Language of document : ECLI:EU:F:2015:9

URTEIL DES GERICHTS FÜR DEN ÖFFENTLICHEN DIENST

DER EUROPÄISCHEN UNION

(Erste Kammer)

17. März 2015

Rechtssache F‑73/13

AX

gegen

Europäische Zentralbank (EZB)

„Öffentlicher Dienst – Personal der EZB – Disziplinarverfahren – Disziplinarstrafe – Entlassung – Verteidigungsrechte – Zugang zur Disziplinarakte – Zugang zu Informationen und Dokumenten, die andere Dienststellen betreffen – Angemessene Frist – Rechtmäßigkeit der Zusammensetzung des Disziplinarausschusses – Beratende Rolle des Disziplinarausschusses – Verhängung einer schwereren als der empfohlenen Strafe – Begründungspflicht – Leitung einer Dienststelle – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – Verhältnismäßigkeit der Strafe – Mildernde Umstände – Erschwerende Umstände – Einrede der Rechtswidrigkeit“

Gegenstand:      Klage gemäß Art. 36.2 des dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügten Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, u. a. auf Aufhebung der Entscheidung des Direktoriums der Europäischen Zentralbank (EZB, im Folgenden auch: Bank) vom 28. Mai 2013, mit der gegen den Kläger die Disziplinarstrafe der ordentlichen Kündigung verhängt wurde, und auf Zusprechung von 20 000 Euro für den immateriellen Schaden, der ihm entstanden sein soll

Entscheidung:      Die Klage wird abgewiesen. AX trägt seine eigenen Kosten und wird verurteilt, die der Europäischen Zentralbank entstandenen Kosten zu tragen.

Leitsätze

1.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Disziplinarordnung – Disziplinarverfahren – Entsprechende Anwendung der im Rahmen des Beamtenstatuts entwickelten Rechtsprechung

(Beamtenstatut; Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank, Art. 9 Buchst. c)

2.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Disziplinarordnung – Disziplinarverfahren – Kontradiktorisches Verfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Übermittlung der Akte an den Betroffenen – Umfang – Grenzen

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2 Buchst. b; Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank, Art. 45; Dienstvorschriften der Europäischen Zentralbank, Art. 8.3.2 und 8.3.11)

3.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Disziplinarordnung – Strafe – Rechtmäßigkeit – Keine Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen einen anderen Bediensteten wegen eines vergleichbaren Sachverhalts – Keine Auswirkung

(Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank, Art. 45; Dienstvorschriften der Europäischen Zentralbank, Art. 8.3.17)

4.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Disziplinarordnung – Disziplinarverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Pflicht, einen von einem Untersuchungsgremium vor der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorbereiteten und nicht in der Disziplinarakte enthaltenen Bericht an den Betroffenen zu übermitteln – Fehlen

(Dienstvorschriften der Europäischen Zentralbank, Art. 8.3.2 und 8.3.11; Rundverfügung Nr. 1/2006 der Europäischen Zentralbank, Art. 6 Abs. 14)

5.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Disziplinarordnung – Disziplinarverfahren – Disziplinarausschuss – Zusammensetzung – Generaldirektor oder stellvertretender Generaldirektor der Generaldirektion Personal – Zulässigkeit

(Beamtenstatut, Anhang IX Abschnitt 2; Protokoll über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, Art. 36.2; Dienstvorschriften der Europäischen Zentralbank, Art. 8.3.5 und 8.3.7)

6.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Disziplinarordnung – Disziplinarverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Grundsatz der Unschuldsvermutung – Tragweite

(Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank, Art. 45; Dienstvorschriften der Europäischen Zentralbank, Art. 8.3.15)

7.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Disziplinarordnung – Disziplinarverfahren – Fristen – Pflicht der Verwaltung, innerhalb einer angemessenen Frist tätig zu werden – Beurteilung

(Dienstvorschriften der Europäischen Zentralbank, Art. 8.3.2)

8.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Disziplinarordnung – Strafe – Begründungspflicht – Umfang

(Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank, Art. 45; Dienstvorschriften der Europäischen Zentralbank, Art. 8.3.17)

9.      Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Disziplinarordnung – Strafe – Ermessen des Direktoriums – Grenzen – Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Gerichtliche Kontrolle – Grenzen

(Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank, Art. 45; Dienstvorschriften der Europäischen Zentralbank, Art. 8.3.17)

10.    Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Rechte und Pflichten – Treuepflicht – Umfang – Entlassung eines Bediensteten, der das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und der Bank irreparabel beschädigt hat – Zulässigkeit

(Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank, Art. 4 Buchst. a und Art. 44; Verhaltenskodex der Europäischen Zentralbank, Punkte 2, 2.2, 4.1, 4.2 und 5.1)

11.    Beamte – Bedienstete der Europäischen Zentralbank – Disziplinarordnung – Strafe – Mildernder Umstand – Beurteilung im Fall eines Bediensteten mit Managementaufgaben

(Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank, Art. 45)

