Language of document : ECLI:EU:T:2012:435

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

19. September 2012(*)

„Schiedsklausel – Subventionsvertrag über eine Maßnahme zur lokalen Entwicklung, bestehend in der Durchführung von Arbeiten zur Vorbereitung und Eröffnung eines Centre européen d’entreprise locale in Millau (Frankreich) – Erstattung eines Teils der gezahlten Vorschüsse – Zulässigkeit einer Klage gegen eine aus dem Handelsregister gelöschte Gesellschaft französischen Rechts – Anwendung des französischen Rechts – Öffentlich-rechtlicher Vertrag – Rückforderung rechtsgrundlos gezahlter Beträge – Verjährung – Möglichkeit, sich auf eine Schiedsklausel zu berufen – Schuldübernahme – Grundsatz der Akzessorietät – Vertragsklausel zugunsten Dritter“

In den Rechtssachen T‑168/10 und T‑572/10

Europäische Kommission, vertreten durch S. Petrova als Bevollmächtigte im Beistand von E. Bouttier, avocat,

Klägerin,

gegen

Société d’économie mixte d’équipement de l’Aveyron (SEMEA), mit Sitz in Millau (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: L. Hincker und F. Bleykasten, avocats,

Beklagte in der Rechtssache T‑168/10,

Commune de Millau (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: L. Hincker und F. Bleykasten, avocats,

Beklagte in der Rechtssache T‑572/10,

wegen Erstattung des von der Kommission im Rahmen der Finanzierung der SEMEA gezahlten Betrags von 41 012 Euro zuzüglich der angefallenen und noch anfallenden Zinsen sowie aller weiteren zum Ausgleich des ihr entstandenen Schadens erforderlichen Beträge

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten O. Czúcz (Berichterstatter) sowie der Richterin I. Labucka und des Richters D. Gratsias,

Kanzler: C. Kristensen, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Februar 2012

folgendes

Urteil

 Sachverhalt

1        Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, vertreten durch die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, schloss am 6. Juli 1990 mit der Société d’économie mixte d’équipement de l’Aveyron (SEMEA), an der die Commune de Millau (Frankreich) mit 50 % des Kapitals beteiligt war, einen Subventionsvertrag.

2        Der Vertrag betraf eine örtliche Entwicklungsmaßnahme, bestehend aus der Durchführung von Arbeiten zur Vorbereitung und Eröffnung eines Centre européen d’entreprise locale (Europäisches Zentrum für örtliche Unternehmen) in Millau (im Folgenden: Vertrag).

3        Art. 2 des Vertrags bestimmte:

„Die Arbeiten sind innerhalb von 18 Monaten nach Unterzeichnung des Vertrags auszuführen.“

4        Nach Art. 4 des Vertrags verpflichtete sich SEMEA, verschiedene Leistungen zu erbringen und gegenüber der Kommission durch die Vorlage von Berichten in regelmäßigen Abständen darüber Rechenschaft abzulegen, während sich die Kommission ihrerseits verpflichtete, zur Durchführung dieser Arbeiten einen finanziellen Beitrag bis zu einer Höhe von maximal 135 000 ECU und bis zu 50 % der gerechtfertigten Kosten der Arbeiten zu leisten.

5        Art. 6 des Vertrags sah vor:

„Der vorliegende Vertrag unterliegt französischem Recht.“

6        Art. 10 des Vertrags lautete wie folgt:

„Sind keine Mittel oder nur Mittel verfügbar, die für die Durchführung des vorliegenden Vertrags unzureichend sind, ist die Kommission berechtigt, von dem Vertrag ohne gerichtliches Verfahren zurückzutreten oder den Vertrag an die neue Finanzlage anzupassen.“

7        Art. 9 Abs. 1 der allgemeinen Bedingungen des Vertrags lautete:

„Kommt der Vertragspartner seinen Verpflichtungen aus dem Vertrag nicht nach, kann die Kommission – unabhängig von den Folgen nach dem auf den Vertrag anwendbaren Recht – den Vertrag ohne weiteres kündigen oder von ihm zurücktreten, nachdem sie den Vertragspartner durch Einschreiben zur Leistung aufgefordert hat und dieser der Aufforderung innerhalb eines Monats nicht nachgekommen ist.“

8        Art. 10 der allgemeinen Bedingungen des Vertrags sah vor:

„Für alle Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien, die den Vertrag betreffen und nicht gütlich beigelegt werden können, ist ausschließlich der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften zuständig.“

9        Mit Schreiben vom 16. Mai 1991 bat SEMEA die Kommission, den Vertrag durch eine andere Einrichtung, das Centre européen d’entreprise et d’innovation (im Folgenden: Verein CEI 12), durchführen zu können, was die Kommission mit Schreiben vom 2. Juli 1991 akzeptierte, wobei sie klarstellte, dass diese Vereinbarung SEMEA nicht von ihren Verpflichtungen entbinde. SEMEA bestätigte mit Schreiben vom 22. Oktober 1991, dass sie für die ordnungsgemäße Durchführung der im Vertrag vorgesehenen Leistungen hafte.

10      In den Monaten Juni und Juli 1992 führten die Dienststellen der Kommission eine Kontrolle durch, die den Fortschritt der Arbeiten zum Gegenstand hatte und die zum Ergebnis kam, dass sich die Summe der berücksichtigungsfähigen Ausgaben auf 187 977 ECU belaufe und der Beitrag der Kommission daher auf 50 % dieses Betrags, also auf 93 988 ECU, festzusetzen sei.

11      Da SEMEA aufgrund des Vertrags bereits 135 000 ECU erhalten hatte, forderte die Kommission SEMEA mit Schreiben vom 27. April 1993 auf, den Betrag von 41 012 ECU zurückzuzahlen (im Folgenden: streitige Forderung). SEMEA ist dieser Aufforderung nicht nachgekommen.

12      Am 17. Februar 1997 beschloss die außerordentliche Hauptversammlung der Aktionäre von SEMEA die vorzeitige einvernehmliche Auflösung von SEMEA zum 31. März 1997 und die Bestellung eines Liquidators.

13      Mit Einschreiben gegen Rückschein vom 18. November 2005 forderte die Kommission SEMEA erneut auf, die streitige Forderung zu begleichen.

14      Am 11. Januar 2006 richtete die Kommission eine Einziehungsanordnung über einen Betrag von 41 012 Euro an SEMEA.

15      Mit Antwortschreiben vom 31. Januar 2006 teilte der Liquidator von SEMEA mit, dass die finanzielle Lage der Gesellschaft die Zahlung eines Betrags in dieser Höhe nicht zulasse, dass er sich gezwungen sehe, Insolvenz anzumelden, und dass die streitige Forderung nach französischem Recht als verjährt angesehen werden müsse, da das französische Recht die Beitreibung von Forderungen, die länger als vier Jahre nicht geltend gemacht worden seien, nicht zulasse und die letzte Geltendmachung der Kommission am 27. April 1993 erfolgt sei, also vor mehr als zwölf Jahren.

16      Mit Einschreiben gegen Rückschein vom 16. Februar 2006 beantragte die Kommission förmlich die Berücksichtigung der streitigen Forderung im Insolvenzverfahren und die Eintragung dieser Forderung in die Insolvenztabelle.

17      Mit Schreiben vom 20. September 2006 teilte SEMEA der Kommission mit, dass die außerordentliche Hauptversammlung der Gesellschaft beschlossen habe, die Stellung des Insolvenzantrags aufzuschieben; sie bezog sich auf ein Protokoll des Vereins CEI 12, aus dem sich ergebe, dass die Kommission auf die Geltendmachung der streitigen Forderung letztlich verzichtet habe.

18      Mit Schreiben vom 29. November 2006 forderte die Kommission durch ihren Anwalt SEMEA in Form einer Mahnung zur Begleichung der Forderung auf. Sie stellte in diesem Schreiben klar, dass sie nie die Absicht gehabt habe, auf diese Forderung zu verzichten.

19      Mit Mahnschreiben vom 30. Januar 2007 forderte der Anwalt der Kommission SEMEA erneut auf, die streitige Forderung zu bezahlen, und zog aus der Untätigkeit von SEMEA den Schluss, dass diese ihre Zahlungen eingestellt habe.

20      Mit Schreiben vom 5. Februar 2007 erklärte SEMEA, dass sie die Zahlungen nicht eingestellt habe.

21      Mit Schreiben vom 12. Februar 2007 übersandte SEMEA eine Kopie des Beschlusses des Vereins CEI 12, in dem festgestellt wurde, dass die Kommission auf die Geltendmachung der streitigen Forderung verzichtet habe.

22      Am 26. Oktober 2007 ließ die Kommission eine Zahlungsaufforderung durch den Gerichtsvollzieher am Wohnsitz des Liquidators von SEMEA zustellen.

23      Am 10. Dezember 2007 ließ die Kommission eine Zahlungsaufforderung am Sitz der Liquidationsgesellschaft durch den Gerichtsvollzieher zustellen.

24      Mit Schreiben vom 14. Dezember 2007 an den Gerichtsvollzieher, der die Zahlungsaufforderung ausgehändigt hatte, bat der Liquidator von SEMEA erneut um Auskunft über die Entscheidung der Kommission, auf die Begleichung der streitigen Forderung zu verzichten. Er behauptete in seinem Schreiben, die neuen Aktionäre und der Liquidator seien über die Verbindlichkeiten, die SEMEA gegenüber dem Verein CEI 12 eingegangen sei, nicht informiert gewesen.

25      Mit Schreiben vom 7. Januar 2008 bestritt der Anwalt der Kommission die Behauptungen des Liquidators von SEMEA, forderte ihn erneut in Form einer Mahnung zur Bezahlung der streitigen Forderung auf und übersandte eine Kopie dieses Schreibens an den Staatsanwalt mit der Bitte, das Verhalten des Liquidators von SEMEA insbesondere im Hinblick auf den Straftatbestand des Betrugs zu überprüfen.

26      In Beantwortung dieses letztgenannten Mahnschreibens führte der Liquidator von SEMEA aus, dass die streitige Forderung möglicherweise verjährt sei. Er wies in diesem Schreiben darauf hin, dass er sich Anfang des Jahres 2007 in einem Gespräch mit dem Anwalt der Kommission verpflichtet habe, die streitige Forderung zu begleichen, sobald seine Fragen zur Verjährung der Forderung beantwortet seien.

27      Mit Schreiben vom 21. Februar 2008 forderte die Kommission SEMEA letztmalig zur Begleichung der streitigen Forderung auf.

28      Am 21. November 2008 nahm die außerordentliche Hauptversammlung von SEMEA die Entscheidung der Commune de Millau, ihrer Hauptaktionärin, die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu übernehmen, zur Kenntnis und beschloss, den Betrag von 82 719,76 Euro, die verfügbaren Barmittel von SEMEA, an die Commune von Millau zahlen. Nach dem vom Liquidator vorgelegten Liquidationsbericht, der die streitige Forderung auswies, waren alle übernommenen Geschäfte abgewickelt.

