URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)
15. September 1998 (1)
„Staatliche Beihilfen - Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag - Mitteilung über die
Einleitung eines Verfahrens - Nicht ausdrücklich erwähnte Beihilfen - Beihilfe
für Unternehmen in den benachteiligten Gebieten - Umstrukturierung -
Rückforderung der Beihilfe - Verjährung“
In den verbundenen Rechtssachen T-126/96 und T-127/96
Breda Fucine Meridionali SpA (BFM), Gesellschaft italienischen Rechts in
Liquidation mit Sitz in Bari (Italien),
Ente Partecipazioni e Finanziamento Industria Manifatturiera (EFIM),
Gesellschaft italienischen Rechts in Liquidation mit Sitz in Rom,
vertreten durch die Rechtsanwälte Antonio Tizzano und Gian Michele Roberti,
Neapel, 36, place du Grand Sablon, Brüssel,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch Paul
Nemitz und Lucio Gussetti, Juristischer Dienst, sowie Enrico Altieri, zur
Kommission abgeordneter nationaler Beamter, sodann durch Paul Nemitz und
Paolo Stancanelli, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre
Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
unterstützt durch
Französische Republik, vertreten durch Catherine de Salins und Kareen
Rispal-Bellanger, Abteilungsleiterinnen in der Direktion für Rechtsfragen des
Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, Jean-Marc Belorgey und Frédérik
Million, Chargés de mission in dieser Direktion, und Gautier Mignot, Sekretär für
Auswärtige Angelegenheiten im selben Ministerium, als Bevollmächtigte,
Zustellungsanschrift: Französische Botschaft, 9, boulevard Prince Henri,
Luxemburg,
und
Manoir industries SA, Gesellschaft französischen Rechts mit Sitz in Paris,
Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Bernard van de Walle de Ghelcke, Brüssel,
Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Freddy Brausch, 11, rue Goethe,
Luxemburg,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 96/614/EG der Kommission vom 29. Mai
1996 über Maßnahmen Italiens zugunsten des Unternehmens Breda Fucine
Meridionali SpA (ABl. L 272, S. 46), mit der die staatlichen Beihilfen, die die
italienische Regierung der Breda Fucine Meridionali SpA gewährt hat, für mit dem
Gemeinsamen Markt unvereinbar und rechtswidrig erklärt werden,
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tiili sowie der Richter C. P. Briët,
K. Lenaerts, A. Potocki und J. D. Cooke,
Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26.
Mai 1998,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
- 1.
- Die 1961 gegründete Gesellschaft Breda Fucine Meridionali (im folgenden: BFM)
ist eine Gießerei für den zweiten Schmelzvorgang. Sie hat sich namentlich auf die
Lieferung von Bahnmaterial, insbesondere Herzstücke für Kreuzungen, spezialisiert.
Ihr Sitz ist in Bari im italienischen Mezzogiorno, also in einer Gegend, für die
gegebenenfalls regionalbedingte Beihilfen gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a
EG-Vertrag gewährt werden können.
- 2.
- BFM wurde bis Ende 1986 von zwei Gesellschaften (Oto Melara SpA und Breda
Meccanica Bresciana SpA) kontrolliert, die - wie BFM behauptet - auf dem
Verteidigungssektor tätig waren. Zu dieser Zeit nahm das Unternehmen angeblich
eine Reihe von Investitionen insbesondere im Bereich der Verteidigung, der
Kernenergie und der Stromversorgung vor. Die Beklagte bestreitet jedoch die
Zugehörigkeit von BFM zum Verteidigungssektor. BFM wird seit 1987 von der
Gesellschaft Finanziaria Ernesto Breda (im folgenden: FEB), die ihrerseits der
Staatsholding Ente partecipazioni e finanziamento industria manifatturiera (im
folgenden: EFIM) gehört.
- 3.
- Mit Gesetzesdekret Nr. 340 vom 18. Juli 1992, das durch das Gesetzesdekret
Nr. 362 vom 14. August 1992 (im folgenden: Gesetzesdekret Nr. 362/92) bestätigt
wurde, ordnete die italienische Regierung die Liquidation von EFIM mit Wirkung
vom gleichen Zeitpunkt an. Für den Liquidationsvorgang galten mehrere
Gesetzesdekrete, darunter Nr. 414 vom 20. Oktober 1992 (im folgenden:
Gesetzesdekret Nr. 414/92) und Nr. 487 vom 19. Dezember 1992 (im folgenden:
Gesetzesdekret Nr. 487/92), das mit einigen Änderungen in das Gesetz Nr. 33 vom
17. Februar 1993 (im folgenden: Gesetz Nr. 33/93) umgewandelt wurde. Dieses
Liquidationsverfahren wurde von Beihilfemaßnahmen begleitet, die von den
italienischen Behörden nicht mitgeteilt wurden. Die Kommission leitete daher mit
Entscheidung vom 23. Dezember 1992, die den italienischen Behörden am 24.
Februar 1993 bekanntgegeben wurde, insbesondere gegenüber den
Gesetzesdekreten Nrn. 362/92 und 414/92 das Verfahren nach Artikel 93 Absatz
2 des Vertrages ein (Mitteilung der Kommission gemäß Artikel 93 Absatz 2
EWG-Vertrag an die übrigen Mitgliedstaaten und sonstigen Beteiligten betreffend
Beihilfen an EFIM, ABl. 1993, C 75, S. 2). Dieses Verfahren wurde durch die
Entscheidung vom 26. Januar 1993, die der italienischen Regierung am 10. März
1993 bekanntgegeben wurde, insbesondere auf das Gesetzesdekret Nr. 487/92
erweitert (Mitteilung der Kommission gemäß Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag an
die übrigen Mitgliedstaaten und anderen Beteiligten über Beihilfen, die Italien
EFIM zu gewähren beabsichtigt, ABl. 1993, C 78, S. 4). EFIM wurde durch Erlaß
des italienischen Schatzministers vom 21. Januar 1995 zwangsliquidiert. DiesesVerfahren wurde durch Entscheidung vom 27. Dezember 1996 endgültig
abgeschlossen. FEB wurde ihrerseits durch Dekret des italienischen Schatzministers
vom 11. März 1994 zwangsliquidiert.
