Language of document : ECLI:EU:T:2022:548

URTEIL DES GERICHTS (Dritte Kammer)

14. September 2022(*)

„Unionsmarke – Anmeldung der Unionswortmarke Stahlwerkstatt – Absolute Eintragungshindernisse – Fehlende Unterscheidungskraft – Beschreibender Charakter – Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c der Verordnung (EU) 2017/1001“

In der Rechtssache T‑706/21,

Okan Balaban, wohnhaft in Bornheim (Deutschland), vertreten durch Rechtsanwalt T. Schaaf,

Kläger,

gegen

Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), vertreten durch E. Nicolás Gómez und M. Eberl als Bevollmächtigte,

Beklagter,

erlässt

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten G. De Baere, des Richters V. Kreuschitz (Berichterstatter) und der Richterin G. Steinfatt,

Kanzler: E. Coulon,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des Umstands, dass keine der Parteien innerhalb von drei Wochen nach der Bekanntgabe des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung beantragt hat, und des darauf gemäß Art. 106 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliches Verfahren zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1        Mit seiner Klage nach Art. 263 AEUV beantragt der Kläger, Herr Okan Balaban, die teilweise Aufhebung und die Abänderung der Entscheidung der Prüferin vom 27. August 2020 und der Entscheidung der Ersten Beschwerdekammer des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) vom 2. September 2021 (Sache R 1987/2020‑1) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

2        Am 1. April 2020 meldete der Kläger nach der Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) beim EUIPO eine Unionsmarke für das Wortzeichen Stahlwerkstatt an.

3        Die Marke wurde für Waren und Dienstleistungen der Klassen 7, 9, 25, 35 und 41 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung angemeldet.

4        Mit Entscheidung vom 27. August 2020 wies die Prüferin die Anmeldung gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. b und c und Abs. 2 der Verordnung 2017/1001 teilweise zurück, und zwar soweit sie folgende Waren und Dienstleistungen der Klassen 7 und 41 betraf:

–        Klasse 7: „Maschinen und Werkzeugmaschinen für Materialbearbeitung und Produktion“;

–        Klasse 41: „Ausbildungs- und Bildungsdienstleistungen“.

5        Am 13. Oktober 2020 legte der Kläger gegen die Entscheidung der Prüferin beim EUIPO Beschwerde nach den Art. 66 bis 71 der Verordnung 2017/1001 ein.

6        Mit der angefochtenen Entscheidung wies die Erste Beschwerdekammer die Beschwerde zurück. Sie kam im Wesentlichen zu dem Ergebnis, dass die angemeldete Marke zum einen für Merkmale der in Rede stehenden Waren und Dienstleistungen beschreibend im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001 sei und zum anderen keine Unterscheidungskraft im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung aufweise.

 Anträge der Parteien

7        Der Kläger beantragt im Wesentlichen,

–        sowohl die Entscheidung der Prüferin vom 27. August 2020 als auch die angefochtene Entscheidung aufzuheben und abzuändern, soweit mit ihnen die Anmeldung für „Ausbildungs- und Bildungsdienstleistungen“ der Klasse 41 zurückgewiesen wurde;

–        dem EUIPO aufzugeben, die angemeldete Marke für „Ausbildungs- und Bildungsdienstleistungen“ der Klasse 41 einzutragen;

–        dem EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

8        Das EUIPO beantragt,

–        die Klage abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

9        Mit seiner Klage begehrt der Kläger u. a. die teilweise Aufhebung und die Abänderung der angefochtenen Entscheidung, soweit die Beschwerdekammer die Eintragung der angemeldeten Marke für „Ausbildungs- und Bildungsdienstleistungen“ der Klasse 41 verweigert hat. Der Kläger macht im Wesentlichen zwei Klagegründe geltend, mit denen er erstens einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001 und zweitens einen Verstoß gegen ihren Art. 7 Abs. 1 Buchst. b rügt.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001

10      Der Kläger macht geltend, das aus den Begriffen „Stahl“ und „Werkstatt“ zusammengesetzte Wort sei für Ausbildungs- und Bildungsdienstleistungen nicht beschreibend, sondern dahin zu verstehen, dass es sich auf den Arbeitsraum eines Handwerkers beziehe, also auf die Berufsausübung und nicht auf die Erbringung von Ausbildungsdienstleistungen. Selbst wenn es sein könne, dass Personen, die die angemeldete Marke in Verbindung mit Werbung für Ausbildung oder Bildungsdienstleistungen wahrnähmen, meinten, dass die Ausbildung in einer Werkstatt stattfinde, in der Stahl bearbeitet werde, beschreibe der Begriff „Stahlwerkstatt“ weder Ausbildung noch sonstige Bildungsdienstleistungen.

