Language of document : ECLI:EU:C:2023:649

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NICHOLAS EMILIOU

vom 7. September 2023(1)

Rechtssache C517/22 P

Eurobolt BV,

Fabory Nederland BV,

ASF Fischer BV

gegen

Europäische Kommission,

Stafa Group BV

„Rechtsmittel – Dumping – Ausweitung des auf die Einfuhren bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl mit Ursprung in China eingeführten Antidumpingzolls auf aus Malaysia versandte Einfuhren – Wiedereinführung eines endgültigen Antidumpingzolls – Gültigkeit der Durchführungsverordnung (EU) 2020/611 – Rechtsgrundlage – Art. 13 und 14 der Verordnung (EU) 2016/1036 – Gültigkeit der Verordnung (EG) Nr. 91/2009 – Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache APEX“






I.      Einführung

1.        Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Eurobolt BV, die Fabory Nederland BV und die ASF Fischer BV (im Folgenden: Rechtsmittelführerinnen) – drei in den Niederlanden ansässige Gesellschaften, die Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl einführen und verkaufen – die Aufhebung des Urteils des Gerichts(2), mit dem dieses ihre Klage auf Nichtigerklärung der Durchführungsverordnung (EU) 2020/611 der Kommission vom 30. April 2020(3) zur Wiedereinführung des mit der Verordnung (EG) Nr. 91/2009 des Rates(4) eingeführten endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl mit Ursprung in der Volksrepublik China auf aus Malaysia versandte Einfuhren bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl, ob als Ursprungserzeugnisse Malaysias angemeldet oder nicht, abgewiesen hat.

2.        Die Rechtsmittelführerinnen stützen sich auf sieben Rechtsmittelgründe. In diesen Schlussanträgen beschränke ich meine Analyse jedoch auf Wunsch des Gerichtshofs auf den sechsten Rechtsmittelgrund, mit dem gerügt wird, das Gericht habe Art. 13 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Ländern(5), Art. 5 Abs. 1 und 2 EUV sowie den Grundsatz der guten Verwaltung falsch ausgelegt und angewandt, als es befunden habe, dass die streitige Verordnung auf einer geeigneten Rechtsgrundlage beruhe.

3.        Der Gerichtshof hat im Rahmen dieses Rechtsmittelgrundes im Kern folgende Frage zu prüfen: Hindert die Aufhebung einer Verordnung zur Einführung eines Antidumpingzolls auf Einfuhren mit Ursprung in einem Drittstaat wegen einer etwaigen Unvereinbarkeit mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) die Kommission daran, diesen Zoll im Fall seiner Umgehung auch dann auf Einfuhren aus einem anderen Drittland auszuweiten, wenn diese Ausweitung den Zeitraum vor der Aufhebung der Verordnung betrifft und die Einfuhren gemäß den geltenden Antidumpingvorschriften zollamtlich erfasst wurden?

II.    Rechtlicher Rahmen

4.        In dem für das vorliegende Verfahren maßgeblichen Zeitraum wurde der Erlass von Antidumpingmaßnahmen zunächst durch die Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 des Rates(6), sodann durch die Verordnung (EG) Nr. 384/96 des Rates(7) und schließlich durch die vorgenannte Verordnung 2016/1036 (im Folgenden: Grundverordnung) geregelt(8).

5.        Art. 13 der Grundverordnung („Umgehung“) sieht vor:

„(1)      Die gemäß dieser Verordnung eingeführten Antidumpingzölle können auf die Einfuhren der gleichartigen Ware aus Drittländern, … ausgeweitet werden, wenn eine Umgehung der geltenden Maßnahmen stattfindet.

(3)      … Die Einleitung [von Untersuchungen] erfolgt durch eine Verordnung der Kommission, in der gleichzeitig Zollbehörden Anweisung gegeben werden kann, die Einfuhren gemäß Artikel 14 Absatz 5 zollamtlich zu erfassen …

Rechtfertigen die endgültig ermittelten Tatsachen die Ausweitung der Maßnahmen, wird diese Ausweitung von der Kommission gemäß dem in Artikel 15 Absatz 3 vorgesehenen Prüfverfahren eingeführt. Die Ausweitung gilt ab dem Zeitpunkt, zu dem die Einfuhren gemäß Artikel 14 Absatz 5 zollamtlich erfasst wurden …

6.        In Art. 14 Abs. 5 der Grundverordnung („Allgemeine Vorschriften“) heißt es:

„Die Kommission kann nach rechtzeitiger Unterrichtung der Mitgliedstaaten die Zollbehörden anweisen, geeignete Schritte zu unternehmen, um die Einfuhren zollamtlich zu erfassen, so dass in der Folge Maßnahmen gegenüber diesen Einfuhren vom Zeitpunkt dieser zollamtlichen Erfassung an eingeführt werden können. … Die Einfuhren dürfen nicht länger als neun Monate zollamtlich erfasst werden.“

7.        Art. 2 der Durchführungsverordnung (EU) 2016/278 der Kommission vom 26. Februar 2016 zur Aufhebung des endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl mit Ursprung in der Volksrepublik China, ausgeweitet auf aus Malaysia versandte Einfuhren bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl, ob als Ursprungserzeugnisse Malaysias angemeldet oder nicht (im Folgenden: Aufhebungsverordnung)(9), bestimmt:

„Die Aufhebung der Antidumpingzölle nach Artikel 1 ist ab dem Tag des Inkrafttretens dieser Verordnung gemäß Artikel 3 anwendbar und gibt keinen Anlass zur Erstattung der vor diesem Zeitpunkt erhobenen Zölle.“

8.        Der 14. Erwägungsgrund der Aufhebungsverordnung ist ähnlich formuliert.

9.        Art. 1 Abs. 1 und 3 der streitigen Verordnung weitet die mit Art. 1 Abs. 2 der ursprünglichen Verordnung eingeführten Antidumpingzölle im Wesentlichen „auf die aus Malaysia versandten Einfuhren bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl, …, ob als Ursprungserzeugnisse Malaysias angemeldet oder nicht“ aus, sofern sie „nach Artikel 2 der Verordnung (EU) Nr. 966/2010 sowie Artikel 13 Absatz 3 und Artikel 14 Absatz 5 der Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 zollamtlich erfasst wurden, …“.

10.      Art. 2 der streitigen Verordnung bestimmt:

„(1)      Zölle, die auf der Grundlage der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 723/2011 erhoben wurden, werden nicht erstattet.

