Language of document : ECLI:EU:C:2019:726

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 12. September 2019(1)

Rechtssache C513/18

Autoservizi Giordano Società cooperativa

gegen

Agenzia delle Dogane e dei Monopoli – Ufficio di Palermo

(Vorabentscheidungsersuchen der Commissione tributaria provinciale di Palermo [Finanzgericht der Provinz Palermo, Italien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie 2003/96/EG – Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom – Art. 7 Abs. 2 und 3 – Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, einen ermäßigten Verbrauchsteuersatz für gewerbliches Gasöl vorzusehen, das als Kraftstoff verwendet wird – Begriff ‚gewerblich genutztes Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird‘ – Regelmäßige oder gelegentliche Personenbeförderung – Tätigkeit der Vermietung von Bussen mit Fahrer – Unmittelbare Wirkung“






I.      Einleitung

1.        Mit der vorliegenden Vorlage zur Vorabentscheidung wird der Gerichtshof ersucht, Art. 7 der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom auszulegen(2). Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie legt die Mindeststeuerbeträge für Kraftstoffe fest und sieht in seinem Abs. 2 vor, dass die Mitgliedstaaten, vorbehaltlich der Erfüllung bestimmter Voraussetzungen zwischen gewerblich und nicht gewerblich genutztem Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird, unterscheiden dürfen, und definiert zu diesem Zweck in seinem Abs. 3 den Begriff „[g]ewerblich genutztes Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird“.

2.        Der Gerichtshof soll bestimmen, ob die Mitgliedstaaten gemäß dieser Bestimmung nicht nur zwischen nicht gewerblich und gewerblich genutztem Gasöl, sondern auch, was das letztgenannte Gasöl anbelangt, zwischen Gasöl, das für die regelmäßige Personenbeförderung und Gasöl, das für die gelegentliche Personenbeförderung genutzt wird, unterscheiden können.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

3.        Die Erwägungsgründe 3, 5, 9, 11, 15, 20, 24 und 28 der Richtlinie 2003/96 sehen vor:

„(3)      Das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes und die Erreichung der Ziele der anderen Gemeinschaftspolitiken erfordern die Festsetzung von gemeinschaftlichen Mindeststeuerbeträgen für die meisten Energieerzeugnisse einschließlich elektrischen Stroms, Erdgas und Kohle.

(5)      Durch die Festsetzung angemessener gemeinschaftlicher Mindeststeuerbeträge lassen sich die derzeit bestehenden Unterschiede bei den nationalen Steuersätzen möglicherweise verringern.

(9)      Den Mitgliedstaaten sollte die nötige Flexibilität für die Festlegung und die Durchführung von auf den jeweiligen nationalen Kontext abgestimmten politischen Maßnahmen eingeräumt werden.

(11)      Es ist Sache des einzelnen Mitgliedstaats zu entscheiden, durch welche steuerlichen Maßnahmen er diesen gemeinschaftlichen Rahmen zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und von elektrischem Strom umsetzen will. …

(15)      Die Möglichkeit, gestaffelte nationale Steuersätze für ein und dasselbe Erzeugnis anzuwenden, sollte unter bestimmten Umständen oder beständigen Voraussetzungen zulässig sein, sofern die gemeinschaftlichen Mindeststeuerbeträge und die Binnenmarkt- und Wettbewerbsregeln eingehalten werden.

(20)      Die Mitgliedstaaten müssen gegebenenfalls zwischen gewerblich und nichtgewerblich genutztem Dieselkraftstoff differenzieren können. Sie können diese Möglichkeit nutzen, um die Kluft zwischen nichtgewerblich als Kraftstoff besteuertem Gasöl und Benzin zu verringern.

(24)      Den Mitgliedstaaten sollte die Möglichkeit eingeräumt werden, bestimmte weitere Steuerbefreiungen oder ‑ermäßigungen anzuwenden, sofern dies nicht das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigt oder zu Wettbewerbsverzerrungen führt.

(28)      Bestimmte Steuerbefreiungen oder ‑ermäßigungen könnten sich vor allem wegen der unzureichenden Harmonisierung auf Gemeinschaftsebene, wegen der Gefahr einer niedrigeren Wettbewerbsfähigkeit auf internationaler Ebene oder aus sozialen oder umweltpolitischen Erwägungen als erforderlich erweisen.“

4.        Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Steuerbeträge, die die Mitgliedstaaten für Energieerzeugnisse und elektrischen Strom nach Artikel 2 vorschreiben, dürfen die in dieser Richtlinie vorgesehenen Mindeststeuerbeträge nicht unterschreiten.“

5.        Art. 7 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Ab dem 1. Januar 2004 und ab dem 1. Januar 2010 gelten für Kraftstoffe die in Anhang I Tabelle A festgelegten Mindeststeuerbeträge.

Spätestens am 1. Januar 2012 beschließt der Rat einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments auf der Grundlage eines Berichts und eines Vorschlags der [Europäischen] Kommission die Mindeststeuerbeträge für Gasöl für einen weiteren am 1. Januar 2013 beginnenden Zeitraum.

(2)      Die Mitgliedstaaten dürfen zwischen gewerblich und nicht gewerblich genutztem Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird, differenzieren, vorausgesetzt, die gemeinschaftlichen Mindeststeuerbeträge werden eingehalten und der Steuersatz für gewerbliches Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird, wird nicht unter den am 1. Januar 2003 geltenden nationalen Steuerbetrag abgesenkt; dies gilt ungeachtet der in dieser Richtlinie für diese Nutzung festgelegten Ausnahmeregelungen.

(3)      ,Gewerblich genutztes Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird‘, ist Gasöl, das zu folgenden Zwecken als Kraftstoff genutzt wird:

a)      Güterbeförderung für Rechnung anderer oder für eigene Rechnung mit einem Kraftfahrzeug oder Lastzug, die ausschließlich zur Beförderung von Gütern im Kraftverkehr bestimmt sind und ein zulässiges Gesamtgewicht von nicht weniger als 7,5 Tonnen aufweisen;

b)      regelmäßige oder gelegentliche Personenbeförderung mit einem Kraftfahrzeug der Kategorie M2 oder der Kategorie M3 gemäß der Definition in Richtlinie 70/156/EWG des Rates vom 6. Februar 1970 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger [(3)].

