiken näher zu bezeichnen, stelle einen Ermessensmißbrauch dar.

638.
    Drittens gehe aus verschiedenen Rechtsakten und Schriftstücken der Kommission (insbesondere Entscheidungen, Stellungnahmen, Bekanntmachungen und Berichten) hervor, daß die Klägerin weder die Unzulässigkeit ihres Verhaltens habe erkennen noch die Verhängung einer Geldbuße habe vorhersehen können. So hätten von den früheren Entscheidungen der Kommission nur fünf zu einer Geldbuße geführt, und keine davon wegen eines Informationsaustauschs. Im übrigen habe die Kommission im XXI. Bericht über die Wettbewerbspolitik (Nr. 4, S. 19) die Anpassung der Wettbewerbsregelung des EGKS-Vertrags an ihre langjährige Praxis im Rahmen der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag als eine der wichtigsten Maßnahmen des Jahres 1991 angesehen.

639.
    Viertens habe die Kommission die in der Entscheidung beanstandeten Verhaltensweisen, speziell bei den Aufpreisen, jahrelang geduldet und am Informationsaustausch über die Preise teilgenommen, von dem sie bei ihrer Industriepolitik profitiert habe.

Würdigung durch das Gericht

640.
    Wie bereits festgestellt, ist die angebliche Beteiligung der Kommission an den Zuwiderhandlungen, die der Klägerin zur Last gelegt werden, im vorliegenden Fall nicht erwiesen (siehe oben, Abschnitt D). Ferner ist festgestellt worden, daß der Klägerin zumindest nach dem 30. Juni 1988 die Rechtswidrigkeit der betreffenden Verhaltensweisen bekannt sein mußte und daß die Kommission den EGKS-Vertrag nicht in rechtswidriger Weise an den EG-Vertrag „angepaßt“ hat. Es gab auch in den verschiedenen früheren Stellungnahmen, Entscheidungen, Kommentaren und Berichten der Kommission keinen Anhaltspunkt, aus dem die Klägerin auf die Rechtmäßigkeit irgendeiner ihrer Verhaltensweisen hätte schließen können. Folglich sind die auf die Gutgläubigkeit und das fehlende Verschulden der Klägerin gestützten Argumente in diesem Punkt zurückzuweisen.

641.
    Auch dem Argument, daß die Klägerin angesichts der früheren Verwaltungspraxis der Kommission die Verhängung einer Geldbuße nicht habe vorhersehen können, kann nicht gefolgt werden. Zum einen haben in der Vergangenheit mehrere Entscheidungen der Kommission zu Geldbußen geführt (vgl. die im Fünfzehnten Gesamtbericht der Hohen Behörde von 1966, S. 185 (Nr. 221), wiedergegebenen Entscheidungen, die Entscheidung 70/118/EGKS der Kommission vom 21. Januar 1970 über ein Verfahren auf Grund von Artikel 65 des EGKS-Vertrags bezüglich Kartellvereinbarungen und -praktiken auf dem deutschen Schrottmarkt, ABl. L 29,S. 30, die im Zehnten Bericht über die Wettbewerbspolitik, Nrn. 109 und 110, zusammengefaßten Entscheidungen K(80) 236 endg./1, 2 und 3 vom 27. März 1980 zu Edelstahl und die Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“). Zum anderen hindert die Tatsache, daß einer bestimmten Entscheidung gegebenenfalls ähnliche Rechtssachen vorausgingen, in denen die Kommission die Festsetzung einer Geldbuße nicht für erforderlich hielt, sie im Rahmen dieser Entscheidung jedenfalls nicht an der Ausübung der ihr durch Artikel 65 § 5 des Vertrages ausdrücklich

verliehenen Befugnis zur Verhängung von Sanktionen (so im Rahmen des EG-Vertrags das Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1979 in den Rechtssachen 32/78 und 36/78 bis 82/78, BMW Belgium u. a./Kommission, Slg. 1979, 2435, Randnr. 53).

642.
    Das Argument, daß zwischen den u. a. in Artikel 60 des Vertrages zu findenden Preisvorschriften und den tatsächlichen Marktverhältnissen ein Widerspruch bestanden habe, ist aus den oben in den Randnummern 280 bis 285 genannten Gründen ebenfalls zurückzuweisen.

643.
    Die These, daß die Kommission, statt Geldbußen festzusetzen, gemäß Artikel 60 § 1 Absatz 2 des Vertrages die verbotenen Praktiken näher hätte bezeichnen müssen, findet im Urteil Niederlande/Hohe Behörde vom 21. März 1955 keine Stütze. Die Befugnis, im Rahmen von Artikel 60 des Vertrages eine solche nähere Bezeichnung vorzunehmen, hat nichts mit dem Verbot wettbewerbswidriger Vereinbarungen und verabredeter Praktiken in Artikel 65 des Vertrages zu tun.

644.
    Folglich sind die auf das fehlende Verschulden der Klägerin und das angebliche Erfordernis, statt der Verhängung einer Geldbuße die verbotenen Praktiken näher zu bezeichnen, gestützten Argumente zurückzuweisen.

C — Zur Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße

Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin

645.
    Das in der Entscheidung gewählte allgemeine Bußgeldniveau, das der im Rahmen des EG-Vertrags üblichen Höhe vergleichbar sei, stelle eine ungerechtfertigte Änderung der Wettbewerbspolitik der Kommission im Rahmen des EGKS-Vertrags dar. Die Kommission hätte die Geldbußen nach dem Ende der Krisenregelung allmählich von dem zuvor erreichten Niveau aus anheben müssen. Insoweit sei u. a. auf die grundlegenden Unterschiede zwischen beiden Verträgen, die relativ geringe Zahl von Entscheidungen über die Anwendung der Wettbewerbsregeln des EGKS-Vertrags, den Einfluß der Krisenregelung auf die Praxis der Kommission und das Fehlen einschlägiger Rechtsprechung hinzuweisen. Daraus folge, daß die Rechtsprechung zur Erhöhung von Geldbußen aufgrund des EG-Vertrags (Urteil des Gerichtshofes vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80, 101/80, 102/80 und 103/80, Musique Diffusion Française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnrn. 105 ff.; im folgenden: „Urteil Pioneer“) nicht herangezogen werden könne, um diese Änderung der Politik zu rechtfertigen.

646.
    Die Kommission habe im übrigen weder die Gewichtung der Kriterien, die bei der Ermittlung der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße berücksichtigt worden seien (vgl. Randnrn. 300 bis 307 der Entscheidung), noch die Methode zur Abstufung der gegen die einzelnen Unternehmen festgesetzten Beträge erläutert. Nach dem Grundsatz der Gleichbehandlung hätten die Unternehmen aber das Recht, u. a. zu erfahren, wie ihr Verhalten gegenüber vergleichbaren Fällen eingeordnet worden sei, worauf etwaige Abweichungen bei der Beurteilung

beruhten und welche Bedeutung der betreffenden Zuwiderhandlung beigemessen worden sei.

647.
    Die von der Klägerin zwischen 1988 und 1990 erzielten Gewinne hätten jedenfalls bei der Ermittlung der Geldbuße nicht berücksichtigt werden dürfen (vgl. Randnr. 301 der Entscheidung). Sie seien temporärer Art gewesen (denn in allen anderen Jahren zwischen 1983 und 1993 habe die Klägerin Verluste erlitten) und hätten nur normale Verzinsungsmöglichkeiten des Kapitals geboten (vgl. Artikel 3 Buchstabe c des Vertrages). Durch die Nichtberücksichtigung dieser Verluste sei die Kommission sowohl von ihrer eigenen Praxis (vgl. die Entscheidung 94/599/EG vom 27. Juli 1994 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EG-Vertrags [IV/31.865 — PVC], ABl. L 239, S. 14; im folgenden: PVC-Entscheidung) als auch von der Rechtsprechung des Gerichts (vgl. Urteil vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-2/89, Petrofina/Kommission, Slg. 1991, II-1087, Randnrn. 262 und 265) abgewichen.

648.
    Bei der Abstufung der gegen die einzelnen Unternehmen festgesetzten Geldbußen sei ferner das Verhältnis zwischen ihren jeweiligen Gewinnbeträgen (vgl. die Zahlen in Fußnote 1 von Randnr. 301 der Entscheidung) zu Unrecht nicht berücksichtigt worden.

649.
    Außerdem sei die Kommission bei der Festlegung des Verhältnisses zwischen den verschiedenen Geldbußen durch die unzureichende Berücksichtigung der relativen wirtschaftlichen Bedeutung der Klägerin auf dem europäischen Markt (auf dem sie nur einer der kleineren Stahlhersteller und der viertgrößte Hersteller von Trägern sei) von der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnr. 176, in der Rechtssache 44/69, Buchler/Kommission, Slg. 1970, 733, Randnr. 49, und in der Rechtssache 45/69, Boehringer Mannheim/Kommission, Slg. 1970, 769, Randnr. 53) und ihrer eigenen Praxis abgewichen (vgl. die Entscheidung 69/240/EWG vom 16. Juli 1969 über ein Verfahren nach Artikel 85 des Vertrages [IV/26.623 — Internationales Chininkartell], ABl. L 192, S. 5, Randnr. 40, und die PVC-Entscheidung, Randnr. 53).

650.
    Die Kommission hätte ferner berücksichtigen müssen, daß die Klägerin die Geldbuße nach dem deutschen Steuerrecht nicht von ihren Einkünften abziehen könne.

651.
    Im übrigen habe das für Wettbewerbssachen zuständige Kommissionsmitglied am 24. Februar 1994 vor dem Europäischen Parlament erklärt, daß der gegen alle betroffenen Unternehmen festgesetzte Betrag nur 0,26 % ihres Gesamtumsatzes ausmache. Die gegen die Klägerin verhängte Geldbuße liege weit über diesem Prozentsatz und sei somit überhöht.

