Language of document : ECLI:EU:T:2006:391

Verbundene Rechtssachen T-217/03 und T-245/03

Fédération nationale de la coopération bétail et viande (FNCBV) u. a.

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Wettbewerb – Artikel 81 Absatz 1 EG – Rindfleisch – Aussetzung der Einfuhren – Von den Berufsverbänden festgesetzte Mindestpreise –Verordnung Nr. 26 – Unternehmensvereinigungen – Wettbewerbsbeschränkung – Aktionen der Berufsverbände – Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten – Begründungspflicht – Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung – Erschwerende und mildernde Umstände – Verbot der Mehrfachahndung – Verteidigungsrechte“

Leitsätze des Urteils

1.      Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Unternehmensvereinigungen – Begriff

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

2.      Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Unternehmensvereinigungen – Begriff

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

3.      Wettbewerb – Kartelle – Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

4.      Wettbewerb – Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Festsetzung der Preise

(Artikel 81 Absatz 1 EG)

5.      Wettbewerb – Kartelle – Verbot – Nationaler rechtlicher Rahmen für den Abschluss des Kartells

(Artikel 81 EG)

6.      Wettbewerb – Gemeinschaftsvorschriften – Sachlicher Anwendungsbereich

(Artikel 81 EG)

7.      Landwirtschaft – Wettbewerbsregeln – Verordnung Nr. 26

(Artikel 33 EG, 36 EG und 81 Absatz 1 EG; Verordnung Nr. 26 des Rates, Artikel 2 Absatz 1)

8.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Notwendiger Inhalt

(Verordnung Nr. 17 des Rates; Verordnung Nr. 99/63 der Kommission, Artikel 4)

9.      Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung

(Artikel 253 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

10.    Einrede der Rechtswidrigkeit – Tragweite – Handlungen, deren Rechtswidrigkeit geltend gemacht werden kann

(Artikel 241 EG; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

11.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung

(Artikel 81 Absatz 1 EG; Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

12.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Höchstbetrag

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

13.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Dauer der Zuwiderhandlung

(Artikel 81 Absatz 1 EG; Mitteilung 98/C 9/03 der Kommission)

14.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Kriterien – Schwere der Zuwiderhandlung – Erschwerende Umstände

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

15.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Höchstbetrag

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15 Absatz 2)

16.    Wettbewerb – Geldbußen – Entscheidung der Kommission, mit der im Anschluss an eine unanfechtbare Entscheidung, durch die dasselbe Unternehmen mit einer Sanktion belegt oder für nicht verantwortlich erklärt wurde, eine Zuwiderhandlung festgestellt wird

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15)

17.    Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Ermessen der Kommission – Gerichtliche Nachprüfung – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung

1.      Artikel 81 Absatz 1 EG gilt für Vereinigungen, soweit deren eigene Tätigkeit oder die der in ihnen zusammengeschlossenen Unternehmen auf die Folgen abzielt, die diese Vorschrift unterbinden will. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist der Begriff „Unternehmensvereinigung“ dahin auszulegen, dass auch Vereinigungen, deren Mitglieder selbst Unternehmensvereinigungen sind, darunter fallen können.

Für die Subsumtion einer Vereinbarung zwischen Vereinigungen unter diese Vorschrift ist es nicht erforderlich, dass die fraglichen Vereinigungen ihre Mitglieder zwingen können, die ihnen durch die Vereinbarung auferlegten Verpflichtungen zu erfüllen.

(vgl. Randnrn. 49, 89)

2.      Der Begriff des Unternehmens umfasst im Wettbewerbsrecht jede eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübende Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrer Finanzierung. Eine wirtschaftliche Tätigkeit ist jede Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten.

Die Tätigkeit der Inhaber landwirtschaftlicher Erzeugerbetriebe – Landwirte oder Viehzüchter – hat mit Sicherheit wirtschaftlichen Charakter, denn sie besteht in der Herstellung von Gütern, die sie gegen Bezahlung zum Kauf anbieten. Folglich sind landwirtschaftliche Erzeugerbetriebe Unternehmen im Sinne des Artikels 81 Absatz 1 EG.