(4)      Unbeschadet des Absatzes 2 können die Mitgliedstaaten, die ein System von Straßenbenutzungsabgaben für Kraftfahrzeuge oder Lastzüge einführen, die ausschließlich zur Beförderung von Gütern im Kraftverkehr bestimmt sind, auf das von diesen Fahrzeugen verwendete Gasöl einen ermäßigten Steuersatz anwenden, der unter dem am 1. Januar 2003 geltenden nationalen Steuerbetrag liegt, solange die Gesamtsteuerlast weit gehend gleich bleibt und sofern die gemeinschaftlichen Mindeststeuerbeträge eingehalten werden sowie der am 1. Januar 2003 für – als Kraftstoff verwendetes – Gasöl geltende nationale Steuerbetrag mindestens doppelt so hoch ist wie der am 1. Januar 2004 geltende Mindeststeuerbetrag.“

B.      Italienisches Recht

6.        Art. 6 des Decreto legislativo n. 26 – Attuazione della direttiva 2003/96/CE che ristruttura il quadro comunitario per la tassazione dei prodotti energetici e dell’elettricità (Gesetzvertretendes Dekret Nr. 26 zur Umsetzung der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom)(4) vom 2. Februar 2007 legt den Verbrauchsteuersatz für als Kraftstoff verwendetes Gasöl fest. Art. 24 ter des Decreto legislativo n. 504 – Testo unico delle disposizioni legislative concernenti le imposte sulla produzione e sui consumi e relative sanzioni penali e amministrative (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 504 – Konsolidierte Fassung der Rechtsvorschriften über die Produktions- und Verbrauchsteuern und die entsprechenden strafrechtlichen und verwaltungsrechtlichen Sanktionen)(5) vom 26. Oktober 1995 sieht in der Spalte „Gewerblich genutztes Gasöl“ auch vor:

„(1)      Gewerbliches Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird, unterliegt einer Verbrauchsteuer zu dem für diese Nutzung in Nr. 4 bis der Tabelle A im Anhang dieser konsolidierten Fassung vorgesehenen Steuersatz.

(2)      Als gewerbliches Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird, gilt Gasöl für Fahrzeuge, ausgenommen Fahrzeuge der Euro-Kategorie 2 oder niedriger, die von ihrem Eigentümer oder aus einem sonstigen, die ausschließliche Verfügbarkeit gewährenden Rechtsgrund für folgende Zwecke genutzt werden:

a)      Tätigkeiten der Güterbeförderung mit Fahrzeugen eines Gesamthöchstgewichts von nicht weniger als 7,5 [t], die von folgenden Personen ausgeübt werden:

b)      Personenbeförderung durch:

1.      lokale öffentliche Einrichtungen und öffentliche Unternehmen, welche die im Decreto legislativo n. 422 – Conferimento alle regioni ed agli enti locali di funzioni e compiti in materia di trasporto pubblico locale, a norma dell’articolo 4, comma 4, della legge 15 marzo 1997, n. 59 (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 422 – Übertragung von Funktionen und Aufgaben im Bereich des öffentlichen Nahverkehrs an die Regionen und sonstigen Gebietskörperschaften gemäß Art. 4 Abs. 4 des Gesetzes Nr. 59 vom 15. März 1997(6)) vom 19. November 1997 und in den entsprechenden regionalen Durchführungsvorschriften genannten Beförderungsleistungen erbringen;

2.      Unternehmen, welche die im Decreto legislativo n. 285 – Riordino dei servizi automobilistici interregionali di competenza statale (Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 285 über die Reorganisation der überregionalen Kraftverkehrsdienste, die in die staatliche Zuständigkeit fallen(7)) vom 21. November 2005 genannten und in die staatliche Zuständigkeit fallenden überregionalen Kraftverkehrsdienste erbringen;

3.      Unternehmen, welche die im Gesetzesvertretenden Dekret n. 422 vom 19. November 1997 genannten und in die regionale und lokale Zuständigkeit fallenden Beförderungsdienste erbringen;

4.      Unternehmen, die auf Gemeinschaftsebene Linienverkehrsdienste im Sinne der Verordnung (EG) Nr. 1073/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 [über gemeinsame Regeln für den Zugang zum grenzüberschreitenden Personenkraftverkehrsmarkt und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 561/2006(8)] erbringen.

(3)      Als gewerbliches Gasöl gilt auch Gasöl, das öffentliche Einrichtungen oder Unternehmen, die im Rahmen öffentlicher Dienstleistungen Beförderungen über ein Seilbahnnetz durchführen, zur Personenbeförderung verwenden.

(4)      Die Erstattung der durch die höhere Verbrauchsteuer auf gewerbliches Gasöl entstehenden Belastung wird auf der Grundlage der Differenz zwischen der Verbrauchsteuer auf das als Kraftstoff verwendete Gasöl nach Anhang I und der Verbrauchsteuer nach Abs. 1 des vorliegenden Artikels ermittelt. Die in Abs. 2 und 3 genannten Rechtssubjekte haben zur Erstattung bei dem zuständigen Büro der Agenzia delle Dogane e dei Monopoli [Zoll- und Monopolagentur, Italien] innerhalb eines Monats nach Ende des Quartals, in dem das gewerblich genutzte Gasöl verbraucht wurde, einen entsprechenden Antrag zu stellen.

…“

III. Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

7.        Die Autoservizi Giordano Società cooperativa, die Klägerin des Ausgangsverfahrens, ist ein im Bereich der Personenbeförderung durch Vermietung von Bussen mit Fahrer tätiges Unternehmen.