29      Am 9. Dezember 2008 beendete der Liquidator von SEMEA die Liquidation und veranlasste die Löschung von SEMEA im Handelsregister.

30      Am 18. Dezember 2008 bestätigte der Gemeinderat der Commune de Millau die Übernahme des Gesellschaftsvermögens von SEMEA. Unter den Passiva der Gesellschaft war ausdrücklich der Rechtsstreit mit der Europäischen Kommission ausgewiesen.

31      Auf Antrag der Kommission bestellte das Tribunal de commerce Rodez am 12. Februar 2010 einen Ad-hoc-Bevollmächtigten als Vertreter von SEMEA.

 Verfahren vor dem Gericht und Anträge der Parteien

A –  Rechtssache T‑168/10

32      Mit Klageschrift, die am 15. April 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission beantragt,

–        die SEMEA in der Person ihres Ad-hoc-Verwalters zu verurteilen, an sie einen Betrag von 41 012 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe des in Frankreich geltenden gesetzlichen Jahreszinssatzes seit 10. März 1992 oder, hilfsweise, seit 27. April 1993 zu zahlen;

–        die Berechnung von Zinseszinsen anzuordnen;

–        SEMEA zur Zahlung von 5 000 Euro aufgrund missbräuchlichen Widerstands zu verurteilen;

–        SEMEA die Kosten aufzuerlegen.

33      Diese Klageschrift war an SEMEA „in der Person ihres Ad-hoc-Vertreters“, Herrn C. G., gerichtet. Da der Letztgenannte nicht der Ad-hoc-Vertreter, sondern der Präsident des Tribunal de commerce Rodez war, der den Ad-hoc-Vertreter bestellt hatte, teilte die Kanzlei des Gerichts der Kommission am 4. Mai 2010 mit, dass die Zustellung der Klageschrift an SEMEA erfolglos geblieben sei, und setzte für die Mitteilung einer neuen Zustellanschrift eine Frist. Die Kommission kam dieser Aufforderung nach und teilte den Namen und die Anschrift des Ad-hoc-Vertreters von SEMEA mit. Die Klageschrift konnte unter dieser Adresse zugestellt werden.

34      In ihrer Einrede der Unzulässigkeit, die am 26. Juli 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat SEMEA beantragt,

–        die Klage für unzulässig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

35      In ihrer Stellungnahme zur Unzulässigkeitseinrede, die am 30. August 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission beantragt,

–        die von SEMEA geltend gemachten Unzulässigkeitsgründe zurückzuweisen und die Klage für zulässig zu erklären;

–        das Verfahren bis zur Klageerhebung gegen die Commune de Millau auszusetzen;

–        SEMEA die Kosten aufzuerlegen.

36      Im Rahmen prozessleitender Maßnahmen nach Art. 64 der Verfahrensordnung des Gerichts haben die Kommission und SEMEA mit Schreiben, die am 8. bzw. 9. November 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, auf die Fragen und die Aufforderung des Gerichts zur Vorlage von Unterlagen geantwortet.

37      Mit Beschluss des Präsidenten der Dritten Kammer des Gerichts vom 29. November 2010 ist das Verfahren in der Rechtssache T‑168/10 bis zum 31. Januar 2011 ausgesetzt worden.

38      Mit Beschluss der Dritten Kammer des Gerichts vom 24. Mai 2011 ist die Entscheidung über die Einrede der Unzulässigkeit dem Endurteil vorbehalten worden.

39      In Ihrer Klagebeantwortung, die am 8. Juli 2011 bei der Kanzlei eingegangen ist, hat SEMEA im Wesentlichen beantragt,

–        die Klage der Kommission abzuweisen;

–        hilfsweise, sofern das Gericht dem Antrag der Kommission auf Erstattung stattgeben sollte,

–        die Kommission zu verurteilen, an SEMEA einen Betrag von 41 012 Euro zuzüglich des Betrags zu zahlen, der den Zinsen und Kosten entspricht, die das Gericht der Kommission zuerkennt;

–        die Klage der Kommission bezüglich der Zinsen und Zinseszinsen für die Zeit vor dem 18. November 2005 abzuweisen;

–        alle entgegenstehenden Anträge zurückzuweisen;

–        in jedem Fall der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

40      Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. Die Parteien haben in der Sitzung vom 29. Februar 2012 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

B –  Rechtssache T‑572/10

41      Nachdem die Kommission im Rahmen des Verfahrens in der Rechtssache T‑168/10 erfahren hatte, dass die Commune de Millau beschlossen hatte, sämtliche Vermögenswerte und Verbindlichkeiten von SEMEA zu übernehmen, hat die Kommission mit Klageschrift, die am 21. Dezember 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, Klage gegen die Commune de Millau erhoben.

42      Die Kommission beantragt im Wesentlichen,

–        die Commune de Millau zu verurteilen, als Gesamtschuldnerin mit SEMEA an die Klägerin 41 012 Euro zuzüglich der seit 10. März 1992, hilfsweise, seit 27. April 1993 angefallenen Zinsen zu zahlen;

–        Zinseszinsen zuzusprechen;

–        die Commune de Millau zu verurteilen, als Gesamtschuldnerin mit SEMEA 5 000 Euro wegen missbräuchlichen Widerstands seitens SEMEA zu zahlen;

–        der Commune de Millau als Gesamtschuldnerin mit SEMEA die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen;

–        die Rechtssache T‑168/10 mit der Rechtssache T‑572/10 zu verbinden.

43      Die Commune de Millau beantragt,

–        das Gericht möge sich für unzuständig erklären und die Kommission an die zuständigen französischen Gerichte verweisen;

–        hilfsweise, die Klage der Kommission als unbegründet abzuweisen;

–        sofern das Gericht dem Antrag der Kommission auf Erstattung stattgeben sollte,

–        die Kommission zu verurteilen, an sie einen Betrag von 41 012 Euro zuzüglich des Betrags zu zahlen, der den Zinsen und Kosten entspricht, die das Gericht der Kommission zuerkennt;

–        die Klage der Kommission bezüglich der Zinsen und Zinseszinsen für die Zeit vor dem 18. November 2005 abzuweisen;

–        alle entgegenstehenden Anträge zurückzuweisen;

–        in jedem Fall der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

44      Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen. Die Parteien haben in der Sitzung vom 29. Februar 2012 mündlich verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.

 Rechtliche Würdigung

45      Nach Anhörung der Parteien sind die Rechtssachen T‑168/10 und T‑572/10 wegen ihres Zusammenhangs zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.

A –  Rechtssache T‑168/10

46      Die Rechtssache T‑168/10 betrifft die Klage der Kommission gegen SEMEA und die Widerklage von SEMEA.

1.     Zur Klage der Kommission

a)     Zur Zulässigkeit der Klage

47      Gemäß Art. 272 AEUV und Art. 256 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV ist das Gericht für Entscheidungen aufgrund einer Schiedsklausel zuständig, die in einem von der Union oder für ihre Rechnung abgeschlossenen öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Vertrag enthalten ist.

48      Gemäß Art. 10 der allgemeinen Bedingungen des Vertrags ist für alle Rechtsstreitigkeiten zwischen den Parteien, die den Vertrag betreffen, ausschließlich der Gerichtshof der Europäischen Union zuständig.

49      Nach den Art. 272 AEUV und 256 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV und Art. 10 der allgemeinen Bedingungen des Vertrags ist das Gericht somit für die Entscheidung über die Klage der Kommission zuständig. Art. 10 der allgemeinen Vertragsbedingungen ist so weit gefasst, dass er für alle Klagen der Kommission gilt, die den Vertrag betreffen, und zwar sowohl für solche, die unmittelbar auf die vertraglichen Vereinbarungen gestützt werden, als auch für solche, die auf die ergänzenden Vorschriften des anwendbaren Vertragsrechts, wie die Vorschriften über ungerechtfertigte Bereicherung, gestützt werden.

50      Im Rahmen ihrer Unzulässigkeitseinrede hat sich SEMEA auf zwei Unzulässigkeitsgründe berufen, die zum einen auf die Löschung von SEMEA im Handelsregister und zum anderen auf die Vertretung von SEMEA gestützt werden. Nur der erste Grund wird im vorliegenden Urteil geprüft, da SEMEA in der mündlichen Verhandlung auf die Geltendmachung des zweiten Grundes verzichtet hat.

51      Der Vertreter von SEMEA ist der Auffassung, die Rechtspersönlichkeit von SEMEA sei infolge ihres Rechnungsabschlusses vom 21. November 2008 und ihrer am 9. Dezember 2008 erfolgten Löschung im Handelsregister erloschen. Die Klage der Kommission sei daher unzulässig.

52      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist eine Klage gegen eine Gesellschaft unzulässig, wenn diese Gesellschaft bei Erhebung der Klage nicht rechts- und parteifähig war. Anwendbares Recht ist insoweit das Recht, das die Gründung der fraglichen Gesellschaft regelt (Urteil des Gerichtshofs vom 17. März 2005, Kommission/AMI Semiconductor Belgium u. a., C‑294/02, Slg. 2005, I‑2175, Randnr. 60).

53      Im vorliegenden Fall wurde SEMEA in der Form einer Société d’économie mixte locale (örtliche gemischtwirtschaftliche Gesellschaft) gegründet, die sich nach französischem Recht, insbesondere nach Art. L 1522‑1 des Code général des collectivités territoriales (allgemeines Gesetzbuch der französischen Gebietskörperschaften) regelt, der bestimmt, dass die Société d’économie mixte locale die Rechtsform einer Aktiengesellschaft nach Buch II des Code de commerce (Handelsgesetzbuch) hat. Somit ist nach diesem Recht zu prüfen, ob SEMEA bei Erhebung der Klage rechts- und parteifähig war.

54      Obwohl Art. L 237‑2 Abs. 2 des Code de commerce, der auf Handelsgesellschaften wie SEMEA anwendbar ist, vorsieht, dass die Rechtspersönlichkeit der Gesellschaft nur für die Zwecke der Liquidation und nur so lange fortdauert, bis diese abgeschlossen ist, hat die französische Rechtsprechung für das französische Recht anerkannt, dass die Rechtspersönlichkeit unter bestimmten Voraussetzungen auch nach Beendigung der Liquidation und deren Bekanntmachung fortbestehen kann.

55      Die Cour de cassation hat entschieden, dass die Rechtspersönlichkeit einer Gesellschaft nach französischem Recht fortdauert, solange die Forderungen und Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht erloschen sind (Cass. Com., 12. April 1983, Nr. 81‑14055, Bull. Com., Nr. 113; Cass. 3e Civ., 31. Mai 2000, Nr. 98‑19435, Bull. 2000, III, Nr. 120, S. 80). So besteht eine aufgelöste Gesellschaft fort, wenn sie Partei eines noch anhängigen Verfahrens ist (Cass. Com., 26. Januar 1993, Nr. 91‑11285, Bull. Civ. 1193, IV, Nr. 33) oder wenn ein Dritter gegenüber der Gesellschaft eine Forderung geltend macht, die ihre Grundlage in einer Tätigkeit der Gesellschaft hat (Cass. Com., 2. Mai 1985, Nr. 83‑17409, Bull. Civ. 1985, IV, Nr. 139). Der Gläubiger, der meint, in seinen Rechten verletzt zu sein, und der die Liquidation wiedereröffnen will, muss daher gerichtlich beantragen, einen Ad-hoc-Bevollmächtigten zu bestellen, der die Gesellschaft in dem gegen sie eingeleiteten Klageverfahren vertritt.

