Language of document : ECLI:EU:T:2023:723

URTEIL DES GERICHTS (Neunte Kammer)

15. November 2023(*)

„Staatliche Beihilfen – Staatliche Maßnahme zur Verlängerung von Glücksspiellizenzen, die durch die Niederlande gewährt wurden – Beschluss, mit dem das Nichtvorliegen einer staatlichen Beihilfe festgestellt wird – Nichteröffnung des förmlichen Prüfverfahrens – Ernsthafte Schwierigkeiten – Verfahrensrechte der Beteiligten“

In der Rechtssache T‑167/21,

European Gaming and Betting Association mit Sitz in Etterbeek (Belgien), vertreten durch Rechtsanwälte T. De Meese und K. Bourgeois sowie Rechtsanwältin M. Van Nieuwenborgh,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch B. Stromsky und J. Carpi Badía als Bevollmächtigte,

Beklagte,

unterstützt durch

Königreich der Niederlande, vertreten durch M. Bulterman, J. Langer und C. Schillemans als Bevollmächtigte,

Streithelferin,

erlässt

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten L. Truchot sowie des Richters H. Kanninen und der Richterin T. Perišin (Berichterstatterin),

Kanzler: A. Marghelis, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

auf die mündliche Verhandlung vom 1. März 2023

folgendes

Urteil

1        Mit ihrer Klage nach Art. 263 AEUV beantragt die Klägerin, die European Gaming and Betting Association, die Nichtigerklärung des Beschlusses C(2020) 8965 final der Kommission vom 18. Dezember 2020 in der Sache SA.44830 (2016/FC) – Niederlande – Verlängerung von Glücksspiellizenzen in den Niederlanden (im Folgenden: angefochtener Beschluss), auf den im Amtsblatt der Europäischen Union vom 15. Januar 2021 (ABl. 2021, C 17, S. 1) Bezug genommen wird.

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Die niederländische Regelung über Glücksspiele beruht auf einem System ausschließlicher Erlaubnisse bzw. Lizenzen, nach dem es verboten ist, Glücksspiele zu veranstalten oder zu fördern, es sei denn, dass eine entsprechende behördliche Erlaubnis erteilt worden ist.

3        Die Klägerin ist eine gemeinnützige Vereinigung, deren Mitglieder europäische Veranstalter von Online-Spielen und Online-Wetten sind. Am 8. März 2016 reichte sie bei der Europäischen Kommission eine Beschwerde nach Art. 24 der Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates vom 13. Juli 2015 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 108 [AEUV] (ABl. 2015, L 248, S. 9) ein, in der sie geltend machte, dass eine von den Niederlanden mehreren Betreibern von Lotterien und anderen Wett- und Glücksspieltätigkeiten in diesem Mitgliedstaat gewährte Beihilfe rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar sei.

4        Die Beschwerde richtete sich zum einen gegen eine vom niederländischen Staatssekretär für Sicherheit und Justiz am 7. Oktober 2014 erlassene politische Leitlinie über die Verlängerung der Lizenzen für Sportwetten, Pferdewetten, Lotterien und Casinos bis zum 1. Januar 2017 und zum anderen gegen die in Anwendung dieser Leitlinie ergangenen Entscheidungen der Nederlandse Kansspelautoriteit (niederländische Glücksspielbehörde, Niederlande) vom 25. November 2014, mit denen sechs auslaufende Lizenzen für karitative Lotterien, Wetten auf Sportereignisse, Sofortlotterie, Lotto und Pferdewetten verlängert wurden (im Folgenden zusammen: beanstandete Maßnahme).

5        In ihrer Beschwerde machte die Klägerin im Wesentlichen geltend, dass die niederländischen Behörden den Betreibern, die Inhaber dieser Lizenzen seien, in Anwendung der beanstandeten Maßnahme eine staatliche Beihilfe gewährt hätten. Die Beihilfe sei in Form einer Verlängerung der bestehenden Exklusivlizenzen gewährt worden, ohne dass die niederländischen Behörden die Zahlung einer marktüblichen Vergütung verlangt und ohne dass sie ein offenes, transparentes und diskriminierungsfreies Vergabeverfahren durchgeführt hätten.