8.        Sie beantragte bei der Agenzia delle Dogane e dei Monopoli – Ufficio di Palermo (Zoll- und Monopolagentur – Büro Palermo, Italien) die Gewährung eines ermäßigten Verbrauchsteuersatzes auf gewerbliches Gasöl im Sinne von Art. 24 ter des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 504/1995 für das dritte Quartal 2017. Dieser Antrag wurde mit der Klägerin des Ausgangsverfahrens am 1. Dezember 2017 bekannt gegebenem Bescheid mit der Begründung abgelehnt, dass die von ihr ausgeübte Tätigkeit der Vermietung von Bussen mit Fahrer unter keine der in Art. 24 ter des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 504/1995 genannten Kategorien von Beförderungstätigkeiten falle.

9.        Autoservizi Giordano focht diesen Ablehnungsbescheid vor dem vorlegenden Gericht, der Commissione tributaria provinciale di Palermo (Finanzgericht der Provinz Palermo, Italien) an.

10.      Zur Stützung ihrer Klage macht das Unternehmen geltend, dass sich die Gewährung des ermäßigten Steuersatzes aus einer unmittelbaren Anwendung von Art. 7 der Richtlinie 2003/96 ergebe und dass die von Art. 24 ter des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 504/1995 eingeführte Beschränkung, die den Vorteil dieses ermäßigten Steuersatzes nur bestimmten Unternehmen zuerkenne, zu denen die im Bereich der Vermietung von Bussen mit Fahrer tätigen Unternehmen nicht gehörten, als willkürlich und rechtswidrig anzusehen sei.

11.      Die Zoll- und Monopolagentur – Büro Palermo entgegnet, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/96 nicht unmittelbar anwendbar sei, da er den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Gewährung des Vorteils eines ermäßigten Verbrauchsteuersatzes ein Ermessen einräume.

12.      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass Klagen wie jene der Klägerin des Ausgangsverfahrens in Italien zu divergierenden Lösungen geführt hätten. Einige Provinzfinanzgerichte hätten eine Anwendung von Art. 24 ter des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 504/1995 mit der Begründung ausgeschlossen, dass der Anwendungsbereich dieser Bestimmung restriktiver sei als der von Art. 7 der Richtlinie 2003/96, wohingegen ein weiteres Provinzfinanzgericht Art. 24 ter des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 504/1995 angewandt habe, weil es der Auffassung gewesen sei, dass die Möglichkeit, ermäßigte Steuersätze vorzusehen, in das Ermessen des Mitgliedstaats falle.

13.      Außerdem nehme Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2003/96 auf die „regelmäßige oder gelegentliche Personenbeförderung“ Bezug, während Art. 24 ter des Gesetzesvertretenden Dekrets Nr. 504/1995 den Vorteil des ermäßigten Steuersatzes für gewerblich genutztes Gasöl nur bestimmten Unternehmen zuerkenne und damit faktisch jene Unternehmen, die, wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens, im Bereich der privaten Personenbeförderung eine Tätigkeit der Vermietung von Bussen mit Fahrer ausübten, vom Kreis derer ausschließe, die in den Genuss des ermäßigten Steuersatzes auf Gasöl kämen.

14.      So weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass es geklärt wissen wolle, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/96 unmittelbar von Privatpersonen geltend gemacht werden könne, um in den Genuss des Vorteils eines ermäßigten Steuersatzes zu kommen und die Erstattung zu Unrecht gezahlter Verbrauchsteuern zu erreichen. Gegebenenfalls könne das italienische Recht kaum als mit dieser Bestimmung vereinbar angesehen werden.

15.      Unter diesen Umständen hat die Commissione tributaria provinciale di Palermo (Finanzgericht der Provinz Palermo) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 7 der Richtlinie 2003/96 dahin auszulegen, dass in seinen Anwendungsbereich alle öffentlichen oder privaten Unternehmen und Rechtssubjekte fallen, die im Bereich der Personenbeförderung mit Bussen einschließlich der Vermietung von Bussen mit Fahrer tätig sind, und steht diese Bestimmung den innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie entgegen, soweit sie zu den Rechtssubjekten, die Gasöl gewerblich nutzen, nicht auch diejenigen zählt, die Busse mit Fahrern vermieten?

2.      Führt das den Mitgliedstaaten eingeräumte Ermessen, von dem in Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/96 die Rede ist, dazu, dass die Bestimmung, wonach auch das für die „gelegentliche Personenbeförderung“ bestimmte Gasöl, das gewerblich genutzt wird, nicht unmittelbar wirksam und unbedingt ist?

3.      Ist Art. 7 der Richtlinie 2003/96 inhaltlich sowohl hinreichend genau als auch unbedingt, so dass sich der Einzelne vor den Behörden des betreffenden Mitgliedstaats unmittelbar darauf berufen kann?

IV.    Würdigung

A.      Zur ersten Vorlagefrage

16.      Mit seiner ersten Vorlagefrage ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof um Auslegung von Art. 7 der Richtlinie 2003/96, um festzustellen, ob zum einen diese Bestimmung für alle privaten oder öffentlichen Unternehmen und Einzelpersonen gilt, die im Bereich der Beförderung von Personen tätig sind, und ob zum anderen diese Bestimmung einer nationalen Vorschrift entgegensteht, nach der Gasöl, das zu Zwecken der vorübergehenden Beförderung von Personen genutzt wird, nicht unter den Begriff „gewerblich genutztes Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird“ fällt.

17.      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/96 die Mitgliedstaaten ermächtigt, im Bereich der Verbrauchsteuersätze eine Unterscheidung zwischen der gewerblichen und nicht gewerblichen Nutzung von Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird, vorzusehen, wobei den Mitgliedstaaten, die diese Unterscheidung einführen, aufgegeben wird, zum einen nicht von den in dieser Richtlinie vorgesehenen Mindeststeuerbeträgen abzuweichen und zum anderen für gewerbliches Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird, keinen Steuersatz festzulegen, der unter dem am 1. Januar 2003 geltenden nationalen Steuerbetrag liegt.

