SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
ATHANASIOS RANTOS
vom 15. Juni 2023(1)
Rechtssache C‑755/21 P
Marián Kočner
gegen
Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung
„Rechtsmittel – Verordnung (EU) 2016/794 – Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol) – Schutz personenbezogener Daten – Art. 49 und 50 – Haftung von Europol für die fehlerhafte Verarbeitung personenbezogener Daten – 57. Erwägungsgrund – Art der Haftung – In der Slowakei gegen den Rechtsmittelführer eingeleitetes Strafverfahren – Von Europol für Ermittlungszwecke erstellte Expertisen – Extraktion von Daten aus Mobiltelefonen und einem USB-Gerät des Rechtsmittelführers – Angebliche unbefugte Weitergabe dieser Daten durch Europol – Immaterieller Schaden – Schadensersatzklage – Kausalzusammenhang“
I. Einleitung
1. Mit seinem Rechtsmittel begehrt Herr Marián Kočner (im Folgenden: Rechtsmittelführer) die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 29. September 2021, Kočner/Europol (T‑528/20, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2021:631), mit dem seine Klage auf Ersatz des immateriellen Schadens abgewiesen wurde, den er aufgrund einer Verletzung seines Rechts auf Achtung seines Privat- und Familienlebens erlitten haben soll, der im Wesentlichen aus Datenverarbeitungsmaßnahmen der Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Strafverfolgung (Europol) im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung, die durch die slowakischen Behörden nach der Ermordung eines Journalisten und dessen Verlobter gegen ihn eingeleitet wurde, resultieren soll.
2. Das vorliegende Rechtsmittel bietet dem Gerichtshof erstmals die Gelegenheit, u. a. zur Art der außervertraglichen Haftung von Europol nach den Art. 49 und 50 der Verordnung (EU) 2016/794(2), ausgelegt im Licht des 57. Erwägungsgrundes dieser Verordnung, und insbesondere zum Vorliegen einer Sonderregelung über die gesamtschuldnerische Haftung von Europol und dem Mitgliedstaat, in dem infolge einer fehlerhaften Verarbeitung von Daten durch Europol oder diesen Mitgliedstaat ein Schaden entstanden ist, zu entscheiden.
II. Rechtlicher Rahmen
3. In den Erwägungsgründen 56, 57 und 65 der Europol-Verordnung heißt es.
„(56) Europol sollte abgesehen von der Haftung im Falle unrechtmäßiger Datenverarbeitung den für die Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union geltenden allgemeinen Bestimmungen über die vertragliche und außervertragliche Haftung unterliegen.
(57) Für eine betroffene Einzelperson kann es unklar sein, ob der infolge einer unrechtmäßigen Datenverarbeitung erlittene Schaden aus einer Maßnahme Europols oder aber eines Mitgliedstaats resultiert. Daher sollten Europol und der Mitgliedstaat, in dem die Maßnahme, die den Schaden ausgelöst hat, erfolgt ist, gesamtschuldnerisch für den Schaden haften.
…
(65) Europol verarbeitet Daten, die besonders geschützt werden müssen, da sie nicht als Verschlusssache eingestufte sensible Informationen und EU-Verschlusssachen umfassen. Europol sollte daher Bestimmungen über die Vertraulichkeit und die Verarbeitung derartiger Informationen festlegen. Die Bestimmungen über den Schutz von EU-Verschlusssachen sollten mit dem Beschluss 2013/488/EU des Rates[(3)] im Einklang stehen.“
4. Nach Art. 17 Abs. 1 dieser Verordnung verarbeitet Europol nur Informationen, die ihr u. a. von Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihres nationalen Rechts und gemäß Art. 7 dieser Verordnung übermittelt werden. Gemäß Abs. 2 dieses Art. 17 kann Europol Informationen einschließlich personenbezogener Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen wie dem Internet sowie öffentliche Daten direkt einholen und verarbeiten.
5. Art. 32 („Sicherheit der Verarbeitung“) dieser Verordnung sieht in seinem Art. 1 vor:
„Europol ergreift geeignete technische und organisatorische Maßnahmen, um der zufälligen oder widerrechtlichen Vernichtung, dem zufälligen Verlust, der unbefugten Weitergabe oder Veränderung der Daten und dem unbefugten Zugang zu ihnen sowie jeder anderen Form ihrer unrechtmäßigen Verarbeitung vorzubeugen.“
6. Art. 49 („Allgemeine Bestimmungen zur Haftung und zum Recht auf Schadensersatz“) der Europol-Verordnung bestimmt in seinem Abs. 3:
„Unbeschadet des Artikels 49[(4)] ersetzt Europol im Bereich der außervertraglichen Haftung die von ihren Dienststellen oder ihren Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schäden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind.“
7. Art. 50 („Haftung für die fehlerhafte Verarbeitung personenbezogener Daten und Recht auf Schadensersatz“) dieser Verordnung bestimmt:
„(1) Jede Person, der wegen einer widerrechtlichen Datenverarbeitung ein Schaden entsteht, hat das Recht, entweder von Europol nach Artikel 340 AEUV oder von dem Mitgliedstaat, in dem der Schadensfall eingetreten ist, nach den nationalen Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats Schadensersatz zu fordern. Die Person erhebt Klage gegen Europol beim Gerichtshof der Europäischen Union oder gegen den Mitgliedstaat bei dem zuständigen nationalen Gericht des betreffenden Mitgliedstaats.
(2) Bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Europol und Mitgliedstaaten über die Frage, wer letztlich für den einer Person nach Absatz 1 gewährten Schadensersatz zuständig ist, wird der Verwaltungsrat befasst, der mit Zweidrittelmehrheit seiner Mitglieder entscheidet, unbeschadet des Rechts, diese Entscheidung nach Artikel 263 AEUV anzufechten.“
III. Vorgeschichte des Rechtsstreits
8. Im Rahmen von Ermittlungen der slowakischen Strafverfolgungsbehörden nach der Ermordung eines Journalisten und seiner Verlobten in der Slowakei am 21. Februar 2018 nahm Europol auf Ersuchen der Národná kriminálna agentúra (Nationale Agentur zur Bekämpfung der Kriminalität, Slowakei, im Folgenden: NAKA) am 10. Oktober 2018 zwei Mobiltelefone, die dem Rechtsmittelführer gehört haben sollen, und am 17. Oktober 2018 ein USB-Speichermedium an sich.