6        Am 30. März 2016 übermittelte die Kommission den niederländischen Behörden eine nicht vertrauliche Fassung der Beschwerde, worauf diese mit Schreiben vom 22. Juli 2016 antworteten. In der Folge richtete die Kommission mit Schreiben vom 16. August 2016 ein Auskunftsersuchen an die niederländischen Behörden, das diese mit Schreiben vom 11. Oktober 2016 beantworteten.

7        Die Klägerin reichte bei der Kommission am 4. Mai, 28. Juni und 17. November 2016 ergänzende Stellungnahmen ein.

8        Am 30. Mai 2017 unterrichtete die Kommission die Klägerin über das Ergebnis ihrer vorläufigen Beurteilung. Sie war der Ansicht, dass die Verlängerung der bestehenden Exklusivlizenzen keine Übertragung staatlicher Mittel darstelle. Daher handele es sich bei der beanstandeten Maßnahme nicht um eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV. Es wurde jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich hierbei nicht um einen endgültigen Standpunkt der Kommission selbst handelte, sondern lediglich um eine erste Stellungnahme der Dienststellen der Generaldirektion Wettbewerb auf der Grundlage der verfügbaren Informationen und in Erwartung weiterer ergänzender Stellungnahmen, die die Klägerin möglicherweise vorlegen wolle.

9        Die Klägerin antwortete mit Schreiben vom 30. Juni 2017, in dem sie der Beurteilung der Kommission entgegentrat und ergänzende Informationen vorlegte.

10      Am 1. September 2017 richtete die Kommission ein Ersuchen um ergänzende Auskünfte an die niederländischen Behörden, die am 7. Dezember 2017 übermittelt wurden.

11      Am 9. November 2018 ersuchte die Kommission die niederländischen Behörden um Auskünfte über die laufende Reform des Glücksspielrechts in den Niederlanden.

12      Am 19. Februar 2019 verabschiedete der niederländische Senat ein neues Glücksspielgesetz, das am 1. April 2021 in Kraft trat.

13      Am 1. März 2019 forderte die Kommission die Klägerin auf, zu den jüngsten Entwicklungen der Rechtsvorschriften für den Glücksspielsektor in den Niederlanden Stellung zu nehmen.

14      Mit Schreiben vom 5. April 2019 übermittelte die Klägerin ihre Stellungnahme zum Erlass des neuen Glücksspielgesetzes. Sie führte aus, dass der Erlass dieses Gesetzes die Rechtswidrigkeit der in der Beschwerde genannten staatlichen Beihilfe nicht geändert oder beseitigt habe.

15      Mit Schreiben vom 27. Juni 2019 teilte die Kommission der Klägerin ihre vorläufige Auffassung mit, dass die Verlängerung der betreffenden Exklusivlizenzen den etablierten Betreibern keinen Vorteil verschaffe und die beanstandete Maßnahme daher keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle.

16      Am 22. August 2019 teilte die Klägerin der Kommission schriftlich mit, dass sie an ihrem Standpunkt festhalte, dass die beanstandete Maßnahme eine staatliche Beihilfe darstelle.

17      Die Kommission richtete mit Schreiben vom 2. Dezember 2019 und 16. Juni 2020 Auskunftsersuchen an die niederländischen Behörden, auf die diese mit Schreiben vom 7. Februar und 18. September 2020 antworteten.