(2)      Etwaige Erstattungen nach dem Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C‑644/17, Eurobolt (ECLI:EU:C:2019:555)‚ werden von den Behörden, die die Erstattungen geleistet haben, eingezogen.“

III. Tatsächlicher Rahmen

11.      Der relevante Sachverhalt, wie er sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, lässt sich wie folgt zusammenfassen.

A.      Erlass und Aufhebung der ursprünglichen Verordnung

12.      Im Jahr 2009 stellte der Rat fest, dass auf dem Unionsmarkt verkaufte Verbindungselemente chinesischer Hersteller Gegenstand von Dumping waren. Daher erließ der Rat am 26. Januar 2009 die ursprüngliche Verordnung.

13.      Nach der Einführung des endgültigen Antidumpingzolls gingen bei der Europäischen Kommission Beweise dafür ein, dass diese Maßnahmen durch einen Versand über Malaysia umgangen wurden. Infolgedessen leitete sie am 27. Oktober 2010 mit Erlass der Verordnung (EU) Nr. 966/2010 der Kommission eine Untersuchung betreffend die mutmaßliche Umgehung der mit der [ursprünglichen Verordnung] eingeführten Antidumpingmaßnahmen durch aus Malaysia versandte Einfuhren bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl, ob als Ursprungserzeugnisse Malaysias angemeldet oder nicht, und zur zollamtlichen Erfassung dieser Einfuhren ein(10). Wie aus dem 18. Erwägungsgrund und Art. 2 dieser Verordnung hervorgeht, wurden die Zollbehörden angewiesen, geeignete Schritte zu unternehmen, um die Einfuhren in die Europäische Union nach Art. 13 Abs. 3 und Art. 14 Abs. 5 der Grundverordnung zollamtlich zu erfassen, damit rückwirkend vom Zeitpunkt der zollamtlichen Erfassung auf die aus Malaysia versandten Einfuhren Antidumpingzölle in entsprechender Höhe erhoben werden können, falls bei der Untersuchung eine Umgehung festgestellt wird.

14.      Am 18. Juli 2011 erließ der Rat gemäß Art. 13 der Verordnung Nr. 1225/2009 die Durchführungsverordnung (EU) Nr. 723/2011 des Rates zur Ausweitung des mit der Verordnung Nr. 91/2009 eingeführten endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl mit Ursprung in der Volksrepublik China auf aus Malaysia versandte Einfuhren bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl, ob als Ursprungserzeugnisse Malaysias angemeldet oder nicht(11).

15.      Im Anschluss an zwei Verfahren vor den WTO-Schiedsorganen und der Annahme der Berichte dieser Organe durch das Streitbeilegungsgremium der WTO (im Folgenden: SGB)(12), erließ die Kommission am 26. Februar 2016 die Aufhebungsverordnung.

B.      Der Rechtsstreit vor den niederländischen Gerichten und das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache C644/17, Eurobolt

16.      Die Rechtsmittelführerinnen hatten im Zeitraum der von der Kommission durchgeführten Umgehungsuntersuchung Verbindungselemente aus Malaysia importiert. Diese Einfuhren wurden gemäß Art. 2 der Verordnung Nr. 966/2010 in Verbindung mit den Art. 13 Abs. 3 und Art. 14 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1225/2009 zollamtlich erfasst.

17.      Zwischen Januar 2012 und Oktober 2013 erließen die niederländischen Zollbehörden Abgabenbescheide zur Nacherhebung von Antidumpingzöllen, die die Rechtsmittelführerinnen nach der Durchführungsverordnung Nr. 723/2011 für Einfuhren von Verbindungselementen schuldeten. Gegen diese Abgabenbescheide legten die Rechtsmittelführerinnen sodann innerhalb der nach niederländischem Recht vorgesehenen Frist gemäß Art. 243 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 einen Rechtsbehelf ein(13).

18.      Im Rahmen des von Eurobolt eingelegten nationalen Rechtsmittels gegen die auf der Grundlage der Durchführungsverordnung Nr. 723/2011 entrichteten Antidumpingzölle ersuchte der Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) den Gerichtshof am 17. November 2017 um Vorabentscheidung über die Gültigkeit dieser Durchführungsverordnung.

19.      In seinem Urteil vom 3. Juli 2019, Eurobolt(14), hat der Gerichtshof entschieden, dass diese Durchführungsverordnung gegen eine wesentliche Formvorschrift verstößt. Der Gerichtshof ist im Wesentlichen zu dem Schluss gelangt, dass dem Erlass der ausgeweiteten Antidumpingmaßnahme keine ordnungsgemäße Konsultation des Beratenden Ausschusses im Sinne von Art. 15 Abs. 2 der Grundverordnung vorausgegangen war. Nach dieser Bestimmung waren dem Beratenden Ausschuss alle zweckdienlichen Informationen spätestens zehn Arbeitstage vor der Sitzung dieses Ausschusses zu übermitteln. Die von Eurobolt vorgelegte Stellungnahme, die als „zweckdienliche Information“ im Sinne von Art. 15 Abs. 2 der Grundverordnung hätte betrachten werden müssen, war den Mitgliedstaaten jedoch erst zwei Tage vor der Sitzung des Beratenden Ausschusses übermittelt worden. Der Gerichtshof hat daraus geschlossen, dass die Durchführungsverordnung Nr. 723/2011 ungültig ist, da sie unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 2 der Grundverordnung erlassen wurde.

C.      Erlass der streitigen Verordnung

20.      Infolge des Urteils vom 3. Juli 2019 in der Rechtssache Eurobolt erließ die Kommission die Durchführungsverordnung (EU) 2019/1374(15) zur Wiederaufnahme der Umgehungsuntersuchung, um die vom Gericht festgestellte verfahrensrechtliche Rechtswidrigkeit zu beheben. Aus dem 17. Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung 2019/1374 geht hervor, dass mit der Wiederaufnahme der Umgehungsuntersuchung sichergestellt werden sollte, dass sämtliche Anforderungen im Rahmen des Verfahrens des Beratenden Ausschusses erfüllt werden. Zu diesem Zweck erhielt der Prüfungsausschuss die Stellungnahme von Eurobolt innerhalb der in den einschlägigen Bestimmungen vorgesehenen Frist.

21.      Nach Eingang der Stellungnahme des Beratenden Ausschusses erließ die Kommission am 30. April 2020 die streitige Verordnung, mit der die Umgehungszölle wieder eingeführt wurden.

