Language of document : ECLI:EU:C:2008:117

Rechtssache C-132/05

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

gegen

Bundesrepublik Deutschland

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Verordnung (EWG) Nr. 2081/92 – Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel – Käse ‚Parmigiano Reggiano‘ – Verwendung der Bezeichnung ‚Parmesan‘ – Verpflichtung eines Mitgliedstaats, von Amts wegen die missbräuchliche Verwendung einer geschützten Ursprungsbezeichnung zu ahnden“

Leitsätze des Urteils

1.        Landwirtschaft – Einheitliche Rechtsvorschriften – Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel – Verordnung Nr. 2081/92

(Verordnung Nr. 2081/92 des Rates, Art. 13 und 17; Verordnung Nr. 1107/96 der Kommission)

2.        Landwirtschaft – Einheitliche Rechtsvorschriften – Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel – Verordnung Nr. 2081/92

(Verordnung Nr. 2081/92 des Rates, Art. 13 Abs. 1 Buchst. b)

3.        Landwirtschaft – Einheitliche Rechtsvorschriften – Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel – Verordnung Nr. 2081/92

(Verordnung Nr. 2081/92 des Rates, Art. 3 Abs. 1)

4.        Handlungen der Organe – Verordnungen – Unmittelbare Geltung

(Art. 249 EG; Verordnung Nr. 2081/92 des Rates)

5.        Landwirtschaft – Einheitliche Rechtsvorschriften – Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel – Verordnung Nr. 2081/92

(Verordnung Nr. 2081/92 des Rates, Art. 10 und 13 Abs. 1 Buchst. b)

1.        Bei einer „zusammengesetzten“ Ursprungsbezeichnung, die nach dem in Art. 17 der Verordnung Nr. 2081/92 vorgesehenen vereinfachten Verfahren eingetragen wurde, stellt das Fehlen einer Erklärung in Form eines Hinweises auf Fußnoten im Anhang der Verordnung Nr. 1107/96, wonach für bestimmte Bestandteile einer Bezeichnung kein Schutz im Sinne von Art. 13 der Verordnung Nr. 2081/92 beantragt worden ist, keine ausreichende Grundlage für eine Bestimmung des Umfangs dieses Schutzes dar. In dem durch die Verordnung Nr. 2081/92 geschaffenen Schutzsystem sind die Fragen des Schutzes der verschiedenen Bestandteile einer Bezeichnung und insbesondere die Frage, ob es sich möglicherweise um einen Gattungsnamen oder um einen gegen die in Art. 13 dieser Verordnung genannten Praktiken geschützten Bestandteil handelt, vom nationalen Gericht anhand einer eingehenden Prüfung des Sachverhalts zu beurteilen, den ihm die Parteien vortragen.

(vgl. Randnrn. 28-30)

2.        Die Verwendung der Bezeichnung „Parmesan“ ist als eine Anspielung auf die geschützte Ursprungsbezeichnung „Parmigiano Reggiano“ im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2081/92 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel anzusehen, die eingetragene Bezeichnungen u. a. gegen jede widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung schützt, selbst wenn der wahre Ursprung des Erzeugnisses angegeben ist oder wenn die geschützte Bezeichnung in Übersetzung verwendet wird.

Zwischen den Bezeichnungen „Parmesan“ und „Parmigiano Reggiano“ besteht nämlich eine phonetische und optische Ähnlichkeit, wobei die fraglichen Erzeugnisse geriebener oder zum Reiben bestimmter Hartkäse sind, d. h. auch noch ähnlich aussehen. Außerdem ist unabhängig davon, ob die Bezeichnung „Parmesan“ die genaue Übersetzung der geschützten Ursprungsbezeichnung „Parmigiano Reggiano“ oder des Begriffs „Parmigiano“ ist oder nicht, auch die begriffliche Nähe zwischen diesen beiden Begriffen aus verschiedenen Sprachen zu berücksichtigen. Diese Nähe und die genannten phonetischen und optischen Ähnlichkeiten können im Verbraucher gedanklich einen Bezug zu dem Käse wachrufen, der die geschützte Ursprungsbezeichnung „Parmigiano Reggiano“ trägt, wenn er vor einem geriebenen oder zum Reiben bestimmten Hartkäse steht, der die Bezeichnung „Parmesan“ trägt.

(vgl. Randnrn. 46-49)

3.        Im Rahmen der Beurteilung des generischen Charakters einer Bezeichnung sind gemäß Art. 3 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2081/92 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel die Gegend der Herstellung des betreffenden Erzeugnisses sowohl innerhalb als auch außerhalb des Mitgliedstaats, der die Eintragung der fraglichen Bezeichnung erwirkt hat, der Verbrauch dieses Erzeugnisses, das Verständnis dieser Bezeichnung durch den Verbraucher innerhalb und außerhalb des genannten Mitgliedstaats, das Bestehen einer spezifischen nationalen Regelung für das genannte Erzeugnis und die Art der Verwendung der fraglichen Bezeichnung in den gemeinschaftlichen Rechtsvorschriften zu berücksichtigen.

