Language of document : ECLI:EU:C:2023:664

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

14. September 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Richtlinie (EU) 2015/2302 – Art. 5 – Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen – Rücktritt von einem Pauschalreisevertrag – Unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände – Covid-19-Pandemie – Rücktrittsrecht – Anspruch auf volle Erstattung – Dem Reiseveranstalter obliegende Informationspflicht – Art. 12 – Anwendung der im nationalen Recht verankerten Grundsätze der Verhandlungsmaxime und der Bindung an die Parteianträge – Wirksamer Verbraucherschutz – Prüfung von Amts wegen durch das nationale Gericht – Voraussetzungen“

In der Rechtssache C‑83/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de Primera Instancia no 5 de Cartagena (Gericht erster Instanz Nr. 5 Cartagena, Spanien) mit Entscheidung vom 11. Januar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Februar 2022, in dem Verfahren

RTG

gegen

Tuk Tuk Travel SL

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Richterin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. Januar 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der spanischen Regierung, vertreten durch I. Herranz Elizalde als Bevollmächtigten,

–        der tschechischen Regierung, vertreten durch L. Halajová, M. Smolek und J. Vláčil als Bevollmächtigte,

–        der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,

–        des Europäischen Parlaments, vertreten durch P. López-Carceller und M. Menegatti als Bevollmächtigte,

–        des Rates der Europäischen Union, vertreten durch S. Sáez Moreno und L. Vétillard als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch I. Rubene und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 23. März 2023

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit von Art. 5 der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates (ABl. 2015, L 326, S. 1) im Hinblick auf die Art. 114 und 169 AEUV sowie die Auslegung dieser beiden letztgenannten Artikel und von Art. 15 der Richtlinie 2015/2302.

2        Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen RTG, einem Reisenden, und der Tuk Tuk Travel SL, einem Reiseveranstalter, wegen eines von dem Reisenden nach Abschluss eines Pauschalreisevertrags gezahlten Betrags, dessen teilweise Erstattung er nach seinem Rücktritt von dem Reisevertrag aufgrund der Verbreitung des Coronavirus in den Zielländern von dem Reiseveranstalter fordert.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        Im fünften Erwägungsgrund der Richtlinie 2015/2302 heißt es:

„Gemäß Artikel 26 Absatz 2 und Artikel 49 AEUV umfasst der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen sowie die Niederlassungsfreiheit gewährleistet sind. Um einen echten Binnenmarkt für Verbraucher bei Pauschalreisen und verbundenen Reiseleistungen zu schaffen, müssen die Rechte und Pflichten, die sich aus Pauschalreiseverträgen und verbundenen Reiseleistungen ergeben, so harmonisiert werden, dass ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einem hohen Verbraucherschutzniveau und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen dieser Branche gewährleistet ist.“

4        Art. 1 („Gegenstand“) der Richtlinie 2015/2302 sieht vor:

„Der Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung bestimmter Aspekte der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten für Verträge über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen zwischen Reisenden und Unternehmern, um so zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts und zu einem hohen und möglichst einheitlichen Verbraucherschutzniveau beizutragen.“

5        Art. 5 („Vorvertragliche Informationen“) der Richtlinie 2015/2302 bestimmt:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass dem Reisenden, bevor er durch einen Pauschalreisevertrag oder ein entsprechendes Vertragsangebot gebunden ist, von dem Reiseveranstalter und, wenn die Pauschalreise über einen Reisevermittler verkauft wird, auch von dem Reisevermittler die jeweiligen Standardinformationen durch das zutreffende Formblatt gemäß Anhang I Teil A oder B bereitgestellt werden und er, sofern diese Informationen für die betreffende Pauschalreise relevant sind, über Folgendes informiert wird:

a)      die wesentlichen Eigenschaften der Reiseleistungen:

g)      Angaben darüber, dass der Reisende den Vertrag jederzeit vor Beginn der Pauschalreise gemäß Artikel 12 Absatz 1 gegen Zahlung einer angemessenen Rücktrittsgebühr, oder gegebenenfalls der pauschalen Rücktrittsgebühren, die der Reiseveranstalter verlangt, beenden kann;

(3)      Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Informationen sind klar, verständlich und deutlich mitzuteilen. Werden diese Informationen schriftlich mitgeteilt, so müssen sie lesbar sein.“

6        Art. 12 („Beendigung des Pauschalreisevertrags und Recht zum Widerruf vor Beginn der Pauschalreise“) der Richtlinie 2015/2302 sieht vor:

„(1)      Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass der Reisende vor Beginn der Pauschalreise jederzeit vom Pauschalreisevertrag zurücktreten kann. Tritt der Reisende gemäß diesem Absatz vom Pauschalreisevertrag zurück, so kann der Reiseveranstalter die Zahlung einer angemessenen und vertretbaren Rücktrittsgebühr verlangen. Im Pauschalreisevertrag können angemessene pauschale Rücktrittsgebühren festgelegt werden, die sich nach dem Zeitpunkt des Rücktritts vom Vertrag und der Dauer bis zum Beginn der Pauschalreise und den erwarteten ersparten Aufwendungen und Einnahmen aus anderweitigen Verwendungen der Reiseleistungen bemessen. In Ermangelung pauschaler Rücktrittsgebühren entspricht die Rücktrittsgebühr dem Preis der Pauschalreise abzüglich der ersparten Aufwendungen und Einnahmen aus anderweitigen Verwendungen der Reiseleistungen. Auf Ersuchen des Reisenden begründet der Reiseveranstalter die Höhe der Rücktrittsgebühren.

