Language of document : ECLI:EU:C:2024:54

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

18. Januar 2024(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Luftverkehr – Verordnung (EU) Nr. 376/2014 – Weiterverfolgung von Ereignissen, die die Flugsicherheit gefährden – Art. 15 – Vertraulichkeit der Angaben zu diesen Ereignissen – Umfang dieser Vertraulichkeit – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 11 – Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit – Medienfreiheit – Ersuchen von im Sektor der Informationsmedien tätigen Unternehmen um Übermittlung von Informationen über den Abschuss eines den Osten der Ukraine überfliegenden Luftfahrzeugs – Art. 52 Abs. 1 – Einschränkung – Voraussetzungen“

In der Rechtssache C‑451/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Raad van State (Staatsrat, Niederlande) mit Entscheidung vom 29. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juli 2022, in dem Verfahren

RTL Nederland BV,

RTL Nieuws BV,

Beteiligter:

Minister van Infrastructuur en Waterstaat,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin der Dritten Kammer K. Jürimäe in Wahrnehmung der Aufgaben der Präsidentin der Zweiten Kammer, der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer (Berichterstatter) sowie der Richterin M. L. Arastey Sahún,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: A. Lamote, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. März 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, J. M. Hoogveld und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,

–        des Rates der Europäischen Union, vertreten durch F. Naert und N. Rouam als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch P.‑J. Loewenthal, A. Nijenhuis, B. Sasinowska und G. Wilms, dann durch P.‑J. Loewenthal, A. Nijenhuis und B. Sasinowska als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juni 2023

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und Art. 15 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 376/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Meldung, Analyse und Weiterverfolgung von Ereignissen in der Zivilluftfahrt, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 996/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnungen (EG) Nr. 1321/2007 und (EG) Nr. 1330/2007 der Kommission (ABl. 2014, L 122, S. 18) in der durch die Verordnung (EU) 2018/1139 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2018 (ABl. 2018, L 212, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 376/2014).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der RTL Nederland BV und der RTL Nieuws BV (im Folgenden zusammen: RTL) auf der einen Seite und dem Minister van Infrastructuur en Waterstaat (Minister für Infrastruktur und Wasserwirtschaft, Niederlande) auf der anderen Seite über eine Entscheidung, mit der dieser einen Antrag der beiden Unternehmen auf Auskunft über den am 17. Juli 2014 über der Ostukraine erfolgten Abschuss eines Luftfahrzeugs abgelehnt hatte.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Allgemeine Regelung für die Zivilluftfahrt

3        Das Hauptziel der Verordnung 2018/1139 besteht nach deren Art. 1 Abs. 1 darin, in der Europäischen Union ein hohes einheitliches Niveau der Flugsicherheit in der Zivilluftfahrt zu erreichen und aufrechtzuerhalten.

4        Zu diesem Zweck wird mit den Bestimmungen des Kapitels IV dieser Verordnung ein „[g]emeinsames System für Zertifizierung, Aufsicht und Durchsetzung“ eingeführt. Zu diesen Bestimmungen gehört Art. 72 („Sammlung, Austausch und Analyse von Informationen“) der Verordnung, in dem es heißt:

„(1)      Die [Europäische] Kommission, die Agentur [der Europäischen Union für Flugsicherheit (EASA)] und die zuständigen nationalen Behörden tauschen alle Informationen aus, die ihnen im Rahmen der Anwendung dieser Verordnung und der auf ihrer Grundlage erlassenen delegierten Rechtsakte und Durchführungsrechtsakte zur Verfügung stehen und für die anderen Parteien zur Erfüllung ihrer Aufgaben im Rahmen dieser Verordnung relevant sind. …

(5)      Die Kommission erlässt Durchführungsrechtsakte zur Festlegung der detaillierten Vorschriften über den Informationsaustausch nach Absatz 1 dieses Artikels zwischen der Kommission, der [EASA] und den zuständigen nationalen Behörden …

Die in Unterabsatz 1 dieses Absatzes genannten detaillierten Vorschriften berücksichtigen die Notwendigkeit,

b)      die Informationsweitergabe und ‑nutzung strikt auf das zur Erreichung der in Artikel 1 dargelegten Ziele notwendige Maß zu beschränken;

(6)      Die Kommission, die [EASA] und die zuständigen nationalen Behörden … ergreifen im Einklang mit dem Recht der Union und dem nationalen Recht die erforderlichen Maßnahmen zur Gewährleistung einer angemessenen Vertraulichkeit der von ihnen gemäß diesem Artikel erhaltenen Informationen. Dieser Absatz gilt unbeschadet strengerer Vertraulichkeitserfordernisse gemäß den Verordnungen (EU) Nr. 996/2010 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über die Untersuchung und Verhütung von Unfällen und Störungen in der Zivilluftfahrt und zur Aufhebung der Richtlinie 94/56/EG (ABl. 2010, L 295, S. 35)] und … Nr. 376/2014 oder anderen Rechtsvorschriften der Union.

…“

5        Art. 119 („Transparenz und Kommunikation“) der Verordnung 2018/1139 bestimmt in Abs. 1:

„Die Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43)] findet auf die Dokumente der [EASA] Anwendung. Dies gilt unbeschadet der Regelungen für den Zugang zu Daten und Informationen, die in der Verordnung … Nr. 376/2014 und in den gemäß Artikel 72 Absatz 5 … dieser Verordnung erlassenen Durchführungsrechtsakten festgelegt sind.“

 Regelung über die Untersuchung von Unfällen und Störungen in der Zivilluftfahrt

6        Art. 5 („Verpflichtung zur Durchführung einer Untersuchung“) der Verordnung Nr. 996/2010 in der durch die Verordnung 2018/1139 geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 996/2010) bestimmt in den Abs. 1 und 2:

„(1)      Jeder Unfall und jede schwere Störung, an denen Luftfahrzeuge beteiligt sind, die von der Verordnung … 2018/1139 … erfasst werden, ist in dem Mitgliedstaat, in dem sich der Unfall oder die schwere Störung ereignet hat, zum Gegenstand einer Sicherheitsuntersuchung zu machen.

(2)      Ist ein von der Verordnung … 2018/1139 erfasstes Luftfahrzeug, das in das Luftfahrzeugregister eines Mitgliedstaats eingetragen ist, an einem Unfall oder einer schweren Störung beteiligt und lässt sich nicht abschließend feststellen, ob sich diese(r) im Hoheitsgebiet eines Staates ereignet hat, wird die Sicherheitsuntersuchung von der Sicherheitsuntersuchungsstelle des Eintragungsmitgliedstaats durchgeführt.“

7        Art. 14 („Schutz sensibler Sicherheitsinformationen“) der Verordnung Nr. 996/2010 sieht vor:

„(1)      Die folgenden Unterlagen dürfen nicht für andere Zwecke als die Sicherheitsuntersuchung verfügbar gemacht oder genutzt werden:

a)      alle Aussagen von Personen, die von der Sicherheitsuntersuchungsstelle während der Sicherheitsuntersuchung erhalten wurden;

b)      Unterlagen, die die Identität von Personen preisgeben, die im Rahmen der Sicherheitsuntersuchung ausgesagt haben;

c)      Informationen, die von der Sicherheitsuntersuchungsstelle erfasst wurden und die besonders sensibel und personenbezogen sind, einschließlich Informationen über die Gesundheit von Einzelpersonen;

d)      Material, das im Laufe der Untersuchung nachträglich angefertigt wurde, wie Notizen, Entwürfe, Stellungnahmen der Untersuchungsbeauftragten, Stellungnahmen im Rahmen der Auswertung von Informationen, einschließlich der Informationen von Flugschreibern;

e)      Informationen und Beweisstücke, die von Untersuchungsbeauftragten anderer Mitgliedstaaten oder von Drittländern gemäß internationalen Richtlinien und Empfehlungen bereitgestellt wurden, sofern dies von ihrer Sicherheitsuntersuchungsstelle beantragt wurde;

f)      Entwürfe von vorläufigen oder endgültigen Berichten oder Zwischenberichten;

g)      Cockpit-Stimmen- und -Bildaufzeichnungen und deren Abschriften sowie Stimmenaufzeichnungen aus Flugverkehrskontrollstellen, wobei auch dafür zu sorgen ist, dass Informationen, die für die Sicherheitsuntersuchungen nicht relevant sind, insbesondere diejenigen, die das Privatleben betreffen, unbeschadet des Absatzes 3 angemessen geschützt werden.

(2)      Die folgenden Unterlagen dürfen nicht für andere Zwecke als die Sicherheitsuntersuchung oder als die Verbesserung der Flugsicherheit verfügbar gemacht oder genutzt werden:

a)      alle Mitteilungen zwischen Personen, die am Betrieb des Luftfahrzeugs beteiligt waren;

b)      schriftliche oder elektronische Aufzeichnungen und Abschriften der Aufzeichnungen von Flugverkehrskontrollstellen, einschließlich Berichte und Ergebnisse zur internen Verwendung;

c)      Begleitschreiben zur Übermittlung von Sicherheitsempfehlungen von Sicherheitsuntersuchungsstellen an den Adressaten, sofern dies von der Sicherheitsuntersuchungsstelle, die die Empfehlung erteilt, beantragt wurde;

d)      Ereignismeldungen, die nach der Richtlinie 2003/42/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juni 2003 über die Meldung von Ereignissen in der Zivilluftfahrt (ABl. 2003, L 167, S. 23)] gemacht wurden.

Aufzeichnungen der Flugdatenschreiber dürfen nicht für andere Zwecke als die der Sicherheitsuntersuchung, die Lufttüchtigkeit oder der Instandhaltung verfügbar gemacht oder genutzt werden, ausgenommen wenn solche Aufzeichnungen anonymisiert oder nach sicheren Verfahren offengelegt werden.