Demnach können die Verbände, in denen sie sich zusammenschließen und die sie vertreten, sowie die Zusammenschlüsse dieser Verbände für die Anwendung dieser Vorschrift als Unternehmensvereinigungen angesehen werden.

Dem steht nicht entgegen, dass die Ortsverbände auch die Ehegatten der Inhaber landwirtschaftlicher Erzeugerbetriebe aufnehmen können. Erstens besteht die Wahrscheinlichkeit, dass die Ehegatten der Landwirte oder Viehzüchter, die selbst Mitglied eines Ortsverbandes sind, ebenfalls an den Arbeiten im Familienbetrieb teilnehmen. Zweitens verliert eine Vereinigung ihren Charakter als Unternehmensvereinigung im Sinne des Artikels 81 Absatz 1 EG jedenfalls nicht allein dadurch, dass sie auch Personen oder Einheiten aufnehmen kann, bei denen es sich nicht um Unternehmen handelt. Desgleichen kann dem Vorbringen nicht gefolgt werden, dass im Fall eines in Form einer Gesellschaft geführten Betriebes nicht die Gesellschaft durch ihren Vertreter, sondern jeder einzelne Gesellschafter dem Ortsverband beitritt. Denn es kommt für die Qualifizierung als Unternehmen nicht auf die Rechtsform oder die Art der Führung des fraglichen Betriebes an, sondern auf seine Aktivität und die Aktivität derer, die darin tätig sind.

(vgl. Randnrn. 52-55)

3.      Artikel 81 Absatz 1 EG ist nur auf solche Vereinbarungen anwendbar, die geeignet sind, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Eine Vereinbarung zwischen Unternehmen ist geeignet, den innergemeinschaftlichen Handel zu beeinträchtigen, wenn sich anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass sie die Handelsströme zwischen Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell in einem der Erreichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteiligen Sinne beeinflussen kann.

Ist die Zuwiderhandlung, an der ein Unternehmen oder eine Unternehmensvereinigung beteiligt war, geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, so braucht die Kommission nicht darzutun, dass der individuelle Tatbeitrag dieses Unternehmens oder dieser Unternehmensvereinigung den innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtigt hat.

Zudem haben wettbewerbsbeschränkende Verhaltensweisen, die sich auf das gesamte Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erstrecken, schon ihrem Wesen nach die Wirkung, die Abschottung der Märkte auf nationaler Ebene zu verfestigen und damit die vom EG-Vertrag gewollte wirtschaftliche Verflechtung zu behindern. Und schließlich können auf einem für Einfuhren durchlässigen Markt die Teilnehmer an einer nationalen Preisabsprache ihren Marktanteil nur wahren, indem sie sich gegen ausländische Konkurrenz schützen.

(vgl. Randnrn. 63, 66-67)

4.      Artikel 81 Absatz 1 Buchstabe a EG bestimmt ausdrücklich, dass die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung der An‑ oder Verkaufspreise als Wettbewerbsbeschränkung anzusehen ist. Die Festsetzung von Preisen stellt nämlich eine offenkundige Beschränkung des Wettbewerbs dar.

Eine Vereinbarung, die zwischen Verbänden, die die landwirtschaftlichen Erzeugerbetriebe repräsentieren, und Verbänden, die die Schlachthofbetreiber repräsentieren, abgeschlossen wurde und in der Mindestpreise für bestimmte Kategorien von Kühen mit dem Ziel festgesetzt werden, diese Mindestpreise für sämtliche Gewerbetreibenden auf den fraglichen Märkten verbindlich zu machen, bezweckt, den freien Wettbewerb auf diesen Märkten insbesondere dadurch zu beschränken, dass sie den Spielraum für die kaufmännischen Verhandlungen zwischen den Züchtern und den Schlachthofbetreibern künstlich einschränkt und die Preisbildung auf den fraglichen Märkten verfälscht.