(2)      Ungeachtet des Absatzes 1 hat der Reisende das Recht, vor Beginn der Pauschalreise ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurückzutreten, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Im Fall des Rücktritts vom Pauschalreisevertrag gemäß diesem Absatz hat der Reisende Anspruch auf volle Erstattung aller für die Pauschalreise getätigten Zahlungen, jedoch auf keine zusätzliche Entschädigung.

…“

7        Art. 23 („Unabdingbarkeit der Richtlinie“) der Richtlinie 2015/2302 bestimmt:

„(1)      Die Erklärung eines Veranstalters einer Pauschalreise oder eines Unternehmers, der verbundene Reiseleistungen vermittelt, dass er ausschließlich als Erbringer einer Reiseleistung, als Vermittler oder in anderer Eigenschaft handelt oder dass eine Pauschalreise oder verbundene Reiseleistungen keine Pauschalreise bzw. keine verbundenen Reiseleistungen darstellt, entbindet diesen Reiseveranstalter oder Unternehmer nicht von den Pflichten, die ihm aus dieser Richtlinie obliegen.

(2)      Reisende dürfen nicht auf die Rechte verzichten, die ihnen aus den nationalen Maßnahmen zur Umsetzung dieser Richtlinie zustehen.

(3)      Vertragliche Vereinbarungen oder Erklärungen des Reisenden, die einen Verzicht auf die sich aus dieser Richtlinie ergebenden Rechte oder deren Einschränkung unmittelbar oder mittelbar bewirken oder die darauf gerichtet sind, die Anwendung dieser Richtlinie zu umgehen, sind für den Reisenden nicht bindend.“


8        In Art. 24 („Durchsetzung“) der Richtlinie 2015/2302 heißt es:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, mit denen die Einhaltung dieser Richtlinie sichergestellt wird.“

9        Teil A („Standardinformationsblatt für Pauschalreiseverträge für Fälle, in denen ein Hyperlink verwendet werden kann“) des Anhangs I der Richtlinie 2015/2302 stellt in einem Textfeld den Inhalt dieses Formulars dar und weist darauf hin, dass der Reisende durch Anklicken des Hyperlinks die folgenden Informationen erhält:

„Wichtigste Rechte nach der Richtlinie (EU) 2015/2302

–        Die Reisenden können bei Eintritt außergewöhnlicher Umstände vor Beginn der Pauschalreise ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Vertrag zurücktreten, beispielsweise wenn am Bestimmungsort schwerwiegende Sicherheitsprobleme bestehen, die die Pauschalreise voraussichtlich beeinträchtigen.

…“

10      Teil B („Standardinformationsblatt für Pauschalreiseverträge in anderen Fällen als dem von Teil A erfassten“) des Anhangs I der Richtlinie 2015/2302 gibt in einem Textfeld den Inhalt des Formblatts wieder und führt dieselben wichtigsten Rechte nach dieser Richtlinie an wie diejenigen, die in Teil A ihres Anhangs I aufgeführt sind.

 Spanisches Recht

 Königliches Gesetzesdekret 1/2007

11      Die Art. 153 und 160 des durch das Königliche Gesetzesdekret 1/2007 genehmigten konsolidierten Textes des Allgemeinen Gesetzes zum Schutz der Verbraucher und Nutzer sowie anderer ergänzender Gesetze vom 16. November 2007 (BOE Nr. 287 vom 30. November 2007, S. 49181) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung sowie Teil A und Teil B des Anhangs II dieses Königlichen Gesetzesdekrets setzen die Art. 5 und 12 der Richtlinie 2015/2302 sowie Teil A und Teil B des Anhangs I der Richtlinie in das spanische Recht um.

 Zivilprozessordnung

12      Art. 216 der Ley 1/2000 de Enjuiciamiento Civil (Gesetz 1/2000 über den Zivilprozess) vom 7. Januar 2000 (BOE Nr. 7 vom 8. Januar 2000, S. 575) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: Zivilprozessordnung) bestimmt:

„Die Zivilgerichte entscheiden aufgrund des Sachvortrags, der Beweismittel und der Anträge der Parteien, sofern das Gesetz nicht in besonderen Fällen etwas anderes bestimmt.“

13      Art. 218 Abs. 1 der Zivilprozessordnung lautet:

„Die Urteile müssen klar und präzise sein und müssen sich mit der Klage und den sonstigen Anträgen der Parteien decken, die im Rahmen des Rechtsstreits rechtzeitig vorgebracht worden sind. Sie enthalten die vorgeschriebenen Erklärungen, verurteilen oder entlasten den Beklagten und entscheiden alle streitigen Punkte, die Gegenstand der Verhandlung waren.

