Language of document : ECLI:EU:T:2018:280

Rechtssachen T429/13 und T451/13

Bayer CropScience AG u. a.

gegen

Europäische Kommission

„Pflanzenschutzmittel – Wirkstoffe Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid – Überprüfung der Genehmigung – Art. 21 der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 – Verbot der Anwendung und des Verkaufs von Saatgut, das mit die betreffenden Wirkstoffe enthaltenden Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde – Art. 49 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 – Vorsorgegrundsatz – Verhältnismäßigkeit – Anspruch auf rechtliches Gehör – Außervertragliche Haftung“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Erste erweiterte Kammer) vom 17. Mai 2018

1.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Unmittelbare Betroffenheit – Kriterien – Verordnung der Kommission, die die Mitgliedstaaten, die Zulassungen für einen bestimmten Wirkstoff enthaltende Pflanzenschutzmittel erteilt haben, verpflichtet, diese zu ändern oder zu widerrufen –Klage eines Unternehmens, das diesen Stoff erzeugt und vermarktet – Zulässigkeit

(Art. 263 Abs. 4 AEUV; Verordnungen der Kommission Nr. 540/2011 und Nr. 485/2013)

2.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Individuelle Betroffenheit – Kriterien – Verordnung der Kommission, die die Mitgliedstaaten, die Zulassungen für einen bestimmten Wirkstoff enthaltende Pflanzenschutzmittel erteilt haben, verpflichtet, diese zu ändern oder zu widerrufen – Klage eines Unternehmens, das diesen Stoff erzeugt und vermarktet – Zulässigkeit

(Art. 263 Abs. 4 AEUV; Verordnungen der Kommission Nr. 540/2011 und Nr. 485/2013)

3.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Begriff des Rechtsakts mit Verordnungscharakter – Jeder Rechtsakt mit allgemeiner Geltung mit Ausnahme der Gesetzgebungsakte – Verordnung der Kommission, die die Mitgliedstaaten, die Zulassungen für einen bestimmten Wirkstoff enthaltende Pflanzenschutzmittel erteilt haben, verpflichtet, diese zu ändern oder zu widerrufen – Einbeziehung

(Art. 263 Abs. 4 AEUV; Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates Nr. 1107/2009, Art. 21 Abs. 3 und Art. 79 Abs. 3, sowie Nr. 182/2011, Art. 2 Abs. 2, Art. 5 und Art. 13 Abs. 1 Buchst. c; Verordnung Nr. 485/2013 der Kommission, Art. 1; Beschluss 1999/468 des Rates)

4.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Rechtsakte mit Verordnungscharakter – Rechtsakte, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen und den Kläger unmittelbar betreffen – Begriff der Durchführungsmaßnahmen – Kriterien – Verordnung der Kommission, die die Mitgliedstaaten, die Zulassungen für einen bestimmten Wirkstoff enthaltende Pflanzenschutzmittel erteilt haben, verpflichtet, diese zu ändern oder zu widerrufen – Rechtsakt, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht

(Art. 263 Abs. 4 AEUV; Verordnung Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates; Verordnungen der Kommission Nr. 540/2011, Anhang, und Nr. 485/2013, Art. 1, 3 und 4)

5.      Nichtigkeitsklage – Zulässigkeitsvoraussetzungen – Natürliche oder juristische Personen – Von mehreren Klägern erhobene Klage gegen dieselbe Entscheidung – Klagebefugnis eines der Kläger – Zulässigkeit der Klage insgesamt

(Art. 263Abs. 4 AEUV)

6.      Schutz der öffentlichen Gesundheit – Risikobewertung – Anwendung des Vorsorgegrundsatzes – Umfang – Begriffe „Risiko“ und „Gefahr“ – Bestimmung des Risikograds, der als für die Gesellschaft nicht hinnehmbar angesehen wird – Zuständigkeit des durch die einschlägige Regelung benannten Unionsorgans

(Art. 191 Abs. 2 AEUV)

7.      Landwirtschaft – Rechtsangleichung – Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Verordnung Nr. 1107/2009 – Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs – Aufhebung oder Änderung der Genehmigung wegen Nichterfüllung der Genehmigungskriterien – Der Kommission obliegende Beweislast

(Verordnung Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 und 21 Abs. 3; Richtlinie 91/414 des Rates)

8.      Landwirtschaft – Rechtsangleichung – Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Verordnung Nr. 1107/2009 – Erlass restriktiver Maßnahmen im Bereich der Verwendung und des Verkaufs von Mitteln, die einen bestimmten Wirkstoff enthalten – Ermessen der Kommission – Gerichtliche Nachprüfung – Umfang

(Verordnung Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates)

9.      Landwirtschaft – Rechtsangleichung – Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Verordnung Nr. 1107/2009 – Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs – Einleitung des Verfahrens bei Vorliegen neuer Studien, die die Erfüllung der Genehmigungskriterien in Frage stellen – Zulässigkeit – Begriff der neuen Studien