(3)      Ungeachtet der Absätze 1 und 2 kann die Justizverwaltung oder die Behörde, die nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften für die Entscheidung über die Offenlegung der Aufzeichnungen zuständig ist, entscheiden, dass der Nutzen einer Weitergabe der in den Absätzen 1 und 2 genannten Unterlagen für andere rechtlich zulässige Zwecke die nachteiligen inländischen und internationalen Auswirkungen überwiegt, die eine solche Offenlegung für diese oder künftige Sicherheitsuntersuchungen haben kann. Die Mitgliedstaaten können entscheiden, die Fälle, in denen eine derartige Offenlegungsentscheidung getroffen werden kann, im Einklang mit den Rechtsakten der Union zu begrenzen.

Die Übermittlung von Aufzeichnungen gemäß den Absätzen 1 und 2 an einen anderen Mitgliedstaat zu einem anderen Zweck als eine Sicherheitsuntersuchung und – außerdem bezüglich Absatz 2 – zu einem anderen Zweck als die Verbesserung der Flugsicherheit kann gestattet werden, sofern das einzelstaatliche Recht des übermittelnden Mitgliedstaats dies zulässt. Die Verarbeitung oder Offenlegung der im Rahmen einer solchen Übermittlung erhaltenen Aufzeichnungen durch die Behörden des empfangenden Mitgliedstaats ist nur nach vorheriger Rücksprache mit dem übermittelnden Mitgliedstaat und vorbehaltlich des einzelstaatlichen Rechts des empfangenden Mitgliedstaats gestattet.

(4)      Es dürfen nur die Daten weitergegeben werden, die für die in Absatz 3 genannten Zwecke unbedingt nötig sind.“

8        Art. 15 („Weitergabe von Informationen“) dieser Verordnung sieht in den Abs. 3 bis 5 vor:

„(3)      Unbeschadet der Pflichten gemäß den Artikeln 16 und 17 leg[t] die leitende Sicherheitsuntersuchungsstelle … der EASA und den nationalen Zivilluftfahrtbehörden die einschlägigen Sachinformationen offen, die sie im Zuge der Sicherheitsuntersuchung erhalten ha[t], mit Ausnahme der Informationen gemäß Artikel 14 Absatz 1 oder der Informationen, die einen Interessenkonflikt verursachen. Die Informationen, die die EASA und die nationalen Zivilluftfahrtbehörden erhalten, werden gemäß Artikel 14 und den anwendbaren Rechtsakten der Union und nationale[m] Recht geschützt.

(4)      Die leitende Sicherheitsuntersuchungsstelle ist berechtigt, Opfer und deren Angehörige oder deren Vereinigungen zu informieren oder Informationen zu veröffentlichen über die Tatsachenfeststellungen, den Fortgang der Sicherheitsuntersuchung, etwaige vorläufige Berichte oder Schlussfolgerungen und/oder Sicherheitsempfehlungen, sofern dies die Ziele der Sicherheitsuntersuchung nicht beeinträchtigt und die anwendbaren Rechtsvorschriften über den Schutz personenbezogener Daten uneingeschränkt eingehalten werden.

(5)      Bevor sie die in Absatz 4 genannten Informationen veröffentlicht, teilt die leitende Sicherheitsuntersuchungsstelle den Opfern und deren Angehörigen oder deren Vereinigungen diese Informationen so mit, dass die Ziele der Sicherheitsuntersuchung nicht beeinträchtigt werden.“

9        In Art. 16 („Untersuchungsbericht“) der Verordnung heißt es:

„(1)      Jede Sicherheitsuntersuchung ist mit einem Bericht in einer Form abzuschließen, die der Art und Schwere des Unfalls oder der schweren Störung angemessen ist. Im Bericht ist zu erklären, dass das einzige Ziel der Sicherheitsuntersuchung die Verhütung künftiger Unfälle und Störungen ist, ohne eine Schuld oder Haftung festzustellen. Im Bericht sind gegebenenfalls Sicherheitsempfehlungen zu machen.

(2)      Der Bericht wahrt die Anonymität aller an dem Unfall oder der schweren Störung beteiligten Personen.

(3)      Wenn im Rahmen von Sicherheitsuntersuchungen vor Abschluss der Untersuchung Berichte erstellt werden, kann die Sicherheitsuntersuchungsstelle vor der Veröffentlichung der Berichte Bemerkungen der betroffenen Behörden, einschließlich der EASA, und – über diese Behörden – des betroffenen Inhabers der Musterzulassung, Herstellers und Betreibers einholen. Sie unterliegen hinsichtlich des Inhalts der Konsultation den anwendbaren Vorschriften über die berufliche Schweigepflicht.

(4)      Vor Veröffentlichung des Abschlussberichts holt die Sicherheitsuntersuchungsstelle Bemerkungen der betroffenen Behörden, einschließlich der EASA, und – über diese Behörden – des betroffenen Inhabers der Musterzulassung, Herstellers und Betreibers ein, die hinsichtlich des Inhalts der Konsultation den anwendbaren Vorschriften über die berufliche Schweigepflicht unterliegen. Bei der Einholung solcher Bemerkungen befolgt die Sicherheitsuntersuchungsstelle die internationalen Richtlinien und Empfehlungen.

(5)      Die von Artikel 14 erfassten Informationen werden nur dann in einen Bericht aufgenommen, wenn sie für die Analyse des Unfalls oder der schweren Störung von Belang sind. Informationen oder Teile davon, die für die Analyse nicht relevant sind, sind nicht offenzulegen.

(6)      Die Sicherheitsuntersuchungsstelle veröffentlicht den Abschlussbericht so bald wie möglich und möglichst innerhalb von zwölf Monaten nach dem Unfall oder der schweren Störung.

(7)      Kann der Abschlussbericht nicht innerhalb von zwölf Monaten veröffentlicht werden, gibt die Sicherheitsuntersuchungsstelle einen Zwischenbericht mindestens zu jedem Jahrestag des Unfalls oder der schweren Störung heraus, in dem der Untersuchungsfortgang und etwaige zu Tage getretene Sicherheitsprobleme dargelegt werden.

…“

 Regelung von Ereignissen in der Zivilluftfahrt

10      Die Richtlinie 2003/42 wurde durch die Verordnung Nr. 376/2014 aufgehoben und ersetzt.

11      In den Erwägungsgründen 6, 12, 16, 20, 32 bis 34, 40 und 50 der Verordnung Nr. 376/2014 heißt es:

„(6)      Zur Verbesserung der Flugsicherheit sollten sicherheitsrelevante Informationen aus der Zivilluftfahrt gemeldet, erfasst, gespeichert, geschützt, ausgetauscht, verbreitet und analysiert sowie auf der Grundlage der erfassten Informationen geeignete Sicherheitsmaßnahmen getroffen werden. …

(12)      Sicherheitsuntersuchungsstellen und alle für die Sicherheitsaufsicht in der Zivilluftfahrt zuständigen Stellen innerhalb der Union sollten über uneingeschränkten Zugang zu Angaben über von ihren Mitgliedstaaten erfasste Ereignisse und gespeicherte Ereignismeldungen verfügen, um entscheiden zu können, welche Störungen möglicherweise eine Sicherheitsuntersuchung erfordern, sowie um auszumachen, in welchen Bereichen im Interesse der Flugsicherheit daraus Lehren gezogen werden können, und um ihren Aufsichtspflichten zu genügen.

(16)      Um den Informationsaustausch zu erleichtern, sollten Ereignismeldungen in Datenbanken gespeichert werden, die mit dem europäischen Koordinierungszentrum für Informationssysteme über Luftfahrtunfälle (Eccairs – d. h. mit der von allen Mitgliedstaaten und dem Europäischen Zentralspeicher für die Speicherung der Ereignismeldungen verwendeten Software) … kompatibel sind. …

(20)      Zweck des Austauschs von Informationen über Ereignisse sollte sein, Unfälle und Störungen in der Luftfahrt zu verhindern. Es sollte dabei nicht um die Klärung von Schuld- und Haftungsfragen oder um einen Benchmarking-Vergleich der erreichten Sicherheitsstandards gehen.

(32)      Für die Öffentlichkeit sollten aggregierte Informationen über das Flugsicherheitsniveau in den Mitgliedstaaten und in der Union bereitgestellt werden. Diese Informationen sollten vor allem die Tendenzen und Analysen, die sich aus der Umsetzung dieser Verordnung durch die Mitgliedstaaten ergeben, sowie Informationen über den Inhalt des Europäischen Zentralspeichers in aggregierter Form abdecken und können durch die Veröffentlichung sicherheitsbezogener Leistungsindikatoren bereitgestellt werden.

(33)      Das Sicherheitssystem in der Zivilluftfahrt beruht auf Resonanz auf Meldungen über und Lehren aus Unfällen und Störungen. Die Meldung von Ereignissen und die Nutzung von Ereignisinformationen zur Verbesserung der Sicherheit beruhen auf einem Vertrauensverhältnis zwischen dem Meldenden und der für die Erfassung und Auswertung der Information zuständigen Stelle. Dies erfordert die strikte Anwendung von Vertraulichkeitsregeln. Mit dem Schutz von Sicherheitsinformationen vor unangemessener Verwendung und der Beschränkung des Zugangs zum Europäischen Zentralspeicher auf interessierte Kreise, die an der Verbesserung der Sicherheit in der Zivilluftfahrt mitwirken, soll die kontinuierliche Verfügbarkeit von Sicherheitsinformationen sichergestellt werden, sodass zweckdienliche und rechtzeitige Präventivmaßnahmen getroffen werden können, um die Flugsicherheit zu erhöhen. In diesem Zusammenhang sollten sensible Sicherheitsinformationen in geeigneter Weise geschützt und ihre Erfassung dadurch sichergestellt werden, dass ihre vertrauliche Behandlung, der Quellenschutz und das Vertrauen des in der Zivilluftfahrt tätigen Personals in Ereignismeldungssysteme gewährleistet werden. Es sollten geeignete Maßnahmen ergriffen werden, um die Vertraulichkeit von Informationen zu wahren, die durch Ereignismeldesysteme erfasst wurden, und um den Zugang zum Europäischen Zentralspeicher zu beschränken. Nationale Regelungen zur Informationsfreiheit sollten der notwendigen Vertraulichkeit dieser Informationen Rechnung tragen. Die erfassten Informationen sollten sachgerecht vor unerlaubter Verwendung oder Offenlegung geschützt werden. Sie sollten ausschließlich zum Zweck der Erhaltung oder Verbesserung der Flugsicherheit, nicht zur Klärung von Schuld- oder Haftungsfragen genutzt werden.