652.
    Die Feststellung in Randnummer 303 der Entscheidung, daß die Auswirkungen der Zuwiderhandlungen „beträchtlich“ gewesen seien, stehe in Widerspruch zu den Randnummern 222 und 293 der Entscheidung, nach denen diese Auswirkungen nur begrenzten Umfang gehabt hätten. Sie stehe ferner in Widerspruch zu der Behauptung in Randnummer 304 der Entscheidung, daß nicht versucht zu werden brauche, die genaue Auswirkung der Verstöße zu bestimmen. Die Kommission hätte berücksichtigen müssen, daß die streitigen Zuwiderhandlungen nur begrenzte wirtschaftliche Auswirkungen gehabt hätten (vgl. die Urteile des Gerichtshofes vom 6. März 1974 in den Rechtssachen 6/73 und 7/73, Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial Solvents/Kommission, Slg. 1974, 223, Randnrn. 51 f., und vom 16. Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73, 55/73, 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663, Randnrn. 614 ff.). Die Feststellung, daß die fraglichen Unternehmen einen Großteil des Gemeinschaftsbedarfs befriedigten (vgl. Randnr. 303 der Entscheidung), stelle insoweit keine ausreichende Analyse dar.

653.
    Außerdem hätte die Kommission weder die Pressemitteilung vom 4. Mai 1988 noch die Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ als erschwerenden Umstand berücksichtigen dürfen. In der Pressemitteilung sei kein Kriterium genannt worden, das es ermöglicht hätte, zulässige von unzulässigen Verhaltensweisen zu unterscheiden, während die Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ erst vier Monate vor dem Ende des von der angefochtenen Entscheidung erfaßten Zeitraums veröffentlicht worden sei. Darüber hinaus habe es sich in der Rechtssache „nichtrostender Flachstahl“ um eine bußgeldbewehrte Vereinbarung gehandelt, an der sich die Klägerin nicht beteiligt habe.

654.
    Auch der interne Vermerk der Klägerin vom 10. September 1990 (vgl. Randnr. 307 der Entscheidung) hätte nicht als erschwerender Umstand berücksichtigt werden dürfen. Aus den dort angestellten „ersten juristischen Vorüberlegungen“ zum deutschen Kartellrecht und zu Artikel 85 EG-Vertrag habe die Klägerin geschlossen, daß der Informationsaustausch mit Artikel 65 EGKS-Vertrag vereinbar sei.

655.
    In der Begründung der Entscheidung werde zwischen dem berücksichtigten Gesamtzeitraum (1986 bis 1990) und dem Sanktionszeitraum (Juli 1988 bis Dezember 1990) nicht klar getrennt. Deshalb bestehe der Verdacht, daß die Geldbuße anhand des zuerst genannten Zeitraums festgesetzt worden sei.

656.
    Im übrigen habe die Kommission dadurch einen schweren Ermessensfehler begangen, daß sie die Anpassungsschwierigkeiten außer acht gelassen habe, denen die Stahlindustrie beim plötzlichen Übergang von einer acht Jahre lang angewandten Krisenregelung mit planwirtschaftlichen Elementen zu einer Wettbewerbsregelung ausgesetzt gewesen sei.

657.
    Schließlich habe die Kommission in mehrfacher Hinsicht gegen den Grundsatz „ne bis in idem“ verstoßen. Sie habe die Preiserhöhungen in Dänemark, obwohl diese

die automatische Folge der enstprechenden Veränderungen in Deutschland seien, zum Anlaß genommen, der Klägerin neben einer Absprache in der Träger-Kommission eine weitere Absprache zur Last zu legen, die angeblich in Sitzungen der Eurofer/Scandinavia-Gruppe getroffen worden sei. Außerdem sei die Erhöhung der Listenpreise der Klägerin zum 1. April 1989 bei drei verschiedenen Vorwürfen berücksichtigt worden, die mit drei unterschiedlichen Vereinbarungen zusammenhingen: einer Vereinbarung in der Sitzung der Träger-Kommission vom 10. Januar 1989 (Randnrn. 95 und 96 der Entscheidung), einer weiteren Vereinbarung in der Sitzung der Eurofer/Scandinavia-Gruppe vom 1. Februar 1989 (Randnr. 202 der Entscheidung) und einer dritten Vereinbarung für den deutschen Markt bei einem Treffen mit Händlern am 16. Februar 1989 (Randnr. 153 der Entscheidung).

658.
    Im Rahmen ihrer gemeinsamen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen darüber hinaus folgendes geltend gemacht:

a)    Die Kommission habe nicht hinreichend dargelegt, inwiefern die streitigen Verhaltensweisen eine wettbewerbswidrige Wirkung gehabt hätten, obwohl Artikel 65 des Vertrages den Beweis für eine solche Wirkung verlange. Insbesondere die Erläuterungen in den Randnummern 302 und 303 der Entscheidung zu den angeblich infolge der vereinbarten Preiserhöhungen erlangten zusätzlichen Erlösen stünden in Widerspruch zur Zeugenaussage von Herrn Kutscher. Nach seinen Angaben hätten sich derartige Erhöhungen aus der damaligen konjunkturellen Lage ergeben können.

b)    Die Kommission hätte die Tatsache, daß die streitigen Verhaltensweisen nicht auf die Beschränkung der Produktion, der technischen Entwicklung oder der Investitionen im Sinne von Artikel 65 § 5 des Vertrages abgezielt hätten, und die Unterschiede zwischen dem EGKS-Vertrag und dem EG-Vertrag als mildernde Umstände berücksichtigen müssen.

c)    Die Kommission habe zu Unrecht wegen der Informationsaustauschsysteme eine gesonderte Geldbuße festgesetzt, denn vor dem Gericht habe sie diese als akzessorisch zu anderen Zuwiderhandlungen eingestuft.

d)    Die Kommission habe ohne Rechtfertigung Geldbußen mit einem höheren allgemeinen Niveau als in ihrer Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ und ihrer Entscheidung 94/815/EG vom 30. November 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (Sache IV/33.126 und 33.322 — Zement, ABl. L 343, S. 1; im folgenden: Zement-Entscheidung oder Rechtssache „Zement“) festgesetzt.

e)    Die Kommission habe bei den Vereinbarungen über die Preisfestsetzung und den Vereinbarungen über die Marktaufteilung die den verschiedenen Bestandteilen der Zuwiderhandlung zugeordneten Teilsätze doppelt

angewandt, und zwar einmal auf Gemeinschaftsebene und ein zweites Mal auf der Ebene der einzelnen nationalen Märkte, so daß der tatsächliche Basissatz der Geldbuße 13 % und nicht, wie die Kommission behaupte, 7,5 % betrage.

Würdigung durch das Gericht

659.
    In Artikel 65 § 5 des Vertrages heißt es:

„Gegen Unternehmen, die eine nichtige Vereinbarung getroffen oder ... eine Vereinbarung oder einen nichtigen Beschluß ... angewendet oder anzuwenden versucht haben ... oder zu den Bestimmungen des § 1 im Widerspruch stehende Praktiken anwenden, kann die Kommission Geldbußen und Zwangsgelder festsetzen; der Höchstbetrag dieser Geldbußen und Zwangsgelder darf das Doppelte des Umsatzes nicht überschreiten, der in den Erzeugnissen erzielt worden ist, die Gegenstand der Vereinbarung, des Beschlusses oder der Praktiken waren, die zu den Bestimmungen dieses Artikels im Widerspruch stehen; war eine Beschränkung der Produktion, der technischen Entwicklung oder der Investitionen beabsichtigt, so wird dieser Höchstbetrag bis auf höchstens 10 v. H. des Jahresumsatzes der betreffenden Unternehmen erhöht, soweit es sich um die Geldbuße handelt, und bis auf höchstens 20 v. H. des Tagesumsatzes, soweit es sich um die Zwangsgelder handelt.“

Zum Vorbringen der Klägerin

— Zur Begründung der Entscheidung in bezug auf die Geldbuße

660.
    Nach der Rechtsprechung muß die durch Artikel 15 des Vertrages vorgeschriebene Begründung es dem Betroffenen ermöglichen, herauszufinden, was die erlassene Maßnahme rechtfertigt, damit er gegebenenfalls seine Rechte geltend machen und die Begründetheit der Entscheidung prüfen kann, und außerdem den Gemeinschaftsrichter in die Lage versetzen, seine Kontrolle auszuüben. Das Begründungserfordernis ist nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, zu denen insbesondere der Inhalt der fraglichen Maßnahme, die Art der angeführten Gründe und der Zusammenhang zählen, in dem sie erlassen wurde (Urteil NALOO/Kommission, Randnrn. 298 und 300).

661.
    Handelt es sich um eine Entscheidung, mit der gegen mehrere Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft Geldbußen festgesetzt werden, so ist bei der Bestimmung des Umfangs der Begründungspflicht insbesondere zu berücksichtigen, daß die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Zusammenhang und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müßten (Beschluß des Gerichtshofes vom 25. März 1996 in der Rechtssache C-137/95 P, SPO

u. a./Kommission, Slg. 1996, I-1611, Randnr. 54). Außerdem verfügt die Kommission bei der Festlegung der Höhe der einzelnen Geldbußen über ein Ermessen und ist nicht verpflichtet, insoweit eine genaue mathematische Formel anzuwenden (Urteil des Gerichts vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-150/89, Martinelli/Kommission, Slg. 1995, II-1165, Randnr. 59).

662.
    Im vorliegenden Fall enthält die Entscheidung in den Randnummern 300 bis 312, 314 und 315 eine ausreichende und sachgerechte Darstellung der Faktoren, die bei der allgemeinen Beurteilung der Schwere der verschiedenen festgestellten Zuwiderhandlungen herangezogen wurden. Diese Angaben werden im übrigen in bezug auf den in Randnummer 300 behandelten Informationsaustausch durch die Ausführungen in den Randnummern 49 bis 60 und 266 bis 272 der Entscheidung ergänzt.

663.
    Die Kommission ist überdies in Randnummer 314 der Entscheidung zu dem — als solchem von der Klägerin nicht in Abrede gestellten — Ergebnis gelangt, daß es sich um eine Zuwiderhandlung von langer Dauer gehandelt habe. In Artikel 1 der Entscheidung wird für jede Zuwiderhandlung angegeben, wie lange sie gedauert haben soll, und damit der Grundsatz zum Ausdruck gebracht, daß die den verschiedenen Zuwiderhandlungen entsprechenden Teilbeträge der Geldbußen nach der Dauer der Zuwiderhandlungen aufgeschlüsselt sind. Dies stellt eine ausreichende Begründung dar.