(Verordnung Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 und 21 Abs. 1)

10.    Landwirtschaft – Rechtsangleichung – Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Verordnung Nr. 1107/2009 – Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs – Antrag eines Mitgliedstaats auf Überprüfung im Lichte neuer wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse und Überwachungsdaten – Begriff der Überwachungsdaten

(Verordnung Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 21 Abs. 1)

11.    Landwirtschaft – Rechtsangleichung – Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Verordnung Nr. 1107/2009 – Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs – Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs – Antrag eines Mitgliedstaats auf Überprüfung im Lichte neuer wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse und Überwachungsdaten – Ermessen der Kommission hinsichtlich der Notwendigkeit einer Überprüfung

(Verordnung Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 21 Abs. 1)

12.    Landwirtschaft – Rechtsangleichung – Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Verordnung Nr. 1107/2009 –Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs – Gebot der Übereinstimmung zwischen den Gründen für die Einleitung des Verfahrens und den Gründen für die Änderung der Genehmigung – Fehlen

(Verordnung Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 und 21 Abs. 1 und 3)

13.    Landwirtschaft – Rechtsangleichung – Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Verordnung Nr. 1107/2009 –Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs – Risikobewertung – Verpflichtung, nur zum Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung verfügbare Dokumente zu verwenden – Fehlen – Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit – Fehlen

(Verordnung Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 12 Abs. 2 und Art. 21)

14.    Landwirtschaft – Rechtsangleichung – Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Verordnung Nr. 1107/2009 – Genehmigung eines Wirkstoffs – Risikobewertung – Kriterien – Fehlen unannehmbarer Auswirkungen auf Bienen – Modalitäten der Prüfung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit und die Kommission

(Verordnung Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates, Anhang II, Punkt 3.8.3)

15.    Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Vertrauensschutz – Voraussetzungen – Konkrete Zusicherungen der Verwaltung

16.    Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Rechtssicherheit – Vorschriften, die finanzielle Konsequenzen haben können

17.    Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Vorsorgegrundsatz – Umfang

(Art. 191 Abs. 2 AEUV)

18.    Landwirtschaft – Rechtsangleichung – Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Verordnung Nr. 1107/2009 – Erlass restriktiver Maßnahmen im Bereich der Verwendung und des Verkaufs von Mitteln, die einen bestimmten Wirkstoff enthalten – Vorherige Bewertung der Gefahren für die menschliche Gesundheit und die Umwelt – Anwendung des Vorsorgegrundsatzes – Umfang

(Art. 191 Abs. 2 AEUV; Verordnung Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates, 8. Erwägungsgrund und Art. 1 Abs. 4)

19.    Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Vorsorgegrundsatz – Umfang – Leitlinien für die Anwendbarkeit des Grundsatzes – Modalitäten der Abwägung der mit einem Tätigwerden oder Nichttätigwerden verbundenen Vor- und Nachteile

(Art. 191 Abs. 2 AEUV; Mitteilung der Kommission KOM[2000]1 endg., Punkt 6.3.4)

20.    Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Verhältnismäßigkeit – Umfang – Ermessen des Unionsgesetzgebers im Bereich der gemeinsamen Agrarpolitik – Gerichtliche Nachprüfung – Grenzen

(Art. 40 AEUV bis 43 AEUV)

21.    Landwirtschaft – Rechtsangleichung – Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Verordnung Nr. 1107/2009 – Genehmigung eines Wirkstoffs – Risikobewertung – Kriterien – Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit einer unsachgemäßen Verwendung – Auferlegung eines Verbots nichtgewerblicher Nutzungen, wenn Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine hohe Anzahl von Personen die Gebrauchsanleitungen nicht beachtet – Zulässigkeit

(Verordnungen des Europäischen Parlaments und des Rates Nr. 178/2002, 19. Erwägungsgrund, und Nr. 1107/2009)

22.    Landwirtschaft – Rechtsangleichung – Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Verordnung Nr. 1107/2009 – Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs – Antrag eines Mitgliedstaats auf Überprüfung im Lichte neuer wissenschaftlicher und technischer Kenntnisse und Überwachungsdaten – Verpflichtung der Kommission zur Berücksichtigung der Überwachungsdaten – Umfang

(Verordnung Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 21)

23.    Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Grundrechte – Eigentumsrecht – Freie Ausübung der unternehmerischen Freiheit – Beschränkungen – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Art. 11 AEUV und 114 Abs. 3 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 16, 17, 37 und 52 Abs. 1)

24.    Landwirtschaft – Rechtsangleichung – Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Verordnung Nr. 1107/2009 – Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs – Aufhebung oder Änderung der Genehmigung wegen Nichterfüllung der Genehmigungskriterien – Verletzung des Eigentumsrechts und der unternehmerischen Freiheit – Fehlen