IV.    Angefochtenes Urteil und Verfahren vor dem Gerichtshof

22.      Am 28. Juli 2020 erhoben die Rechtsmittelführerinnen beim Gericht Klage auf Nichtigerklärung der streitigen Verordnung. Die Klageschrift der Rechtsmittelführerinnen stützte sich auf drei Klagegründe.

23.      Mit dem angefochtenen Urteil vom 18. Mai 2022 hat das Gericht diese Klage abgewiesen und den Rechtsmittelführerinnen die Kosten auferlegt.

24.      Mit ihrem am 2. August 2022 beim Gerichtshof eingelegten Rechtsmittel beantragen die Rechtsmittelführerinnen, (i) das angefochtene Urteil aufzuheben, (ii) der Klage im ersten Rechtszug stattzugeben und die streitige Verordnung für nichtig zu erklären, soweit sie die Rechtsmittelführerinnen betrifft, oder, hilfsweise, die Sache zur erneuten Beurteilung an das Gericht zurückzuverweisen und (iii) der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

25.      Die Kommission beantragt ihrerseits, das Rechtsmittel zurückzuweisen und den Rechtsmittelführerinnen die Kosten aufzuerlegen.

26.      Am 23. Mai 2023 hat der Gerichtshof den Rechtsmittelführerinnen einige Fragen zur schriftlichen Beantwortung übermittelt, die diese mit Schreiben vom 9. Juni 2023 beantwortet haben.

27.      Beide Parteien haben sich in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof am 6. Juli 2023 geäußert.

V.      Würdigung des sechsten Rechtsmittelgrundes

28.      Wie in der Einführung zu den vorliegenden Schlussanträgen dargelegt, werde ich meine Prüfung auf den sechsten Rechtsmittelgrund der Rechtsmittelführerinnen beschränken, der sich gegen die Rn. 123 bis 155 des angefochtenen Urteils richtet.

29.      In diesen Passagen hat das Gericht den zweiten Rechtsmittelgrund der Rechtsmittelführerinnen, wonach die streitige Verordnung gegen Art. 13 Abs. 1 der Grundverordnung, Art. 5 Abs. 1 und 2 EUV sowie den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung verstoße, da es der streitigen Verordnung an einer geeigneten Rechtsgrundlage fehle, als unbegründet zurückgewiesen.

A.      Vorbringen der Parteien

30.      Die Rechtsmittelführerinnen machen zunächst geltend, dass das Gericht den Kern ihres Vorbringens verkannt habe: Da die ursprüngliche Verordnung rechtswidrig gewesen und aus diesem Grund im Jahr 2016 aufgehoben worden sei, könne sie nicht als geeignete Rechtsgrundlage für den Erlass der streitigen Verordnung im Jahr 2020 dienen, da diese „nur akzessorischen Charakter“ habe. Die Kommission habe daher die streitige Verordnung ohne gültige Rechtsgrundlage erlassen. Die Rechtsmittelführerinnen untermauern ihr Vorbringen in der Folge mit einer Reihe von Argumenten.

31.      Erstens rügen die Rechtsmittelführerinnen, dass die zum Zweck der Zurückweisung ihres Vorbringens vorgenommene Bezugnahme des Gerichts auf das Urteil in der Rechtssache APEX(16) fehlgeleitet sei. Im Urteil in der Rechtssache APEX habe die Rechtmäßigkeit der Ermächtigungsgrundlage des angefochtenen Rechtsakts nicht in Zweifel gestanden. Folglich biete das dort ergangene Urteil, so die Rechtsmittelführerinnen, keine Anhaltspunkte für die Beantwortung der von ihnen im vorliegenden Verfahren aufgeworfenen Frage. Im vorliegenden Fall sei entscheidend, dass die ursprüngliche Verordnung nicht als Rechtsgrundlage für die streitige Verordnung dienen könne, da sie für rechtswidrig befunden worden sei.

32.      Zweitens sei der Verweis des Gerichts auf Art. 207 AEUV als Rechtsgrundlage für den Erlass von Antidumpingmaßnahmen im Allgemeinen verfehlt. Die Rechtsmittelführerinnen betonen erneut, dass die streitige Verordnung als Rechtsgrundlage eine gültige Verordnung zur Einführung der angeblich umgangenen Antidumpingzölle voraussetze. Mangels einer geeigneten Rechtsgrundlage verstoße die streitige Verordnung, so die Rechtsmittelführerinnen, gegen Art. 5 Abs. 1 und 2 EUV, wonach der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung gelte.

33.      Drittens habe das Gericht zu Unrecht angenommen, dass die Aufhebung der ursprünglichen Verordnung deren Gültigkeit nicht beeinträchtige. Die Rechtsmittelführerinnen weisen darauf hin, dass die Kommission diese Verordnung aufgehoben habe, da sie aufgrund ihrer Unvereinbarkeit mit den WTO-Übereinkommen rechtswidrig gewesen sei. Der Erlass der streitigen Verordnung komme daher der Wiederinkraftsetzung einer rechtswidrigen Verordnung gleich.

34.      Viertens halten die Rechtsmittelführerinnen die Erwägungen des Gerichts, dass sie sich nicht auf das WTO-Recht als Prüfungsmaßstab für Unionsregelungen berufen könnten, für unerheblich. Sie weisen darauf hin, dass sie – wie das Gericht selbst eingeräumt habe – nicht behauptet hätten, die in der ursprünglichen Verordnung enthaltenen Verstöße gegen das WTO-Recht machten die streitige Verordnung unwirksam. Vielmehr hätten sie geltend gemacht, dass die ursprüngliche Verordnung nicht als Rechtsgrundlage für die streitige Verordnung herangezogen werden könne.

35.      Die Kommission hält die Rügen der Rechtsmittelführerinnen gegen das angefochtene Urteil für unbegründet. Dem Gericht sei bei der Würdigung des Vorbringens der Rechtsmittelführerinnen zum angeblichen Fehlen einer geeigneten Rechtsgrundlage für die streitige Verordnung kein Rechtsfehler unterlaufen. Insbesondere komme die ursprüngliche Verordnung – die entgegen dem Vortrag der Rechtsmittelführerinnen keineswegs rechtswidrig sei – nicht als Rechtsgrundlage (oder eine der Rechtsgrundlagen) für die streitige Verordnung in Betracht. Die Kommission weist darauf hin, dass die streitige Verordnung zu Recht auf der Grundlage der Art. 13 und 14 der Grundverordnung erlassen worden sei.