12.    Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Grundrechte – Vereinigungsfreiheit – Reichweite – Pflicht zu Kollektivverhandlungen – Fehlen

(Art. 13 EUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 28; Protokoll über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, Art. 36.1)

1.      Da nach Art. 9 Buchst. c der Beschäftigungsbedingungen der Europäischen Zentralbank die Auslegung der in diesen Beschäftigungsbedingungen geregelten Rechte und Pflichten unter angemessener Berücksichtigung der maßgebenden Grundsätze der Verordnungen, Regelungen und Rechtsprechung, die für die Bediensteten der Unionsorgane gelten, erfolgt, kann der Unionsrichter die im Zusammenhang mit dem Disziplinarverfahren nach dem Statut der Beamten der Europäischen Union entwickelte Rechtsprechung erforderlichenfalls entsprechend anwenden, da das Disziplinarverfahren, das in den auf die Bediensteten der Bank anwendbaren Rechtsvorschriften vorgesehen ist, gewisse Analogien zu dem aufweist, das nach dem Statut vorgesehen ist.

(vgl. Rn. 102 und 103)

2.      Die für die Bediensteten der Europäischen Zentralbank geltenden Vorschriften sehen zwar einen grundsätzlich uneingeschränkten Zugang des von einem Disziplinarverfahren betroffenen Bediensteten zum Inhalt der Disziplinarakte einschließlich der ihn entlastenden Beweise vor, jedoch sehen sie keinen unbeschränkten Zugang dieses Bediensteten zu jeder Information oder zu jedem Dokument vor, die oder das sich innerhalb der Bank befindet oder aus den dort vorhandenen Dokumenten oder verfügbaren Informationen rekonstruiert werden kann. Was nämlich den letzteren Typ von rekonstruierten Informationen oder Dokumenten betrifft, die grundsätzlich nicht als integraler Bestandteil der Disziplinarakte angesehen werden, sehen die Dienstvorschriften nicht vor, dass sie von Amts wegen an den Betroffenen übermittelt werden.

Das Recht auf Zugang zur Disziplinarakte nach den auf die Bediensteten der Bank anwendbaren Rechtsvorschriften entspricht den Anforderungen des Unionsrechts und insbesondere des Art. 41 Abs. 2 Buchst. b der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie der Rechtsprechung der Unionsgerichte zum Disziplinarverfahren. Der kontradiktorische Charakter eines Disziplinarverfahrens wie des Verfahrens vor dem Disziplinarausschuss der Bank und die Verteidigungsrechte in einem solchen Verfahren erfordern zwar, dass der Betroffene und gegebenenfalls sein Anwalt von allen Tatsachen, auf die die Disziplinarentscheidung gestützt wurde, Kenntnis nehmen können, und dies so rechtzeitig, dass sie sich dazu äußern können. Die Wahrung der Verteidigungsrechte erfordert daher nicht nur, dass der Betroffene Gelegenheit erhält, sich zur Relevanz der Sachumstände in sachdienlicher Weise zu äußern, sondern auch, dass er zumindest zu den Unterlagen Stellung nehmen kann, auf die das Unionsorgan zurückgreift und die für die Ausübung seiner Verteidigungsrechte bedeutende Tatsachen enthalten. Jedoch kann das Erfordernis eines Zugangs des Betroffenen zu den ihn betreffenden Dokumenten nur für die im Disziplinarverfahren und/oder in der endgültigen Entscheidung der Verwaltung verwendeten Dokumente gelten. Daher ist die Verwaltung im Hinblick auf den Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte nicht zwangsläufig verpflichtet, andere Dokumente zu übermitteln.

Es ist nicht Sache der Bank oder des Disziplinarausschusses, über die Relevanz oder die Bedeutung zu befinden, die bestimmte Unterlagen für die Verteidigung eines Bediensteten haben können, da sich nicht ausschließen lässt, dass Papiere, die die Bank oder der Disziplinarausschuss für unerheblich hält, für ihn von Interesse sind. Folglich können weder die Bank noch der Disziplinarausschuss einseitig Papiere aus dem Verwaltungsverfahren ausschließen, die vom Betroffenen zur Entlastung verwendet werden könnten.

(vgl. Rn. 114, 115 und 120)

Verweisung auf:

Gericht erster Instanz: Urteile ICI/Kommission, T‑36/91, EU:T:1995:118, Rn. 93; N/Kommission, T‑273/94, EU:T:1997:71, Rn. 89; Eyckeler & Malt/Kommission, T‑42/96, EU:T:1998:40, Rn. 81, und Kaufring u. a./Kommission, T‑186/97, T‑187/97, T‑190/97 bis T‑192/97, T‑210/97, T‑211/97, T‑216/97 bis T‑218/97, T‑279/97, T‑280/97, T‑293/97 und T‑147/99, EU:T:2001:133, Rn. 179 und 185

3.      Die Verantwortlichkeit eines Bediensteten der Europäischen Zentralbank, gegen den ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde, ist individuell und autonom zu prüfen, d. h. unabhängig davon, ob die in Bezug auf andere Bedienstete getroffene Entscheidung rechtmäßig oder rechtswidrig war oder überhaupt keine Entscheidung getroffen wurde. Daher kann sich ein Bediensteter nicht mit Erfolg darauf berufen, dass gegen einen oder mehrere andere Bedienstete wegen eines Sachverhalts, der dem ihm zur Last gelegten entspreche, kein Disziplinarverfahren eingeleitet worden sei, um die gegen ihn verhängte Disziplinarstrafe anzufechten.