Dieses Ergebnis wird nicht durch das Vorbringen erschüttert, dass die Agrarmärkte regulierte Märkte seien, auf denen die Wettbewerbsregeln nicht automatisch Geltung hätten und sich die Preisbildung sehr oft nicht nach Angebot und Nachfrage richte. Zwar weist der Agrarsektor eine gewisse Besonderheit auf und ist Gegenstand einer sehr detaillierten und oft ziemlich interventionistischen Regulierung. Die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln besitzen jedoch auf den Märkten der Agrarprodukte Geltung, auch wenn Ausnahmen vorgesehen sind, um der besonderen Lage dieser Märkte Rechnung zu tragen.

Außerdem beseitigt der bloße Umstand, dass die Mindestpreise nach Maßgabe des öffentlichen Interventionspreises festgesetzt werden, für sich allein nicht den wettbewerbsbeschränkenden Charakter der fraglichen Vereinbarung. Denn diese Bezugnahme auf den öffentlichen Interventionspreis ändert nichts an dem wettbewerbswidrigen Zweck des Mindestpreisschemas, der in der direkten künstlichen Festsetzung eines bestimmten Marktpreises besteht. Sie führt auch nicht dazu, dass das Mindestpreisschema den verschiedenen öffentlichen Stütz‑ und Interventionsmechanismen der gemeinsamen Marktorganisationen im Landwirtschaftssektor gleichgestellt werden kann, die bezwecken, die Märkte, auf denen ein Überangebot besteht, dadurch zu bereinigen, dass ein Teil der Produktion vom Markt genommen wird.

(vgl. Randnrn. 83, 85-87)

5.      Der rechtliche Rahmen, in dem die nach Artikel 81 EG verbotenen Vereinbarungen zwischen Unternehmen getroffen werden, ist für die Anwendbarkeit der gemeinschaftlichen Wettbewerbsbestimmungen ebenso wenig erheblich wie die rechtliche Einordnung dieses Rahmens durch die verschiedenen nationalen Rechtsordnungen. Überdies kann die angebliche Unzulänglichkeit der staatlichen Maßnahmen zur Bewältigung der Probleme in einem bestimmten Wirtschaftssektor keine Rechtfertigung dafür bilden, dass die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer wettbewerbswidrige Handlungen begehen oder sich Vorrechte, die denen der nationalen oder gemeinschaftlichen Behörden entsprechen, anmaßen, um an deren Stelle tätig zu werden.

Desgleichen ist der Umstand, dass das Verhalten der Unternehmen den nationalen Behörden bekannt war und von ihnen genehmigt wurde oder dass sie sogar dazu ermutigt wurden, jedenfalls ohne Einfluss auf die Anwendbarkeit des Artikels 81 EG. Schließlich kann die Krise, in der sich ein Sektor befindet, für sich genommen die Anwendung von Artikel 81 Absatz 1 EG nicht ausschließen.

(vgl. Randnrn. 90-92)

6.      Die im Rahmen von Tarifverhandlungen zwischen den Sozialpartnern im Hinblick auf die gemeinsame Suche nach Maßnahmen zur Verbesserung der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen geschlossenen Verträge fallen aufgrund ihrer Art und ihres Gegenstands nicht unter Artikel 81 Absatz 1 EG. Es kann jedoch nicht geltend gemacht werden, dass eine Vereinbarung zwischen Zusammenschlüssen von Verbänden landwirtschaftlicher Erzeugerbetriebe und Zusammenschlüssen von Schlachthofbetreibern über die Festsetzung von Mindestpreisen für den Kauf von Rindern durch die Schlachthöfe und über die Aussetzung von Rindfleischimporten nicht unter die in Artikel 81 EG aufgestellten Verbote falle.