18      Das Verfahren wurde mit dem Erlass des angefochtenen Beschlusses abgeschlossen.

19      In diesem Beschluss führte die Kommission aus, dass nach Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Wet houdende nadere regelen met betrekking tot kansspelen (Gesetz zur ergänzenden Regelung von Glücksspielen) vom 10. Dezember 1964 (Stb. 1964, Nr. 483) das Anbieten von Glücksspielen in den Niederlanden verboten sei, es sei denn, dass eine Lizenz nach diesem Gesetz vergeben worden sei. Nach Art. 3 dieses Gesetzes konnten die genannten Lizenzen nur erteilt werden, wenn die Einnahmen aus den Spieltätigkeiten an gemeinnützige Organisationen abgeführt wurden.

20      Im Übrigen stellte die Kommission fest, dass Art. 2 Buchst. b des Besluit tot vaststelling van de algemene maatregel van bestuur, bedoeld in artikel 6 van de Wet op de kansspelen (Kansspelenbesluit) (Verordnung zur Festlegung der in Artikel 6 des Glücksspielgesetzes genannten Verordnung [Glücksspielverordnung]) vom 1. Dezember 1997 (Stb. 1997, Nr. 616) insbesondere vorsehe, dass die Veranstalter von Spielen, die eine Lizenz nach dem niederländischen Glücksspielgesetz erhalten hatten, verpflichtet waren, die Einnahmen aus dem Verkauf von Teilnahmetickets an die in den Lizenzen aufgeführten Begünstigten abzuführen. Diese Zahlung musste mindestens 50 % des Nennwerts der verkauften Tickets betragen.

21      Die Kommission war der Ansicht, wenn ein Mitgliedstaat einem Wirtschaftsteilnehmer ein ausschließliches Recht gewähre oder dieses verlängere und es dem Inhaber dieses Rechts nicht ermögliche, mehr als die Mindestrendite zu erzielen, die erforderlich sei, um die mit der Ausübung des Rechts verbundenen Betriebs- und Investitionskosten zuzüglich eines angemessenen Gewinns zu decken, dann verschaffe diese Maßnahme dem Begünstigten keinen Vorteil. Unter solchen Umständen könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Inhaber des ausschließlichen Rechts einen Vorteil erlangt habe, den er unter normalen Marktbedingungen nicht hätte erlangen können.

22      Die Lizenznehmer seien verpflichtet, den gesamten Erlös aus ihren Glücksspieltätigkeiten, d. h. ihre Einnahmen nach Abzug der Ausgaben für die vergebenen Preise und der angemessenen Kosten, an gemeinnützige Einrichtungen abzuführen, und könnten daher keine Gewinne erzielen oder nur einen Gewinn, der einen angemessenen Gewinn nicht übersteige. Die von den niederländischen Behörden vorgelegten Finanzdaten der Lizenznehmer für den Zeitraum 2015–2016 bestätigten diese Analyse.

23      Folglich kam die Kommission zu dem Schluss, dass die beanstandete Maßnahme den Begünstigten keinen Vorteil verschaffe und daher keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle.

 Anträge der Parteien

24      Die Klägerin beantragt,

–        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

25      Die Kommission, unterstützt durch das Königreich der Niederlande, beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

26      Die Klägerin stützt ihre Klage auf zwei Klagegründe. Sie rügt erstens eine Verletzung ihrer Verfahrensrechte durch die Weigerung der Kommission, das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV (im Folgenden: förmliches Prüfverfahren) einzuleiten, obwohl die vorläufige Prüfung nach Art. 108 Abs. 3 AEUV (im Folgenden: vorläufige Prüfung) nicht alle Zweifel am Vorliegen einer Beihilfe habe ausräumen können, und zweitens einen offensichtlichen Beurteilungsfehler, da die Kommission zu dem Ergebnis gelangt sei, dass die beanstandete Maßnahme den Lizenznehmern keinen Vorteil im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV verschaffe.