(34)      Um sicherzustellen, dass die Angestellten und das Vertragspersonal Vertrauen in das Ereignismeldesystem der Organisation haben, sollten die aus den Ereignismeldungen gewonnenen Informationen angemessen geschützt und nicht für andere Zwecke als die Aufrechterhaltung oder Verbesserung der Flugsicherheit verwendet werden. …

(40)      Um das Vertrauen von Einzelpersonen in das System zu stärken, sollte die Bearbeitung der Ereignismeldungen so gestaltet werden, dass die Vertraulichkeit in Bezug auf den Meldenden und andere Personen, die in den Ereignismeldungen genannt sind, … angemessen geschützt ist. …

(50)      Die Regelungen über Datenverarbeitung und den Schutz natürlicher Personen … sollten bei der Anwendung dieser Verordnung in vollem Umfang beachtet werden. Die Regelungen über den Zugang zu Daten gemäß der Verordnung … Nr. 1049/2001 … sollten bei der Anwendung dieser Verordnung in vollem Umfang beachtet werden, soweit es sich nicht um die Verbreitung von im Europäischen Zentralspeicher enthaltenen Daten und Informationen handelt, die nach strengeren Zugangsregeln gemäß dieser Verordnung geschützt sind.“

12      Art. 1 („Ziele“) der Verordnung Nr. 376/2014 bestimmt:

„(1)      Diese Verordnung dient der Verbesserung der Flugsicherheit, indem gewährleistet wird, dass für die Sicherheit der Zivilluftfahrt relevante Informationen gemeldet, erfasst, gespeichert, geschützt, ausgetauscht, verbreitet und analysiert werden.

Mit dieser Verordnung wird sichergestellt,

a)      dass aufgrund einer Analyse der erhobenen Daten gegebenenfalls zeitnah Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden,

b)      dass Sicherheitsinformationen kontinuierlich zur Verfügung stehen, indem Regelungen über die Vertraulichkeit und eine angemessene Nutzung der Informationen eingeführt werden und ein einheitlicher und verstärkter Schutz für die meldende Person und für Personen, die in einer Ereignismeldung genannt sind, gewährleistet wird,

c)      dass Risiken für die Flugsicherheit sowohl auf Unionsebene als auch auf nationaler Ebene berücksichtigt und behandelt werden.

(2)      Die Erfassung von Ereignismeldungen dient ausschließlich der Verhütung von Unfällen und Störungen, nicht der Klärung von Schuld- oder Haftungsfragen.“

13      Art. 2 dieser Verordnung sieht vor:

„Für die Zwecke dieser Verordnung gelten folgende Begriffsbestimmungen:

3.      ‚Störung‘: eine Störung im Sinne der Verordnung … Nr. 996/2010;

4.      ,schwere Störung‘: eine schwere Störung im Sinne der Verordnung … Nr. 996/2010;

5.      ‚Unfall‘: ein Unfall im Sinne der Verordnung … Nr. 996/2010;

6.      ,entpersönlichte Informationen‘: Informationen aus Ereignismeldungen, aus denen alle personenbezogenen Daten wie Name und Anschrift von natürlichen Personen getilgt wurden;

7.      ,Ereignis‘: ein sicherheitsbezogenes Vorkommnis, das ein Luftfahrzeug, seine Insassen oder Dritte gefährdet bzw. – bei Ausbleiben von Abhilfemaßnahmen oder bei Nichtbeachtung – gefährden könnte; hierzu zählen insbesondere Unfälle oder schwere Störungen;

9.      ,Anonymisierung‘: die Tilgung aller personenbezogenen Angaben aus den übermittelten Ereignismeldungen, soweit sich diese Angaben auf den Meldenden und auf in einem gemeldeten Ereignis genannte Personen beziehen, sowie aller Angaben, einschließlich des Namens der an dem Ereignis beteiligten Organisation(en), aus denen sich die Identität des Meldenden oder Dritter ergeben kann oder die anhand der Ereignismeldung Rückschlüsse darauf zulassen;

…“

14      Art. 3 („Gegenstand und Geltungsbereich“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 376/2014 sieht vor:

„Diese Verordnung regelt:

a)      die Meldung von Ereignissen, die ein Luftfahrzeug, seine Insassen, andere Personen, Ausrüstungen oder Anlagen, die mit dem Betrieb von Luftfahrzeugen im Zusammenhang stehen, gefährden bzw. – bei Ausbleiben von Gegenmaßnahmen oder bei Nichtbeachtung – gefährden würden, sowie anderer einschlägiger sicherheitsbezogener Informationen;

b)      die Analyse und Folgemaßnahmen in Bezug auf gemeldete Ereignisse und andere sicherheitsbezogene Informationen;

c)      den Schutz des Luftfahrtpersonals;

d)      die sachgemäße Verwendung erfasster Sicherheitsinformationen;

e)      die Zusammenführung von Informationen im Europäischen Zentralspeicher;

…“

15      In Art. 4 („Meldepflicht“) der Verordnung heißt es:

„(1)      Ereignisse, die ein erhebliches Risiko für die Flugsicherheit darstellen können und in eine der nachstehenden Kategorien fallen, sind von den in Absatz 6 aufgeführten Personen über das System zur Erfassung meldepflichtiger Ereignisse gemäß dem vorliegenden Artikel zu melden:

a)      Ereignisse im Zusammenhang mit dem Betrieb des Luftfahrzeugs wie

iv)      Ereignisse während des Fluges,

(2)      Jede in einem Mitgliedstaat ansässige Organisation richtet ein System zur Erfassung meldepflichtiger Ereignisse nach Absatz 1 ein, um die Erfassung von Angaben zu Ereignissen zu erleichtern.

(3)      Jeder Mitgliedstaat richtet ein System zur Erfassung meldepflichtiger Ereignisse ein, um die Erfassung von Angaben zu Ereignissen, einschließlich der Erfassung von Angaben zu Ereignissen, die bei Organisationen in Anwendung des Absatzes 2 eingegangen sind, zu erleichtern.

(6)      Die folgenden natürlichen Personen melden die in Absatz 1 genannten Ereignisse vorrangig über das System, das von der Organisation, bei der sie beschäftigt sind, gemäß Absatz 2 eingerichtet wurde, oder ersatzweise über das System, das von dem Niederlassungsmitgliedstaat ihrer Organisation oder von dem Staat gemäß Absatz 3 eingerichtet wurde, der die Pilotenlizenz ausgestellt, bestätigt oder umgeschrieben hat, oder über das System, das von der [EASA] gemäß Absatz 4 eingerichtet wurde:

a)      der Kommandant oder – falls der Kommandant nicht in der Lage ist, das Ereignis zu melden – ein anderes im Rang unmittelbar folgendes Besatzungsmitglied eines in der Union registrierten Luftfahrzeugs oder eines außerhalb der Union registrierten Luftfahrzeugs, das von einem Betreiber, über den ein Mitgliedstaat die Betriebsaufsicht ausübt, oder von einem in der Union niedergelassen Betreiber eingesetzt wird;

b)      Personen, die an der Konstruktion, Herstellung, fortlaufenden Überwachung der Lufttüchtigkeit, Wartung oder Veränderung von Luftfahrzeugen oder Ausrüstungen oder Teilen davon unter der Aufsicht eines Mitgliedstaates oder unter der Aufsicht der [EASA] beteiligt sind;

c)      Personen, die eine Bescheinigung über die Prüfung der Lufttüchtigkeit oder eine Freigabebescheinigung (CRS) für Luftfahrzeuge oder Ausrüstungen oder Teilen davon unter der Aufsicht eines Mitgliedstaates oder der [EASA] unterzeichnen;

d)      Personen, die eine Funktion ausüben, die eine von einem Mitgliedstaat erteilte Genehmigung als Mitarbeiter eines Dienstleisters für Flugverkehrsdienste, der mit Aufgaben im Zusammenhang mit Flugsicherungsdiensten betraut ist, oder als Fluginformationsdienst-Lotse voraussetzt;

e)      Personen, die eine Funktion im Zusammenhang mit dem Sicherheitsmanagement eines Flughafens ausüben …

(7)      Die in Absatz 6 aufgeführten Personen melden Ereignisse innerhalb von 72 Stunden, nachdem sie davon Kenntnis erhalten, sofern außergewöhnliche Umstände dies nicht verhindern.

(8)      Nach Meldung eines Ereignisses übermittelt eine in einem Mitgliedstaat niedergelassene Organisation, die nicht unter Absatz 9 fällt, der zuständigen Behörde des betreffenden Mitgliedstaats im Sinne des Artikels 6 Absatz 3 die gemäß Absatz 2 des vorliegenden Artikels erfassten Angaben zu den Ereignissen so rasch wie möglich, in jedem Fall nicht später als 72 Stunden, nachdem sie davon Kenntnis erhalten hat.

…“

16      Art. 5 („Freiwillige Meldungen“) der Verordnung Nr. 376/2014 sieht in den Abs. 1 bis 3 vor, dass jede in einem Mitgliedstaat ansässige Organisation, jeder Mitgliedstaat und die [EASA] ein System zur Erstattung freiwilliger Meldungen einrichten, um die Erfassung zum einen von Angaben zu Ereignissen, die möglicherweise nicht unter das in Art. 4 der Verordnung vorgesehene System zur Erfassung meldepflichtiger Ereignisse fallen, und zum anderen von anderen sicherheitsbezogenen Informationen, die vom Meldenden als tatsächliche oder potenzielle Gefahr für die Flugsicherheit betrachtet werden, zu erleichtern. Nach Art. 5 Abs. 7 der Verordnung können Organisationen, die Mitgliedstaaten und die [EASA] andere Systeme zur Erfassung und Verarbeitung von Sicherheitsinformationen einrichten, um Angaben zu Ereignissen zu erfassen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie nicht von den in Art. 5 Abs. 1 bis 3 und Art. 4 der Verordnung genannten Meldesystemen erfasst werden.