Ohne dadurch vom Streitgegenstand abzuweichen, dass es andere tatsächliche oder rechtliche Gesichtspunkte berücksichtigt, als die Parteien geltend machen wollten, entscheidet das Gericht gemäß den auf den Fall anwendbaren Vorschriften, auch wenn diese von den Parteien nicht korrekt zitiert oder geltend gemacht worden sind.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

14      Am 10. Oktober 2019 schloss RTG mit Tuk Tuk Travel einen Vertrag über eine Pauschalreise für zwei Personen nach Vietnam und Kambodscha mit Abreise von Madrid (Spanien) am 8. März 2020 und geplanter Rückkehr am 24. März 2020.

15      Bei Abschluss des betreffenden Pauschalreisevertrags zahlte der Kläger des Ausgangsverfahrens 2 402 Euro als Anzahlung auf den Gesamtreisepreis, der sich auf 5 208 Euro belief. Die allgemeinen Vertragsbedingungen enthielten u. a. Informationen über die Möglichkeit, den Vertrag vor dem Abreisedatum gegen Zahlung einer Rücktrittsgebühr zu beenden. Die Möglichkeit eines Rücktritts vom Vertrag aufgrund unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände, die am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe auftreten und die Durchführung des Vertrags erheblich beeinträchtigen würden, war in diesen Informationen nicht vorgesehen.

16      Mit E‑Mail vom 12. Februar 2020 setzte der Kläger des Ausgangsverfahrens die Beklagte des Ausgangsverfahrens von seiner Entscheidung in Kenntnis, angesichts der Ausbreitung des Coronavirus in Asien von dem betreffenden Pauschalreisevertrag zurückzutreten, und verlangte von ihm die Erstattung aller ihm zustehenden Beträge.

17      Die Beklagte des Ausgangsverfahrens antwortete ihm am 14. Februar 2020, dass ihm bei Stornierung der Reise nach Abzug der Stornierungskosten ein Betrag von 81 Euro erstattet würde. Am selben Tag bestätigte der Kläger des Ausgangsverfahrens seine Rücktrittsentscheidung und bestritt die Höhe der Stornierungskosten.

18      Am 4. März 2020 teilte die Beklagte des Ausgangsverfahrens dem Kläger des Ausgangsverfahrens mit, dass sie ihm 302 Euro erstatten werde, da die mit der Durchführung des betreffenden Flugs beauftragte Fluggesellschaft ihren Reisenden eine kostenfreie Stornierung gewähre.

19      Nach dieser Mitteilung verklagte der Kläger des Ausgangsverfahrens, ohne durch einen Rechtsanwalt vertreten zu sein, die Beklagte des Ausgangsverfahrens vor dem Juzgado de Primera Instancia n° 5 de Cartagena (Gericht erster Instanz Nr. 5 Cartagena, Spanien), dem vorlegenden Gericht. In seiner Klageschrift machte er geltend, seine Entscheidung, von dem betreffenden Pauschalreisevertrag zurückzutreten, sei fast einen Monat vor dem geplanten Abreisedatum erfolgt und auf höhere Gewalt, nämlich die Ausbreitung des Coronavirus in Asien, zurückzuführen. Er beantragte, die Beklagte des Ausgangsverfahrens zu verurteilen, ihm zusätzliche 1 500 Euro zu erstatten. Die verbleibenden 601 Euro entsprächen nämlich den der Beklagten des Ausgangsverfahrens entstandenen Verwaltungskosten.

20      Die Beklagte des Ausgangsverfahrens trat diesem Antrag entgegen und machte geltend, sowohl zum Zeitpunkt des Rücktritts von dem betreffenden Pauschalreisevertrag als auch am geplanten Abreisetag sei es noch möglich gewesen, normal in die Zielländer zu reisen. Darüber hinaus habe der Kläger des Ausgangsverfahrens die allgemeinen Vertragsbedingungen akzeptiert, wonach sich die Verwaltungskosten im Fall eines Rücktritts auf 15 % des Gesamtbetrags der betreffenden Reise beliefen und die Rücktrittsgebühr der von jedem seiner Dienstleister angewandten entspreche.

21      Da die Parteien des Ausgangsverfahrens keine mündliche Verhandlung beantragt hatten, trat das Gericht am 22. Juni 2021 in die Beratung über die Rechtssache ein.

22      Mit Beschluss vom 15. September 2021 forderte das vorlegende Gericht die Parteien des Ausgangsverfahrens jedoch dazu auf, innerhalb von zehn Tagen zu einer Reihe von Fragen Stellung zu nehmen, die im Wesentlichen die Einhaltung des Unionsrechts, insbesondere der Richtlinie 2015/2302, betrafen.

23      Der Kläger des Ausgangsverfahrens nahm hierzu nicht Stellung. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens bekräftigte ihren Standpunkt, wonach es zum Zeitpunkt des Rücktritts vom geschlossenen Pauschalreisevertrag keinen Grund gegeben habe, die in Rede stehende Reise nicht durchzuführen. Darüber hinaus habe der Kläger des Ausgangsverfahrens zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, er sei nicht informiert worden oder seine Rechte seien nicht berücksichtigt worden.