664.
    Wie das Gericht in seinem Urteil vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-148/89 (Tréfilunion/Kommission, Slg. 1995, II-1063, Randnr. 142) ausgeführt hat, ist es wünschenswert, daß die Unternehmen — um ihren Standpunkt in voller Kenntnis der Sachlage festlegen zu können — nach jedem von der Kommission als angemessen betrachteten System die Berechnungsweise der wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln durch Entscheidung gegen sie verhängten Geldbuße in Erfahrung bringen können, ohne zu diesem Zweck gerichtlich gegen die Entscheidung vorgehen zu müssen.

665.
    Dies gilt erst recht, wenn die Kommission — wie hier — zur Berechnung der Geldbußen genaue mathematische Formeln benutzt hat. In einem solchen Fall ist es wünschenswert, daß die betroffenen Unternehmen und gegebenenfalls das Gericht prüfen können, ob die von der Kommission angewandte Methode und ihre Vorgehensweise fehlerfrei und mit den für Geldbußen geltenden Bestimmungen und Grundsätzen, zu denen insbesondere das Diskriminierungsverbot zählt, vereinbar sind.

666.
    Solche Zahlenangaben, die auf Verlangen einer Partei oder des Gerichts gemäß den Artikeln 64 und 65 der Verfahrensordnung vorgelegt werden, stellen jedoch keine zusätzliche und nachträgliche Begründung der Entscheidung dar, sondern die zahlenmäßige Umsetzung der in der Entscheidung genannten Kriterien, sofern diese selbst quantifizierbar sind.

667.
    Im vorliegenden Fall enthält die Entscheidung zwar keine Angaben zur Berechnung der Geldbuße, doch hat die Kommission im Lauf des Verfahrens auf Verlangen des Gerichts u. a. Zahlenangaben zur Aufschlüsselung der Geldbuße nach den verschiedenen den Unternehmen zur Last gelegten Zuwiderhandlungen vorgelegt.

668.
    Zum Vorbringen der Klägerin, daß die Kommission zwischen dem berücksichtigten Gesamtzeitraum (1986 bis 1990) und dem Sanktionszeitraum (Juli 1988 bis Dezember 1990) nicht klar getrennt habe, geht aus der Prüfung des Sachverhalts, die das Gericht bei der Erörterung der auf einen Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages gestützten Rügen vorgenommen hat, hervor, daß die Zuwiderhandlungen zeitlich klar eingeordnet wurden. Die Definition des Zeitraums, der bei der Festsetzung der Geldbuße gegen die Klägerin herangezogen wurde, in den Randnummern 311 und 314 der Entscheidung ist ebenso klar und von der Klägerin im übrigen voll und ganz verstanden worden.

669.
    Daraus folgt, daß das Vorbringen der Klägerin, mit dem sie die Unzulänglichkeit der Begründung rügt, zurückzuweisen ist.

— Zur wirtschaftlichen Lage der Klägerin und der Stahlindustrie

670.
    Das Argument, daß die Klägerin — wie die Zahlen in Randnummer 301 (Fußnote 1) der Entscheidung zeigten — im Verhältnis zu anderen Unternehmen nur geringe Gewinne erzielt habe, ist irrelevant. Die Geldbußen der einzelnen Unternehmen wurden nämlich gemäß den Vorschriften von Artikel 65 § 5 des Vertrages nicht anhand ihrer Gewinne, sondern anhand ihrer Umsätze berechnet.

671.
    Die Kommission hat im übrigen dadurch, daß sie dieses Kriterium gemäß Artikel 65 § 5 des Vertrages auf alle Unternehmen angewandt hat, der relativen wirtschaftlichen Bedeutung jedes von ihnen auf dem Trägermarkt der Gemeinschaft, den die Zuwiderhandlungen allein betrafen, hinreichend Rechnung getragen. Der Hinweis der Klägerin auf ihre geringe Bedeutung auf dem Rohstahlmarkt ist in diesem Zusammenhang unerheblich. Gleiches gilt für die Ausführungen von Herrn Van Miert vor dem Europäischen Parlament.

672.
    Zum Vorbringen, daß die Geldbuße der Klägerin herabgesetzt werden müsse, weil ihre Trägerproduktion — abgesehen von den Jahren 1988 bis 1990 — nicht kostendeckend gewesen sei, ist festzustellen, daß die Kommission in Randnummer 301 der Entscheidung auf die Lage der Unternehmen zur Zeit des Erlasses der Entscheidung Bezug genommen und die Ansicht vertreten hat, daß die „Stahlhersteller ... gegenwärtig in der Regel keine Gewinne“ erzielten. Ferner wurde die schwierige wirtschaftliche Lage der Stahlunternehmen zur Zeit des Erlasses der Entscheidung unstreitig vor allem bei den Zahlungsfristen in Artikel 5 berücksichtigt.

673.
    Die Kommission ist grundsätzlich zu einer solchen Vorgehensweise berechtigt, bei der sie der aktuellen Lage der Unternehmen Rechnung trägt und zugleich die

Geldbußen auf einem ihr angemessen erscheinenden Niveau beläßt (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 10. Dezember 1957 in der Rechtssache 8/56, ALMA/Hohe Behörde, Slg. 1957, 191, 202). Das Urteil Petrofina/Kommission (Randnrn. 262 und 265), auf das sich die Klägerin berufen hat, ändert daran nichts, da es nur die besondere Situation des dortigen Falles betraf.

674.
    Auch die Tatsache, daß die Klägerin von 1988 bis 1990 nur „temporäre“ Gewinne erzielte und daß ihre Trägerproduktion in der übrigen Zeit bei weitem nicht kostendeckend war, reicht für sich genommen nicht als Beleg für einen Beurteilungsfehler der Kommission aus. Die Angaben der Klägerin bestätigen, daß in der für die Geldbuße maßgeblichen Zeit eine deutliche Verbesserung gegenüber den Vorjahren eintrat, die es ihr ermöglichte, trotz der strukturellen Überkapazität auf dem Markt einen Gewinn zu erzielen.

675.
    Die Anerkennung einer Verpflichtung der Kommission, die schlechte finanzielle Lage eines Unternehmens bei der Ermittlung der Geldbuße zu berücksichtigen, würde jedenfalls darauf hinauslaufen, den am wenigsten den Marktbedingungen angepaßten Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen (Urteil des Gerichtshofes vom 8. November 1983 in den Rechtssachen 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, IAZ u. a./Kommission, Slg. 1983, 3369, Randnr. 55; Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T-319/94, Fiskeby Board/Kommission, Slg. 1998, II-1331, Randnr. 76).

676.
    Die Kommission hat zu Recht außer acht gelassen, daß die Klägerin nach ihren Angaben zum deutschen Steuerrecht die Geldbuße nicht von ihren Einkünften abziehen kann. Das Steuerrecht eines Mitgliedstaats kann bei der Festsetzung einer Geldbuße wegen eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft kein relevantes Kriterium sein.

677.
    Schließlich ist zu den angeblichen Anpassungsschwierigkeiten der Industrie am Ende der Krisenregelung bereits festgestellt worden, daß die Unternehmen spätestens seit September 1985 wußten, daß eine Übergangsregelung eingeführt worden war. Die Kommission traf im übrigen verschiedene begleitende Übergangsmaßnahmen, zu denen u. a. das in der Entscheidung Nr. 2448/88 vorgesehene Überwachungssystem gehörte.

678.
    Die auf die wirtschaftliche Lage der Klägerin und der Stahlindustrie gestützten Argumente sind deshalb zurückzuweisen.

— Zur wirtschaftlichen Auswirkung der Zuwiderhandlungen

679.
    Das Vorbringen der Klägerin, daß die Kommission in den Randnummern 302 bis 304 der Entscheidung die wirtschaftliche Auswirkung der Zuwiderhandlungen nicht zutreffend beurteilt habe, ähnelt dem Vorbringen anderer Klägerinnen in Parallelsachen, die der Kommission ebenfalls im wesentlichen vorwerfen, die

wirtschaftlichen Auswirkungen des Kartells auf den Markt nicht gebührend untersucht und sich auf bloße Mutmaßungen gestützt zu haben, obwohl sie die wirtschaftlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlungen prüfen müsse, um ihre Schwere zu ermessen und gegebenenfalls dem begrenzten Charakter dieser Auswirkungen Rechnung zu tragen (Urteile Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial Solvents/Kommission, Randnrn. 51 ff., und Suiker Unie u. a./Kommission, Randnrn. 614 ff.); dies gelte vor allem im Rahmen eines reglementierten Marktes wie dem der EGKS.

680.
    In ihren gemeinsamen Ausführungen zu diesem Aspekt der Rechtssache haben die Klägerinnen diese Argumentation mit der These verbunden, daß Artikel 65 § 5 des Vertrages nur für Verhaltensweisen mit wettbewerbswidriger Wirkung und nicht für Verhaltensweisen mit lediglich wettbewerbswidrigem Gegenstand gelte.

681.
    Die Klägerinnen haben ferner auf die Aussage von Herrn Kutscher verwiesen, nach der es in Zeiten günstiger wirtschaftlicher Konjunktur — wie von 1988 bis 1990 — normal und fast zwangsläufig sei, daß die Preise der Unternehmen stiegen, da jeder versuche, von den Erhöhungen der Konkurrenten zu profitieren, so daß aus den damals von den Unternehmen erzielten Gewinnen nicht habe geschlossen werden können, daß sie Preisabsprachen getroffen hätten. Diese Aussage widerlege die Darstellung in den Randnummern 302 bis 304 der Entscheidung.

682.
    Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Randnrn. 245 und 250), bedarf es zur Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages nicht des Nachweises, daß das fragliche Verhalten eine wettbewerbswidrige Wirkung hatte. Gleiches gilt für die Festsetzung einer Geldbuße gemäß Artikel 65 § 5 des Vertrages.