18.      In Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2003/96 hat der Unionsgesetzgeber eine Definition von „[g]ewerblich genutzte[m] Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird“ gegeben, die sich auf die Zwecke stützt, zu denen das Gasöl genutzt wird. Demnach ist gewerblich genutztes Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird, Gasöl, das zur Güterbeförderung für Rechnung anderer oder für eigene Rechnung mit bestimmten Fahrzeugen genutzt wird, sowie Gasöl, das für die regelmäßige oder gelegentliche Personenbeförderung mit bestimmten Fahrzeugen verwendet wird.

19.      Somit wird der Gerichtshof zum einen ersucht, den Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/96 zu bestimmen, um festzustellen, ob diese Vorschrift auf ein Unternehmen wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, nämlich ein privates Unternehmen, das im Bereich der Personenbeförderung mit Bussen durch die Dienstleistung der Vermietung von Bussen mit Fahrer tätig ist, anwendbar ist(9).

20.      Zum anderen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die den Mitgliedstaaten nach Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/96 eingeräumte Möglichkeit, die es ihnen erlaubt, zwischen gewerblich genutztem Gasöl und privat genutztem Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird, zu unterscheiden, es ihnen auch ermöglicht, im Bereich der Personenbeförderung einen ermäßigten Verbrauchsteuersatz für Gasöl, das im Rahmen der regelmäßigen Personenbeförderung genutzt wird, zu gewähren, ohne jedoch denselben ermäßigten Steuersatz für Gasöl zu gewähren, das für die gelegentliche Personenbeförderung verwendet wird(10).

21.      Zum Ersten hat, wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat, der Unionsgesetzgeber im Hinblick auf den Anwendungsbereich von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/96 bei der Definition des Begriffs „gewerblich genutztes Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird“ nicht auf die öffentliche oder private Natur der Gasöl nutzenden Einrichtungen Bezug genommen, sondern auf die Zwecke, für die Gasöl verwendet wird, nämlich die Beförderung von Gütern und Personen mittels bestimmter Fahrzeuge.

22.      Folglich kann Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/96 meines Erachtens im Bereich der Personenbeförderung sowohl auf öffentliche als auch auf – wie im Fall der Klägerin des Ausgangsverfahrens – private Einrichtungen Anwendung finden, wobei dies jedoch nur dann gilt, wenn Gasöl gemäß Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie im Rahmen einer Tätigkeit der Güter- oder Personenbeförderung verwendet wird.

23.      Zum Zweiten bin ich hinsichtlich der Möglichkeit der Mitgliedstaaten, im Bereich der Personenbeförderung einen ermäßigten Verbrauchsteuersatz für Gasöl, das im Rahmen der regelmäßigen Personenbeförderung genutzt wird, zu gewähren, ohne jedoch denselben ermäßigten Steuersatz für Gasöl vorzusehen, das für die gelegentliche Personenbeförderung verwendet wird, in Anbetracht von Wortlaut, Zusammenhang und den Zeilen von Art. 7 der Richtlinie 2003/96 der Ansicht(11), dass sich eine derartige Möglichkeit aus dieser Bestimmung ableiten lässt.

24.      So enthält der Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2003/96 jedenfalls insofern entsprechende Hinweise, als der Unionsgesetzgeber bei der Definition der Personenbeförderung die verbindende Konjunktion „oder“ gewählt hat(12), die grundsätzlich auf das Vorliegen einer Alternative hindeutet(13).

25.      Folglich scheint der Wortlaut dieser Bestimmung im Hinblick auf die Personenbeförderung auf den ersten Blick darauf hinzudeuten, dass gewerblich genutztes Gasöl, auf das ein ermäßigter Verbrauchsteuersatz angewendet wird, zu Zwecken sowohl der regelmäßigen als auch der gelegentlichen Personenbeförderung verwendet werden kann und dass die Mitgliedstaaten daher insoweit über einen Ermessensspielraum verfügen.

26.      Gleichwohl stimme ich der Kommission darin zu, dass der Wortlaut von Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2003/96 nicht frei von Mehrdeutigkeit ist, soweit die Konjunktion „oder“ auch zum Ausdruck bringen kann, dass es sich nicht um eine Alternative, sondern um eine Hinzufügung oder eine Häufung handelt.

27.      Da diese Konjunktion aus linguistischer Sicht sowohl eine alternative als auch eine kumulative Bedeutung haben kann, muss sie folglich in dem Kontext, in sie verwendet wird, und im Licht der Ziele des in Rede stehenden Rechtsakts gesehen werden(14).

28.      Aus dem systematischen Zusammenhang und aus den Zielen der Richtlinie 2003/96 ergibt sich meines Erachtens unbestritten, dass sich die Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie dafür entscheiden können, den ermäßigten Verbrauchsteuersatz nur für Gasöl zu gewähren, das für die regelmäßige Personenbeförderung verwendet wird.

29.      Insoweit ist es nicht abwegig, zunächst darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Richtlinie 2003/96 beabsichtigte, bei den Vorschriften über die Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom eine Harmonisierung einzuführen, die nicht erschöpfend ist, sondern eine Mindestharmonisierung(15) darstellt. Konkret legt die Richtlinie 2003/96 zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen oder protektionistischen oder diskriminierenden innerstaatlichen Abgaben(16) Mindeststeuerbeträge fest, wobei sie aber den Mitgliedstaaten die Freiheit einräumt, höhere Steuersätze vorzusehen.

30.      In diesem Zusammenhang ist ferner darauf hinzuweisen, dass mehreren Bestimmungen dieser Richtlinie im Hinblick auf die Bemessung des Ermessensspielraums, über den die Mitgliedstaaten verfügen, besondere Bedeutung zukommt.

31.      So sehen neben Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/96 deren Art. 5, 14, 15, 16, 17 und 19 vor, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, gestaffelte Steuersätze, Befreiungen oder Ermäßigungen bei den Verbrauchsteuern einzuführen(17).