(vgl. Rn. 123 und 228)

Verweisung auf:

Gerichtshof: Urteile Williams/Rechnungshof, 134/84, EU:C:1985:297, Rn. 14, und de Compte/Parlament, C‑326/91 P, EU:C:1994:218, Rn. 52

Gericht erster Instanz: Urteil de Compte/Parlament, T‑26/89, EU:T:1991:54, Rn. 170

4.      Der Tätigkeitsbericht eines Untersuchungsgremiums, das vom Direktorium der Europäischen Zentralbank im Anschluss an Hinweise eines Hinweisgebers eingesetzt wurde, der die Verwaltung ursprünglich auf bestimmte Unregelmäßigkeiten in einer Abteilung des Organs aufmerksam gemacht hatte, kann im Gegensatz zum Disziplinarbericht nach Art. 8.3.2 der Dienstvorschriften nicht als ein von der Bank angenommener Bericht oder als ein mit Gründen versehener Bericht im Sinne von Art. 6 Abs. 14 der Rundverfügung Nr. 1/2006 zur Festlegung der Regeln für Verwaltungsuntersuchungen innerhalb der Bank betrachtet werden.

Unter Berücksichtigung des vorläufigen Charakters der möglicherweise im Tätigkeitsbericht des Gremiums enthaltenen Feststellungen und Schlussfolgerungen sowie des berechtigten Interesses an der Wahrung der Anonymität des Hinweisgebers hat dieser Bericht nämlich den Charakter einer vorbereitenden Note, die vor der Einleitung eines Disziplinarverfahrens verfasst wird. Als internes Dokument ist diese vorbereitende Note daher nicht Teil der Disziplinarakte, und ihre Übermittlung an einen Bediensteten, gegen den ein Disziplinarverfahren eingeleitet wurde, ist nach den Dienstvorschriften der Bank für die Wahrung seiner Verteidigungsrechte nicht erforderlich.

Demzufolge übt der Disziplinarausschuss sein Ermessen in diesem Bereich nicht fehlerhaft aus, wenn er feststellt, dass die Disziplinarakte genug Anhaltspunkte sowohl zu den dem Betroffenen zur Last gelegten Handlungen als auch zur Stützung der Argumente zur Verteidigung des Letzteren enthalte und die Einbeziehung dieses Dokuments, das die vorläufigen Beurteilungen des Gremiums enthält, daher keinen Mehrwert darstelle und das Verfahren unnötig verlängere. Im Übrigen kann nicht angenommen werden, dass dieser Bericht, weil der Disziplinarausschuss bereit war, ihn von der Bank zu verlangen und ihn zu prüfen, um auf einen Zugangsantrag des Betroffenen antworten zu können, ein Bestandteil der Disziplinarakte geworden ist und der Disziplinarausschuss diesen Bericht zwangsläufig seiner Stellungnahme zugrunde gelegt hat.

Jedenfalls kann, auch wenn die Verwaltung die Pflicht hat, einem Betroffenen eines Disziplinarverfahrens die Unterlagen zu übermitteln, auf die sie sich beim Erlass einer beschwerenden Entscheidung ausdrücklich stützt, und die Bank nach Art. 8.3.11 der Dienstvorschriften verpflichtet ist, ihm zu gestatten, von allen Verfahrensunterlagen einschließlich derer, die ihn entlasten, Kopien anzufertigen, die Weigerung der Preisgabe bestimmter Unterlagen nur dann zur Aufhebung der Disziplinarentscheidung führen, wenn die erhobenen Vorwürfe nur durch diese Unterlagen belegt werden können, d. h., wenn die Weigerung der Preisgabe der von dem Betroffenen bezeichneten Schriftstücke den Ablauf des Disziplinarverfahrens und den Inhalt der streitigen Entscheidung zu seinen Ungunsten beeinflussen konnte.