(vgl. Randnr. 53)

4.        Der Umstand, dass die Rechtsbürger die Möglichkeit haben, sich vor den innerstaatlichen Gerichten auf eine Verordnung zu berufen, kann die Mitgliedstaaten nicht von der Verpflichtung befreien, die geeigneten innerstaatlichen Maßnahmen zu erlassen, um die uneingeschränkte Anwendung der Verordnung zu gewährleisten, wenn dies erforderlich ist.

In dieser Hinsicht kann eine nationale Rechtsordnung, die über rechtliche Regelungen verfügt, die dazu dienen, einen wirksamen Schutz der den einzelnen Bürgern nach der Verordnung Nr. 2081/92 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel zustehenden Rechte sicherzustellen – z. B. Rechtsvorschriften, um gegen den unerlaubten Gebrauch geschützter Ursprungsbezeichnungen vorgehen zu können, insbesondere ein Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und ein Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen –, und die die Möglichkeit, gegen ein die Rechte aus einer geschützten Ursprungsbezeichnung verletzendes Verhalten zu klagen, nicht auf den Inhaber der genannten Bezeichnung beschränkt, sondern vielmehr jedem Wettbewerber, den Unternehmensverbänden und den Verbraucherverbänden eröffnet, auch die Interessen anderer als der Hersteller von Waren mit geschützter Ursprungsbezeichnung schützen, insbesondere die Interessen der Verbraucher.

(vgl. Randnrn. 68-70)

5.        Eine Pflicht der Mitgliedstaaten, von Amts wegen die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um Verstöße gegen Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 2081/92 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel zu ahnden, die eingetragene Bezeichnungen u. a. gegen jede widerrechtliche Aneignung, Nachahmung oder Anspielung schützt, selbst wenn der wahre Ursprung des Erzeugnisses angegeben ist oder wenn die geschützte Bezeichnung in Übersetzung verwendet wird, ergibt sich nicht aus Art. 10 der genannten Verordnung. Um die Wirksamkeit der Verordnung Nr. 2081/92 zu gewährleisten, sieht deren Art. 10 Abs. 1 zwar vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass spätestens sechs Monate nach Inkrafttreten der Verordnung die Kontrolleinrichtungen geschaffen sind. Sie sind also verpflichtet, derartige Einrichtungen zu schaffen. Aus Art. 10 Abs. 4 dieser Verordnung, wonach „eine benannte Kontrollbehörde und/oder eine private Kontrollstelle eines Mitgliedstaats … [wenn sie feststellt], dass ein mit einer geschützten Bezeichnung versehenes Agrarerzeugnis oder Lebensmittel mit Ursprung in ihrem Mitgliedstaat die Anforderungen der Spezifikation nicht erfüllt, … die erforderlichen Maßnahmen [trifft], um die Einhaltung dieser Verordnung zu gewährleisten“, ergibt sich jedoch, dass es sich bei den benannten Kontrollbehörden und/oder privaten Kontrollstellen eines Mitgliedstaats um die desjenigen Mitgliedstaats handelt, aus dem die geschützte Ursprungsbezeichnung stammt. Die Worte „zu kontrollierenden Erzeuger oder Verarbeiter“ in Art. 10 Abs. 3 der genannten Verordnung, das in Art. 10 Abs. 6 vorgesehene Recht der Erzeuger auf Zugang zum Kontrollsystem und deren Verpflichtung nach Art. 10 Abs. 7, die Kosten der Kontrollen zu tragen, bestätigen, dass der genannte Art. 10 für die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten gilt, aus denen die geschützte Ursprungsbezeichnung stammt.

Für diese Auslegung sprechen auch Art. 4 Abs. 2 Buchst. g in Verbindung mit Art. 5 Abs. 3 und 4 der Verordnung Nr. 2081/92, wonach der Eintragungsantrag die Spezifikation umfassen muss und an den Mitgliedstaat zu richten ist, in dessen Hoheitsgebiet sich das geografische Gebiet befindet, und die Spezifikation mindestens Angaben zu der Kontrolleinrichtung oder den Kontrolleinrichtungen nach Art. 10 enthalten muss. Daraus folgt, dass es sich bei den Kontrolleinrichtungen, die für die Einhaltung der Spezifikation der geschützten Ursprungsbezeichnung zu sorgen haben, um die desjenigen Mitgliedstaats handelt, aus dem die fragliche geschützte Ursprungsbezeichnung stammt.

(vgl. Randnrn. 72-78)