56      Im vorliegenden Fall forderte die Kommission SEMEA mit Schreiben vom 27. April 1993, 18. November 2005, 16. Februar 2006, 29. November 2006, 30. Januar 2007, 26. Oktober 2007, 10. Dezember 2007, 7. Januar 2008 und 21. Februar 2008 auf, die streitige Forderung zu begleichen (vgl. oben, Randnrn. 11 bis 27). Die Kommission meldete sich somit bei der SEMEA mehrfach während des Liquidationsverfahrens und sogar schon vor diesem Verfahren. Dennoch wurde am 9. Dezember 2008 die Liquidation beendet und die SEMEA im Handelsregister gelöscht, ohne dass dem Erstattungsverlangen der Kommission nachgekommen worden war und ohne dass daher der Rechtsstreit mit der Kommission abgeschlossen worden war. Folglich können die Forderungen und Verbindlichkeiten der Gesellschaft SEMEA nicht als erloschen angesehen werden.

57      Infolgedessen besteht die Rechtspersönlichkeit von SEMEA für die Zwecke des vorliegenden Rechtsstreits fort. Der Unzulässigkeitsgrund, der auf die Löschung im Handelsregister gestützt wird, ist somit zurückzuweisen.

58      Die Klage der Kommission gegen SEMEA ist daher zulässig.

b)     Zur Begründetheit der Klage

59      Mit ihrer Klage beantragt die Kommission, SEMEA zur Erstattung des Hauptbetrags von 41 012 Euro, zur Zahlung der Zinsen und zur Zahlung von 5 000 Euro als Ersatz des erlittenen Schadens zu verurteilen.

 Zum Antrag auf Erstattung des Hauptbetrags

60      Mit ihrem ersten Antrag begehrt die Kommission erstens, SEMEA zur Erstattung eines Betrags von 41 012 Euro zu verurteilen. Sie ist der Auffassung, dass ihr dieser Betrag geschuldet sei.

–       Zum anwendbaren Recht

61      Zunächst ist das anwendbare Recht zu bestimmen.

62      Aus Art. 6 des Vertrags ergibt sich, dass der Vertrag französischem Recht unterliegt. Das französische Recht regelt die Verträge unterschiedlich, je nachdem ob es sich um einen zivilrechtlichen Vertrag oder um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt. Da die Art. 272 AEUV und 340 AEUV es nicht verbieten, dass ein Vertrag mit der Union einer öffentlich-rechtlichen Regelung unterliegt (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 10. April 2003, Parlament/SERS und Ville de Strasbourg, C‑167/99, Slg. 2003, I‑3269, Randnr. 113), ist zunächst zu bestimmen, ob der streitige Vertrag dem Zivilrecht oder dem öffentlichen Recht angehört, damit die im vorliegenden Fall anwendbare rechtliche Regelung festgelegt werden kann.

63      Die Rechtsprechung des Tribunal des conflits (Kompetenzkonfliktgericht) und des Conseil d’État bindet das Vorliegen eines öffentlich-rechtlichen Vertrags an das Zusammentreffen von zwei Voraussetzungen, nämlich einer persönlichen und einer sachlichen. Vorbehaltlich gesetzlicher Zuständigkeitszuweisungen ist ein Vertrag öffentlich-rechtlich, wenn zumindest eine öffentliche Person Vertragspartei ist und der Vertrag entweder eine vom allgemeinen Recht abweichende Klausel enthält (Conseil d’État, 31. Juli 1912, Nr. 30701, Slg. S. 909; Tribunal des conflits, 21. Mai 2011, Nr. 3228), die Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betrifft (Conseil d’État, 20. April 1956, Nr. 98637, Slg. S. 167, und 20. April 1956, Nr. 33961, Slg. S. 168; Tribunal des conflits, 29. Dezember 2004, Nr. 3437) oder den Vertragspartner oder die Verwaltung an der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen beteiligt.

64      Eine abweichende Klausel ist eine Klausel, die der öffentlichen Person Rechte einräumt und dem Vertragspartner Pflichten auferlegt, die ihrer Art nach von denen abweichen, die von einer beliebigen Person im Rahmen bürgerlich- oder handelsrechtlicher Gesetze übernommen werden können (Conseil d’État, 20. Oktober 1950, Slg. S. 505; Tribunal des conflits, 15. November 1999, Nr. 03144). Abweichend sind daher solche Klauseln, die in privatrechtlichen Verträgen rechtlich undenkbar wären, weil sie die Ausübung hoheitlicher Befugnisse zu erkennen geben.

65      Im vorliegenden Fall wurde der streitige Vertrag zwischen der Gemeinschaft, die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Person des öffentlichen Rechts im Sinne des französischen Rechts darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil Parlament/SERS und Ville de Strasbourg, oben in Randnr. 62 angeführt, Randnrn. 2 und 113), und SEMEA geschlossen, einer Person des französischen Privatrechts.

66      Im Hinblick auf das französische Verwaltungsrecht gehört überdies zu den gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen jede Handlung, die den Inhalt einer Politik, insbesondere einer Politik der Union wie die Regionalpolitik, verwirklichen soll. Aus Art. 1 des Vertrags ergibt sich, dass sich der Vertrag auf den finanziellen Beitrag bezieht, den die Gemeinschaft im Rahmen ihrer Regionalpolitik für die Durchführung von Arbeiten zur Vorbereitung und Eröffnung eines Centre européen d’entreprise locale in Millau leisten soll. Der Vertrag betrifft damit die Erbringung der gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen, die Gegenstand der Regionalpolitik der Gemeinschaft sind.

67      Darüber hinaus sieht Art. 10 des Vertrags vor, dass vom Vertrag einseitig zurückgetreten werden kann, wenn keine oder nur unzureichende Mittel verfügbar sind. Zwar ist das einseitige Rücktrittsrecht nicht zwingend ein Merkmal für das Vorliegen einer vom allgemeinen Recht abweichenden Klausel (Tribunal des conflits, 20. Februar 2008, Nr. 3623). Es kommt auf die Merkmale und den Gegenstand des Vertrags an (vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Rapporteur public vor dem Conseil d’État, 19. November 2010, Nr. 331837). Im vorliegenden Fall jedoch ist die Klausel angesichts des in der vorstehenden Randnummer erwähnten Vertragsgegenstands als eine vom allgemeinen Recht abweichende Klausel anzusehen, weil sie der Kommission das Recht auf Beendigung der Vertragsbeziehungen allein aus finanziellen Gründen einräumt.

68      Hieraus folgt, dass es sich vorliegend um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag handelt.

–       Zur Forderung der Union gegen SEMEA

69      Es ist sodann die Rechtsgrundlage zu bestimmen, auf die die Kommission ihren Erstattungsantrag stützen kann.

70      Gemäß Art. 4 des Vertrags darf der Beitrag der Kommission 50 % der gerechtfertigten Kosten der Arbeiten nicht übersteigen. Der Artikel regelt somit die von der Kommission zu leistende Zahlung. Der Vertrag enthält indessen keine Vereinbarung über die Erstattung zu Unrecht gezahlter Beträge. Es sind somit die Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung anzuwenden.

71      Die Bestimmungen des Art. 1376 des Code civil haben allgemeine Geltung und finden sowohl auf öffentliche Personen als auch auf Privatpersonen Anwendung (Conseil d’État, 1. Dezember 1961, Slg. S. 675). Nach dieser Vorschrift ist, wer irrtümlicherweise oder wissentlich von der Verwaltung etwas erhalten hat, was ihm nicht geschuldet war, verpflichtet, es ihr zurückzugeben.

72      Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Kommission hatte an SEMEA einen Betrag von insgesamt 135 000 ECU gezahlt. Wie sich aus Art. 4 des Vertrags ergibt, durfte der Beitrag der Kommission 50 % der gerechtfertigten Kosten der Arbeiten nicht übersteigen. Aufgrund einer im Juni und Juli 1992 durchgeführten Kontrolle hatte die Kommission jedoch festgestellt, dass die Ausgaben nur 187 977 ECU betrugen. Da diese Feststellung von SEMEA nicht bestritten wird, waren die Zahlungen der Union an SEMEA nur in Höhe von 93 988 ECU gerechtfertigt.

73      Nach Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1103/97 des Rates vom 17. Juni 1997 über bestimmte Vorschriften im Zusammenhang mit der Einführung des Euro (ABl. L 162, S. 1) schließlich wird jede Bezugnahme auf die Ecu durch eine Bezugnahme auf den Euro zum Kurs von 1 Euro für 1 Ecu ersetzt.

74      SEMEA war somit verpflichtet, der Union den ungerechtfertigt erhaltenen Betrag von 41 012 Euro zurückzuzahlen.

–       Zu den Einwänden von SEMEA

75      SEMEA bestreitet nicht, dass die streitige Forderung entstanden ist, macht aber geltend, die Kommission könne sich auf sie nicht mehr berufen. Erstens ist sie der Auffassung, die streitige Forderung sei aufgrund eines Verzichts oder Erlasses seitens der Kommission erloschen. Zweitens sei SEMEA von der Verbindlichkeit infolge ihrer Übernahme durch die Commune de Millau befreit worden. Drittens sei die streitige Forderung verjährt. In jedem Fall könne die streitige Forderung sie nicht treffen, da sie im Handelsregister gelöscht worden sei.

76      Die Einwände sind unbegründet.

77      Was erstens den Einwand von SEMEA betrifft, es liege ein Verzicht oder ein Erlass seitens der Kommission vor, ist festzustellen, dass nach den Prozessakten das Vorliegen eines derartigen Rechtsakts nicht festgestellt werden kann. Allein der Umstand nämlich, dass sich aus dem Protokoll des Vereins CEI 12 von Februar 1995 ergibt, dass die Kommission auf die Geltendmachung ihrer Forderung letztlich verzichtet habe, genügt nicht, um festzustellen, dass ein Verzicht oder Erlass seitens der Kommission vorliegt. Aus dem festgestellten Sachverhalt geht vielmehr hervor, dass die Kommission dauernd die Bezahlung der streitigen Forderung verlangte (vgl. oben, insbesondere die Randnrn. 11, 13, 14, 16, 18, 19, 22, 23, 25 und 27).