(vgl. Rn. 135 bis 139)

Verweisung auf:

Gerichtshof: Urteile R./Kommission, 255/83 und 256/83, EU:C:1985:324, Rn. 24, und Tzoanos/Kommission, C‑191/98 P, EU:C:1999:565, Rn. 34 und 35

Gericht erster Instanz: Urteile Y/Gerichtshof, T‑500/93, EU:T:1996:94, Rn. 45; N/Kommission, EU:T:1997:71, Rn. 92, und E/Kommission, T‑24/98 und T‑241/99, EU:T:2001:175, Rn. 92 und 93

5.      Die Europäische Zentralbank kann im Rahmen ihrer institutionellen Autonomie eine Disziplinarordnung vorsehen, die einen Disziplinarausschuss umfasst, dessen Zusammensetzung in einer Weise geregelt ist, die – sogar erheblich – von der Regelung in Abschnitt 2 des Anhangs IX des Beamtenstatuts über den für die Beamten und sonstigen Bediensteten der Union vorgesehenen Disziplinarrat abweicht. Selbst wenn nach Art. 8.3.5 der Dienstvorschriften der Bank zwischen den von der Verwaltung und den von der Personalvertretung benannten Mitgliedern nicht dasselbe Gleichgewicht herrscht wie im Beamtenstatut, bestehen im Kontext der Bank, in dem das Beamtenstatut nicht gilt, doch hinreichende Garantien für die Unparteilichkeit und die Objektivität der Stellungnahme, die der Disziplinarausschuss zu verfassen und zu beschließen hat, um sie dann dem Direktorium zu übermitteln: erstens die Zusammensetzung des Disziplinarausschusses, insbesondere die diensteübergreifende Herkunft seiner Mitglieder, zweitens die Regelung nach Art. 8.3.7 der Dienstvorschriften, wonach die Beratungen und Arbeiten des Disziplinarausschusses persönlich und vertraulich sind und die Mitglieder dieses Ausschusses in persönlicher Eigenschaft handeln und ihre Funktion unabhängig ausüben, drittens der kollegiale Charakter der Beratungen und schließlich viertens die Möglichkeit des Betroffenen, eines der Mitglieder abzulehnen.

Insoweit bedeutet der Umstand, dass der Generaldirektor oder der stellvertretende Generaldirektor der Generaldirektion Personal von Rechts wegen Mitglied des Disziplinarausschusses ist, nicht, dass er einen ausschlaggebenden Einfluss auf alle Bediensteten und folglich auf die Beratungen des Disziplinarausschusses ausübt oder ausüben kann. In einem nicht dem Statut unterliegenden Kontext wie dem, der die arbeitsrechtlichen Beziehungen zwischen der Bank und ihren Bediensteten kennzeichnet, ist es im Übrigen akzeptabel, dass die Interessen der Bank im Disziplinarausschuss durch einen solchen Bediensteten vertreten werden, zumal der Generaldirektor der Generaldirektion Personal dem Direktorium, dem Entscheidungsgremium in Disziplinarangelegenheiten, nicht angehört.

Unter diesen Umständen kann einem der von der Verwaltung benannten Ausschussmitglieder nicht vorgeworfen werden, den Betroffenen eines Disziplinarverfahrens bei seiner Anhörung durch den Disziplinarausschuss in einer Weise befragt zu haben, die der Betroffene als ihn belastend verstanden hat. Ein solches Verhalten, selbst wenn es erwiesen sein sollte, spricht nämlich nicht zwangsläufig für eine Voreingenommenheit, sondern könnte auch durch den Wunsch erklärt werden, durch eine Konfrontation des Betroffenen mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen kontradiktorisch zu den Erörterungen beizutragen. Aber selbst wenn der Betroffene die Äußerungen des stellvertretenden Generaldirektors der Generaldirektion Personal bei seiner Anhörung aufgrund des Tons, in dem sie vorgetragen wurden, subjektiv als Anklage empfinden konnte, lässt das als solches keinen Verstoß gegen die Verteidigungsrechte oder den Grundsatz der Unschuldsvermutung erkennen.

Es kann auch nicht kategorisch behauptet werden, dass sich der Generaldirektor oder der stellvertretende Generaldirektor der Generaldirektion Personal aufgrund seiner Funktion zwangsläufig in einem Interessenkonflikt befindet, nämlich in der Situation, in der ein Bediensteter in Ausübung seines Amtes in einer Angelegenheit Stellung zu nehmen hat, an deren Behandlung oder Erledigung er ein persönliches Interesse hat, das seine Unabhängigkeit beeinträchtigen könnte. Außerdem betraut Art. 8.3.5 der Dienstvorschriften nicht den Generaldirektor oder den stellvertretenden Generaldirektor mit dem Vorsitz im Disziplinarausschuss, sondern eine der Bank nicht angehörende Person, auch wenn diese Person über kein Stimmrecht verfügt. Jedenfalls ermöglicht die vom Unionsrichter im Rahmen einer Klage gemäß Art. 36.2 des Protokolls über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Bank ausgeübte gerichtliche Kontrolle die Ausübung eines angemessenen und effektiven Rechtsschutzes durch ein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, so dass Unzulänglichkeiten und Fehlern in der Zusammensetzung des Disziplinarausschusses gegebenenfalls abgeholfen werden kann.