(vgl. Randnrn. 98-100)

7.      Die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf den Märkten für landwirtschaftliche Erzeugnisse zählt zu den Zielen der gemeinsamen Agrarpolitik. Auch wenn es nämlich nach Artikel 36 EG dem Rat überlassen bleibt, darüber zu entscheiden, inwieweit die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit ihnen Anwendung finden, um so der besonderen Lage auf den Märkten für diese Erzeugnisse Rechnung zu tragen, ist doch in dieser Bestimmung die Anwendbarkeit der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln im Agrarsektor als Grundsatz niedergelegt

Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 26, wonach Artikel 81 Absatz 1 EG nicht für Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen gilt, die zur Verwirklichung der Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik notwendig sind, ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Außerdem findet diese Vorschrift nur Anwendung, wenn die betreffende Vereinbarung zur Verwirklichung aller Ziele des Artikels 33 EG beiträgt, wobei die Kommission, da diese Ziele zuweilen divergieren, versuchen kann, sie miteinander in Einklang zu bringen. Und schließlich können Maßnahmen für die Anwendung dieser Ausnahmevorschrift nur dann als zur Erreichung der Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik notwendig angesehen werden, wenn sie verhältnismäßig sind.

(vgl. Randnrn. 197-199, 208)

8.      Die Wahrung der Verteidigungsrechte stellt in allen Verfahren, die zu Sanktionen und insbesondere zu Geldbußen führen können, einen tragenden Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar, der auch dann beachtet werden muss, wenn es sich um ein Verwaltungsverfahren handelt. Diesem Grundsatz zufolge stellt die Mitteilung der Beschwerdepunkte eine wichtige Verfahrensgarantie dar. In der Mitteilung der Beschwerdepunkte müssen alle wesentlichen Tatsachen, auf die sich die Kommission in diesem Verfahrensstadium stützt, klar angeführt werden.

Die Kommission genügt ihrer Verpflichtung, das Recht der Unternehmen auf Anhörung zu respektieren, wenn sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hinweist, dass sie prüfen werde, ob gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen zu verhängen seien, und auch die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte anführt, wie z. B. die Schwere und die Dauer der angenommenen Zuwiderhandlung sowie ihre vorsätzliche oder fahrlässige Begehung. Dadurch gibt sie den Unternehmen die Informationen, die für ihre Verteidigung nicht nur gegen die Feststellung einer Zuwiderhandlung, sondern auch gegen die Verhängung von Geldbußen notwendig sind

Dagegen wären Angaben zur Höhe der in Aussicht genommenen Geldbußen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte, solange den Unternehmen keine Gelegenheit gegeben wurde, zu den gegen sie in Betracht gezogenen Beschwerdepunkten Stellung zu nehmen, eine nicht sachgerechte Vorwegnahme der Entscheidung der Kommission. Umso mehr wäre es eine nicht sachgerechte Vorwegnahme dieser Entscheidung, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte die Frage aufzuwerfen, ob die Geldbuße, die eventuell in der endgültigen Entscheidung festgesetzt wird, die Obergrenze von 10 % einhält.

(vgl. Randnrn. 217-218, 222)

9.      Hat die Kommission gegen ein individuelles Unternehmen, das eine Zuwiderhandlung begangen hat, eine Geldbuße verhängt, so ist sie nicht unbedingt verpflichtet – wenn keine besonderen Umstände vorliegen –, die Einhaltung der Obergrenze von 10 % des Umsatzes dieses Unternehmens ausdrücklich zu begründen. Dem Unternehmen müssen sowohl die Existenz dieser gesetzlichen Obergrenze als auch die konkrete Höhe seines Umsatzes bekannt sein, so dass es, auch wenn die die Sanktion enthaltende Entscheidung insoweit keinerlei Begründung enthält, beurteilen kann, ob die ihm auferlegte Geldbuße die Obergrenze übersteigt oder nicht.