17      Art. 6 („Erfassung und Speicherung von Informationen“) der Verordnung Nr. 376/2014 bestimmt:

„…

(3)      Jeder Mitgliedstaat benennt eine oder mehrere zuständige Behörden, die einen Mechanismus zur unabhängigen Erfassung, Auswertung, Verarbeitung, Analyse und Speicherung von Angaben zu Ereignissen einrichten, die gemäß den Artikeln 4 und 5 gemeldet werden.

Die Bearbeitung der Meldungen erfolgt im Hinblick darauf, dass die Verwendung von Informationen für andere als Sicherheitszwecke verhindert wird, und in einer Weise, die die Vertraulichkeit in Bezug auf den Meldenden und die in der Ereignismeldung genannten Personen mit Blick auf die Förderung einer Redlichkeitskultur angemessen schützt.

(6)      Die zuständigen Behörden nach Absatz 3 speichern Ereignismeldungen, die auf der Grundlage von nach den Artikeln 4 und 5 erfassten Angaben zu Ereignissen erstellt worden sind, in einer nationalen Datenbank.

…“

18      In Art. 7 („Qualität und Inhalt der Ereignismeldungen“) Abs. 4 der Verordnung heißt es:

„Die in Artikel 6 Absätze 5, 6 und 8 genannten Datenbanken müssen Formate verwenden, die

a)      zur Erleichterung des Informationsaustauschs standardisiert und

b)      mit der Eccairs-Software … kompatibel

sind.“

19      Art. 8 („Europäischer Zentralspeicher“) dieser Verordnung sieht in Abs. 1 und 2 u. a. vor, dass die Kommission einen Europäischen Zentralspeicher für die Speicherung aller in der Union erfassten Ereignismeldungen verwaltet und dass jeder Mitgliedstaat diesen Datenspeicher aktualisiert, indem er alle gemäß Art. 6 Abs. 6 in nationalen Datenbanken enthaltenen sicherheitsbezogenen Informationen dorthin überträgt.

20      Art. 9 („Informationsaustausch“) Abs. 1 der Verordnung Nr. 376/2014 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten und die [EASA] nehmen an einem Informationsaustausch teil, indem sie alle sicherheitsbezogenen, in ihren jeweiligen Datenbanken für Meldungen gespeicherten Informationen den zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten, der [EASA] und der Kommission über den Europäischen Zentralspeicher zugänglich machen.

Ereignismeldungen werden spätestens 30 Tage nach ihrer Eingabe in die nationale Datenbank in den Europäischen Zentralspeicher übertragen.

Ereignismeldungen werden bei Bedarf durch zusätzliche sicherheitsbezogene Informationen aktualisiert.

…“

21      Art. 10 („Verbreitung der im Europäischen Zentralspeicher gespeicherten Informationen“) Abs. 1 dieser Verordnung lautet:

„Alle für die Sicherheitsaufsicht in der Zivilluftfahrt zuständigen Einrichtungen oder Sicherheitsuntersuchungsstellen innerhalb der Union erhalten sicheren, uneingeschränkten Online-Zugang zu den im Europäischen Zentralspeicher enthaltenen Informationen über Ereignisse.

Für die Nutzung der Informationen gelten die Artikel 15 und 16.“

22      In Art. 13 („Analyse und Weiterverfolgung von Ereignissen auf nationaler Ebene“) der Verordnung heißt es:

„…

(9)      Soweit verfügbar, werden gemäß diesem Artikel gesammelte Informationen in Zusammenhang mit der Analyse und Weiterverfolgung von Einzelereignissen oder Ereignisgruppen zeitnah, spätestens jedoch zwei Monate nach ihrer Speicherung in der nationalen Datenbank gemäß Artikel 8 Absätze 2 und 3 im Europäischen Zentralspeicher gespeichert.

(10)      Aus der Analyse der Ereignismeldungen gewonnene Informationen werden von den Mitgliedstaaten zur Entscheidung darüber genutzt, welche Abhilfemaßnahmen gegebenenfalls im Rahmen des staatlichen Sicherheitsprogramms zu treffen sind.

(11)      Um die Öffentlichkeit über das Sicherheitsniveau in der Zivilluftfahrt zu informieren, veröffentlichen die Mitgliedstaaten mindestens einmal jährlich einen Sicherheitsbericht. Dieser Sicherheitsbericht

a)      enthält aggregierte und anonymisierte Informationen zu der Art von Ereignissen, die in ihren nationalen Systemen zur Erfassung meldepflichtiger Ereignisse bzw. zur Erstattung freiwilliger Meldungen erfasst wurden;

b)      gibt Tendenzen an und

c)      führt die von dem betreffenden Mitgliedstaat getroffenen Maßnahmen auf.

(12)      Die Mitgliedstaaten können auch anonymisierte Ereignismeldungen und Ergebnisse von Risikoanalysen veröffentlichen.“

23      Art. 15 („Vertraulichkeit und angemessene Nutzung der Informationen“) der Verordnung lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten und die Organisationen – die jeweils nach ihrem nationalen Recht handeln – sowie die [EASA] ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um die angemessene Vertraulichkeit der ihnen nach den Artikeln 4, 5 und 10 zugegangenen Angaben zu Ereignissen zu gewährleisten.

Jeder Mitgliedstaat, jede in einem Mitgliedstaat ansässige Organisation und die [EASA] verarbeiten personenbezogene Daten nur in dem Umfang, wie es für die Zwecke dieser Verordnung erforderlich ist, und zwar unbeschadet der nationalen Rechtsakte zur Umsetzung der Richtlinie 95/46/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 1995, L 281, S. 31)].

(2)      Unbeschadet der Bestimmungen über den Schutz von Sicherheitsinformationen in den Artikeln 12, 14 und 15 der Verordnung … Nr. 996/2010 werden die Informationen aus Ereignismeldungen nur für den Zweck verwendet, für den sie erfasst wurden.

Die Mitgliedstaaten, die [EASA] und die Organisationen stellen die Informationen über Ereignisse nicht

a)      für die Klärung von Schuld- und Haftungsfragen oder

b)      für andere Zwecke als die Aufrechterhaltung oder Verbesserung der Flugsicherheit

zur Verfügung und verwenden sie auch nicht dafür.

…“

24      Art. 16 („Schutz der Informationsquelle“) der Verordnung Nr. 376/2014 sieht in Abs. 3 vor:

„Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass personenbezogene Angaben niemals in der in Artikel 6 Absatz 6 genannten nationalen Datenbank gespeichert werden. Derartige anonymisierte Informationen werden allen einschlägigen Kreisen zur Verfügung gestellt, um ihnen zum Beispiel die Wahrnehmung ihrer Verpflichtungen im Hinblick auf die Verbesserung der Flugsicherheit zu ermöglichen.“

25      Art. 20 („Zugang zu Dokumenten und Schutz personenbezogener Daten“) Abs. 1 dieser Verordnung lautet:

„Mit Ausnahme der Artikel 10 und 11, durch die strengere Regeln für den Zugang zu den im Europäischen Zentralspeicher enthaltenen Daten und Informationen festgelegt werden, beeinträchtigt diese Verordnung nicht die Anwendung der Verordnung … Nr. 1049/2001.“

 Niederländisches Recht

 Gesetz über die Transparenz der Verwaltung

26      Das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Verwaltungsdokumenten war, was den Ausgangsrechtsstreit betrifft, in der Wet houdende regelen betreffende de openbaarheid van bestuur (Gesetz zur Regelung der Transparenz der Verwaltung) vom 31. Oktober 1991 (Stb. 1991, Nr. 703, im Folgenden: Gesetz über die Transparenz der Verwaltung) geregelt.

27      Art. 2 Abs. 1 dieses Gesetzes sah vor:

„Bei der Erfüllung ihrer Aufgaben stellt eine Verwaltungsbehörde unbeschadet anderer gesetzlicher Bestimmungen Informationen gemäß diesem Gesetz zur Verfügung und geht dabei von dem Allgemeininteresse am freien Zugang zu Informationen aus.“

28      Art. 3 des Gesetzes bestimmte:

„1.      Jede Person kann eine Informationsanfrage in Bezug auf Dokumente, die sich auf eine Verwaltungsangelegenheit beziehen, an eine Verwaltungsbehörde oder an ein unter der Verantwortung einer Verwaltungsbehörde tätiges Organ, eine solche Dienststelle oder ein solches Unternehmen richten.

2.      Der Antragsteller bezeichnet in dem Antrag die Verwaltungsangelegenheit oder das sich hierauf beziehende Dokument, über die bzw. das er Informationen erhalten möchte.