B.      Würdigung

36.      Das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen ist meiner Ansicht nach nicht überzeugend.

37.      Zunächst ist nicht zu erkennen, dass das Gericht den Kern des Vorbringens der Rechtsmittelführerinnen verkannt hat. Meines Erachtens enthält das angefochtene Urteil in den Rn. 123 bis 155 eine zutreffende Darstellung der im ersten Rechtszug vorgetragenen Argumente und eine angemessene Würdigung derselben. Ich halte insbesondere die beiden Prämissen für unzutreffend, auf die die Rechtsmittelführerinnen ihr Vorbringen stützen (das Fehlen einer geeigneten Rechtsgrundlage und die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Verordnung).

38.      Im Folgenden werde ich die Gründe für meine Auffassung erläutern.

1.      Das Gericht hat die Rechtsgrundlage zutreffend ermittelt

39.      Erstens scheint das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen auf einem falschen Verständnis des Begriffs „Rechtsgrundlage“ im Kontext der Unionsrechtsordnung zu beruhen. Eine Rechtsgrundlage ist im Wesentlichen diejenige Rechtsvorschrift der Union, die dem oder den betreffenden Unionsorgan(en) die Befugnis verleiht, bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen in einem bestimmten Zuständigkeitsbereich der Union tätig zu werden. Das Erfordernis einer Rechtsgrundlage für jedes Handeln der Unionsorgane ergibt sich u. a. aus dem in Art. 13 Abs. 2 EUV verankerten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung der Organe. Diese Regelung bestimmt: „Jedes Organ handelt nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse nach den Verfahren, Bedingungen und Zielen, die in den Verträgen festgelegt sind“(17).

40.      In Anbetracht dessen ist meines Erachtens offensichtlich, dass sich die Befugnis der Kommission, bereits eingeführte Antidumpingzölle auf Einfuhren aus einem Drittland im Falle einer Umgehung auf Einfuhren aus einem anderen Drittland, wo die Umgehung stattfindet, auszuweiten, aus den Bestimmungen der Grundverordnung ergibt. Die Übertragung dieser Befugnis durch den Unionsgesetzgeber (in diesem Fall dem Parlament und dem Rat) auf die Kommission ist im wichtigsten Rechtsinstrument zum Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus Drittländern geregelt.

41.      Es ist nämlich Art. 13 („Umgehung“) der Grundverordnung, der insbesondere (i) vorsieht, dass „[die] gemäß dieser Verordnung eingeführten Antidumpingzölle … ausgeweitet werden [können], wenn eine Umgehung der geltenden Maßnahmen stattfindet“ (Abs. 1), (ii) die Kommission mit der Durchführung der Untersuchung beauftragt (Abs. 3) und (iii) die Kommission als das Organ benennt, das für die Ausweitung der Zölle nach dem dort genannten Verfahren zum Erlass eines Durchführungsrechtsakts zuständig ist (Abs. 3)(18). Darüber hinaus heißt es in Art. 14 („Allgemeine Bestimmungen“) Abs. 1 der Verordnung, dass alle Antidumpingzölle – und damit auch ausgeweitete – „durch Verordnung“ eingeführt werden müssen.

42.      Mit der Bezugnahme auf diese beiden Bestimmungen in der Präambel der streitigen Verordnung werden somit die Rechtsvorschriften, aus denen die Kommission ihre Befugnis abgeleitet hat, die in Rede stehenden Zölle auf Einfuhren wie diejenige der Rechtsmittelführerinnen auszudehnen, zutreffend bezeichnet.

43.      Die Rechtsmittelführerinnen machen daher zu Unrecht geltend, dass die streitige Verordnung auf der Grundlage der ursprünglichen Verordnung ergangen sei oder hätte ergehen müssen. Wie die Kommission zu Recht hervorhebt, ist das Bestehen einer (gültigen) ursprünglichen Verordnung nur eine der Voraussetzungen für eine rechtmäßige Ausweitung dieser Zölle.

44.      Diese Voraussetzung ergibt sich aus Art. 13 Abs. 1 der Grundverordnung(19). Schließlich versteht es sich von selbst, dass eine Ausweitung von Antidumpingzöllen nur möglich ist, wenn diese zuvor rechtmäßig eingeführt wurden. Gleichwohl sei noch einmal darauf hingewiesen, dass sich die Befugnis der Kommission zur Ausweitung der Zölle nicht aus dem Rechtsakt zur Einführung der Antidumpingzölle (d. h. der ursprünglichen Verordnung) ergibt, sondern, wie bereits erläutert, aus der Grundverordnung.

45.      Das Gericht hat daher in den Rn. 126 bis 128 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei befunden, dass die Art. 13 und 14 Abs. 1 der Grundverordnung die geeignete Rechtsgrundlage für die streitige Verordnung darstellen.

46.      In diesem Zusammenhang möchte ich hinzufügen, dass das Gericht in Rn. 136 des angefochtenen Urteils auch zu Recht nicht nur Art. 13 der Grundverordnung, sondern auch Art. 207 AEUV als eine der Bestimmungen anführt, die die Zuständigkeit der Kommission zum Erlass von Verordnungen zur Bekämpfung von Umgehungspraktiken begründen. Denn bei Art. 207 Abs. 2 AEUV handelt es sich um die primärrechtliche Norm, die das Parlament und den Rat ermächtigt, „die Maßnahmen, mit denen der Rahmen für die Umsetzung der gemeinsamen Handelspolitik bestimmt wird, [zu erlassen]“. Die Grundverordnung, die ihrerseits die Kommission ermächtigt, bestimmte Maßnahmen zur Bekämpfung von Umgehungspraktiken zu ergreifen, gehört zweifellos zu den Maßnahmen, die den Rahmen für die Umsetzung der gemeinsamen Handelspolitik im Sinne von Art. 207 AEUV bilden.

47.      Das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen, das Gericht habe sich zu Unrecht auf Art. 207 AEUV bezogen und daher einen Verstoß gegen den in Art. 5 Abs. 1 und 2 AEUV(20) niedergelegten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung unbeanstandet gelassen, ist somit unbegründet.

48.      Die vorstehenden Erwägungen führen mich zum zweiten Punkt, den ich im Hinblick auf die Prämissen ansprechen möchte, auf die die Rechtsmittelführerinnen ihr Vorbringen stützen.

2.      Gültigkeit der ursprünglichen Verordnung

49.      Die zweite Prämisse, auf die die Rechtsmittelführerinnen ihr Vorbringen stützen, ist die angebliche Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Verordnung.