32.      Betrachtet man diese Bestimmungen im Licht der Erwägungsgründe 10, 15, 24 und 28 der Richtlinie 2003/96(18), zeigt sich, dass der Unionsgesetzgeber nicht unberücksichtigt gelassen hat, dass die Verbrauchsteuern für die Mitgliedstaaten als Anreiz zur Einleitung und zur Finanzierung von bestimmten öffentlichen Politiken sehr große Bedeutung haben.

33.      Deshalb folgt nach meiner Auffassung aus dem systematischen Zusammenhang der Richtlinie 2003/96, dass diese, um nationalen Erwägungen und Besonderheiten gerecht zu werden, den Mitgliedstaaten einen sehr großen Handlungsspielraum einräumt.

34.      Für diese Analyse spricht im Übrigen auch die Auslegung von Art. 17 der Richtlinie 2003/96.

35.      Gemäß dieser Vorschrift können die Mitgliedstaaten Steuerermäßigungen für den Verbrauch von elektrischem Strom insbesondere zugunsten von energieintensiven Betrieben anwenden, sofern die in dieser Richtlinie vorgeschriebenen Mindeststeuerbeträge im Durchschnitt für alle Betriebe eingehalten werden.

36.      Zur Frage, ob Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/96 einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, die Steuerermäßigungen für den Stromverbrauch zugunsten lediglich derjenigen energieintensiven Betriebe vorsieht, die dem verarbeitenden Gewerbe angehören, hat der Gerichtshof mit Verweis auf den Wortlaut dieser Bestimmung und die Ziele dieser Richtlinie festgestellt, dass dies nicht der Fall sei(19).

37.      Wenn also nach der Feststellung des Gerichtshofs den Mitgliedstaaten eine „selektive Anwendung“(20) der Möglichkeit, energieintensiven Betrieben Steuerermäßigungen zu gewähren, offensteht, kann ich nicht erkennen, aus welchem Grund für den ermäßigten Verbrauchsteuersatz im Sinne von Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/96 etwas anderes gelten sollte.

38.      Wie Art. 17 der Richtlinie 2003/96 eröffnet deren Art. 7 den Mitgliedstaaten nämlich die Möglichkeit, einen ermäßigten Verbrauchsteuersatz zugunsten bestimmter Tätigkeiten anzuwenden, verpflichtet sie aber nicht dazu.

39.      Hinsichtlich der Ziele der Richtlinie 2003/96 hatte der Gerichtshof im Übrigen bereits Gelegenheit, darauf hinzuweisen, dass diese Richtlinie ausweislich ihrer Erwägungsgründe 9 und 11 darauf abzielt, den Mitgliedstaaten einen gewissen Spielraum für die Festlegung und die Durchführung von auf den jeweiligen nationalen Kontext abgestimmten politischen Maßnahmen einzuräumen und dass es Sache des einzelnen Mitgliedstaats ist, zu entscheiden, durch welche Maßnahmen er diese Richtlinie umsetzen will(21).

40.      Zudem hat der Gerichtshof ausgeführt, dass die Richtlinie 2003/96, indem sie ein harmonisiertes System der Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom vorsieht, ausweislich ihrer Erwägungsgründe 2 bis 5 und 24 das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts im Energiesektor insbesondere durch Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen fördern soll(22).

41.      Soweit der Unionsgesetzgeber in Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/96 ausdrücklich verlangt hat, dass die Mindeststeuersätze eingehalten werden, verstößt es nicht gegen dieses Ziel, wenn den Mitgliedstaaten zugestanden wird, für Gasöl, das für die regelmäßige Personenbeförderung verwendet wird, einen ermäßigten Verbrauchsteuersatz zu gewähren, ohne Gasöl, das für die gelegentliche Personenbeförderung genutzt wird, gleichzubehandeln, und ihnen zugleich ermöglicht wird, an ihre nationalen Besonderheiten angepasste Politiken insbesondere im Bereich der Beförderung und der Verkehrsanbindung zu verfolgen.

42.      Somit spricht eine Prüfung der Ziele der Richtlinie 2003/96 für die Auslegung, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen der sich aus Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie ergebenden Möglichkeit die regelmäßige und die gelegentliche Personenbeförderung dadurch unterschiedlich behandeln können, dass nur für die regelmäßige Personenbeförderung genutztes Gasöl ein ermäßigter Verbrauchsteuersatz gilt.

43.      Schließlich stehen auch Sinn und Zweck von Art. 7 der Richtlinie 2003/96 einer solchen Auslegung seiner Abs. 2 und 3 nicht entgegen.

44.      Diese Bestimmung scheint vom Gesetzgeber nämlich eingeführt worden zu sein(23), um es den Mitgliedstaaten zu ermöglichen, bei den Verbrauchsteuern zwischen gewerblich und nicht gewerblich genutztem Gasöl zu unterscheiden sowie die Kluft der Besteuerung zwischen nicht gewerblich als Kraftstoff genutztem Gasöl und Benzin zu verringern(24).

45.      Aus alledem folgere ich, dass Art. 7 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2003/96 dahin auszulegen ist, dass er es den Mitgliedstaaten ermöglicht, im Bereich der Personenbeförderung einen ermäßigten Verbrauchsteuersatz für Gasöl vorzusehen, das für die regelmäßige Personenbeförderung genutzt wird, ohne jedoch denselben ermäßigten Steuersatz für Gasöl zu gewähren, das für die gelegentliche Personenbeförderung verwendet wird.

46.      Von dieser Möglichkeit darf allerdings nicht willkürlich und nach meiner Überzeugung nur unter Beachtung der Grundsätze des Unionsrechts(25), insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung(26), Gebrauch gemacht werden.

