Language of document : ECLI:EU:C:2005:249

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

ANTONIO TIZZANO

vom 21. April 20051(1)

Rechtssache C-192/04

Lagardère Active Broadcast

gegen

Société pour la perception de la rémunération équitable (SPRE),

Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten mbH

„Richtlinie 93/83/EWG – Öffentliche Wiedergabe über Satellit – Definition – Richtlinie 92/100/EWG – Dem Urheberrecht verwandte Schutzrechte – Rundfunksendungen in mehreren Mitgliedstaaten – Anwendbares Recht“





I –    Einleitung

1.     Mit Urteil vom 17. Februar 2004 hat die Cour de cassation (französischer Kassationsgerichtshof) dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG zwei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 92/100/EWG des Rates vom 19. November 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums (im Folgenden: Richtlinie 92/100)(2) und der Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27. November 1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung (im Folgenden: Richtlinie 93/83)(3) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2.     Das nationale Gericht möchte im Wesentlichen wissen, welcher Mitgliedstaat für die Regelung der Vergütung zuständig ist, die den ausübenden Künstlern eines Tonträgers zusteht, wenn das für die Rundfunkübertragung dieses Tonträgers verwendete Signal von einem Mitgliedstaat aus an einen Satelliten gesendet wird, der es an eine terrestrische Übertragungseinrichtung in einem anderen Mitgliedstaat sendet, von der aus das Signal in den ersten Mitgliedstaat rückübermittelt wird. Für den Fall, dass mehrere nationale Regelungen anwendbar sein sollten, fragt das Gericht außerdem, ob sich aus dem Gemeinschaftsrecht die Möglichkeit ergibt, in dem einen Mitgliedstaat den in dem anderen Mitgliedstaat gezahlten Betrag in Anrechnung zu bringen.

II – Rechtlicher Rahmen

Das einschlägige Gemeinschaftsrecht

3.     Die Richtlinie 92/100 soll einen harmonisierten Rahmen für die nationalen Regelungen über das Vermiet- und Verleihrecht im Bereich des Urheberrechts und bestimmter dem Urheberrecht verwandter Schutzrechte in dem für das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlichen Umfang schaffen.

4.     Es handelt sich jedoch nur um ein Mindestmaß an Harmonisierung, wie der zwanzigsten Begründungserwägung der Richtlinie zu entnehmen ist, wonach den Mitgliedstaaten ausdrücklich die Befugnis eingeräumt wird, den Inhabern verwandter Schutzrechte einen weiterreichenden Schutz zu gewähren, als er in dieser Richtlinie vorgesehen ist.

5.     Dieser Schutz ist insbesondere in Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie geregelt, der bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen ein Recht vor, das bei Nutzung eines zu Handelszwecken veröffentlichten Tonträgers oder eines Vervielfältigungsstücks eines solchen Tonträgers für drahtlos übertragene Rundfunksendungen oder eine öffentliche Wiedergabe die Zahlung einer einzigen angemessenen Vergütung durch den Nutzer und die Aufteilung dieser Vergütung auf die ausübenden Künstler und die Tonträgerhersteller gewährleistet. Besteht zwischen den ausübenden Künstlern und den Tonträgerherstellern kein diesbezügliches Einvernehmen, so können die Bedingungen, nach denen die Vergütung unter ihnen aufzuteilen ist, von den Mitgliedstaaten festgelegt werden.“

6.     Die Richtlinie 93/83 soll bestimmte urheber- und leistungsschutzrechtliche Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung koordinieren, „um die kumulative Anwendung von mehreren nationalen Rechten auf einen einzigen Sendeakt [mittels Satellit] zu verhindern“ (vierzehnte Begründungserwägung).

7.     Nach der Feststellung in dieser Begründungserwägung, dass „normale technische Verfahren betreffend die programmübertragenden Signale … nicht als Unterbrechung der Übertragungskette betrachtet werden [dürfen]“, werden die in der Richtlinie verwendeten Begriffe definiert.

8.     Artikel 1 Absatz 1 definiert u. a. „Satellit“ als „einen Satelliten, der auf Frequenzbändern arbeitet, die fernmelderechtlich dem Aussenden von Signalen zum öffentlichen Empfang oder der nichtöffentlichen Individualkommunikation vorbehalten sind. Im letzteren Fall muss jedoch der Individualempfang der Signale unter Bedingungen erfolgen, die den Bedingungen im ersteren Fall vergleichbar sind“.

9.     Absatz 2 dieser Bestimmung sieht, soweit hier von Belang, vor:

„a)       Für die Zwecke dieser Richtlinie bedeutet ‚öffentliche Wiedergabe‘ über Satellit die Handlung, mit der unter der Kontrolle des Sendeunternehmens und auf dessen Verantwortung die programmtragenden Signale, die für den öffentlichen Empfang bestimmt sind, in eine ununterbrochene Kommunikationskette, die zum Satelliten und zurück zur Erde führt, eingegeben werden.

b)       Die öffentliche Wiedergabe über Satellit findet nur in dem Mitgliedstaat statt, in dem die programmtragenden Signale unter der Kontrolle des Sendeunternehmens und auf dessen Verantwortung in eine ununterbrochene Kommunikationskette eingegeben werden, die zum Satelliten und zurück zur Erde führt.“

10.   Bezüglich der Rechte der ausübenden Künstler, der Tonträgerhersteller und der Sendeunternehmen bestimmt Artikel 4 Absatz 1 sodann: „Für die Zwecke der öffentlichen Wiedergabe über Satellit sind [diese Rechte] gemäß den Artikeln 6, 7, 8 und 10 der Richtlinie [92/100] geschützt.“

Das nationale Recht

11.   Hinsichtlich der französischen Regelung mag der Hinweis auf Artikel L.214-1 des Code sur la propriété intellectuelle genügen, der lautet:

„Ist ein Tonträger zu Handelszwecken veröffentlicht worden, können der ausübende Künstler und der Hersteller:

2. weder seine Rundfunkausstrahlung noch die vollständige, zeitgleiche Kabelweiterverbreitung

untersagen.