(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 16 und 17; Verordnung Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 und 21)

25.    Landwirtschaft – Rechtsangleichung – Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Verordnung Nr. 1107/2009 – Erlass restriktiver Maßnahmen im Bereich der Verwendung und des Verkaufs von Mitteln, die einen bestimmten Wirkstoff enthalten – Verbot der Kommission, mit einen bestimmten Wirkstoff enthaltenden Pflanzenschutzmitteln behandeltes Saatgut in Verkehr zu bringen – Tatbestandsmerkmale

(Verordnung Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 und 49 Abs. 2)

26.    Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Rechtswidrigkeit – Schaden – Kausalzusammenhang – Nichtvorliegen einer der Voraussetzungen – Abweisung der Schadensersatzklage in vollem Umfang

(Art. 340 Abs. 2 AEUV)

1.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 57, 59-67)

2.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 69, 70)

3.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 82-87)

4.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 88-91)

5.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 96)

6.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 109, 110, 112, 113, 115-126)

7.      Aus dem Wortlaut und der Systematik der einschlägigen Bestimmungen der Verordnung Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln geht hervor, dass derjenige, der den Antrag auf Genehmigung stellt, grundsätzlich die Beweislast dafür trägt, dass die Bedingungen für die Genehmigung nach Art. 4 dieser Verordnung erfüllt sind, wie es in der Richtlinie 91/414 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln ausdrücklich vorgesehen war.

Jedoch ist es im Rahmen einer Überprüfung vor dem Ende des Genehmigungszeitraums Sache der Kommission, nachzuweisen, dass die Bedingungen für die Genehmigung nicht mehr erfüllt sind. Die Partei, die sich auf eine Rechtsvorschrift – hier Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 – beruft, hat nämlich nachzuweisen, dass die Voraussetzungen für ihre Anwendung erfüllt sind. Insoweit kann die Tatsache, dass bei wissenschaftlicher Ungewissheit vernünftige Zweifel an der Unbedenklichkeit eines auf der Ebene der Union genehmigten Wirkstoffs eine Vorsorgemaßnahme rechtfertigen können, einer Umkehr der Beweislast nicht gleichgestellt werden. Die Kommission kommt ihrer Beweislast jedoch nach, wenn sie nachweist, dass die bei der ursprünglichen Genehmigung getroffene Feststellung, dass die Genehmigungskriterien nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 erfüllt waren, aufgrund späterer rechtlicher oder technischer Entwicklungen nicht mehr gilt.

Daher kommt die Kommission der ihr obliegenden Beweislast im Hinblick auf Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 rechtlich hinreichend nach, wenn sie nachweisen kann, dass in Anbetracht einer Änderung des Regelungsrahmens, die zu einer Verschärfung der Bedingungen für die Genehmigung geführt hat, die durch die für die ursprüngliche Genehmigung durchgeführten Studien gewonnenen Daten nicht ausreichten, um sämtliche Risiken für Bienen im Zusammenhang mit dem in Rede stehenden Wirkstoff, z. B. zu bestimmten Expositionswegen, abzubilden. Das Vorsorgeprinzip gebietet nämlich, die Genehmigung eines Wirkstoffs aufzuheben oder zu ändern, wenn neue Daten vorliegen, die den früheren Schluss widerlegen, dieser Wirkstoff erfülle die Genehmigungskriterien nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009. In diesem Zusammenhang kann sich die Kommission darauf beschränken, im Einklang mit den allgemeinen Beweislastregeln ernsthafte und stichhaltige Anhaltspunkte zu liefern, die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel daran erlauben, dass der in Rede stehende Wirkstoff diese Genehmigungskriterien erfüllt.

(vgl. Rn. 137, 140-142)

8.      Damit die Kommission die ihr von der Verordnung Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln gesetzten Ziele wirksam verfolgen kann und im Hinblick darauf, dass sie komplexe technische Beurteilungen vorzunehmen hat, ist ihr ein weites Ermessen zuzuerkennen. Das gilt u. a. für die Entscheidungen im Bereich des Risikomanagements, die sie nach dieser Verordnung zu treffen hat.

Die Ausübung dieses Ermessens ist jedoch nicht der gerichtlichen Kontrolle entzogen. Der Unionsrichter muss nämlich im Rahmen dieser Kontrolle feststellen, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt von der Kommission zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts und kein Ermessensmissbrauch vorliegen. Ein die Nichtigerklärung des angefochtenen Rechtsakts rechtfertigender offensichtlicher Irrtum der Kommission kann bei der Würdigung komplexer Tatsachen nur festgestellt werden, wenn die vom Kläger vorgebrachten Beweise ausreichen, um die Sachverhaltswürdigung im Rechtsakt als nicht plausibel erscheinen zu lassen. Abgesehen von dieser Plausibilitätskontrolle darf der Unionsrichter seine Beurteilung komplexer Tatsachen nicht an die Stelle der Beurteilung des Organs setzen, das den Rechtsakt erlassen hat.

