Language of document : ECLI:EU:T:2020:604

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)

16. Dezember 2020(*)

„Unionsmarke – Anmeldung einer dreidimensionalen Unionsmarke – Form einer Verpackung – Absolutes Eintragungshindernis – Fehlende Unterscheidungskraft – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EU) 2017/1001“

In der Rechtssache T‑118/20,

Voco GmbH mit Sitz in Cuxhaven (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte C. Spintig und S. Pietzcker,

Klägerin,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch R. Cottrell und A. Söder als Bevollmächtigte,

Beklagter,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Fünften Beschwerdekammer des EUIPO vom 4. Dezember 2019 (Sache R 978/2019-5) über die Anmeldung eines dreidimensionalen Zeichens in Form einer Verpackung als Unionsmarke

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tomljenović (Berichterstatterin) sowie der Richterin P. Škvařilová-Pelzl und des Richters I. Nõmm,

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund der am 21. Februar 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 11. Mai 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien innerhalb von drei Wochen nach der Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des darauf gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden,

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 19. September 2018 meldete die Klägerin, die Voco GmbH, nach der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) beim Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) eine Unionsmarke an.

2        Dabei handelt es sich um folgendes dreidimensionales Zeichen:

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3        Die Marke wurde für folgende Waren in den Klassen 5 und 16 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet:

–        Klasse 5: „Zahnmedizinische Präparate und Erzeugnisse“;

–        Klasse 16: „Verpackungsmaterialien; Blisterpäckchen für Verpackungszwecke“.

4        Mit Entscheidung vom 8. März 2019 wies der Prüfer die Anmeldung gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 für sämtliche oben in Rn. 3 genannten Waren zurück.

5        Am 7. Mai 2019 legte die Klägerin gegen die Entscheidung des Prüfers beim EUIPO eine Beschwerde gemäß den Art. 66 bis 71 der Verordnung 2017/1001 ein.

6        Mit Entscheidung vom 4. Dezember 2019 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Fünfte Beschwerdekammer des EUIPO die Beschwerde zurück. Sie war im Wesentlichen der Ansicht, die angemeldete Marke sei nicht unterscheidungskräftig im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001.

7        Insbesondere stellte sie erstens fest, die von der Anmeldemarke erfassten Waren richteten sich entweder an ein Fachpublikum im Dentalbereich, dessen Aufmerksamkeitsgrad hoch sei, oder an Fachleute und an die allgemeine Öffentlichkeit, deren Aufmerksamkeitsgrad durchschnittlich bis hoch sei.

8        Zweitens sei die von der Klägerin angeführte sechseckige Grundform des Anmeldezeichens ein unregelmäßiges langgezogenes Sechseck, das sehr einem Rechteck ähnele. Dadurch weiche die Grundform nicht wesentlich von den auf dem Dentalmarkt üblichen Verpackungen ab, wie den vom Prüfer angeführten und nachstehend abgebildeten Beispielen zu entnehmen sei. Die weiteren reliefartigen Formen des Anmeldezeichens – die Linien und die Kreise – hätten funktionalen Charakter, der von den Fachleuten im Dentalbereich, die von den von diesem Zeichen erfassten Waren angesprochen würden, erkannt würden. Diese Kombination von Grundformen mit funktionalem und allenfalls dekorativem Charakter weise kein Merkmal auf, welches es dem Verbraucher ermöglichen würde, den betrieblichen Ursprung der Ware zu bestimmen.

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9        Drittens wies die Beschwerdekammer das Argument der Klägerin, sie sei die einzige, die das Anmeldezeichen benutze, als nicht zielführend zurück. Es sei nicht notwendig oder vorausgesetzt, dass das Zeichen bereits auf dem Markt verwendet werde, um ihm die Unterscheidungskraft absprechen zu können.

10      Viertens änderten die unterschiedlichen Verpackungsformen auf dem betreffenden Markt nichts an der Tatsache, dass es im Dentalsektor Verpackungen gebe, die sich nicht wesentlich von der dreidimensionalen Form des Anmeldezeichens unterschieden. Ebenso wies sie die von der Klägerin angeführten früheren Eintragungen als unerheblich zurück; sie sei an frühere und möglicherweise fehlerhafte Entscheidungen nicht gebunden.

 Anträge der Parteien

11      Die Klägerin beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

12      Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

13      Die Klägerin stützt ihre Klage auf einen einzigen Klagegrund, nämlich einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001.