24      Im Vorabentscheidungsersuchen fragt das vorlegende Gericht zum einen nach der Gültigkeit von Art. 5 der Richtlinie 2015/2302 im Hinblick auf Art. 169 AEUV in Verbindung mit Art. 114 AEUV, sofern ein Reiseveranstalter nach Art. 5 der Richtlinie nicht verpflichtet sei, den Verbraucher über die Möglichkeit zu informieren, bei Eintritt unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände von dem geschlossenen Pauschalreisevertrag zurückzutreten und sich alle getätigten Zahlungen zurückerstatten zu lassen. So habe der Kläger des Ausgangsverfahrens im vorliegenden Fall nicht gewusst, dass er einen Anspruch auf volle Erstattung dieser Zahlungen habe, wenn solche Umstände aufträten. Das vorlegende Gericht fragt sich deshalb, ob diese fehlende Information des betreffenden Verbrauchers nicht die Verteidigung seiner Rechte und seiner Interessen erschwert, erst recht wenn dieser, wie im vorliegenden Fall, nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten sei, und ob die fehlende Information das mit der Richtlinie 2015/2302 verfolgte Ziel eines hohen Verbraucherschutzniveaus nicht gefährdet.

25      Darüber hinaus fragt sich das vorlegende Gericht, ob es dem Verbraucher nach dem Unionsrecht von Amts wegen die Erstattung aller getätigten Zahlungen zusprechen darf, wenn unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung des betreffenden Pauschalreisevertrags erheblich beeinträchtigen. Durch diese Möglichkeit würde das in der vorhergehenden Randnummer genannte Ziel gewährleistet. Diese Möglichkeit verstieße jedoch gegen die grundlegenden Prinzipien des spanischen Verfahrensrechts, nämlich die in Art. 218 Abs. 1 der Zivilprozessordnung verankerten Grundsätze der Verhandlungsmaxime und der Bindung an die Parteianträge.

26      Unter diesen Umständen hat der Juzgado de Primera Instancia nº 5 de Cartagena (Gericht erster Instanz Nr. 5 Cartagena) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind Art. 169 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a und Art. 114 Abs. 3 AEUV dahin auszulegen, dass sie Art. 5 der Richtlinie 2015/2302 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen entgegenstehen, sofern nach diesem Artikel die obligatorischen vorvertraglichen Informationen für den Reisenden nicht das ihm durch Art. 12 der Richtlinie zuerkannte Recht umfassen, vor Reisebeginn unter voller Erstattung des gezahlten Betrags vom Vertrag zurückzutreten, wenn unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Reise erheblich beeinträchtigen?

2.      Stehen die Art. 114 und 169 AEUV sowie Art. 15 der Richtlinie 2015/2302 der Anwendung der in Art. 216 und Art. 218 Abs. 1 der Zivilprozessordnung genannten Grundsätze der Verhandlungsmaxime und der Bindung an die Parteianträge entgegen, wenn diese Verfahrensgrundsätze den vollständigen Schutz des klagenden Verbrauchers verhindern können?

 Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

27      Die tschechische Regierung stellt im Wesentlichen die Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens in Abrede, da die erbetene Auslegung für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht erforderlich sei. Sie macht insbesondere geltend, die Vorlagefragen des vorlegenden Gerichts seien unbegründet, da die Sorgen um eine Ausbreitung des Coronavirus in Asien, die der Kläger des Ausgangsverfahrens für den Rücktritt von seinem Pauschalreisevertrag ungefähr einen Monat vor Beginn seiner Reise angeführt hätte, keine unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände darstellten, die am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe aufgetreten seien und die die Durchführung dieses Reisevertrags oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt hätten, wie es Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 verlange.

28      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass in einem Verfahren nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits zuständig ist (Urteil vom 27. April 2023, Legea, C‑686/21, EU:C:2023:357, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof ist nur befugt, sich auf der Grundlage des ihm vom nationalen Gericht unterbreiteten Sachverhalts zur Auslegung oder zur Gültigkeit einer Vorschrift der Europäischen Union zu äußern (Urteil vom 27. April 2023, AxFina Hungary, C‑705/21, EU:C:2023:352, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung). Darüber hinaus ist es allein Sache der nationalen Gerichte, bei denen der Rechtsstreit anhängig ist und die die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung tragen, unter Berücksichtigung des Sachverhalts der jeweiligen Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass ihres Urteils als auch die Erheblichkeit der von ihnen dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu beurteilen (vgl. in diesem Sinn Urteile vom 16. Dezember 1981, Foglia, 244/80, EU:C:1981:302, Rn. 15, und vom 7. Juni 2018, Scotch Whisky Association, C‑44/17, EU:C:2018:415, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29      Im vorliegenden Fall unterliegt die Frage, ob der Sachverhalt, den der Kläger des Ausgangsverfahrens anführt, um seinen Rücktritt von dem in Rede stehenden Pauschalreisevertrag zu rechtfertigen, als „unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände“ im Sinne der Richtlinie 2015/2302 qualifiziert werden kann, der autonomen Beurteilung des vorlegenden Gerichts. Außerdem hat dieses Gericht es für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits nicht für erforderlich gehalten, eine Frage zur Tragweite des Begriffs „unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände“ im Sinne dieser Richtlinie vorzulegen.