Außerdem kommt der Kontrolle der Einhaltung der Garantien, die die Unionsrechtsordnung für Verwaltungsverfahren vorsieht, in Fällen, in denen ein Organ über einen weiten Ermessensspielraum verfügt, wesentliche Bedeutung zu. Zu diesen Garantien gehört u. a. die Verpflichtung des zuständigen Organs, sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls zu untersuchen und seine Entscheidung hinreichend zu begründen.

(vgl. Rn. 143-147)

9.      Damit die Kommission die Genehmigung eines Wirkstoffs nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln überprüfen kann, reicht es aus, dass neue Studien vorliegen (nämlich Studien, die von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit [EFSA] oder der Kommission im Rahmen einer vorigen Bewertung des fraglichen Wirkstoffs noch nicht berücksichtigt wurden), deren Ergebnisse gegenüber den bei der vorigen Bewertung vorhandenen Kenntnissen Bedenken auslösen, ob die Genehmigungsbedingungen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 immer noch erfüllt sind, ohne dass es in diesem Stadium erforderlich ist, zu prüfen, ob diese Bedenken tatsächlich begründet sind, da diese Feststellung der Überprüfung selbst vorbehalten ist.

Die Kommission muss nämlich, um feststellen zu können, ob die Bedingungen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht mehr erfüllt sind, insbesondere unter Berücksichtigung des von dieser Verordnung verfolgten Schutzziels selbst dann eine Prüfung einleiten können, wenn der durch die neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse erweckten Zweifel nur einen verhältnismäßig geringen Grad aufweist. Dies kann jedoch nicht bedeuten, dass die Kommission völlig frei in ihrer Beurteilung wäre. Der Begriff „neue wissenschaftliche und technische Kenntnisse“ kann nämlich nicht ausschließlich in zeitlicher Hinsicht verstanden werden, sondern er umfasst auch einen qualitativen Bestandteil, der im Übrigen sowohl an das Adjektiv „neu“ als auch an das Adjektiv „wissenschaftlich“ anknüpft. Daraus folgt, dass die Schwelle für die Anwendung von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht erreicht wird, wenn die „neuen Kenntnisse“ nur einfach Wiederholungen von früheren Kenntnissen, neue Vermutungen ohne solide Grundlage sowie politische Erwägungen ohne Anknüpfung an die Wissenschaft betreffen. Letztlich müssen die „neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse“ daher tatsächlich für die Beurteilung des Fortbestehens der Genehmigungsbedingungen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 relevant sein.

Darüber hinaus kann, was die Definition des Standes der früheren wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse betrifft, der frühere Kenntnisstand nicht derjenige sein, der der Veröffentlichung der neuen Kenntnisse unmittelbar vorausgegangen ist, sondern vielmehr derjenige des Zeitpunkts der vorigen Bewertung der Risiken des betreffenden Wirkstoffs. Zum einen stellt nämlich diese vorige Bewertung einen festen Referenzwert dar, da sie eine Zusammenfassung der zu diesem Zeitpunkt verfügbaren Kenntnisse enthält. Zum anderen wäre es, wenn sich die Neuheit der Kenntnisse auf den Kenntnisstand bezöge, der ihrer Veröffentlichung unmittelbar vorausginge, nicht möglich, eine schrittweise Entwicklung der wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse zu berücksichtigen, bei der nicht jeder Schritt zwangsläufig für sich genommen zu Bedenken Anlass gibt, die aber insgesamt bedenklich sein kann.

(vgl. Rn. 161-164)

10.    Die „Überwachungsdaten“ im Sinne von Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln sind Daten, die nach der tatsächlichen Anwendung der Pflanzenschutzmittel, die einen nach dieser Verordnung genehmigten Wirkstoff enthalten, im Freiland gesammelt wurden. Solche Daten können, unabhängig davon, ob sie im Rahmen eines Überwachungsprogramms oder außerhalb gesammelt wurden, hinsichtlich ihrer Eignung, als Grundlage für wissenschaftliche Schlussfolgerungen zum Vorliegen oder Fehlen von kausalen Zusammenhängen zu dienen, nicht mit in Feldstudien generierten Daten gleichgesetzt werden. Die Feldstudien sind nämlich wissenschaftliche experimentelle Studien mit klaren Parametern und einer Kontrollgruppe, während die Überwachungsstudien (nichtinterventionelle) Beobachtungsstudien sind, deren Parameter nicht definiert werden. Folglich ist die Qualität der von diesen beiden Studienarten erzeugten Daten unterschiedlich, insbesondere was ihre Eignung betrifft, Schlussfolgerungen zu den Zusammenhängen zwischen Ursachen und Wirkungen eines beobachteten Phänomens oder zu einer fehlenden Kausalität bei Fehlen des beobachteten Phänomens zu stützen.

