Language of document : ECLI:EU:T:2011:508

BESCHLUSS DES GERICHTS (Siebte erweiterte Kammer)

21. September 2011(*)

„Nichtigkeitsklage – REACH – Ermittlung von Acrylamid als besonders besorgniserregender Stoff – Klagefrist – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache T‑268/10

Polyelectrolyte Producers Group GEIE (PPG) mit Sitz in Brüssel (Belgien),

SNF SAS mit Sitz in Andrézieux-Bouthéon (Frankreich),

vertreten zunächst durch Rechtsanwälte K. Van Maldegem, R. Cana und P. Sellar, Solicitor, dann durch Rechtsanwälte Van Maldegem und Cana,

Klägerinnen,

gegen

Europäische Chemikalienagentur (ECHA), vertreten durch M. Heikkila und W. Broere als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Königreich der Niederlande, vertreten durch M. Noort und J. Langer als Bevollmächtigte,

und durch

Europäische Kommission, vertreten durch P. Oliver und E. Manhaeve als Bevollmächtigte,

Streithelfer,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung der ECHA, mit der Acrylamid (EG Nr. 201‑173‑7) gemäß Art. 59 der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. L 396, S. 1) als Stoff ermittelt wurde, der die Kriterien nach Art. 57 der Verordnung erfüllt, und in die Liste der für eine Aufnahme in Anhang XIV dieser Verordnung in Frage kommenden Stoffe aufgenommen wurde,

erlässt

DAS GERICHT (Siebte erweiterte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Dittrich (Berichterstatter) sowie der Richter F. Dehousse, I. Wiszniewska-Białecka, M. Prek und J. Schwarcz,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Die erste Klägerin, die Polyelectrolyte Producers Group GEIE (PPG), ist eine Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung mit Sitz in Belgien. Sie vertritt die Interessen von Unternehmen, die Polyelektrolyte, Polyacrylamid und/oder andere acrylamidhaltige Polymere erzeugen und/oder einführen. Die Mitgliedsunternehmen der ersten Klägerin verwenden auch Acrylamid und erzeugen und/oder führen Acrylamid oder Polyacrylamid ein. Alle Acrylamiderzeuger der Europäischen Union sind Mitglieder der ersten Klägerin.

2        Die zweite Klägerin, die SNF SAS, ist ein Mitgliedsunternehmen der ersten Klägerin. Sie ist hauptsächlich in der Erzeugung von Acrylamid und Polyacrylamid tätig, das sie direkt an ihre Kunden verkauft. Sie verfügt über Produktionsstätten in Frankreich, den Vereinigten Staaten, China und Südkorea.

3        Am 25. August 2009 übermittelte das Königreich der Niederlande der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) ein Dossier, das es zur Ermittlung von Acrylamid als Stoff, der die Kriterien des Art. 57 Buchst. a und b der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (ABl. L 396, S. 1), in der Folge geändert u. a. durch die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG (ABl. L 353, S. 1) erfüllt, ausgearbeitet hatte und in dem es auf die Einstufung von Acrylamid als karzinogener Stoff der Kategorie 2 und als keimzellmutagener Stoff der Kategorie 2 in Anhang VI Teil 3 der Verordnung Nr. 1272/2008 hinwies. Am 31. August 2009 veröffentlichte die ECHA auf ihrer Website einen Hinweis, mit dem sie die interessierten Kreise aufforderte, ihre Bemerkungen zu dem Dossier abzugeben, das zu Acrylamid zusammengestellt worden war. Am selben Tag forderte die ECHA auch die zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten auf, Bemerkungen zu diesem Thema abzugeben.

4        Nach Eingang von Bemerkungen zu dem betreffenden Dossier, insbesondere seitens der ersten Klägerin, und der Antworten des Königreichs der Niederlande auf diese Bemerkungen überwies die ECHA das Dossier an ihren Ausschuss der Mitgliedstaaten, der am 27. November 2009 zur einstimmigen Einigung über die Ermittlung von Acrylamid als besonders besorgniserregender Stoff gelangte, da Acrylamid die Kriterien des Art. 57 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 1907/2006 erfüllte.

5        Am 7. Dezember 2009 veröffentlichte die ECHA eine Pressemitteilung, in der sie zum einen verkündete, dass der Ausschuss der Mitgliedstaaten zu einer einstimmigen Einigung über die Ermittlung von Acrylamid und 14 anderen Stoffen als besonders besorgniserregende Stoffe gelangt sei, da diese Stoffe die Kriterien des Art. 57 der Verordnung Nr. 1907/2006 erfüllten, und zum anderen, dass die Liste der für eine Aufnahme in Anhang XIV der Verordnung Nr. 1907/2006 in Frage kommenden Stoffe (im Folgenden: Kandidatenliste) formal im Januar 2010 aktualisiert würde. Am 22. Dezember 2009 erließ der Direktor der ECHA die Entscheidung ED/68/2009, diese 15 Stoffe am 13. Januar 2010 in die Kandidatenliste aufzunehmen.