Dagegen muss die Kommission, wenn sie eine Unternehmensvereinigung mit einer Sanktion belegt und die Einhaltung der gesetzlichen Obergrenze von 10 % des Umsatzes anhand der Summe der Umsätze aller oder eines Teils der Mitglieder dieser Vereinigung kontrolliert, dies in ihrer Entscheidung ausdrücklich angeben und die Gründe darlegen, die die Berücksichtigung der Umsätze der Mitglieder rechtfertigen. Mangels einer solchen Begründung könnten die Betroffenen der Entscheidung nicht die Gründe für ihren Erlass entnehmen und auch die Einhaltung der gesetzlichen Obergrenze im konkreten Fall nicht korrekt nachprüfen.

(vgl. Randnrn. 238-239)

10.    Die Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, stellen – auch wenn sie nicht die Rechtsgrundlage der Entscheidung über die Verhängung einer Geldbuße gegen einen Wirtschaftsteilnehmer bilden, die auf der Verordnung Nr. 17 beruht – eine allgemeine und abstrakte Regelung des Vorgehens dar, das sich die Kommission zur Festsetzung der Geldbußen auferlegt hat. Somit besteht ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dieser Entscheidung und den Leitlinien, die daher Gegenstand einer Einrede der Rechtswidrigkeit sein können.

(vgl. Randnr. 250)

11.    Preisabsprachen oder Absprachen zur Abschottung der Märkte sind ihrer Natur nach besonders schwere Verstöße. Folglich hat die Kommission dadurch, dass sie in Nummer 1 Teil A der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, dargelegt hat, dass diese Arten von Zuwiderhandlungen als besonders schwere Verstöße anzusehen sind, für die ein Ausgangsbetrag der Geldbuße von 20 Mio. Euro vorgesehen ist, nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

Da die in den Leitlinien vorgesehenen pauschalen Beträge nur Richtwerte sind, kann aus ihnen an sich kein Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz folgen.

(vgl. Randnrn. 252-253)

12.    Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17, wonach die Kommission Geldbußen in Höhe von bis zu 10 % des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen kann, verlangt nur, die Geldbuße, die letztlich gegen ein Unternehmen festgesetzt wird, herabzusetzen, falls sie 10 % seines Umsatzes übersteigt, unabhängig von Zwischenberechnungen, mit denen Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung Rechnung getragen werden soll. Folglich verbietet Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 der Kommission nicht, bei ihrer Berechnung einen Zwischenbetrag heranzuziehen, der 10 % des Umsatzes des betroffenen Unternehmens übersteigt, sofern die gegen dieses Unternehmen letztlich festgesetzte Geldbuße nicht über dieser Obergrenze liegt. Dies gilt auch für den in der fraglichen Bestimmung genannten Höchstbetrag von 1 Mio. Euro.

(vgl. Randnr. 255)

13.    Nummer 1 Teil B der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, sieht vor, dass die Dauer des Verstoßes zur Festsetzung eines Aufschlags zu dem unter Berücksichtigung der Schwere festgesetzten Betrag der Geldbuße führen kann; dies zeigt, dass die sehr kurze Dauer einer Zuwiderhandlung – d. h. eine Dauer von weniger als einem Jahr – es lediglich rechtfertigt, von einem Aufschlag auf den anhand der Schwere des Verstoßes festgesetzten Betrag abzusehen. Der Umstand, dass eine Zuwiderhandlung von sehr kurzer Dauer gewesen sein soll, ändert jedenfalls nichts am Vorliegen eines Verstoßes gegen Artikel 81 Absatz 1 EG.

(vgl. Randnrn. 134, 257-258)

14.    Erschwerende Umstände, die von der Kommission herangezogen werden können, um eine auf der Grundlage von Artikel 81 EG verhängte Geldbuße zu erhöhen, sind die heimliche Fortführung einer Vereinbarung, nachdem die Kommission die beteiligten Unternehmen oder Unternehmensvereinigungen aufgefordert hat, sie abzustellen, sowie der Einsatz von Gewalt, um eine Partei zum Abschluss einer Vereinbarung zu zwingen oder deren Einhaltung durchzusetzen.