30      Das Vorabentscheidungsersuchen ist daher zulässig.

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

31      Mit seiner ersten Frage fragt das vorlegende Gericht im Wesentlichen nach der Gültigkeit von Art. 5 der Richtlinie 2015/2302 im Hinblick auf Art. 169 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a sowie Art. 114 Abs. 3 AEUV, da ein Reiseveranstalter nach Art. 5 der Richtlinie nicht verpflichtet sei, den Reisenden über sein in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie genanntes Recht zu informieren, bei Eintritt unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände, die die Durchführung seines Pauschalreisevertrags erheblich beeinträchtigen, ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr und unter voller Erstattung aller für die Pauschalreise getätigten Zahlungen von diesem Pauschalreisevertrag zurückzutreten.

32      Die spanische Regierung und die Europäische Kommission halten diese Frage für unzulässig. Die Kommission macht geltend, die Frage sei hypothetisch, da Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 eine Pflicht vorsehe, den Reisenden über sein Rücktrittsrecht, das in Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie wieder aufgegriffen werde, zu informieren.

33      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass die Zurückweisung des Ersuchens eines nationalen Gerichts dem Gerichtshof nur möglich ist, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 25. Juli 2018, AY [Haftbefehl – Zeuge], C‑268/17, EU:C:2018:602, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34      Mit seiner Frage fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof nach der Tragweite von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302. Die Auslegung der Tragweite dieser Bestimmung ist nämlich eine Voraussetzung für die Beurteilung ihrer Gültigkeit. Diese Auslegung impliziert nicht die Beurteilung eines Problems hypothetischer Natur, so dass die Kommission zu Unrecht geltend macht, diese Frage sei unzulässig.

35      Nach dieser Klarstellung ist zur Auslegung der Tragweite von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 festzustellen, dass die Mitgliedstaaten nach dieser Bestimmung sicherstellen, dass dem Reisenden, bevor er durch einen Pauschalreisevertrag gebunden ist, von dem Reiseveranstalter u. a. die jeweiligen Standardinformationen durch das zutreffende Formblatt gemäß Anhang I Teil A oder Teil B der Richtlinie bereitgestellt werden.

36      Die Standardinformationsblätter in Anhang I Teil A und Teil B der Richtlinie 2015/2302 übernehmen mittels eines Hyperlinks oder ohne einen solchen Hyperlink ausdrücklich die wichtigsten Rechte, über die die Reisenden zu informieren sind. Zu diesen Rechten gehört gemäß dem siebten Gedankenstrich in Teil A und Teil B des Anhangs I das Recht der Pauschalreisenden, „bei Eintritt außergewöhnlicher Umstände vor Beginn der Pauschalreise ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Vertrag zurück[zu]treten, beispielsweise wenn am Bestimmungsort schwerwiegende Sicherheitsprobleme bestehen, die die Pauschalreise voraussichtlich beeinträchtigen“. Dieser siebte Gedankenstrich erklärt und erläutert somit den Inhalt des Rücktrittsrechts, das Pauschalreisenden nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2303 zusteht.

37      Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 nimmt demnach entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts von den vorvertraglichen Informationen, die dem Reisenden unbedingt bereitzustellen sind, nicht die Information über das ihm nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie zustehende Recht aus, vor Beginn der Pauschalreise ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr von seinem Reisevertrag zurückzutreten, wenn unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigen.

38      In Anbetracht der Tragweite von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 ist die Frage des vorlegenden Gerichts nach der Gültigkeit dieses Artikels nicht zu beantworten. Da der Reisende nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie über sein Rücktrittsrecht im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie zu informieren ist, stellt sich nämlich die Frage der Gültigkeit von Art. 5 der Richtlinie, weil der Verbraucher nach diesem Artikel nicht über dieses Rücktrittsrecht informiert werden müsse, im Hinblick auf Art. 169 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a AEUV sowie Art. 114 Abs. 3 AEUV nicht.

39      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2015/2302 dahin auszulegen ist, dass ein Reiseveranstalter den Reisenden über sein Rücktrittsrecht im Sinne von Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie zu informieren hat. Die Gültigkeit von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie im Hinblick auf Art. 169 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a AEUV in Verbindung mit Art. 114 Abs. 3 AEUV kann deshalb nicht mit der Begründung in Frage gestellt werden, dass er nicht vorsehe, den Reisenden über sein Rücktrittsrecht im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie zu informieren.

 Zur zweiten Frage

40      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 114 und 169 AEUV sowie Art. 15 der Richtlinie 2015/2302 dahin auszulegen sind, dass sie der Anwendung der in den Vorschriften der Zivilprozessordnung verankerten Grundsätze der Verhandlungsmaxime und der Bindung an die Parteianträge entgegenstehen, wenn die Anwendung dieser Vorschriften den wirksamen Schutz des klagenden Verbrauchers verhindern kann.

41      Die spanische Regierung hält diese Frage für unzulässig, da die Unzulässigkeit der ersten Frage zwangsläufig zur Unzulässigkeit der zweiten führe und Art. 15 der Richtlinie 2015/2302 in keinem Zusammenhang mit dem Ausgangsrechtsstreit stehe. Diese Rüge ist zurückzuweisen, da die erste Frage aus den in den Rn. 33 und 34 des vorliegenden Urteils genannten Gründen nicht unzulässig ist und sich aus dem Kontext der zweiten Frage offensichtlich ergibt, dass die Bezugnahme auf Art. 15 der Richtlinie ein Schreibfehler ist und als Bezugnahme auf Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie zu verstehen ist.