9. In Bezug auf diese Mobiltelefone übermittelte Europol der NAKA am 21. Juni 2019 die endgültigen wissenschaftlichen Berichte über die darauf durchgeführten Vorgänge. Vor dieser Mitteilung erfolgte nach den Angaben von Europol zunächst die Übergabe einer Festplatte mit den aus diesen Telefonen extrahierten verschlüsselten Daten an die NAKA, die durch ein Protokoll vom 23. Oktober 2018 (im Folgenden: Protokoll vom 23. Oktober 2018) belegt sei, und sodann die Übergabe der fraglichen Telefone an die NAKA, die durch ein Formular über den Empfang/die Übergabe von Beweisen vom 13. Februar 2019 bestätigt worden sei(5).
10. Durch Presseartikel und eine Veröffentlichung auf einer Website im Mai 2019 seien aus diesen Mobiltelefonen stammende Informationen über den Rechtsmittelführer, einschließlich Transkriptionen seiner intimen Mitteilungen, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden.
11. Zum USB-Speichermedium führte Europol in ihrem Bericht vom 13. Januar 2019, der der NAKA am 14. Februar 2019 übermittelt wurde, aus, dass sich der Rechtsmittelführer seit dem 20. Juni 2018 wegen des Verdachts einer Finanzstraftat in Haft befinde und dass sein Name u. a. unmittelbar mit den „sogenannten Mafia-Listen“ und den „Panama Papers“ in Verbindung gebracht werde(6).
12. Mit Schreiben vom 4. Mai 2020 forderte der Rechtsmittelführer von Europol auf der Grundlage von Art. 50 Abs. 1 der Europol-Verordnung eine Entschädigung in Höhe von 100 000 Euro als Ersatz des immateriellen Schadens, den er zum einen aufgrund der Veröffentlichung personenbezogener Daten in der Presse und im Internet und insbesondere der Veröffentlichung der Transkriptionen seiner Mitteilungen mit intimem und sexuellem Charakter und zum anderen der Aufnahme seines Namens in „Mafia-Listen“ erlitten habe, über die die Presse aufgrund von undichten Stellen im Zusammenhang mit der Akte des nationalen Strafverfahrens betreffend den in Nr. 8 der vorliegenden Schlussanträge genannten Mord berichtet habe.
13. Nach Abschluss der in Nr. 8 der vorliegenden Schlussanträge genannten Ermittlungen der slowakischen Behörden wurde der Rechtsmittelführer, der wegen Beihilfe zum Mord als Auftraggeber strafrechtlich verfolgt wurde, in erster Instanz durch ein Urteil freigesprochen, das vom Najvyšší súd Slovenskej republiky (Oberstes Gericht der Slowakischen Republik), der die Sache an die erste Instanz zurückverwies, aufgehoben wurde.
IV. Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil
14. Mit Klageschrift, die am 18. August 2020 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob der Rechtsmittelführer eine auf die Art. 268 und 340 AEUV sowie auf Art. 50 Abs. 1 der Europol-Verordnung gestützte Klage auf Ersatz des immateriellen Schadens, den er aufgrund des Verhaltens von Europol erlitten haben soll. Er beantragte jeweils eine Entschädigung in Höhe von 50 000 Euro für den immateriellen Schaden, den er aufgrund der Weitergabe personenbezogener Daten erlitten habe (erster Klageantrag), und eine Entschädigung in Höhe desselben Betrags für den immateriellen Schaden, den er aufgrund der Aufnahme in die „Mafia-Listen“ erlitten habe (zweiter Klageantrag).
15. Das Gericht wies diese Klage ab. Hinsichtlich des ersten Klageantrags kam es zu dem Ergebnis, dass der Rechtsmittelführer keinen Beweis für einen Kausalzusammenhang zwischen dem behaupteten Schaden und dem Verhalten von Europol erbracht habe(7), und hinsichtlich des zweiten Klageantrags, dass der Rechtsmittelführer keinen Beweis dafür vorgelegt habe, dass die „Mafia-Listen“ von einem Organ der Union und insbesondere von Europol erstellt und geführt worden seien(8). Zum zweiten Klageantrag führt es auch aus, dass dieses Ergebnis weder durch den 57. Erwägungsgrund der Europol-Verordnung noch durch Art. 49 oder Art. 50 dieser Verordnung in Frage gestellt werde(9).
V. Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien
16. Der Rechtsmittelführer hat am 8. Dezember 2021 ein Rechtsmittel gegen das angefochtene Urteil eingelegt. Er beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Gericht zurückzuverweisen sowie eine Kostenentscheidung zu erlassen.
17. Europol, unterstützt von der Slowakischen Republik als Streithelferin, beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und dem Rechtsmittelführer die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
VI. Würdigung
A. Zum Rechtsmittel
18. Der Rechtsmittelführer stützt sein Rechtsmittel auf sechs Rechtsmittelgründe, wobei die Rechtsmittelgründe eins bis vier den immateriellen Schaden betreffen, den er aufgrund der Weitergabe personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit erlitten haben soll (erster Klageantrag im ersten Rechtszug), und der fünfte und der sechste Rechtsmittelgrund den immateriellen Schaden, den er aufgrund der Aufnahme seines Namens in die „Mafia-Listen“ erlitten haben soll (zweiter Klageantrag im ersten Rechtszug)(10).
19. Europol macht zunächst die Unzulässigkeit des ersten und des fünften Rechtsmittelgrundes geltend, eine Frage, die vorab zu prüfen ist.
1. Zur Zulässigkeit des ersten und des fünften Rechtsmittelgrundes: Fehler in Bezug auf die Art der Haftung von Europol
20. Europol trägt im Wesentlichen vor, der erste und der fünfte Rechtsmittelgrund, mit denen geltend gemacht werde, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen habe, als es die gesamtschuldnerische Haftung von Europol und dem betreffenden Mitgliedstaat für infolge einer unrechtmäßigen Datenverarbeitung erlittene Schäden ausgeschlossen habe, die aus einer Maßnahme Europols oder dieses Mitgliedstaats resultierten, seien dem Inhalt nach erstmals im Stadium der Erwiderung im ersten Rechtszug vorgetragen worden. Es handle sich daher um im Lauf des Verfahrens vorgebrachte neue und folglich unzulässige Angriffsmittel(11).
21. Der Rechtsmittelführer entgegnet, er habe diese Argumente in seiner Klageschrift im ersten Rechtszug vorgebracht, als er den 57. Erwägungsgrund der Europol-Verordnung sowie Art. 50 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung angeführt habe.
