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Klage, eingereicht am 8. Juni 2012 - Europäische Kommission/Ungarn

(Rechtssache C-288/12)

Verfahrenssprache: Ungarisch

Parteien

Klägerin: Europäische Kommission (Prozessbevollmächtigte: B. Martenczuk und B. D. Simon)

Beklagter: Ungarn

Anträge

Die Klägerin beantragt,

-    festzustellen, dass Ungarn dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr verstoßen hat, dass es den Datenschutzbeauftragten vorzeitig seines Amts enthoben hat.

Ungarn die Kosten aufzuerlegen.

Klagegründe und wesentliche Argumente

Nach der Richtlinie 95/46 würden eine oder mehrere öffentliche Stellen in den Mitgliedstaaten, die die ihnen zugewiesenen Aufgaben in völliger Unabhängigkeit wahrnähmen, beauftragt, die Anwendung der diese Richtlinie umsetzenden nationalen Vorschriften zu überwachen.

In Ungarn sei diese Stelle bis zum 31. Dezember 2011 der Datenschutzbeauftragte gewesen. Nach der bis zum 31. Dezember 2011 geltenden ungarischen Regelung sei der Datenschutzbeauftragte vom ungarischen Parlament für sechs Jahre gewählt worden. Die Amtszeit des am 31. Dezember 2011 amtierenden Datenschutzbeauftragten habe am 29. September 2008 begonnen, weshalb er unter normalen Umständen bis September 2014 im Amt hätte bleiben sollen.

Mit Wirkung zum 1. Januar 2012 sei die einschlägige ungarische Regelung geändert worden. Aufgrund dieser Änderungen sei das Rechtsinstitut des Datenschutzbeauftragten weggefallen und der seit dem 29. September 2008 amtierende Datenschutzbeauftragte seines Amts enthoben worden. Die im Sinne der Richtlinie 95/46 mit der Kontrolle des Datenschutzes beauftragte Stelle in Ungarn sei nunmehr die neu geschaffene Nemzeti Adatvédelmi és Információszabadság Hatóság [Nationale Stelle für Datenschutz und Informationsfreiheit; im Folgenden: Stelle]. Nach der neuen Regelung werde der diese Stelle leitende Präsident vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag des Premierministers für neun Jahre ernannt. Für dieses Amt sei nicht der vorige Datenschutzbeauftragte ernannt worden.

Das vorzeitige Ende der Beauftragung der mit der Kontrolle des Datenschutzes beauftragten Stelle sei ein Verstoß gegen die von der Richtlinie geforderte Unabhängigkeit dieser Stelle. Die Richtlinie lege die Dauer der Beauftragung dieser Kontrollstelle nicht fest, so dass die Mitgliedstaaten diese grundsätzlich frei festlegen könnten. Die Dauer der Beauftragung müsse jedoch angemessen sein, und es sei unerlässlich, dass, sobald ein Mitgliedstaat die Dauer der Beauftragung festgelegt habe, diese Dauer auch eingehalten werde. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass die Kontrollstelle bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben durch die Gefahr eines vorzeitigen Endes ihrer Beauftragung beeinflusst werde, und diese Gefahr würde die Unabhängigkeit der Kontrollstelle beeinträchtigen.

In Bezug auf die Zulässigkeit der Klage habe der Verstoß, da die vorige mit der Kontrolle des Datenschutzes beauftragte Stelle nicht vor Ablauf der in der begründeten Stellungnahme gesetzten Frist wieder eingesetzt worden sei, zu diesem Zeitpunkt angedauert. Die Heilung des Verstoßes sei nicht unmöglich: Ungarn müsse die erforderlichen Maßnahmen treffen, um den vorigen Datenschutzbeauftragten für die verbleibende Dauer seiner Amtszeit ab dem 31. Dezember 2011 wieder in das Amt einzusetzen, auf das sich die Richtlinie 95/46 beziehe. Eine geeignete Heilungsmöglichkeit bestünde darin, den vorigen Datenschutzbeauftragten für den genannten Zeitraum als Präsident der neuen Stelle zu ernennen. Insoweit könne Ungarn sich nicht auf die Unabhängigkeit des derzeitigen Präsidenten der neuen Stelle berufen, da dies darauf hinausliefe, seinen eigenen Verstoß zu seiner Verteidigung vorzubringen. Die Wirkungen des Verstoßes seien zu beseitigen und nicht aufrechtzuerhalten.

Die vorzeitige Amtsenthebung könnte nur mit zwingenden und objektiv überprüfbaren Gründen gerechtfertigt werden, Ungarn habe jedoch keine solchen Gründe geltend gemacht.

Das Recht Ungarns, die Kontrollstelle umzugestalten, beispielsweise durch einen Wechsel vom vorigen Modell eines "Datenschutzbeauftragten" zu einem mit dem ungarischen Recht in Einklang stehenden Modell einer "Stelle", werde nicht bestritten. Aufgrund der Änderung des institutionellen Modells sei es jedoch keineswegs erforderlich, die Beauftragung der vorigen Kontrollstelle vorzeitig zu beenden. Ungarn hätte in seinem innerstaatlichen Recht bestimmen können, dass das neue Modell erst dann gelte, wenn die Amtszeit des amtierenden Datenschutzbeauftragten abgelaufen sei oder dass der vorige Datenschutzbeauftragte für die ihm verbleibende Amtszeit als erster Präsident der neuen Stelle ernannt werde.

Wenn die Argumentation des Mitgliedstaats zur Änderung des Modells durchgreifen würde, wären alle in der Union mit der Kontrolle des Datenschutzes beauftragten Stellen ständig der Gefahr der Beendigung ihrer Beauftragung durch eine gesetzgeberische Maßnahme ausgesetzt, durch die die bestehende Stelle wegfallen und stattdessen eine andere Stelle zur Wahrnehmung der in der Richtlinie 95/46 vorgesehenen Aufgaben neu geschaffen würde. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass solche Reformen dazu genutzt würden, um die mit der Kontrolle des Datenschutzes beauftragten Stellen, die das Missfallen der politischen Stellen erregt hätten, zu sanktionieren und zu kontrollieren. Die bloße Gefahr dieses Einflusses sei mit der völligen Unabhängigkeit der Kontrollstellen unvereinbar.

Darüber hinaus könne Ungarn sich nicht auf obskure in der Presse veröffentlichte Erklärungen des vorigen Datenschutzbeauftragten berufen, um anzunehmen, dass dieser nicht mehr bereit sei, die in Art. 28 der Richtlinie 95/46 vorgesehenen Aufgaben wahrzunehmen und auch nicht, um ihn auf dieser Grundlage vorzeitig seines Amts zu entheben.

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