Solche Nutzungen der zu Handelszwecken veröffentlichten Tonträger geben den ausübenden Künstlern und den Herstellern, unabhängig vom Ort, an dem diese Tonträger bespielt worden sind, Anspruch auf eine Vergütung. Diese Vergütung ist unter den in den Ziffern 1 und 2 dieses Artikels angegebenen Bedingungen von denjenigen zu zahlen, die die zu Handelszwecken veröffentlichten Tonträger nutzen.

Sie wird auf der Grundlage der Einnahmen aus der Nutzung oder mangels solcher pauschal festgesetzt …“(4).

III –  Sachverhalt und Verfahren

12.   Die Gesellschaft Europe 1 communication, in deren Rechte die Lagardère Active Broadcast eingetreten ist (im Folgenden: Europe 1 und Lagardère), ist ein Rundfunkunternehmen mit Sitz in Frankreich. Ihre Rundfunkprogramme werden in Paris produziert und zunächst an einen Satelliten gesendet. Das Signal wird dann an Übertragungseinrichtungen auf französischem Gebiet zurückgesendet, die es in Frankreich über Frequenzmodulation (FM) ausstrahlen.

13.   Das soeben dargestellte Übertragungssystem ist nicht das einzige, dessen sich Europe 1 bedient. Sie verfügt nämlich auch über einen Sender jenseits der deutschen Grenze in Felsberg im Saarland, den sie seit der Aufnahme ihrer Tätigkeit genutzt hat, um die damals geltende französische Regelung zu umgehen, die den Besitz von Sendeantennen auf französischem Gebiet öffentlichen Rundfunkunternehmen vorbehalten hatte.

14.   Der Satellit sendet das Signal auch zu dieser Übertragungseinrichtung, die es gemäß einer Lizenz, die der Compagnie européenne de radiodiffusion et de télévision Europe 1 (im Folgenden: CERT), einer Gesellschaft deutschen Rechts, deren Kapital zu 99,70 % von Europe 1 gehalten wird, in Deutschland erteilt worden ist, auf Langwelle (LW) nach Frankreich zurücksendet.

15.   Insoweit ist zu beachten, dass im Fall von Störungen des Satellitensystems das von den Pariser Studios ausgestrahlte Signal auch heute noch den deutschen Sender durch terrestrische Sendefrequenzen erreichen kann, die vor dem Übergang zum Satellitensystem das normale Übertragungsmittel darstellten.

16.   Zu beachten ist auch, dass die vom Sender Felsberg ausgestrahlten Programme, obwohl sie ausschließlich für ein frankophones Publikum bestimmt sind, auch in einem begrenzten Umkreis auf deutschem Gebiet empfangen werden können.

17.   In Frankreich zahlte Europe 1 an die Société pour la perception de la rémunération équitable (im Folgenden: SPRE) die Vergütung, die sie den ausübenden Künstlern und den Herstellern der in ihren Sendungen genutzten Tonträger schuldete. Die CERT zahlte ihrerseits in Deutschland für die Rundfunkübertragung derselben Tonträger einen jährlichen Pauschalsatz an die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten (im Folgenden: GVL), das deutsche Gegenstück zur SPRE.

18.   Um die Kumulierung der Vergütungen für die Nutzung derselben Tonträger zu vermeiden, berechtigte eine bis zum 31. Dezember 1993 verlängerte Vereinbarung zwischen Europe 1 und der SPRE die Erstere dazu, von dem der SPRE geschuldeten Betrag die von der CERT an die GVL gezahlten Beträge abzuziehen.

19.   Obwohl es seit dem 1. Januar 1994 keine Vereinbarung mehr gab, die zu einem solchen Abzug berechtigte, nahm Europe 1 diesen weiterhin vor.

20.   Da die SPRE der Auffassung war, dass dieser Abzug nicht gerechtfertigt sei, wandte sie sich an das Tribunal de grande instance Paris, das zu ihren Gunsten entschied.

21.   Daraufhin löste die CERT den Vertrag über die Zahlung der Vergütung an die GVL, die deshalb in Deutschland Klage erhob. Nach einem erstinstanzlichen Urteil zugunsten der GVL und einem Urteil des Saarländischen Oberlandesgerichts zugunsten der CERT wurde der Bundesgerichtshof mit dieser Frage befasst.

22.   Der Bundesgerichtshof war der Auffassung, dass die fraglichen Sendungen deutschem Recht unterlägen, weil sie von in Deutschland gelegenen Sendern ausgestrahlt würden, die der GVL geschuldete Vergütung jedoch unter Berücksichtigung der in Frankreich gezahlten Beträge zu vermindern sei, und gelangte aufgrund dessen, ohne dem Gerichtshof Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie 93/83 nicht anwendbar sei; er hob das Berufungsurteil auf und verwies die Sache an das Berufungsgericht zurück. Dieses beschloss, das bei ihm anhängige Verfahren bis zum Erlass des Urteils auszusetzen, mit dem der Gerichtshof über die vorliegende Rechtssache entscheiden wird.

23.   In der Zwischenzeit hatte nämlich Lagardère, die Nachfolgerin von Europe 1, das gerichtliche Verfahren in Frankreich weiter betrieben, zunächst mit einer Klage bei der Cour d’appel Paris gegen die erstinstanzliche Entscheidung zugunsten der SPRE und dann, nachdem auch dieser Versuch erfolglos geblieben war, mit einer weiteren Klage bei der Cour de cassation. Letztere hat angesichts der Zweifel an der Auslegung einiger Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.       Wenn ein vom Gebiet eines Mitgliedstaats aus sendendes Rundfunkunternehmen, um einen Teil seiner inländischen Hörer zu erreichen, einen in Grenznähe im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats gelegenen Sender verwendet, für den eine Tochtergesellschaft des Rundfunkunternehmens, an der dieses mehrheitlich beteiligt ist, die Lizenz besitzt, gilt dann für die einzige angemessene Vergütung im Sinne von Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 92/100/EWG vom 19. November 1992 und Artikel 4 der Richtlinie 93/83/EWG vom 27. September 1993, die für die Nutzung von zu Handelszwecken veröffentlichten Tonträgern in den übertragenen Programmen zu zahlen ist, das Recht dieses anderen Mitgliedstaats?