78      Zweitens ist das Vorbringen von SEMEA zurückzuweisen, wonach die Übernahme ihrer Verbindlichkeit durch die Commune de Millau sie von dieser Verbindlichkeit befreit habe. Es ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 1165 des Code civil Verträge nur zwischen den Vertragsparteien Wirkung entfalten und dass sie zum Nachteil eines Dritten nicht und zu dessen Vorteil nur im Fall des Art. 1121 des Code civil gereichen. Ein Schuldner kann sich daher durch einen Vertrag, den er mit einem Dritten schließt, ohne die Zustimmung des Gläubigers nicht von der Verbindlichkeit befreien (vgl. Cass. 1re Civ., 2. Juni 1992, Nr. 90‑17499, Bull. 1992, I, Nr. 168, S. 115; Cass. 1re Civ., 30. April 2009, Nr. 08‑11093, Bull. 2009, I, Nr. 82). Unstreitig aber hat die Kommission der Übernahme der Verbindlichkeit durch die Commune de Millau nicht zugestimmt.

79      SEMEA kann sich ferner nicht auf Art. 1844-5 Abs. 3 des Code civil berufen, der bestimmt, dass, wenn „die Gesellschaft aufgelöst [wird], … das gesamte Gesellschaftsvermögen ohne Liquidation auf den Alleingesellschafter [übergeht]“, da die Voraussetzungen dieser Bestimmung vorliegend nicht erfüllt sind. Aus dem Protokoll der außerordentlichen Hauptversammlung von SEMEA vom 21. November 2008 ergibt sich nämlich, dass die Commune de Millau nicht Alleingesellschafter von SEMEA war.

80      Art. L 2131‑1 des Code général des collectivités territoriales in Verbindung mit Art. L 2132‑2 des genannten Code bestimmt, dass bestimmte abschließend aufgeführte Rechtsakte der kommunalen Behörden von Rechts wegen vollstreckbar sind, sobald sie veröffentlicht, durch Aushang bekannt gemacht oder den Betroffenen zugestellt worden sind sowie dem Vertreter des Staates im Departement oder dessen Bevollmächtigtem im Arrondissement vorgelegt worden sind. Die Commune de Millau legte den Beschluss vom 18. Dezember 2008, mit dem sie zum einen „die Liquidation von SEMEA bestätigte“ und zum anderen „die Vermögenswerte und Verbindlichkeiten der Gesellschaft übernahm“, zur Rechtmäßigkeitskontrolle vor. Sie kann damit jedoch SEMEA nicht von ihrer Verbindlichkeit gegenüber der Gemeinschaft befreit haben. Die bloße Vorlage eines Schriftstücks zur Rechtmäßigkeitskontrolle kann für eine Gebietskörperschaft keine Ermächtigung sein, von den Rechtsvorschriften abzuweichen, die vorstehend in Randnr. 78 angeführt sind und denen zufolge die Schuldübernahme durch einen Dritten mangels Zustimmung des Gläubigers den Schuldner im Verhältnis zum Gläubiger nicht befreit.

81      Drittens macht SEMEA geltend, die streitige Forderung sei verjährt. Die Forderung unterliege der zehnjährigen Verjährung nach Art. L 100‑4 des Code de commerce in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Gesetzes Nr. 2008‑561 vom 17. Juni 2008 zur Reform der Verjährung in Zivilsachen (JORF vom 18. Juni 2008, S. 9856), das am 19. Juni 2008 in Kraft trat (im Folgenden: Gesetz vom 17. Juni 2008). Die Kommission ist dagegen der Auffassung, dass die streitige Forderung einer 30-jährigen Frist unterliege und somit nicht verjährt sei.

82      In diesem Zusammenhang ist zunächst zu prüfen, ob die streitige Forderung nicht der zehnjährigen Verjährung unterliegt, die in Art. L 110‑4 des Code de commerce in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 17. Juni 2008 vorgesehen ist. Nach dieser Vorschrift verjähren die Ansprüche, die im Handelsverkehr zwischen Kaufleuten oder zwischen Kaufleuten und Nichtkaufleuten entstanden sind, in zehn Jahren, sofern sie nicht einer besonderen kürzeren Verjährung unterliegen.

83      Der Vertrag betraf die Zahlung einer Subvention durch die Kommission, deren Zweck die Erbringung gemeinwirtschaftlicher Dienstleistungen als Teil der Regionalpolitik der Union war. Folglich kann nicht davon ausgegangen werden, dass die sich insoweit ergebenden Verbindlichkeiten, zu denen die streitige Forderung zählt, im Handelsverkehr zwischen der Kommission und SEMEA entstanden sind. Hieraus folgt, dass die zehnjährige Verjährung nach Art. L 110‑4 des Code de commerce in der Fassung vor dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 17. Juni 2008 die streitige Forderung nicht erfassen kann (Conseil d’État, 31. Juli 1992, Nr. 69661, RTD 1993, S. 87).

84      Sodann ist festzustellen, dass die streitige Forderung, die auch keiner anderen besonderen Verjährung unterliegt, nicht verjährt ist.

85      Zu dem Zeitpunkt, zu dem die streitige Forderung entstand, nämlich spätestens im Juni 1992, als die Dienststellen der Kommission eine Kontrolle durchführten, die die Erbringung der im Vertrag vorgesehenen Leistungen zum Gegenstand hatte, unterlag die streitige Forderung der 30-jährigen Verjährung nach Maßgabe der Grundsätze, von denen sich Art. 2262 des Code civil in der damals geltenden Fassung leiten ließ (Conseil d’État, 8. Juli 2005, Nr. 247976, Slg. Dalloz 2005, S. 3075). Diese 30-jährige Frist war jedoch am Tag der Klageerhebung nicht abgelaufen.

86      Zwar hat das Gesetz vom 17. Juni 2008 die Bestimmungen des vorstehend genannten Art. 2262 des Code civil aufgehoben und den neuen Art. 2224 eingeführt, wonach die Ansprüche grundsätzlich in fünf Jahren beginnend mit dem Tag verjähren, an dem der Inhaber des Anspruchs von dem Sachverhalt Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen, aufgrund dessen er den Anspruch geltend machen konnte.

87      Selbst wenn man jedoch annehmen wollte, dass diese fünfjährige Verjährung auf die streitige Forderung Anwendung findet, ist festzustellen, dass nach Art. 2222 Abs. 2 des Code civil in der Fassung nach dem Inkrafttreten des Gesetzes vom 17. Juni 2008 die neue Frist an dem Tag des Inkrafttretens des Gesetzes vom 17. Juni 2008 zu laufen beginnt, d. h. am 19. Juni 2008, so dass im Zeitpunkt der Klageerhebung die Verjährung noch nicht eingetreten wäre.

88      Die streitige Forderung ist somit nicht verjährt.

89      Viertens ist der Einwand von SEMEA zurückzuweisen, die Beendigung ihrer Liquidation und ihre Löschung im Handelsregister habe zum Erlöschen der streitigen Forderung geführt. Wie oben dargelegt (vgl. oben, Randnr. 55), besteht die Rechtspersönlichkeit von SEMEA auch nach ihrer Löschung fort, da die streitige Forderung nicht getilgt wurde.

90      SEMEA ist somit zur Erstattung von 41 012 Euro zu verurteilen.

 Zum Antrag auf Zahlung von Verzugszinsen

91      Mit ihrem ersten Antrag begehrt die Kommission zweitens, SEMEA zur Zahlung von Verzugszinsen in Höhe des in Frankreich geltenden gesetzlichen Jahreszinssatzes zu verurteilen. Sie beantragt, SEMEA zu verurteilen, Zinsen seit 10. März 1992 gemäß Art. 1378 des Code civil und, hilfsweise, seit 27. April 1993 nach Art. 1153 des Code civil zu zahlen. In ihrem zweiten Antrag beantragt die Kommission, anzuordnen, dass die Zinsen nach Art. 1154 des Code civil ihrerseits zu verzinsen sind.

92      Bezüglich der Aufforderung zur Zahlung von Zinsen seit 10. März 1992, d. h. seit dem Zeitpunkt der letzten Zahlung der Kommission, ist darauf hinzuweisen, dass Zinsen von diesem Zeitpunkt an nur zu zahlen sind, wenn der Empfänger der rechtsgrundlos geleisteten Zahlungen bösgläubig war. In diesem Fall nämlich ist auf die Bestimmungen des Art. 1378 des Code civil zurückzugreifen, der bestimmt: „War der Empfänger bösgläubig, hat er das Kapital einschließlich Zinsen oder Nutzungen seit dem Tag der Zahlung herauszugeben.“ War der Empfänger nicht bösgläubig, findet die allgemeine Regelung gemäß Art. 1153 des Code civil Anwendung (Conseil d’État, 4. Februar 2000, Nr. 202981, Slg. S. 31).

93      Im vorliegenden Fall trägt die Kommission nichts vor, was die Feststellung erlaubt, dass SEMEA vor dem Erstattungsverlangen der Kommission bösgläubig war. Der Antrag der Kommission, SEMEA zur Zahlung von Verzugszinsen seit 10. März 1992 zu verurteilen, ist somit zurückzuweisen.

94      Bezüglich des Antrags auf Zahlung von Zinsen seit 27. April 1993 ist auf die Bestimmungen des Art. 1153 des Code civil hinzuweisen: „Bei Verpflichtungen zur Zahlung eines bestimmten Betrags entsteht ein Anspruch auf Zinsen wegen verspäteter Erfüllung nur in Höhe der gesetzlichen Zinsen …“ Werden Verzugszinsen verlangt, beginnt die Verzinsung nach Art. 1153 des Code civil unabhängig von dem Zeitpunkt des Verlangens mit dem Tag, an dem die Aufforderung zur Zahlung des Hauptbetrags dem Schuldner zugegangen ist oder, wenn vor der Anrufung des Gerichts eine solche Zahlungsaufforderung nicht erfolgt ist, an dem Tag der Anrufung des Gerichts (Conseil d’État, 13. Dezember 2002, Nr. 203429, Slg. S. 460).

95      Im vorliegenden Fall verlangte die Kommission die Begleichung der streitigen Forderung erstmals am 27. April 1993. Somit ist SEMEA zur Zahlung von Verzugszinsen in Höhe des in Frankreich geltenden gesetzlichen Jahreszinssatzes seit dem genannten Zeitpunkt zu verurteilen.

96      Gemäß Art. 1154 des Code civil „[können] [f]ällige Kapitalzinsen … aufgrund einer gerichtlichen Mahnung oder einer Sondervereinbarung Zinsen bringen, vorausgesetzt, dass es bei der Mahnung oder der Vereinbarung um Zinsen geht, die mindestens für ein ganzes Jahr geschuldet werden“. Für die Anwendung der vorstehend genannten Bestimmungen kann die Kapitalisierung der Zinsen jederzeit in der Tatsacheninstanz beantragt werden. Dieser Antrag wird jedoch frühestens zum Zeitpunkt seines Eingangs bei Gericht wirksam und nur, sofern zu diesem Zeitpunkt Zinsen für ein ganzes Jahr geschuldet sind. Die Kapitalisierung erfolgt gegebenenfalls erneut mit Ablauf jeder weiteren Jahresfrist, ohne dass hierfür ein erneuter Antrag erforderlich ist (Conseil d’État, 13. Dezember 2002, oben in Randnr. 94 angeführt).