3.      Der Antragsteller braucht in dem Antrag kein Interesse darzulegen.

5.      Einer Informationsanfrage wird gemäß den Bestimmungen der Art. 10 und 11 stattgegeben.“

29      Art. 10 Abs. 2 des Gesetzes lautete:

„Die Übermittlung von Informationen nach diesem Gesetz unterbleibt auch, soweit das Interesse an dieser Übermittlung die folgenden Interessen nicht überwiegt:

a.      die Beziehungen der Niederlande zu anderen Staaten und zu internationalen Organisationen;

d.      Inspektion, Kontrolle und Aufsicht durch die Verwaltungsbehörden;

e.      die Achtung der Privatsphäre;

…“

 Luftfahrtgesetz

30      Art. 7.1 Abs. 1 der Wet houdende algemene regeling met betrekking tot het luchtverkeer (Gesetz zur allgemeinen Regelung des Luftverkehrs) vom 18. Juni 1992 (Stb. 1992, Nr. 368) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Luftfahrtgesetz) sah vor:

„Die Ereignisse werden dem Minister für Infrastruktur und Umwelt gemeldet.“

31      Art. 7.2 Abs. 1 des Luftfahrtgesetzes lautete:

„Daten, die aus einer Meldung nach Art. 7.1 Abs. 1 oder von einem Mitgliedstaat der Europäischen Union als Reaktion auf eine solche Meldung in diesem Mitgliedstaat stammen, sind nicht öffentlich.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits und Vorlagefragen

32      Mit Schreiben vom 10. Januar 2018 beantragte RTL beim Minister van Justitie en Veiligheid (Minister für Justiz und Sicherheit, Niederlande) gemäß dem Gesetz über die Transparenz der Verwaltung, ihr eine Reihe von Informationen über den Abschuss eines von der Gesellschaft Malaysia Airlines gecharterten Luftfahrzeugs zu übermitteln, das einen Flug mit dem IATA-Code (International Air Transport Association) MH17 von Amsterdam (Niederlande) nach Kuala Lumpur (Malaysia) (im Folgenden: MH17) durchgeführt hatte. Dieser Abschuss war am 17. Juli 2014 erfolgt, als MH17 den Luftraum über der ostukrainischen Region Donezk durchquerte. Mit ihrem Antrag, der sich u. a. auf eine Kategorie von Dokumenten bezog, die als die „Eccairs-Meldungen von 2014 über die Ukraine“ (im Folgenden: Eccairs-Meldungen) bezeichnet wurden, wollte RTL Aufschluss darüber erhalten, was die niederländischen Behörden über dieses Ereignis wussten.

33      Der Minister für Justiz und Sicherheit leitete den die Eccairs-Meldungen betreffenden Teil des Antrags an den Minister für Infrastruktur und Wasserwirtschaft weiter. Dieser stellte nach einer Abfrage der niederländischen Datenbank fest, dass dort von der zuständigen niederländischen Behörde drei Meldungen über Ereignisse gespeichert worden waren, die sich 2014 im ukrainischen Luftraum zugetragen hatten. Er prüfte dagegen nicht, ob die zuständigen Behörden der anderen Mitgliedstaaten in ihren jeweiligen nationalen Datenbanken und im Europäischen Zentralspeicher entsprechende Meldungen gespeichert hatten.

34      Mit Entscheidung vom 17. April 2018 lehnte der Minister für Infrastruktur und Wasserwirtschaft den Antrag ab, soweit er sich auf die Eccairs-Meldungen bezog. Dies begründet er im Wesentlichen damit, dass sich aus der Verordnung Nr. 376/2014 ein spezielles Offenlegungsverbot ergebe, das die in Rede stehenden Informationen erfasse. Die allgemeine Regelung über den Zugang der Öffentlichkeit zu Verwaltungsdokumenten nach dem Gesetz über die Transparenz der Verwaltung sei daher nicht anwendbar. Rechtsfolge dieser Sonderregelung sei, dass die in den nationalen Datenbanken gespeicherten Informationen zum einen nur interessierten Personen, wie sie in Anhang II dieser Verordnung definiert seien, übermittelt und zum anderen nur zur Aufrechterhaltung oder Verbesserung der Flugsicherheit verwendet werden dürften.

35      RTL legte gegen diesen Bescheid Widerspruch ein.

36      Mit Entscheidung vom 17. Oktober 2018 bestätigte der Minister für Infrastruktur und Wasserwirtschaft seine Entscheidung vom 17. April 2018 und verwies dabei auf einen weiteren Grund, nämlich auf Art. 7.2 des Luftfahrtgesetzes, der die ordnungsgemäße Anwendung der Verordnung Nr. 376/2014 im innerstaatlichen Recht sicherstellen solle und daher ebenfalls einer Übermittlung von Informationen über den Abschuss von MH17 an eine juristische Person wie RTL entgegenstehe.

37      RTL erhob daraufhin Klage bei der Rechtbank Midden-Nederland (Bezirksgericht Mittelniederlande, Niederlande).

38      Mit Urteil vom 7. November 2019 wies dieses Gericht die Klage von RTL als unbegründet ab.

39      Mit dem beim Raad van State (Staatsrat, Niederlande) eingelegten Rechtsmittel macht RTL insbesondere geltend, dass die Verordnung Nr. 376/2014 und Art. 7.2 des Luftfahrtgesetzes nicht dahin ausgelegt werden könnten, dass sie eine Sonderregelung hinsichtlich der Vertraulichkeit oder eines Offenlegungsverbots einführten, die die Rechtsfolge habe, dass ihr die Möglichkeit nach der im Gesetz über die Transparenz der Verwaltung vorgesehenen allgemeinen Regelung über den Zugang der Öffentlichkeit zu Verwaltungsdokumenten, Informationen über den Abschuss von MH17 zu erhalten, vollständig und absolut genommen werde. Zwar ergebe eine Analyse von Wortlaut und Zusammenhang von Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 sowie der mit ihm verfolgten Ziele, dass der Unionsgesetzgeber im Bereich der Flugsicherheit eine spezielle Vertraulichkeitsregelung habe einführen wollen. Diese schreibe jedoch kein vollständiges und absolutes Verbot der Offenlegung der von ihr erfassten Informationen vor.

40      Hilfsweise trägt RTL vor, dass diese Vertraulichkeitsregelung, selbst wenn sie unter Ausschluss jeder anderen Regelung anwendbar sein sollte, gleichwohl unter Wahrung des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit ausgelegt werden müsse, das in Art. 10 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) verankert sei. Im Sektor der Informationsmedien tätige Unternehmen könnten daher weiterhin bestimmte Informationen erhalten, die ein wichtiges öffentliches Interesse berührten, wie dies bei den Informationen über das katastrophale Ereignis, um das es sich beim Abschuss von MH17 handele, der Fall sei.

41      In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht erstens, welche Tragweite die mit Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 eingeführte Vertraulichkeitsregelung hat, ob das mit dem Luftfahrtgesetz eingeführte spezielle Offenlegungsverbot mit dieser Regelung vereinbar ist und wie sich diese beiden Regelungen zur allgemeinen Regelung über den Zugang der Öffentlichkeit zu Verwaltungsdokumenten verhalten, die im innerstaatlichen Recht im Gesetz über die Transparenz der Verwaltung vorgesehen ist.

42      Hierzu führt das vorlegende Gericht insbesondere aus, dass sich bei einer Prüfung der Richtlinie 2003/42 und der Verordnung Nr. 376/2014 nicht feststellen lasse, ob diese Rechtsakte ein vollständiges und absolutes Verbot der Offenlegung der Informationen, auf die die verschiedenen mit ihnen eingeführten Vertraulichkeitsregelungen Anwendung fänden, festlegten, zuließen oder im Gegenteil ausschlössen. Ihre Bestimmungen und die Erwägungsgründe, die ihre Tragweite erläutern könnten, erwähnten nämlich in ihrer niederländischen Fassung die Notwendigkeit, eine diesen Informationen „angemessene“ oder „sachgerechte“ Vertraulichkeit zu gewährleisten. Außerdem sei dort manchmal von „Informationen“ die Rede, die die zuständigen nationalen Behörden erhalten hätten, manchmal von „sensiblen Informationen“, die sich im Besitz dieser Behörden befänden, und manchmal von „Angaben über Ereignisse“, die ein Risiko für die Flugsicherheit darstellen könnten, ohne dass ausdrücklich präzisiert werde, was unter diesen verschiedenen Begriffen zu verstehen sei oder wie sie sich zueinander verhielten.

43      Im Übrigen seien diese verschiedenen Regelungen zum einen im Licht des Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit auszulegen, das Art. 11 der Charta und Art. 10 EMRK allgemein jeder Person garantierten, und zum anderen im Licht der Rechte und der besonderen Rolle als „Wachhund“, die Art. 10 EMRK den Presseorganen zuerkenne, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte u. a. in seinem Urteil vom 8. November 2016, Magyar Helsinki Bizottság/Ungarn (CE:ECHR:2016:1108JUD001803011), festgestellt habe.

44      Zweitens stellt sich dem vorlegenden Gericht im Wesentlichen die Frage, welche Konsequenzen aus einer etwaigen Unvereinbarkeit des Luftfahrtgesetzes mit der im Licht von Art. 11 der Charta ausgelegten Verordnung Nr. 376/2014 zu ziehen sind. Sollte die im Luftfahrtgesetz vorgesehene Sonderregelung über das Offenlegungsverbot mit der Verordnung Nr. 376/2014 unvereinbar und damit unanwendbar sein, sei die Rechtmäßigkeit der Entscheidung, mit der der Minister für Infrastruktur und Wasserwirtschaft den Antrag von RTL abgelehnt habe, anhand des Gesetzes über die Transparenz der Verwaltung zu beurteilen. Auch wenn dieses Gesetz nicht der Umsetzung oder Anwendung von Vorschriften des abgeleiteten Unionsrechts diene und dieses nicht allgemein das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Verwaltungsdokumenten in den Mitgliedstaaten harmonisiere, müsse das Gesetz doch so weit wie möglich unter Berücksichtigung der mit der Verordnung Nr. 376/2014 eingeführten Vertraulichkeitsregelung ausgelegt werden, worauf im Übrigen im 33. Erwägungsgrund dieser Verordnung hingewiesen werde.

45      Unter diesen Umständen hat der Raad van State (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Was ist unter „Angaben zu Ereignissen“ und „angemessene[r] Vertraulichkeit“ im Sinne von Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 376/2014 und im Licht der in Art. 11 der Charta und in Art. 10 EMRK verankerten Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit zu verstehen?

2.      Ist Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 376/2014 im Licht der in Art. 11 der Charta und in Art. 10 EMRK verankerten Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit dahin auszulegen, dass er mit einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden vereinbar ist, wonach keine einzige Information zu gemeldeten Ereignissen offengelegt werden darf?