- 4.
- Am 5. Oktober 1994 legte eine französiche Wettbewerberin von BFM, die
Gesellschaft Manoir industries (im folgenden: Manoir), bei der Kommission
Beschwerde gegen Beihilfen ein, die BFM angeblich vom italienischen Staat in
Anspruch genommen hatte. Die Kommission ersuchte die italienischen Behörden
mit Schreiben vom 17. Oktober 1994 um Auskunft über diese Zuwendungen.
- 5.
- Anhand der verfügbaren Informationen gelangte die Kommission insbesondere zu
dem Schluß, daß FEB und EFIM die Gesellschaft BFM von 1985 bis 1994
wiederholt durch Kapitalzuführungen, Verlustausgleichszahlungen und Darlehen
unterstützt hätten und BFM u. a. durch eine Sonderbestimmung des Gesetzes Nr.
33/93 habe fortbestehen und die Liquidation vermeiden können.
- 6.
- Da die Kommission erhebliche Schwierigkeiten hatte, festzustellen, ob die
betreffenden Maßnahmen mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar waren, teilte sie
der italienischen Regierung durch Schreiben vom 10. März 1995 mit, daß sie
beschlossen habe, in bezug auf die genannten Maßnahmen das Verfahren des
Artikels 93 Absatz 2 EG-Vertrag einzuleiten, und forderte sie auf, sich zu der
Angelegenheit zu äußern. Die italienische Regierung nahm zu diesem Schreiben am
3. Mai 1995 Stellung, wobei sie betonte, daß die Bemerkungen der Kommission
vage und ungenau seien, da sie keine konkreten Angaben über die Höhe der
fraglichen Beihilfe enthielten. Sie wies jedenfalls die Feststellungen der Kommission
zurück.
- 7.
- Mit Schreiben vom 12. September 1995 ersuchte die Kommission die italienischen
Behörden um Übermittlung der Bilanzen von BFM für die Jahre 1985 bis 1994.
- 8.
- Durch Mitteilung gemäß Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag an die übrigen
Mitgliedstaaten und sonstigen Beteiligten über eine Beihilfe der italienischen
Regierung an BFM (ABl. 1995, C 293, S. 8; im folgenden: Eröffnungsmitteilung)
unterrichtete die Kommission die Mitgliedstaaten und die beteiligten Dritten von
der Einleitung des Verfahrens nach der genannten Bestimmung.
- 9.
- In Absatz 6 dieser Mitteilung erklärt die Kommission folgendes:
„Aus den Unterlagen geht ... hervor, daß einerseits EFIM BFM Mittel in Höhe von
52 Mrd. Lit zugeführt hat und andererseits die Banken staatlich verbürgte Darlehen
von 10 Mrd. Lit an BFM gewährt haben. Schließlich hat sich gezeigt, daß infolge
des für das Liquidierungsverfahren von EFIM vorgesehenen Ad-hoc-Gesetzes keine
Liquidierung für BFM eröffnet wurde, obgleich in der Regel die Liquidierung eines
Mutterunternehmens mit der Liquidierung der Töchter verbunden ist. Aufgrund
einer weiteren Ad-hoc-Bestimmung des italienischen Gesetzes vom 17. Februar
1993, Nr. 33, Artikel 7 Absatz 2, die ausschließlich auf Unternehmen unterKontrolle von EFIM Anwendung findet, gelang es BFM auch, die Auflösung zu
vermeiden und sich weiter am Markt zu halten. Diese Bestimmung stellt eine
Ausnahme von den verbindlichen Vorschriften des Artikels 2448 des italienischen
Zivilgesetzbuches dar, wonach das Herabsinken des Kapitals unter den gesetzlichen
Mindestbetrag (200 Mio. Lit) ein Auflösungsgrund ist.“
- 10.
- In Absatz 10 der Eröffnungsmitteilung stellt die Kommission folgendes fest:
„Nach den vorliegenden Angaben hatte BFM in den letzten drei Jahren
beträchtliche Verluste und hat die Verschuldung des Unternehmens inzwischen das
Fünffache seines Gesellschaftskapitals erreicht. Hierzu ist festzustellen, daß BFM
sich an dem in Rede stehenden Markt ausschließlich durch die staatlichen
Investitionen sowie die Mittel von EFIM und von [FEB] und die staatlichen
Bürgschaften für Lieferanten und Gläubiger von BFM halten konnte.“
- 11.
- Nach Schätzung der Kommission anhand der verfügbaren Informationen beliefen
sich nämlich am Ende des Geschäftsjahres 1993 die Gesamtschulden von BFM auf
88,7 Milliarden LIT gegenüber einem Gesellschaftskapital von 17 Milliarden LIT.
- 12.