14      Als Erstes macht die Klägerin geltend, die Beschwerdekammer habe in der angefochtenen Entscheidung auf die „Waren in Klasse 10“ verwiesen, obwohl sich die Anmeldemarke auf die Waren in den Klassen 5 und 16 beziehe; dadurch habe sie den Grundsatz verletzt, wonach die Unterscheidungskraft einer Marke u. a. im Hinblick auf die Anschauung der maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen sei, die sich aus den Verbrauchern der in Rede stehenden Waren zusammensetzten. Es liege nicht lediglich ein Schreibfehler vor; die Beschwerdekammer differenziere in den Kernabsätzen ihrer Begründung weder zwischen den unterschiedlichen in Rede stehenden Waren noch zwischen den unterschiedlichen Arten von Verbrauchern dieser Waren in Klasse 16.


15      Als Zweites beanstandet die Klägerin die Feststellung der Beschwerdekammer, die Form des Anmeldezeichens weiche nicht wesentlich von anderen Verpackungsformen auf dem Dentalmarkt ab. Erstens – so die Klägerin –, seien die vom Prüfer vorgelegten Beispiele Schalen mit hohen Rändern bzw. Seiten, die einen rechteckigen, leicht abgerundeten Umriss aufwiesen. Dieser habe nichts mit dem flachen Sechseck des Anmeldezeichens gemein.

16      Zweitens hätten die reliefartigen Formen des Anmeldezeichens keinen ausschließlich funktionalen Charakter. Es sei ungewöhnlich, dass sich Pasten und flüssige Materialien in solchen reliefartigen Produkten befänden. Somit seien nicht nur die flache sechseckige Form, sondern auch die reliefartigen Elemente ungewöhnlich und geeignet, die Erinnerung des Verbrauchers leicht zu prägen.

17      Drittens werde ihr Argument, dass die angemeldete Form einen ganz erheblichen Abstand zu üblichen Gestaltungen im Dentalbereich aufweise, dadurch bestätigt, dass die Beschwerdekammer keine andere dem Anmeldezeichen ähnliche Form auf dem Dentalmarkt habe ermitteln können.

18      Als Drittes weist die Klägerin darauf hin, dass sie aus Dritteintragungen keinen Eintragungsanspruch für die Anmeldemarke herleite. Jedoch habe das EUIPO seine früheren Entscheidungen zu berücksichtigen und besonderes Augenmerk auf die Frage zu richten, ob im gleichen Sinne zu entscheiden sei oder nicht. Den von der Klägerin herangezogenen Drittzeichen komme eine Indizwirkung dahin zu, dass die angemeldete Form hinreichend unterscheidungskräftig sei.

19      Das EUIPO weist die Argumente der Klägerin zurück und beantragt, den einzigen Klagegrund zurückzuweisen.

20      Zum klägerischen Vortrag hinsichtlich der maßgeblichen Verkehrskreise trägt das EUIPO vor, die Nennung der Klasse 10 anstatt der Klasse 16 sei ein offensichtlicher Tippfehler; aus der angefochtenen Entscheidung gehe klar hervor, dass sich die Beschwerdekammer auf die von der Anmeldemarke erfassten Waren bezogen habe. Weiterhin reiche es für die Zurückweisung der Eintragung eines Zeichens als Marke aus, dass die fehlende Unterscheidungskraft für einen Teil der Verbraucher bejaht werde.

21      Was die Beurteilung der Unterscheidungskraft der Anmeldemarke betreffe, so habe die Beschwerdekammer zu Recht festgestellt, dass sich die der Anmeldemarke entsprechende Verpackung in die Form der üblicherweise für Dentalpasten und ‑flüssigkeiten verwendeten Verpackungen einreihe, die als rein technisch bedingt betrachtet werden könne, so dass sie nicht als Hinweis auf die betriebliche Herkunft verstanden werde.


22      Was im Einzelnen die äußere Form der Verpackung betreffe, habe die Beschwerdekammer auf die vom Prüfer angeführten Beispiele verwiesen und dargelegt, dass sich die Grundform des Anmeldezeichens, die einem Rechteck ähnlich sei, nicht wesentlich von anderen im Dentalbereich verwendeten Verpackungsformen unterscheide. Auf das Argument der Klägerin, dass sich die Formen aus diesen Beispielen von der beanspruchten Form unterschieden, erwidert das EUIPO, die Beschwerdekammer habe diese Beispiele nur für die äußere Form hinzugezogen.

23      Gemäß Art. 4 der Verordnung 2017/1001 kann die Form oder Verpackung einer Ware eine Unionsmarke sein, soweit sie geeignet ist, Waren eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden.

24      Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 sind Marken, die keine Unterscheidungskraft haben, von der Eintragung ausgeschlossen.