50.      Meines Erachtens geht auch dieses Argument fehl.

51.      Wie ich in den folgenden Abschnitten erläutern werde, lässt weder die Aufhebung der ursprünglichen Verordnung durch den Unionsgesetzgeber noch ihre etwaige Unvereinbarkeit mit den WTO-Übereinkommen darauf schließen, dass sie rechtswidrig ist.

52.      Die ursprüngliche Verordnung wurde von der Kommission gemäß Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2015/476 aufgehoben(21). Danach gilt, wenn das SBG einen Bericht über eine u. a. nach der Grundverordnung getroffene Unionsmaßnahme annimmt, dass „die Kommission … eine oder mehrere der nachstehenden Maßnahmen ergreifen [kann], sofern sie dies für angemessen erachtet: a) Aufhebung oder Änderung der angefochtenen Maßnahme, oder b) andere besondere Durchführungsmaßnahmen, die unter den Umständen des Einzelfalls angemessen erscheinen, um die Union mit den in dem Bericht enthaltenen Empfehlungen und Feststellungen in Einklang zu bringen“.

53.      Aus dem Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2015/476 geht eindeutig hervor, dass eine vom SBG festgestellte mögliche Unvereinbarkeit einer Unionsmaßnahme mit den WTO-Übereinkommen nicht ispo facto zur Ungültigkeit des betreffenden Unionsrechtsakts führt. Es ist den Unionsorganen vorbehalten, aus solchen Feststellungen die notwendigen Konsequenzen zu ziehen, um die betreffende Maßnahme wieder rechtmäßig zu machen, wobei ihnen ein gewisser Ermessensspielraum zusteht. Art. 1 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2015/476 besagt nämlich, dass die Kommission eine oder mehrere Maßnahmen ergreifen „kann“, „sofern sie dies für angemessen erachtet“.

54.      Dies entspricht den Bestimmungen der WTO-Übereinkommen. Kommt nach Art. 19 der Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten (im Folgenden: Streitbeilegungsvereinbarung), „ein Panel oder das Berufungsgremium zu dem Schluss, dass eine Maßnahme mit einem … [WTO‑] Übereinkommen unvereinbar ist, so empfiehlt es, dass das betreffende Mitglied die Maßnahme mit dem Übereinkommen in Einklang bringt“. Diese Organe können lediglich „Möglichkeiten vorschlagen, wie das betreffende Mitglied die Empfehlungen umsetzen könnte“. Es ist in der Tat allgemein anerkannt, dass die WTO-Mitglieder über einen Ermessensspielraum verfügen, um eine Maßnahme, die als unvereinbar mit WTO-Verpflichtungen befunden wurde, mit diesen in Einklang zu bringen(22). Diesbezüglich wird den WTO-Mitgliedern gemäß Art. 21 Abs. 3 der Streitbeilegungsvereinbarung in der Regel ein „angemessener Zeitraum“ zur Beseitigung der Unvereinbarkeit eingeräumt.

55.      An dieser Stelle muss ich zugeben, dass mich die Ausführungen der Rechtsmittelführerinnen sowohl im ersten Rechtszug(23) als auch im vorliegenden Verfahren(24) etwas erstaunen, wonach sie nicht geltend gemacht hätten, dass der angebliche Verstoß der ursprünglichen Verordnung gegen die WTO-Regeln die streitige Verordnung ungültig mache. Eines der Hauptargumente der Rechtsmittelführerinnen zielt nämlich im Wesentlichen darauf ab, dass die Kommission die ursprüngliche Verordnung aufgehoben habe, weil sie wegen ihrer Unvereinbarkeit mit den WTO-Übereinkommen rechtswidrig gewesen sei und dass diese Rechtswidrigkeit ihrerseits die Gültigkeit der streitigen Verordnung beeinträchtige.

56.      In der mündlichen Verhandlung zu diesem offenkundigen Widerspruch befragt,  haben die Rechtsmittelführerinnen erklärt, dass sie sich nicht auf die WTO-Regeln stützten, um die Ungültigkeit der ursprünglichen Verordnung, sondern nur um deren Rechtswidrigkeit geltend zu machen. Diese Ausführungen grenzen in meinen Augen an Sophismus: Rechtswidrigkeit ist meines Erachtens die Unvereinbarkeit einer Maßnahme mit höherrangigem Recht und die Ungültigkeit der betreffenden Maßnahme die sich daraus ergebende logische Konsequenz. Es handelt sich bei diesen Begriffen um die sprichwörtlichen „zwei Seiten einer Medaille“.

57.      Jedenfalls vermag ich in dem angefochtenen Urteil keinen Rechtsfehler in den Ausführungen des Gerichts zu erkennen, dass unter Berücksichtigung der konkreten Umstände weder die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Verordnung noch die der streitigen Verordnung anhand der fraglichen WTO-Regeln und -Entscheidungen beurteilt werden könne. Insbesondere in den Rn. 144 und 150 des Urteils werden die Grundsätze, die sich aus der ständigen Rechtsprechung der Unionsgerichte zu diesem Thema herleiten lassen, zutreffend wiedergegeben und angewandt. Tatsächlich hat der Gerichtshof bereits bestätigt, zuletzt in der Rechtssache Donex, dass die Gültigkeit der ursprünglichen Verordnung nicht auf der Grundlage der oben in Nr. 15 genannten SBG-Berichte aus den Jahren 2011 und 2016 beurteilt werden kann(25).

58.      Dies vorausgeschickt, wende ich mich nun dem Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen zu, wonach die Aufhebung der ursprünglichen Verordnung durch die Kommission, die mit dem Ziel erfolgt sei, die Einhaltung eines internationalen Abkommens zu gewährleisten, die Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Verordnung begründe.

59.      Dieses Argument ist unzutreffend. Die bloße Aufhebung eines Unionsrechtsakts kann unabhängig von den Gründen, die zu dieser Aufhebung geführt haben, nicht mit der Feststellung der Rechtswidrigkeit dieses Rechtsakts gleichgesetzt werden. Der aufgehobene Rechtsakt ist zwar nicht mehr in Kraft und kann daher auf künftige Sachverhalte nicht mehr angewendet werden. Dagegen wird seine Eignung zur Regelung von Sachverhalten, die in der Vergangenheit – während seiner Geltungsdauer – eingetreten sind, durch seine Aufhebung grundsätzlich nicht in Frage gestellt.

60.      Es ist darauf hinzuweisen, dass es in der Unionsrechtsordnung dem Gerichtshof der Europäischen Union vorbehalten ist, aufgrund der ihm durch die Verträge übertragenen ausschließlichen Zuständigkeit über die Rechtmäßigkeit einer Handlung der Union zu befinden(26).