(vgl. Rn. 148 und 150 bis 157)

Verweisung auf:

Gericht erster Instanz: Urteile X/EZB, T‑333/99, EU:T:2001:251; Onidi/Kommission, T‑197/00, EU:T:2002:135, Rn. 132; Zavvos/Kommission, T‑21/01, EU:T:2002:177, Rn. 336, und Giannini/Kommission, T‑100/04, EU:T:2008:68, Rn. 223

Gericht der Europäischen Union: Urteil Andreasen/Kommission, T‑17/08 P, EU:T:2010:374, Rn. 145

6.      Im Rahmen des Disziplinarverfahrens für die Bediensteten der Europäischen Zentralbank kann ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung nur festgestellt werden, wenn anhand von Tatsachen bewiesen werden kann, dass die Verwaltung von Beginn des Disziplinarverfahrens an beschlossen hatte, in jedem Fall eine Sanktion gegen den Betroffenen zu verhängen, unabhängig von dem Vorbringen dieser Person. Insoweit kann der Umstand, dass zwei Mitglieder des Disziplinarausschusses sich dahin geäußert haben, dass die dem Betroffenen zur Last gelegten Pflichtverletzungen durch die Verfolgung eines persönlichen Interesses motiviert gewesen seien, keineswegs einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung beweisen. Diese Auffassung spiegelt nämlich nur den für die Erörterungen geltenden Grundsatz der Kollegialität und die Möglichkeit wider, eine von der vom Disziplinarausschuss mehrheitlich angenommenen endgültigen Stellungnahme abweichende Meinung zu äußern. Des Weiteren zeigt die Entscheidung des Direktoriums, eine der schwersten nach den Dienstvorschriften vorgesehenen Disziplinarstrafen zu verhängen, für sich genommen nicht, dass die Unschuldsvermutung während des Disziplinarverfahrens verletzt wurde.

(vgl. Rn. 162, 166 und 167)

Verweisung auf:

Gericht erster Instanz: Urteil Pessoa e Costa/Kommission, T‑166/02, EU:T:2003:73, Rn. 56

7.      In Disziplinarsachen ist die Europäische Zentralbank oder gegebenenfalls das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung verpflichtet, von dem Zeitpunkt an, zu dem sie von Vorgängen und Handlungen Kenntnis erlangen, die Zuwiderhandlungen gegen die Verpflichtungen eines Bediensteten der Bank darstellen können, bei der Prüfung, ob sie eine Untersuchung einleiten sollen, und, wenn diese Frage zu bejahen ist, bei dieser Untersuchung bzw., was die Bank betrifft, bei der Durchführung des Disziplinarverfahrens zügig vorzugehen. Daher hat die Bank bei der Durchführung ihres Disziplinarverfahrens sicherzustellen, dass jede Verfahrenshandlung in angemessenem zeitlichen Abstand zur vorhergehenden Maßnahme vorgenommen wird. Insoweit kann nicht von einem Verstoß gegen den Grundsatz der angemessenen Frist die Rede sein, wenn es um ein Disziplinarverfahren geht, in dem die zwischen jeder Verfolgungsmaßnahme und der folgenden Maßnahme verstrichene Zeit völlig angemessen war und die Verzögerungen, wenn es sie denn gegeben hat, darauf zurückzuführen waren, dass die Verteidigungsrechte des Betroffenen beachtet und die zahlreichen von seinem Anwalt eingereichten Stellungnahmen und Erklärungen beantwortet werden mussten.

Im Übrigen trifft es zwar zu, dass sich der Betroffene während der Ermittlungen vor der Einleitung eines Disziplinarverfahrens und während des Disziplinarverfahrens in einer Situation des Abwartens und der Ungewissheit befindet, insbesondere was seine berufliche Zukunft betrifft, doch kann dieser Gesichtspunkt keine Auswirkung auf die Gültigkeit der Disziplinarentscheidung haben, da diese Situation jedem Disziplinarverfahren inhärent ist und die Einleitung dieses Verfahrens durch das Interesse der Union gerechtfertigt ist, das von der Bank verlangt, bei Vorwürfen, die Zweifel an der Redlichkeit ihrer Bediensteten aufkommen lassen, die notwendigen Maßnahmen einschließlich der vorläufigen Dienstenthebung des Betroffenen zu ergreifen, um sich der Untadeligkeit seines beruflichen Verhaltens zu vergewissern.

(vgl. Rn. 173, 175, 182 und 184)

Verweisung auf:

Gericht erster Instanz: Urteile Teixeira Neves/Gerichtshof, T‑259/97, EU:T:2000:208, Rn. 125, und Pessoa e Costa/Kommission, EU:T:2003:73, Rn. 66

Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteile Kerstens/Kommission, F‑12/10, EU:F:2012:29, Rn. 124 und 125, und Goetz/Ausschuss der Regionen, F‑89/11, EU:F:2013:83, Rn. 126