2.       Bejahendenfalls: Darf das sendende Rundfunkunternehmen die von seiner Tochtergesellschaft gezahlten Beträge von der Gebühr, die es für den gesamten Empfang im Inland zu entrichten hat, abziehen?

24.   In dem jetzt beim Gerichtshof anhängigen Verfahren haben Lagardère und die CERT, die SPRE, die GVL sowie die französische und die deutsche Regierung und die Kommission Erklärungen abgegeben.

25.   Dieselben Beteiligten haben an der mündlichen Verhandlung vom 2. März 2005 teilgenommen.

IV –  Beurteilung

Zur ersten Frage

26.   Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Tatsache, dass ein Teil der Öffentlichkeit die in einem Mitgliedstaat produzierten Rundfunkprogramme durch ein Signal empfängt, das zunächst an einen Satelliten und dann an eine erdgebundene Übertragungseinrichtung in einem anderen Mitgliedstaat gesendet wird, die diese Programme in den ersten Mitgliedstaat ausstrahlt, zur Folge hat, dass dem zweiten Mitgliedstaat die Regelung der Vergütung zukommt, die hinsichtlich der von ihm zurückgesendeten Programme den ausübenden Künstlern und den Herstellern der genutzten Tonträger zusteht.

27.   Den Erklärungen der Kommission und der GVL zufolge hängt die Beantwortung dieser Frage von der Qualifizierung der in Rede stehenden Übertragung ab. Wenn diese nämlich als eine „öffentliche Wiedergabe über Satellit“ im Sinne der Richtlinie 93/83 zu verstehen wäre, müsste die den ausübenden Künstlern und den Herstellern der genutzten Tonträger zustehende Vergütung nach Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe b dieser Richtlinie ausschließlich nach dem Recht des Staates bestimmt werden, von dem das Signal ausgestrahlt wird, d. h. im vorliegenden Fall nach französischem Recht. Anderenfalls befände man sich sicher außerhalb des Anwendungsbereichs der Richtlinie 93/83, so dass die Anwendung des deutschen Rechts auf die Vergütung, die für die Nutzung der vom Sender Felsberg ausgestrahlten Rundfunkprogramme geschuldet wird, nicht ausgeschlossen wäre.

28.   Bei genauerer Betrachtung könnte sich die Nichtanwendbarkeit der Richtlinie auf den vorliegenden Fall jedoch auch aus der Lösung einer anderen, von den Beteiligten im Laufe des Verfahrens ebenfalls diskutierten Frage ergeben, die mit der vorherigen zusammenhängt und ihr in gewissem Sinne vorausgeht. Da nämlich die Richtlinie nicht jeden Satellitentyp betrifft, sondern nur solche, die bestimmte Bedingungen erfüllen, kann man sich fragen, ob der Satellit, um den es geht, tatsächlich ein „Satellit“ im Sinne der in Rede stehenden Richtlinie ist. Ist er das nicht, ist die Richtlinie auf den vorliegenden Fall nämlich erst recht nicht anwendbar.

29.   Sodann ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass nach Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie „Satelliten“ nur die Satelliten sind, „die auf Frequenzbändern [arbeiten], die fernmelderechtlich dem Aussenden von Signalen“ 1. „zum öffentlichen Empfang“ oder 2. „der nichtöffentlichen Individualkommunikation vorbehalten sind. Im letzteren Fall muss jedoch der Individualempfang der Signale unter Bedingungen erfolgen, die den Bedingungen im ersteren Fall vergleichbar sind“.

30.   Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den Antworten auf die spezielle Frage des Gerichtshofes hierzu, dass das vom Satelliten zum Sender Felsberg ausgestrahlte Signal nicht direkt von der Öffentlichkeit empfangen werden kann. Es steht somit außer Zweifel, dass der erste Fall des Artikels 1 Absatz 1 der Richtlinie nicht erfüllt ist.

31.   Schwieriger ist die Feststellung, ob der zweite Fall vorliegt, zumal nicht klar ist, was unter „vergleichbaren Bedingungen“ zu verstehen ist. Ohne Zweifel ist mit diesem Ausdruck nämlich gemeint, dass die Öffentlichkeit von den vom Satelliten ausgestrahlten Programmen erreicht werden muss; die konkrete Prüfung dieser Bedingung führt indessen die Beteiligten im vorliegenden Fall zu völlig entgegengesetzten Ergebnissen.

32.   Die französische Regierung, Lagardère und die SPRE machen nämlich geltend, dass in unserem Fall diese Bedingung erfüllt sei, weil aufgrund der erdgebundenen Rücksendung des vom Satelliten ausgestrahlten Signals die Öffentlichkeit die Programme jedenfalls empfangen könne. Im entgegengesetzten Sinne haben sich die deutsche Regierung und die GVL geäußert, für die die Bedingungen nicht „vergleichbar“ seien, weil die Öffentlichkeit die Programme nur mittels eines Signals empfangen könne, das anderer Art sei als das Satellitensignal, und die Richtlinie daher nicht anwendbar sei. Dieser Ansicht hat sich auch die Kommission, die sich hierzu nicht schriftlich geäußert hatte, in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen angeschlossen.