61.      Es liegt auf der Hand, dass eine vom Gerichtshof festgestellte Ungültigkeit der ursprünglichen Verordnung aufgrund ihrer Ex-tunc-Wirkung auch die Gültigkeit der streitigen Verordnung berührt hätte(27). Wie die Kommission hervorhebt, hat der Unionsrichter diese Verordnung jedoch weder im Rahmen von Nichtigkeitsklagen nach Art. 263 AEUV(28), noch im Zusammenhang mit Vorlagen von Vorabentscheidungsersuchen für rechtswidrig erklärt(29).

62.      In diesem Zusammenhang möchte ich hinzufügen, dass sich der Sachverhalt im vorliegenden Fall gerade in diesem Punkt grundlegend von dem in der Rechtssache Vitol(30) unterscheidet, einem jüngeren Urteil des Gerichtshofs, auf das sich die Rechtsmittelführerinnen in der mündlichen Verhandlung umfangreich berufen haben. Dieses Urteil bestätige, dass sie sich erfolgreich auf die Rechtswidrigkeit eines Unionsrechtsakts (hier: die ursprüngliche Verordnung) berufen könnten, um die Gültigkeit eines anderen, damit verbundenen EU-Rechtsakts (hier: die streitige Verordnung) anzufechten.

63.      Ich vermag jedoch nicht zu erkennen, inwieweit die Ausführungen des Gerichtshofs in der Rechtssache Vitol  im vorliegenden Fall einschlägig sein könnten. In jener Rechtssache hatte ein nationales Gericht dem Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung die Frage nach der Wirksamkeit einer Verordnung zur Einführung von Antidumpingzöllen vorgelegt, deren Ungültigkeit das Gericht bereits in einem zu diesem Zeitpunkt rechtskräftig gewordenen Urteil nach Art. 263 AEUV festgestellt hatte. Obwohl die mit der Nichtigkeitsklage vor dem Gericht obsiegenden Parteien nicht mit denen im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht identisch waren, hat der Gerichtshof befunden, dass alle Konsequenzen aus den Feststellungen des Gerichts zu ziehen sind, dass die streitige Verordnung gegen eine bestimmte Bestimmung der Grundverordnung verstoßen hat. Da die in Rede stehenden Verstöße auch die Rechtsstellung der Parteien des Ausgangsverfahrens vor dem vorlegenden Gericht berührten, bestand für den Gerichtshof keine Schwierigkeit, die angefochtene Verordnung für nichtig zu erklären(31).

64.      Im vorliegenden Fall gibt es jedoch keine früheren Feststellungen der Unionsgerichte zur angeblichen Ungültigkeit der ursprünglichen Verordnung. Tatsächlich ist das Gegenteil der Fall, wie ich oben in Nr. 61 dargelegt habe.

65.      Dem möchte ich hinzufügen, dass sich die Rechtsmittelführerinnen auch nicht auf die Bestimmungen des Art. 277 AEUV gestützt haben, um sich wegen der angeblichen Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Verordnung auf deren Unanwendbarkeit zu berufen. In der mündlichen Verhandlung haben die Rechtsmittelführerinnen offenbar die Ansicht vertreten, dass sie die Einrede der Rechtswidrigkeit im ersten Rechtszug und/oder im vorliegenden Verfahren stillschweigend geltend gemacht hätten. Die beiden von den Rechtsmittelführerinnen in diesem Zusammenhang zitierten Auszüge aus ihren Schriftsätzen stützen meines Erachtens dieses Vorbringen jedoch nicht.

66.      Aus diesen Gründen hat das Gericht in Rn. 138 des angefochtenen Urteils zutreffend befunden, dass die Gültigkeit der ursprünglichen Verordnung durch deren Aufhebung nicht berührt wird.

3.      Aufhebung der ursprünglichen Verordnung mit Ex-nunc-Wirkung

67.      Hätte der Unionsgesetzgeber beschlossen, die ursprüngliche Verordnung ex tunc aufzuheben, d. h. ihre Wirkungen rückwirkend zu beseitigen, wäre die Ausweitung der Zölle durch die streitige Verordnung offensichtlich nicht mehr möglich gewesen.

68.      Genau dies hat der Unionsgesetzgeber jedoch nicht getan, als er die Aufhebung der ursprünglichen Verordnung beschlossen hat. Bereits aus dem Wortlaut der Aufhebungsverordnung ergibt sich, dass die ursprüngliche Verordnung mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben wurde. Art. 2 der Aufhebungsverordnung bestimmt, dass „[die] Aufhebung der [betreffenden] Antidumpingzölle … ab dem Tag des Inkrafttretens dieser Verordnung … anwendbar [ist] und … keinen Anlass zur Erstattung der vor diesem Zeitpunkt erhobenen Zölle [gibt]“. Diese Bestimmung findet sich im 14. Erwägungsgrund derselben Verordnung wieder, der besagt: „Die Aufhebung der angefochtenen Maßnahmen sollte ab dem Tag ihres Inkrafttretens anwendbar sein und folglich keinen Anlass zur Erstattung der vor diesem Zeitpunkt erhobenen Zölle geben“.

69.      Die diesbezügliche Entscheidung des Unionsgesetzgebers entspricht den in der Verordnung 2015/476 verankerten Grundsätzen. Art. 3 dieser Verordnung sieht vor: „Sofern nichts anderes bestimmt ist, sind Maßnahmen aufgrund der vorliegenden Verordnung ab ihrem Inkrafttreten wirksam und geben nicht zur Erstattung der vor diesem Zeitpunkt erhobenen Zölle Anlass.“ Der siebte Erwägungsgrund dieser Verordnung greift die Bestimmungen von Art. 3 auf und erläutert deren Sinn und Zweck. In diesem Erwägungsgrund steht: „Die Empfehlungen in Berichten, die vom SBG angenommen werden, gelten nur für die Zukunft. Daher sollte festgelegt werden, dass aufgrund der vorliegenden Verordnung ergriffene Maßnahmen vorbehaltlich anders lautender Bestimmungen ab dem Tag ihres Inkrafttretens wirksam sind und folglich nicht zur Erstattung der vor diesem Zeitpunkt erhobenen Zölle Anlass geben.“

70.      Daraus folgt, dass alle Sachverhalte, die in zeitlicher Hinsicht von den Bestimmungen der ursprünglichen Verordnung erfasst wurden, von deren Aufhebung unbetroffen blieben. Da der Unionsgesetzgeber die ordnungsgemäße Erhebung der zwischen dem Inkrafttreten der ursprünglichen Verordnung und dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung erhobenen Antidumpingzölle bestätigt hat, gibt es folglich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Ausweitung dieser Zölle auf Einfuhren, mit denen versucht wurde, die Handelsmaßnahme der Union zu umgehen, unwirksam wäre.