6        Die Klägerinnen erhoben mit am 4. Januar 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung der ECHA, mit der Acrylamid gemäß Art. 59 der Verordnung Nr. 1907/2006 als Stoff ermittelt wurde, der die Kriterien des Art. 57 der Verordnung erfüllt (Rechtssache T‑1/10).

7        Mit am 5. Januar 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem besonderen Schriftsatz reichte die zweite Klägerin einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ein, mit dem sie im Wesentlichen den Präsidenten des Gerichts ersuchte, den Vollzug der Entscheidung der ECHA, mit der Acrylamid gemäß Art. 59 der Verordnung Nr. 1907/2006 als Stoff ermittelt wurde, der die Kriterien des Art. 57 der Verordnung erfüllt, auszusetzen (Rechtssache T‑1/10 R).

8        Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 11. Januar 2010 wurde der Vollzug dieser Entscheidung der ECHA bis zum Erlass des Beschlusses ausgesetzt, der das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beendet. Infolge dieses Beschlusses setzte die ECHA die Aufnahme von Acrylamid in die Kandidatenliste aus.

9        Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 26. März 2010, PPG und SNF/ECHA (T‑1/10 R, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht), wurde der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz der zweiten Klägerin zurückgewiesen und die Kostenentscheidung vorbehalten.

10      Auf diesen Beschluss hin veröffentlichte die ECHA am 30. März 2010 die Kandidatenliste unter Aufnahme von Acrylamid.

 Verfahren und Anträge der Beteiligten

11      Die Klägerinnen haben mit am 10. Juni 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift Klage auf Nichtigerklärung der am 30. März 2010 veröffentlichten Entscheidung der ECHA erhoben, mit der Acrylamid als Stoff ermittelt wurde, der die Kriterien des Art. 57 der Verordnung Nr. 1907/2006 erfüllt, und in die Kandidatenliste aufgenommen wurde (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

12      Mit Beschluss des Präsidenten der Achten Kammer des Gerichts vom 9. Juli 2010 sind die Klägerinnen ersucht worden, ihre schriftlichen Stellungnahmen zu der Einhaltung der Klagefrist einzureichen. Die Klägerinnen sind dieser Aufforderung mit am 30. Juli 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schreiben nachgekommen.

13      Im Zuge einer Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts ist der Berichterstatter der Siebten Kammer zugeteilt worden, der die vorliegende Rechtssache deshalb zugewiesen worden ist.

14      Die ECHA hat mit besonderem Schriftsatz, der am 5. November 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, nach Art. 114 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Die Klägerinnen haben ihre schriftlichen Stellungnahmen zur Einrede der Unzulässigkeit am 21. Dezember 2010 eingereicht.

15      Mit Schriftsätzen, die am 19. und 25. November 2010 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden sind, haben das Königreich der Niederlande und die Europäische Kommission beantragt, im vorliegenden Verfahren als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der ECHA zugelassen zu werden. Mit Beschluss des Präsidenten der Siebten Kammer des Gerichts vom 10. Januar 2011 ist diesen Anträgen nach Anhörung der Parteien stattgegeben worden.

16      Am 18. Januar 2011 hat die ECHA bei der Kanzlei des Gerichts einen ergänzenden Schriftsatz zur Einrede der Unzulässigkeit eingereicht. Die Klägerinnen haben am 15. Februar 2011 ihre Stellungnahmen zu diesem Schriftsatz eingereicht.

17      Mit am 22. Februar 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenem Schreiben hat das Königreich der Niederlande auf die Einreichung eines auf die Zulässigkeit beschränkten Streithilfeschriftsatzes verzichtet. Die Kommission hat einen solchen Schriftsatz am 24. Februar 2011 eingereicht.

18      Mit Beschluss vom 30. März 2011 hat das Gericht die vorliegende Rechtssache gemäß Art. 51 § 1 der Verfahrensordnung an die Siebte erweiterte Kammer verwiesen.

19      Mit am 19. und 21. April 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Schriftsätzen haben die Parteien zu dem auf die Zulässigkeit beschränkten Schriftsatz der Kommission Stellung genommen.

20      Die Klägerinnen beantragen in der Klageschrift,

–        die Klage für zulässig und begründet zu erklären;

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        der ECHA die Kosten aufzuerlegen;

–        jede weitere als notwendig erachtete Maßnahme zu treffen.