27      Zunächst ist der erste Klagegrund zu prüfen.

28      Mit ihrem ersten Klagegrund macht die Klägerin geltend, die Kommission habe ihre Verfahrensrechte verletzt, indem sie das förmliche Prüfverfahren nicht eingeleitet habe, obwohl die vorläufige Prüfung nicht alle Zweifel hinsichtlich des Vorliegens einer Beihilfe habe ausräumen können. Dieser Klagegrund gliedert sich in drei Teile, mit denen erstens die Dauer und die Umstände der vorläufigen Prüfung, zweitens eine wesentliche Änderung der Analyse der Kommission während der vorläufigen Prüfung und drittens der Umstand gerügt werden, dass die Kommission in dem angefochtenen Beschluss zu Unrecht festgestellt habe, dass kein Zweifel daran bestehe, ob die beanstandete Maßnahme den Lizenznehmern einen Vorteil verschaffe oder nicht.

 Zu den anwendbaren Grundsätzen

29      Nach der Rechtsprechung hängt die Rechtmäßigkeit eines Beschlusses nach Art. 4 Abs. 3 der Verordnung 2015/1589, keine Einwände zu erheben, davon ab, ob die Beurteilung der Informationen und Angaben, über die die Kommission im Vorprüfungsverfahren verfügte, objektiv Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit einer Maßnahme mit dem Binnenmarkt hätte geben müssen, da solche Bedenken gegebenenfalls zur Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens führen müssen, an dem sich die Beteiligten im Sinne von Art. 1 Buchst. h der Verordnung 2015/1589 beteiligen können (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 2. September 2021, Kommission/Tempus Energy und Tempus Energy Technology, C‑57/19 P, EU:C:2021:663, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Diese Verpflichtung wird durch Art. 4 Abs. 4 der Verordnung 2015/1589 bestätigt, wonach die Kommission das förmliche Prüfverfahren eröffnen muss, wenn die in Rede stehende Maßnahme Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt, ohne hierbei über einen Ermessensspielraum zu verfügen (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil vom 22. Dezember 2008, British Aggregates/Kommission, C‑487/06 P, EU:C:2008:757, Rn. 113 und 185 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, Beschluss vom 25. Juni 2019, Fred Olsen/Naviera Armas, C‑319/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:542, Rn. 30, und Urteil vom 20. Juni 2019, a&o hostel and hotel Berlin/Kommission, T‑578/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:437, Rn. 57).