22. Insoweit weise ich darauf hin, dass der Rechtsmittelführer in seiner Klageschrift die Haftung Europols nach Art. 49 Abs. 3 und Art. 50 der Europol-Verordnung sowie durch Verweis auf den 57. Erwägungsgrund dieser Verordnung geltend gemacht hat, den er zur Gänze zitiert hat. In seiner Erwiderung untermauerte der Rechtsmittelführer dieses Argument später und führte aus, dass Europol, auch wenn nicht nachgewiesen werde, dass sie für das beanstandete Verhalten verantwortlich sei, für den verursachten Schaden gesamtschuldnerisch mit dem betreffenden Mitgliedstaat hafte.
23. Unter diesen Umständen bin ich der Ansicht, dass der Rechtsmittelführer in seiner Klageschrift im ersten Rechtszug einen Klagegrund geltend gemacht hat, der im Wesentlichen die gesamtschuldnerische Haftung von Europol betrifft und dass der erste und der fünfte Rechtsmittelgrund daher zulässig sind.
2. Zu den Rechtsmittelgründen, die den durch die Weitergabe personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit erlittenen Schaden betreffen (erster Klageantrag im ersten Rechtszug)
a) Zum ersten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler bei der Einstufung der Haftung von Europol wegen fehlerhafter Verarbeitung personenbezogener Daten
24. Mit seinem ersten Rechtsmittelgrund wirft der Rechtsmittelführer dem Gericht im Wesentlichen vor, ausgeschlossen zu haben, dass Europol und der betreffende Mitgliedstaat für den aufgrund der unrechtmäßigen Datenverarbeitung erlittenen Schaden gesamtschuldnerisch hafteten, da es den verbindlichen Charakter des 57. Erwägungsgrundes der Europol-Verordnung verkannt habe.
25. Der Rechtsmittelführer räumt zwar ein, dass der Wortlaut von Art. 50 Abs. 1 und 2 keine ausdrückliche Bestimmung enthalte, die eine gesamtschuldnerische Haftung von Europol und dem betreffenden Mitgliedstaat vorsehe, ist jedoch der Ansicht, dass sich eine solche Haftung gleichwohl aus dieser Vorschrift ergebe, wenn man sie im Licht des 57. Erwägungsgrundes dieser Verordnung auslege.
26. Erstens kann seiner Ansicht nach Art. 50 Abs. 2 dieser Verordnung, wenn er eine Beilegung von Streitigkeiten zwischen Europol und dem betreffenden Mitgliedstaat über den Verwaltungsrat von Europol vorsehe, nicht anders ausgelegt werden, ohne dieser Vorschrift jegliche Bedeutung zu nehmen.
27. Zweitens stütze sich das Vorliegen einer gesamtschuldnerischen Haftung von Europol im vorliegenden Fall auch auf das Ziel der fraglichen Regelung, das sich insbesondere aus dem 57. Erwägungsgrund der Europol-Verordnung ergebe und darin bestehe, den Geschädigten stärker zu schützen(12).
28. Drittens lasse sich unter Berücksichtigung von Art. 340 AEUV aus den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts jedenfalls eine gesamtschuldnerische Haftung ableiten, auch wenn es keine ausdrückliche Regelung gebe.
29. Europol, unterstützt von der Slowakischen Republik, hebt zunächst hervor, dass eine gesamtschuldnerische Haftung der Union und des betreffenden Mitgliedstaats, wenn diese beiden gemeinsam handelten, grundsätzlich nicht im Rahmen von Art. 340 Abs. 2 AEUV anerkannt werde, sondern eine entsprechende ausdrückliche Erwähnung durch den Unionsgesetzgeber erfordere.
30. Erstens sei Art. 50 der Europol-Verordnung auf die im vorliegenden Fall in Rede stehende Datenverarbeitung nicht anwendbar, da er ausschließlich für die Datenverarbeitung im Rahmen von Einsätzen und Aufgaben von Europol gelte.
31. Zweitens gelte diese Vorschrift nur für Schäden, die von der Union und einem Mitgliedstaat gemeinsam verursacht worden seien, und könne nicht angewandt werden, wenn kein rechtswidriges Verhalten von Europol vorliege und kein Kausalzusammenhang nachgewiesen sei.
32. Drittens sei zunächst der 57. Erwägungsgrund dieser Verordnung, obwohl er auf eine gesamtschuldnerische Haftung Bezug nehme, nicht verbindlich und im vorliegenden Fall nicht anwendbar. Sodann setze der Begriff der gesamtschuldnerischen Haftung voraus, dass mehr als eine Einrichtung für denselben Schaden hafte, und nicht, dass eine Einrichtung, deren Haftung nicht erwiesen sei, Schadensersatz leisten müsse. Schließlich habe der Rechtsmittelführer nicht einmal eine Haftungsklage gegen den betreffenden Mitgliedstaat erhoben(13).
33. Ich weise darauf hin, dass das Gericht im angefochtenen Urteil entschieden hat, dass Art. 49 Abs. 3 und Art. 50 Abs. 1 der Europol-Verordnung lediglich bestimmten, dass Europol die von ihren Dienststellen oder ihren Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schäden nach den in Art. 340 AEUV festgelegten Voraussetzungen ersetze, und dass die Voraussetzung des Kausalzusammenhangs nicht erfüllt sei(14). Wenngleich der 57. Erwägungsgrund dieser Verordnung insoweit einen gesamtschuldnerischen Mechanismus vorsehe, finde dieser in den Vorschriften dieser Verordnung weder einen Ausdruck noch eine Grundlage(15).
34. Was die außervertragliche Haftung anbelangt, so ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 340 Abs. 2 AEUV „[i]m Bereich der außervertraglichen Haftung … die Union den durch ihre Organe oder Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit verursachten Schaden nach den allgemeinen Rechtsgrundsätzen [ersetzt], die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind“(16). Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs setzt die außervertragliche Haftung der Union gemäß dieser Vorschrift das Vorliegen einer Reihe von Voraussetzungen voraus, nämlich die Rechtswidrigkeit des den Organen vorgeworfenen Verhaltens, das tatsächliche Vorliegen des Schadens und das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen diesem Verhalten und dem geltend gemachten Schaden(17). Da es sich um kumulative Voraussetzungen handelt, besteht keine außervertragliche Haftung der Union, wenn eine von ihnen nicht erfüllt ist(18).