- Aufgrund einer Analyse der Sachlage kam die Kommission vorläufig zu dem
Schluß, daß „die Interventionen des italienischen Staates zugunsten von BFM,
insbesondere die Nichtanwendung der allgemeinen Vorschriften über die
Liquidierung und Auflösung von Gesellschaften sowie die Bürgschaft für die
Schulden von BFM und die Maßnahmen der ... EFIM sowie der ... [FEB],
insbesondere in Form von Finanzierungen und Bürgschaften, die Möglichkeit zur
künstlichen Erhaltung von BFM am Markt geboten [haben] und folglich als
staatliche Beihilfen zu betrachten [sind], die den Wettbewerb auf dem in Rede
stehenden Markt verfälschen“ (Absatz 12 der Eröffnungsmitteilung). Sie betonte
erneut, daß sie ernsthafte Schwierigkeiten habe, festzustellen, „ob die in Rede
stehenden Beihilfen, insbesondere die Bürgschaft des italienischen Staates für die
Schulden von BFM, die Finanzierungen und Bürgschaften der EFIM und [FEB] für
BFM, die Nichtanwendung der Vorschriften des italienischen Zivilgesetzbuches
über die Liquidierung und Auflösung der Gesellschaften sowie jede andere
öffentliche Intervention zugunsten BFM mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar
sind“ (Absatz 16 der Eröffnungsmitteilung).
- 13.
- Die Erklärungen, die Manoir und die deutsche Regierung gegenüber der
Kommission mit Schreiben vom 21. November 1995 und 6. November 1995
abgaben, wurden der italienischen Regierung mit Schreiben vom 31. Januar 1996
mitgeteilt. Die Regierung hat hierzu nicht Stellung genommen.
- 14.
- Am 27. Februar 1996 fand eine Sitzung statt, in der BFM den Vertretern der
Generaldirektion Wettbewerb der Kommission ihren Standpunkt darlegte. Diese
ersuchten um Vorlage eines Rechnungsberichts über die wirtschaftliche und
finanzielle Lage von BFM mit weiteren Einzelheiten über die gemachten Angaben.Der angeforderte Bericht wurde der Kommission am 4. April 1996 von den
italienischen Behörden übermittelt.
- 15.
- Am 29. Mai 1996 erließ die Kommission die Entscheidung 96/614/EG über
Maßnahmen Italiens zugunsten von BFM (ABl. L 272, S. 46; im folgenden: streitige
Entscheidung).
- 16.
- Artikel 1 der streitigen Entscheidung lautet wie folgt:
„Die staatlichen Beihilfemaßnahmen, die das Unternehmen BFM in Anspruch
genommen hat, nämlich:
a) Kapitalzuführungen in Höhe von 12 Mrd. Lit, d. h. 7 Mrd. Lit 1986, 5
Mrd. Lit 1987;
b) Ausgleich von Verlusten in Höhe von 50,8 Mrd. Lit, insbesondere
7,1 Mrd. Lit 1985, 11,2 Mrd. Lit 1987, 3,9 Mrd. Lit 1988, 11,6 Mrd. Lit 1990
und 17 Mrd. Lit 1991;
c) Darlehen der [FEB] und der Holding EFIM an BFM, wodurch diese sich
in Höhe von 63 Mrd. Lit gegenüber ihren Muttergesellschaften verschuldet
hat;
d) Artikel 7 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 33/1993, verlängert durch den
Ministerialerlaß vom 24. Januar 1996, aufgrund dessen BFM sich der
Tilgung seiner Schulden gegenüber der öffentlichen Hand und gegenüber
öffentlichen Unternehmen, einschließlich seiner Verbindlichkeiten
gegenüber öffentlichen Kreditinstituten, entziehen und den Betrieb
fortsetzen konnte, ohne die mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbaren
öffentlichen Zuwendungen zurückzahlen zu müssen und ohne abgewickelt
zu werden;
e) Bestimmungen des Gesetzes Nr. 33/1993, aufgrund deren BFM die Tilgung
der Darlehen der öffentlichen Kreditinstitute ISVEIMER und IMI in Höhe
von 6,609 Mrd. Lit aussetzen konnte,
sind zu Unrecht gewährt worden, weil sie der Kommission nicht gemäß Artikel 93
Absatz 3 EG-Vertrag vor der Gewährung gemeldet wurden.
Die Maßnahmen sind nach Artikel 92 EG-Vertrag mit dem Gemeinsamen Markt
unvereinbar.“
- 17.
- Die Entscheidung sieht in Artikel 2 vor, daß Italien die an BFM gezahlten Beihilfen
zurückfordert, und zwar einschließlich Zinsen ab dem Zeitpunkt der Gewährung
bis zur Rückzahlung. Ferner muß Italien gemäß Artikel 3 der Entscheidung die
Bestimmungen über die Verlängerung der vom allgemeinen Recht abweichendenRegelung betreffend die Verbindlichkeiten gegenüber der öffentlichen Hand und
gegenüber öffentlichen Unternehmen sowie die Bestimmungen über die Aussetzung
der Tilgung der von öffentlichen Kreditinstituten gewährten Darlehen gegenüber
BFM unverzüglich aussetzen und sie aufheben.
- 18.
- Am 21. August 1996 wurde die verwaltungsmäßige Zwangsliquidation von BFM
angeordnet. Die Vermögensgegenstände des Unternehmens wurden versteigert und
der Firma Finmeccanica übertragen.
Verfahren
- 19.
- Unter diesen Umständen haben BFM und EFIM mit Klageschriften, die am 12.
August 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, die vorliegenden
Klagen erhoben, die unter den Nummern T-126/96 und T-127/96 eingetragen
worden sind.
- 20.
- Manoir und die Französische Republik haben mit Antragsschriften, die am 18.
Dezember 1996 und 30. Januar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen
sind, ihre Zulassung als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der
Beklagten in den beiden Rechtssachen beantragt.
- 21.
- Die Italienische Republik hat mit am 6. Februar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangenen Telefaxen ihre Zulassung als Streithelferin zur Unterstützung der
Anträge der Klägerinnen in den beiden Rechtssachen beantragt.
- 22.
- Mit Schreiben, die am 20. Februar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen
sind, haben die Klägerinnen in den beiden Rechtssachen beantragt, daß bestimmte
in den Akten enthaltene Informationen gegenüber der Französischen Republik und
Manoir vertraulich behandelt werden.
- 23.
