Language of document : ECLI:EU:T:2017:795

Rechtssache T180/15

Icap plc u. a.

gegen

Europäische Kommission

„Wettbewerb – Kartelle – Bereich der Yen-Zinssatz-Derivate – Beschluss, mit dem sechs Zuwiderhandlungen gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens festgestellt werden – Manipulation der Interbanken-Referenzsätze JPY LIBOR und Euroyen TIBOR – Bezweckte Wettbewerbsbeschränkung – Teilnahme eines Brokers an den Zuwiderhandlungen – ,Hybrides‘ Vergleichsverfahren – Grundsatz der Unschuldsvermutung – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Geldbußen – Grundbetrag – Außergewöhnliche Anpassung – Art. 23 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Begründungspflicht“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Zweite erweiterte Kammer) vom 10. November 2017

1.      Nichtigkeitsklage – Zuständigkeit des Unionsrichters – Antrag auf Erlass einer Anordnung an ein Organ – Unzulässigkeit

(Art. 263 AEUV und 266 AEUV)

2.      Kartelle – Beeinträchtigung des Wettbewerbs – Beurteilungskriterien – Inhalt und Ziele eines Kartells sowie wirtschaftlicher und rechtlicher Zusammenhang, in dem es steht – Unterscheidung zwischen bezweckten und bewirkten Zuwiderhandlungen – Absicht der Parteien einer Vereinbarung, den Wettbewerb einzuschränken – Kein notwendiges Kriterium – Bezweckte Zuwiderhandlung – Hinreichende Beeinträchtigung – Beurteilungskriterien

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

3.      Kartelle – Abgestimmte Verhaltensweise – Begriff – Mit der Pflicht jedes Unternehmens, sein Marktverhalten selbständig zu bestimmen, unvereinbare Koordinierung und Zusammenarbeit – Informationsaustausch unter Wettbewerbern – Wettbewerbswidriger Zweck oder wettbewerbswidrige Wirkung – Vermutung – Voraussetzungen

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

4.      Kartelle – Abgestimmte Verhaltensweise – Begriff – Wettbewerbsfeindlichkeit – Beurteilungskriterien – Keine wettbewerbswidrigen Wirkungen auf dem Markt – Kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der abgestimmten Verhaltensweise und den Verbraucherpreisen – Unerheblichkeit

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

5.      Kartelle – Abgestimmte Verhaltensweise – Begriff – Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen der Abstimmung und dem Marktverhalten der Unternehmen – Vermutung für das Vorliegen dieses Kausalzusammenhangs – Dem betreffenden Unternehmen obliegende Widerlegung dieser Vermutung – Beweise

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

6.      Nichtigkeitsklage – Gegenstand – Entscheidung, die auf mehreren Begründungspfeilern ruht, von denen jeder den verfügenden Teil tragen würde – Nichtigerklärung einer solchen Entscheidung – Voraussetzungen

(Art. 263 AEUV)

7.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Mitteilung der Beschwerdepunkte – Notwendiger Inhalt – Wahrung der Verteidigungsrechte – Bedeutung

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 27 Abs. 1)

8.      Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Wahrung der Verteidigungsrechte – Recht auf Akteneinsicht – Verstoß – Verweigerung der Einsicht in Schriftstücke, die zur Verteidigung des Unternehmens hätten dienlich sein können

(Art. 101 AEUV)

9.      Kartelle – Zurechnung an ein Unternehmen – Beschluss der Kommission, mit dem einem Unternehmen vorgeworden wird, Wettbewerbsverstöße erleichtert zu haben – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

10.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Beschluss der Kommission, mit dem eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Beweislast der Kommission für die Zuwiderhandlung und ihre Dauer – Umfang der Beweislast – Grad an Genauigkeit, den die von der Kommission herangezogenen Beweise aufweisen müssen – Bündel von Indizien – Unschuldsvermutung – Anwendbarkeit

(Art. 101 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 48 Abs. 1; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 2)

11.    Wettbewerb – Kartelle – Beweis – Beurteilung der Beweiskraft eines Dokuments – Kriterien – Glaubhaftigkeit der vorgelegten Beweise

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

12.    Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Grundsatz der gesetzlichen Bestimmtheit von Strafen – Bedeutung

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 49 Abs. 1)

13.    Kartelle – Verbot – Zuwiderhandlungen – Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellen – Verantwortlichmachung eines Unternehmens für die gesamte Zuwiderhandlung – Voraussetzungen

(Art. 101 Abs. 1 AEUV)

14.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Beschluss der Kommission, mit dem eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Beweislast der Kommission für die Zuwiderhandlung und ihre Dauer – Umfang der Beweislast – Einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung – Fehlen eines Beweises für bestimmte Zeitabschnitte des untersuchten Gesamtzeitraums – Unterbrechung der Beteiligung des Unternehmens an der Zuwiderhandlung – Fortgesetzte Zuwiderhandlung – Folgen für die Festsetzung der Geldbuße

(Art. 101 AEUV)

15.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Vergleichsverfahren – Anwendbarkeit des Grundsatzes der Unschuldsvermutung – Tragweite

(Art. 6 EUV; Art. 101 Abs. 1 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 48 Abs. 1; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 33; Verordnung Nr. 773/2004 der Kommission in der durch die Verordnung Nr. 622/2008 geänderten Fassung, Art. 10a)