21      Die ECHA beantragt in ihrer Einrede der Unzulässigkeit,

–        die Klage für unzulässig zu erklären;

–        den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.

22      In ihren Stellungnahmen zur Einrede der Unzulässigkeit beantragen die Klägerinnen, diese Einrede zurückzuweisen.

23      Die Kommission beantragt, die Klage als unzulässig abzuweisen.

 Rechtliche Würdigung

24      Nach Art. 114 §§ 1 und 4 seiner Verfahrensordnung kann das Gericht auf Antrag einer Partei vorab über die Einrede der Unzulässigkeit entscheiden. Nach Art. 114 § 3 wird über den Antrag mündlich verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt. Im vorliegenden Fall hält das Gericht den Akteninhalt für ausreichend und sieht keinen Anlass, die mündliche Verhandlung zu eröffnen.

25      Die ECHA stützt ihre Anträge auf drei Unzulässigkeitsgründe, und zwar die Nichteinhaltung der Klagefrist sowie, hilfsweise, die mangelnde unmittelbare Betroffenheit der Klägerinnen und den Umstand, dass die angefochtene Entscheidung, die kein Rechtsakt mit Verordnungscharakter im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV sei, die Klägerinnen nicht individuell betreffe.

26      Die Kommission unterstützt das Vorbringen der ECHA hinsichtlich der Nichteinhaltung der Klagefrist. Sie bringt zudem vor, die Klage sei wegen Rechtshängigkeit unzulässig.

27      Zunächst ist der Unzulässigkeitsgrund der Nichteinhaltung der Klagefrist zu prüfen.

28      Hierzu machen die ECHA und die Kommission im Wesentlichen geltend, die Klage sei verspätet. Die angefochtene Entscheidung sei am 30. März 2010 veröffentlicht worden, und die in Art. 263 Abs. 6 AEUV vorgesehene Frist für die Erhebung einer Klage gegen eine Entscheidung der ECHA sei somit vom 31. März 2010 bis zum 30. Mai 2010 gelaufen. Zu diesem letzteren Zeitpunkt sei die in Art. 102 § 2 der Verfahrensordnung vorgesehene zusätzliche Entfernungsfrist von zehn Tagen hinzuzurechnen, so dass die Klagefrist insgesamt am 9. Juni 2010 abgelaufen sei. Folglich sei die am 10. Juni 2010 eingereichte Klage verspätet erhoben worden.

29      Die Klägerinnen weisen im Wesentlichen darauf hin, dass die Klagefrist nach Art. 102 § 1 der Verfahrensordnung vom Ablauf des vierzehnten Tages nach der Veröffentlichung der angefochtenen Entscheidung an zu berechnen sei. Diese Bestimmung gelte nicht nur für die Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, sondern für alle Arten der Veröffentlichung, einschließlich der Veröffentlichung einer Entscheidung im Internet, wie sie in Art. 59 Abs. 10 der Verordnung Nr. 1907/2006 vorgesehen sei. Eine andere Auslegung von Art. 102 § 1 der Verfahrensordnung hätte eine Diskriminierung und willkürliche Behandlung der Klägerinnen zur Folge. In Anbetracht der Geltung dieser Bestimmung sei die Klagefrist eingehalten worden.

30      Nach Art. 263 Abs. 6 AEUV sind die in diesem Artikel vorgesehenen Klagen binnen zwei Monaten zu erheben; diese Frist läuft je nach Lage des Falles von der Bekanntgabe der betreffenden Handlung, ihrer Mitteilung an den Kläger oder in Ermangelung dessen von dem Zeitpunkt an, zu dem der Kläger von dieser Handlung Kenntnis erlangt hat.

31      Im vorliegenden Fall gab die ECHA die angefochtene Entscheidung am 30. März 2010 im Sinne von Art. 263 AEUV bekannt. Entsprechend der ihr nach Art. 59 Abs. 10 der Verordnung Nr. 1907/2006 obliegenden Pflicht veröffentlichte die ECHA nämlich am 30. März 2010 auf ihrer Website die Kandidatenliste unter Aufnahme von Acrylamid.

32      Es ist darauf hinzuweisen, dass Art. 263 Abs. 6 AEUV keinen Anhaltspunkt zur Art der mit dieser Bestimmung gemeinten Bekanntgabe liefert und die Bekanntgabe im Sinne dieser Vorschrift nicht auf bestimmte Arten der Bekanntgabe einschränkt. Die Bekanntgabe im Sinne dieser Bestimmung kann somit nicht nur in einer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union bestehen.