- Mit Beschlüssen vom 11. März 1997 hat der Präsident des Gerichts die
Streithilfeanträge der Italienischen Republik wegen verspäteter Einreichung
zurückgewiesen.
- 24.
- Mit Beschlüssen vom 16. Juli 1997 hat der Präsident des Gerichts den Anträgen der
Französischen Republik und von Manoir auf Zulassung als Streithelferinnen zur
Unterstützung der Anträge der Beklagten in den beiden Rechtssachen und zum
Teil den Anträgen der Klägerinnen auf vertrauliche Behandlung stattgegeben.
- 25.
- Mit Beschluß vom 30. September 1997 hat der Präsident des Gerichts nach
Anhörung der Verfahrensbeteiligten die Rechtssachen T-126/96 und T-127/96 zu
gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden.
- 26.
- Die Streithelferinnen haben ihre Streithilfeschriftsätze am 15. Oktober 1997
eingereicht.
- 27.
- Die Kommission hat mit Schreiben, das am 5. Dezember 1997 bei der Kanzlei des
Gerichts eingegangen ist, darauf verzichtet, sich zu diesen Schriftsätzen zu äußern.
Die Klägerinnen haben sich am 16. Februar 1998 zu den Streithilfeschriftsätzen
geäußert. Das schriftliche Verfahren ist zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen worden.
- 28.
- Das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters die
mündliche Verhandlung eröffnet. Die Verfahrensbeteiligten haben in der Sitzung
vom 26. Mai 1998 mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet.
Das Gericht hat die Verfahrensbeteiligten im Rahmen prozeßleitender Maßnahmen
um bestimmte Angaben ersucht.
Anträge der Verfahrensbeteiligten
- 29.
- BFM beantragt,
- die streitige Entscheidung in vollem Umfang oder, hilfsweise, zum Teil für
nichtig zu erklären;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 30.
- EFIM beantragt,
- die streitige Entscheidung in vollem Umfang oder, hilfsweise, zum Teil für
nichtig zu erklären;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 31.
- Die Kommission beantragt in den beiden Rechtssachen,
- die Klagen abzuweisen;
- den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 32.
- Die französische Regierung unterstützt die Anträge der Kommission und beantragt
zudem, den zweiten Klagegrund zurückzuweisen.
- 33.
- Manoir beantragt,
- die Klagen als unbegründet abzuweisen;
- den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens einschließlich der
Streithilfekosten aufzuerlegen.
Zur Begründetheit
- 34.
- Die Klägerinnen machen fünf Klagegründe zur Stützung ihrer Anträge geltend. Der
erste Klagegrund, der aus zwei Teilen besteht, bezieht sich zum einen auf eine
Verletzung der Verfahrensrechte der Klägerinnen, da die angefochtene
Entscheidung im wesentlichen Maßnahmen für unvereinbar mit dem Gemeinsamen
Markt erkläre, die von der Mitteilung über die Einleitung des Verfahrens nicht
betroffen gewesen seien, und zum anderen auf eine Verletzung der
Begründungspflicht. Der zweite Klagegrund stützt sich auf einen Verstoß gegen die
Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie auf die
Nichtbeachtung einer fünfjährigen Verjährungsfrist. Der dritte Klagegrund beruht
auf einem Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages, da die Kommission
nicht dargetan habe, daß die streitigen Maßnahmen staatliche Beihilfen darstellten.
Mit dem vierten Klagegrund wird ein Fehler bei der Anwendung des Artikels 92
Absatz 3 Buchstaben a und c des Vertrages gerügt. Der fünfte Klagegrund
schließlich betrifft die angebliche Rechtswidrigkeit des Artikels 2 der streitigen
Entscheidung. Bei dem zweiten und dem fünften Klagegrund geht es im
wesentlichen um die Frist zwischen der Gewährung der streitigen Beihilfen und
deren Bemängelung durch die Kommission in der angefochtenen Entscheidung;
diese beiden Klagegründe werden daher zusammen geprüft.
Zum ersten Teil des ersten Klagegrundes: Verletzung der Verfahrensrechte
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
- 35.
- Die Klägerinnen führen aus, die Kommission habe in der Eröffnungsmitteilung
lediglich erklärt, daß BFM von EFIM Beträge in Höhe von 52 Milliarden LIT und
staatlich verbürgte Darlehen in Höhe von 10 Milliarden LIT erhalten habe, ohne
in irgendeiner Weise auf andere vermutliche Kapitalzuflüsse oder deren Zeitpunkt
hinzuweisen. Sie betonen, daß die Kommission in dieser Mitteilung somit die
meisten in der streitigen Entscheidung bemängelten Beihilfen keineswegs erwähnt
habe.
- 36.
- Die Kommission habe, indem sie erstmals in der endgültigten Entscheidung
Beihilfen gerügt habe, die von ihr zuvor nicht bemängelt worden seien, zum einen
die Verteidigungsrechte der Klägerinnen verletzt und zum anderen gegen den Geist
des in Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages vorgesehenen Verfahrens verstoßen, der
u. a. dem betroffenen Mitgliedstaat und den beteiligten Unternehmen sowie den
übrigen Mitgliedstaaten und den interessierten Kreisen die Möglichkeit verschaffen
solle, sich zu äußern.
- 37.
- Das Verbot, die in der Mitteilung über die Einleitung des Verfahrens
vorgebrachten Beanstandungen in der endgültigen Entscheidung zu ändern oder in
dieser gar neue Rügen hinzuzufügen, gelte für alle entsprechenden Verfahren des
Gemeinschaftsrechts.
- 38.
- Demnach sei die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären, und zwar schon
wegen der angeblichen Beihilfen, die in der Eröffnungsmitteilung nicht ausdrücklich
beanstandet worden seien.
- 39.