3.      Bei Verneinung von Frage 2: Darf die zuständige nationale Stelle eine allgemeine nationale Offenlegungsregelung anwenden, wonach Informationen nicht bereitgestellt werden, sofern die Bereitstellung nicht die Interessen überwiegt, die beispielsweise mit Beziehungen zu anderen Staaten und internationalen Organisationen, der Inspektion, Kontrolle und Aufsicht durch staatliche Stellen, der Achtung der Privatsphäre und der Vermeidung einer unverhältnismäßigen Bevorzugung oder Benachteiligung natürlicher oder juristischer Personen zusammenhängen?

4.      Macht es bei Anwendung der allgemeinen nationalen Offenlegungsregelung einen Unterschied, ob es um Informationen aus der nationalen Datenbank oder um Informationen aus oder über Meldungen geht, die in anderen Dokumenten, beispielsweise politischen Dokumenten, enthalten sind?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten und zur zweiten Frage

46      Mit der ersten und der zweiten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 im Licht des in Art. 11 der Charta verankerten Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit dahin auszulegen ist, dass die sich im Besitz der zuständigen nationalen Behörden befindlichen Informationen über ein flugsicherheitsbezogenes „Ereignis“ im Sinne von Art. 2 Nr. 7 dieser Verordnung einer Vertraulichkeitsregelung unterliegen, die zur Folge hat, dass weder die Öffentlichkeit noch ein Medienunternehmen Zugang zu ihnen hat.

47      Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass sich sowohl aus den Erfordernissen einer einheitlichen Anwendung des Unionsrechts als auch aus dem Gleichheitsgrundsatz ergibt, dass die Begriffe einer unionsrechtlichen Bestimmung, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union eine autonome und einheitliche Auslegung erhalten müssen. Zur Ermittlung dieser Auslegung sind nicht nur der Wortlaut der Bestimmung, sondern auch der Zusammenhang, in dem sie steht, und die mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziele zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Januar 1984, Ekro, 327/82, EU:C:1984:11, Rn. 11, und vom 15. November 2022, Senatsverwaltung für Inneres und Sport, C‑646/20, EU:C:2022:879, Rn. 40).

48      Ferner ist jeder Unionsrechtsakt so weit wie möglich in einer seine Gültigkeit nicht in Frage stellenden Weise und im Einklang mit dem gesamten Primärrecht, insbesondere den Bestimmungen der Charta, auszulegen. Lässt eine Bestimmung eines solchen Rechtsakts mehr als eine Auslegung zu, ist daher die Auslegung, bei der sie mit dem Primärrecht vereinbar ist, derjenigen vorzuziehen, die zur Feststellung ihrer Unvereinbarkeit mit dem Primärrecht führt (Urteile vom 14. Mai 2019, M u. a. [Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft], C‑391/16, C‑77/17 und C‑78/17, EU:C:2019:403, Rn. 77, und vom 26. April 2022, Polen/Parlament und Rat, C‑401/19, EU:C:2022:297, Rn. 70).

49      Im vorliegenden Fall ist als Erstes zum Wortlaut von Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 zum einen festzustellen, dass Abs. 1 dieses Artikels die Mitgliedstaaten u. a. verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die Vertraulichkeit der ihnen nach den Art. 4, 5 und 10 zugegangenen Angaben zu Ereignissen zu gewährleisten.

50      Wie sich aus Art. 4 Abs. 1 bis 3 und 6 bis 8 sowie Art. 5 Abs. 1 bis 3 und 7 der Verordnung Nr. 376/2014 in Verbindung mit den Definitionen in Art. 2 Nrn. 3 bis 5 und 7 dieser Verordnung ergibt, umfassen „Angaben“ im Sinne der Verordnung alle „Informationen“, die in welcher Form auch immer von den zuständigen nationalen Behörden über die in den ersten beiden dieser drei Artikel vorgesehenen Meldesysteme und Systeme zur Erfassung meldepflichtiger Ereignisse erfasst werden und Ereignisse betreffen, die ein Luftfahrzeug, seine Insassen oder Dritte gefährden bzw. gefährden könnten, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Störungen, schwere Störungen oder Unfälle handelt. Wie sich aus Art. 10 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 376/2014 ergibt, umfassen diese Informationen im weiteren Sinne auch alle „Informationen über [diese] Ereignisse“, die in welcher Form auch immer im Europäischen Zentralspeicher und den nationalen Datenbanken nach Art. 8 bzw. Art. 6 Abs. 6 der Verordnung gespeichert sind, insbesondere diejenigen über die „Auswertung“, die „Analyse“ und die „Weiterverfolgung“, die die zuständigen nationalen Behörden nach Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 1 und Art. 13 Abs. 9 der Verordnung durchzuführen haben, sowie diejenigen über die „Abhilfemaßnahmen“, die nach Art. 13 Abs. 10 der Verordnung zu ergreifen sind.

51      Folglich bezieht sich die in Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 376/2014 vorgesehene Vertraulichkeitsverpflichtung, wie der Generalanwalt in Nr. 30 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, auf alle Informationen über Ereignisse, die sich nach den Art. 4, 5 oder 10 dieser Verordnung im Besitz der zuständigen nationalen Behörden oder der EASA befinden. Zu diesen Informationen gehören sowohl die Informationen, die von den zuständigen nationalen Behörden im Anschluss an eine Mitteilung eines Ereignisses, das ein Luftfahrzeug, seine Insassen oder Dritte gefährdet bzw. gefährden könnte, erfasst werden, als auch die sonstigen in den nationalen Datenbanken und im Europäischen Zentralspeicher gespeicherten Informationen, insbesondere diejenigen, die in den Meldungen, Berichten und anderen Unterlagen oder Datenträgern enthalten sind, die von diesen Behörden nach einer solchen Mitteilung erstellt oder zusammengestellt wurden.

52      Zum anderen wird die rechtliche Tragweite der Vertraulichkeitsverpflichtung nach Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 376/2014 in Abs. 2 dieses Artikels präzisiert, in dem dessen sachlicher Anwendungsbereich definiert wird. So sieht Art. 15 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung vor, dass unbeschadet der Bestimmungen über den Schutz von Sicherheitsinformationen in den Art. 12, 14 und 15 der Verordnung Nr. 996/2010 die Informationen aus Ereignismeldungen nur für den Zweck verwendet werden, für den sie erfasst wurden. Außerdem stellen die Mitgliedstaaten nach Art. 15 Abs. 2 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 376/2014 Informationen über Ereignisse nicht für die Klärung von Schuld- und Haftungsfragen und ganz allgemein für andere Zwecke als die Aufrechterhaltung oder Verbesserung der Flugsicherheit zur Verfügung und verwenden sie auch nicht dafür.

53      Obwohl Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 376/2014 allgemein auf „den Zweck …, für den [solche Informationen] erfasst wurden“, verweist, ergibt sich aus einer Analyse der Verordnung als Ganzes, dass mit diesem Zweck eigentlich die Aufrechterhaltung und Verbesserung der Flugsicherheit im Sinne von Unterabs. 2 dieser Bestimmung gemeint ist. Insbesondere geht aus Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 3 Unterabs. 2 und Art. 13 Abs. 10 der Verordnung klar und kohärent hervor, dass diese Informationen nur für einen Zweck zur Verfügung gestellt und verwendet werden dürfen, der auf die eine oder andere Weise die Aufrechterhaltung oder Verbesserung der Flugsicherheit betrifft, wie z. B. die Erkennung von Risiken für die Flugsicherheit, die Überwachung dieser Risiken, den Erlass von Maßnahmen zu ihrer Ausräumung oder auch den Schutz des Personals in der Zivilluftfahrt. Außerdem lässt sich den drei letztgenannten Bestimmungen der Verordnung Nr. 376/2014 und deren Art. 9 Abs. 1 entnehmen, dass alle Mechanismen, die eingeführt wurden, um die verschiedenen Aspekte der Verarbeitung dieser Informationen, wie die Mitteilung, die Speicherung, die Auswertung und die Analyse oder auch den Austausch, zu regeln, zur Aufrechterhaltung und Verbesserung der Sicherheit im Bereich der Zivilluftfahrt beitragen sollen.

54      Als Zweites ist zum Regelungszusammenhang von Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 und den mit dieser Verordnung verfolgten Zielen erstens festzustellen, dass die Verordnung nach ihrem Art. 1 Abs. 1 der Verbesserung der Flugsicherheit dient, indem gewährleistet wird, dass für die Sicherheit der Zivilluftfahrt relevante Informationen gemeldet, erfasst, gespeichert, geschützt, ausgetauscht, verbreitet und analysiert werden.

55      Zweitens bestätigen Art. 1 Abs. 1 Buchst. b und Abs. 2 der Verordnung Nr. 376/2014 sowie deren Erwägungsgründe 6, 12, 20, 33, 34 und 40, dass die in Art. 15 dieser Verordnung vorgesehene Vertraulichkeitsverpflichtung ein zentraler und notwendiger Bestandteil des Überwachungs- und Kontrollsystems ist, das mit der Verordnung eingerichtet wurde, um die Flugsicherheit zu verbessern. Diese Vertraulichkeitsverpflichtung ist streng und gilt für alle Informationen, die von den zuständigen nationalen Behörden zu diesem Zweck erfasst oder erstellt werden. Sie hat zur Folge, dass es verboten ist, solche Informationen zu anderen Zwecken, gleich welcher Art, zur Verfügung zu stellen oder zu verwenden.

56      Drittens wird mit anderen Bestimmungen der Verordnung Nr. 376/2014, auch wenn sie nicht unmittelbar die Bereitstellung und die Verwendung der fraglichen Informationen betreffen, offensichtlich bezweckt und bewirkt, dass die Wirksamkeit der in Art. 15 dieser Verordnung vorgesehenen Vertraulichkeitsverpflichtung durch die Verstärkung des sich daraus ergebenden Verbots, diese Informationen zu anderen als den in Art. 15 der Verordnung ausdrücklich genannten Zwecken zur Verfügung zu stellen oder zu verwenden, gewährleistet wird.

57      Insbesondere geht aus Art. 20 der Verordnung Nr. 376/2014 in Verbindung mit ihrem 50. Erwägungsgrund klar hervor, dass sich das Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten, wie es in der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehen ist, nicht auf diese Informationen erstreckt. Diese unterliegen nämlich ausschließlich den strengeren Regeln der Art. 10 und 11 der Verordnung Nr. 376/2014.