42      Demnach und weil die Richtlinie 2015/2302 auf der Grundlage von Art. 114 AEUV erlassen wurde, um zur Erreichung des in Art. 169 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a AEUV genannten Ziels, ein hohes Verbraucherschutzniveau zu gewährleisten, beizutragen, ist die zweite Frage so umzuformulieren, dass es im Wesentlichen darum geht, ob Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er der Anwendung von Vorschriften des nationalen Verfahrensrechts entgegensteht, in denen die Grundsätze der Verhandlungsmaxime und der Bindung an die Parteianträge verankert sind, wonach das nationale Gericht, wenn ein Rücktritt von einem Pauschalreisevertrag die Voraussetzungen gemäß Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie erfüllt und der betreffende Reisende bei diesem Gericht weniger als die volle Erstattung einklagt, ihm nicht von Amts wegen die volle Erstattung zusprechen darf.

43      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Reisende nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 das Recht hat, vor Beginn der Pauschalreise ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr und unter voller Erstattung aller für die Pauschalreise getätigten Zahlungen vom Pauschalreisevertrag zurückzutreten, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.

44      Im Unionsrecht sind jedoch die für die Prüfung dieses Rücktrittsrechts geltenden Verfahrensmodalitäten nicht harmonisiert. Nach Art. 24 der Richtlinie 2015/2302 stellen die Mitgliedstaaten nur sicher, dass angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, mit denen die Einhaltung dieser Richtlinie sichergestellt wird. Folglich sind die Modalitäten der Verfahren zum Schutz der Rechte Einzelner aus Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der Mitgliedstaaten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2022, Unicaja Banco, C‑869/19, EU:C:2022:397, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45      Das Unionsrecht verlangt demnach vom nationalen Gericht grundsätzlich nicht, von Amts wegen die Frage eines Verstoßes gegen Unionsvorschriften zu prüfen, wenn es für die Prüfung dieser Frage die Grenzen des Rechtsstreits zwischen den Parteien überschreiten müsste. Diese Beschränkung der Befugnisse des nationalen Gerichts ist durch den Grundsatz gerechtfertigt, dass die Initiative in einem Prozess den Parteien zusteht. Das Gericht darf folglich nur in Ausnahmefällen von Amts wegen tätig werden, wenn sein Einschreiten im Interesse der öffentlichen Ordnung erforderlich ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Dezember 2009, Martín Martín, C‑227/08, EU:C:2009:792, Rn. 19 und 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46      Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich auch, dass das nationale Gericht verpflichtet ist, von Amts wegen die Einhaltung bestimmter unionsrechtlicher Verbraucherschutzvorschriften zu prüfen, wenn ohne diese Prüfung das Ziel eines wirksamen Verbraucherschutzes nicht erreicht werden könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. März 2020, OPR-Finance, C‑679/18, EU:C:2020:167, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung). Folglich liegt der wirksame Schutz bestimmter dem Verbraucher aus dem Unionsrecht erwachsender Rechte im Interesse der öffentlichen Ordnung, die das Einschreiten des nationalen Gerichts von Amts wegen verlangt.

47      Die Pflicht des nationalen Gerichts zur Prüfung von Amts wegen wurde daher u. a. für Klauseln der Richtlinie 85/577/EWG des Rates vom 20. Dezember 1985 betreffend den Verbraucherschutz im Falle von außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen (ABl. 1985, L 372, S. 31) (Urteil vom 17. Dezember 2009, Martín Martín, C‑227/08, EU:C:2009:792, Rn. 29), für Klauseln der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) (Urteil vom 17. Mai 2022, Ibercaja Banco, C‑600/19, EU:C:2022:394, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung) sowie für Klauseln der Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates (ABl. 2008, L 133, S. 66, berichtigt in ABl. 2009, L 207, S. 14, ABl. 2010, L 199, S. 40, und ABl. 2011, L 234, S. 46) (Urteil vom 5. März 2020, OPR-Finance, C‑679/18, EU:C:2020:167, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung) anerkannt.

48      Im vorliegenden Fall ist daher zu prüfen, ob das nationale Gericht einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 von Amts wegen aufgreifen dürfen muss, um den wirksamen Schutz des dem Verbraucher aus dieser Bestimmung erwachsenden Rücktrittsrechts zu gewährleisten.