8.      Wenn in Disziplinarsachen die gegen einen Bediensteten der Europäischen Zentralbank verhängte Strafe schließlich schwerer ist als die vom Disziplinarausschuss vorgeschlagene, muss die Entscheidung der Bank aufgrund der Erfordernisse eines jeden Disziplinarverfahrens selbst im Rahmen eines rein vertraglichen Beschäftigungsverhältnisses eine eingehende Darlegung der Gründe enthalten, aus denen die Bank von der Stellungnahme ihres Disziplinarausschusses abgewichen ist. Diese Pflicht ist dann erfüllt, wenn das Direktorium der Bank die Gründe darlegt, aus denen es eine schwerere Strafe festgesetzt hat als die, auf die sich die Mitglieder des Disziplinarausschusses einigen konnten. Insoweit kann der Umstand, dass die vom Direktorium festgesetzte Strafe der entspricht, für die sich zwei der vier stimmberechtigten Mitglieder des Disziplinarausschusses ausgesprochen hatten, für sich genommen unter dem Aspekt der Begründungspflicht nicht zur Mangelhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung führen.

Im Übrigen ist das Direktorium nicht an die Stellungnahme des Disziplinarausschusses gebunden, wie Art. 8.3.17 der Dienstvorschriften der Bank ausdrücklich bestimmt. Daher kann, auch wenn die Mehrheit des Disziplinarausschusses sich darüber einig ist, dass das Direktorium ihres Erachtens eine Zerstörung des Vertrauensverhältnisses nur feststellen kann, wenn es der Auffassung ist, dass der Betroffene ein persönliches Interesse verfolgt hat, das Direktorium im Rahmen seines weiten Ermessens bei der Definition seiner Anforderungen an die Integrität des Personals der Bank, und zwar auch bei einer anderen als der vom Disziplinarausschuss ins Auge gefassten Fallgestaltung, d. h. selbst ohne den Nachweis, dass der Betroffene ein persönliches Interesse verfolgt hat, feststellen, dass das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört ist.

(vgl. Rn. 190, 196 und 197)

Verweisung auf:

Gerichtshof: Urteil F./Kommission, 228/83, EU:C:1985:28, Rn. 35

Gericht erster Instanz: Urteil N/Kommission, T‑198/02, EU:T:2004:101, Rn. 95

Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteil EH/Kommission, F‑42/14, EU:F:2014:250, Rn. 132

9.      Bei der Beurteilung der Schwere der vom Disziplinarausschuss der Europäischen Zentralbank zulasten eines Bediensteten der Bank festgestellten Verfehlungen und der Wahl der Disziplinarstrafe, die angesichts dieser Verfehlungen als die angemessenste erscheint, hat die Bank grundsätzlich einen weiten Beurteilungsspielraum, sofern die verhängte Strafe nicht in einem Missverhältnis zu dem festgestellten Sachverhalt steht. Somit ist dieses Organ befugt, die Verantwortlichkeit seines Bediensteten anders zu beurteilen als sein Disziplinarausschuss und sodann die Disziplinarstrafe zu wählen, die es zur Ahndung der festgestellten disziplinarischen Verfehlungen für angemessen hält. Wenn der Sachverhalt feststeht, hat sich die richterliche Kontrolle angesichts des weiten Beurteilungsspielraums der Bank in Disziplinarsachen auf die Prüfung zu beschränken, ob kein offensichtlicher Beurteilungsfehler und kein Ermessensmissbrauch vorliegen.

Was die Verhältnismäßigkeit der Disziplinarstrafe angesichts der Schwere der festgestellten Verfehlungen anbelangt, hat der Unionsrichter zu berücksichtigen, dass die Festsetzung der Strafe auf einer Gesamtwürdigung aller konkreten Tatsachen und Umstände des Einzelfalls durch die Bank beruhen muss, da die auf die Bediensteten der Bank anwendbaren Rechtsvorschriften, insbesondere Art. 45 der Beschäftigungsbedingungen, ebenso wie das Beamtenstatut kein starres Verhältnis zwischen den dort aufgeführten Disziplinarstrafen und den verschiedenen möglichen Verfehlungen gegen die Dienstpflichten vorsehen und nicht regeln, in welchem Umfang sich das Vorliegen erschwerender oder mildernder Umstände auf die Wahl der Strafe auswirken muss. Insoweit ist die Verwaltung befugt, die Verantwortlichkeit ihres Bediensteten anders zu beurteilen als der Disziplinarausschuss und sodann die Disziplinarstrafe zu wählen, die sie zur Ahndung der festgestellten disziplinarischen Verfehlungen für angemessen hält. Die Prüfung des erstinstanzlichen Richters beschränkt sich daher auf die Frage, ob die Bank bei der Abwägung der erschwerenden und der mildernden Umstände den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt hat, wobei der Richter die von der Bank insoweit vorgenommenen Wertungen und die ihr obliegende Wahl der Disziplinarstrafe nicht durch seine eigenen ersetzen darf.