47.      Dies ist bei den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden italienischen Rechtsvorschriften in meinen Augen der Fall, da entgegen der Ansicht der Kommission die regelmäßige und die gelegentliche Personenbeförderung meines Erachtens unterschiedliche Merkmale aufweisen und jeweils besonderen Bedürfnissen Rechnung tragen, so dass ein Mitgliedstaat den Vorteil des ermäßigten Verbrauchsteuersatzes ausschließlich Gasöl vorbehalten kann, das für die regelmäßige Personenbeförderung verwendet wird.

48.      Denn während ein regelmäßiger Personenbeförderungsdienst definitionsgemäß eine Beförderung mit einer bestimmten Häufigkeit auf einer vorgegebenen Strecke vornimmt, erfolgt ein gelegentlicher Beförderungsdienst, wenn ein spezifischer Bedarf besteht, der durch die Beförderung gedeckt werden muss(27).

49.      Im Übrigen ist die regelmäßige Personenbeförderung Teil der Verkehrspolitik, da sie z. B. dazu beiträgt, Verkehrsverbindungen zu gewährleisten.

50.      Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage meines Erachtens zu antworten, dass Art. 7 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2003/96 dahin auszulegen ist, dass er zum einen hinsichtlich der Personenbeförderung sowohl auf öffentliche als auch auf private Einrichtungen Anwendung findet, vorausgesetzt allerdings, dass diese Einrichtungen eine Tätigkeit der Personenbeförderung im Sinne von Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie ausüben, und dass zum anderen die den Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie gewährte Möglichkeit es einem Mitgliedstaat erlaubt, einen ermäßigten Verbrauchsteuersatz für Gasöl einzuführen, das für die regelmäßige Personenbeförderung genutzt wird, ohne jedoch Gasöl, das für die gelegentliche Personenbeförderung verwendet wird, gleichzubehandeln.

B.      Zur zweiten und zur dritten Vorlagefrage

51.      Mit seinen Vorlagefragen 2 und 3, die, wie ich vorschlage, zusammen geprüft werden sollten, befragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/96 unmittelbare Wirkung entfaltet. Im Licht der Antwort, die nach meiner Auffassung auf die erste Vorlagefrage gegeben werden sollte, halte ich es nicht für erforderlich, sich zur unmittelbaren Wirkung dieser Bestimmung zu äußern(28). Deshalb erfolgen die nachstehenden Erwägungen nur hilfsweise und vorsorglich für den Fall, dass der Gerichtshof die erste Vorlagefrage anders beantworten sollte.

52.      Einleitend weise ich darauf hin, dass, wenn ein Mitgliedstaat beschließt, von der in Art. 7 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2003/96 vorgesehenen Möglichkeit keinen Gebrauch zu machen, dieser Bestimmung keine unmittelbare Wirkung zukommt.

53.      Für den Fall, dass ein Mitgliedstaat von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht und Art. 7 der Richtlinie 2003/96 fehlerhaft umgesetzt hat, weise ich darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung zum einen eine Bestimmung hinreichend genau ist, um von einem Einzelnen geltend gemacht und vom Gericht angewandt werden zu können, wenn sie in unzweideutigen Worten eine Verpflichtung festlegt, und zum anderen eine Bestimmung unbedingt ist, wenn sie eine Verpflichtung normiert, die an keine Bedingung geknüpft ist und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiteren Maßnahmen der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf(29).

54.      In Bezug auf die erste dieser Voraussetzungen ist festzustellen, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/96 den Mitgliedstaaten zweifelsfrei die Möglichkeit eröffnet, eine ermäßigte Verbrauchsteuer nur für Gasöl einzuführen, das zur regelmäßigen Personenbeförderung verwendet wird, wobei die Bestimmung dabei eindeutig verlangt, dass die Mindeststeuerbeträge eingehalten werden, dass der Steuersatz für gewerbliches Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird, nicht unter den am 1. Januar 2003 geltenden nationalen Steuerbetrag abgesenkt wird und dass die Beförderung mittels bestimmter Kategorien von Fahrzeugen durchgeführt wird.

55.      Was die zweite Voraussetzung anbelangt, hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Umstand, dass eine Richtlinienbestimmung den Mitgliedstaaten eine Wahlmöglichkeit eröffnet, nicht zwangsläufig ausschließt, dass sich der Inhalt der Rechte des Einzelnen bereits aufgrund der Richtlinie mit hinreichender Genauigkeit bestimmen lässt(30).

56.      Im vorliegenden Fall räumt Art. 7 der Richtlinie 2003/96 den Mitgliedstaaten zwar die Möglichkeit ein, einen ermäßigten Verbrauchsteuersatz vorzusehen und nur Gasöl, das für bestimmte Zwecke genutzt wird, in den Genuss dieses Steuersatzes kommen zu lassen, so dass über die Unbedingtheit dieser Bestimmung diskutiert werden könnte.

57.      Soweit der italienische Gesetzgeber von dieser Möglichkeit und dem durch diese Bestimmung zuerkannten Ermessensspielraum Gebrauch gemacht hat, beeinträchtigt ein solcher Ermessensspielraum jedoch nicht den genauen und unbedingten Charakter der Verpflichtung, diese Möglichkeit in willkürfreier Weise umzusetzen und die vom Gesetzgeber aufgestellten Voraussetzungen zu erfüllen.

58.      Vor diesem Hintergrund schlage ich vor, auf die Vorlagefragen 2 und 3 zu antworten, dass dann, wenn nationale Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden gegen Art. 7 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2003/96 verstoßen, diese Vorschrift mit unmittelbarer Wirkung ausgestattet ist, so dass sie unmittelbar geltend gemacht werden könnte, um in den Genuss des ermäßigten Verbrauchsteuersatzes auf gewerbliches Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird, zu gelangen.