11      Ausbildungs- und Bildungsdienstleistungen wohne nicht wesensmäßig inne, dass sie in einer Werkstatt stattfänden, sondern vielmehr, dass sie in einer Schule, Berufsschule, Fachhochschule oder Hochschule stattfänden. Deutsche Verbraucher, die sich in einem handwerklichen oder industriellen Beruf ausbilden ließen, der sie dazu befähigen solle, Material, insbesondere Metalle, zu bearbeiten oder zu erzeugen, besuchten zu diesem Zweck keine Werkstatt, sondern eine Berufsschule.

12      Schließlich bestreitet der Kläger, dass Stahl in Werkstätten hergestellt werden könne. Es sei Bestandteil der Allgemeinbildung in Deutschland, dass Stahl in Stahlwerken in Hochöfen produziert werde und nicht in Werkstätten.

13      Das EUIPO tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen.

14      Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001 sind Marken von der Eintragung ausgeschlossen, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, welche im Verkehr zur Bezeichnung der Art, der Beschaffenheit, der Menge, der Bestimmung, des Wertes, der geografischen Herkunft oder der Zeit der Herstellung der Ware oder der Erbringung der Dienstleistung oder zur Bezeichnung sonstiger Merkmale der Ware oder Dienstleistung dienen können. Gemäß Art. 7 Abs. 2 dieser Verordnung finden die Vorschriften von Art. 7 Abs. 1 auch dann Anwendung, wenn die Eintragungshindernisse nur in einem Teil der Europäischen Union vorliegen.

15      Das Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001 zugrunde liegende Allgemeininteresse besteht darin, sicherzustellen, dass die Zeichen, die eines oder mehrere Merkmale der Waren oder Dienstleistungen, für die die Eintragung als Marke beantragt wird, beschreiben, von allen Wirtschaftsteilnehmern, die solche Waren oder Dienstleistungen anbieten, frei verwendet werden können (vgl. Urteil vom 10. Juli 2014, BSH/HABM, C‑126/13 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:2065, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

16      Zeichen oder Angaben, die im Verkehr zur Bezeichnung von Merkmalen der Ware oder der Dienstleistung, für die die Eintragung beantragt wird, dienen können, werden gemäß Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2017/1001 als ungeeignet angesehen, die wesentliche Funktion der Marke zu erfüllen, die darin besteht, die betriebliche Herkunft der in Rede stehenden Ware oder Dienstleistung zu identifizieren, um es dem Verbraucher, der die durch die Marke bezeichnete Ware oder Dienstleistung erwirbt, zu ermöglichen, bei einem späteren Erwerb seine Entscheidung davon abhängig zu machen, ob er gute oder schlechte Erfahrungen gemacht hat. Folglich fällt ein Zeichen unter das in dieser Bestimmung aufgestellte Verbot, wenn es einen hinreichend direkten und konkreten Bezug zu den in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen aufweist, der es den maßgeblichen Verkehrskreisen ermöglicht, unmittelbar und ohne weitere Überlegung eine Beschreibung der in Rede stehenden Waren oder Dienstleistungen oder eines ihrer Merkmale zu erkennen (vgl. Urteile vom 23. Mai 2019, Arçelik/EUIPO [MicroGarden], T‑364/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2019:355, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 14. Juli 2021, Aldi/EUIPO [CUCINA], T‑527/20, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:433, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

17      Der beschreibende Charakter eines Zeichens lässt sich zum einen nur in Bezug auf die betroffenen Waren oder Dienstleistungen beurteilen und zum anderen nur in Bezug darauf, was die maßgeblichen Verkehrskreise darunter verstehen (vgl. Urteil vom 25. Oktober 2005, Peek & Cloppenburg/HABM [Cloppenburg], T‑379/03, EU:T:2005:373, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

18      Die vom Kläger erhobenen Rügen sind im Licht dieser Grundsätze zu prüfen.

19      Was erstens die Definition der maßgeblichen Verkehrskreise (Rn. 16 und 17 der angefochtenen Entscheidung) betrifft, hat die Beschwerdekammer ausgeführt, dass es sich bei den oben in Rn. 4 aufgeführten Waren und Dienstleistungen um Waren und Dienstleistungen handele, die sowohl für professionelle Fachverbraucher von Werkmaschinen, deren Kenntnisse besonders hoch seien, als auch für „Durchschnittsverbraucher“ mit einem durchschnittlichen bis erhöhtem Aufmerksamkeitsgrad bestimmt seien.