33.   Die Untersuchung, ob im vorliegenden Fall ein Satellit im Sinne der Richtlinie gegeben ist, muss sich daher auf die Folgen konzentrieren, die sich daraus ergeben, dass die Öffentlichkeit das vom Satelliten ausgestrahlte Signal nur dann empfangen kann, wenn es in Hertzwellen zurückgesendet wird.

34.   Doch die Lösung dieser Frage ist auch entscheidend, um den oben (Nr. 27) erwähnten Zweifel an der Qualifizierung der Übertragung auszuräumen, die im vorliegenden Fall unter dem Gesichtspunkt erörtert worden ist, ob eine „öffentliche Wiedergabe über Satellit“ vorliegt.

35.   Nach Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie wird eine derartige Wiedergabe nämlich als „Handlung“ qualifiziert, „mit der unter der Kontrolle des Sendeunternehmens und auf dessen Verantwortung die programmtragenden Signale, die für den öffentlichen Empfang bestimmt sind, in eine ununterbrochene Kommunikationskette, die zum Satelliten und zurück zur Erde führt, eingegeben werden“(5), wobei in der vierzehnten Begründungserwägung der Richtlinie klargestellt ist, dass normale technische Verfahren nicht als Unterbrechung der Übertragungskette betrachtet werden dürfen.

36.   Auf die eine oder andere Art bleibt der zentrale Punkt des vorliegenden Falles damit im Wesentlichen derselbe. Es geht nämlich in jedem Fall darum, ob und in welcher Weise es unter den vorliegenden Umständen von Bedeutung ist, dass die Öffentlichkeit das vom Satelliten ausgestrahlte Signal nur mittels seiner Rückübertragung in Hertzwellen empfangen kann.

37.   Für die Beantwortung dieser Frage sind somit zwei Aspekte zu untersuchen, nämlich ob man im vorliegenden Fall von einer Übertragung sprechen kann: i) die unter Bedingungen erfolgt, die mit denen „vergleichbar“ sind, unter denen der Satellit Signale ausstrahlt, die von der Öffentlichkeit empfangen werden können, und ii) die eine „öffentliche Wiedergabe über Satellit“ darstellt, da sie durch eine „ununterbrochene Kommunikationskette“ gekennzeichnet ist.

38.   i) Zum ersten Gesichtspunkt ist zunächst zu bemerken, dass die Richtlinie 93/83, wie sich aus ihrer sechsten Begründungserwägung ergibt, zwei verschiedene Satellitentypen berücksichtigt: Direktstrahl- und Fernmeldesatelliten. Nach der Feststellung, dass ungeachtet „des bei beiden Satellitentypen möglichen und heute wirtschaftlich vertretbaren Individualempfangs“(6) in den Mitgliedstaaten eine „urheberrechtliche Ungleichbehandlung“ der öffentlichen Wiedergabe über den einen oder den anderen Satellitentyp besteht, wird in der Richtlinie der Wille zum Ausdruck gebracht, gemeinsame Rechtsvorschriften zu erlassen, die unabhängig davon gelten, welcher der beiden Satellitentypen verwendet wird(7).

39.   Im Licht dieser Prämisse sind meiner Auffassung nach die beiden in Nummer 29 angeführten Fälle zu verstehen. In der Vergangenheit übertrugen nur die Direktstrahlsatelliten Signale, die von der Öffentlichkeit empfangen werden konnten, wobei sie sich der Frequenzbänder bedienten, die ausdrücklich für diesen Zweck bestimmt waren. Die Fernmeldesatelliten dagegen benutzten (und benutzen noch immer) Bänder, die nicht dem Empfang durch die Öffentlichkeit vorbehalten sind. Dank der technologischen Entwicklung wurde es in der Folgezeit jedoch möglich, auf diesen Bändern stärkere Signale zu übertragen als früher, so dass auch nichtkommerzielle, preislich erschwingliche Parabolantennen den Empfang der von den Satelliten auf diese Weise ausgestrahlten Programme zuließen. Auch wenn die verwendeten Bänder nicht der öffentlichen Wiedergabe vorbehalten sind, kann die Öffentlichkeit somit die Programme jedenfalls direkt vom Satelliten empfangen.

40.   Ich meine, dass diese und nur diese Frequenzbänder die „vergleichbaren Bedingungen“ sind, auf die sich der letzte Satz des Artikels 1 Absatz 1 der Richtlinie bezieht. In dem Fall, mit dem wir befasst sind, überträgt der Satellit die Signale jedoch nicht unter Bedingungen, die – unabhängig von den verwendeten Bändern – den Individualempfang der von ihm ausgestrahlten Signale zulassen; im Gegenteil ist in jedem Fall eine Rückübertragung in Hertzwellen notwendig, damit die Signale die Öffentlichkeit erreichen.

41.   Ich neige daher – mit der deutschen Regierung, der Kommission und der GVL – zu der Annahme, dass im vorliegenden Fall die Bedingungen nicht „vergleichbar“ sind und somit auch nicht von einem „Satelliten“ im Sinne der Richtlinie die Rede sein kann.

42.   ii) Entsprechend ist zu dem anderen angesprochenen Aspekt mit der deutschen Regierung, der Kommission und der GVL festzustellen, dass im vorliegenden Fall auch keine „öffentliche Wiedergabe über Satellit“ vorliegt, weil die Kommunikationskette keineswegs ununterbrochen ist, wie es die Richtlinie verlangt.

43.   In dem soeben beschriebenen Fall empfängt die Öffentlichkeit nämlich das Signal nicht direkt vom Satelliten mittels einer speziellen Parabolantenne; sie empfängt es vielmehr über eine einfache Antenne, nachdem es von den Übertragungseinrichtungen in Frankreich und in Deutschland umgewandelt und über FM bzw. LW wieder ausgestrahlt worden ist.