- Die Kommission legt zunächst dar, daß die Rügen bezüglich der
Eröffnungsmitteilung unzulässig seien, da die Klägerinnen nicht Klage wegen dieser
anfechtbaren Handlung erhoben hätten, die endgültige Beurteilungen bezüglich der
Natur der Beihilfen zum Ausdruck gebracht habe (siehe Urteil des Gerichtshofes
vom 30. Juni 1992 in der Rechtssache C-312/90, Spanien/Kommission, Slg. 1992,
I-4117).
- 40.
- Die Kommission betont, sie habe in Absatz 16 ihrer Eröffnungsmitteilung den
Untersuchungsgegenstand in der Weise definiert, daß er sich auf alle Interventionen
der öffentlichen Hand erstrecke, die BFM zugute gekommen seien (siehe oben,
Randnr. 12 a. E.).
- 41.
- Sie habe jedenfalls den Gegenstand ihrer Untersuchung genau umrissen, indem sie
mit Telefax vom 1. Dezember 1994 zum einen den Liquidator von EFIM
aufgefordert habe, „alle erforderlichen Angaben zu machen, um die Angelegenheit
aufzuklären“, und zum anderen die italienischen Behörden um Vorlage der
Bilanzen der letzten zehn Jahre ersucht habe und ihnen ferner eine Abschrift der
Erklärungen von Manoir und der deutschen Regierung mit der Bitte um
Stellungnahme zugeleitet habe. Im übrigen hätten BFM und EFIM genau gewußt,
welche Beihilfen ihnen zugute gekommen seien.
- 42.
- Die Klägerinnen erwidern, eine Klage gegen eine Mitteilung über die Einleitung
des Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages sei nur zulässig, wenn die
Kommission eine bereits bestehende Beihilfe zu Unrecht als neu bezeichnet habe.
Da dies hier nicht zutreffe, seien die Rügen bezüglich der Eröffnungsmitteilung
zulässig.
Würdigung durch das Gericht
- 43.
- Zur Zulässigkeit dieses Klagegrundes ist zunächst festzustellen, daß eine
Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 2 des
Vertrages zwar Rechtswirkungen erzeugt und somit eine anfechtbare Handlung
darstellt, soweit sie eine Qualifizierung der Beihilfe als bestehend oder neu und
eine Wahl der anwendbaren Verfahrensregeln enthält (Urteil Spanien/Kommission,
Randnrn. 17, 20 und 24). Sie kann indessen nur in diesem Maß eine anfechtbare
Handlung im Sinne des Artikels 173 des Vertrages darstellen. Der Gerichtshof hat
nämlich in dem genannten Urteil ausgeführt, daß sich seine Prüfung nicht auf die
von der Kommission in dieser Eröffnungsmitteilung vorgenommene Beurteilung der
Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Vertrag erstreckt (Randnr. 10 des Urteils). Der
Klagegrund ist somit zulässig.
- 44.
- Ist die Kommission aufgrund einer ersten Prüfung zu der Überzeugung gelangt, daß
eine staatliche Beihilfe mit dem Vertrag unvereinbar ist, oder hat sie hierbei nicht
alle Schwierigkeiten hinsichtlich der Beurteilung der Vereinbarkeit dieser Beihilfe
mit dem Gemeinsamen Markt ausräumen können, so ist sie nach ständiger
Rechtsprechung verpflichtet, alle erforderlichen Stellungnahmen einzuholen und zu
diesem Zweck das Verfahren des Artikels 93 Absatz 2 des Vertrages einzuleiten
(siehe insbesondere Urteil des Gerichtshofes vom 2. April 1998 in der Rechtssache
C-367/95, Kommission/Sytraval u. a., Slg. 1998, I-1719, Randnr. 39).
- 45.
- Aus Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages geht nämlich hervor, daß die Kommission
entscheidet, „nachdem sie den Beteiligten eine Frist zur Äußerung gesetzt hat“.
Der Gerichtshof hat festgestellt, daß die Eröffnungsmitteilung lediglich dem Zweck
dient, von den Beteiligten alle Auskünfte zu erhalten, die dazu beitragen können,
der Kommission Klarheit über ihr weiteres Vorgehen zu verschaffen (Urteil des
Gerichtshofes vom 12. Juli 1973 in der Rechtssache 70/72,
Kommission/Deutschland, Slg. 1973, 813, Randnr. 19).
- 46.
- Es ist festzustellen, daß die beanstandeten Maßnahmen entgegen dem Erfordernis
des Artikels 93 Absatz 3 des Vertrages der Kommission nicht vor ihrer
Durchführung gemeldet wurden. Diese Meldepflicht soll der Kommission jedoch
Gelegenheit geben, ihre Kontrolle über jede beabsichtigte Einführung oder
Umgestaltung von Beihilfen rechtzeitig und im allgemeinen Interesse der
Gemeinschaften auszuüben (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Februar 1990 in der
Rechtssache C-301/87, Frankreich/Kommission, Slg. 1990, I-307, Randnr. 17).
- 47.
- Insoweit ist das Argument der Klägerinnen zurückzuweisen, daß eine Maßnahme
mit genau den gleichen Auswirkungen auf die rechtliche und finanzielle Situation
von BFM wie Artikel 7 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 33/93, nämlich das
Gesetzesdekret Nr. 414/92, der Kommission bereits gemeldet und von ihr
stillschweigend genehmigt worden sei. Die Kommission hat nämlich bei der
Untersuchung der Unterlagen über die Beihilfen Italiens an EFIM festgestellt, daß
die Übermittlung einer Abschrift des Gesetzesdekrets Nr. 414/92 durch die
italienischen Behörden nicht als gültige Anmeldung eingestuft werden konnte, da
sie keine ausdrückliche Bezugnahme auf Artikel 93 Absatz 3 des Vertrages enthielt
und nicht dem Generalsekretariat vorgelegt wurde, so daß die betreffenden
Maßnahmen als nicht angemeldet anzusehen waren (siehe Nr. 1 Absätze 8 bis 10
der vorgenannten Mitteilung der Kommission).