(vgl. Rn. 205 bis 207 und 245)

Verweisung auf:

Gericht erster Instanz: Urteile Y/Gerichtshof, EU:T:1996:94, Rn. 56; Tzikis/Kommission, EU:T:2000:130, Rn. 48; E/Kommission, EU:T:2001:175, Rn. 85 und 86; X/EZB, EU:T:2001:251, Rn. 221 und 222, und Afari/EZB, T‑11/03, EU:T:2004:77, Rn. 203

Gericht der Europäischen Union: Urteil BG/Bürgerbeauftragter, T‑406/12 P, EU:T:2014:273, Rn. 64

Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteile Nijs/Rechnungshof, F‑77/09, EU:F:2011:2, Rn. 132, und EH/Kommission, EU:F:2014:250, Rn. 92 und 93

10.    Art. 4 Buchst. a der Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank und die Punkte 2, 2.2, 4.1, 4.2 und 5.1 des Verhaltenskodex der Bank sollen sicherstellen, dass die Bediensteten der Bank in ihrem Verhalten ein würdiges Bild abgeben, das im Einklang mit dem besonders korrekten und ehrenhaften Verhalten steht, das man von den Bediensteten eines internationalen öffentlichen Organs erwarten darf, auch wenn sie auf vertraglicher Grundlage beschäftigt sind. Insbesondere ist die Verpflichtung nach dem genannten Art. 4 Buchst. a, ein Verhalten anzunehmen, das ihren Aufgaben und der Natur der Bank als Organ der Union entspricht, so auszulegen, dass sie dem Personal der Bank u. a. eine Treuepflicht und die Pflicht zu einem würdigen Verhalten auferlegt, die denen ähneln, die für die Beamten der Union gelten.

Insoweit ergibt sich aus den auf die Bediensteten der Bank anwendbaren Rechtsvorschriften eine Treuepflicht des Bediensteten der Bank gegenüber seinem institutionellen Arbeitgeber, die von ihm – zumal wenn er einer höheren Besoldungsgruppe angehört – ein Verhalten verlangt, das über jeden Verdacht erhaben ist, damit das zwischen ihm und der Bank bestehende Vertrauensverhältnis erhalten bleibt. In Anbetracht der Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen der Union und ihren Bediensteten im Hinblick sowohl auf die interne Arbeitsweise der Union als auch auf ihr Bild nach außen und angesichts des allgemeinen Wortlauts von Art. 4 Buchst. a der Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Bank und des Verhaltenskodex umfassen diese Vorschriften jeden Umstand und jedes Verhalten, die von dem Bediensteten der Bank aufgrund seiner Besoldungsgruppe und der von ihm ausgeübten Aufgaben sowie der konkreten Umstände vernünftigerweise so verstanden werden müssen, dass sie in den Augen Dritter geeignet sein können, eine Verwirrung über die von der Union verfolgten Interessen, denen er dienen sollte, hervorzurufen.

Außerdem gründet die Bank in Anbetracht ihrer Verantwortung für die Durchführung der Geldpolitik der Union ihr Ansehen nach außen tatsächlich auf die Rolle als vorbildliche, effiziente und verantwortungsvolle Verwaltung, was impliziert, dass sie über ein Personal mit einem hohen Maß an Integrität verfügt. Darauf wird im Übrigen in Punkt 2.2 des Verhaltenskodex hinwiesen, nach dem von den Bediensteten der Bank erwartet wird, dass sie sich der Bedeutung ihrer Pflichten und Verantwortlichkeiten bewusst sind, dass sie den Erwartungen der Öffentlichkeit hinsichtlich ihres moralischen Verhaltens Rechnung tragen, dass sie sich auf eine Art und Weise verhalten, die das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Bank aufrechterhält und fördert und dass sie zur Effizienz der Verwaltung der Bank beitragen. Solche Pflichten haben eine entscheidende Bedeutung für die Erfüllung der Ziele einer Bank und stellen einen wesentlichen Bestandteil des Verhaltens dar, den das Personal dieses Organs beachten muss, um dessen Unabhängigkeit und Würde zu wahren.

Daher kann die Bank in dem Fall, dass einer ihrer Bediensteten, der Managementaufgaben erfüllt und bei der Wahrung des Ansehens und der finanziellen Interessen des Organs eine hohe Verantwortung trägt, in Verfolgung eines persönlichen Interesses den Kauf von Gegenständen zulasten des Budgets der Bank angeordnet hat, die Ansicht vertreten, dass der Bedienstete das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und der Bank irreparabel beschädigt hat. In einem solchen Fall kann die Bank nämlich im Rahmen ihres weiten Ermessens bei der Definition ihrer Anforderungen an die Integrität ihres Personals feststellen, dass es trotz des Wunsches des Betroffenen, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, ausgeschlossen ist, dieses Vertrauensverhältnis wiederherstellen zu können, und dass somit die Erfüllung der Aufgaben, die der Bank von der Union übertragen sind, in Zusammenarbeit mit diesem Bediensteten schwieriger oder sogar unmöglich ist. Insoweit kann die Bank im Rahmen ihres weiten Ermessens und angesichts der vertraglichen Natur des Beschäftigungsverhältnisses ihrer Bediensteten der Auffassung sein, dass eine mildere Strafe für die Handlungen einer Person, die für ein beachtliches zentralisiertes Budget verantwortlich war, unzureichend gewesen wäre und dass unter Berücksichtigung der Vorsätzlichkeit und der Schwere der in Rede stehenden Dienstpflichtverletzungen eines ihrer Manager – von denen ein beispielhaftes Verhalten erwartet wird – das Vertrauensverhältnis endgültig zerstört war.