33      Entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen ist die Frist nicht vom Ablauf des vierzehnten Tages nach der Veröffentlichung der angefochtenen Entscheidung an zu berechnen. Art. 102 § 1 der Verfahrensordnung, der eine solche Regel vorsieht, gilt nach seinem Wortlaut nur für im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichte Rechtsakte. Im vorliegenden Fall schreibt die Verordnung Nr. 1907/2006 im Allgemeinen für Rechtsakte der ECHA nur eine Veröffentlichung im Internet vor. Sie legt damit eine Sonderregel für die Veröffentlichung der Rechtsakte dieser Agentur fest. Genauer gesagt schreibt Art. 59 Abs. 10 der Verordnung Nr. 1907/2006 die Veröffentlichung der Kandidatenliste auf der Website der ECHA vor, und eine andere Art der Veröffentlichung ist in keiner anderen Bestimmung dieser Verordnung vorgesehen.

34      Art. 102 § 1 der Verfahrensordnung kann nicht über seinen Wortlaut hinaus für Rechtsakte gelten, die in anderer Weise, wie im vorliegenden Fall ausschließlich im Internet, veröffentlicht werden.

35      Erstens stellt Art. 102 § 1 der Verfahrensordnung nämlich nur eine spezielle Regel für die Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union dar. Die ausschließliche Veröffentlichung im Internet unterscheidet sich von der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union, weil sie elektronisch erfolgt, so dass die so veröffentlichten Rechtsakte der Öffentlichkeit in der gesamten Union gleichzeitig zur Verfügung stehen. Zum Umstand, dass eine elektronische Fassung des Amtsblatts der Europäischen Union auch im Internet verfügbar ist, ist darauf hinzuweisen, dass nur die gedruckte Fassung dieses Amtsblatts verbindlich ist (Urteil des Gerichtshofs vom 11. Dezember 2007, Skoma-Lux, C‑161/06, Slg. 2007, I‑10841, Randnr. 50).

36      Zweitens entspricht die strikte Anwendung der Unionsregelungen zu den Verfahrensfristen dem Erfordernis der Rechtssicherheit und der notwendigen Vermeidung jeglicher Diskriminierung oder willkürlichen Behandlung in der Rechtspflege (vgl. Urteil des Gerichts vom 2. Oktober 2009, Zypern/Kommission, T‑300/05 und T‑316/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 235 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Drittens kann die Rechtsprechung zur Veröffentlichung von Beschlüssen in Beihilfesachen entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Zwar eröffnet in Beihilfesachen die Tatsache, dass Dritten ein vollständiger Zugang zum Wortlaut einer Entscheidung auf der Website ermöglicht wird, verbunden mit der Veröffentlichung einer Zusammenfassung im Amtsblatt der Europäischen Union, durch die der interessierte Personenkreis die fragliche Entscheidung identifizieren kann und auf diese Möglichkeit eines Zugangs per Internet hingewiesen wird, den Anwendungsbereich von Art. 102 § 1 der Verfahrensordnung (Beschluss des Gerichts vom 19. September 2005, Air Bourbon/Kommission, T‑321/04, Slg. 2005, II‑3469, Randnrn. 34 und 42, sowie Urteil des Gerichts vom 11. März 2009, TF1/Kommission, T‑354/05, Slg. 2009, II‑471, Randnrn. 35 und 48). Für diese Art von Sachen ist jedoch in Art. 26 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] (ABl. L 83, S. 1) eine Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union ausdrücklich vorgesehen. Im vorliegenden Fall verlangt keine Bestimmung die Veröffentlichung der angefochtenen Entscheidung im Amtsblatt der Europäischen Union, sei es in Form einer Zusammenfassung oder des vollständigen Textes. Vielmehr geht aus der Verordnung Nr. 1907/2006 hervor, dass die aktualisierte Kandidatenliste ausschließlich im Internet veröffentlicht wird.