- 48.
- Ferner haben die italienischen Behörden nicht die Auskünfte erteilt, um die sie die
Kommission am 17. Oktober 1994 vor Einleitung des Verfahrens nach Artikel 93Absatz 2 des Vertrages gebeten hatte (siehe oben, Randnr. 4). So mußte sich die
Kommission in diesem Stadium mit den Informationen begnügen, die sie von der
Beschwerdeführerin erhalten hatte.
- 49.
- Die Kommission konnte sich somit im Stadium der Verfahrenseinleitung
insbesondere in Ermangelung einer vorherigen Mitteilung kein genaues Bild von
den staatlichen Beihilfemaßnahmen machen, die BFM in Anspruch genommen
hatte. Es kann ihr daher nicht vorgeworfen werden, daß sie in der
Eröffnungsmitteilung in allgemeinen Worten außer Artikel 7 Absatz 2 des Gesetzes
N. 33/93 „die Mittel von EFIM und von [FEB] und die staatlichen Bürgschaften für
Lieferanten und Gläubiger von BFM“ (siehe oben, Randnr. 12) sowie „die
Maßnahmen der ... EFIM sowie der ... [FEB], insbesondere in Form von
Finanzierungen und Bürgschaften“ (siehe oben, Randnr. 8), in Frage gestellt hat.
Ferner konnten die Betroffenen unbedingt aufgrund des Hinweises auf den
Wiederholungscharakter der Maßnahmen (siehe insbesondere Absatz 10 der
Eröffnungsmitteilung) erkennen, daß die Untersuchung der Kommission alle
Beihilfemaßnahmen der Vorjahre umfaßte.
- 50.
- Das Gericht stellt jedenfalls fest, daß die von der streitigen Entscheidung erfaßten
Beihilfen (siehe oben, Randnr. 16), nämlich die Kapitalzuführungen,
Verlustausgleichszahlungen und Finanzierungen von FEB und EFIM zugunsten von
BFM, ferner Artikel 7 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 33/93, aufgrund dessen BFM
insbesondere die Schulden gegenüber öffentlichen Einrichtungen und öffentlichen
Kreditinstituten nicht zu tilgen brauchte, sowie Bestimmungen des Gesetzes Nr.
33/93, aufgrund deren BFM die Tilgung von Darlehen öffentlicher Kreditinstitute
aussetzen konnte, sind zweifellos gleicher Art wie die in vorstehender Randnummer
dargelegten Maßnahmen, die in der Eröffnungsmitteilung in Frage gestellt wurden.
- 51.
- Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles, insbesondere in
Anbetracht der fehlenden Anmeldung der Beihilfen und in Ermangelung eines
Umstrukturierungsplans (siehe oben, Randnr. 46, und unten, Randnrn. 87 und 88),
ist es unerheblich, daß der genaue Betrag der Beihilfen erst in der endgültigen
Entscheidung angegeben wurde, da die genaue Bezifferung der Beihilfen vor allem
erforderlich war, um den Rückforderungsbetrag zu bestimmen. Ebenso konnte die
Kommission die betreffenden Jahre zu Recht in der endgültigen Entscheidung
angeben, da sie erst anhand der auf ihr Ersuchen während der Untersuchung
vorgelegten Bilanzen von BFM feststellen konnte, wann die Maßnahmen erfolgten.
- 52.
- Im übrigen konnte es BFM zweifellos nicht unbekannt bleiben, welche staatlichen
Maßnahmen ihr in den betreffenden Jahren zugute gekommen waren.
- 53.
- Da schließlich die Eröffnungsmitteilung eine ausreichende Unterrichtung über die
Beihilfen enthielt, die später in der endgültigen Entscheidung als rechtswidrig und
unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt angesehen wurden, wurden die
Betroffenen, darunter BFM und EFIM, durch diese Mitteilung in angemessener
Weise in die Lage versetzt, sich zu äußern.
- 54.
- Somit ist der erste Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.
Zum zweiten Teil des ersten Klagegrundes: Verletzung der Begründungspflicht
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
- 55.
- Die Klägerinnen machen geltend, daß die streitige Entscheidung höchst
unzureichend begründet sei, und zwar insbesondere bezüglich des
Staatsbeihilfecharakters der in Frage stehenden Interventionen und ihrer
Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt; dies habe unmittelbaren Einfluß auf
die Schlußfolgerungen der Kommission und die logische Kohärenz der
Entscheidung, wodurch die Klägerin daran gehindert werde, die Gründe zu
erfassen, auf denen die Entscheidung beruhe.
- 56.
- Diese Rüge ist nach Ansicht der Kommission ebenfalls zurückzuweisen.
Würdigung durch das Gericht
- 57.
- Die den Gemeinschaftsorganen nach Artikel 190 des Vertrages obliegende
Verpflichtung, ihre Entscheidungen zu begründen, soll dem Gemeinschaftsrichter
die Ausübung seiner Rechtmäßigkeitskontrolle ermöglichen und es dem
Betroffenen gestatten, Kenntnis von den Gründen für die getroffene Maßnahme
zu erlangen, damit er seine Rechte verteidigen und prüfen kann, ob die
Entscheidung berechtigt ist (vgl. z. B. Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1996
in der Rechtssache T-358/94, Air France/Kommission, Slg. 1996, II-2109,
Randnr. 161).
- 58.