31      Beantragt ein Kläger die Nichtigerklärung eines Beschlusses, keine Einwände zu erheben, rügt er im Wesentlichen, dass der Beschluss über die Beihilfe erlassen worden sei, ohne dass die Kommission das förmliche Prüfverfahren eingeleitet habe, und dass diese dadurch seine Verfahrensrechte verletzt habe. Um mit seiner Klage durchzudringen, kann der Kläger jeden Klagegrund anführen, der geeignet ist, zu zeigen, dass die Beurteilung der Informationen und Angaben, über die die Kommission in der Phase der vorläufigen Prüfung der angemeldeten Maßnahme verfügte, Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit dieser Maßnahme mit dem Binnenmarkt hätte geben müssen. Das Anführen solcher Argumente kann aber weder den Gegenstand der Klage noch die Voraussetzungen ihrer Zulässigkeit ändern. Vielmehr liegt im Bestehen von Bedenken hinsichtlich dieser Vereinbarkeit gerade der Nachweis, der zu erbringen ist, um zu zeigen, dass die Kommission verpflichtet war, das förmliche Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV zu eröffnen (vgl. Urteil vom 2. September 2021, Kommission/Tempus Energy und Tempus Energy Technology, C‑57/19 P, EU:C:2021:663, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Der Nachweis für das Bestehen von Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfe mit dem Binnenmarkt, der sowohl in den Umständen des Erlasses des Beschlusses, keine Einwände zu erheben, als auch in seinem Inhalt zu suchen ist, ist von demjenigen, der die Nichtigerklärung dieses Beschlusses beantragt, anhand eines Bündels übereinstimmender Indizien zu erbringen (vgl. Urteil vom 2. September 2021, Kommission/Tempus Energy und Tempus Energy Technology, C‑57/19 P, EU:C:2021:663, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Wenn die Prüfung durch die Kommission im Vorprüfungsverfahren unzureichend oder unvollständig war, stellt dies insbesondere einen Anhaltspunkt für das Bestehen ernsthafter Schwierigkeiten bei der Beurteilung der in Rede stehenden Maßnahme dar, bei deren Bestehen die Kommission das förmliche Prüfverfahren eröffnen muss (vgl. Urteil vom 2. September 2021, Kommission/Tempus Energy und Tempus Energy Technology, C‑57/19 P, EU:C:2021:663, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Zudem ist die Rechtmäßigkeit eines am Ende des vorläufigen Prüfverfahrens getroffenen Beschlusses, keine Einwände zu erheben, von den Unionsgerichten nicht nur anhand der Informationen zu prüfen, über die die Kommission bei Erlass des Beschlusses verfügte, sondern auch anhand derjenigen, über die sie verfügen konnte (vgl. Urteil vom 2. September 2021, Kommission/Tempus Energy und Tempus Energy Technology, C‑57/19 P, EU:C:2021:663, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35      Zu den Informationen, über die die Kommission „verfügen konnte“, zählen die Informationen, die für die von ihr gemäß der in Rn. 29 oben angeführten Rechtsprechung vorzunehmende Beurteilung maßgeblich erscheinen und die ihr auf Verlangen im Verwaltungsverfahren hätten vorgelegt werden können (vgl. Urteil vom 2. September 2021, Kommission/Tempus Energy und Tempus Energy Technology, C‑57/19 P, EU:C:2021:663, Rn. 43 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36      Die Kommission hat das Verfahren zur Prüfung der beanstandeten Maßnahmen sorgfältig und unvoreingenommen zu führen, damit sie bei Erlass eines endgültigen Beschlusses, in dem das Vorliegen und gegebenenfalls die Unvereinbarkeit oder Rechtswidrigkeit der Beihilfe festgestellt wird, über möglichst vollständige und verlässliche Informationen verfügt (vgl. Urteil vom 2. September 2021, Kommission/Tempus Energy und Tempus Energy Technology, C‑57/19 P, EU:C:2021:663, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Der Gerichtshof hat zwar entschieden, dass es bei der Prüfung des Vorliegens und der Rechtmäßigkeit einer staatlichen Beihilfe erforderlich sein kann, dass die Kommission gegebenenfalls über eine bloße Prüfung der ihr zur Kenntnis gebrachten rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkte hinausgeht; aus dieser Rechtsprechung kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass es der Kommission obliegt, aus eigener Initiative, wenn keine dahin gehenden Anhaltspunkte vorliegen, alle Informationen zusammenzutragen, die einen Zusammenhang mit der Sache aufweisen könnten, mit der sie befasst ist, auch wenn solche Informationen öffentlich zugänglich sind (vgl. Urteil vom 2. September 2021, Kommission/Tempus Energy und Tempus Energy Technology, C‑57/19 P, EU:C:2021:663, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38      Daraus folgt, dass sich die vom Gericht ausgeübte Kontrolle der Rechtmäßigkeit eines Beschlusses, das förmliche Prüfverfahren wegen Fehlens ernsthafter Schwierigkeiten nicht zu eröffnen, nicht auf die Prüfung auf offensichtliche Beurteilungsfehler beschränken kann. Ein von der Kommission ohne Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens erlassener Beschluss kann nämlich wegen Unterlassung der in Art. 108 Abs. 2 AEUV vorgesehenen kontradiktorischen und eingehenden Prüfung für nichtig erklärt werden, selbst wenn nicht nachgewiesen ist, dass die von der Kommission in der Sache vorgenommenen Bewertungen Rechts- oder Tatsachenfehler enthielten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Oktober 2020, První novinová společnost/Kommission, T‑316/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:489, Rn. 88, 90 und 91 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Kontrolle durch das Gericht unterliegt daher keinen Beschränkungen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Juni 2019, a&o hostel and hotel Berlin/Kommission, T‑578/17, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:437, Rn. 66).