35. Was insbesondere die mögliche gesamtschuldnerische Haftung von Europol auf der Grundlage von Art. 50 der Europol-Verordnung anbelangt, stelle ich fest, dass die außervertragliche gesamtschuldnerische Haftung grundsätzlich bedeutet, dass mehrere Personen als Gesamtschuldner zum Ersatz des Schadens verpflichtet sind, wenn die schadensbegründende Handlung mehreren Personen zugerechnet werden kann(19).
36. Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer Bestimmung des Unionsrechts nicht nur deren Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. Die Entstehungsgeschichte einer Bestimmung des Unionsrechts kann ebenfalls relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern(20).
37. Was erstens den Wortlaut von Art. 50 Abs. 1 der Europol-Verordnung anbelangt, so sieht diese Vorschrift im Wesentlichen vor, dass jede Person, der wegen einer widerrechtlichen Datenverarbeitung ein Schaden entsteht, das Recht hat, entweder von Europol nach Art. 340 AEUV (vor dem Unionsrichter) oder von dem Mitgliedstaat, in dem der Schadensfall eingetreten ist, nach den nationalen Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats (vor dem zuständigen nationalen Gericht) Schadensersatz zu fordern.
38. Mir scheint, dass diese Vorschrift allein aufgrund ihres Wortlauts nicht zu einer eindeutigen Auslegung hinsichtlich der Art der in Rede stehenden Haftung führt.
39. Zum einen ist die Verwendung des Ausdrucks „entweder … oder“ insoweit nicht aufschlussreich(21). Dieser Ausdruck könnte genauso gut darauf hinweisen, dass die Haftung von Europol alternativ zu der des betreffenden Mitgliedstaats besteht oder dass sich der Geschädigte unterschiedslos für den gesamten Schaden an das betreffende Organ oder an den betreffenden Mitgliedstaat wenden kann.
40. Zum anderen ist auch der in dieser Vorschrift enthaltene Verweis auf Art. 340 AEUV nicht aufschlussreich und macht angesichts des in der letztgenannten Vorschrift enthaltenen Verweises auf die „allgemeinen Rechtsgrundsätze, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind“, eine vergleichende Auslegung notwendig, die ich im Folgenden im Zusammenhang mit der teleologischen Auslegung der fraglichen Vorschrift vornehmen werde(22).
41. Was zweitens den Zusammenhang anbelangt, in den sich Art. 50 Abs. 1 der Europol-Verordnung einfügt, so weise ich erstens darauf hin, dass es im 56. Erwägungsgrund der Europol-Verordnung heißt, dass Europol „abgesehen von der Haftung im Falle unrechtmäßiger Datenverarbeitung“ den für die Organe, Einrichtungen, Ämter und Agenturen der Union geltenden allgemeinen Bestimmungen über die vertragliche und außervertragliche Haftung unterliegt. Was diese unrechtmäßige Datenverarbeitung betrifft, so könnte der 57. Erwägungsgrund dieser Verordnung nicht klarer sein, wenn es dort heißt, dass „Europol und der Mitgliedstaat, in dem die Maßnahme, die den Schaden ausgelöst hat, erfolgt ist, gesamtschuldnerisch für den Schaden haften [sollten]“, weil es „[f]ür eine betroffene Einzelperson … unklar sein [kann], ob der infolge einer unrechtmäßigen Datenverarbeitung erlittene Schaden aus einer Maßnahme Europols oder aber eines Mitgliedstaats resultiert“.
42. Zwar trifft es zu, dass die Begründungserwägungen eines Unionsrechtsakts, wie Europol anmerkt, rechtlich nicht verbindlich sind und weder herangezogen werden können, um von den Bestimmungen des betreffenden Rechtsakts abzuweichen, noch, um diese Bestimmungen in einem Sinne auszulegen, der ihrem Wortlaut offensichtlich widerspricht(23). Dennoch sind die Erwägungsgründe über diese Grenze hinaus wichtige Auslegungselemente, die den Willen des Gesetzgebers erhellen können(24).
43. Da die im 57. Erwägungsgrund der Europol-Verordnung unmissverständlich zum Ausdruck gebrachte Absicht des Unionsgesetzgebers, den Geschädigten durch die Einführung der gesamtschuldnerischen Haftung von Europol und des betreffenden Mitgliedstaats zu begünstigen, nicht im Widerspruch zum Wortlaut von Art. 50 dieser Verordnung steht, ziehe ich den Schluss, dass diese Vorschrift im Licht dieses Erwägungsgrundes ausgelegt werden kann (und muss).
44. Diese Schlussfolgerung wird durch Art. 50 Abs. 2 der Europol-Verordnung bestätigt, wonach bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Europol und Mitgliedstaaten über die Frage, wer letztlich für den einer Person nach Art. 50 Abs. 1 dieser Verordnung gewährten Schadensersatz zuständig ist, der Verwaltungsrat befasst wird.
45. Was zweitens das Argument von Europol betrifft, dass im Wesentlichen die von ihr an den Mobiltelefonen des Rechtsmittelführers ausgeübten Tätigkeiten der Übernahme und der Entschlüsselung nicht unter den Begriff „Verarbeitung personenbezogener Daten“ im Sinne von Art. 50 der Europol-Verordnung fielen, so kann ich nicht erkennen und erklärt Europol auch nicht, aus welchen Gründen die von Europol im vorliegenden Fall vorgenommenen Tätigkeiten der Entschlüsselung nicht in den Rahmen der Definition von Art. 88 Abs. 2 Buchst. a AEUV fallen sollten, wonach die Aufgaben von Europol das „Einholen, Speichern, Verarbeiten, Analysieren und Austauschen von Informationen, die insbesondere von den Behörden der Mitgliedstaaten oder Drittländern beziehungsweise Stellen außerhalb der Union übermittelt werden“, umfassen können(25).
46. Drittens liegt es meines Erachtens auf der Hand, dass eines der Ziele der Europol-Verordnung, wie sich aus ihrem 57. Erwägungsgrund ergibt, darin liegt, durch die gesamtschuldnerische Haftung Europols und des betreffenden Mitgliedstaats für einen durch die fehlerhafte Verarbeitung personenbezogener Daten Geschädigten die Erhebung einer Schadensersatzklage zu erleichtern. Dieser Standpunkt wird durch die Entstehungsgeschichte der fraglichen Vorschrift sowie durch eine vergleichende Auslegung dieser Vorschrift im Licht der allgemeinen Rechtsgrundsätze, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind, bestätigt.