(vgl. Randnrn. 271, 278-289)

15.    Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 verbietet es der Kommission nicht, Vereinigungen, die angeblich keinen Umsatz erzielen, Geldbußen von mehr als 1 Mio. Euro aufzuerlegen. Die Gattungsbezeichnung „Zuwiderhandlung“ in Artikel 15 Absatz 2, die unterschiedslos Vereinbarungen, abgestimmte Verhaltensweisen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen umfasst, zeigt, dass die dort genannten Obergrenzen für Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen ebenso gelten wie für Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen. In Fällen, in denen eine Unternehmensvereinigung keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit ausübt oder ihr Umsatz nicht den Einfluss widerspiegelt, den sie auf dem Markt ausüben kann, kann die Kommission unter bestimmten Voraussetzungen bei der Berechnung des Höchstbetrags der Geldbuße, die gegen sie verhängt werden kann, den Umsatz ihrer Mitglieder berücksichtigen.

Zwar bezieht sich der einzige ausdrückliche Hinweis auf den Unternehmensumsatz in dieser Vorschrift auf die Obergrenze einer Geldbuße, die 1 Mio. Euro übersteigt, doch heißt es in den von der Kommission sich selbst auferlegten Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, in Nummer 5 Buchstabe a, dass gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 der Endbetrag der ermittelten Geldbuße in keinem Fall 10 % des Gesamtumsatzes der betroffenen Unternehmen übersteigen darf. Die Obergrenze von 10 % des Umsatzes muss daher auch bei der Festsetzung von Geldbußen von weniger als 1 Mio. Euro beachtet werden.

Überdies ist die Obergrenze von 10 % des Umsatzes nach dem Umsatz jedes der Unternehmen zu berechnen, die Parteien der Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen sind, oder nach den Umsätzen aller Unternehmen, die Mitglieder solcher Unternehmensvereinigungen sind, jedenfalls soweit die Vereinigung kraft ihrer Satzung ihre Mitglieder verpflichten kann. Diese Möglichkeit, insoweit den Umsatz aller Mitgliedsunternehmen einer Vereinigung zu berücksichtigen, findet ihre Rechtfertigung darin, dass bei der Festsetzung der Geldbußen u. a. der Einfluss, den das Unternehmen z. B. kraft seiner Größe und seiner Wirtschaftskraft, für die sein Umsatz ein Indiz ist, ausüben kann, sowie der Abschreckungseffekt berücksichtigt werden können, den die Geldbußen erzielen müssen. Der Einfluss, den eine Unternehmensvereinigung auf den Markt ausüben konnte, hängt nämlich nicht von ihrem eigenen Umsatz ab, der weder ihre Größe noch ihre Wirtschaftskraft aufzeigt, sondern vom Umsatz ihrer Mitglieder, der ein Hinweis auf ihre Größe und ihre Wirtschaftskraft ist.

Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass in besonderen Fällen die Berücksichtigung des Umsatzes der Mitglieder einer Vereinigung selbst dann möglich ist, wenn diese nicht formal die Befugnis besitzt, ihre Mitglieder zu verpflichten, da die Satzung ihr diese Befugnis nicht einräumt. Andernfalls könnte die Berechtigung der Kommission, Geldbußen in einer den begangenen Zuwiderhandlungen angemessenen Höhe festzusetzen, leerlaufen, weil Vereinigungen mit einem sehr niedrigen Umsatz, aber einer großen Zahl von Mitgliedern, die zusammen einen bedeutenden Umsatz erzielen, die sie aber nicht förmlich verpflichten kann, nur mit sehr geringen Geldbußen belegt werden könnten, selbst wenn die von ihnen begangenen Zuwiderhandlungen einen spürbaren Einfluss auf die betreffenden Märkte ausüben konnten. Dies stünde auch im Widerspruch zu der Notwendigkeit, die abschreckende Wirkung der Ahndung von Zuwiderhandlungen gegen die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln sicherzustellen.