38      Viertens stellt der Umstand, dass Art. 102 § 1 der Verfahrensordnung für die vom Unionsrecht ausschließlich im Internet vorgesehenen Veröffentlichungen nicht gilt, entgegen dem Vorbringen der Klägerinnen keine Diskriminierung oder willkürliche Behandlung ihnen gegenüber dar. Die tatsächliche und rechtliche Situation, in der sich eine Person infolge der Veröffentlichung eines Rechtsakts im Amtsblatt der Europäischen Union befindet, ist nämlich nicht mit jener vergleichbar, in der sich eine Person infolge der Veröffentlichung eines Rechtsakts ausschließlich im Internet befindet (siehe oben, Randnr. 35). Außerdem stellt die Heranziehung des Zeitpunkts der Veröffentlichung der angefochtenen Entscheidung auf der Website der ECHA als Zeitpunkt der Bekanntgabe im Sinne des Art. 263 Abs. 6 AEUV die Gleichbehandlung zwischen allen Betroffenen sicher, indem gewährleistet wird, dass die Frist für die Erhebung einer Klage gegen diese Entscheidung für alle gleich berechnet wird (vgl. in diesem Sinne den oben in Randnr. 37 angeführten Beschluss Air Bourbon/Kommission, Randnr. 44). Die Unterschiede bei der Berechnung der Klagefrist zwischen der Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union und der Veröffentlichung im Internet sind jedenfalls auch aufgrund der Merkmale der Veröffentlichung im Internet gerechtfertigt (siehe oben, Randnr. 35).

39      Da die angefochtene Entscheidung am 30. März 2010 veröffentlicht wurde, ist folglich gemäß Art. 101 § 1 Buchst. a der Verfahrensordnung die Klagefrist vom 31. März 2010 an zu berechnen. Die zweimonatige Frist endete am 30. Mai 2010, da gemäß Art. 101 § 1 Buchst. b der Verfahrensordnung eine nach Monaten bemessene Frist mit Ablauf des Tages endet, der im letzten Monat dieselbe Zahl wie der Tag trägt, an dem das Ereignis eingetreten oder die Handlung vorgenommen worden ist, von denen an die Frist zu berechnen ist (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Gerichtshofs vom 17. Mai 2002, Deutschland/Parlament und Rat, C‑406/01, Slg. 2002, I‑4561, Randnr. 17). Unter Berücksichtigung der Entfernungsfrist von zehn Tagen, um die gemäß Art. 102 § 2 der Verfahrensordnung die Verfahrensfristen zu verlängern sind, lief die Klagefrist am 9. Juni 2010 ab.

40      Daraus folgt, dass die vorliegende Klage, die am 10. Juni 2010 eingereicht worden ist, verspätet erhoben worden ist.

41      Soweit die Klägerinnen mit ihrem Verweis auf die Neuartigkeit der Klagen gegen Entscheidungen der ECHA und auf das Fehlen von Rechtsprechung zur Fristberechnung bei Klagen gegen diese im Internet veröffentlichten Entscheidungen geltend machen möchten, dass ihre fehlerhafte Auslegung der einschlägigen Bestimmungen der Verfahrensordnung einen entschuldbaren Irrtum darstelle, so ergibt sich aus der Akte, dass die Veröffentlichung der angefochtenen Entscheidung auf der Website der ECHA nach Ansicht der Klägerinnen eine Bekanntgabe im Sinne des Art. 263 Abs. 6 AEUV darstellte. Der Irrtum der Klägerinnen beruhte also auf einer fehlerhaften Auslegung entweder von Art. 102 § 2 oder von Art. 101 § 1 der Verfahrensordnung hinsichtlich der Berechnung der Klagefrist. Diese Bestimmungen weisen keine besonderen Auslegungsschwierigkeiten auf, so dass ein entschuldbarer Irrtum der Klägerinnen, der es rechtfertigen würde, von der Anwendung dieser Vorschriften abzusehen, nicht anerkannt werden kann (vgl. in diesem Sinne den oben in Randnr. 39 angeführten Beschluss Deutschland/Parlament und Rat, Randnr. 21).

42      Im Übrigen haben die Klägerinnen weder nachgewiesen noch auch nur behauptet, dass ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt vorgelegen habe, der dem Unionsrichter nach Art. 45 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union eine Abweichung von der fraglichen Frist erlauben würde.

43      Nach alledem ist die Klage als unzulässig abzuweisen, ohne dass über die anderen von der ECHA und der Kommission geltend gemachten Unzulässigkeitsgründe entschieden zu werden braucht.

 Kosten

44      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, tragen nach Art. 87 § 4 der Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten.

45      Da die Klägerinnen unterlegen sind, sind ihnen entsprechend dem Antrag der ECHA ihre eigenen Kosten und die Kosten der ECHA aufzuerlegen. Das Königreich der Niederlande und die Kommission tragen ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Siebte erweiterte Kammer)

beschlossen:

1.      Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2.      Die Polyelectrolyte Producers Group GEIE (PPG) und die SNF SAS tragen ihre eigenen Kosten sowie die der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) entstandenen Kosten.

3.      Das Königreich der Niederlande und die Europäische Kommission tragen ihre eigenen Kosten.

Luxemburg, den 21. September 2011

Der Kanzler

 

      Der Präsident

E. Coulon

 

      A. Dittrich


* Verfahrenssprache: Englisch.