(vgl. Rn. 209, 210, 231 bis 234, 236 und 237)

Verweisung auf:

Gericht erster Instanz: Urteile Williams/Rechnungshof, T‑146/94, EU:T:1996:34, Rn. 65; N/Kommission, EU:T:1997:71, Rn. 127 und 129; Yasse/EIB, T‑141/97, EU:T:1999:177, Rn. 108 und 110; Afari/EZB, EU:T:2004:77, Rn. 193

Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteil Gomes Moreira/ECDC, F‑80/11, EU:F:2013:159, Rn. 63 und 67

11.    In Disziplinarsachen können etwaige Versäumnisse der Vorgesetzten bei ihrer Aufsichtsfunktion und der anderen Dienststellen der Bank bei der budgetären und finanziellen Überwachung der Abteilung des Betroffenen keinen mildernden Umstand in Bezug auf die Verletzung von Berufspflichten darstellen, die einem Bediensteten der Europäischen Zentralbank mit Managementaufgaben vorgeworfen werden, der für sein Handeln verantwortlich bleibt. Ebenso hat die Bank zwar nach Art. 45 der Beschäftigungsbedingungen der bisherigen dienstlichen Führung des Bediensteten Rechnung zu tragen, doch steht diese Berücksichtigung nicht zwangsläufig der Anerkennung eines mildernden Umstands gleich. Die Bank kann gegebenenfalls zu Recht die Auffassung vertreten, der Sachverhalt wiege so schwer, dass, selbst wenn die Beurteilungen des Betroffenen außergewöhnlich gewesen wären, sich dieser Umstand nicht ausgewirkt hätte. Insbesondere kann nicht zugelassen werden, dass ein Bediensteter unter dem Deckmantel seines Beitrags zu erheblichen Gesamteinsparungen zugunsten des Verwaltungshaushalts eines Organs sich als von den Grundregeln der wirtschaftlichen Haushaltsführung befreit ansehen kann, weil seine nicht genehmigten Tätigkeiten im Verhältnis zu dem Budget, für das er verantwortlich ist, nur geringfügige Beträge betreffen. Unabhängig davon, um welchen Betrag es geht, hat nämlich jede öffentliche Ausgabe entsprechend den Regeln der Haushaltsdisziplin und der buchhalterischen Sorgfalt zu erfolgen.

Im Übrigen geht ein Vorbringen dahin gehend, dass der Betroffene keine gezielte Schulung für die Haushaltsführung und die Beschaffungsvorschriften erhalten habe, ins Leere, da diese etwaige Unzulänglichkeit es dem Betroffenen nicht erlaubte, unter Missachtung der ausdrücklichen internen Regeln der Europäischen Zentralbank zu handeln.

(vgl. Rn. 222, 225 und 226)

Verweisung auf:

Gerichtshof: Urteil R./Kommission, EU:C:1985:324, Rn. 44

Gericht erster Instanz: Urteile Z/Parlament, T‑242/97, EU:T:1999:92, Rn. 115; Yasse/EIB, EU:T:1999:177, Rn. 114, und X/EZB, EU:T:2001:251, Rn. 233

Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteil EH/Kommission, EU:F:2014:250, Rn. 119

12.    Weder Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Sozialcharta noch Art. 28 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union noch Art. 11 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten schreiben die Pflicht vor, ein Verfahren für Kollektivverhandlungen einzuführen oder den Gewerkschaften zur Wahrung der wirtschaftlichen und sozialen Interessen der Arbeitnehmer ein Mitentscheidungsrecht zur Ausarbeitung der Beschäftigungsbedingungen der Arbeitnehmer zu gewähren. Daher konnten die Beschäftigungsbedingungen für das Personal der Europäischen Zentralbank und die für dieses Personal geltenden Dienstvorschriften von der Bank nach Anhörung der Personalvertretung einseitig erlassen und geändert werden, und es besteht keine Verpflichtung, in diesem Bereich auf der Grundlage von Tarifverträgen zu handeln, die die Bank und die ihr Personal vertretenden Gewerkschaftsorganisationen geschlossen haben. Als in Art. 13 EUV genanntes Organ der Union und gemäß dem Protokoll über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank ist die Bank nämlich ermächtigt, durch Verordnung die für ihr Personal geltenden Bestimmungen festzulegen.

(vgl. Rn. 252 und 253)

Verweisung auf:

Gericht für den öffentlichen Dienst: Urteile Cerafogli/EZB, F‑84/08, EU:F:2010:134, Rn. 47, und Heath/EZB, F‑121/10, EU:F:2011:174, Rn. 121