683.
    Folglich ist die mögliche Auswirkung einer Vereinbarung oder einer verabredeten Praktik auf den normalen Wettbewerb bei der Beurteilung der angemessenen Höhe der Geldbuße kein ausschlaggebendes Kriterium. Wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat, können Gesichtspunkte, die die Intention und damit den Gegenstand eines Verhaltens betreffen, größere Bedeutung haben als solche, die dessen Wirkungen betreffen (vgl. die Schlußanträge des zum Generalanwalt bestellten Richters Vesterdorf zu den Polypropylen-Urteilen, Slg. 1991, II-1022 f.). Dies gilt vor allem dann, wenn diese Gesichtspunkte dem Wesen nach schwere Zuwiderhandlungen wie die Preisfestsetzung und die Marktaufteilung betreffen. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

684.
    Die Kommission räumt jedoch ein, daß die Beurteilung der Auswirkungen einer Zuwiderhandlung für die Geldbußen relevant sein kann, wenn sie sich ausdrücklich auf eine bestimmte Auswirkung beruft und nicht in der Lage ist, diese nachzuweisen oder gute Gründe für ihre Berücksichtigung anzugeben (in diesem Sinne auch die Schlußanträge des zum Generalanwalt bestellten Richters Vesterdorf zu den Polypropylen-Urteilen, Slg. 1991, II-1023).

685.
    Insoweit hat die Kommission in den Randnummern 222 und 293 der Entscheidung ausgeführt, daß die fraglichen Unternehmen einen Großteil des Trägermarktes derGemeinschaft repräsentiert hätten, da alle führenden Hersteller mitgewirkt hätten, und daß die Auswirkung der Zuwiderhandlungen alles andere als unbedeutend gewesen sei. Ferner hat die Kommission, u. a. in Randnummer 222, auf die eigenen Unterlagen der Hersteller verwiesen, die deren Auffassung widerspiegelten, daß die fraglichen Preiserhöhungen von den Verbrauchern akzeptiert worden seien. In Randnummer 303 der Entscheidung bezifferte die Kommission den dadurch insgesamt erlangten Mehrerlös auf mindestens 20 Millionen ECU in den ersten beiden Quartalen von 1989. Entgegen der Behauptung der Klägerin ist in bezug auf die Auswirkungen der fraglichen Zuwiderhandlungen kein Widerspruch zwischen den Randnummern 222, 293 und 303 der Entscheidung zu erkennen.

686.
    Unter diesen Umständen war die Kommission berechtigt, die erheblichen wirtschaftlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlungen auf den Markt bei der Berechnung der Geldbuße zu berücksichtigen.

687.
    Herr Kutscher, der im Rahmen seiner Aufgaben bei der GD III beträchtliche Erfahrung im Stahlsektor erwarb, hat jedoch bei seiner Aussage in der mündlichen Verhandlung die Ansicht vertreten, Preiserhöhungen in dem hier zur maßgeblichen Zeit auf dem Markt festgestellten Umfang seien angesichts der damaligen günstigen Wirtschaftskonjunktur normalerweise zu erwarten gewesen. Dies sei einer der Gründe dafür, daß er nicht den Verdacht gehabt habe, daß es ein Kartell der Hersteller gebe.

688.
    Außerdem führte die Vorgehensweise der Kommission bei der Vorbereitung der Vorausschätzungsprogramme und bei dem in der Entscheidung Nr. 2448/88 geregelten Überwachungssystem dazu, daß die Unternehmen vor ihren Treffen mit der GD III zusammenkommen und ihre Meinungen zur wirtschaftlichen Situation auf dem Markt und zu den künftigen Tendenzen, vor allem im Preisbereich, austauschen mußten, um sie der GD III zusammengefaßt vortragen zu können. Solche Vorbereitungstreffen, an denen die leitenden kaufmännischen Mitarbeiter der betreffenden Unternehmen teilnahmen, waren im übrigen für den Erfolg des Überwachungssystems erforderlich, da die Kommission — wie Herr Kutscher in der mündlichen Verhandlung bestätigt hat — selbst nicht in der Lage war, die individuellen Angaben der Unternehmen in angemessener Zeit zu sammeln und zu analysieren. Die Angaben der Unternehmen bei diesen Treffen waren für die GD III auch insbesondere bei der Vorbereitung der Vorausschätzungsprogramme unstreitig von Nutzen.

689.
    Aus der Aussage von Herrn Kutscher ergibt sich ferner, daß die GD III damals recht erfreut darüber war, daß die noch immer anfällige Stahlindustrie nach einer langen Verlustperiode wieder Gewinne erzielte, womit sich die Gefahr einer Rückkehr zur Regelung für die offensichtliche Krise verringerte.

690.
    Durch ein solches Verhalten im Rahmen des Überwachungssystems von Mitte 1988 bis Ende 1990 hat die GD III eine gewisse Unklarheit hinsichtlich der Tragweite des Begriffs „normaler Wettbewerb“ im Sinne des EGKS-Vertrags geschaffen. Zwar braucht im vorliegenden Urteil nicht geklärt zu werden, in welchem Umfang die Unternehmen zur Vorbereitung der Konsultationstreffen mit der Kommission ohne Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages individuelle Angaben austauschen durften, da dies nicht Gegenstand der Sitzungen der Träger-Kommission war, doch können die Auswirkungen der vorliegend begangenen Zuwiderhandlungen nicht durch einen schlichten Vergleich zwischen der Lage, die aufgrund der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen eintrat, und der Lage, die ohne jede Kontaktaufnahme zwischen den Unternehmen bestanden hätte, ermittelt werden. Es ist hier sachdienlicher, die Lage, die aufgrund der wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen eintrat, mit der von der GD III angestrebten und gebilligten Lage zu vergleichen, die darin bestand, daß die Unternehmen zusammenkommen und allgemeine Gespräche, insbesondere über ihre Prognosen der künftigen Preise, führen sollten.

691.
    Insoweit läßt sich nicht ausschließen, daß ein Meinungsaustausch der Unternehmen über ihre „Preisprognosen“, wie er von der GD III als zulässig angesehen wurde, auch ohne Vereinbarungen der im vorliegenden Fall in der Träger-Kommission getroffenen Art ein abgestimmtes Marktverhalten der betreffenden Unternehmen hätte erleichtern können. Unterstellt man, daß sich die Unternehmen auf einen allgemeinen und unverbindlichen Meinungsaustausch über die von ihnen erwarteten Preise beschränkt hätten, der nur zur Vorbereitung der Konsultationstreffen mit der Kommission gedient hätte, und daß sie der Kommission den genauen Inhalt ihrer Vorbereitungstreffen offenbart hätten, so ist es durchaus möglich, daß solche von der GD III gebilligten Kontakte zwischen den Unternehmen eine gewisse Parallelität des Marktverhaltens — insbesondere hinsichtlich der Preiserhöhungen, die zumindest teilweise durch die günstige Wirtschaftskonjunktur im Jahr 1989 ausgelöst wurden — hätten verstärken können.

692.
    Die Kommission hat daher in Randnummer 303 der Entscheidung die wirtschaftlichen Auswirkungen der vorliegend festgestellten Vereinbarungen über die Preisfestsetzung überbewertet, die im Verhältnis zu dem Wettbewerb eintraten, der ohne solche Zuwiderhandlungen angesichts der günstigen Wirtschaftskonjunktur und des den Unternehmen eingeräumten Spielraums für allgemeine Gespräche über Preisprognosen mit anderen Unternehmen und der GD III im Rahmen der von dieser regelmäßig veranstalteten Treffen geherrscht hätte.

693.
    Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen hält das Gericht im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung eine Herabsetzung der wegen der verschiedenen Vereinbarungen und verabredeten Praktiken zur Preisfestsetzung gegen die Klägerin verhängten Geldbuße um 15 % für angemessen. In bezug auf die Vereinbarungen über die Marktaufteilung und den Informationsaustausch über Aufträge und Lieferungen, für die diese Erwägungen nicht gelten, ist dagegen keine derartige Herabsetzung vorzunehmen.

— Zum erschwerenden Umstand der Kenntnis der Rechtswidrigkeit der beanstandeten Verhaltensweisen

694.
    Mit den drei in Randnummer 307 der Entscheidung ausdrücklich angeführten Beweisen, bei denen es sich um interne Vermerke von Usinor Sacilor, der Klägerin und Eurofer handelt, wird den drei betroffenen Unternehmen kein spezieller erschwerender Umstand zur Last gelegt, sondern sie sollen zusammen mit den Randnummern 305 und 306 als Beleg dafür dienen, daß sich alle Adressaten der Entscheidung des Verstoßes gegen das Verbot in Artikel 65 § 1 des Vertrages bewußt waren. Aus den bereits genannten Gründen (siehe oben, Randnr. 640 und Abschnitt D) ist das Gericht der Ansicht, daß der Klägerin die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens bekannt sein mußte.

695.
    Unter diesen Umständen vertritt das Gericht im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung die Auffassung, daß der der Klägerin in Randnummer 307 der Entscheidung aus diesem Grund zur Last gelegte erschwerende Umstand stichhaltig ist.

— Zu der wegen der Teilnahme der Klägerin an den Informationsaustauschsystemen gegen sie festgesetzten Geldbuße

696.
    Aus den oben in den Randnummern 380 ff. dargelegten Gründen hat das Gericht bereits festgestellt, daß die Teilnahme der Klägerin an den Informationsaustauschsystemen, die in den Randnummern 263 bis 272 der Entscheidung beschrieben sind, als eigenständige Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages anzusehen ist. Folglich hat die Kommission diese Zuwiderhandlung bei der Berechnung der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße zu Recht gesondert berücksichtigt.

— Zur doppelten Anwendung des Basissatzes der Geldbuße

697.
    In der mündlichen Verhandlung haben die Klägerinnen geltend gemacht, die Anwendung des Basissatzes von 7,5 % des Umsatzes habe im Ergebnis zu einem tatsächlichen Basissatz von 13 % geführt; davon entfielen 2,5 % auf die Preisabsprachen in der Träger-Kommission, 0,5 % auf die Aufpreisharmonisierung, 2,5 % auf die Preisabsprachen für die einzelnen nationalen Märkte, 3 % auf die Vereinbarungen über die Marktaufteilung in der Träger-Kommission, 3 % auf die Vereinbarungen über die Aufteilung der einzelnen nationalen Märkte und 1,5 % auf den Informationsaustausch.