47. Was erstens die Entstehungsgeschichte von Art. 50 der Europol-Verordnung anbelangt, möchte ich insoweit anmerken, dass der Wortlaut dieser Vorschrift und des 57. Erwägungsgrundes so aus dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission hervorgehen(26), was die Auslegung stützt, dass diese Vorschrift die in diesem Erwägungsgrund zum Ausdruck kommende Absicht des Unionsgesetzgebers umsetzt, eine Art von gesamtschuldnerischer Haftung von Europol und dem betreffenden Mitgliedstaat einzuführen(27).
48. Zudem kann die Anwendung dieser Vorschrift entgegen dem Vorbringen von Europol nicht auf die Situation eines von der Union und einem Mitgliedstaat gemeinsam verursachten Schadens begrenzt werden, da es in einer solchen Situation meines Erachtens dem zuständigen Richter obliegt, über die jeweilige Haftung der Einrichtungen oder Personen, die den Schaden verursacht haben, zu entscheiden(28).
49. Was zweitens die vergleichende Auslegung von Art. 50 Abs. 1 der Europol-Verordnung anbelangt, weise ich darauf hin, dass der Geschädigte nach dieser Vorschrift die Haftung von Europol „nach Artikel 340 AEUV“ geltend machen kann, der in seinem Abs. 2 auf die allgemeinen Rechtsgrundsätze verweist, die den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsam sind(29).
50. Insoweit scheint mir eine Art Konvergenz der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu bestehen, was das Vorliegen einer gesamtschuldnerischen Haftung in Situationen betrifft, in denen ein Schaden mehreren Personen zuzuschreiben ist(30). Im Übrigen gehen die Grundsätze eines Europäischen Deliktsrechts in die gleiche Richtung(31).
51. Zudem weise ich darauf hin, dass der Mechanismus der gesamtschuldnerischen Haftung dem Unionsrecht im Bereich der Datenverarbeitung nicht fremd ist, da u. a. Art. 82 Abs. 4 der Verordnung 2016/679 eine solche Haftung einführt, wenn mehr als ein Verantwortlicher an derselben Verarbeitung beteiligt ist(32).
52. Dieses Ergebnis wird durch den Grundsatz der Rechtsprechung nicht in Frage gestellt, wonach im Fall einer konkurrierenden Haftung der Union und eines Mitgliedstaats angeblich geschädigte Einzelpersonen erst Klage vor den zuständigen nationalen Gerichten erheben müssen(33). Wenngleich dieser Grundsatz auf Situationen der gemeinsamen Haftung Anwendung findet, würde seine Anwendung auf Situationen der gesamtschuldnerischen Haftung dieser nämlich jegliche praktische Wirksamkeit nehmen.
53. Im Ergebnis bin ich der Ansicht, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, als es ausgeschlossen hat, dass Art. 50 Abs. 1 der Europol-Verordnung, ausgelegt im Licht des 57. Erwägungsgrundes dieser Verordnung, ein System der gesamtschuldnerischen Haftung von Europol und dem betreffenden Mitgliedstaat für infolge einer unrechtmäßigen Datenverarbeitung erlittene Schäden einführt, die aus einer Maßnahme Europols oder dieses Mitgliedstaats resultieren.
54. Ich schlage daher vor, dem ersten Rechtsmittelgrund stattzugeben.
55. Folglich wäre das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit darin jeder Kausalzusammenhang zwischen dem vom Rechtsmittelführer behaupteten Schaden und einem möglichen Verhalten von Europol allein aus dem Grund ausgeschlossen worden ist, dass während eines bestimmten Zeitraums sowohl Europol als auch die slowakischen Behörden im Besitz der in den in Rede stehenden Mobiltelefonen enthaltenen Daten gewesen seien.
56. Allerdings weise ich darauf hin, dass Europol nur dann für den behaupteten Schaden gesamtschuldnerisch haftbar gemacht werden kann, wenn auch insbesondere das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem behaupteten Verhalten und diesem Schaden nachgewiesen wird(34). Das Vorliegen einer gesamtschuldnerischen Haftung setzt nämlich voraus, dass die verschiedenen schadensbegründenden Ereignisse geeignet sind, den behaupteten Schaden zu verursachen, gleich welcher Verstoß die unmittelbare und entscheidende Ursache des Ereignisses war(35).
57. Zwar trifft es zu, dass das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs im vorliegenden Fall der rote Faden ist, der sich durch die im Rahmen der Rechtsmittelgründe zwei bis vier und sechs vorgetragenen Argumente zieht.
58. Da sich das Gericht jedoch im angefochtenen Urteil im Wesentlichen darauf beschränkt hat, sich zum Fehlen eines „ausschließlichen“ Kausalzusammenhangs zwischen dem Verhalten von Europol und dem behaupteten Schaden zu äußern, und da diese Analyse keine Beurteilung des Vorliegens eines Kausalzusammenhangs zulässt, wie sie in einer Situation der gesamtschuldnerischen Haftung erforderlich ist, bin ich der Ansicht, dass dann, wenn der Gerichtshof meinem Vorschlag, dem ersten Rechtsmittelgrund stattzugeben, folgen sollte, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Gericht zurückzuverweisen ist, was den ersten Klageantrag im ersten Rechtszug betrifft, damit das Gericht über die Frage des Kausalzusammenhangs im Rahmen der gesamtschuldnerischen Haftung sowie gegebenenfalls über die weiteren Voraussetzungen der außervertraglichen Haftung der Union und ihrer Organe oder Einrichtungen entscheidet(36).
59. Für den Fall, dass der Gerichtshof mit der von mir vorgeschlagenen Lösung nicht einverstanden sein sollte, werde ich im Folgenden auch die anderen Rechtsmittelgründe prüfen(37).
b) Zum zweiten Rechtsmittelgrund: fehlerhafte Auslegung des nationalen Rechts, das den Inhalt einer Ermittlungsakte regelt
60. Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer geltend, das Protokoll vom 23. Oktober 2018 sei entgegen den nationalen Vorschriften zum Inhalt einer Ermittlungsakte(38) nicht Teil der ihn betreffenden Ermittlungsakte gewesen, was die Zuverlässigkeit dieses Protokolls beeinträchtige.
61. Im angefochtenen Urteil hat sich das Gericht auf das Protokoll vom 23. Oktober 2018 gestützt, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass Europol ab diesem Zeitpunkt nicht die einzige Einrichtung gewesen sei, in deren Besitz sich die in den in Rede stehenden Mobiltelefonen enthaltenen Daten befunden hätten, da die slowakischen Behörden ebenfalls über diese Daten verfügt hätten(39).