44.   Im Übrigen hat im vorliegenden Fall der Satellit, wie die GVL in der mündlichen Verhandlung hervorgehoben hat, nur die Aufgabe, die früheren terrestrischen Sendefrequenzen zu ersetzen, die seit der Aufnahme der Tätigkeit von Europe 1 das Signal aus den Pariser Studios zur Sendeanlage in Felsberg leiteten und die im Fall von Störungen des Satelliten immer noch verwendet werden (siehe oben, Nrn. 13 bis 15). Die Neuerung durch den Übergang zum Satellitensystem wirkt sich also ausschließlich auf die Modalitäten der Einspeisung in die Übertragungseinrichtungen aus, ohne irgendeine Änderung für die Öffentlichkeit, die das Signal aus Felsberg empfängt, mit sich zu bringen. Da die Übertragungseinrichtung dort weiterhin auf LW sendet – wie bereits in der Vergangenheit, als das Signal per Kabel und nicht über Satellit übertragen wurde – haben die Hörer nichts an den Geräten ändern müssen, die sie schon immer für den Empfang von Programmen von Europe 1 benutzt haben.

45.   Die Richtlinie 93/83 hat gerade deshalb eine besondere Regelung für die „öffentliche Wiedergabe über Satellit“ eingeführt, um, wie sich aus ihrer sechsten Begründungserwägung ergibt, dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Individualempfang [des Satellitensignals] heute möglich und wirtschaftlich vertretbar ist(8). Ich schließe daraus ebenso wie die GVL, dass sich die Vorschriften für diesen Kommunikationstyp auf die neuen Modalitäten des Signalempfangs durch die Öffentlichkeit beziehen, die der technologische Fortschritt ermöglicht hat, und nicht – wie im Fall der Hertzwellen – auf die bereits seit langem zur Verfügung stehenden.

46.   Meines Erachtens kann das Hindernis, das die Unterbrechung der Kommunikationskette darstellt, auch nicht durch eine weite Auslegung des Begriffes „normale technische Verfahren“ umgangen werden, wie sie die französische Regierung, Lagardère und die SPRE vorschlagen.

47.   Insbesondere die französische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung vorgebracht, dass die Rückübertragung des Signals in Hertzwellen nicht die Möglichkeit ausschließe, in diesem Fall von einer „ununterbrochenen Kommunikationskette“ zu sprechen, denn die Richtlinie beziehe in ihren Anwendungsbereich auch Satelliten ein, die keine Signale übertrügen, die von der Öffentlichkeit unmittelbar empfangen werden könnten. Würde man also ausschließen, dass die Zwischenschaltung einer erdgebundenen Station zwischen dem Satelliten und der Öffentlichkeit ein „normales technisches Verfahren“ sei, und deshalb im vorliegenden Fall den Begriff der öffentlichen Wiedergabe über Satellit für nicht erfüllt halten, so würde dies nach Ansicht der französischen Regierung dem Teil des Artikels 1 Absatz 1 der Richtlinie 93/83 seine Bedeutung nehmen, der als Satelliten auch solche einstufe, die zwar keine dem öffentlichen Empfang vorbehaltenen Bänder verwendeten, aber Signale beförderten, deren Individualempfang unter Bedingungen erfolge, die mit denen bei Verwendung solcher Bänder „vergleichbar“ seien.

48.   Mit diesem Einwand lässt man meines Erachtens letztlich aber das wieder zum Fenster (mit dem Begriff der „ununterbrochenen Kette“) herein, was durch die Tür (mit dem Begriff der „vergleichbaren Bedingungen“) hinausbefördert worden war. Dem ist jedenfalls entgegenzuhalten, dass die Richtlinie keineswegs leer läuft, wenn, wie ich meine und auch von der Kommission vorgeschlagen wird, ein Begriff der „normalen technischen Verfahren“ zugrunde gelegt wird, der nur solche technischen Anpassungen des Signals erfasst, die nicht die Natur der Übertragung des Signals als satellitengestützter Übertragung verändern(9). Dies würde meiner Ansicht nach im Gegenteil zu einer schlüssigen Auslegung der Begriffe „Satellit“ und „öffentliche Wiedergabe über Satellit“ führen.

49.   Wie ich oben ausgeführt habe, lässt sich, wenn die Hörer das Satellitensignal nicht direkt empfangen können, nicht sagen, dass der Individualempfang dieses Signals unter Bedingungen erfolgt, die denen „vergleichbar“ sind, unter denen das Signal direkt von der Öffentlichkeit empfangen wird, so dass nicht von einem „Satelliten“ im Sinne der Richtlinie gesprochen werden kann (siehe oben, Nrn. 39 bis 41).

50.   Entsprechend kann die unerlässliche Umwandlung in Hertzwellen, die das Satellitensignal durchlaufen muss, bevor es von der Öffentlichkeit empfangen werden kann, nicht als ein „normales technisches Verfahren“ qualifiziert werden, so dass in unserem Fall keine „ununterbrochene Kette“ und somit keine öffentliche Wiedergabe über Satellit vorliegt.

51.   Meines Erachtens lässt sich aus dem Vorstehenden der Schluss ziehen, dass eine Übertragung wie die in Rede stehende nicht unter den Begriff der „öffentlichen Wiedergabe über Satellit“ im Sinne der Richtlinie 93/83 fällt.

52.   Wie mehrmals gesagt, ist nach der Richtlinie nur bei dieser Art der Kommunikation die Regelung der Vergütung, die den ausübenden Künstlern und den Herstellern der verwendeten Tonträger zusteht, allein dem Recht des Staates vorbehalten, von dem aus das Signal gesendet wird. Infolgedessen kann im vorliegenden Fall diese Regel keine Anwendung finden.

53.   Abschließend möchte ich noch hinzufügen, dass dieses Ergebnis meiner Auffassung nach auch durch eine systematische Auslegung der Richtlinie 93/83 gestützt wird.