97      Im vorliegenden Fall hat die Kommission die Kapitalisierung der Zinsen in ihrer Klageschrift beantragt, die am 15. April 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist. Zu diesem Zeitpunkt waren Zinsen für mindestens ein Jahr geschuldet. Somit ist anzuordnen, dass die bis zum 15. April 2010 angefallenen und danach jährlich anfallenden Zinsen ihrerseits zu verzinsen sind.

 Zum Antrag auf Zahlung von Schadensersatz

98      Mit ihrem dritten Antrag beantragt die Kommission, SEMEA zur Zahlung eines Betrags von 5 000 Euro als Ersatz des erlittenen Schadens zu verurteilen. Sie ist der Auffassung, ihr stehe dieser Betrag gemäß Art. 1147 des Code civil wegen des ihr aufgrund des missbräuchlichen Widerstands von SEMEA entstandenen Schadens zu. In diesem Zusammenhang macht die Kommission geltend, sie habe, um SEMEA von der Richtigkeit ihrer Ausführungen zu überzeugen, für zahlreiche Schreiben, Mahnschreiben und sonstige Handlungen Personal in erheblichen Umfang einsetzen müssen. SEMEA habe demgegenüber ständig unzutreffende und wirkungslose Ausführungen gemacht, um sich ihrer Verpflichtungen zu entziehen oder deren Erfüllung zu verzögern.

99      Nach Art. 21 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs, der gemäß Art. 53 Abs. 1 der Satzung auf das Verfahren vor dem Gericht anwendbar ist, und nach Art. 44 § 1 Buchst. c der Verfahrensordnung des Gerichts muss die Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. Diese Angaben müssen hinreichend klar und genau sein, damit der Beklagte seine Verteidigung vorbereiten und das Gericht, gegebenenfalls auch ohne weitere Informationen, über die Klage entscheiden kann. Um die Rechtssicherheit und eine ordnungsgemäße Rechtspflege zu gewährleisten, ist es für die Zulässigkeit einer Klage erforderlich, dass sich die tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf die sich die Klage stützt, zumindest in gedrängter Form, aber zusammenhängend und verständlich unmittelbar aus der Klageschrift ergeben.

100    Im vorliegenden Fall beschränkt sich die Kommission jedoch auf die Beantragung eines Betrags von 5 000 Euro, ohne darzulegen, inwiefern dieser den von ihr geltend gemachten einzelnen Schadensposten entspricht. Der Antrag ist somit als unsubstantiiert zurückzuweisen.

c)     Schlussfolgerungen für die Klage der Kommission

101    Den Anträgen der Kommission, SEMEA zur Erstattung des Hauptbetrags von 41 012 Euro und zur Zahlung von Verzugszinsen in Höhe des in Frankreich geltenden gesetzlichen Jahreszinssatzes für die Zeit vom 27. April 1993 bis zur vollständigen Zahlung des genannten Betrags zu zahlen, ist somit stattzugeben. Ferner ist anzuordnen, dass die am 15. April 2010 angefallenen und danach jährlich anfallenden Verzugszinsen ihrerseits zu verzinsen sind.

102    Im Übrigen ist die Klage der Kommission abzuweisen.

2.     Zur Widerklage von SEMEA

103    Für den Fall, dass das Gericht dem Erstattungsantrag der Kommission stattgibt, hat SEMEA Widerklage erhoben. Die Widerklage wird auf Art. 340 AEUV und Art. 41 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. 2007, C 303, S. 1) gestützt. Sie ist somit eine Klage wegen außervertraglicher Haftung der Union.

104    SEMEA ist der Auffassung, die Kommission habe gegen ihre Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung und den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen, indem sie nach ihrem Erstattungsverlangen vom 27. April 1993 zwölf Jahre gewartet habe, bevor sie sich bei SEMEA am 18. November 2005 wieder gemeldet habe. Die Kommission sei daher verpflichtet, ihr den Betrag zu erstatten, zu dem sie verurteilt werde.

105    Nach Auffassung des Gerichts ist zunächst die Begründetheit der Widerklage zu prüfen (Urteile des Gerichtshofs vom 26. Februar 2002, Rat/Boehringer, C‑23/00 P, Slg. 2002, I‑1873, Randnrn. 51 und 52, und vom 23. März 2004, Frankreich/Kommission, C‑233/02, Slg. 2004, I‑2759, Randnr. 26).

106    Nach ständiger Rechtsprechung ist die außervertragliche Haftung der Union an das Zusammentreffen mehrerer Voraussetzungen geknüpft: Das den Gemeinschaftsorganen vorgeworfene Verhalten muss rechtswidrig sein, es muss ein tatsächlicher und sicherer Schaden entstanden sein, und zwischen dem Verhalten des betreffenden Organs und dem angeblichen Schaden muss ein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang bestehen (Urteil des Gerichtshofs vom 29. September 1982, Oleifici Mediterranei/EWG, 26/81, Slg. 1982, 3057, Randnr. 16, und Urteil des Gerichts vom 9. Juli 1999, New Europe Consulting und Brown/Kommission, T‑231/97, Slg. 1999, II‑2403, Randnr. 29).

107    Liegt eine dieser Voraussetzungen nicht vor, ist die Klage insgesamt abzuweisen, ohne dass die übrigen Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung der Gemeinschaft zu prüfen wären (Urteil des Gerichtshofs vom 15. September 1994, KYDEP/Rat und Kommission, C‑146/91, Slg. 1994, I‑4199, Randnr. 81, und Urteil des Gerichts vom 10. Dezember 2009, Antwerpse Bouwwerken/Kommission, T‑195/08, Slg. 2009, II‑4439, Randnr. 91).

108    Im vorliegenden Fall genügt somit die Feststellung, dass zwischen dem Verhalten der Kommission und dem angeblichen Schaden kein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang besteht.

109    Bezüglich des Hauptbetrags von 41 012 Euro, den SEMEA der Kommission zu erstatten hat, genügt es nämlich, festzuhalten, dass es um eine Forderung geht, der die Rückforderung zu viel gezahlter Beträge zugrunde liegt, und dass, da diese Forderung nicht verjährt ist, SEMEA die Forderung auf jeden Fall hätte bezahlen müssen, selbst wenn die Kommission nicht zwölf Jahre gewartet hätte, bis sie sich wieder bei ihr meldete.

110    Bezüglich der Zahlung von Verzugszinsen ist darauf hinzuweisen, dass die Kumulierung von Zinsen eine unmittelbare Folge des Verhaltens von SEMEA ist, die dem Erstattungsverlangen der Kommission nicht nachgekommen ist. Es besteht somit kein unmittelbarer ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Kommission und diesem Schaden.

111    Die Widerklage von SEMEA ist somit abzuweisen, ohne dass deren Zulässigkeit geprüft zu werden braucht.

B –  Rechtssache T‑572/10

112    Die Rechtssache T‑572/10 betrifft die Klage der Kommission gegen die Commune de Millau und die Widerklage der Letzteren.

1.     Zur Klage der Kommission

113    Die Kommission hat ihre Klage gegen die Commune de Millau erhoben, nachdem sie erfahren hatte, dass die Commune de Millau die Übernahme sämtlicher Vermögenswerte und Verbindlichkeiten von SEMEA beschlossen hatte.

a)     Zur Zuständigkeit des Gerichts

114    Die Kommission ist der Ansicht, die Commune de Millau unterliege einer Schiedsklausel im Sinne von Art. 272 AEUV. Ohne die Einrede der Unzuständigkeit mit besonderem Schriftsatz nach Art. 114 der Verfahrensordnung zu erheben, macht die Commune de Millau dagegen geltend, die Klage der Kommission sei abzuweisen, da sie vor einem unzuständigen Gericht erhoben worden sei. Die Kommission könne ihr nicht eine Schiedsklausel im Sinne von Art. 272 AEUV entgegenhalten.

115    In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das Gericht im ersten Rechtszug nur für Rechtsstreitigkeiten aus Verträgen zuständig ist, die bei ihm aufgrund einer Schiedsklausel anhängig gemacht werden. Wäre das nicht so, würde das Gericht seine Zuständigkeit über die Rechtsstreitigkeiten hinaus ausdehnen, deren Entscheidung ihm durch Art. 272 AEUV abschließend vorbehalten ist (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse des Gerichts vom 3. Oktober 1997, Mutual Aid Administration Services/Kommission, T‑186/96, Slg. 1997, II‑1633, Randnr. 47, und vom 12. Dezember 2005, Natexis Banques Populaires/Robobat, T‑360/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 12).

116    Die Zuständigkeit des Gerichts nach Art. 272 AEUV stellt eine Abweichung vom allgemeinen Recht dar und ist daher eng auszulegen (Urteil des Gerichtshofs vom 18. Dezember 1986, Kommission/Zoubek, 426/85, Slg. 1986, 4057, Randnr. 11). Das Gericht kann somit über eine Vertragsrechtsstreitigkeit nur entscheiden, wenn die Vertragsparteien den Willen erklärt haben, ihm diese Zuständigkeit zu übertragen (Beschluss Mutual Aid Administration Services/Kommission, oben in Randnr. 115 angeführt, Randnr. 46, und Urteil des Gerichts vom 16. Dezember 2010, Kommission/Arci Nuova associazione comitato di Cagliari und Gessa, T‑259/09, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 39). Nur die an einer Schiedsklausel Beteiligten können Parteien einer nach Art. 272 AEUV anhängig gemachten Klage sein (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Dezember 1976, Pellegrini/Kommission und Flexon-Italia, 23/76, Slg. 1976, 1807, Randnr. 31, und Urteil Kommission/Arci Nuova associazione comitato di Cagliari und Gessa, Randnr. 40).

117    Bezüglich des Rechts, nach dem zu prüfen ist, ob zwischen den Parteien des Rechtsstreits eine Schiedsklausel wirksam vereinbart wurde, ist sodann darauf hinzuweisen, dass sich die aufgrund einer Schiedsklausel gegebene Zuständigkeit des Gerichts für die Entscheidung eines Rechtsstreits über einen Vertrag grundsätzlich allein nach den Bestimmungen des Art. 272 AEUV und den Regelungen der Schiedsklausel beurteilt.

118    Diese Auffassung entspricht dem allgemein anerkannten Rechtsgrundsatz, dass jedes Gericht seine eigenen Verfahrensvorschriften anwendet, einschließlich der Zuständigkeitsvorschriften. Zu dem Verfahrensrecht des Gerichts gehören die Bestimmungen des Art. 272 AEUV, nicht die entsprechenden Verfahrensbestimmungen der innerstaatlichen Rechtsordnungen. Im Übrigen ist Art. 272 AEUV gleichermaßen für alle Gerichte als Sondervorschrift anzusehen, ausgestattet mit einem Vorrang gegenüber abweichendem innerstaatlichen Recht (Schlussanträge von Generalanwalt Lenz in der Rechtssache Kommission/Feilhauer, C‑209/90, Urteil des Gerichtshofs vom 8. April 1992, Slg. 1992, I‑2613, I‑2622, Nr. 18).