71.      Wie in Rn. 129 des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt, ist für die Rechtmäßigkeit einer solchen Ausweitung unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens erforderlich, dass (i) die Verlängerung ausschließlich den Zeitraum vor Ablauf dieser Maßnahmen betrifft und (ii) die zollamtliche Erfassung der betreffenden Einfuhren gemäß den Art. 13 Abs. 3 und Art. 14 Abs. 5 der Grundverordnung angeordnet wurde. Es ist unbestritten, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.(32)

72.      Im Hinblick darauf hat das Gericht das Vorbringen der Rechtsmittelführerinnen in diesem Punkt meines Erachtens auch zutreffend unter Berufung auf das Urteil APEX zurückgewiesen.

4.      Bezugnahme des Gerichts auf das Urteil APEX

73.      Im Urteil APEX – einem Vorabentscheidungsersuchen zur Gültigkeit einer weiteren Verordnung zur Ausweitung von Antidumpingzöllen wegen Umgehung – vertrat eine der Parteien, die Erklärungen eingereicht hatten, die Auffassung, dass die streitige Verordnung unwirksam sei, da zum Zeitpunkt ihres Erlasses die ursprüngliche Verordnung zur Einführung der Antidumpingzölle nicht mehr in Kraft gewesen sei.

74.      Der Gerichtshof hat dieses Vorbringen mit der Begründung zurückgewiesen, dass Art. 13 der Grundverordnung eine Ausweitung von Antidumpingmaßnahmen wegen Umgehung auch dann zulässt, wenn die ursprüngliche Verordnung zur Einführung von Zöllen außer Kraft getreten ist. Eine solche Auslegung steht, so der Gerichtshof, dem Wortlaut der Vorschrift nicht entgegen und wird vor allem durch ihre systematische und teleologische Auslegung untermauert. In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof auch das Argument zurückgewiesen, wonach der vom Gerichtshof in einem früheren Urteil(33) hervorgehobene akzessorische Charakter der Ausweitung der Zölle zur Verhinderung ihrer Umgehung dieser Auslegung widerspreche. Der Gerichtshof hat entschieden, dass „aus dieser Feststellung [zwar folgt], dass die ausgeweiteten Maßnahmen das Auslaufen der Maßnahmen, auf die sich die Ausweitung bezieht, nicht überdauern können, doch kann aus der zwischen ihnen bestehenden Verknüpfung nicht abgeleitet werden, dass der Beschluss zur Einführung Ersterer vor dem Auslaufen Letzterer ergehen muss“(34).

75.      Ungeachtet dessen bestreiten die Rechtsmittelführerinnen die Einschlägigkeit des Urteils APEX  im vorliegenden Fall, da in jenem Urteil die Gültigkeit der ursprünglichen Verordnung nicht in Rede gestanden habe. Wie ich in den vorangegangenen Abschnitten dieser Schlussanträge jedoch dargelegt habe, gibt es auch in der vorliegenden Rechtssache keine Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit der ursprünglichen Verordnung.

76.      Die bloße Tatsache, dass die Kommission in Ausübung des ihr in diesem Bereich zustehenden Ermessens beschlossen hat, diese Verordnung vor ihrem ursprünglich vorgesehenen Außerkrafttreten aufzuheben(35), ist unerheblich. Die Schlussfolgerungen des Gerichtshofs im Urteil APEX sind dennoch sehr wohl von großer Bedeutung für den vorliegenden Fall.

77.      In der mündlichen Verhandlung haben die Rechtsmittelführerinnen jedoch geltend gemacht, dass selbst dann, wenn der Gerichtshof die ursprüngliche Verordnung für gültig erachten sollte, die beiden Rechtssachen sich dennoch unterschieden, da der Zeitraum zwischen dem Außerkrafttreten der ursprünglichen Verordnung und der Einführung (oder Wiedereinführung) von Anti-Umgehungszöllen im vorliegenden Fall länger sei als der im Urteil APEX gewürdigte. Ich kann mangels weiterführendem Vortrag zu diesem Punkt nicht erkennen, inwiefern dieser tatsächliche Umstand (die kürzere oder längere Dauer des genannten Zeitraums) die vorstehende rechtliche Würdigung entkräften sollte.

78.      Denn es wäre in der Tat merkwürdig, wenn man zu dem Schluss käme, dass die Unionsorgane während eines bestimmten Zeitraums (der tatsächlichen Geltungsdauer der ursprünglichen Verordnung) befugt waren, einen Antidumpingzoll auf Einfuhren aus einem Drittland einzuführen, nicht aber auf Einfuhren, die über ein anderes Drittland versandt wurden, um eine Handelsmaßnahme der Union zu umgehen. Ein solcher Schluss, der die redlichen Einführer zugunsten der unredlichen benachteiligen würde, wäre de facto ein Anreiz für die Wirtschaftsteilnehmer, künftig zu versuchen, die Handelsmaßnahmen der Union zu umgehen(36). Dies liefe dem eigentlichen Zweck des Art. 13 der Grundverordnung zuwider.

79.      Aus diesen Gründen ist meines Erachtens in den Rn. 129 und 134 des angefochtenen Urteils, in denen das Gericht zur Stützung seiner Ausführungen das Urteil APEX  herangezogen hat, kein Rechtsfehler zu erkennen.

80.      Schließlich halte ich es für entbehrlich, auf den von den Rechtsmittelführerinnen gerügten Verstoß gegen den Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung einzugehen. Sie haben diesbezüglich kein spezifisches und eigenständiges Argument vorgebracht.

81.      Ich komme zu dem Ergebnis, dass der sechste Rechtsmittelgrund der Rechtsmittelführerinnen die Frage aufgeworfen hat, ob die Aufhebung einer Verordnung zur Einführung eines Antidumpingzolls auf Einfuhren mit Ursprung in einem Drittstaat wegen einer etwaigen Unvereinbarkeit mit den WTO-Regeln die Kommission daran hindert, diesen Zoll im Fall seiner Umgehung auch dann auf Einfuhren aus einem anderen Drittland auszuweiten, wenn diese Ausweitung den Zeitraum vor der Aufhebung betrifft und die Einfuhren gemäß den geltenden Antidumpingvorschriften zollamtlich erfasst wurden.