54.   In dem Teil, der die für die Öffentlichkeit bestimmte Kabelweiterverbreitung der ursprünglich aus anderen Mitgliedstaaten über Satellit übertragenen Programme betrifft, schreibt die Richtlinie gerade nicht die ausschließliche Anwendung des Rechts des Ursprungsstaats des Signals vor, wie sie es dagegen für die „öffentliche Wiedergabe über Satellit“ tut. Nach Artikel 8 Absatz 1 sorgen die Mitgliedstaaten, in denen eine solche Weiterverbreitung erfolgt, vielmehr für die „Beachtung der anwendbaren Urheberrechte und der verwandten Schutzrechte“ und wenden dabei ohne Frage die eigenen einschlägigen Regelungen und nicht die des Staates an, aus dem die Erstsendung des Signals (über Satellit) erfolgte.

55.   Wenn die Regel der ausschließlichen Anwendbarkeit des Rechts des Staates, von dem aus das Satellitensignal ausgestrahlt wird, hinfällig wird, wenn der öffentliche Empfang des Programms mittels Kabelweiterverbreitung erfolgt, spricht, wie die Kommission bemerkt, nichts dagegen, dass dieselbe Lösung auch dann gilt, wenn die Weiterübertragung, wie im vorliegenden Fall, nicht über Kabel, sondern über Hertzwellen erfolgt.

56.   Nach alledem schlage ich daher vor, die erste Frage der Cour de cassation dahin zu beantworten, dass in den Fällen, in denen ein Teil der Öffentlichkeit die in einem Mitgliedstaat produzierten Rundfunkprogramme mittels eines Signals empfängt, das zunächst an einen Satelliten und dann von diesem zu einem erdgebundenen Sender in einem anderen Mitgliedstaat gesendet wird, der diese Programme auf Langwelle wieder in den erstgenannten Staat ausstrahlt, keine „öffentliche Wiedergabe über Satellit“ im Sinne der Richtlinie 93/83 vorliegt, so dass das Gemeinschaftsrecht es nicht verbietet, dass die von der Richtlinie 92/100 zugunsten der ausübenden Künstler und der Hersteller der genutzten Tonträger vorgesehene einzige angemessene Vergütung für die Tonträger, die von dem Mitgliedstaat aus, in dem sich der erdgebundene Sender befindet, gesendet werden, nach dem Recht dieses Staates festgesetzt wird.

Zur zweiten Frage

57.   Für den Fall der Bejahung der ersten Frage hat das nationale Gericht eine zweite Frage vorgelegt. Es möchte insbesondere wissen, ob ein Unternehmen, das das Ursprungssignal von einem Mitgliedstaat aus sendet, von der Gebühr, die es für den gesamten Empfang im Inland zu entrichten hat, die Beträge abziehen kann, die sein Tochterunternehmen in dem Mitgliedstaat gezahlt hat, in dem sich ein erdgebundener Sender befindet, der zwar das Signal in erster Linie in Richtung des erstgenannten Mitgliedstaats ausstrahlt, den Empfang des Signals aber auch im anderen Mitgliedstaat in der Umgebung des Senders zulässt.

58.   Nach Ansicht der deutschen Regierung gibt es keine gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen, die im Wege der Auslegung eine Beantwortung der in Rede stehenden Frage ermöglichten. Dieselbe Linie vertritt die GVL, die meint, dass im Falle der Nichtanwendbarkeit der Richtlinie 93/83 auch die Richtlinie 92/100 nicht angewandt werden könne.

59.   Die französische Regierung und die SPRE sind dagegen der Ansicht, dass sich eine Stellungnahme zu dieser Frage erübrige, da sie auf die erste in dem Sinne geantwortet hätten, dass in Deutschland keine Zahlung verlangt werden könne. Hilfsweise bemerkt die SPRE jedoch, dass sich den Richtlinien 93/83 und 92/100 keine Abzugsregelung entnehmen lasse; in jedem Fall und äußerst hilfsweise meint sie, dass es erlaubt sein müsse, in Deutschland den in Frankreich gezahlten Betrag in Anrechnung zu bringen.

60.   Die Kommission und Lagardère schließlich sind der Auffassung, dass eine Doppelzahlung mit Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 92/100 nicht vereinbar sei, wonach derjenige, der einen Tonträger für eine öffentliche Wiedergabe verwende, den ausübenden Künstlern oder den Herstellern dieses Tonträgers eine „einzige angemessene“ Vergütung zahlen müsse. Daraus folgt nach Auffassung von Lagardère, dass es erlaubt sein müsse, den in Deutschland gezahlten Betrag in Frankreich in Anrechnung zu bringen. Zum entgegengesetzten Ergebnis gelangt die Kommission, die meint, dass der in Frankreich gezahlte Betrag in Deutschland in Anrechnung zu bringen sei. Diese Lösung komme in jedem Fall nur hilfsweise zum Tragen; mangels einer weitergehenden Harmonisierung auf diesem Gebiet solle sich der Gerichtshof nämlich auf die Feststellung beschränken, dass die als einzige angemessene Vergütung geforderten Beträge insgesamt nicht über ein Niveau hinausgehen dürften, das die Rundfunkübertragung von Tonträgern noch unter vertretbaren Bedingungen ermögliche und der Zahl der tatsächlichen und potenziellen Hörer Rechnung trage, der Gerichtshof solle aber nicht so weit gehen, dass er unmittelbar eine Abzugsregelung vorschreibe.

61.   Ich möchte zunächst daran erinnern, dass die Richtlinie 92/100 zwar einige Aspekte der unterschiedlichen Regelungen in den Mitgliedstaaten harmonisiert, an der dominierenden Rolle des Territorialitätsgrundsatzes auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte aber nichts geändert hat, der im Übrigen auch in den geltenden internationalen Vorschriften auf diesem Gebiet anerkannt ist(10).