119    Diese Regel gilt auch in dem Fall, dass das Gericht bei der Prüfung der Begründetheit des Rechtsstreits das für den betreffenden Vertrag maßgebliche nationale Recht anzuwenden hat (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Zoubek, oben in Randnr. 116 angeführt, Randnr. 10, Kommission/Feilhauer, oben in Randnr. 118 angeführt, Randnr. 13, und Beschluss des Gerichts vom 17. Februar 2006, Kommission/Trends, T‑449/04, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 29).

120    Anhand der vorstehend angeführten Rechtsprechung ist zu prüfen, ob die Zuständigkeit des Gerichts für die Klage der Kommission gegen die Commune de Millau auf eine Schiedsklausel im Sinne von Art. 272 AEUV gestützt werden kann.

 Zum Grundsatz der Akzessorietät

121    Die Kommission ist der Auffassung, die Commune de Millau sei durch die Schiedsklausel in Art. 10 der allgemeinen Bedingungen des Vertrags gebunden, weil sie die Verbindlichkeit von SEMEA übernommen habe und weil nach dem französischen Recht die Schiedsklausel als eine vom Bestehen der Verbindlichkeit abhängige Regelung kraft Gesetzes übertragen worden sei. Dagegen macht die Commune de Millau geltend, die Schiedsklausel sei nicht untrennbar mit der Forderung der Kommission verbunden. Außerdem sei im Zeitpunkt der Übernahme der Verbindlichkeit kein Verfahren anhängig gewesen.

122    Da die Ausführungen der Kommission auf das französische Recht gestützt werden, ist zunächst das anwendbare Recht zu bestimmen.

123    Wie dargelegt, bestimmt sich die aufgrund einer Schiedsklausel gegebene Zuständigkeit des Gerichts für die Entscheidung eines Rechtsstreits über einen Vertrag grundsätzlich allein nach den Bestimmungen des Art. 272 AEUV und den Regelungen der Schiedsklausel (vgl. oben, Randnr. 117).

124    In diesem Zusammenhang ist jedoch zu erinnern an die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Gerichtsstandsvereinbarungen im Sinne von Art. 17 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der durch die aufeinanderfolgenden Übereinkommen über den Beitritt neuer Mitgliedstaaten zu diesem Übereinkommen geänderten Fassung (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen), die auch gilt für die Gerichtsstandsvereinbarungen im Sinne von Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1). Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, dass sich zwar die Gültigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung allein nach dem Unionsrecht bestimmt, d. h. nach Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001, dass sich jedoch die Frage, ob eine Gerichtsstandsklausel, die zwischen einem Verfrachter und einem Befrachter (Absender) vereinbart und in ein Konnossement eingefügt wurde, gegenüber einem Drittinhaber des Konnossements wirksam ist, der mit Erwerb des Konnossements in die Rechte und Pflichten des Befrachters eingetreten ist, nach dem anwendbaren nationalen Recht beurteilt (Urteile des Gerichtshofs vom 19. Juni 1984, Russ, 71/83, Slg. 1984, 2417, Randnr. 24, vom 16. März 1999, Castelletti, C‑159/97, Slg. 1999, I‑1597, Randnr. 41, und vom 9. November 2000, Coreck, C‑387/98, Slg. 2000, I‑9337, Randnrn. 22 bis 27).

125    Grundsätzlich wäre somit zu prüfen, ob diese Rechtsprechung, nach der das auf den Vertrag anwendbare nationale Recht für die Frage nach der Rechtsnachfolge in Rechte und Pflichten gilt, im vorliegenden Fall angewandt werden kann. Dies würde eine zweifache analoge Anwendung erfordern. Zum einen nämlich stellt sich die Frage, ob die Rechtsprechung nicht nur auf den Drittinhaber eines Konnossements angewandt werden kann, sondern auch auf einen Dritten, der wegen der Übernahme einer Schuld an die Stelle des ursprünglichen Schuldners tritt und kraft Gesetzes an die der Forderung zugeordneten Nebenrechte gebunden ist. Zum anderen stellt sich die Frage, ob diese Rechtsprechung zu den Gerichtsstandsvereinbarungen im Sinne von Art. 17 des Brüsseler Übereinkommens und Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 auch auf eine Schiedsklausel im Sinne von Art. 272 AEUV anwendbar ist.

126    Für die Zwecke der vorliegenden Rechtssache brauchen diese Fragen jedoch nicht beantwortet zu werden. Selbst wenn nämlich das französische Recht anwendbar wäre, wäre die zwischen SEMEA und der Kommission vereinbarte Schiedsklausel nicht als Nebenrecht der gegenüber SEMEA bestehenden Forderung auf die Commune de Millau übertragen worden.

127    Wie dargelegt (vgl. oben, Randnr. 78), hätte eine etwaige Übernahme der Schuld von SEMEA durch die Commune de Millau mangels Zustimmung der Kommission nicht dazu geführt, dass SEMEA von ihrer Schuld gegenüber der Union befreit worden wäre und an ihre Stelle als Schuldnerin die Commune de Millau getreten wäre. Sofern die Übernahme der Schuld durch die Commune de Millau eine Schuld der Letzteren gegenüber der Union entstehen ließ, kann es sich nur um einen Vertrag zugunsten Dritter handeln. Eine solche Vereinbarung aber lässt eine neue Verbindlichkeit der Commune de Millau entstehen, die sich rechtlich von der Verbindlichkeit unterscheidet, die SEMEA bindet. Da die Schuld von SEMEA nicht auf die Commune de Millau übertragen wurde, kann folglich die Schiedsklausel, die SEMEA bindet, nicht als Nebenrecht der gegenüber SEMEA bestehenden Forderung übertragen worden sein.

128    Zwar hindert das französische Recht die Commune de Millau und SEMEA grundsätzlich nicht daran, in einem Vertrag zugunsten Dritter, den diese als Versprechende bzw. Versprechensempfängerin schließen, Inhalt und Art der Schuld von SEMEA gegenüber der Union als Vorbild für Inhalt und Art einer Schuld der Commune de Millau gegenüber der Union zu nehmen. In diesem Fall folgt jedoch die Übernahme der Schiedsklausel nicht aus der Rechtsnachfolge in Rechte und Pflichten im Sinne der vorstehend genannten Rechtsprechung, sondern entspricht dem Willen der Parteien. Die Frage bestimmt sich infolgedessen nicht nach dem französischen Recht, sondern unmittelbar nach Art. 272 AEUV (vgl. oben, Randnrn. 117 und 118).

 Zur Vereinbarung einer Schiedsklausel

129    Es ist sodann das Vorbringen der Kommission zu prüfen, wonach die Commune de Millau durch Übernahme der Schuld von SEMEA einer Schiedsklausel, wie sie in Art. 10 der allgemeinen Bedingungen des Vertrags vorgesehen ist, zugestimmt habe.

130    Zunächst ist festzustellen, dass die Commune de Millau und die Kommission keinen Vertrag geschlossen und somit keine Schiedsklausel vereinbart haben.

131    Sodann ist festzuhalten, dass nach der vorstehend angeführten Rechtsprechung (vgl. oben, Randnrn. 115 bis 119) allein der Umstand, dass SEMEA und die Commune de Millau nach französischem Recht, das auf den Vertrag anwendbar ist, unter Umständen gesamtschuldnerisch haften, nicht geeignet ist, die Zuständigkeit des Gerichts nach Art. 272 AEUV zu begründen (Urteil des Gerichts vom 7. Juli 2010, Kommission/Hellenic Ventures u. a., T‑44/06, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 54).

132    Angesichts der Umstände des vorliegenden Falls stellt sich jedoch die Frage, ob sich die Commune de Millau durch einen mit SEMEA geschlossenen Vertrag zugunsten Dritter einer Schiedsklausel zugunsten der Union unterworfen hat.

133    Zwar sieht Art. 272 AEUV nur die Möglichkeit vor, dass eine Schiedsklausel in einen von der Union geschlossenen Vertrag aufgenommen wird. Der Artikel sieht somit nicht ausdrücklich vor, dass diese Klausel zugunsten Dritter vereinbart werden kann. Auch ist die Zuständigkeit des Gerichts nach Art. 272 AEUV eng auszulegen (vgl. oben, Randnr. 116).

134    Da jedoch eine Schiedsklausel vertraglichen Charakter hat, bestehen keine Bedenken, das Vorliegen dieser Klausel unter Berücksichtigung der allgemeinen Grundsätze des Vertragsrechts der Mitgliedstaaten zu prüfen. Selbst wenn nämlich einer dieser Grundsätze besagt, dass ein Vertrag nur die Vertragsparteien bindet, verwehrt es dieser Grundsatz nicht, dass zwei Parteien einem Dritten durch einen Vertrag zugunsten Dritter ein Recht einräumen.

135    Die Aufnahme einer Schiedsklausel, aufgrund deren die Union einen Rechtsstreit zwischen ihr und der Commune de Millau dem Gericht unterbreiten kann, in den Vertrag zwischen der Commune de Millau und SEMEA verstößt ferner nicht gegen das Erfordernis des Art. 272 AEUV, wonach eine solche Klausel in einem von der Union oder für ihre Rechnung abgeschlossenen Vertrag enthalten sein muss. Zum einen nämlich kann ein Vertrag zugunsten Dritter als ein für Rechnung der Union abgeschlossener Vertrag angesehen werden. Zum anderen ist dieses Erfordernis des Art. 272 AEUV zwar dahin auszulegen, dass die Zuständigkeit des Gerichts für Rechtsstreitigkeiten, die einen Vertrag betreffen, nicht gegen den Willen der Union begründet werden kann. Wird aber eine Schiedsklausel allein zugunsten der Union vereinbart, kann sie der Union nicht gegen ihren Willen entgegengehalten werden.

136    Die verfahrensrechtliche Natur einer Schiedsklausel spricht nicht dagegen, dass sie zugunsten Dritter vereinbart wird. Für die Gerichtsstandsvereinbarungen im Sinne von Art. 17 des Brüsseler Übereinkommens und Art. 23 der Verordnung Nr. 44/2001 hat der Gerichtshof eine derartige Klausel bereits akzeptiert (Urteil des Gerichtshofs vom 14. Juli 1983, Gerling Konzern Speziale Kreditversicherung u. a., 201/82, Slg. 1983, 2503, Randnrn. 10 bis 20).

137    Im vorliegenden Fall ist somit zu prüfen, ob SEMEA und die Commune de Millau sich darüber geeinigt haben, dass die Commune de Millau einer zugunsten der Union vereinbarten Schiedsklausel im Sinne von Art. 272 AEUV unterliegen solle.

138    Aus den allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts ergibt sich, dass sich das Vorliegen eines Vertrags zugunsten Dritter aus einer ausdrücklichen Vereinbarung zwischen dem Versprechensempfänger und dem Versprechenden ergeben kann, mit der einem Dritten ein Recht eingeräumt werden soll. Das Vorliegen eines solchen Vertrags zugunsten Dritter kann auch aus dem Zweck des Vertrags oder den Umständen des Falls abgeleitet werden.