Die Überwachungsstudien können daher zwar Hinweise auf das Bestehen eines Risikos aufzeigen, aber, anders als die Feldstudien, nicht als Nachweis des Fehlens eines Risikos dienen.

(vgl. Rn. 202, 208, 210, 212)

11.    Aus Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln geht hervor, dass, selbst wenn die Kommission den Antrag eines Mitgliedstaats auf Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs berücksichtigen muss, sie in ihrer Würdigung der Frage, ob eine solche Überprüfung aufgrund neuer verfügbarerer wissenschaftlicher Kenntnisse zu erfolgen hat, frei bleibt. Dies stellt im Übrigen einen Schutz der Erzeuger genehmigter Wirkstoffe gegen unbegründete oder sogar missbräuchliche Anträge auf Überprüfung dar, die von den Mitgliedstaaten gestellt werden könnten.

Was die Überwachungsdaten im Rahmen der Entscheidung, eine Überprüfung vorzunehmen betrifft, werden solche Daten im zweiten Satz dieses Unterabsatzes nur angeführt, um die Voraussetzungen darzulegen, unter denen die Mitgliedstaaten eine Überprüfung einer Genehmigung beantragen können, und nicht die Voraussetzungen, die die Entscheidung der Kommission zur Eröffnung eines Überprüfungsverfahrens regeln. Die Letzteren werden nämlich in Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 festgelegt, der nur die Berücksichtigung der neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse vorsieht.

(vgl. Rn. 213, 214)

12.    Es gibt kein Gebot der Übereinstimmung oder zumindest der Gleichwertigkeit zwischen den Gründen für die Einleitung des Überprüfungsverfahrens nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln zum einen und den Gründen für eine Änderung der Genehmigung nach Art. 21 Abs. 3 dieser Verordnung zum anderen.

Nach Art. 21 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1107/2009 soll nämlich das Überprüfungsverfahren der Kommission für den Fall des Zutagetretens neuer wissenschaftlicher Kenntnisse, die Anzeichen dafür geben, dass der in Rede stehende Wirkstoff die Genehmigungskriterien nach Art. 4 dieser Verordnung nicht mehr erfüllen könnte, die Prüfung gestatten, ob dies tatsächlich der Fall ist. Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 enthält keine Beschränkung der Gründe, die die Feststellung erlauben, dass die Genehmigungskriterien nicht mehr erfüllt sind, und er weist insbesondere nicht darauf hin, dass die Überprüfung nur die „neuen wissenschaftlichen und technischen Kenntnisse“ betreffen dürfte, die ihre Einleitung begründet haben. Außerdem widerspräche eine solche Beschränkung dem Grundsatz der guten Verwaltung und dem von der Verordnung verfolgten Schutzziel.

(vgl. Rn. 222-224)

13.    Was das Überprüfungsverfahren nach Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln betrifft, kann Art. 12 Abs. 2 dieser Verordnung dahin ausgelegt werden, dass er verlangt, dass die Bewertung der Risiken der Wirkstoffe unter Heranziehung der zum Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung des in Rede stehenden Wirkstoffs verfügbaren Leitlinien erfolgt.

Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens ist nämlich weder vorgesehen, dass ein Entwurf des Bewertungsberichts erstellt wird, noch darüber hinaus, dass er der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 2, dessen Gegenstand u. a. darin besteht, eine Frist für die Vorlage der Schlussfolgerungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) festzusetzen, ist daher im Rahmen der Überprüfung nicht anwendbar, da auch der Fristbeginn nicht bestimmt werden kann. Hingegen sieht Art. 21 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 eine andere Frist für die Vorlage der Ergebnisse der Risikobewertung durch die EFSA im Rahmen der Überprüfung vor, nämlich innerhalb von drei Monaten nach dem Ersuchen der Kommission. Im Übrigen scheint es in Anbetracht der von der Verordnung Nr. 1107/2009 verfolgten Schutzziele schwer hinnehmbar, dass im Rahmen der Überprüfung, die gegebenenfalls mehr als zehn Jahre nach dem Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung stattfinden kann, die Methoden für die Risikobewertung eines genehmigten Wirkstoffs dieselben wie die zum Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung geltenden bleiben müssen.