- Die streitige Entscheidung enthält im ganzen eine Begründung, die ausreicht, um
Artikel 1 dieser Entscheidung zu stützen, wonach die in Rede stehenden
Interventionen zu Unrecht gewährte staatliche Beihilfen darstellen, die mit dem
Gemeinsamen Markt unvereinbar sind. Die Entscheidung ist nicht inkohärent, da
die Kommission genügend erklärt hat, daß jeder Kapitalzuschuß BFM den
Fortbestand auf dem Markt erlaubt hat, obwohl das Unternehmen seit seiner
Gründung offensichtlich unrentabel war und sein Stammkapital bereits seit langem
durch die Verluste aufgebraucht war. Die Kommission hat auch genügend erklärt,
warum sie die Sonderregelung als nicht gerechtfertigt angesehen hat. Ferner hat sie
erklärt, daß die Rückforderung der Beihilfe nach dem Gemeinschaftsrecht
erforderlich ist, womit sie die Artikel 2 und 3 begründet hat, denen zufolge die
Wirkungen der Beihilfe aufzuheben sind.
- 59.
- Somit ist auch der zweite Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.
- 60.
- Demgemäß ist der erste Klagegrund im ganzen als nicht stichhaltig zurückzuweisen.
Zum zweiten und zum fünften Klagegrund: Verstoß gegen die Grundsätze der
Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und Nichtbeachtung einer fünfjährigen
Verjährungsfrist sowie Rechtswidrigkeit des Artikels 2 der streitigen Entscheidung
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
- 61.
- Die Klägerinnen machen im Rahmen ihres zweiten Klagegrundes erstens geltend,
daß die Kommission gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des
Vertrauensschutzes verstoßen habe, indem sie ihre rechtliche Bewertung ab 1995
auf Handlungen und Beziehungen ausgeweitet habe, die zum Teil bis 1985
zurückreichten. Eine Entscheidung, mit der die Rechtswidrigkeit und die
Unvereinbarkeit so weit zurückliegender Maßnahmen festgestellt würden, könne
nämlich schwerwiegende und nicht gerechtfertigte Auswirkungen auf die Sicherheit
der rechtlichen und wirtschaftlichen Beziehungen haben. Zweitens habe die
Kommission eine Verjährungsfrist nicht beachtet, die entsprechend der Regelung
in anderen Bereichen fünf Jahre betragen müsse.
- 62.
- Im Rahmen des fünften Klagegrundes wegen des angeblich rechtswidrigen
Charakters von Artikel 2 der streitigen Entscheidung machen die Klägerinnen
geltend, daß auch die in diesem Artikel auferlegte Verpflichtung zur Rückforderung
der Beihilfen gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Vertrauensschutzes
und der Verjährung sowie gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der
Nichtdiskriminierung verstoße.
- 63.
- Die Klägerinnen vertreten daher die Auffassung, daß die streitige Entscheidung für
nichtig zu erklären sei, und zwar schon wegen der angeblichen Beihilfen, die mehr
als fünf Jahre vor der Eröffnungsmitteilung gewährt worden seien.
- 64.
- Die Kommission betont, daß es keine Bestimmung gebe, die eine Verjährungs-
oder Ausschlußfrist für ihre Maßnahmen auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen
vorschreibe. Die Klägerinnen könnten sich auch nicht auf die herangezogenen
Grundsätze berufen.
- 65.
- Die Rückforderung sei im übrigen die logische Folge der Feststellung der
Rechtswidrigkeit der betreffenden Beihilfe (Urteil des Gerichtshofes vom 21. März
1990 in der Rechtssache C-142/87, Belgien/Kommission, Slg. 1990, I-959,
Randnr. 66). Die Wiederherstellung der vorherigen Lage, die durch die
Rückforderungsanordnung erreicht werden solle, bringe es notwendigerweise auch
mit sich, daß diese Anordnung sich auf die Erhebung der Zinsen auf die seit der
Zahlung gewährten Beträge erstrecke (Urteil des Gerichts vom 8. Juni 1995 in der
Rechtssache T-459/93, Siemens/Kommission, Slg. 1995, II-1675, Randnrn. 96
bis 103).
- 66.
- Die französische Regierung räumt ein, daß die Grundsätze der Rechtssicherheit
und des Vertrauensschutzes unter bestimmten Umständen bewirken könnten, daß
eine Entscheidung, mit der die Rechtswidrigkeit oder die Unvereinbarkeit einer
staatlichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt werde, nach Ablauf
einer bestimmten Frist nicht mehr erlassen werden könne. In Ermangelung einer
vom Gemeinschaftsgesetzgeber festgelegten Verjährung sei vorzugsweise von Fall
zu Fall zu prüfen, ob der Grundsatz der Rechtssicherheit eingehalten worden sei.
Die Anwendung dieses Grundsatzes dürfe die Betroffenen indessen keinesfalls
veranlassen, gegen die Bestimmungen des Artikels 93 des Vertrages zu verstoßen.Im vorliegenden Fall können sich die Klägerinnen nach Ansicht der französischen
Regierung nicht auf eine Verjährung berufen.
Würdigung durch das Gericht
- 67.
- Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber bisher keine
Verjährungsfrist für Maßnahmen der Kommission gegenüber nicht mitgeteilten
staatlichen Beihilfen festgelegt hat. Eine Verjährungsfrist muß jedoch, um ihre
Aufgabe, die Rechtssicherheit zu gewährleisten, erfüllen zu können, vom
Gemeinschaftsgesetzgeber grundsätzlich im voraus festgelegt werden (z. B. Urteile
des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF
Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661, Randnrn. 19 und 20, und vom 14. Juli
1972 in der Rechtssache 48/69, ICI/Kommission, Slg. 1972, 619, Randnrn. 47 und
48, sowie Urteil des Gerichts vom 17. Oktober 1991 in der Rechtssache T-26/89,
De Compte/Parlament, Slg. 1991, II-781, Randnr. 68).
- 68.
- Zudem kann weder die Frist der Verordnung (EWG) Nr. 2988/74 des Rates vom
26. November 1974 über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im
Verkehrs- und Wettbewerbsrecht der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl.