62. Hinsichtlich des Einwands des Rechtsmittelführers gegen die Echtheit dieses Protokolls hat das Gericht entschieden, dass die möglicherweise fehlende Aufnahme dieses Dokuments in die Akte eines Strafverfahrens als solches keine Auswirkungen auf seine Echtheit haben könne und dass der Rechtsmittelführer in keiner Weise geltend gemacht habe, dass dieses Protokoll verfälscht worden sei(40).
63. Insoweit scheint mir das Vorbringen des Rechtsmittelführers in Bezug auf einen möglichen Verstoß gegen nationale Vorschriften zum Akteninhalt – die im Übrigen nicht die Echtheit der darin enthaltenen Dokumente betreffen – ins Leere zu gehen, da es für den Nachweis, dass das Gericht bei der Beurteilung der Gültigkeit des Protokolls vom 23. Oktober 2018 einen Fehler begangen hat, nicht ausreicht und noch weniger für den Nachweis, dass es dieses Beweismittel verfälscht hat, indem es die vom Rechtsmittelführer im ersten Rechtszug geltend gemachte nationale Regelung nicht berücksichtigt hat. Es ist nämlich zu unterscheiden zwischen der etwaigen Unvereinbarkeit dieses Protokolls mit den nationalen Vorschriften zum Akteninhalt, die gegebenenfalls die Gültigkeit dieses Protokolls als Bestandteil der Akte beeinträchtigen würde(41), und dem Vorliegen (und damit der Echtheit) dieses Protokolls und seinem eventuellen Beweiswert im Rahmen der vorliegenden Rechtssache.
64. Ebenso kann angesichts der offensichtlichen Irrelevanz der nationalen Regelung, auf die sich der Rechtsmittelführer beruft, um den Beweiswert des fraglichen Protokolls in Frage zu stellen, das Argument des Rechtsmittelführers, das angefochtene Urteil sei insoweit unzureichend begründet, keinen Erfolg haben.
65. Ich schlage daher vor, den zweiten Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.
c) Zum dritten Rechtsmittelgrund: Tatsachenfehler bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs in Bezug auf den ersten Klageantrag im ersten Rechtszug
66. Mit seinem dritten Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer erstens geltend, das Protokoll vom 23. Oktober 2018 (dessen Echtheit im Übrigen bestritten wird) belege nur die Übermittlung „vorläufiger Ergebnisse“ in Form der Erlangung und der Extraktion von Daten, was nicht beweise, dass die „Mitteilungen“, die Gegenstand des vorliegenden Verfahrens seien, auch übergeben worden seien (42).
67. Insoweit weise ich darauf hin, dass das Gericht in Rn. 68 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis gelangt ist, dass Europol zum Zeitpunkt des oben genannten Protokolls nicht mehr die einzige Stelle gewesen sei, die im Besitz der streitigen Daten gewesen sei, die ab diesem Zeitpunkt den slowakischen Behörden zugänglich gewesen seien(43).
68. Mir scheint jedoch, dass die vom Rechtsmittelführer hinsichtlich des genauen Inhalts der von Europol den slowakischen Behörden übermittelten Daten vorgebrachten Zweifel und seine Ablehnung der Auslegung des im Protokoll vom 23. Oktober 2018 enthaltenen Ausdrucks „vorläufige Ergebnisse“ durch das Gericht nicht ausreichen, um das Vorliegen von Tatsachen- oder Beurteilungsfehlern nachzuweisen, die zu einer Verfälschung von Beweisen durch das Gericht führen würden.
69. Zweitens trägt der Rechtsmittelführer vor, das Gericht habe nicht nachgewiesen, dass Europol die streitigen Mitteilungen niemals in entschlüsselter Form zur Verfügung gehabt habe(44), dass selbst ein Durchsickern in verschlüsselter Form – nach einer Entschlüsselung durch einen nicht befugten Dritten(45) – zu dem behaupteten Schaden hätte führen können und dass im vorliegenden Fall eine Entschlüsselung besonders einfach gewesen sei, da die Dateien bereits von Europol mit den dazugehörigen Passwörtern extrahiert worden seien.
70. Auch wenn, wie der Rechtsmittelführer geltend macht, nicht ausgeschlossen werden kann, dass die streitigen Daten auch in verschlüsselter Form durchsickern konnten, hat der Rechtsmittelführer keine Anhaltspunkte oder Indizien dafür vorgelegt, dass Daten auf diese Weise zu dem Zeitpunkt durchgesickert sind, als Europol die in Rede stehenden Mobiltelefone zur Verfügung standen(46), und erst recht nicht dafür, dass im Rahmen der Beurteilung des Gerichts, wonach die verschlüsselten Daten nicht dem Durchsickern der streitigen Mitteilungen zugrunde gelegen hätten, die Beweise verfälscht wurden(47).
71. Drittens wiederholt der Rechtsmittelführer die vom Gericht aufgrund eines fehlenden Anfangsbeweises zurückgewiesene Behauptung, dass das Protokoll vom 23. Oktober 2018 vordatiert worden sei(48), ohne weitere Beweise zu liefern, aus denen sich ableiten ließe, dass das Gericht den Sachverhalt verfälscht hat(49).
72. Viertens fügt der Rechtsmittelführer hinzu, die in Rede stehenden Mobiltelefone seien für die Zwecke der Erlangung und Extraktion von Daten ohne vorherige Zustimmung eines Gerichts oder einer unabhängigen Verwaltungsbehörde übergeben worden, was das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs belege.
73. Insoweit kann ich mir schwer vorstellen, wie eine etwaige Verletzung der Vorschriften über die Erlangung und die Extraktion der streitigen Daten für sich genommen das Vorliegen eines Zusammenhangs zwischen dieser Erlangung oder dieser Extraktion und dem Durchsickern dieser Daten in den öffentlichen Bereich beweisen kann(50).
74. Der Umstand, dass die streitigen Daten von Europol an die slowakischen Behörden übermittelt wurden, reicht meiner Ansicht nach aus, um den „ausschließlichen“ Kausalzusammenhang zwischen dem Durchsickern dieser Daten und dem Verhalten von Europol zu widerlegen, unabhängig davon, ob Letztere über diese Daten in verschlüsselter oder unverschlüsselter Form verfügte und auf welcher Ebene die eventuelle Entschlüsselung erfolgte(51).