Darüber hinaus kann es kein allgemeines, sich aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit ergebendes Recht derer geben, die die Genehmigung beantragen, dass die Kriterien für die Bewertung und das Management des Risikos eines Wirkstoffs für den Fall einer Überprüfung dieselben bleiben wie diejenigen, die unter den Umständen zum Zeitpunkt des Antrags auf Genehmigung galten. Art. 114 Abs. 3 AEUV, auf den sich die Verordnung Nr. 1107/2009 u. a. gründet, bestimmt nämlich, dass die Kommission in ihren Vorschlägen zur Angleichung der Rechtsvorschriften, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand haben, u. a. im Bereich Umweltschutz von einem hohen Schutzniveau ausgeht, und dabei insbesondere alle auf wissenschaftliche Ergebnisse gestützten neuen Entwicklungen berücksichtigt.

(vgl. Rn. 260, 265-267, 288, 289)

14.    Die Einbeziehung des neuen Punktes 3.8.3 in Anhang II der Verordnung Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln stellt eine Änderung der Bedingungen für die Genehmigung der Wirkstoffe hinsichtlich des von Pestiziden ausgehenden Risikos für Bienen dar. Insoweit hat sich der Regelungsrahmen durch den Erlass dieser Verordnung und der dazugehörigen Durchführungsverordnungen geändert, die nunmehr vorsehen, dass eine besondere Aufmerksamkeit den mit den Wirkstoffen und insbesondere den Pestiziden verbundenen Risiken für Bienen zu widmen ist. Diese Änderung sollte auf jede seit dem Inkrafttreten dieser Verordnung erfolgte Prüfung der Risiken angewendet werden, unabhängig davon, ob es sich um eine erste Genehmigung oder eine Überprüfung handelt.

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass nicht nur Punkt 3.8.3 des Anhangs II der Verordnung Nr. 1107/2009 die Anwendung von anderen Kriterien und Methoden als denjenigen, die bei der ursprünglichen Genehmigung eines Wirkstoffs angewendet wurden, durch die Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) nicht verbietet, sondern dass im Gegenteil nach den Absichten des Unionsgesetzgebers die Anwendung geänderter Kriterien von der Verordnung Nr. 1107/2009 vorgeschrieben wurde.

Im Übrigen ergibt sich aus diesem Punkt 3.8.3, dass die Genehmigung eines Wirkstoffs nicht nur ausgeschlossen ist, wenn das Überleben der Bienenvölker in Gefahr ist, sondern bereits im Fall von unannehmbaren Auswirkungen auf die Entwicklung des Bienenvolks. Insoweit besteht eine Korrelation zwischen dem Risiko für die einzelnen Bienen und dem Risiko für die Bienenvölker in dem Sinn, dass eine große Zahl einzelner Verluste von Bienen zu einem Risiko für das betroffene Bienenvolk werden kann. Allerdings gibt es in diesem Stadium eine wissenschaftliche Ungewissheit, ab welcher Sterblichkeitsrate einzelner Bienen unannehmbare akute oder chronische Auswirkungen auf das Überleben und die Entwicklung des Bienenvolks auftreten können. Unter diesen Umständen darf die Kommission davon ausgehen, dass im Hinblick auf die Werte der Gefährdungsquotienten, die in den Schlussfolgerungen der EFSA für die fraglichen Wirkstoffe festgestellt worden waren, ein Risiko für die Bienenvölker nicht ausgeschlossen werden konnte, und dass es ihr daher oblag, auf der Grundlage des Vorsorgeprinzips Schutzmaßnahmen zu treffen, ohne den vollständigen Nachweis abwarten zu müssen, unter welchen Bedingungen und ab welcher Sterblichkeitsrate der Verlust einzelner Bienen das Überleben oder die Entwicklung von Bienenvölkern gefährden konnte.

(vgl. Rn. 273-276, 496, 498-500)

15.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 278)

16.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 285, 286)

17.    Der Umstand, dass bei Fehlen einer wissenschaftlichen Gewissheit vorbeugende Maßnahmen getroffen werden, die sich, sobald diese Gewissheit erlangt wurde, als zu vorsichtig herausstellen könnten, kann für sich genommen nicht als ein Verstoß gegen das Vorsorgeprinzip angesehen werden und ist im Gegenteil diesem Grundsatz inhärent.

(vgl. Rn. 324)

18.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 339, 340)

19.    Punkt 6.3.4 der Mitteilung der Kommission über das Vorsorgeprinzip sieht vor, dass eine Abwägung der mit einem Tätigwerden oder Nichttätigwerden verbundenen Vor- und Nachteile zu erfolgen hat. Hingegen sind das Format und der Umfang dieser Abwägung nicht näher dargelegt. Insbesondere ergibt sich daraus nicht, dass die betreffende Behörde verpflichtet wäre, ein spezifisches Bewertungsverfahren einzuleiten, das z. B. mit einem formellen schriftlichen Bewertungsbericht endet. Außerdem kommt der Behörde, die das Vorsorgeprinzip anwendet, nach dem Wortlaut ein erheblicher Ermessensspielraum hinsichtlich der Analysemethoden zu. Die Mitteilung weist nämlich zwar darauf hin, dass die Abwägung eine wirtschaftliche Analyse umfassen sollte, doch hat die betreffende Behörde jedenfalls auch andere als wirtschaftliche Erwägungen einzubeziehen. Außerdem wird ausdrücklich dargelegt, dass möglicherweise unter gewissen Umständen wirtschaftliche Erwägungen als weniger bedeutsam angesehen werden müssen als andere als wesentlich anerkannte Interessen; als Beispiel werden ausdrücklich Interessen wie die Umwelt oder die Gesundheit angeführt.