25      Nach ständiger Rechtsprechung bedeutet Unterscheidungskraft einer Marke im Sinne dieser Vorschrift, dass die Marke geeignet ist, die Ware, für die die Eintragung beantragt wird, als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu kennzeichnen und diese Ware somit von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden (vgl. Urteile vom 21. Januar 2010, Audi/HABM, C‑398/08 P, EU:C:2010:29‚ Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 7. Mai 2015, Voss of Norway/HABM, C‑445/13 P, EU:C:2015:303, Rn. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26      Die Unterscheidungskraft einer Marke ist zum einen im Hinblick auf die Waren oder Dienstleistungen, für die sie angemeldet worden ist, und zum anderen im Hinblick auf ihre Wahrnehmung durch die maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen (vgl. Urteile vom 29. April 2004, Henkel/HABM, C‑456/01 P und C‑457/01 P, EU:C:2004:258, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 7. Mai 2015, Voss of Norway/HABM, C‑445/13 P, EU:C:2015:303‚ Rn. 89 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27      Nach ständiger Rechtsprechung sind die Kriterien für die Beurteilung der Unterscheidungskraft dreidimensionaler Marken, die in der Form der Ware selbst bestehen, keine anderen als die für die übrigen Markenkategorien geltenden. Im Rahmen der Anwendung dieser Kriterien wird jedoch eine dreidimensionale Marke, die im Erscheinungsbild der Ware selbst besteht, vom Durchschnittsverbraucher nicht notwendig in der gleichen Weise wahrgenommen wie eine Wort- oder Bildmarke, die aus einem Zeichen besteht, das vom Erscheinungsbild der mit der Marke bezeichneten Waren unabhängig ist. In der Tat schließen die Durchschnittsverbraucher aus der Form der Waren oder der ihrer Verpackung, wenn grafische oder Wortelemente fehlen, gewöhnlich nicht auf die Herkunft dieser Waren; daher kann es schwieriger sein, die Unterscheidungskraft einer solchen dreidimensionalen Marke nachzuweisen als diejenige einer Wort- oder Bildmarke (vgl. Urteile vom 7. Oktober 2004, Mag Instrument/HABM, C‑136/02 P, EU:C:2004:592, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 20. Oktober 2011, Freixenet/HABM, C‑344/10 P und C‑345/10 P, EU:C:2011:680, Rn. 45 und 46 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 7. Mai 2015, Voss of Norway/HABM, C‑445/13 P, EU:C:2015:303‚ Rn. 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28      Nach der Rechtsprechung ist, je mehr sich die angemeldete Form der Form annähert, in der die betreffende Ware am wahrscheinlichsten in Erscheinung tritt, umso eher zu erwarten, dass dieser Form die Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001 fehlt. Nur eine Marke, die erheblich von der Norm oder der Branchenüblichkeit abweicht und deshalb ihre wesentliche herkunftskennzeichnende Funktion zu erfüllen geeignet ist, besitzt unter diesen Umständen auch Unterscheidungskraft im Sinne dieser Vorschrift (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 29. April 2004, Henkel/HABM, C‑456/01 P und C‑457/01 P, EU:C:2004:258, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung, vom 7. Mai 2015, Voss of Norway/HABM, C‑445/13 P, EU:C:2015:303‚ Rn. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 12. Dezember 2019, EUIPO/Wajos, C‑783/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1073‚ Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Insbesondere wird, da die Verpackung eines flüssigen Produkts ein zwingendes Vertriebserfordernis ist, der Durchschnittsverbraucher diese in erster Linie als bloßes Behältnis wahrnehmen. Eine dreidimensionale Marke, die aus einer solchen Verpackung besteht, hat nur dann Unterscheidungskraft, wenn sie es dem normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der betreffenden Ware ermöglicht, diese von der Ware anderer Unternehmen zu unterscheiden, ohne eine Untersuchung oder einen Vergleich vorzunehmen und ohne eine besondere Aufmerksamkeit an den Tag zu legen (vgl. Urteil vom 24. Februar 2016, Coca-Cola/HABM [Form einer Konturflasche ohne Riffelung], T‑411/14, EU:T:2016:94, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Der vorliegende Klagegrund ist anhand dieser Grundsätze zu prüfen.

31      Zum Ersten hat die Beschwerdekammer in Bezug auf die maßgeblichen Verkehrskreise, die von den von der Anmeldemarke erfassten Waren angesprochen werden, festgestellt, dass die Waren in Klasse 5 überwiegend an ein Fachpublikum im Dentalbereich gerichtet seien, dessen Aufmerksamkeitsgrad und entsprechende Fachkenntnisse hoch seien, und dass die Waren in „Klasse 10“ sowohl an die allgemeine Öffentlichkeit als auch an Fachleute gerichtet seien.