58      Viertens bestätigt auch die Analyse der anderen auf dem Gebiet der Flugsicherheit anwendbaren Verordnungen, auf die in der Verordnung Nr. 376/2014 mehrfach verwiesen wird, dass es sich bei der in Art. 15 dieser Verordnung vorgesehenen Vertraulichkeitsverpflichtung um eine allgemeine und strenge Pflicht handelt.

59      So sieht die Verordnung 2018/1139, deren Ziel nach ihrem Art. 1 Abs. 1 darin besteht, in der Union ein hohes einheitliches Niveau der Flugsicherheit in der Zivilluftfahrt zu erreichen und aufrechtzuerhalten, in Art. 72 Abs. 1 und 5 vor, dass die Weitergabe und Nutzung aller Informationen, die von der Kommission, der EASA und den zuständigen nationalen Behörden im Rahmen der Anwendung dieser Verordnung gesammelt, analysiert und ausgetauscht werden können, „strikt“ auf das zur Erreichung dieses Ziels „notwendige Maß“ zu beschränken ist. Außerdem verpflichtet Art. 72 Abs. 6 der Verordnung 2018/1139 diese verschiedenen Stellen, die erforderlichen Maßnahmen zur Gewährleistung einer angemessenen Vertraulichkeit der betreffenden Informationen zu ergreifen, und zwar unbeschadet noch „strengerer“ Vertraulichkeitserfordernisse gemäß u. a. der Verordnung Nr. 376/2014. Schließlich wird in Art. 119 der Verordnung 2018/1139 im Wesentlichen darauf hingewiesen, dass das mit der Verordnung Nr. 1049/2001 eingeführte Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten nicht für Informationen gilt, die gemäß der Verordnung Nr. 376/2014 gesammelt oder erstellt werden.

60      Auf kohärente Weise sieht die Verordnung Nr. 996/2010, die, wie sich aus ihrem Art. 5 Abs. 1 und 2 ergibt, parallel zur Verordnung Nr. 376/2014 bei Unfällen oder schweren Störungen, an denen ein Luftfahrzeug beteiligt ist, gilt, die zum Gegenstand einer Sicherheitsuntersuchung zu machen sind, in Art. 14 Abs. 1 und 2 im Wesentlichen vor, dass sensible Informationen, die im Rahmen der Sicherheitsuntersuchung über diese Unfälle oder schwerwiegenden Störungen dazu gesammelt werden, einen „Schutz“ genießen müssen, der mit der in der Verordnung Nr. 376/2014 vorgesehenen „Vertraulichkeit“ vergleichbar ist, und zwar in dem Sinne, dass sie nicht für andere Zwecke als die Sicherheitsuntersuchung oder, in bestimmten Fällen, als die Verbesserung der Flugsicherheit verfügbar gemacht oder genutzt werden dürfen. Ferner geht aus Art. 15 Abs. 3 der Verordnung Nr. 996/2010 hervor, dass, wenn die für die Sicherheitsuntersuchung zuständige Behörde bestimmte dieser sensiblen Informationen zur Verbesserung der Flugsicherheit an die EASA oder die nationalen Zivilluftfahrtbehörden weitergibt, diese Informationen vor jeglicher Weitergabe oder Nutzung zu anderen Zwecken geschützt bleiben müssen.

61      Somit ergibt sich aus dem Wortlaut von Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014, dem Zusammenhang, in dem er steht, und den mit der betreffenden Regelung verfolgten Zielen, dass er dahin auszulegen ist, dass sämtliche sich im Besitz der zuständigen nationalen Behörden befindlichen Informationen über ein flugsicherheitsbezogenes „Ereignis“ im Sinne der Verordnung Nr. 376/2014 einer Vertraulichkeitsregelung unterliegen, die zur Folge hat, dass die Öffentlichkeit kein Recht darauf hat, in irgendeiner Form Zugang zu ihnen zu erhalten.

62      Was die Erwägungen des vorlegenden Gerichts dazu betrifft, dass der Unionsgesetzgeber insbesondere in den Erwägungsgründen 6, 33, 34 und 40 sowie in einigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 376/2014, insbesondere in Art. 1 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 3, die Wörter „angemessen“ und „sachgerecht“ verwendet, ist hinzuzufügen, dass sich diese Wörter nicht auf die in dieser Verordnung vorgesehene „Vertraulichkeit“ als solche beziehen, sondern auf den „Schutz“ dieser Vertraulichkeit, auf die „Maßnahmen“, die zu diesem Schutz zu ergreifen sind, sowie auf die „Nutzung“ oder „Verwendung“ der betreffenden Informationen. Sie sind daher nicht dahin zu verstehen, dass diese Vertraulichkeit nur relativ sei, wie es das vorlegende Gericht in Betracht zieht, sondern in dem Sinne, dass sie mit allen Mitteln sichergestellt werden muss, die gewährleisten, dass die fraglichen Informationen nur zu dem Zweck verwendet werden, zu dem sie erfasst oder erstellt wurden.

63      Daher steht Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 einer nationalen Regelung nicht entgegen, nach der die im Besitz der zuständigen nationalen Behörden befindlichen Informationen über ein solches Ereignis einer Regelung der vollständigen und absoluten Vertraulichkeit unterliegen, die zur Folge hat, dass die Öffentlichkeit kein Recht darauf hat, in irgendeiner Form Zugang zu ihnen zu erhalten.

64      Daraus folgt, dass die Vertraulichkeitsverpflichtung nach Art. 15 Abs. 1 der Verordnung Nr. 376/2014 u. a. für alle Informationen gilt, die in welcher Form auch immer von einer zuständigen nationalen Behörde in Bezug auf ein Ereignis wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende, d. h. einen „Unfall“ im Sinne von Art. 2 Nr. 5 der Verordnung Nr. 376/2014 und der Verordnung Nr. 996/2010, auf die diese Bestimmung verweist, erfasst wurden, sowie für alle Informationen, die in welcher Form auch immer in Dokumenten oder Datenträgern enthalten sind, die nach der Mitteilung dieses Ereignisses erstellt oder zusammengestellt wurden und sich in der entsprechenden nationalen Datenbank und im Europäischen Zentralspeicher befinden. Ein solches Ereignis gehört nämlich zu den Ereignissen, die nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. a Ziff. iv der Verordnung Nr. 376/2014 meldepflichtig sind, da es sich um ein Ereignis handelt, das mit dem Flug des betreffenden Luftfahrzeugs zusammenhängt und ein erhebliches Risiko für die Flugsicherheit darstellt. Daher ist die Vertraulichkeitsverpflichtung u. a. bei „Eccairs-Meldungen“ wie den in den Rn. 32 bis 34 des vorliegenden Urteils genannten zu wahren, wobei Eccairs die Software ist, die in der Praxis von den nationalen Datenbanken und dem Europäischen Zentralspeicher verwendet wird, deren Einrichtung die Verordnung Nr. 376/2014 vorschreibt, wie sich aus Art. 7 Abs. 4 dieser Verordnung in Verbindung mit ihrem 16. Erwägungsgrund ergibt.

65      Als Drittes ist zu den Zweifeln des vorlegenden Gerichts hinsichtlich der Rechtsfolgen einer solchen Auslegung von Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 für das in Art. 11 der Charta verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit in dem speziellen Fall, dass die Person, die Zugang zu Informationen beantragt, die unter die Vertraulichkeitsregelung dieses Artikels fallen, ein Medienunternehmen ist, Folgendes klarzustellen.

66      Der Gerichtshof hat bereits darauf hingewiesen, dass Rechtsakte oder Bestimmungen des abgeleiteten Unionsrechts, die sich negativ auf die Ausübung des in Art. 11 der Charta verankerten Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit auswirken und die Ausübung somit einschränken können, unter Berücksichtigung dieses Rechts auszulegen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. April 2022, Polen/Parlament und Rat, C‑401/19, EU:C:2022:297, Rn. 47 und 70).

67      Im vorliegenden Fall haben der Rat der Europäischen Union, die Kommission und die niederländische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen alle drei die Ansicht vertreten, dass Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 zwar die Ausübung des in Art. 11 der Charta verankerten Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit einschränke, dass er aber die Voraussetzungen erfülle, die in Art. 52 Abs. 1 der Charta für die Zulässigkeit einer solchen Einschränkung vorgesehen seien.

68      Insoweit sieht Art. 52 Abs. 1 der Charta vor, dass die Ausübung der in der Charta anerkannten Rechte und Freiheiten eingeschränkt werden kann, sofern diese Einschränkungen erstens gesetzlich vorgesehen sind, zweitens den Wesensgehalt der in Rede stehenden Rechte und Freiheiten achten und drittens unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

69      Was erstens das Erfordernis angeht, dass eine solche Einschränkung gesetzlich vorgesehen sein muss, so bedeutet dies nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs insbesondere, dass in der Rechtsgrundlage der Einschränkung deren Tragweite klar und deutlich definiert sein muss (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses, C‑419/14, EU:C:2015:832, Rn. 81, und vom 6. Oktober 2020, Luxemburgischer Staat [Rechtsbehelf gegen ein Auskunftsersuchen in Steuersachen], C‑245/19 und C‑246/19, EU:C:2020:795, Rn. 76).

70      Dies ist bei Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 der Fall, wie sich insbesondere aus den Rn. 51 und 61 des vorliegenden Urteils ergibt.

71      Was zweitens das Erfordernis der Achtung des Wesensgehalts des in Rede stehenden Rechts betrifft, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 die Informationen, die von den für die Flugsicherheit zuständigen Behörden nach dieser Verordnung erfasst werden oder sich in ihrem Besitz befinden, einer allgemeinen und strengen Vertraulichkeitsregelung unterwirft. Er ist daher geeignet, das in Art. 11 der Charta verankerte Recht auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit zu beeinträchtigen, soweit dieser Art. 11 in Abs. 1 jeder Person und in Abs. 2 speziell den Medien allgemein gestattet, Informationen zu empfangen.