Daher können andere besondere Umstände als nur das Bestehen einer Satzung, die es der Vereinigung ermöglicht, ihre Mitglieder zu verpflichten, die Berücksichtigung der kumulierten Umsätze ihrer Mitglieder rechtfertigen. Dies gilt insbesondere für Fälle, in denen die von der Vereinigung begangene Zuwiderhandlung in Handlungen ihrer Mitglieder besteht und die wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen, um die es geht, von der Vereinigung selbst zugunsten ihrer Mitglieder und in Zusammenarbeit mit ihnen an den Tag gelegt werden, da die Vereinigung keine objektiven, von den Interessen ihrer Mitglieder unabhängigen Interessen hat. Zwar kann die Kommission eventuell in einigen dieser Fälle nicht nur die Vereinigung mit einer Sanktion belegen, sondern auch jedem der ihr angehörenden Unternehmen eine individuelle Geldbuße auferlegen; dies kann sich aber als besonders schwierig oder sogar unmöglich erweisen, wenn diese Unternehmen sehr zahlreich sind.

In solchen Fällen muss allerdings die Möglichkeit, die Umsätze der Basismitglieder der Unternehmensvereinigungen zu berücksichtigen, grundsätzlich auf diejenigen Mitglieder beschränkt werden, die auf den Märkten tätig waren, die von den in der angefochtenen Entscheidung geahndeten Zuwiderhandlungen betroffen waren.

Im Übrigen bedeutet der Umstand, dass der Umsatz der Mitglieder einer Unternehmensvereinigung bei der Ermittlung der Obergrenze von 10 % berücksichtigt wird, weder, dass ihnen eine Geldbuße auferlegt wird, noch auch nur, dass die fragliche Vereinigung verpflichtet ist, die finanzielle Last auf ihre Mitglieder abzuwälzen.

(vgl. Randnrn. 313-314, 317-319, 325, 343)

16.    Der Grundsatz ne bis in idem ist ein tragender Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, dessen Wahrung der Richter zu sichern hat. Im Bereich des Wettbewerbsrechts der Gemeinschaft verbietet es dieser Grundsatz, dass ein Unternehmen wegen eines wettbewerbswidrigen Verhaltens, für das es in einer früheren, nicht mehr anfechtbaren Entscheidung der Kommission mit einer Sanktion belegt oder für nicht verantwortlich erklärt wurde, von der Kommission erneut verurteilt oder verfolgt wird. Die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem hängt von der dreifachen Voraussetzung der Identität des Sachverhalts, des Zuwiderhandelnden und des geschützten Rechtsguts ab. Dieser Grundsatz verbietet es somit, dieselbe Person mehr als einmal wegen desselben rechtswidrigen Verhaltens zum Schutz desselben Rechtsguts mit einer Sanktion zu belegen. Er verbietet es dagegen nicht, wegen desselben Sachverhalts den verschiedenen an ihm beteiligten Unternehmensvereinigungen aufgrund der Beteiligung und nach Maßgabe des individuellen Grades der Beteiligung jedes von ihnen an der Zuwiderhandlung Sanktionen aufzuerlegen, selbst wenn einige von ihnen Mitglied anderer sind.

(vgl. Randnrn. 340-344)

17.    Die Kommission verfügt zwar bei der Festsetzung der Höhe von Geldbußen, mit denen die Verletzung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft geahndet wird, über ein Ermessen, doch entscheidet das Gericht gemäß Artikel 17 der Verordnung Nr. 17 mit einer Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung im Sinne des Artikels 229 EG über Klagen gegen Entscheidungen, mit denen die Kommission eine Geldbuße festsetzt, und kann folglich die verhängte Geldbuße für nichtig erklären, herabsetzen oder erhöhen. Aufgrund dieser Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung kann das Gericht u. a. den Betrag ändern, um den die Kommission die Geldbuße eines Unternehmens oder einer Unternehmensvereinigung anhand der in Nummer 5 Buchstabe b der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden, vorgesehenen Umstände herabgesetzt hat.

(vgl. Randnrn. 352, 355-361)