698.
    Nach den Angaben, die die Kommission im Lauf des Verfahrens gemacht hat, konnte die Geldbuße in der Tat — wie von den Klägerinnen behauptet — theoretisch durch Addition der einzelnen in Randnummer 697 genannten Sätze 13 % des Umsatzes erreichen. Die Kommission hat die Geldbußen jedoch bei ihren Berechnungen auch nach der Dauer und der räumlichen Ausdehnung jeder

Zuwiderhandlung differenziert, so daß die gegen die Unternehmen festgesetzten Geldbußen in der Praxis den Basissatz von 7,5 % und erst recht einen Satz von 13 % bei weitem nicht erreichen. Das Vorbringen der Klägerinnen ist daher für den Betrag der tatsächlich gegen sie festgesetzten Geldbußen unerheblich. Dies gilt um so mehr, als die Geldbuße, die wegen der Teilnahme der Klägerin an den verschiedenen Zuwiderhandlungen bei der Marktaufteilung gegen sie verhängt wurde, weit unter dem von der Kommission bei dieser Gruppe von Zuwiderhandlungen herangezogenen Ausgangssatz von 3 % liegt. Der auf die Vereinbarungen über die Preisfestsetzung entfallende Teil der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße überschritt zwar nach den Berechnungen der Kommission geringfügig den Ausgangssatz von 3 %, aber im Anschluß an die Überprüfung durch das Gericht ist dies nicht mehr der Fall.

699.
    Unter diesen Umständen hält es das Gericht im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung — selbst wenn man unterstellt, daß sich manche Zuwiderhandlungen teilweise überschneiden (z. B. die Preisabsprachen in der Träger-Kommission und einige Preisabsprachen für die einzelnen nationalen Märkte) und daß es zwischen manchen Zuwiderhandlungen einen Zusammenhang gibt (z. B. zwischen dem Auftrags- und Liefermonitoring und einigen Marktaufteilungsvereinbarungen) — nicht für geboten, die gegen die Klägerin verhängte Geldbuße aus diesem Grund herabzusetzen, da der im folgenden festgelegte Gesamtbetrag der Geldbuße nach Ansicht des Gerichts eine angemessene Sanktion für alle in Rede stehenden Zuwiderhandlungen darstellt.

700.
    Desgleichen braucht bei der Geldbuße, die wegen der verschiedenen Vereinbarungen und verabredeten Praktiken zur Preisfestsetzung in der Träger-Kommission gegen die Klägerin verhängt wurde, nicht nach der genauen Dauer oder räumlichen Ausdehnung der einzelnen ihr für das Jahr 1990 zur Last gelegten Zuwiderhandlungen differenziert zu werden.

701.
    Die Ausführungen in den Randnummern 232 bis 237 der Entscheidung enthalten zwar selbst keine Nachweise dafür, daß die Teilnehmer an den Sitzungen der Träger-Kommission im vierten Quartal 1990 eine Vereinbarung trafen oder eine verabredete Praktik zur Preisfestsetzung anwandten.

702.
    Außerdem betreffen die von der Kommission in den Randnummern 232 bis 237 der Entscheidung speziell für das Jahr 1990 festgestellten Zuwiderhandlungen nur die Anwendung einer Vereinbarung über Zielpreise im ersten Quartal 1990 (Randnr. 232), eine den französischen Markt betreffende Vereinbarung (Randnr. 233) und zwei den britischen Markt betreffende verabredete Praktiken (Randnrn. 234 bis 237); sie scheinen somit eine geringere räumliche Ausdehnung gehabt zu haben als die für die Jahre 1988 und 1989 festgestellten Zuwiderhandlungen.

703.
    Aus den Randnummern 118 bis 121 der Entscheidung und den dort genannten Unterlagen geht jedoch hervor, daß die Mitglieder der Träger-Kommission, nachdem sie in der Sitzung vom 11. September 1990 die grundsätzliche Möglichkeit

und die Einzelheiten einer mäßigen Anhebung der Preise zum „wahrscheinlichen Termin“ 1. Januar 1991 besprochen hatten, ihre Erörterungen in der Sitzung vom 9. Oktober 1990 fortsetzten, bis sie sich einigten, die Preise auf den kontinentaleuropäischen Märkten im ersten Quartal 1991 um 20 DM bis 30 DM anzuheben (vgl. das Protokoll dieser Sitzung, S. 346 bis 354 der Akten). Weiter heißt es in dem Sitzungsprotokoll: „In preislicher Hinsicht konnten die Niveaus T3/90 trotz einiger Schwierigkeiten in manchen Ländern im vierten Quartal unter vollständiger Anwendung der neuen Aufpreise beibehalten werden.“

704.
    Angesichts der von Quartal zu Quartal regelmäßig getroffenen oder verlängerten Vereinbarungen und der Praktiken, die in der Träger-Kommission bis zu den ersten Kontrollen der Kommission im Januar 1991 üblich waren, sind diese Schriftstücke der Beweis dafür, daß die Preisabsprache, insbesondere durch weitere Anwendung der zuvor getroffenen Vereinbarungen, im vierten Quartal 1990 fortgesetzt wurde.

705.
    Allgemein betrachtet fügten sich die der Klägerin auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen in den Randnummern 95 bis 121 und 227 bis 237 der Entscheidung zur Last gelegten Vereinbarungen und verabredeten Praktiken bei der Preisfestsetzung in den Rahmen regelmäßiger Treffen und laufender Kontakte zwischen den Herstellern ein, die innerhalb der Träger-Kommission Gelegenheit zu ständiger Zusammenarbeit untereinander boten. So traf die Träger-Kommission im Lauf des Jahres 1990 regelmäßig zusammen, und zwar am 14. Februar, 21.März, 16. Mai, 10. Juli, 11. September, 9. Oktober und 4. Dezember. Aus den Protokollen dieser Sitzungen geht hervor, daß sich die Teilnehmer laufend über die auf den wichtigsten Märkten der Gemeinschaft anzuwendenden Preise absprachen, wodurch die wettbewerbswidrigen Auswirkungen der zuvor getroffenen Vereinbarungen zeitlich ausgedehnt wurden und außerdem die Begehung der einzelnen in den Randnummern 232 bis 237 der Entscheidung geschilderten Zuwiderhandlungen ermöglicht wurde.

706.
    Die Kommission hat daher zu Recht in Randnummer 221 der Entscheidung festgestellt, daß die Betroffenen eine fortdauernde Absprache mit dem Ziel trafen, u. a. die Preise in den einzelnen Mitgliedstaaten der EGKS zu erhöhen und zu harmonisieren, und in Randnummer 242 der Entscheidung ausgeführt, daß die Unternehmen für die gesamte Zeit ihrer Teilnahme an den Sitzungen und der damit verbundenen Zusammenarbeit die Verantwortung für die in der Entscheidung beschriebenen Vereinbarungen und verabredeten Praktiken zur Preisfestsetzung in der Träger-Kommission tragen müssen; in bezug auf die Klägerin handelt es sich dabei um einen Zeitraum von 30 Monaten, der vom 1. Juli 1988 bis zum 31. Dezember 1990 reicht.

707.
    Das dahin gehende Vorbringen der Klägerinnen in der mündlichen Verhandlung ist folglich zurückzuweisen.

— Zum angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz „ne bis in idem“

708.
    Die Klägerin sieht einen Verstoß gegen den Grundsatz „ne bis in idem“ darin, daß außer der Geldbuße wegen der Vereinbarungen über die Festsetzung von Preisen für den deutschen Markt in der Träger-Kommission auch wegen der Vereinbarungen über die Festsetzung von Preisen für den dänischen Markt im Rahmen der Eurofer/Scandinavia-Gruppe eine Geldbuße verhängt wurde. Wie bereits ausgeführt, handelt es sich aber bei den Vereinbarungen über die Festsetzung von Preisen für den dänischen Markt und den ähnlichen Vereinbarungen in bezug auf den deutschen Markt um gesonderte Zuwiderhandlungen (vgl. u. a. Randnr. 498).

709.
    Dies gilt auch für die von der Klägerin angeführten Vereinbarungen über die Preise zum 1. April 1989. Eine dieser Vereinbarungen, die den deutschen Markt betraf, wurde am 10. Januar 1989 in der Träger-Kommission getroffen (Randnrn. 227, 95 und 96 der Entscheidung), die andere am 1. Februar 1989 in der Eurofer/Scandinavia-Gruppe (Randnr. 202 der Entscheidung). In bezug auf das von der Kommission geltend gemachte Vorliegen einer weiteren Vereinbarung über die Festsetzung von Preisen zum 1. April 1989 auf dem deutschen Markt selbst (vgl. Randnrn. 273, fünfter Gedankenstrich, und 153 der Entscheidung) ist bereits festgestellt worden, daß Artikel 1 der Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären ist (siehe oben, Randnrn. 410 bis 413).

710.
    Aus den vom Gericht bereits getroffenen tatsächlichen Feststellungen geht im übrigen hervor, daß jede der anderen Zuwiderhandlungen, die der Klägerin in Artikel 1 der Entscheidung zur Last gelegt werden, eine gesonderte Zuwiderhandlung darstellt, die die Kommission bei der Geldbuße berücksichtigen durfte.

711.
    Unter diesen Umständen ist das auf einen Verstoß gegen den Grundsatz „ne bis in idem“ gestützte Vorbringen zurückzuweisen.

— Zum allgemeinen Niveau der in der Entscheidung festgesetzten Geldbußen im Verhältnis zu anderen EGKS-Entscheidungen der Kommission und zu den Bestimmungen von Artikel 65 § 5 des Vertrages

712.
    Die Klägerinnen haben sich in ihren gemeinsamen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung unter Hinweis auf die Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ gegen das allgemeine Niveau der Geldbußen gewandt. Dem kann nicht gefolgt werden.