Außerdem ist es nicht erforderlich, dass die wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse auf der Grundlage einer genauen Berechnung der jeweiligen Kosten der in Betracht gezogenen Maßnahme oder des Nichttätigwerdens erfolgt. Solche genauen Berechnungen werden in den meisten Fällen unmöglich sein, da im Kontext der Anwendung des Vorsorgeprinzips ihre Ergebnisse von verschiedenen definitionsgemäß unbekannten Variablen abhängen. Wenn nämlich alle Folgen des Nichttätigwerdens sowie der Maßnahme bekannt wären, wäre es nicht erforderlich, das Vorsorgeprinzip heranzuziehen, sondern es könnte auf der Grundlage von Gewissheiten entschieden werden. Im Ergebnis werden die Erfordernisse der Mitteilung über das Vorsorgeprinzip erfüllt, wenn die betreffende Behörde, im vorliegenden Fall die Kommission, sich tatsächlich mit den positiven und negativen, wirtschaftlichen und anderen möglichen Auswirkungen der in Betracht gezogenen Maßnahme sowie des Nichttätigwerdens vertraut gemacht und sie bei ihrer Entscheidung berücksichtigt hat. Hingegen ist es nicht erforderlich, diese Auswirkungen genau zu beziffern, wenn dies nicht möglich ist oder unverhältnismäßigen Aufwand erfordern würde

Die von der Kommission durchzuführende Folgenabschätzung kann daher berücksichtigen, dass es zum einen möglich ist, erforderlichenfalls Ausnahmegenehmigungen auf nationaler Ebene zu gewähren, und dass zum anderen in bestimmten Mitgliedstaaten die Landwirtschaft in der Vergangenheit auf zufriedenstellende Weise hatte funktionieren können, ohne die die fraglichen Wirkstoffe enthaltenden Pflanzenschutzmittel zu verwenden. Der politisch sensible Charakter eines Themas stellt einen Umstand dar, den die Kommission als politisches Organ im Rahmen der Festlegung ihrer Prioritäten und in ihren Entscheidungen berücksichtigen kann und muss. Das bedeutet jedoch nicht, dass der angefochtene Rechtsakt das Ergebnis eines unangemessenen politischen Drucks ist.

(vgl. Rn. 459, 460, 466, 467)

20.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 505, 506)

21.    Die Bestimmung des Risikoniveaus, das für die Gesellschaft nicht hinnehmbar erscheint, steht den Organen zu, die für die politische Entscheidung, die in der Festlegung des für diese Gesellschaft angemessenen Schutzniveaus besteht, zuständig sind. Insoweit ist nach dem Verständnis, das der Unionsgesetzgeber von Risikomanagement hat, wie es z. B. im 19. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 178/2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts zum Ausdruck kommt, die Kommission berechtigt, Faktoren wie den Umstand, dass gewisse Anwendergruppen mehr als andere die Anweisungen in den Gebrauchsanleitungen der Pflanzenschutzmittel unbeachtet lassen könnten, sowie die Unmöglichkeit der Kontrolle der Art, wie sie diese Mittel anwenden, zu berücksichtigen.

Da eine Meinungsumfrage, die in sämtlichen Mitgliedstaaten auf der Grundlage einer repräsentativen Stichprobe durchgeführt wurde, zeigt, dass 34 % der Befragten die Gebrauchsanleitungen auf den Etiketten der Pflanzenschutzmittel nur „manchmal“ oder „nie“ lesen, und insbesondere unter Berücksichtigung der hohen Toxizität der fraglichen Wirkstoffe darf die Kommission daher zu dem Ergebnis gelangen, dass die nichtgewerblichen Anwender eher als die gewerblichen Anwender die Gebrauchsanleitungen nicht beachten könnten. Unter diesen Umständen kann das Verbot nichtgewerblicher Nutzungen der fraglichen Wirkstoffe im Außenbereich nicht als „zur Erreichung des verfolgten Ziels offensichtlich ungeeignet“ eingestuft werden. Folglich kann, da eine Anwendung, die vollständig verboten ist, jedenfalls sicherer ist als eine Anwendung, für die man sich auf das Gewissen der Anwender verlassen muss, die Beschränkung dieser nichtgewerblichen Anwendungen im Innenbereich nicht als „zur Erreichung des verfolgten Ziels offensichtlich ungeeignet“ eingestuft werden.