49      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass dieses Rücktrittsrecht zur Erreichung des Ziels der Richtlinie 2015/2302 beiträgt, das, wie sich aus Art. 1 in Verbindung mit dem fünften Erwägungsgrund der Richtlinie ergibt, darin besteht, zum ordnungsgemäßen Funktionieren des Binnenmarkts und zu einem hohen und möglichst einheitlichen Verbraucherschutzniveau beizutragen, wenn Verbraucher einen Pauschalreisevertrag abschließen. Die Richtlinie 2015/2302 garantiert dem Reisenden ein Recht, das er nicht unbedingt mit dem Reiseveranstalter hätte aushandeln können, da er sich diesem gegenüber bei der Aushandlung der Bedingungen der Pauschalreise in einer schwächeren Position befindet. Mit dem Rücktrittsrecht sowie dem Anspruch auf Erstattung der getätigten Zahlungen nach diesem Rücktritt, die dem Reisenden nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie zustehen, wird diesem Ziel des Verbraucherschutzes Rechnung getragen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Juni 2023, UFC – Que choisir und CLCV, C‑407/21, EU:C:2023:449, Rn. 33).

50      Ferner ist das Rücktrittsrecht, wie die Generalanwältin in Nr. 54 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, im Rahmen der Systematik der Richtlinie 2015/2302 von Bedeutung, da es in Teil A und Teil B des Anhangs I der Richtlinie als eines der „wichtigste[n] Rechte“ des Reisenden angesehen wird und der Reiseveranstalter nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie die Pflicht hat, den Reisenden zu informieren, dass dieses Rücktrittsrecht besteht.

51      In Art. 23 der Richtlinie 2015/2302 ist ihre Unabdingbarkeit verankert. Daraus folgt, dass der Reisende nach den Abs. 2 und 3 dieses Artikels nicht auf die Rechte verzichten darf, die ihm nach dieser Richtlinie zustehen, und jede Vertragsklausel oder Erklärung des Reisenden, die einen unmittelbaren oder mittelbaren Verzicht auf diese Rechte voraussetzt, für ihn nicht bindend ist.

52      In Anbetracht dessen ist festzustellen, dass es für den wirksamen Schutz des Reisenden nach Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 zustehenden Rücktrittsrechts erforderlich ist, dass das nationale Gericht einen Verstoß gegen diese Bestimmung vom Amts wegen aufgreifen darf.

53      Die vom nationalen Gericht von Amts wegen vorzunehmende Prüfung des Rücktrittsrechts im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 unterliegt jedoch bestimmten Voraussetzungen.

54      Erstens muss eine der Parteien des betreffenden Pauschalreisevertrags ein Gerichtsverfahren bei dem nationalen Gericht eingeleitet haben und muss dieses Verfahren diesen Vertrag zum Gegenstand haben (vgl. für die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung missbräuchlicher Klauseln im Sinne der Richtlinie 93/13 Urteil vom 11. März 2020, Lintner, C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55      Zweitens muss das Rücktrittsrecht im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 mit dem Streitgegenstand zusammenhängen, wie dieser von den Parteien nach Maßgabe der von ihnen gestellten Anträge und vorgebrachten Gründe definiert ist (vgl. für die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung missbräuchlicher Klauseln im Sinne der Richtlinie 93/13 Urteil vom 11. März 2020, Lintner, C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 34).

56      Drittens muss das nationale Gericht über alle erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen verfügen, um zu prüfen, ob das Rücktrittsrecht von dem betreffenden Reisenden geltend gemacht werden könnte (vgl. für die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung missbräuchlicher Klauseln im Sinne der Richtlinie 93/13 Urteil vom 11. März 2020, Lintner, C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57      Viertens darf der Reisende dem nationalen Gericht nicht ausdrücklich mitgeteilt haben, dass er der Anwendung von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 widerspreche.

58      In einer Situation, in der sich der betreffende Reisende nicht auf die Anwendung dieser Bestimmung beruft, obwohl die Anwendungsvoraussetzungen erfüllt zu sein scheinen, ist nicht auszuschließen, dass er nicht wusste, dass das in der Bestimmung vorgesehene Rücktrittsrecht besteht. Das genügt, damit das nationale Gericht diese Bestimmung von Amts wegen anführen darf.

59      Diese Voraussetzungen scheinen im vorliegenden Fall vorbehaltlich der Prüfung durch das vorlegende Gericht erfüllt zu sein. Bei diesem Gericht ist nämlich eine Klage des Klägers des Ausgangsverfahrens anhängig, die den Rücktritt von dem mit der Beklagten des Ausgangsverfahrens geschlossenen Pauschalreisevertrag betrifft. Das Rücktrittsrecht im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 hängt offensichtlich mit dem Streitgegenstand bei dem vorlegenden Gericht zusammen, da dieser die Erstattung der vom Kläger getätigten Zahlungen nach seiner Entscheidung, aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus vom Vertrag zurückzutreten, betrifft. Darüber hinaus scheint das vorlegende Gericht über alle erforderlichen rechtlichen und tatsächlichen Grundlagen zu verfügen, um zu prüfen, ob das Rücktrittsrecht von dem Reisenden geltend gemacht werden kann. Bei dieser autonomen Beurteilung des vorlegenden Gerichts kann es die Rn. 41 bis 51 des Urteils vom 8. Juni 2023, UFC – Que choisir und CLCV (C‑407/21, EU:C:2023:449), berücksichtigen, in denen der Gerichtshof allgemein festgestellt hat, dass der Begriff der unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 den Ausbruch einer weltweiten gesundheitlichen Notlage umfassen kann. Darüber hinaus hat der Kläger in seiner Klage bei diesem Gericht einen Rücktritt auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 offensichtlich nicht ausdrücklich ausgeschlossen. Vielmehr kann nicht ausgeschlossen werden, dass er nicht wusste, dass dieses Recht besteht, da der Reiseveranstalter seiner ihm nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie, wie dieser in das spanische Recht umgesetzt wurde, obliegenden Pflicht, ihn über dieses Recht zu informieren, nicht nachgekommen ist.