75. Ich schlage daher vor, den dritten Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.
d) Zum vierten Rechtsmittelgrund: Begründungsmangel und Rechtsfehler in Bezug auf die Beweisaufnahme, Verfälschung von Beweisen und Verletzung der Verteidigungsrechte
76. Mit dem ersten Teil seines vierten Rechtsmittelgrundes wirft der Rechtsmittelführer dem Gericht vor, es habe seine Feststellung, dass nicht davon auszugehen sei, dass Art. 50 Abs. 1 und 2 der Europol-Verordnung eine gesamtschuldnerische Haftung begründe, nicht begründet und gegen die Beweislastregeln verstoßen.
77. Aus der in den Nrn. 24 bis 53 der vorliegenden Schlussanträge vorgenommenen Analyse geht hervor, dass der Rechtsmittelführer aufgrund der Begründung des Gerichts die Gründe erkennen konnte, weshalb dieses der Ansicht war, dass Art. 50 der Europol-Verordnung keine gesamtschuldnerische Haftung begründe, und seine Gegenargumente vortragen konnte. Sie ermöglicht es meines Erachtens auch dem Gerichtshof, seine gerichtliche Kontrolle auszuüben.
78. Mit dem zweiten Teil seines vierten Rechtsmittelgrundes macht der Rechtsmittelführer im Wesentlichen geltend, das Gericht habe die Beweislast umgekehrt, indem es ihm im ersten Rechtszug die Beweislast dafür auferlegt habe, dass Informationen aus den Dienststellen von Europol durchgesickert seien.
79. Im angefochtenen Urteil ist das Gericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Rechtsmittelführer keinen Beweis für einen Kausalzusammenhang zwischen dem behaupteten Schaden und einem etwaigen Verhalten von Europol erbracht habe und dass dies genüge, um jede Haftung von Europol im Sinne von Art. 340 AEUV auszuschließen.
80. Meiner Ansicht nach erfolgte die Beurteilung des Gerichts grundsätzlich zu Recht im Licht einer ständigen Rechtsprechung, wonach es Sache der Partei, die sich auf die außervertragliche Haftung der Union beruft, ist, schlüssige Beweise für das Bestehen eines hinreichend unmittelbaren ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem betreffenden Verhalten des Organs und dem geltend gemachten Schaden zu erbringen(52).
81. Mit dem dritten Teil seines vierten Rechtsmittelgrundes wirft der Rechtsmittelführer dem Gericht vor, die ihn betreffende nationale strafrechtliche Ermittlungsakte und den Erlass des slowakischen Justizministeriums(53), mit dem der Inhalt dieser Akte festgelegt werde, nicht als Beweismittel berücksichtigt zu haben. Im Wesentlichen wiederholt der Rechtsmittelführer das im Rahmen des zweiten Rechtsmittelgrundes vorgetragene Argument, dass das Protokoll vom 23. Oktober 2018 in der ihn betreffenden strafrechtlichen Ermittlungsakte gemäß den Vorschriften dieses Dekrets enthalten sein müsse.
82. Insoweit genügt der Hinweis, dass das Vorbringen des Rechtsmittelführers, mit dem er einen etwaigen Verstoß gegen die nationalen Vorschriften zum Akteninhalt rügt, wie ich im Rahmen der Prüfung des zweiten Rechtsmittelgrundes ausgeführt habe, unerheblich ist, weil eine etwaige Unvereinbarkeit dieses Protokolls mit den nationalen Vorschriften zum Akteninhalt den Beweiswert dieses Protokolls im Rahmen der vorliegenden Rechtssache nicht beeinträchtigen würde(54).
83. Zu dem Vorbringen, der Umstand, dass Europol nur ein Foto des Protokolls vom 23. Oktober 2018 vorgelegt habe, zeige, dass Letztere nicht über dieses Protokoll verfügt und es von den slowakischen Behörden im Rahmen des Gerichtsverfahrens erhalten habe, ist festzustellen, dass es sich, wie der Rechtsmittelführer ausdrücklich erklärt, um eine „Überzeugung“ seines Anwalts handelt, die durch kein Indiz oder Beweismittel gestützt wird(55).
84. Mit dem vierten Teil seines vierten Rechtsmittelgrundes wirft der Rechtsmittelführer dem Gericht vor, seine Verteidigungsrechte verletzt zu haben, da er sich in der mündlichen Verhandlung vom 30. Juni 2021 nicht zur Rückdatierung des Protokolls vom 23. Oktober 2018 habe äußern können. Ohne dies ausdrücklich vorzubringen, scheint er eine Nichtbeachtung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens geltend zu machen.
85. Der Rechtsmittelführer erklärt jedoch weder, welche Argumente er hätte geltend machen können, wenn seine Verteidigungsrechte gewahrt worden wären, noch, dass seine Argumente ohne die angebliche Nichtbeachtung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens die Entscheidung des Rechtsstreits hätten ändern können(56).
86. Im Übrigen hat das Gericht in den Rn. 74 bis 78 des angefochtenen Urteils zum Vorbringen des Rechtsmittelführers zu dieser angeblichen Rückdatierung Stellung genommen und insbesondere ausgeführt, dass dieses Vorbringen durch keinen Anfangsbeweis gestützt worden sei und dass der Rechtsmittelführer im Stadium der Erwiderung nicht geltend gemacht habe, dass das Protokoll vom 23. Oktober 2018 oder seine Kopie verfälscht worden seien.
87. Der Rechtsmittelführer beschränkt sich auf die Feststellung, dass bislang nicht bekannt sei, wo sich das Original des Protokolls vom 23. Oktober 2018 befinde, dass es nicht in der Gerichtsakte der Rechtssache sei, aus der es stammen solle, und dass aus den Unterlagen einer anderen Strafsache hervorgehe, dass es zumindest zwei verschiedene Exemplare dieses Protokolls gebe.
88. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung, der in der Rechtsprechung des Gerichtshofs verankert ist, die Bestimmung des Beweiswerts von Beweisen im Ermessen des Gerichts liegt(57), vorbehaltlich der Verfälschung dieser Beweise, die sich nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs in offensichtlicher Weise aus den Akten ergeben muss, ohne dass es einer neuen Tatsachen- und Beweiswürdigung bedarf(58), was mir hier nicht der Fall zu sein scheint.