(vgl. Rn. 551, 552, 556-559)

22.    Im Rahmen der Überprüfung der Genehmigung eines Wirkstoffs nach Art. 21 der Verordnung Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln sind die verfügbaren Überwachungsdaten ebenso wie alle weiteren relevanten Informationen zu berücksichtigen. Was den genauen Umfang dieser Verpflichtung anbelangt, ist zwischen der Phase der Bewertung der Risiken und derjenigen des Risikomanagements zu unterscheiden.

Da die im Rahmen der Risikobewertung aus den Überwachungsdaten zu ziehenden Erkenntnisse in die Schlussfolgerungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) einbezogen sind, sind daher die Risiken, die diese Behörde festgestellt hat, oder diejenigen, von denen sie meinte, dass ihr Fehlen nicht nachgewiesen werden könne, diejenigen, die u. a. in Anbetracht der verfügbaren Überwachungsdaten bestehen oder nicht ausgeschlossen werden können. Im Rahmen der Entscheidung über das Management dieser Risiken, die sie nach Art. 21 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1107/2009 zu treffen hat, ist es daher nicht Sache der Kommission, die Feststellungen in den Schlussfolgerungen der EFSA im Licht von Daten, die die Letztere bereits berücksichtigt hat, in Frage zu stellen. Sie hat dagegen zu prüfen, ob die Risiken, deren Vorliegen festgestellt wurde oder nicht hatte ausgeschlossen werden konnte, im Licht der Überwachungsdaten durch den Erlass von Risikobegrenzungsmaßnahmen eingeschränkt werden können.

(vgl. Rn. 569, 571)

23.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 585-588)

24.    Wenn man unterstellt, dass die Genehmigung eines Wirkstoffs nach der Verordnung Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln neue Rechte für den Antragsteller geschaffen hat, die nach Art. 17 der Charta der Grundrechte geschützt sind, bedeutet dies jedoch nicht, dass Art. 21 dieser Verordnung über die Überprüfung der Genehmigung eng auszulegen ist, da dieser ausreichende Garantien für die Personen enthält, denen die Genehmigung eines Wirkstoffs erteilt wurde. Insbesondere setzt die Aufhebung oder die Änderung einer bestehenden Genehmigung voraus, dass die Kommission auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Kenntnisse zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die Genehmigungskriterien nicht mehr erfüllt sind.

Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Änderung oder die Aufhebung der Genehmigung nach der Überprüfung den Wesensgehalt der unternehmerischen Freiheit oder des Eigentumsrechts antastet. Der Antragsteller kann nämlich seine Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Herstellung von Pflanzenschutzmitteln weiterhin frei ausüben. Insbesondere bleiben die fraglichen Wirkstoffe für gewisse Verwendungen in der Union genehmigt und können auch exportiert werden.

(vgl. Rn. 592, 593)

25.    Nach Art. 49 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1107/2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, der es der Kommission ermöglicht, das Inverkehrbringen von Saatgut, das mit Pflanzenschutzmitteln behandelt wurde, zu beschränken oder zu verbieten, setzt die Anwendung dieser Bestimmung voraus, dass zwei Voraussetzungen erfüllt sind: Erstens müssen erhebliche Bedenken hinsichtlich des schwerwiegenden Risikos bestehen, das das behandelte Saatgut u. a. für die Umwelt darstellt, und zweitens darf diesem Risiko nicht durch von den Mitgliedstaaten getroffene Maßnahmen auf zufriedenstellende Weise begegnet werden können. Die Anforderung, wonach die Kommission, bevor sie Maßnahmen zur Einschränkung oder zum Verbot erlässt, die Sachlage prüft, ist nur deklaratorischer Natur, da die Kommission schon nach dem Grundsatz der guten Verwaltung vor dem Erlass von Maßnahmen jedenfalls die Sachlage zu prüfen hat.

Die erste Voraussetzung hinsichtlich des Bestehens erheblicher Bedenken ist automatisch erfüllt, wenn es sich um mit Pflanzenschutzmitteln behandeltes Saatgut handelt, die Wirkstoffe enthalten, deren Genehmigung die betreffende Anwendung nicht mehr abdeckt und für die die Genehmigungen, die auf nationaler Ebene vorlagen, aufgehoben wurden, weil die Kommission die Genehmigungskriterien nach Art. 4 der Verordnung Nr. 1107/2009 nicht mehr für erfüllt hielt. In einem solchen Fall hat die Kommission nämlich bereits im Rahmen der Änderung oder der Aufhebung der Genehmigung des betreffenden Wirkstoffs das Vorliegen erheblicher Bedenken in Verbindung mit der Verwendung der betreffenden Stoffe festgestellt.

(vgl. Rn. 608, 609)

26.    Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 617, 618)