32      Die Klägerin trägt hierzu vor, die Erwähnung der von der Anmeldemarke erfassten Waren in Klasse 10 anstelle derer in Klasse 16 sei nicht nur ein Schreibfehler, sondern zeige, dass die Beschwerdekammer weder zwischen den unterschiedlichen in Rede stehenden Waren noch zwischen den unterschiedlichen Arten von Verbrauchern dieser Waren differenziert habe.

33      Dieses Vorbringen ist unbegründet. Das EUIPO weist zu Recht darauf hin, dass die Nennung der Klasse 10 anstatt der Klasse 16 durch die Beschwerdekammer in den Rn. 18 und 26 der angefochtenen Entscheidung ein bloßer Tippfehler ist, der keine Auswirkungen auf die Argumentation der Kammer hat. In Rn. 26 der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer nämlich u. a. auf „Verpackungsmaterialien“ und „Blisterpäckchen“ verwiesen; dadurch wird deutlich, dass sie die von der Anmeldemarke erfassten Waren sehr wohl berücksichtigt hat.

34      In Rn. 26 der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer alle Waren aufgezählt, bei denen die Fachleute im Dentalbereich nicht in der Lage seien, anhand der die angemeldete Marke bildenden Form den betrieblichen Ursprung auszumachen; daher ist die Behauptung der Klägerin, die Beschwerdekammer habe nicht zwischen den unterschiedlichen in Rede stehenden Waren differenziert, offensichtlich unbegründet.

35      Zum Vorwurf der Klägerin, die Beschwerdekammer habe nicht zwischen den unterschiedlichen Arten der betreffenden Verbraucher differenziert, ist festzustellen, dass die Feststellungen der Beschwerdekammer in Rn. 26 der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf den funktionellen Charakter der reliefartigen Elemente zwar nur die Fachleute im Dentalbereich und nicht die allgemeine Öffentlichkeit betreffen. Wie das EUIPO ausführt, fällt nach der Rechtsprechung ein Zeichen jedoch bereits dann unter das Verbot von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b oder c der Verordnung 2017/1001, wenn ein Eintragungshindernis für einen bedeutenden Teil der maßgeblichen Verkehrskreise vorliegt (Urteil vom 11. Juli 2019, Wewi Mobile/EUIPO [Fi Network], T‑601/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:510, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Akte nicht, dass die Fachleute einen unbedeutenden Teil der maßgeblichen Verkehrskreise in Bezug auf die Waren in Klasse 16 darstellten.

36      Zum Zweiten sind die Feststellungen der Beschwerdekammer zur fehlenden Unterscheidungskraft der Anmeldemarke zu prüfen. Bei dieser handelt es sich unstreitig um eine Verpackung.


37      Hier hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass sich die Grundform der Anmeldemarke – ein unregelmäßiges Sechseck, das einem Rechteck ähnele – nicht wesentlich von auf dem Dentalmarkt üblichen Verpackungen abhebe und die reliefartigen Kreise und Linien auf dieser Verpackung funktionell und bestenfalls dekorativ seien und somit nicht als Hinweis auf die betriebliche Herkunft der von der Anmeldemarke erfassten Waren dienen könnten.

38      Die Feststellung, dass die Grundform der Anmeldemarke nicht wesentlich von den üblichen Verpackungen auf dem Dentalmarkt abweiche, gründet sich dabei auf zwei Erwägungen (Rn. 21 der angefochtenen Entscheidung). Zum einen hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass es sich bei der Anmeldemarke nicht um ein regelmäßiges Sechseck mit gleich langen Seiten handele, sondern um ein unregelmäßiges langgezogenes Sechseck, welches einem Rechteck sehr ähnlich sei. Zum anderen würden, wie den vom Prüfer angeführten Beispielen zu entnehmen sei, durchaus rechteckige Verpackungen verwendet, um diverse Produkte aus dem Dentalbereich sicher gegen Einflüsse von außen zu verpacken.

39      In Rn. 27 der angefochtenen Entscheidung führt die Beschwerdekammer zudem aus, dass es im Dentalsektor – wie vom Prüfer nachgewiesen worden sei – Verpackungen gebe, die sich nicht wesentlich von der angemeldeten dreidimensionalen Form unterschieden.

40      Wie sich oben aus den Rn. 37 bis 39 ergibt, hat die Beschwerdekammer ihre Feststellung, dass der Anmeldemarke die Unterscheidungskraft fehle, u. a. darauf gestützt, dass das Anmeldezeichen nicht wesentlich von auf dem Dentalmarkt üblichen rechteckigen Verpackungen abweiche.