713.
    Erstens waren alle Zuwiderhandlungen, die bei der Festsetzung der Geldbuße in der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ berücksichtigt wurden, in der Zeit der offensichtlichen Krise begangen worden. Zweitens haben die Unternehmen im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen, daß die Beamten der GD III von den in der Entscheidung beanstandeten Verhaltensweisen wußten, so daß der entsprechende mildernde Umstand, der in der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ bejaht wurde, hier nicht herangezogen werden kann. Drittens kommt angesichts der

Warnung, die insbesondere die in Randnummer 305 der angefochtenen Entscheidung erwähnte Pressemitteilung darstellte, anders als zur Zeit des Erlasses der Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ das Vorliegen eines Mißverständnisses über die Tragweite von Artikel 65 § 1 des Vertrages nicht in Betracht.

714.
    Außerdem ist die Kommission nach der Rechtsprechung zum EG-Vertrag dadurch, daß sie in der Vergangenheit bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen mit Geldbußen in bestimmter Höhe geahndet hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der einschlägigen Regelung gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Wirksamkeit der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen (vgl. das Urteil Pioneer, Randnr. 109). Dieses Erfordernis einer wirksamen Wettbewerbspolitik liegt auch Artikel 65 § 5 EGKS-Vertrag zugrunde, auf den diese Rechtsprechung deshalb entgegen der Auffassung der Klägerin übertragbar ist.

715.
    Es spielt daher keine Rolle, daß der Entscheidung nur eine verhältnismäßig geringe Zahl von Anwendungsfällen von Artikel 65 § 5 des Vertrages vorausging und daß die Kommission aufgrund dieser Bestimmung vor allem im Zusammenhang mit der Krise keine hohen Geldbußen verhängte.

716.
    Auch dem Vorbringen der Klägerin, daß die Kommission im Hinblick auf die Unterschiede zwischen beiden Verträgen nicht berechtigt gewesen sei, im Rahmen des EGKS-Vertrags das mittlerweile im Rahmen des EG-Vertrags übliche Bußgeldniveau anzuwenden, kann nicht gefolgt werden. Zwar schränken einige Bestimmungen des EGKS-Vertrags, insbesondere Artikel 60, selbst den freien Wettbewerb ein, doch stimmt die in Artikel 65 § 5 des Vertrages für schwerste Wettbewerbsbeschränkungen vorgesehene absolute Obergrenze von 10 % des Jahresumsatzes des betreffenden Unternehmens mit der absoluten Obergrenze in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 überein. Außerdem erlaubt es Artikel 65 § 5 EGKS-Vertrag im vorliegenden Fall, Geldbußen bis zum Doppelten des Umsatzes mit dem betreffenden Erzeugnis festzusetzen.

717.
    Die von den Klägerinnen in ihren gemeinsamen Ausführungen angesprochene Tatsache, daß die Zuwiderhandlungen nicht auf die Beschränkung der Produktion, der technischen Entwicklung oder der Investitionen im Sinne von Artikel 65 § 5 des Vertrages abgezielt hätten, hat die Kommission zu Recht nicht als mildernden Umstand herangezogen. Solche Beschränkungen sollen es nach dem Aufbau von Artikel 65 § 5 des Vertrages als erschwerende Umstände erlauben, über die normale Obergrenze des Doppelten des Umsatzes mit dem betreffenden Erzeugnis hinauszugehen. Im vorliegenden Fall liegt die Geldbuße aber weit darunter.

— Zum Vergleich der in der Entscheidung festgesetzten Geldbußen mit den Geldbußen in der Zement-Entscheidung

718.
    Im Rahmen der gemeinsamen Ausführungen ist ferner geltend gemacht worden, die Kommission habe in der Zement-Entscheidung für Zuwiderhandlungen, die sie als schwerwiegend angesehen habe und die sich über sechs Jahre erstreckt hätten, Geldbußen von etwa 4 % des Umsatzes festgesetzt. Daraus sei nach einer kürzlich veröffentlichten Bekanntmachung der Kommission (Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, ABl. 1998, C 9, S. 3; im folgenden: Leitlinien) abzuleiten, daß die Kommission in der Rechtssache „Zement“ vor der Erhöhung aufgrund der Dauer der Zuwiderhandlungen eine Basisgeldbuße von 2 % angewandt habe. Nach der gleichen Berechnung betrage der Basissatz im vorliegenden Fall 6 %. Die Geldbußen müßten daher auf ein Drittel herabgesetzt werden.

719.
    Zwischen dem allgemeinen Niveau der Geldbußen in der angefochtenen Entscheidung und in der Zement-Entscheidung kann kein direkter Vergleich angestellt werden.

720.
    Erstens wurde die Berechnung in der angefochtenen Entscheidung vor der Bekanntmachung der Leitlinien und ohne Rückgriff auf die dort vorgesehene Methode vorgenommen, die eine Basisgeldbuße und Aufschläge nach Maßgabe der Dauer umfaßt.

721.
    Zweitens erging auch die Zement-Entscheidung vor der Bekanntmachung der Leitlinien, und sie enthält keinen Hinweis darauf, daß die dort vorgesehene Methode angewandt wurde.

722.
    Drittens weichen Sachverhalt und Rechtslage im vorliegenden Fall so stark von der Rechtssache „Zement“ ab, daß ein detaillierter Vergleich zwischen beiden Entscheidungen für die Beurteilung der vorliegend gegen die Klägerin zu verhängenden Geldbuße nicht sachdienlich ist.

723.
    Deshalb ist — vorbehaltlich der folgenden Ausführungen — das gesamte Vorbringen der Klägerin zur Höhe der Geldbußen zurückzuweisen.

— Zur Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung durch das Gericht

724.
    Das Gericht hat Artikel 1 der Entscheidung bereits für nichtig erklärt, soweit darin die Teilnahme der Klägerin an einer Vereinbarung über die Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt festgestellt wird (siehe oben, Randnrn. 410 bis 413). Die wegen dieser Zuwiderhandlung von der Kommission festgesetzte Geldbuße ist auf 90 300 ECU beziffert worden.

725.
    Aus den oben in Randnummer 509 genannten Gründen ist ferner bei der Berechnung der Geldbuße wegen der Zuwiderhandlung in Form der Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt die Zeit vom 1. Juli bis zum 31. Dezember 1988 auszunehmen; dies führt bei der Klägerin nach der von der

Kommission angewandten Methode zu einer Herabsetzung der Geldbuße um 17 200 ECU.

726.
    Schließlich ist der Gesamtbetrag der wegen der Vereinbarungen und verabredeten Praktiken zur Preisfestsetzung verhängten Geldbuße aus den oben in den Randnummern 687 bis 693 dargelegten Gründen um 15 % herabzusetzen, weil die Kommission die wettbewerbswidrigen Wirkungen der festgestellten Zuwiderhandlungen in gewissem Umfang überbewertet hat. Unter Berücksichtigung der bereits angesprochenen Abschläge in bezug auf die Preisabsprachen auf dem deutschen und dem dänischen Markt führt dies nach der von der Kommission angewandten Berechnungsmethode zu einer Verringerung um 811 410 ECU.

727.
    Bei Anwendung der Methode der Kommission müßte die Geldbuße der Klägerin daher um 918 910 ECU herabgesetzt werden.

728.
    Die Festsetzung einer Geldbuße durch das Gericht im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung ist dem Wesen nach kein streng mathematischer Vorgang. Im übrigen ist das Gericht nicht an die Berechnungen der Kommission gebunden, sondern hat unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine eigene Beurteilung vorzunehmen.

729.
    Die allgemeine Vorgehensweise der Kommission bei der Ermittlung des Niveaus der Geldbußen (siehe oben, Randnr. 629) ist nach den Umständen des vorliegenden Falles gerechtfertigt. Die in der Festsetzung von Preisen und der Aufteilung von Märkten bestehenden Zuwiderhandlungen, die durch Artikel 65 § 1 des Vertrages ausdrücklich verboten werden, sind als besonders schwerwiegend anzusehen, da sie einen unmittelbaren Eingriff in die wesentlichen Wettbewerbsparameter auf dem betreffenden Markt bedeuten. Auch die der Klägerin zur Last gelegten Systeme zum Austausch vertraulicher Informationen bezweckten in ähnlicher Weise eine Aufteilung der Märkte anhand der traditionellen Handelsströme. Alle bei der Geldbuße berücksichtigten Zuwiderhandlungen wurden nach dem Ende der Krisenregelung und nach entsprechenden Warnungen an die Unternehmen begangen. Nach den Feststellungen des Gerichts bestand der allgemeine Zweck der fraglichen Vereinbarungen und Praktiken gerade darin, die mit dem Wegfall der Regelung für die offensichtliche Krise verbundene Rückkehr zum normalen Wettbewerb zu verhindern oder zu verfälschen. Außerdem war den Unternehmen die Rechtswidrigkeit der Vereinbarungen und Praktiken bekannt, die sie der Kommission bewußt verheimlichten.

730.
    Nach alledem und unter Berücksichtigung des Inkrafttretens der Verordnung (EG) Nr. 1103/97 des Rates vom 17. Juni 1997 über bestimmte Vorschriften im Zusammenhang mit der Einführung des Euro (ABl. L 162, S. 1) am 1. Januar 1999 ist die Geldbuße auf 8 600 000 EURO festzusetzen.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 3 der Entscheidung

731.
    Die Klägerin trägt erstens vor, die Anordnung in Artikel 3 der Entscheidung sei nicht hinreichend bestimmt und folglich rechtswidrig. Insbesondere lasse sich unmöglich feststellen, ob das besonders unbestimmte Verbot, „Maßnahmen gleicher Wirkung“ zu ergreifen, Anwendung finde, wenn ein Unternehmen erkläre, daß essein künftiges Verhalten an den Vorausschätzungsprogrammen der Kommission orientieren wolle.

732.
    Zweitens gebe es für die Anordnung in Artikel 3 der Entscheidung keine Rechtsgrundlage. Von den Artikeln 60 und 65 des Vertrages berechtige ersterer die Kommission nur zur näheren Bezeichnung der dort genannten Praktiken und letzterer zur Festsetzung von Geldbußen oder Zwangsgeldern.