72      Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 hindert nämlich jeden daran, freien Zugang zu den in dort genannten Angaben und Informationen zu erhalten, und damit daran, von deren Inhalt Kenntnis zu nehmen, und zwar unabhängig davon, auf welches Ereignis sich diese Informationen beziehen, und somit unabhängig davon, von welchem Interesse sie möglicherweise für die Öffentlichkeit sind.

73      Ferner hindert er speziell Medienunternehmen daran, zu journalistischen Zwecken im Rahmen vorbereitender Tätigkeiten der Recherche, der Untersuchung und der Sammlung von Informationen, die von der Medienfreiheit umfasst sind und dem obersten Ziel journalistischer Tätigkeit dienen, die Öffentlichkeit zu informieren und die öffentliche Debatte anzuregen, Zugang zu diesen Informationen zu erhalten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. März 2022, Autorité des marchés financiers, C‑302/20, EU:C:2022:190, Rn. 68 und 69 sowie die dort angeführte Rechtsprechung.

74      Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 gilt jedoch nur für von den zuständigen Behörden gemäß dieser Verordnung erfasste oder sich in ihrem Besitz befindliche Informationen über Unfälle, schwere Störungen oder sonstige Ereignisse, die ein erhebliches Risiko für die Flugsicherheit darstellen können. Er hindert die Öffentlichkeit und die Medienunternehmen daher nicht daran, sich über dieses Thema aus anderen Quellen oder auf anderem Wege zu informieren.

75      Außerdem berührt Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 als solcher nicht das Recht auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung.

76      Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass dieser Art. 15 den Wesensgehalt des in Art. 11 der Charta verankerten Rechts nicht verletzt.

77      Was drittens das Erfordernis betrifft, dass jede Einschränkung für die Verfolgung einer von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung erforderlich sein und in einem angemessenen Verhältnis zu dieser stehen muss, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass es sich bei den Zielen, die Sicherheit des Flugverkehrs zu gewährleisten und ganz allgemein ein einheitliches und hohes Sicherheitsniveau der Zivilluftfahrt in Europa zu gewährleisten, um von der Union anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzungen handelt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Juli 2017, Fries, C‑190/16, EU:C:2017:513, Rn. 42 und 43, sowie vom 2. Juni 2022, Skeyes, C‑353/20, EU:C:2022:423, Rn. 67).

78      Eine solche dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung kann auch darin liegen, dass der Unionsgesetzgeber in einem Sektor, der durch eine besondere Situation gekennzeichnet ist, ein Überwachungs- und Kontrollsystem einführt, das auf Mechanismen der Mitteilung von Informationen durch die betroffenen natürlichen oder juristischen Personen, der gemeinsamen Analyse dieser Informationen durch die zuständigen nationalen Behörden und die zuständigen Unionsbehörden sowie des Schutzes dieser Informationen durch Vertraulichkeitsverpflichtungen beruht. Insbesondere hat der Gerichtshof anerkannt, dass solche Verpflichtungen erforderlich sein können, um das Vertrauen der betroffenen Personen zu erhalten und sie vor der Gefahr zu schützen, dass Informationen, die sie den zuständigen Behörden übermitteln müssen, offengelegt werden (vgl. zum Bereich der Finanzaufsicht Urteil vom 19. Juni 2018, Baumeister, C‑15/16, EU:C:2018:464, Rn. 31 bis 33 und 46, sowie zum Bereich der öffentlichen Aufträge Urteil vom 7. September 2021, Klaipėdos regiono atliekų tvarkymo centras, C‑927/19, EU:C:2021:700, Rn. 115 und die dort angeführte Rechtsprechung).

79      Im vorliegenden Fall sind es aber, wie sich aus den Rn. 54 und 55 des vorliegenden Urteils ergibt, solche Ziele, die sowohl der Verordnung Nr. 376/2014 insgesamt als auch insbesondere dem mit dieser Verordnung eingeführten Überwachungs- und Kontrollsystem sowie der in Art. 15 dieser Verordnung vorgesehenen Vertraulichkeitsverpflichtung zugrunde liegen, die einen zentralen und notwendigen Bestandteil dieses Systems darstellt.

80      Im Übrigen ist, wie der Rat und die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen und mündlichen Ausführungen vor dem Gerichtshof ausgeführt haben, darauf hinzuweisen, dass die Vertraulichkeitsverpflichtung nach Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 zwar allgemein und streng jedes Recht der Öffentlichkeit oder Medienunternehmens auf Zugang zu den betreffenden Informationen ausschließt, aber die Möglichkeit für die zuständigen nationalen Behörden oder Gerichte unberührt lässt, in ganz bestimmten Fällen und unter strengen Voraussetzungen von Amts wegen zu entscheiden, bestimmte dieser Informationen zu veröffentlichen.

81      So ermächtigt zunächst Art. 13 Abs. 11 und 12 der Verordnung Nr. 376/2014, der im Licht ihres 32. Erwägungsgrundes zu lesen ist, die Mitgliedstaaten nicht nur zur Veröffentlichung von Berichten, die dazu dienen, die Öffentlichkeit über das allgemeine Sicherheitsniveau der Zivilluftfahrt zu informieren, insbesondere durch aggregierte und anonymisierte Informationen, sondern auch zur Veröffentlichung einzelner Ergebnismeldungen, sofern diese anonymisiert sind.

82      Sodann lässt Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 seinem Wortlaut zufolge die durch Art. 14 Abs. 3 und 4 der Verordnung Nr. 996/2010 der Justizverwaltung oder der zuständigen nationalen Behörde eingeräumte Möglichkeit unberührt, zu entscheiden, bestimmte Informationen über einen Unfall oder eine schwere Störung, die ein Luftfahrzeug betreffen und Gegenstand einer Sicherheitsuntersuchung waren, offenzulegen, soweit dies für einen rechtlich zulässigen Zweck erforderlich ist und unter Beachtung der in diesen Bestimmungen und im einschlägigen nationalen Recht festgelegten Bedingungen erfolgt.

83      Schließlich und in gleicher Weise lässt Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 die Möglichkeit unberührt, dass die für die Sicherheitsuntersuchung zuständige Behörde gemäß Art. 15 Abs. 4 und 5 der Verordnung Nr. 996/2010 entscheidet, die Opfer des Unfalls oder der schweren Störung sowie ihre Angehörigen oder Vereinigungen zu informieren und Informationen über den Fortgang der Untersuchung sowie etwaige vorläufige Berichte, Schlussfolgerungen oder Empfehlungen, zu denen die Untersuchung Anlass gibt, zu veröffentlichen. Außerdem ist die Behörde nach Art. 16 dieser Verordnung verpflichtet, den Abschlussbericht der Untersuchung zu veröffentlichen.

84      In Anbetracht aller in den Rn. 81 bis 83 des vorliegenden Urteils genannten Bestimmungen, die der Öffentlichkeit und speziell Medienunternehmen bestimmte Möglichkeiten geben, allgemeine Informationen über die Flugsicherheit in der Union und Informationen über bestimmte Ereignisse zu erhalten, wenn die zuständigen nationalen Behörden oder Gerichte der Auffassung sind, dass die Veröffentlichung oder die gezielte Offenlegung dieser Informationen gerechtfertigt ist, ist davon auszugehen, dass die in Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 vorgesehene Vertraulichkeitsverpflichtung in einem angemessenen Verhältnis zu der mit ihr verfolgten Zielsetzung steht. Denn unabhängig davon, dass diese Verpflichtung, wie sich aus Rn. 74 des vorliegenden Urteils ergibt, die Öffentlichkeit und die Medienunternehmen nicht daran hindert, sich über andere Quellen oder auf andere Weise zu informieren, schließt sie nicht jede Möglichkeit aus, die in Rede stehenden Informationen auf Initiative und unter der Kontrolle dieser Behörden oder Gerichte offenzulegen. Es zeigt sich daher, dass der Unionsgesetzgeber mit dem Erlass der Verordnung Nr. 376/2014 einen gerechten Ausgleich zwischen den mit dieser Verordnung verfolgten Zielsetzungen einerseits und den verschiedenen betroffenen öffentlichen und privaten Rechten und Belangen andererseits angestrebt und tatsächlich erreicht hat.

85      Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 15 der Verordnung Nr. 376/2014 im Licht des in Art. 11 der Charta verankerten Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit dahin auszulegen ist, dass die im Besitz der zuständigen nationalen Behörden befindlichen Informationen über ein flugsicherheitsbezogenes Ereignis im Sinne von Art. 2 Nr. 7 dieser Verordnung einer Vertraulichkeitsregelung unterliegen, die zur Folge hat, dass weder die Öffentlichkeit noch ein Medienunternehmen ein Recht darauf hat, in irgendeiner Form Zugang zu ihnen zu erhalten.

 Zur dritten und zur vierten Frage

86      In Anbetracht der Antwort auf die ersten beiden Fragen sind die dritte und die vierte Frage nicht zu beantworten.

 Kosten

87      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Art. 15 der Verordnung (EU) Nr. 376/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Meldung, Analyse und Weiterverfolgung von Ereignissen in der Zivilluftfahrt, zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 996/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnungen (EG) Nr. 1321/2007 und (EG) Nr. 1330/2007 der Kommission in der durch die Verordnung (EU) 2018/1139 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2018 geänderten Fassung ist im Licht des in Art. 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Rechts auf freie Meinungsäußerung und Informationsfreiheit

dahin auszulegen, dass

die im Besitz der zuständigen nationalen Behörden befindlichen Informationen über ein flugsicherheitsbezogenes Ereignis im Sinne von Art. 2 Nr. 7 der Verordnung Nr. 376/2014 in geänderter Fassung einer Vertraulichkeitsregelung unterliegen, die zur Folge hat, dass weder die Öffentlichkeit noch ein Medienunternehmen ein Recht darauf hat, in irgendeiner Form Zugang zu ihnen zu erhalten.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Niederländisch.