62.   Das Gemeinschaftsrecht erlaubt deshalb den zuständigen Behörden der beiden betroffenen Mitgliedstaaten, die Zahlung der Vergütung, die den ausübenden Künstlern und Herstellern der von ihrem Hoheitsgebiet aus öffentlich wiedergegebenen Tonträger zusteht, gemäß dem eigenen nationalen Recht zu verlangen.

63.   Wie soeben gesehen, bestimmt Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie, dass den Künstlern eine „einzige angemessene“ Vergütung gezahlt werden muss. Daraus lässt sich ableiten, wie es die Kommission und Lagardère tun, dass die genannten Behörden den erwähnten Vergütungsvoraussetzungen Rechnung tragen müssen, wenn sie jeweils die Zahlung der den Künstlern zustehenden Vergütung nach dem jeweiligen nationalen Recht verlangen.

64.   Es ist also zu untersuchen, ob und in welchem Umfang diese Voraussetzungen auch im vorliegenden Fall eine Rolle spielen können, um aus dieser Untersuchung nützliche Hinweise für einen Fall wie den vorliegenden zu gewinnen, in dem die festzulegende Vergütung von Tonträgern abhängt, die sozusagen in die Zuständigkeit mehrerer nationaler Stellen fallen.

65.   Ich bin der Meinung, dass Artikel 8 Absatz 2 seinem Wortlaut nach die Vergütung an sich und in allgemeinem Sinne festlegt und nicht in Verbindung mit einem einzelnen Mitgliedstaat. Daher können die in Rede stehenden Voraussetzungen auch für die Festlegung der Vergütung im hier betrachteten Fall berücksichtigt werden.

66.   Ich werde somit jetzt die Voraussetzung in diesem Sinne untersuchen, wobei ich sogleich darauf hinweisen möchte, dass die Erörterung sich nur auf die Voraussetzung der „Angemessenheit“ der Vergütung beschränken wird. Meiner Meinung nach ist es nämlich offensichtlich, dass die Voraussetzung der Einzigkeit keine nützlichen Gesichtspunkte für den vorliegenden Fall bietet, da sie lediglich bedeutet, dass die vom Nutzer des Tonträgers gezahlte Vergütung den Rechten der verschiedenen betroffenen Personen (Ausübende und Hersteller) insgesamt Rechnung tragen muss, damit jedoch nicht – auch nicht implizit – gemeint ist, dass die Zahlung in einem einzigen Mitgliedstaat erfolgen muss. Diese Auslegung der Voraussetzung entspricht nämlich als einzige dem Geist der betreffenden Bestimmung, wonach „[diese] Vergütung auf die ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller [aufgeteilt wird]. Besteht zwischen [diesen] kein diesbezügliches Einvernehmen, so können die Bedingungen, nach denen die Vergütung unter ihnen aufzuteilen ist, von den Mitgliedstaaten festgelegt werden.“

67.   Somit werden wir jetzt sehen, ob sich eine Antwort auf die betreffende Frage dagegen nicht durch die Prüfung der Voraussetzung der Angemessenheit finden lässt.

68.   Insoweit möchte ich zunächst daran erinnern, dass der Begriff der „angemessenen Vergütung“, wie ich in den Schlussanträgen in der Rechtssache SENA(11) ausgeführt habe und wie der Gerichtshof in dem betreffenden Urteil bestätigt hat, ein gemeinschaftsrechtlicher Begriff ist, da er in einer Richtlinie verwendet wird, ohne dass hinsichtlich seiner Auslegung ausdrücklich oder indirekt auf das Recht der Mitgliedstaaten verwiesen wird. In solchen Fällen ist der Begriff in der Gemeinschaft somit „autonom und einheitlich auszulegen …, wobei diese Auslegung unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der Regelung verfolgten Zweckes zu erfolgen hat“(12).

69.   Für den fraglichen Begriff gibt die Richtlinie jedoch nicht nur keine genaue Definition, sondern liefert insoweit nicht einmal direkte oder indirekte Hinweise. Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass sie den nationalen Rechtsordnungen einen weiten Spielraum lassen wollte, offenbar weil man überzeugt war, dass eine weitergehende Harmonisierung des Bereichs nicht erforderlich oder zweckmäßig sei(13). Es ist daher Aufgabe der Mitgliedstaaten und der nationalen Gerichte, die weiteren maßgeblichen Kriterien festzulegen, um die Beachtung dieses gemeinschaftsrechtlichen Begriffes sicherzustellen.

70.   Die ihnen zuerkannte Freiheit ist jedoch nicht ohne Grenzen, sondern ist jedenfalls im Hinblick auf die Anwendung eines gemeinschaftsrechtlichen Begriffes, somit unter der Aufsicht der Gemeinschaftsorgane, insbesondere des Gerichtshofes, unter Wahrung der Bedingungen und der Grenzen, die sich aus der Richtlinie ergeben, sowie ganz allgemein unter Wahrung der Grundsätze und des Wesens der mit dem Vertrag geschaffenen Rechtsordnung auszuüben(14).

71.   Wie der Gerichtshof im Urteil SENA ausgeführt hat, ist die „Angemessenheit der Vergütung, die die Gegenleistung für die Nutzung eines gewerblichen Tonträgers … darstellt, … anhand des wirtschaftlichen Wertes dieser Nutzung zu ermitteln“(15). Darüber hinaus müssen die von den Mitgliedstaaten gewählten Modalitäten für die Anwendung der Richtlinie es erlauben, „das Interesse der ausübenden Künstler und der Hersteller an einer Vergütung für die Sendung eines bestimmten Tonträgers und das Interesse Dritter daran, diesen Tonträger unter vertretbaren Bedingungen senden zu können, angemessen in Ausgleich zu bringen“(16).