733.
    Nach Artikel 65 § 4 des Vertrages ist die Kommission, vorbehaltlich eines Rechts zur Klage vor dem Gemeinschaftsgericht, für die Entscheidung darüber, ob die dort genannten Vereinbarungen, Beschlüsse und verabredeten Praktiken mit den Bestimmungen dieses Artikels in Einklang stehen, ausschließlich zuständig (vgl. das Urteil Banks, insbesondere Randnr. 17). Die Kommission ist überdies gemäß Artikel 65 § 5 des Vertrages für die Festsetzung von Geldbußen oder Zwangsgeldern zur Ahndung der von § 1 dieses Artikels erfaßten Verhaltensweisen ausschließlich zuständig.

734.
    Aus dem Aufbau dieser Bestimmungen ergibt sich, daß die Kommission befugt ist, durch Entscheidung jede Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages festzustellen, wie sie es in bezug auf die Klägerin und die übrigen betroffenen Unternehmen in Artikel 1 der angefochtenen Entscheidung getan hat.

735.
    Durch die Verpflichtung der Klägerinnen nach Artikel 3 der Entscheidung, die beanstandeten Verhaltensweisen abzustellen und es zu unterlassen, sie zu wiederholen oder fortzusetzen, hat die Kommission nur die Konsequenzen zum Ausdruck gebracht, die sich für ihr künftiges Verhalten aus der Feststellung der Rechtswidrigkeit in Artikel 1 ergeben (in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1307, Randnr. 184).

736.
    Gleiches gilt für das Verbot, „Maßnahmen gleicher Wirkung zu ergreifen“. Es ist rein deklaratorischer Art, da es die Unternehmen an der Wiederholung von Verhaltensweisen hindern soll, deren Rechtswidrigkeit festgestellt wurde (Urteil des Gerichts vom 27. Oktober 1994 in der Rechtssache T-34/92, Fiatagri und New Holland Ford/Kommission, Slg. 1994, II-905, Randnr. 39). Die Kommission ist jedenfalls berechtigt, gegen etwaige spätere Zuwiderhandlungen auf der Grundlage von Artikel 65 selbst vorzugehen (vgl. Urteil Fiatagri und New Holland Ford/Kommission, Randnr. 39).

737.
    Diese Anordnung ist im übrigen hinreichend genau, da aus der Begründung der Entscheidung hervorgeht, welche Umstände die Kommission zur Feststellung der Rechtswidrigkeit der in Artikel 1 beanstandeten Verhaltensweisen veranlaßt haben (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 17. September 1985 in den Rechtssachen 25/84 und 26/84, Ford/Kommission, Slg. 1985, 2725, Randnr. 42, und Urteil Fiatagri und New Holland Ford/Kommission, Randnr. 39). Diese Erwägung gilt auch für die der Klägerin zur Last gelegten Informationsaustauschsysteme, die u. a. deshalb für rechtswidrig erklärt wurden, weil die betreffenden Daten im Rahmen eines oligopolistischen Marktes nach Ländern und Unternehmen aufgeschlüsselt waren (Randnrn. 266 bis 271 der Entscheidung).

738.
    Der Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 3 der Entscheidung ist daher zurückzuweisen.

Zum Antrag, den in Artikel 5 der Entscheidung für die dort vorgesehenen Stundungen festgesetzten Zinssatz auch auf die Stundung durch Aussetzung der Einziehung bei Anrufung des Gerichts für anwendbar zu erklären

739.
    Die Klägerin trägt vor, ein Vergleich zwischen dem Wortlaut des Schreibens vom 28. Februar 1994 und von Artikel 5 der Entscheidung zeige, daß die Unternehmen, die von einer Klage gegen die Entscheidung absähen, bei einer etwaigen Stundung einen günstigeren Zinssatz (6,25 %) erhielten als diejenigen, die gerichtlich gegen sie vorgingen (7,75 %). Dies stelle eine unzulässige Diskriminierung dar.

740.
    Nach dem Wortlaut von Artikel 5 der Entscheidung und des Schreibens vom 28. Februar 1994 sowie den Erläuterungen der Beklagten im Lauf des Verfahrens gilt für ein Unternehmen, das beschlossen hat, die Geldbuße in Raten zu zahlen und Klage zu erheben, bis zur Fälligkeit jeder Rate der FECOM-Basissatz; danach hat es die Wahl, entweder die fällige Rate zu zahlen oder für diese Rate bis zur Verkündung des Urteils zum FECOM-Satz zuzüglich 1,5 % überzugehen. Die Anwendung eines um 1,5 Prozentpunkte erhöhten Zinssatzes hängt folglich nicht mit der Erhebung einer Klage vor dem Gericht zusammen, sondern allein mit dem etwaigen Rückstand bei der Zahlung der Geldbuße, der darauf beruht, daß das Unternehmen bei Fälligkeit nicht gezahlt, sondern das Angebot der Kommission im Schreiben vom 28. Februar 1994 angenommen hat, die Beitreibung der Geldbuße bis zur Verkündung des Urteils auszusetzen.

741.
    Gemäß Artikel 39 des Vertrages haben die beim Gericht erhobenen Klagen keine aufschiebende Wirkung. Folglich braucht die Kommission ein Unternehmen, das — unabhängig davon, ob es Klage erhoben hat — die Geldbuße zu ihrem normalen Fälligkeitstermin entrichtet und dabei gegebenenfalls eine ihm von der Kommission — wie hier — gebotene Möglichkeit der Ratenzahlung zu einem günstigen Zinssatz nutzt, nicht ebenso zu behandeln wie ein Unternehmen, das die Zahlung bis zur Verkündung eines abschließenden Urteils aufschieben möchte. Von außergewöhnlichen Umständen abgesehen, ist die Anwendung von Verzugszinsen

in normaler Höhe im zuletzt genannten Fall als gerechtfertigt anzusehen (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82, AEG/Kommission, Slg. 1983, 3151, Randnr. 141, und Beschlüsse des Präsidenten des Gerichtshofes vom 6. Mai 1982 in der Rechtssache 107/82 R, AEG/Kommission, Slg. 1982, 1549, und vom 7. März 1986 in der Rechtssache 392/85 R, Finsider/Kommission, Slg. 1986, 959).

742.
    Außerdem stellt die den betreffenden Unternehmen gebotene Möglichkeit, ihre Geldbuße in Form von fünf Jahresraten zu zahlen, für die bis zu ihrer Fälligkeit der FECOM-Basissatz gilt, in Verbindung mit der Möglichkeit einer Aussetzung von Beitreibungsmaßnahmen im Fall der Klageerhebung gegenüber der herkömmlichen Vorgehensweise der Kommission bei Klagen vor dem Gemeinschaftsrichter eine Vergünstigung dar. Im allgemeinen verlangt die Kommission nämlich bei der Aussetzung der Zahlung der Geldbuße einen Zinssatz in Höhe des vom FECOM bei seinen Ecu-Transaktionen im Monat vor dem Erlaß der fraglichen Entscheidung angewandten Satzes zuzüglich 1,5 Prozentpunkte. Da bei Ratenzahlung die Fälligkeit von vier Fünfteln der Geldbuße hinausgeschoben wird, führt sie dazu, daß dieser Satz erst später Anwendung findet.

743.
    Der Antrag, der sich im wesentlichen auf die Änderung des im Schreiben vom 28. Februar 1994 festgesetzten Zinssatzes richtet, ist daher als unbegründet zurückzuweisen, ohne daß über die genaue Auslegung und die Zulässigkeit dieses Antrags entschieden zu werden braucht.

Zum Antrag auf Zeugenvernehmung

744.
    Die Klägerin hat in ihrer Klageschrift beantragt, einige Personen als Zeugen „für die Vorgänge im CDE“ (Herrn Kolb) und „in der Träger-Kommission“ (Herrn Kröll und Herrn Mette) sowie „für die Vorgänge in den Eurofer/Scandinavia-Sitzungen und für die Gespräche mit ausländischen Herstellern“ (Herrn Mette) zu vernehmen. Sie hat ferner beantragt, Herrn Kutscher, Herrn Ortún und Herrn Vanderseypen sowie Herrn Drees und Herrn Evans „für die Kenntnis der Kommission über den Informationsaustausch und das Marktverhalten der Unternehmen sowie für die Zusammenarbeit zwischen Kommission, Verbänden und Unternehmen, insbesondere bei den Treffen zwischen der Kommission und der Stahlindustrie“, als Zeugen zu vernehmen. Die Anträge sind vor allem in bezug auf Herrn Kröll und Herrn Mette in der Erwiderung konkretisiert worden.

745.
    Das Gericht hat im Rahmen der von ihm angeordneten Beweiserhebung Herrn Kröll und Herrn Mette zu bestimmten Geschehnissen in bezug auf den deutschen, den französischen und den italienischen Markt sowie Herrn Ortún, Herrn Kutscher und Herrn Vanderseypen zu den Kontakten zwischen der GD III und der Stahlindustrie in der Zeit von Juli 1988 bis Ende 1990 als Zeugen vernommen. In der mündlichen Verhandlung hat auch Herr Kolb einige Erklärungen abgegeben, obwohl die Klägerin ihren Antrag, ihn als Zeugen zu vernehmen, zurückgenommen hat.

746.
    Nach diesen verschiedenen Beweiserhebungen und im Hinblick auf den sonstigen Akteninhalt hält das Gericht den Sachverhalt für hinreichend geklärt, um über den vorliegenden Fall entscheiden zu können, ohne daß die übrigen im Antrag der Klägerin genannten Zeugen vernommen zu werden brauchen.

Kosten

747.
    Gemäß Artikel 87 § 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da der Klage nur teilweise stattgegeben wurde, hält es das Gericht bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles für geboten, der Klägerin ihre eigenen Kosten und vier Fünftel der Kosten der Beklagten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.
    Artikel 1 der Entscheidung 94/215/EGKS der Kommission vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete Praktiken von europäischen Trägerherstellern wird für nichtig erklärt, soweit der Klägerin darin zur Last gelegt wird, für die Dauer von drei Monaten an einer Vereinbarung über die Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt teilgenommen zu haben.

2.
    Die Höhe der in Artikel 4 der Entscheidung 94/215 gegen die Klägerin verhängten Geldbuße wird auf 8 600 000 EURO festgesetzt.

3.
    Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

4.
    Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten sowie vier Fünftel der Kosten der Beklagten. Die Beklagte trägt ein Fünftel ihrer eigenen Kosten.