39      Im Licht dieser Rechtsprechungsgrundsätze und Erwägungen ist das Vorbringen der Klägerin zu prüfen, mit dem das Bestehen von Bedenken nachgewiesen werden soll, die die Kommission zur Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens hätten veranlassen müssen.

40      Das Gericht hält es für angebracht, zuerst den dritten Teil des ersten Klagegrundes zu prüfen.

 Zum dritten Teil des ersten Klagegrundes: Vorliegen eines den Lizenznehmern gewährten Vorteils

41      Mit dem dritten Teil des ersten Klagegrundes macht die Klägerin im Wesentlichen geltend, die Kommission sei im angefochtenen Beschluss zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass kein Zweifel daran bestehe, ob die beanstandete Maßnahme den Begünstigten einen Vorteil verschaffe. In diesem Teil werden im Wesentlichen zwei Rügen erhoben: Erstens sei den Lizenznehmern ein Vorteil gewährt worden und zweitens sei nicht geprüft worden, ob die in Rede stehenden Lizenzen den Einrichtungen, an die die Lizenznehmer einen Teil ihrer Einnahmen aus den Glücksspieltätigkeiten abführen mussten, einen mittelbaren Vorteil verschafften.

42      Zur zweiten Rüge trägt die Klägerin vor, die Kommission habe über Informationen und Beweise verfügt, die den Verdacht begründeten, dass die Einrichtungen, an die die Lizenznehmer einen Teil ihrer Einnahmen aus Glücksspieltätigkeiten abführen mussten, einen mittelbaren Vorteil erlangten. Da die Kommission diesen Umstand jedoch nicht geprüft habe, habe sie nicht alle Zweifel am Vorliegen einer staatlichen Beihilfe ausräumen können, zumal sie sich im angefochtenen Beschluss weitgehend auf die den Lizenznehmern auferlegte Verpflichtung gestützt habe, einen Teil der Einnahmen aus den Glücksspieltätigkeiten an die betreffenden karitativen Vereinigungen abzuführen, um zu dem Schluss zu gelangen, dass kein Vorteil für die Lizenznehmer bestehe. Der Umstand, dass es sich bei diesen karitativen Vereinigungen um Einrichtungen ohne Gewinnerzielungsabsicht handele, hindere nicht daran, sie als mittelbare Begünstigte der Beihilfe anzusehen, da auch Einrichtungen ohne Gewinnerzielungsabsicht Güter und Dienstleistungen auf einem Markt anböten und daher als Unternehmen angesehen werden könnten.

43      Die Kommission tritt diesem Vorbringen mit der Begründung entgegen, dass die in Rede stehenden Einrichtungen nicht als Unternehmen angesehen werden könnten, die im Sinne von Rn. 115 ihrer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 [AEUV] (ABl. 2016, C 262, S. 1) gegenüber den Inhabern der Glücksspiellizenzen auf einer nachgeordneten Ebene tätig seien. Außerdem sei das Vorbringen der Klägerin zu dieser Rüge weder in ihrer Beschwerde noch in ihren späteren Stellungnahmen angeführt worden. In diesem Zusammenhang macht die Kommission geltend, dass sie nicht verpflichtet gewesen sei, aus eigener Initiative, wenn keine dahin gehenden Anhaltspunkte vorgelegen hätten, alle Informationen zusammenzutragen, die einen Zusammenhang mit der Sache hätten aufweisen können, mit der sie befasst war, auch wenn solche Informationen öffentlich zugänglich gewesen seien.