16.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Vergleichsverfahren – Verfahren, das nicht alle Teilnehmer an einem Kartell erfasst – Erlass zweier Beschlüsse durch die Kommission, von denen einer an die Teilnehmer gerichtet ist, die sich für einen Vergleich entschieden haben, und der andere an die Teilnehmer, die sich gegen einen Vergleich entschieden haben – Zulässigkeit – Voraussetzung – Beachtung des Grundsatzes der Unschuldsvermutung

(Art. 101 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 48 Abs. 1; Verordnung Nr. 773/2004 der Kommission in der durch die Verordnung Nr. 622/2008 geänderten Fassung, Art. 10a)

17.    Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung – Erfordernis der Unparteilichkeit – Bedeutung

(Art. 101 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 48)

18.    Wettbewerb – Geldbußen – Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden – Begründungspflicht – Umfang – Möglichkeit für die Kommission, von den Leitlinien zur Festsetzung von Geldbußen abzuweichen – Umso strengere Anforderungen an die Begründung

(Art. 101 AEUV und 296 Abs. 2 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 37)

19.    Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Heilung eines Begründungsmangels im gerichtlichen Verfahren – Unzulässigkeit

(Art. 296 AEUV)

20.    Wettbewerb – Geldbußen – Entscheidung, mit der Geldbußen verhängt werden – Begründungspflicht – Umfang – Angabe der Beurteilungsgesichtspunkte, die es der Kommission ermöglicht haben, Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung zu ermitteln – Ausreichende Angaben – Pflicht der Kommission, bezifferte Angaben zur Berechnungsweise der Geldbußen zu machen – Fehlen

(Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission)

1.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 35)

2.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 42-48)

3.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 49-52)

4.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 53-55)

5.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 56, 57)

6.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 74)

7.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 83-86)

8.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 87)

9.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 97-104)

10.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 114-117, 154)

11.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 118)

12.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 193-196)

13.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 205-208)

14.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 217-221, 223)

15.    Der Grundsatz der Unschuldsvermutung ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der nunmehr in Art. 48 Abs. 1 der Charta der Grundrechte niedergelegt und in Verfahren wegen Verletzung der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln, die zur Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern führen können, anwendbar ist. Was das Vergleichsverfahren betrifft, das in Art. 10a der Verordnung Nr. 773/2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel 101 AEUV und 102 AEUV durch die Kommission in der durch die Verordnung Nr. 622/2008 geänderten Fassung vorgesehen ist, können Erwägungen im Zusammenhang mit der Wahrung der Ziele der Schnelligkeit und Effizienz des Vergleichsverfahrens, so löblich sie auch sein mögen, nichts an den Erfordernissen im Zusammenhang mit dem Grundsatz der Unschuldsvermutung ändern. Vielmehr ist es Sache der Kommission, ihr Vergleichsverfahren in einer Weise anzuwenden, die mit den Anforderungen aus Art. 48 der Charta der Grundrechte vereinbar ist.

Der Grundsatz der Unschuldsvermutung ist nämlich zwar in Art. 48 der Charta der Grundrechte niedergelegt, die nach Art. 6 EUV den gleichen Rang wie die Verträge hat, das Vergleichsverfahren beruht jedoch auf einer allein von der Kommission auf der Grundlage von Art. 33 der Verordnung Nr. 1/2003 erlassenen Verordnung, nämlich der Verordnung Nr. 622/2008, und es hat sowohl für die Kommission als auch für die betreffenden Unternehmen fakultativen Charakter.

(vgl. Rn. 256, 265, 266)

16.    Im Bereich von Kartellen darf die Kommission, wenn ein Vergleichsverfahren nicht alle Teilnehmer einer Zuwiderhandlung erfasst, zum einen nach einem vereinfachten Verfahren einen Beschluss erlassen, der an diejenigen Teilnehmer der Zuwiderhandlung, die sich für einen Vergleich entschieden haben, gerichtet ist und der Zusage jedes Einzelnen von ihnen Rechnung trägt, und zum anderen im Rahmen eines ordentlichen Verfahrens einen Beschluss, der an die Teilnehmer der Zuwiderhandlung gerichtet ist, die sich gegen einen Vergleich entschieden haben. Ein solches „hybrides“ Vergleichsverfahren ist jedoch unter Wahrung der Unschuldsvermutung in Bezug auf das Unternehmen durchzuführen, das sich gegen einen Vergleich entschieden hat. Folglich obliegt es der Kommission unter Umständen, unter denen sie sich nicht in der Lage sieht, sich zur Verantwortlichkeit der Unternehmen zu äußern, die am Vergleich teilnehmen, ohne sich auch zur Beteiligung des Unternehmens an der Zuwiderhandlung zu äußern, das sich gegen einen Vergleich entschieden hat, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen – darunter der etwaige gleichzeitige Erlass der Beschlüsse hinsichtlich der Gesamtheit der vom Kartell betroffenen Unternehmen –, um die Unschuldsvermutung zu wahren.

(vgl. Rn. 267, 268)

17.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 271, 272, 276, 278)

18.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 287-289)

19.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 290)

20.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 291)