Bellamy
Potocki
Pirrung

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 11. März 1999.

Der Kanzler

Der Präsident

H. Jung

C. W. Bellamy

Inhaltsverzeichnis

     Sachverhalt

II - 2

     A — Vorbemerkungen

II - 2

     B — Die Beziehungen zwischen der Stahlindustrie und der Kommission zwischen 1970 und 1990

II - 3

         Die Krise in den siebziger Jahren und die Gründung von Eurofer

II - 3

         Das von 1980 bis 1988 geltende Quotensystem

II - 4

         Die Ereignisse, die der Beendigung der Regelung für die offensichtliche Krise am 30. Juni 1988 vorausgingen

II - 8

         Das ab 1. Juli 1988 geltende Überwachungssystem

II - 13

         Die Entscheidung „nichtrostender Flachstahl“ vom 18. Juli 1990

II - 14

         Die von der Kommission ab 1990 angestellten Überlegungen zur Zukunft des EGKS-Vertrags

II - 15

     C — Das Verwaltungsverfahren vor der Kommission

II - 15

     D — Die angefochtene Entscheidung

II - 16

     Verfahren vor dem Gericht, Entwicklung nach der Klageerhebung und Anträge der Parteien

II - 20

     Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung

II - 25

     A — Zur Verletzung von Verfahrensrechten der Klägerin

II - 25

     B — Zur Verletzung wesentlicher Formvorschriften

II - 32

         Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin

II - 32

         Würdigung durch das Gericht

II - 34

             Zulässigkeit

II - 34

             Die Nichterreichung des Quorums

II - 35

             Die fehlende wörtliche Übereinstimmung zwischen der erlassenen und der der Klägerin notifizierten Entscheidung

II - 38

             Die fehlende Feststellung der Entscheidung

II - 40

             Die fehlende Angabe des Datums der Unterzeichnung des Protokolls

II - 41

     C — Zum Verstoß gegen Artikel 65 § 1 des Vertrages

II - 42

         Zur Festsetzung von Preisen (Zielpreise) in der Träger-Kommission

II - 42

             1. Tatsächliche Feststellungen

II - 43

                 — Vorbemerkungen

II - 43

                 — Die angeblich 1986 und 1987 getroffenen Vereinbarungen

II - 46

                 — Die angeblich vor dem 2. Februar 1988 getroffene Vereinbarung über die Preise in Deutschland und Frankreich

II - 46

                 — Die angeblich vor dem 25. Juli 1988 festgelegten Zielpreise

II - 47

                 — Die angeblich am 18. Oktober 1988 festgelegten Zielpreise

II - 47

                 — Die angeblich in der Sitzung vom 10. Januar 1989 beschlossenen Zielpreise

II - 49

                 — Die angeblich in der Sitzung vom 19. April 1989 vereinbarten Zielpreise

II - 51

                 — Die Festsetzung der im Vereinigten Königreich ab Juni 1989 anzuwendenden Preise

II - 52

                 — Die angeblich in der Sitzung vom 11. Juli 1989 getroffene Vereinbarung, auf dem deutschen Markt die Zielpreise für das dritte Quartal 1989 im vierten Quartal beizubehalten

II - 53

                 — Der angeblich in der Sitzung vom 12. Dezember 1989 gefaßte Beschluß über die im ersten Quartal 1990 zu erreichenden Zielpreise

II - 54

                 — Die Festsetzung der im zweiten Quartal 1990 im Vereinigten Königreich anzuwendenden Preise

II - 56

                 — Die Festsetzung der im dritten Quartal 1990 im Vereinigten Königreich anzuwendenden Preise

II - 57

                 — Die von der Klägerin vorgetragenen Argumente wirtschaftlicher Natur

II - 58

                 — Ergebnis

II - 59

             2. Zur rechtlichen Bewertung des Sachverhalts

II - 59

                 a) Zur Bewertung der beanstandeten Verhaltensweisen im Hinblick auf die in Artikel 65 § 1 des Vertrages angesprochenen Arten von Kartellen

II - 60

                 b) Zu Zweck und Wirkung der beanstandeten Kartelle und verabredeten Praktiken

II - 64

                 c) Zur Einordnung der beanstandeten Verhaltensweisen im Hinblick auf das Kriterium „normaler Wettbewerb“

II - 65

                     Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin

II - 65

                     Würdigung durch das Gericht

II - 68

                     — Der Zusammenhang von Artikel 65 § 1 des Vertrages

II - 68

                     — Artikel 60 des Vertrages

II - 70

                     — Artikel 46 bis 48 des Vertrages

II - 71

         Zu den Vereinbarungen über die Harmonisierung von Aufpreisen

II - 73

             Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin

II - 73

             Würdigung durch das Gericht

II - 74

         Zur Marktaufteilung im Rahmen der „Traverso-Methode“

II - 77

             Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin

II - 77

             Würdigung durch das Gericht

II - 79

                 — Zur ersten Phase des Traverso-Systems (viertes Quartal 1988)

II - 79

                 — Zur zweiten Phase des Traverso-Systems (erstes Quartal 1990)

II - 81

         Zur Vereinbarung über die Aufteilung des französischen Marktes im vierten Quartal 1989

II - 82

         Zum Informationsaustausch in der Träger-Kommission (Auftrags- und Liefermonitoring) und im Rahmen der Walzstahl-Vereinigung

II - 88

             Zusammenfassung des Vorbringens der Parteien

II - 90

             Würdigung durch das Gericht

II - 92

                 — Zur Art der der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlung

II - 92

                 — Zum wettbewerbswidrigen Charakter des Monitoring

II - 94

         Zu den Praktiken auf den einzelnen Märkten

II - 99

             1. Die Preisfestsetzung auf dem deutschen Markt

II - 99

             2. Die Aufteilung des deutschen Marktes

II - 101

             3. Die Preisfestsetzung auf dem italienischen Markt

II - 104

                 — Zum dritten Quartal 1988

II - 104

                 — Zum ersten Quartal 1989

II - 107

                 — Zum dritten Quartal 1990

II - 109

             4. Aufteilung des italienischen Marktes

II - 110

         Zur Preisfestsetzung auf dem dänischen Markt im Rahmen der Tätigkeiten der Eurofer/Scandinavia-Gruppe

II - 114

         Ergebnis

II - 120

     D — Zur Verwicklung der Kommission in die der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlungen

II - 120

         Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin

II - 120

         Zusammenfassung der Zeugenvernehmung

II - 126

         Würdigung durch das Gericht

II - 129

             Vorbemerkungen

II - 129

             Zum Verhalten der Kommission in der Krisenzeit

II - 130

             Zum Fortbestand von Mißverständnissen über die Auslegung oder Anwendung von Artikel 65 § 1 des Vertrages nach der Zeit der offensichtlichen Krise

II - 133

             Zur Verwicklung der GD III in die nach dem Ende der Regelung für die offensichtliche Krise festgestellten Zuwiderhandlungen

II - 135

                 — Vereinbarungen über die Preisfestsetzung

II - 137

                 — Vereinbarungen über die Harmonisierung der Aufpreise

II - 139

                 — Vereinbarungen zur Aufteilung der Märkte

II - 139

                 — Austausch von Informationen über Aufträge und Lieferungen

II - 140

                 — Sonstige Vereinbarungen

II - 143

                 — Ergebnis

II - 143

             Zu der Frage, ob die der Klägerin zur Last gelegten Handlungen insbesondere im Hinblick auf die Artikel 46 bis 48 des Vertrages erlaubt waren

II - 144

     E — Zum Ermessensmißbrauch

II - 146

    Zum Hilfsantrag, mit dem die Nichtigerklärung von Artikel 4 der Entscheidung oder zumindest die Herabsetzung der Geldbuße begehrt wird

II - 146

     A — Vorbemerkungen

II - 146

     B — Zum fehlenden Verschulden der Klägerin und dem angeblichen Erfordernis, die verbotenen Praktiken näher zu bezeichnen, statt Geldbußen festzusetzen

II - 148

         Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin

II - 148

         Würdigung durch das Gericht

II - 149

     C — Zur Unverhältnismäßigkeit der Geldbuße

II - 150

         Zusammenfassung des Vorbringens der Klägerin

II - 150

         Würdigung durch das Gericht

II - 154

             Zum Vorbringen der Klägerin

II - 154

                 — Zur Begründung der Entscheidung in bezug auf die Geldbuße

II - 154

                 — Zur wirtschaftlichen Lage der Klägerin und der Stahlindustrie

II - 156

                 — Zur wirtschaftlichen Auswirkung der Zuwiderhandlungen

II - 157

                 — Zum erschwerenden Umstand der Kenntnis der Rechtswidrigkeit der beanstandeten Verhaltensweisen

II - 161

                 — Zu der wegen der Teilnahme der Klägerin an den Informationsaustauschsystemen gegen sie festgesetzten Geldbuße

II - 161

                 — Zur doppelten Anwendung des Basissatzes der Geldbuße

II - 161

                 — Zum angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz „ne bis in idem“

II - 163

                 — Zum allgemeinen Niveau der in der Entscheidung festgesetzten Geldbußen im Verhältnis zu anderen EGKS-Entscheidungen der Kommission und zu den Bestimmungen von Artikel 65 § 5 des Vertrages

II - 164

                 — Zum Vergleich der in der Entscheidung festgesetzten Geldbußen mit den Geldbußen in der Zement-Entscheidung

II - 165

                 — Zur Ausübung der Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung durch das Gericht

II - 166

     Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 3 der Entscheidung

II - 168

     Zum Antrag, den in Artikel 5 der Entscheidung für die dort vorgesehenen Stundungen festgesetzten Zinssatz auch auf die Stundung durch Aussetzung der Einziehung bei Anrufung des Gerichts für anwendbar zu erklären

II - 169

     Zum Antrag auf Zeugenvernehmung

II - 170

     Kosten

II - 171


1: Verfahrenssprache: Deutsch.


2: —     Dieses Datum wird in der deutschen und der englischen Fassung der Entscheidung angegeben. In der französischen und der spanischen Fassung findet sich das Datum des 31. Dezember 1989.