44      Wie insbesondere oben in den Rn. 19 und 20 festgestellt worden ist, geht aus der niederländischen Regelung über Glücksspiele, die der Kommission zur Beurteilung vorgelegt wurde, hervor, dass ein Teil der Einnahmen aus Glücksspieltätigkeiten von den Lizenznehmern ausschließlich an gemeinnützige Einrichtungen, die in den Lizenzen bezeichnet sind, abzuführen war. Unter diesen Umständen musste die Kommission wissen, dass die in Rede stehende niederländische Regelung eine solche Verpflichtung enthielt.

45      Im Übrigen hat die Kommission in dem angefochtenen Beschluss ihre Feststellung des Fehlens eines Vorteils für die Lizenznehmer gerade auf die ihnen obliegende Verpflichtung gestützt, einen Teil ihrer Einnahmen an gemeinnützige Einrichtungen abzuführen, wie sich insbesondere aus den Rn. 49 und 54 bis 57 des Beschlusses ergibt. In Rn. 49 des angefochtenen Beschlusses hat die Kommission nämlich die Auffassung vertreten, dass die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte ohne eine angemessene, den Markttarifen entsprechende Vergütung einen Verzicht auf staatliche Einnahmen und die Gewährung eines Vorteils darstellen könne. Aus Rn. 54 des angefochtenen Beschlusses geht hervor, dass nach Ansicht der Kommission dadurch, dass die beanstandete Maßnahme die Gewährung von Lizenzen für die Ausübung von Glücksspieltätigkeiten von der Verpflichtung der Lizenznehmer abhängig macht, einen Teil der Einnahmen aus diesen Tätigkeiten ausschließlich an gemeinnützige Einrichtungen abzuführen, gewährleistet wird, dass die Lizenznehmer nicht mehr als die zur Deckung ihrer Kosten erforderliche Mindestrendite zuzüglich eines angemessenen Gewinns erzielen. Angesichts der Verpflichtung der Lizenznehmer, einen Teil ihrer Einnahmen an gemeinnützige Einrichtungen abzuführen, gelangte die Kommission daher zu dem Ergebnis, dass die beanstandete Maßnahme keinen Vorteil verschaffe und daher keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstelle (Rn. 56 und 57 des angefochtenen Beschlusses).

46      Somit verfügte die Kommission bei Erlass des angefochtenen Beschlusses über Informationen über die beanstandete Maßnahme, die sie zu der Frage hätten veranlassen müssen, ob die niederländische Regelung über Glücksspiele nicht so konzipiert war, dass sie die Einnahmen aus der Tätigkeit der in Rede stehenden Lizenznehmer im Wesentlichen an in diesen Lizenzen bezeichnete gemeinnützige Einrichtungen lenkte.

47      Die Kommission kann nämlich bei der Prüfung einer Maßnahme veranlasst sein, zu prüfen, ob ein Vorteil so angesehen werden kann, dass er mittelbar anderen Wirtschaftsteilnehmern als dem unmittelbaren Empfänger des Transfers staatlicher Mittel zukommt. Dabei haben die Unionsgerichte ebenfalls anerkannt, dass ein Vorteil, der bestimmten natürlichen oder juristischen Personen unmittelbar gewährt wird, einen mittelbaren Vorteil und damit eine staatliche Beihilfe für andere juristische Personen, die Unternehmen sind, darstellen kann (vgl. Urteil vom 13. Mai 2020, Germanwings/Kommission, T‑716/17, EU:T:2020:181, Rn. 75 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48      Insoweit ist im Übrigen darauf hinzuweisen, dass nach Rn. 115 der Bekanntmachung der Kommission zum Begriff der staatlichen Beihilfe ein mittelbarer Vorteil einem anderen Unternehmen gewährt werden kann als demjenigen, dem die staatlichen Mittel unmittelbar zugeflossen sind. Außerdem sieht Rn. 116 dieser Bekanntmachung vor, dass der Begriff „mittelbarer Vorteil“ eine Situation erfasst, in der die Maßnahme so ausgestaltet ist, dass ihre sekundären Auswirkungen bestimmbaren Unternehmen oder Gruppen von Unternehmen zugeleitet werden. Die Kommission hätte sich daher die Frage stellen müssen, ob die beanstandete Maßnahme gemeinnützigen Einrichtungen einen mittelbaren Vorteil verschaffe.