20      Diese Beurteilung der Beschwerdekammer wird vom Kläger nicht beanstandet.

21      Zweitens ist festzustellen, dass der Kläger nicht nachweisen konnte, dass der Begriff „Stahlwerkstatt“ für „Ausbildungs- und Bildungsdienstleistungen“ der Klasse 41 keinen beschreibenden Charakter hat.

22      Zum einen bestreitet der Kläger nämlich nicht die Schlussfolgerung der Beschwerdekammer in Rn. 27 der angefochtenen Entscheidung, wonach der Begriff „Stahlwerkstatt“ eine „Arbeitsstätte, in der Stahl bearbeitet wird bzw. Produkte aus Stahl hergestellt werden“ bezeichne.

23      Zum anderen hat die Beschwerdekammer in Rn. 29 der angefochtenen Entscheidung zu Recht ausgeführt, dass der Begriff „Stahlwerkstatt“ aus der Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise einen klaren Bezug zu den Ausbildungs- und Bildungsdienstleistungen aufweise, die in einer Stahlwerkstatt angeboten werden könnten, um Kenntnisse in der Stahlbearbeitung bzw. der Herstellung von Produkten aus Stahl zu vermitteln. Anders als der Kläger offenbar meint, betrifft dieser Begriff nicht nur einen Ort der Berufsausübung, sondern auch einen Ort, an dem Ausbildungen stattfinden können.

24      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger selbst einräumt, dass es sein könne, dass Personen, die die angemeldete Marke in Verbindung mit Werbung für Ausbildung oder Bildungsdienstleistungen wahrnähmen, meinten, dass die Ausbildung in einer Werkstatt stattfinde, in der Stahl bearbeitet werde. Daher ist der Schlussfolgerung der Beschwerdekammer zuzustimmen, wonach ein klarer Bezug der angemeldeten Marke zu den in Rede stehenden Dienstleistungen bestehe.

25      Was drittens den Umstand betrifft, dass ein Merkmal der in Rede stehenden Dienstleistungen objektiv sein und ihnen wesensmäßig innewohnen muss, hat die Beschwerdekammer in Rn. 31 der angefochtenen Entscheidung zu Recht festgestellt, dass Zusammensetzungen mit dem Wort „Werkstatt“ geläufig seien und dass Werkstätten in Deutschland, etwa Ton‑, Holz- und Metallwerkstätten, über eine maschinelle Ausstattung verfügten und Ausbildungen anböten.

26      Im vorliegenden Fall kann dem Vorbringen des Klägers, dass Ausbildungs- und Bildungsdienstleistungen zur Erlangung einer Ausbildung in einem handwerklichen oder industriellen Beruf nur von Berufsschulen angeboten würden, nicht aber von oder in Werkstätten, nicht gefolgt werden. In Übereinstimmung mit dem EUIPO ist darauf hinzuweisen, dass die duale Ausbildung in Deutschland, die aus theoretischem Lernen und Berufserfahrung im Betrieb besteht, eine im Rahmen der Ausübung handwerklicher Berufe und der Ausbildung im Handwerk etablierte und anerkannte Praxis darstellt. Wie die von der Beschwerdekammer in den Rn. 30 und 31 der angefochtenen Entscheidung genannten Beispiele zeigen, sind handwerkliche Werkstätten in diesem Zusammenhang aus der Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise sowohl Orte für Herstellung und Bearbeitung als auch Orte zur Ausbildung in handwerklichen Berufen.

27      Auch das Vorbringen des Klägers, die Beschwerdekammer habe durch die Bezugnahme auf diese Beispiele zu Unrecht angenommen, dass Stahl in Werkstätten „produziert“ werden könne, ist nicht geeignet, die Wahrnehmung des Begriffs „Stahlwerkstatt“ als Bezeichnung eines Ortes, der dazu dienen kann, Berufsausbildungen anzubieten, in Frage zu stellen.

28      Folglich ist der erste Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung 2017/1001

29      Da nach Art. 7 Abs. 1 der Verordnung 2017/1001 ein Zeichen bereits dann von der Eintragung als Unionsmarke ausgeschlossen ist, wenn eines der dort aufgezählten absoluten Eintragungshindernisse vorliegt, braucht die Begründetheit des zweiten Klagegrundes, mit dem der Kläger einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung rügt, nicht geprüft zu werden.

30      Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen, ohne dass über die Zulässigkeit der Anträge des Klägers entschieden zu werden braucht.

 Kosten

31      Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

32      Da der Kläger unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des EUIPO die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Dritte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Herr Okan Balaban trägt die Kosten.

De Baere

Kreuschitz

Steinfatt

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. September 2022.

Der Kanzler

 

Die Präsidentin

E. Coulon

 

A. Marcoulli


*      Verfahrenssprache: Deutsch.