41      Nach der oben in Rn. 28 angeführten Rechtsprechung besitzt nur eine Marke, die erheblich von der Norm oder der Üblichkeit in der betreffenden Branche abweicht und deshalb ihre wesentliche herkunftskennzeichnende Funktion erfüllen kann, auch Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001.

42      Im vorliegenden Fall hat die Beschwerdekammer jedoch nicht nachgewiesen, dass die rechteckige flache Verpackung auf dem Dentalmarkt üblich ist. Insbesondere kann dies nicht aus den vom Prüfer angeführten, in Rn. 4 der angefochtenen Entscheidung und oben in Rn. 8 wiedergegeben Beispielen gefolgert werden, auf die sich die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung bezogen hat.

43      Bei den ersten beiden Beispielen handelt es sich um rechteckige medizinische Erzeugnisse; nur das letzte vom Prüfer angeführte Beispiel stellt auch eine Verpackung dar. Insbesondere handelt es sich beim zweiten Beispiel – eine Dose mit Deckel, die zahnmedizinische Instrumente enthält – nicht um eine Verpackung, sondern um ein vollwertiges medizinisches Erzeugnis, da es im Gegensatz zu einer bloßen Verpackung der Aufbewahrung der täglich durch den Zahnarzt benutzten Instrumente dient. Sicher können rechteckige Erzeugnisse in rechteckigen Verpackungen verpackt werden. Jedoch weichen die vom Prüfer genannten Beispiele erheblich von der Form der Anmeldemarke ab, da diese eine flache Verpackung darstellt, während die genannten Beispiele, wie die Klägerin zu Recht geltend gemacht hat, hohe Ränder haben. Daraus folgt, dass die Beispiele, auf die die Beschwerdekammer abgestellt hat, weder relevant noch ausreichend sind, um nachzuweisen, dass flache Verpackungen auf dem Dentalmarkt üblich sind.

44      Selbst wenn, wie das EUIPO ausführt, die Verpackungen in den vom Prüfer angeführten Beispielen nur im Hinblick auf die rechteckige Form der Verpackung als relevant angesehen wurden, hat die Beschwerdekammer jedoch nicht unter Bezugnahme auf diese Beispiele oder auf offenkundige Tatsachen nachgewiesen, dass flache Verpackungen auf dem Dentalmarkt üblich sind.

45      Gemäß Art. 95 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 hat das EUIPO bei der Prüfung absoluter Eintragungshindernisse den einschlägigen Sachverhalt, aufgrund dessen es von einem solchen Hindernis ausgehen könnte, von Amts wegen zu prüfen. Nur dann, wenn sie sich ungeachtet der Untersuchung des EUIPO auf die Unterscheidungskraft einer angemeldeten Marke beruft, muss eine Klägerin konkrete und fundierte Anzeichen vorlegen, aus denen sich ergibt, dass die fragliche Marke Unterscheidungskraft besitzt (Urteil vom 9. September 2010, HABM/BORCO-Marken‑Import Matthiesen, C‑265/09 P, EU:C:2010:508, Rn. 57 bis 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Hinzu kommt, dass die vom Prüfer angeführten Beispiele im Gegensatz zum Anmeldezeichen keine Verpackungen für flüssige Präparate enthalten.

47      In Rn. 21 der angefochtenen Entscheidung hat die Beschwerdekammer zwar klargestellt, dass ihre Behauptung, rechteckige Verpackungen würden zum Verpacken diverser Produkte aus dem Dentalbereich verwendet, auch auf Produkte im flüssigen Aggregatzustand zutreffe. Diese Behauptung wird hier jedoch in keiner Weise belegt.

48      Nach alledem und unbeschadet der Frage, ob die Form des von der Beschwerdekammer als unregelmäßiges Sechseck bezeichneten Anmeldezeichens erheblich von einem Rechteck abweicht, ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, dass diese Form nicht wesentlich von üblichen Verpackungen auf dem Dentalmarkt abweicht.


49      Demnach ist dem einzigen Klagegrund der Klägerin stattzugeben und die angefochtene Entscheidung aufzuheben; die anderen im Rahmen dieses Klagegrundes vorgebrachten Rügen brauchen nicht geprüft zu werden.

 Kosten

50      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das EUIPO unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Entscheidung der Fünften Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 4. Dezember 2019 (Sache R 978/2019-5) wird aufgehoben.

2.      Das EUIPO trägt die Kosten.

Tomljenović

Škvařilová-Pelzl

Nõmm

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Dezember 2020.

Der Kanzler

 

Der Präsident

E. Coulon

 

      M. van der Woude


*      Verfahrenssprache: Deutsch.