72.   Ich meine, dass in unserem konkreten Fall, in dem die Rechtsvorschriften zweier Mitgliedstaaten anwendbar sind, ohne dass das Gemeinschaftsrecht irgendwelche Formen der Koordinierung zwischen diesen zur Vermeidung einer Doppelbelastung vorsieht, die Vergütung auch in dieser Hinsicht „angemessen“ sein muss, indem dafür gesorgt wird, dass ein Unternehmen für die Sendung eines Tonträgers nicht insgesamt einen Betrag zahlt, der höher ist als der wirtschaftliche Wert der Nutzung dieses Tonträgers. Anderenfalls würde nämlich die Rundfunkausstrahlung, wie die Kommission bemerkt, nicht unter „vertretbaren Bedingungen“ erfolgen.

73.   Ist es auch Sache der betreffenden Mitgliedstaaten, die auf den konkreten Sachverhalt anwendbare Regelung festzulegen, so müssen sie doch sicherstellen, dass der insgesamt als „angemessene“ Vergütung gezahlte Betrag dem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der Nutzung des Tonträgers in den jeweiligen Staatsgebieten und, soweit von Belang, der Zahl der tatsächlichen und potenziellen Hörer in jedem der Gebiete gebührend Rechnung trägt.

74.   Die Anwendung dieses Kriteriums kann somit auch dazu führen, dass jeder Mitgliedstaat gegebenenfalls nur die Beträge für die Übertragung des Tonträgers im Inland fordern kann. Ich möchte jedoch betonen, dass diese Folge sich nicht automatisch ergibt, sondern eventuell aus der oben angeführten grundsätzlichen Würdigung, denn die Richtlinie geht nicht so weit, Verteilungsmechanismen vorzuschreiben.

75.   Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen schlage ich daher vor, die zweite Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass in einem Fall, in dem auf die Übertragung eines Tonträgers die einschlägigen Rechtsvorschriften zweier Mitgliedstaaten anwendbar sind, die den ausübenden Künstlern und Herstellern des Tonträgers geschuldete Vergütung im Sinne des Artikels 8 Absatz 2 der Richtlinie 92/100 „angemessen“ ist, wenn ihr Gesamtbetrag dem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der Nutzung des Tonträgers in den betreffenden Mitgliedstaaten, insbesondere der Zahl der tatsächlichen und potenziellen Hörer in jedem von ihnen, gebührend Rechnung trägt.

V –     Ergebnis

76.   Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die von der französischen Cour de cassation vorgelegten Fragen wie folgt zu antworten:

1.      Da in den Fällen, in denen ein Teil der Öffentlichkeit die in einem Mitgliedstaat produzierten Rundfunkprogramme mittels eines Signals empfängt, das zunächst an einen Satelliten und dann von diesem zu einem erdgebundenen Sender in einem anderen Mitgliedstaat gesendet wird, der diese Programme auf Langwelle wieder in den erstgenannten Staat ausstrahlt, keine „öffentliche Wiedergabe über Satellit“ im Sinne der Richtlinie 93/83/EWG des Rates vom 27. September 1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung vorliegt, verbietet es das Gemeinschaftsrecht nicht, dass die von der Richtlinie 92/100/EWG des Rates vom 19. November 1992 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums zugunsten der ausübenden Künstler und der Hersteller der genutzten Tonträger vorgesehene einzige angemessene Vergütung für die Tonträger, die von dem Mitgliedstaat aus, in dem sich der erdgebundene Sender befindet, gesendet werden, nach dem Recht dieses Staates festgesetzt wird.

2.      Sind auf die Übertragung eines Tonträgers die einschlägigen Rechtsvorschriften zweier Mitgliedstaaten anwendbar, so ist die den ausübenden Künstlern und Herstellern des Tonträgers geschuldete Vergütung im Sinne des Artikels 8 Absatz 2 der genannten Richtlinie 92/100/EWG des Rates vom 19. November 1992 angemessen, wenn ihr Gesamtbetrag dem tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der Nutzung des Tonträgers in den betreffenden Mitgliedstaaten, insbesondere der Zahl der tatsächlichen und potenziellen Hörer in jedem von ihnen, gebührend Rechnung trägt.


11 – Originalsprache: Italienisch.


2 – ABl. L 346, S. 61.


3 – ABl. L 248, S. 15.


4 –      Nichtamtliche Übersetzung.


5 – Hervorhebung von mir.


6 – Sechste Begründungserwägung.


7 – Dreizehnte Begründungserwägung.


8 – Hervorhebung von mir.


9 – Dies ist z. B. der Fall bei Verfahren, die die Übermittlung des Signals von den Studios an den Satelliten (wie die Verwendung eines Kabels von den Studios bis zur Station, die an den Satelliten sendet) und dessen Empfang durch die Öffentlichkeit zum Zeitpunkt seiner Rückkehr zur Erde ermöglichen (wie die Anbringung einer Parabolantenne und der Anschluss eines Hauses an ein Kabelnetz).


10 – Vgl. Artikel 11bis des Berner Übereinkommens zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst, unterzeichnet zu Bern am 9. September 1886 (zuletzt geändert durch die Pariser Akte vom 24. Juli 1971), wonach „der Gesetzgebung der Verbandsländer [des durch das Übereinkommen errichteten Verbands] vorbehalten [bleibt], die Voraussetzungen für die Ausübung der [fraglichen] Rechte festzulegen; doch beschränkt sich die Wirkung dieser Voraussetzungen ausschließlich auf das Hoheitsgebiet des Landes, das sie festgelegt hat“.


11 – Schlussanträge vom 26. September 2002 zum Urteil vom 6. Februar 2003 in der Rechtssache C-245/00 (Slg. 2003, I-1251).


12 – Vgl. Urteil SENA, Randnr. 23, und entsprechend meine Schlussanträge, Nr. 32.


13 – Schlussanträge in der Rechtssache SENA, Nrn. 34 und 37.


14 – Vgl. Schlussanträge, Nrn. 38 und 40, und Urteil SENA, Randnr. 38.


15 – Urteil SENA, Randnr. 37.


16 – Urteil SENA, Randnr. 46 (Hervorhebung von mir).