49      Der angefochtene Beschluss schweigt jedoch zu dieser Frage, obwohl die Kommission über diesen Teil der niederländischen Regelung über Glücksspiele informiert war.

50      Im Übrigen ist zum Vorbringen der Kommission, wonach die niederländischen Behörden, indem sie die Lizenznehmer verpflichteten, einen Teil ihrer Einnahmen an gemeinnützige Einrichtungen abzuführen, Ziele verfolgten, die unmittelbar mit der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sittlichkeit zusammenhingen, darauf hinzuweisen, dass die Kommission in dem angefochtenen Beschluss nicht geprüft hat, ob die mit der streitigen Maßnahme verbundenen Einrichtungen Unternehmen darstellten oder Gemeinwohlaufgaben verfolgten.

51      Folglich ist festzustellen, dass die Kommission für den Erlass des angefochtenen Beschlusses nicht geprüft hat, ob die beanstandete Maßnahme den Einrichtungen, an die die Lizenznehmer einen Teil ihrer Einnahmen abführen mussten, einen mittelbaren Vorteil verschaffte. Damit hat sie ohne nähere Angaben ausgeschlossen, dass diese Frage bei der Einstufung der beanstandeten Maßnahme als staatliche Beihilfe ernsthafte Schwierigkeiten bereiten konnte, die erst im förmlichen Prüfverfahren hätten geklärt werden können. Da die Kommission im Stadium der vorläufigen Prüfung keinerlei angemessene Prüfung der Frage vorgenommen hat, ob die beanstandete Maßnahme diesen Einrichtungen einen mittelbaren Vorteil verschaffte, und das, obwohl das Abführen eines Teils der Einnahmen aus der Tätigkeit der Lizenznehmer an in diesen Lizenzen bezeichnete gemeinnützige Einrichtungen eines der Hauptmerkmale der streitigen Regelung war, führt das Fehlen einer Prüfung dieser Frage in dem angefochtenen Beschluss dazu, dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass bei der Beurteilung dieser Frage ernsthafte Schwierigkeiten bestehen.

52      Unter diesen Umständen ist dem dritten Teil des ersten Klagegrundes stattzugeben, soweit er die Rüge betrifft, dass den Einrichtungen, an die die Lizenznehmer einen Teil ihrer Einnahmen aus Glücksspieltätigkeiten zahlen müssen, mittelbare Vorteile gewährt werden, ohne dass das weitere Vorbringen der Klägerin im Rahmen des ersten und des zweiten Teils geprüft zu werden braucht.

53      Der angefochtene Beschluss ist daher für nichtig zu erklären, ohne dass der zweite Klagegrund geprüft zu werden braucht.

 Kosten

54      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission unterlegen ist, sind ihr neben ihren eigenen Kosten gemäß dem Antrag der Klägerin auch deren Kosten aufzuerlegen.

55      Ferner tragen nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

56      Daher ist zu entscheiden, dass das Königreich der Niederlande seine eigenen Kosten trägt.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Neunte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Der Beschluss C(2020) 8965 final der Kommission vom 18. Dezember 2020 in der Sache SA.44830 (2016/FC) – Niederlande – Verlängerung von Glücksspiellizenzen in den Niederlanden wird für nichtig erklärt.

2.      Die Europäische Kommission trägt ihre eigenen Kosten sowie die der European Gaming and Betting Association entstandenen Kosten.

3.      Das Königreich der Niederlande trägt seine eigenen Kosten.

Truchot

Kanninen

Perišin

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. November 2023.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Englisch.