V.      Ergebnis

59.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen der Commissione tributaria provinciale di Palermo (Finanzgericht der Provinz Palermo, Italien) zu antworten:

1.      Art. 7 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2003/96/EG des Rates vom 27. Oktober 2003 zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom ist dahin auszulegen, dass er zum einen hinsichtlich der Personenbeförderung sowohl auf öffentliche als auch auf private Einrichtungen Anwendung findet, vorausgesetzt allerdings, dass diese Einrichtungen eine Tätigkeit der Personenbeförderung im Sinne von Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie ausüben, und dass zum anderen die den Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 Abs. 2 dieser Richtlinie gewährte Möglichkeit es einem Mitgliedstaat erlaubt, einen ermäßigten Verbrauchsteuersatz für Gasöl einzuführen, das für die regelmäßige Personenbeförderung genutzt wird, ohne jedoch Gasöl, das für die gelegentliche Personenbeförderung verwendet wird, gleichzubehandeln.

2.      Verstoßen nationale Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden gegen Art. 7 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2003/96, ist diese Vorschrift mit unmittelbarer Wirkung ausgestattet, so dass sie unmittelbar geltend gemacht werden könnte, um in den Genuss des ermäßigten Verbrauchsteuersatzes auf gewerbliches Gasöl, das als Kraftstoff verwendet wird, zu gelangen.


1      Originalsprache: Französisch.


2      ABl. 2003, L 283, S. 51.


3      ABl. 1970, L 42, S. 1. Die Richtlinie 70/156 wurde durch die Richtlinie 2007/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Schaffung eines Rahmens für die Genehmigung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern sowie von Systemen, Bauteilen und selbstständigen technischen Einheiten für diese Fahrzeuge (Rahmenrichtlinie) (ABl. 2007, L 263, S. 1) aufgehoben. Die Definition der Fahrzeugklassen M2 oder M3 durch die Richtlinie 2007/46 ist mit jener der Richtlinie 70/156 identisch. Es handelt sich um Fahrzeuge mit mehr als acht Sitzplätzen zuzüglich des Fahrersitzes und mit einer Gesamtmasse von höchstens 5 Tonnen (Klasse M2) oder mit einer Gesamtmasse von mehr als 5 Tonnen (Klasse M3).


4      GURI Nr. 68 vom 23. März 2007, S. 5.


5      GURI Nr. 279 vom 29. November 1995, S. 5, im Folgenden: Gesetzesvertretendes Dekret Nr. 504/1995. Diese Bestimmung wurde durch Art. 4 ter Abs. 1 Buchst. f des Decreto-legge n. 193– Disposizioni urgenti in materia fiscale e per il finanziamento di esigenze indifferibili (Gesetzesdekret Nr. 193 mit Dringlichkeitsbestimmungen im Steuerbereich und zur Finanzierung unmittelbaren Bedarfs) vom 22. Oktober 2016 (GURI Nr. 249 vom 24. Oktober 2016, S. 1) eingeführt, in Kraft seit dem 3. Dezember 2016, umgewandelt mit Änderungen durch die Legge n. 225 – Disposizioni urgenti in materia fiscale e per il finanziamento di esigenze indifferibili (Gesetz Nr. 225 über die Umwandlung des Gesetzesdekrets Nr. 193 mit Änderungen in ein Gesetz mit Dringlichkeitsbestimmungen im Steuerbereich und zur Finanzierung unmittelbaren Bedarfs) vom 1. Dezember 2016 (GURI Nr. 282 vom 2. Dezember 2016, S. 1).


6      GURI Nr. 287 vom 10. Dezember 1997, S. 4.


7      GURI Nr. 6 vom 9. Januar 2006, S. 12.


8      ABl. 2009, L 300, S. 88.


9      Aus den dem Gerichtshof vorgelegten Akten geht hervor, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens ein privates Unternehmen ist.


10      Wie sich aus den Erklärungen der italienischen Regierung ergibt, führt die Umsetzung von Art. 7 der Richtlinie 2003/96 in italienisches Recht konkret dazu, dass der in diesem Art. 7 vorgesehene ermäßigte Verbrauchsteuersatz auf die „regelmäßige“ Personenbeförderung, die aus in die staatliche, regionale und lokale Zuständigkeit fallenden Linienbeförderungsdiensten besteht, angewandt und folglich Unternehmern, die „gelegentliche“ Beförderungsdienste ausführen – eine Kategorie, die die Personenbeförderung mittels Vermietungsdiensten von Bussen mit Fahrer beinhaltet –, verweigert wird.


11      Ich weise darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Bestimmung der Tragweite einer unionsrechtlichen Bestimmung sowohl ihr Wortlaut als auch ihr Zusammenhang und ihre Ziele zu berücksichtigen sind (vgl. Urteil vom 3. April 2014, Kronos Titan und Rhein-Ruhr Beschichtungs-Service, C‑43/13 und C‑44/13, EU:C:2014:216, Rn. 25 sowie die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. auch hinsichtlich der Bestimmungen über die Befreiungen im Sinne der Richtlinie 2003/96 Urteil vom 7. März 2018, Cristal Union, C‑31/17, EU:C:2018:168, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).


12      In der spanischen Fassung der Richtlinie 2003/96 hat der Unionsgesetzgeber die Konjunktion „u“ gewählt, in der deutschen Fassung „oder“ verwendet, in der englischen Fassung „whether“, in der italienischen Fassung die verbindende Konjunktion „o“ und in der polnischen Fassung das Wort „lub“.


13      Vgl. Le Nouveau Petit Robert – Dictionnaire alphabétique et analogique de la langue française, Dictionnaires Le Robert, Paris, 1996, S. 1555. Vgl. namentlich in der Rechtsprechung Urteil vom 6. Oktober 2009, GlaxoSmithKline Services u. a./Kommission u. a. (C‑501/06 P, C‑513/06 P, C‑515/06 P und C‑519/06 P, EU:C:2009:610, Rn. 55).


14      Vgl. Urteile vom 12. Juli 2005, Kommission/Frankreich (C‑304/02, EU:C:2005:444, Rn. 83), und vom 14. Mai 2019, M u. a. (Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft) (C‑391/16, C‑77/17 und C‑78/17, EU:C:2019:403, Rn. 102).