60      Wenn die in den Rn. 54 bis 57 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen erfüllt sind, ist das nationale Gericht verpflichtet, das Rücktrittsrecht im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 von Amts wegen zu prüfen.

61      Diese Prüfung von Amts wegen verlangt von dem Gericht in der von den nationalen Verfahrensvorschriften dafür vorgesehenen Form, zum einen den Kläger über sein Rücktrittsrecht, wie es in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 vorgesehen ist, zu informieren und ihm zum anderen die Möglichkeit einzuräumen, dieses Recht im laufenden Gerichtsverfahren geltend zu machen, und, wenn es der Kläger geltend macht, den Beklagten aufzufordern, dies kontradiktorisch zu erörtern (vgl. für die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung missbräuchlicher Klauseln im Sinne der Richtlinie 93/13 Urteil vom 11. März 2020, Lintner, C‑511/17, EU:C:2020:188, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62      Diese Prüfung von Amts wegen verlangt demnach vom nationalen Gericht nicht, dass es den betreffenden Pauschalreisevertrag von Amts wegen ohne Gebühren beendet und dem Kläger einen Anspruch auf volle Erstattung aller für die Pauschalreise getätigten Zahlungen gewährt. Eine solche Anforderung ist nämlich nicht erforderlich, um einen wirksamen Schutz des Rücktrittsrechts im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 zu gewährleisten, und verstößt gegen die Autonomie des Klägers bei der Ausübung seines Rücktrittsrechts.

63      Insbesondere kann das nationale Gericht nicht verpflichtet sein, von Amts wegen einen Pauschalreisevertrag gemäß dieser Bestimmung zu beenden, wenn der Reisende nach einem Hinweis des Gerichts freiwillig und aufgeklärt auf der Grundlage der genannten Bestimmung nicht von seinem Vertrag zurücktreten möchte. Die Richtlinie 2015/2302 geht nämlich nicht so weit, Reisende dazu zu zwingen, die Rechte, über die sie nach dem durch die Richtlinie eingeführten Schutzsystem verfügen, auszuüben (vgl. für die von Amts wegen vorzunehmende Prüfung missbräuchlicher Klauseln im Sinne der Richtlinie 93/13 Urteil vom 3. Oktober 2019, Dziubak, C‑260/18, EU:C:2019:819, Rn. 53 und 54 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

64      Nach alledem ist auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302 dahin auszulegen ist, dass er der Anwendung von Vorschriften des nationalen Verfahrensrechts nicht entgegensteht, in denen die Grundsätze der Verhandlungsmaxime und der Bindung an die Parteianträge verankert sind, wonach das nationale Gericht, wenn ein Rücktritt von einem Pauschalreisevertrag die in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen erfüllt und der betreffende Reisende bei dem Gericht weniger als die volle Erstattung einklagt, dem Reisenden nicht von Amts wegen die volle Erstattung zusprechen darf, sofern es nach den Vorschriften des nationalen Verfahrensrechts nicht ausgeschlossen ist, dass das Gericht den Reisenden von Amts wegen über seinen Anspruch auf volle Erstattung informieren und ihm die Möglichkeit geben kann, den Anspruch bei ihm geltend zu machen.

 Kosten

65      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie (EU) 2015/2302 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. November 2015 über Pauschalreisen und verbundene Reiseleistungen, zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 und der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 90/314/EWG des Rates

ist dahin auszulegen, dass

ein Reiseveranstalter den Reisenden über sein Rücktrittsrecht im Sinne von Art. 12 Abs. 2 dieser Richtlinie zu informieren hat. Die Gültigkeit von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie im Hinblick auf Art. 169 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a AEUV in Verbindung mit Art. 114 Abs. 3 AEUV kann deshalb nicht mit der Begründung in Frage gestellt werden, dass er nicht vorsehe, den Reisenden über sein Rücktrittsrecht im Sinne von Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie zu informieren.

2.      Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie 2015/2302

ist dahin auszulegen, dass

er der Anwendung von Vorschriften des nationalen Verfahrensrechts nicht entgegensteht, in denen die Grundsätze der Verhandlungsmaxime und der Bindung an die Parteianträge verankert sind, wonach das nationale Gericht, wenn ein Rücktritt von einem Pauschalreisevertrag die in dieser Bestimmung genannten Voraussetzungen erfüllt und der betreffende Reisende bei dem Gericht weniger als die volle Erstattung einklagt, dem Reisenden nicht von Amts wegen die volle Erstattung zusprechen darf, sofern es nach den Vorschriften des nationalen Verfahrensrechts nicht ausgeschlossen ist, dass das Gericht den Reisenden von Amts wegen über seinen Anspruch auf volle Erstattung informieren und ihm die Möglichkeit geben kann, den Anspruch bei ihm geltend zu machen.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Spanisch.