139    Im vorliegenden Fall geht aus den Umständen des Falls, insbesondere aus den tatsächlichen und rechtlichen Angaben im Protokoll des Gemeinderats der Commune de Millau vom 18. Dezember 2010, hervor, dass die Commune de Millau und SEMEA eine Vereinbarung geschlossen haben, wonach die Commune de Millau die Verbindlichkeiten von SEMEA übernehmen sollte und als Gegenleistung deren Vermögenswerte erhalten sollte. Zum einen ergibt sich aus dem Protokoll, dass die Commune de Millau über den Rechtsstreit zwischen SEMEA und der Kommission informiert worden war und die Schuld von SEMEA „in voller Kenntnis der Sachlage“ übernehmen sollte. Zum anderen geht aus dem Protokoll hervor, dass SEMEA als Gegenleistung einen Betrag in Höhe von 82 719,76 Euro, der ihren Vermögenswerten entsprach, auf die Commune de Millau übertragen sollte, damit diese das sich aus der Übernahme der Schuld ergebende Risiko eines Rechtsstreits abdecken konnte.

140    Zwar wird nicht durch jede Vereinbarung, nach der die Schuld der einen Partei durch die andere Partei bezahlt werden soll, zwangsläufig ein neues Recht zugunsten des Gläubigers begründet. Es kann sich um eine ausschließlich interne Übernahme oder um eine Benennung des Empfangsberechtigten handeln. Im vorliegenden Fall jedoch ergibt sich aus dem Zweck der zwischen SEMEA und der Commune de Millau geschlossenen Vereinbarung sowie aus den Umständen des Falls, dass die Parteien eine Forderung der Union gegenüber der Commune de Millau begründen wollten. Erstens nämlich ist festzuhalten, dass das von SEMEA und der Commune de Millau verfolgte Ziel darin bestand, die tatsächlichen oder potenziellen Gläubiger von SEMEA an die Commune de Millau zu verweisen. Zweitens ist daran zu erinnern, dass SEMEA als Gegenleistung für die Übernahme ihrer Schuld durch die Commune de Millau ihre gesamten Vermögenswerte, nämlich 82 719,76 Euro, auf die Commune de Millau übertragen hat. Wie sich aus dem oben genannten Protokoll ergibt, sollte diese Zahlung der Commune de Millau die Möglichkeit geben, das Risiko eines sich aus der Übernahme der Schuld ergebenden Rechtsstreits abzudecken, was ebenfalls für die Begründung einer der Union gegenüber der Commune de Millau bestehenden Forderung spricht. Schließlich kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Commune de Millau, die an den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten gebunden ist, sämtliche Vermögenswerte von SEMEA übernehmen und SEMEA damit zu einer völlig mittellosen Schuldnerin machen wollte, ohne selbst gegenüber der Union die Verpflichtung einzugehen, die Schuld von SEMEA zu begleichen.

141    In Bezug auf die Übernahme der Schiedsklausel macht die Commune de Millau geltend, sie habe einzig und allein die Schuld von SEMEA, nicht aber die Schiedsklausel übernommen. Aus dem Zweck der zwischen SEMEA und der Commune de Millau getroffenen Vereinbarung und den Umständen des Falls ergibt sich jedoch, dass die Commune de Millau im Zeitpunkt der Übernahme gewillt war, sich einer Schiedsklausel, wie sie in Art. 10 der allgemeinen Bedingungen des Vertrags enthalten ist, zu unterwerfen. Wie vorstehend dargelegt, übernahm die Commune de Millau die Schuld von SEMEA gegenüber der Union in voller Kenntnis der Sachlage, somit in Kenntnis des Rechtsstreits zwischen SEMEA und der Union bezüglich der streitigen Forderung. Sie verpflichtete sich damit, eine Schuld zu bezahlen, deren Inhalt und Art sich an der Schuld von SEMEA orientierte. Da SEMEA aufgrund der Schiedsklausel nach Art. 10 der allgemeinen Bedingungen des Vertrags in Bezug auf alle Rechtsstreitigkeiten, die den Vertrag betreffen, gebunden war, unterwarf sich auch die Commune de Millau dieser Klausel. Auch ist festzustellen, dass weder die Commune de Millau noch SEMEA Umstände vorgetragen haben, aus denen zu schließen wäre, dass die Commune de Millau oder SEMEA vor Erhebung der Klage gegen SEMEA Vorbehalte gegen die Übernahme der Schiedsklausel durch die Commune de Millau geltend gemacht haben. Dafür, dass sich die Commune de Millau einer Schiedsklausel unterwarf, sprich außerdem der Umstand, dass SEMEA und die Commune de Millau nicht darauf vertrauen durften, dass die tatsächlichen oder potenziellen Gläubiger bereit sein würden, sich an die Commune de Millau zu wenden, wenn Inhalt oder Art ihrer gegenüber der Commune de Millau bestehenden Forderung weniger günstig als ihre Forderung gegenüber SEMEA war.

142    Schließlich kann dieser Auslegung des Willens der Commune de Millau und von SEMEA nicht entgegengehalten werden, dass diese die Schuld von SEMEA auf die Commune de Millau mit befreiender Wirkung für SEMEA übertragen wollten und dass sich die Commune de Millau der Schiedsklausel ohne diese befreiende Wirkung nicht unterworfen hätte. Ein solcher Irrtum wäre unerheblich, da aus verständlichen Gründen des Gläubigerschutzes eine derartige Übertragung der Schuld nicht ohne Zustimmung der Union hätte erfolgen können.

143    Infolgedessen ist festzustellen, dass die Commune de Millau und SEMEA zugunsten der Union vereinbart haben, dass diese sich gegenüber der Commune de Millau auf eine Schiedsklausel berufen kann, wie sie in Art. 10 der allgemeinen Bedingungen des Vertrags vorgesehen ist.

144    Das Vorliegen dieser Schiedsklausel wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Commune de Millau deren Vorliegen nach Einreichung der Klageschrift der Kommission bestritten hat. Zwar können der Versprechensempfänger und der Versprechende eines Vertrags zugunsten Dritter die Klausel, mit der das betreffende Recht begründet wird, unter bestimmten Voraussetzungen aufheben oder ändern. Nach den allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts ist dies jedoch nicht mehr möglich, nachdem der begünstigte Dritte dem Versprechenden oder dem Versprechensempfänger mitgeteilt hat, dass er von seinem Recht Gebrauch machen will.

145    Was die Form angeht, die für eine Schiedsklausel im Sinne von Art. 272 AEUV vorgeschrieben ist, ist festzustellen, dass diese Vorschrift keine besondere Form vorsieht. Jedoch bestimmt Art. 44 § 5a der Verfahrensordnung, dass mit einer Klageschrift nach Art. 272 AEUV eine Ausfertigung der Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten der Unionsgerichte einzureichen ist. Aus dieser Vorschrift ergibt sich, dass die Schiedsklausel grundsätzlich schriftlich vereinbart sein muss.

146    Art. 44 § 5a der Verfahrensordnung dient jedoch Beweiszwecken, und die vorgeschriebene Förmlichkeit muss dann als gewahrt angesehen werden, wenn die von der Klägerin eingereichten Schriftstücke es dem Gericht ermöglichen, sich davon zu überzeugen, dass die Parteien des Rechtsstreits übereingekommen sind, die Streitigkeit über ihren Vertrag den nationalen Gerichten zu entziehen und den Gerichten der Union zu übertragen (Urteil des Gerichts vom 8. Mai 2007, Citymo/Kommission, T‑271/04, Slg. 2007, II‑1375, Randnr. 56).

147    Im vorliegenden Fall hat die Kommission ihrer Klageschrift zum einen das Protokoll vom 18. Dezember 2008 beigefügt, aus dem sich ergibt, dass die Commune de Millau und SEMEA beschlossen hatten, dass die Commune de Millau die Verbindlichkeiten von SEMEA übernimmt, und zum anderen den Vertrag, aus dem sich der Inhalt der zwischen der Union und SEMEA vereinbarten Schiedsklausel ergibt. Die Kommission hat somit die Förmlichkeit nach Art. 44 § 5a der Verfahrensordnung erfüllt.

148    Was schließlich das Argument der Commune de Millau betrifft, wonach Art. 2060 des Code civil und Art. 48 des Code de procédure civile (Zivilprozessordnung) es verbieten würden, dass die Commune de Millau einer Schiedsklausel nach Art. 272 AEUV unterliege, genügt der Hinweis, dass, selbst wenn es einen Konflikt zwischen diesen Normen gäbe, Art. 272 AEUV gleichermaßen für alle Gerichte als Sondervorschrift anzusehen wäre, ausgestattet mit einem Vorrang gegenüber abweichendem innerstaatlichen Recht (vgl. oben, Randnrn. 117 und 118).

149    Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich, dass sich die Kommission gegenüber der Commune de Millau auf eine Schiedsklausel berufen kann und dass das Gericht daher für die Entscheidung über die Klage der Kommission gegen die Commune de Millau nach Maßgabe der Art. 272 AEUV und 256 Abs. 1 Unterabs. 1 AEUV zuständig ist.

b)     Zur Begründetheit der Klage

150    Mit ihrer Klage beantragt die Kommission, die Commune de Millau zur Erstattung des Hauptbetrags von 41 012 Euro, zur Zahlung der Zinsen und zur Zahlung von 5 000 Euro als Ersatz des erlittenen Schadens zu verurteilen.

 Zum Antrag auf Erstattung des Hauptbetrags

151    Mit ihrem ersten Antrag begehrt die Kommission erstens, die Commune de Millau zur Zahlung von 41 012 Euro zu verurteilen.

152    Da dieser Antrag gegenüber SEMEA begründet ist (vgl. oben, Randnrn. 60 bis 89), bleibt nur die Frage, ob nach französischem Recht auch die Commune de Millau für die Schuld von SEMEA haftet.

153    Da die Union der Übernahme der Schuld von SEMEA durch die Commune de Millau nicht zugestimmt hat, ist zu prüfen, ob die Commune de Millau im Wege eines Vertrags zugunsten Dritter der Union versprochen hat, die Schuld von SEMEA zu bezahlen.

154    Art. 1165 des Code civil bestimmt zwar, dass Verträge nur zwischen den Vertragsparteien Wirkungen entfalten. Aus diesem Artikel geht jedoch auch hervor, dass Verträge einem Dritten zugutekommen können, wenn eine Vereinbarung zugunsten Dritter nach Art. 1121 des Code civil getroffen wird (Conseil d’État, 20. Dezember 1989, Nr. 50815; Conseil d’État, 20. Januar 1992, Nr. 46624; Conseil d’État, 19. Juli 2010, Nr. 318126, und Cour administrative d’appel de Marseille, 21. Oktober 2011, Nr. 09MA00782).