15      Vgl. Erwägungsgründe 2 bis 4 sowie Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2003/96. Vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache X (C‑426/12, EU:C:2014:446, Nr. 55).


16      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. März 2007, Jan De Nul (C‑391/05, EU:C:2007:126, Rn. 18 bis 23).


17      Die Mehrzahl dieser Möglichkeiten sind, mit der auf der Hand liegenden Ausnahme der Befreiungen, an die Verpflichtung geknüpft, die von der Richtlinie 2003/96 vorgesehenen Mindeststeuersätze zu beachten (vgl. die Art. 5, 7 und 17 dieser Richtlinie).


18      Hierzu weise ich darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/96 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass „[d]en Mitgliedstaaten … die nötige Flexibilität für die Festlegung und die Durchführung von auf den jeweiligen nationalen Kontext abgestimmten politischen Maßnahmen eingeräumt werde [sollte]“.


19      Vgl. Urteil vom 18. Januar 2017, IRCCS – Fondazione Santa Lucia (C‑189/15, EU:C:2017:17, Rn. 25 bis 52).


20      Der Ausdruck „selektive Anwendung“ wird vom Gerichtshof im Bereich der Mehrwertsteuer verwendet und bezeichnet die den Mitgliedstaaten eingeräumte Möglichkeit, einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz auf konkrete und spezifische Aspekte einer Kategorie von Leistungen anzuwenden, für die sie die Möglichkeit der Anwendung eines solchen Satzes haben (vgl. insoweit meine Schlussanträge in der Rechtssache Regards Photographiques, C‑145/18, EU:C:2019:184, Nr. 30). Obwohl diese Analogie notwendigerweise lückenhaft ist, liegt meines Erachtens zwischen den Verbrauchsteuern und der Mehrwertsteuer ein analoger Schluss insofern nahe, als der Gerichtshof den Mitgliedstaaten die Möglichkeit einräumt, den Vorteil des ermäßigten Verbrauchsteuersatzes, den sie vorsehen können, bestimmten Unternehmen oder Tätigkeiten vorzubehalten.


21      Vgl. Urteil vom 18. Januar 2017, IRCCS – Fondazione Santa Lucia (C‑189/15, EU:C:2017:17, Rn. 50).


22      Vgl. Urteile vom 7. März 2018, Cristal Union (C‑31/17, EU:C:2018:168, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie vom 27. Juni 2018, Turbogás (C‑90/17, EU:C:2018:498, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).


23      Diese Bestimmung war im ursprünglichen Vorschlag der Kommission nicht vorgesehen, sondern wurde im Gesetzgebungsverfahren eingefügt: vgl. Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen (KOM[97] 30 endg.).


24      Wie aus dem 20. Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/96 und der Pressemitteilung der Kommission vom 27. Oktober 2003 im Anschluss an den Erlass der Richtlinie 2003/96 hervorgeht (Dokument IP/03/1456, abrufbar unter der der folgenden Internetadresse: http://europa.eu/rapid/press-release_IP-03-1456_de.htm).


25      Und auch der Vorschriften über die von den Staaten gemäß Art. 26 der Richtlinie 2003/96 gewährten Beihilfen (vgl. Urteil vom 18. Januar 2017, IRCCS – Fondazione Santa Lucia, C‑189/15, EU:C:2017:17, Rn. 51).


26      Vgl. entsprechend Urteil vom 9. November 2017, AZ (C‑499/16, EU:C:2017:846, Rn. 29 und 30).


27      Zwar definiert die Richtlinie 2003/96 weder die regelmäßige noch die gelegentliche Beförderung, doch werden gemäß Art. 2 Abs. 2 und 4 der Verordnung Nr. 1073/2009 mit „Linienverkehr“ Dienste bezeichnet, die die regelmäßige Beförderung von Fahrgästen mit einer bestimmten Häufigkeit auf einer bestimmten Verkehrsstrecke durchführen, wobei die Fahrgäste an vorher festgelegten Haltestellen aufgenommen oder abgesetzt werden können, und es sich bei „Gelegenheitsverkehr“ um einen Verkehrsdienst handelt, der nicht der Begriffsbestimmung des Linienverkehrs, einschließlich der Sonderformen des Linienverkehrs, entspricht und dessen Hauptmerkmal die Beförderung vorab gebildeter Fahrgastgruppen auf Initiative eines Auftraggebers oder des Verkehrsunternehmers selbst ist.


28      Mit diesen Fragen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 7 der Richtlinie 2003/96 unmittelbare Wirkung in dem Sinne entfaltet, dass ein Unternehmer, der, wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens, gewerblich genutztes Gasöl für die gelegentliche Personenbeförderung verwendet, in Anwendung dieser Bestimmung die Erstattung von zu Unrecht gezahlter Verbrauchsteuer erlangen kann. Zwar können sich Einzelne dann, wenn die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat (vgl. u. a. Urteil vom 17. Juli 2008, Flughafen Köln/Bonn, C‑226/07, EU:C:2008:429, Rn. 23, und Beschluss vom 5. Februar 2015, Jednostka Innowacyjno-Wdrożeniowa Petrol, C‑275/14, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:75, Rn. 33 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), doch stellt sich die Frage nach der Möglichkeit, sich auf diese Rechtsnorm zu berufen, hier nicht, da aus der von mir vorgeschlagenen Antwort auf die erste Vorlagefrage eindeutig hervorgeht, dass die Italienische Republik Art. 7 der Richtlinie 2003/96 nicht unzulänglich umgesetzt hat.


29      Vgl. Beschluss vom 5. Februar 2015, Jednostka Innowacyjno-Wdrożeniowa Petrol (C‑275/14, nicht veröffentlicht, EU:C:2015:75, Rn. 34 und 36).


30      Vgl. Urteil vom 17. Juli 2008, Flughafen Köln/Bonn (C‑226/07, EU:C:2008:429, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).