89. Ich schlage daher vor, den vierten Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.
3. Zu den Rechtsmittelgründen, die den immateriellen Schaden betreffen, der infolge der Aufnahme des Namens des Rechtsmittelführers in die „Mafia-Listen“ entstanden sein soll (zweiter Klageantrag im ersten Rechtszug)
a) Zum fünften Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler bei der Einstufung der Haftung von Europol wegen fehlerhafter Datenverarbeitung
90. Mit seinem fünften Rechtsmittelgrund, der zur Gänze auf den ersten Rechtsmittelgrund verweist, wirft der Rechtsmittelführer dem Gericht im Wesentlichen vor, ausgeschlossen zu haben, dass Europol und der betreffende Mitgliedstaat für die aufgrund einer unrechtmäßigen Datenverarbeitung entstandenen Schäden gesamtschuldnerisch hafteten, da es den verbindlichen Charakter des 57. Erwägungsgrundes der Europol-Verordnung verkannt habe.
91. Wie sich aus der Prüfung des ersten Rechtsmittelgrundes ergibt(59), hat das Gericht dadurch einen Rechtsfehler begangen, dass es ausgeschlossen hat, dass Art. 50 Abs. 1 der Europol-Verordnung, ausgelegt im Licht des 57. Erwägungsgrundes dieser Verordnung, ein System der gesamtschuldnerischen Haftung von Europol und dem betreffenden Mitgliedstaat für infolge einer unrechtmäßigen Datenverarbeitung erlittene Schäden einführt, die aus einer Maßnahme Europols oder dieses Mitgliedstaats resultieren.
92. Allerdings stelle ich fest, dass das Gericht hinsichtlich des zweiten Klageantrags in Rn. 102 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis gelangt ist, dass der Rechtsmittelführer keinen Beweis dafür vorgelegt habe, dass die „Mafia-Listen“, in die sein Name aufgenommen worden sein soll, von einem Unionsorgan und insbesondere von Europol erstellt und geführt worden seien.
93. Meiner Ansicht nach ist der vom Gericht begangene Rechtsfehler nicht geeignet, diese Feststellung in Frage zu stellen, soweit er nicht durch das Vorbringen im Rahmen des sechsten Rechtsmittelgrundes in Frage gestellt wird, wie ich im Folgenden erörtern werde.
94. Unter diesen Umständen schlage ich vor, den fünften Rechtsmittelgrund als ins Leere gehend zurückzuweisen.
b) Zum sechsten Rechtsmittelgrund: Tatsachenfehler bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs in Bezug auf den zweiten Klageantrag im ersten Rechtszug
95. Mit seinem sechsten Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer im Wesentlichen geltend, nichts habe es Europol erlaubt, einen Zusammenhang zwischen ihm und den sogenannten „Mafia-Listen“ herzustellen.
96. Wie das Gericht ausgeführt hat, beschränkte sich Europol in ihrem Bericht vom 13. Januar 2019(60) jedoch auf den Hinweis, dass der Name des Rechtsmittelführers u. a. „unmittelbar mit den sogenannten Mafia-Listen und den Panama Papers in Verbindung gebracht wird“, ohne ihn in irgendeine Liste aufzunehmen, und hatte festgestellt, dass bereits in Presseartikeln, die vor diesem Bericht erschienen seien, von möglichen mafiösen Verstrickungen des Rechtsmittelführers berichtet worden sei(61).
97. Diese Schlussfolgerung wird durch das Vorbringen des Rechtsmittelführers nicht in Frage gestellt, das sich im Wesentlichen auf die Aussage beschränkt, dass Europol nicht erläutert habe, aus welchem Grund sie einen Zusammenhang zwischen dem Rechtsmittelführer und den „Mafia-Listen“ hergestellt habe, und dass sie durch dieses Verhalten gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen habe, da das „Recht, Mafia-Listen zu führen,“ keine Grundlage im nationalen oder im Unionsrecht habe.
98. Mit diesem Vorbringen geht der Rechtsmittelführer von der nicht erwiesenen Prämisse aus, dass Europol ihn tatsächlich in diese „Mafia-Listen“ aufgenommen hat, ohne die Schlussfolgerung des Gerichts in Rn. 102 des angefochtenen Urteils in Frage zu stellen, wonach er keinen Beweis dafür vorgelegt habe, dass die „Mafia-Listen“, in die sein Name aufgenommen worden sein soll, von einem Unionsorgan und insbesondere von Europol erstellt und geführt worden seien.
99. Ich schlage daher vor, den sechsten Rechtsmittelgrund zurückzuweisen und folglich das Rechtsmittel zurückzuweisen, was die Rechtsmittelgründe anbelangt, die den zweiten Klageantrag im ersten Rechtszug betreffen.
B. Zur Klage im ersten Rechtszug
100. Wie aus der vorstehenden Würdigung hervorgeht, schlage ich vor, das angefochtene Urteil aufzuheben, was den ersten Klageantrag im ersten Rechtszug betrifft, und das Rechtsmittel zurückzuweisen, was den zweiten Klageantrag im ersten Rechtszug betrifft.
101. Nach Art. 61 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof, wenn er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.
102. Meines Erachtens ist dies in der vorliegenden Rechtssache nicht der Fall.
103. Ich bin nämlich der Ansicht, dass der Rechtsfehler, den das Gericht dadurch begangen hat, dass es das Vorliegen einer gesamtschuldnerischen Haftung von Europol und dem betreffenden Mitgliedstaat für infolge einer unrechtmäßigen Datenverarbeitung erlittene Schäden, die aus einer Maßnahme Europols oder dieses Mitgliedstaats resultieren, verneint hat, eine neue Tatsachenwürdigung des Gerichts in Bezug auf das Vorliegen eines Kausalzusammenhangs zwischen dem Verhalten von Europol und dem vom Rechtsmittelführer geltend gemachten Schaden(62) und gegebenenfalls auf die anderen Voraussetzungen für die außervertragliche Haftung der Union und ihrer Organe und Einrichtungen erfordert(63).
C. Kosten
104. Da ich vorschlage, die Sache an das Gericht zurückzuverweisen, sollte die Entscheidung über die Kosten der Parteien im Rechtsmittelverfahren gemäß Art. 137 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der gemäß deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, vorbehalten werden.
VII. Ergebnis
105. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,
– das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 29. September 2021, Kočner/Europol (T‑528/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:631), aufzuheben, was den ersten Klageantrag betrifft;
– die Sache zur Entscheidung über die Begründetheit des ersten Klageantrags an das Gericht zurückzuverweisen,
– das Rechtsmittel im Übrigen zurückzuweisen,
– die Kostenentscheidung vorzubehalten.