82.      In den vorliegenden Schlussanträgen habe ich versucht darzulegen, warum ich im Gegensatz zu den Rechtsmittelführerinnen der Ansicht bin, dass diese Frage zu verneinen ist.

VI.    Ergebnis

83.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, den sechsten Rechtsmittelgrund der Eurobolt BV, der Fabory Nederland BV und der ASF Fischer BV zurückzuweisen.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Urteil vom 18. Mai 2022, Eurobolt u. a./Kommission (T‑479/20, EU:T:2022:304; im Folgenden: angefochtenes Urteil).


3      ABl. 2020, L 141, S. 1 (im Folgenden: streitige Verordnung).


4      Verordnung des Rates vom 26. Januar 2009 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter Verbindungselemente aus Eisen oder Stahl mit Ursprung in der Volksrepublik China (ABl. 2009, L 29, S. 1; im Folgenden: ursprüngliche Verordnung).


5      ABl. 2016, L 176, S. 21.


6      Verordnung vom 30. November 2009 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. 2009, L 343, S. 51).


7      Verordnung vom 22. Dezember 1995 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. 1996, L 56, S. 1).


8      Da der Wortlaut der verfahrensgegenständlichen Rechtsvorschriften sehr ähnlich ist, beziehe ich mich – wie beide Parteien in ihren Schriftsätzen – in den vorliegenden Schlussanträgen durchgängig auf die Bestimmungen der Verordnung 2016/1036.


9      ABl. 2016, L 52, S. 24.


10      ABl. 2010, L 282, S. 29.


11      ABl. 2011, L 194, S. 6.


12      Vgl. im Einzelnen Rn. 7 bis 11 des angefochtenen Urteils.


13      Verordnung des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. 1992, L 302, S. 1) in geänderter Fassung.


14      C‑644/17, EU:C:2019:555.


15      Durchführungsverordnung (EU) 2019/1374 der Kommission vom 26. August 2019 zur Wiederaufnahme der Untersuchung im Rahmen der Durchführungsverordnung Nr. 723/2011 des Rates vom 18. Juli 2011 infolge des Urteils vom 3. Juli 2019 in der Rechtssache C‑644/17, Eurobolt (ABl. 2019, L 223, S. 1).


16      Urteil vom 17. Dezember 2015, APEX (C‑371/14, EU:C:2015:828; im Folgenden: Urteil APEX).


17      Vgl. in diesem Zusammenhang Urteil vom 1. Oktober 2009, Kommission/Rat  (C‑370/07, EU:C:2009:590, Rn. 52).


18      Art. 13 Abs. 3 Unterabs. 3 der Grundverordnung nimmt Bezug auf das Ausschussverfahren nach Art. 15 Abs. 3 derselben Verordnung. Die letztgenannte Bestimmung wiederum verweist auf das in Art. 5 der Verordnung (EU) Nr. 182/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 zur Festlegung der allgemeinen Regeln und Grundsätze, nach denen die Mitgliedstaaten die Wahrnehmung der Durchführungsbefugnisse durch die Kommission kontrollieren (ABl. 2011, L 55, S. 13), vorgesehene „Prüfverfahren“.


19      Siehe auch Nrn. 5 und 41 der vorliegenden Schlussanträge.


20      Im Kern bedeutet dieses Prinzip, dass die Europäische Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig werden kann, die ihr von den Mitgliedstaaten in den Verträgen übertragen wurden. Alle der Europäischen Union nicht in den Verträgen übertragenen Zuständigkeiten verbleiben daher bei den Mitgliedstaaten.


21      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2015 über die möglichen Maßnahmen der Union aufgrund eines vom WTO-Streitbeilegungsgremium angenommenen Berichts über Antidumping- oder Antisubventionsmaßnahmen (kodifizierte Fassung; ABl. 2015, L 83, S. 6).


22      Vgl. z. B. WTO-Panelbericht vom 31. Juli 2002, United States – Countervailing Measures Concerning Certain Products From The European Communities (Vereinigte Staaten – Ausgleichsmaßnahmen gegenüber bestimmten Waren aus der Europäischen Gemeinschaft),  WT/DS212/R, Nr. 6.43, und WTO-Panelbericht vom 22. Dezember 1999, United States – Sections 301-310 of the Trade Act of 1974 (Vereinigte Staaten – Paragrafen 301-310 des US-Handelsgesetzes von 1974),  WT/DS152/R, Nr. 7.102.


23      Vgl. Rn. 139 bis 144 des angefochtenen Urteils.


24      Siehe oben, Nr. 34 der vorliegenden Schlussanträge.


25      Urteil vom 9. Juli 2020, Donex Shipping and Forwarding (C‑104/19, EU:C:2020:539, Rn. 48).


26      Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 19. Dezember 2018, Berlusconi und Fininvest (C‑219/17, EU:C:2018:1023, Rn. 44), und vom 22. Oktober 1987, Foto-Frost  (314/85, EU:C:1987:452, Rn. 17).


27      Vgl. z. B. Urteil vom 15. März 2018, Deichmann (C‑256/16, EU:C:2018:187, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung).


28      Vgl. u. a. Urteile vom 11. September 2014, Gem-Year und Jinn-Well Auto-Parts (Zhejiang)/Rat (C‑602/12 P, EU:C:2014:2203), und vom 27. Februar 2014, Ningbo Yonghong Fasteners/Rat (C‑601/12 P, EU:C:2014:115).


29      Vgl. u. a. Urteile vom 9. Juli 2020, Donex Shipping and Forwarding (C‑104/19, EU:C:2020:539), vom 15. November 2018, Baby Dan (C‑592/17, EU:C:2018:913), und vom 18. Oktober 2018, Rotho Blaas  (C‑207/17, EU:C:2018:840).


30      Urteil vom 22. Juni 2023, Vitol (C‑268/22, EU:C:2023:508).


31      Ebd., Rn. 60 bis 78.


32      Vgl. auch Rn. 133 und 134 des angefochtenen Urteils.


33      Urteil vom 6. Juni 2013, Paltrade  (C‑667/11, (EU:C:2013:368, Rn. 28).


34      Urteil in der Rechtssache APEX, Rn. 39 bis 55.


35      Vgl. hierzu Art. 11 („Geltungsdauer, Überprüfung und Erstattung“) der Grundverordnung.


36      Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache APEX (C‑371/14, EU:C:2015:507, Nr. 39).