155    In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich aus den vorstehenden Randnrn. 139 und 140 ergibt, dass die Commune de Millau und SEMEA übereingekommen waren, eine neue Forderung der Union gegenüber der Commune de Millau zu begründen.

156    Sodann ist festzustellen, dass die weiteren Voraussetzungen des Art. 1121 des Code civil für das Vorliegen einer Vereinbarung zugunsten Dritter erfüllt sind. Soweit nämlich darüber hinaus ein direktes und unmittelbares Interesse des Versprechensempfängers erforderlich ist, genügt ein einfaches Interesse, das auch ein moralisches Interesse sein kann (Cass. 1re Civ., 26. Februar 1962, Bull. Civ. I, Nr. 124, S. 119; Cass. Com., Cass. 1re Civ., 5. Juni 1984, Bull. Civ. I, Nr. 182). Im vorliegenden Fall besteht dieses Interesse darin, dass SEMEA von der Commune de Millau verlangen kann, dass diese ihre Schuld gegenüber der Union bezahlt.

157    Im Übrigen kann der Gültigkeit der Schuldübernahme seitens der Commune de Millau nicht entgegengehalten werden, dass, da die Schuldübernahme für SEMEA keine befreiende Wirkung hatte, der Zweck der Schuldübernahme nicht eingetreten ist. Der Wegfall des Vertragszwecks begründet lediglich eine relative Nichtigkeit, und die Commune de Millau hat nicht geltend gemacht, dass die Übernahme der Schuld von SEMEA nichtig sei. Zudem liegt der Zweck dieser Schuldübernahme darin, dass auch sämtliche Vermögenswerte von SEMEA auf die Commune de Millau übertragen wurden.

158    Folglich ist festzustellen, dass gemäß Art. 1121 des Code civil die Commune de Millau versprochen hat, die Schuld von SEMEA zu begleichen. Der Antrag der Union, die Commune de Millau zur Erstattung von 41 012 Euro zu verurteilen, ist somit begründet.

 Zum Antrag auf Zahlung der Zinsen

159    Mit ihrem ersten Antrag begehrt die Kommission zweitens, die Commune de Millau zur Zahlung von Verzugszinsen in Höhe des in Frankreich geltenden gesetzlichen Jahreszinssatzes zu verurteilen. Sie beantragt, die Commune de Millau zu verurteilen, Zinsen seit 10. März 1992 gemäß Art. 1378 des Code civil und, hilfsweise, seit 27. April 1993 nach Art. 1153 des Code civil zu zahlen. In ihrem zweiten Antrag beantragt die Kommission, anzuordnen, dass die Zinsen nach Art. 1154 des Code civil ihrerseits zu verzinsen sind.

160    Aus den oben genannten Gründen (vgl. oben, Randnrn. 152 bis 158 und 92 bis 95) ist der Antrag auf Zahlung von Verzugszinsen seit 10. März 1992 zurückzuweisen und die Commune de Millau zur Zahlung von Verzugszinsen seit 27. April 1993 zu verurteilen.

161    Bezüglich des Antrags auf Kapitalisierung der Zinsen gemäß Art. 1154 des Code civil ist zunächst auf Randnr. 97 oben zu verweisen. Sodann ist festzustellen, dass im Hinblick auf die Commune de Millau der Antrag auf Anordnung der Berechnung von Zinseszinsen erst in der Klageschrift der Kommission gestellt worden ist, die bei der Kanzlei des Gerichts am 21. Dezember 2010 eingegangen ist. Zu diesem Zeitpunkt waren Zinsen für mindestens ein Jahr geschuldet. Auf dieser Rechtsgrundlage kann die Kommission somit die Berechnung von Zinseszinsen erst seit 21. Dezember 2010 verlangen.

162    Aufgrund der Übernahme der Schuld von SEMEA durch die Commune de Millau kann die Kommission jedoch die Berechnung von Zinseszinsen seit dem Zeitpunkt verlangen, zu dem die Klage der Kommission gegen SEMEA beim Gericht eingegangen ist, d. h. seit 15. April 2010. Aus dem Zweck des zwischen der Commune de Millau und SEMEA geschlossenen Vertrags sowie aus den Umständen des Falls ergibt sich, dass die Commune de Millau verpflichtet ist, sämtliche von SEMEA geschuldeten Zinsen zu zahlen. Zum einen versprach die Commune de Millau der Union, die Schuld von SEMEA zu begleichen. Da zum anderen alle Vermögenswerte von SEMEA auf die Commune der Millau übertragen wurden, ist SEMEA nicht mehr in der Lage, dem Verlangen der Kommission nachzukommen. In Anbetracht dieser Umstände ist daher aus den oben genannten Gründen (vgl. oben, Randnrn. 139 und 140) festzustellen, dass nach dem übereinstimmenden Willen von SEMEA und der Commune de Millau Letztere verpflichtet sein sollte, sämtliche von SEMEA geschuldeten Zinsen und somit auch die Zinseszinsen seit Einreichung der Klage der Kommission gegen SEMEA zu zahlen.

163    Somit ist anzuordnen, dass die bis zum Eingang der Klage der Kommission gegen SEMEA, d. h. bis zum 15. April 2010, angefallenen und danach jährlich anfallenden Zinsen zu verzinsen sind.

 Zu dem Antrag auf Zahlung von Schadensersatz

164    Mit ihrem dritten Antrag beantragt die Kommission, die Commune de Millau zur Zahlung eines Betrags von 5 000 Euro als Ersatz des Schadens zu verurteilen, der aufgrund des missbräuchlichen Widerstands von SEMEA entstanden ist.

165    Dieser Antrag ist aus den oben in den Randnrn. 98 bis 100 genannten Gründen zurückzuweisen.

c)     Schlussfolgerungen für die Klage der Kommission

166    Den Anträgen der Kommission, die Commune de Millau zur Erstattung des Hauptbetrags von 41 012 Euro und zur Zahlung von Verzugszinsen in Höhe des in Frankreich geltenden gesetzlichen Jahreszinssatzes für die Zeit vom 27. April 1993 bis zur vollständigen Zahlung des genannten Betrags zu zahlen, ist somit stattzugeben. Ferner ist anzuordnen, dass die bis zum 15. April 2010 angefallenen und danach jährlich anfallenden Verzugszinsen ihrerseits zu verzinsen sind.

167    Im Übrigen ist die Klage der Kommission abzuweisen.

2.     Zur Widerklage der Commune de Millau

168    Für den Fall, dass das Gericht dem Erstattungsantrag der Kommission stattgibt, hat die Commune de Millau Widerklage erhoben. Die Widerklage wird auf Art. 340 AEUV und Art. 41 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gestützt. Sie ist somit eine Klage wegen außervertraglicher Haftung der Union.

169    Die Commune de Millau ist der Auffassung, die Kommission habe gegen ihre Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung und den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen, indem sie nach ihrem ursprünglichen Erstattungsverlangen vom 27. April 1993 zwölf Jahre gewartet habe, bevor sie sich bei SEMEA am 18. November 2005 wieder gemeldet habe. Die Kommission sei daher verpflichtet, ihr den Betrag zu erstatten, zu dem sie verurteilt werde.

170    Nach Auffassung des Gerichts ist zunächst die Begründetheit der Widerklage zu prüfen (Urteile Rat/Boehringer, oben in Randnr. 105 angeführt, Randnrn. 51 und 52, und Frankreich/Kommission, oben in Randnr. 105 angeführt, Randnr. 26).

171    Aus denselben Gründen, wie sie vorstehend in den Randnrn. 106 bis 110 dargelegt worden sind, ist die Widerklage der Commune de Millau unbegründet.

172    Die Widerklage der Commune de Millau ist somit abzuweisen.

C –  Zur gesamtschuldnerischen Haftung

173    Da SEMEA und die Commune de Millau beide zur Erstattung des Hauptbetrags zuzüglich Verzugszinsen verpflichtet sind und die Kommission die Zahlung nur einmal verlangen kann, sind SEMEA und die Commune de Millau entsprechend dem Antrag der Kommission gesamtschuldnerisch zur Zahlung zu verurteilen.

 Kosten

174    Nach Art. 87 §§ 2 und 3 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen und kann der Gerichtshof über die Verteilung der Kosten entscheiden, wenn der unterliegende Teil aus mehreren Personen besteht. Da SEMEA und die Commune de Millau mit ihrem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen sind, sind ihnen entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Rechtssachen T‑168/10 und T‑572/10 werden zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.

2.      Die Société d’économie mixte d’équipement de l’Aveyron (SEMEA) und die Commune de Millau (Frankreich) werden verurteilt, als Gesamtschuldner 41 012 Euro zuzüglich Verzugszinsen in Höhe des in Frankreich geltenden gesetzlichen Jahreszinssatzes für die Zeit vom 27. April 1993 bis zur vollständigen Zahlung des genannten Betrags an die Europäische Kommission zu zahlen. Die bis zum 15. April 2010 angefallenen und danach jährlich anfallenden Zinsen werden der Hauptforderung zugeschlagen und ebenfalls verzinst.

3.      Im Übrigen werden die Anträge der Kommission in den Rechtssachen T‑168/10 und T‑572/10 zurückgewiesen.

4.      Die Widerklage der SEMEA in der Rechtssache T‑168/10 und die Widerklage der Commune de Millau in der Rechtssache T‑572/10 werden abgewiesen.

5.      SEMEA trägt ihre eigenen Kosten und die Kosten der Kommission in der Rechtssache T‑168/10.

6.      Die Commune de Millau trägt ihre eigenen Kosten und die Kosten der Kommission in der Rechtssache T‑572/10.

Czúcz

Labucka

Gratsias

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. September 2012.

Unterschriften

Inhaltsverzeichnis


Sachverhalt

Verfahren vor dem Gericht und Anträge der Parteien

A – Rechtssache T‑168/10

B – Rechtssache T‑572/10

Rechtliche Würdigung

A – Rechtssache T‑168/10

1.  Zur Klage der Kommission

a)  Zur Zulässigkeit der Klage

b)  Zur Begründetheit der Klage

Zum Antrag auf Erstattung des Hauptbetrags

–  Zum anwendbaren Recht

–  Zur Forderung der Union gegen SEMEA

–  Zu den Einwänden von SEMEA

Zum Antrag auf Zahlung von Verzugszinsen

Zum Antrag auf Zahlung von Schadensersatz

c)  Schlussfolgerungen für die Klage der Kommission

2.  Zur Widerklage von SEMEA

B – Rechtssache T‑572/10

1.  Zur Klage der Kommission

a)  Zur Zuständigkeit des Gerichts

Zum Grundsatz der Akzessorietät

Zur Vereinbarung einer Schiedsklausel

b)  Zur Begründetheit der Klage

Zum Antrag auf Erstattung des Hauptbetrags

Zum Antrag auf Zahlung der Zinsen

Zu dem Antrag auf Zahlung von Schadensersatz

c)  Schlussfolgerungen für die Klage der Kommission

2.  Zur Widerklage der Commune de Millau

C – Zur gesamtschuldnerischen Haftung

Kosten


* Verfahrenssprache: Französisch.