L 319, S. 1) noch die Frist des Artikels 43 der EG-Satzung des Gerichtshofes
entsprechend angewandt werden, die eine Verjährungsfrist für aus
außervertraglicher Haftung der Gemeinschaft hergeleitete Ansprüche vorsehen.
- 69.
- Ferner ist darauf hinzuweisen, daß die in Rede stehenden Maßnahmen der
Kommission nicht gemeldet wurden. Wie die französische Regierung bemerkt, kann
sich der Begünstigte, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, nur dann auf
ein berechtigtes Vertrauen in die Ordnungsmäßigkeit einer Beihilfe berufen, wenn
diese unter Beachtung der Bestimmungen des Artikels 93 des Vertrages gewährt
wurde (Urteile des Gerichtshofes vom 20. September 1990 in der Rechtssache C-5/89, Kommission/Deutschland, Slg. 1990, I-3437, Randnr. 17, und vom 14. Januar
1997 in der Rechtssache C-169/95, Spanien/Kommission, Slg. 1997, I-135,
Randnr. 48). Außerdem dürfen einem Mitgliedstaat keinesfalls die Folgen seines
Verstoßes gegen die in Artikel 93 Absatz 3 des Vertrages vorgesehene Meldepflicht
zugute kommen (Urteil Frankreich/Kommission, Randnr. 11).
- 70.
- Aus diesen Gründen sind diese beiden Klagegründe zurückzuweisen, zumal auch
nicht nachgewiesen worden ist, daß außergewöhnliche Umstände vorlagen.
Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages, da die
Kommission angeblich nicht den Beihilfecharakter der in Rede stehenden
Interventionen dargetan hat
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
- 71.
- Die Klägerinnen bemerken, daß die beanstandeten Interventionen keine Beihilfen
im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 des Vertrages darstellten. Es handele sich um
Investitionen, die zum einen ein privater Investor hätte realisieren können und die
zum anderen im Rahmen des Umstrukturierungsplans gerechtfertigt gewesen seien
und dazu gedient hätten, dem Unternehmen die Rückgewinnung der
Existenzfähigkeit und seine bestmögliche Veräußerung zu erlauben.
- 72.
- Sie beanstanden, daß die Kommission die betreffenden Maßnahmen nicht anhand
der Situation bewertet habe, die bestanden habe, als die Maßnahmen getroffen
worden seien. Hätte die Kommission nämlich die mögliche Erklärung der
Interventionen und die Lage von BFM zur Zeit des Erlasses der Maßnahmen
berücksichtigt, so wäre ihre Entscheidung anders, und zwar zugunsten der
Klägerinnen, ausgefallen.
- 73.
- Hierzu führen die Klägerinnen in erster Linie aus, daß die Verschuldung aufgrund
der Betriebsbelastungen im Zusammenhang mit den Tätigkeiten, die BFM vor 1987
auf dem Verteidigungssektor ausgeübt habe, die Ergebnisse der nachfolgenden Zeit
erheblich beeinflußt habe. Im übrigen fielen die Interventionen in der Zeit, als
BFM für die Verteidigung tätig gewesen sei, nicht unter Artikel 92, sondern unter
die Ausnahmeregelung des Artikels 223 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages.
- 74.
- Die nach 1987 getätigten Interventionen ließen sich durch die von der
Muttergesellschaft verfolgte „Gruppenpolitik“ erklären, die von dem Bestreben
getragen gewesen sei, den Ruf und die Glaubwürdigkeit der Unternehmensgruppe
sowie den Wert der vorherigen Investitionen zu sichern. Schließlich sei das Systemdes Artikels 7 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 33/93 (siehe oben, insbesondere
Randnr. 5) notwendig gewesen, um die Sanierung und die Umstrukturierung von
BFM zu gewährleisten, und habe es dem Unternehmen ermöglicht, die
Betriebsfähigkeit wieder zu erlangen.
- 75.
- Die Klägerinnen weisen darauf hin, daß der Gerichtshof in seinem Urteil vom 14.
November 1984 in der Rechtssache 323/82 (Intermills/Kommission, Slg. 1984, 3809,
Randnr. 39) ausgeführt habe, daß „die Begleichung alter Schulden zu dem Zweck,
den Bestand eines Unternehmens zu sichern, die Handelsbedingungen nicht
notwendigerweise im Sinne von Artikel 92 Absatz 3 in einer dem gemeinsamen
Interesse zuwiderlaufenden Weise verändert, z. B. wenn eine Aktion mit einem
Umstrukturierungsplan einhergeht“.
- 76.
- BFM habe schon im September 1984 einen Umstrukturierungsplan erstellt, und der
Sanierungsprozeß habe sich seit 1985 wie vorgesehen entwickelt. 1988 sei das
Betriebsergebnis fast ausgeglichen gewesen. Die positive Tendenz sei zwar 1989
wegen „außergewöhnlicher Faktoren“ unterbrochen worden, seit 1992 habe aber
eine neue Umstrukturierungsphase radikale Senkungen der Kapazität und des
Personalbestands mit sich gebracht, und ein Gutachten zeige eine eindeutige
Verbesserung der Betriebsindikatoren. BFM sei durchaus betriebsfähig gewesen,
als die Kommission die streitige Entscheidung erlassen habe.
- 77.
- Die Kommission erklärt, dieses Vorbringen sei nicht begründet. Es sei ihr kein
Umstrukturierungsplan zugegangen. Derjenige, an den sich eine Entscheidung
richte, die eine Beihilfe für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erkläre,
müsse aber beweisen, daß die beanstandeten Maßnahmen dazu dienten, die
strukturellen Probleme des Unternehmens zu lösen, dem diese Beihilfe zugute
komme. Jedenfalls sei die Dauer - über vier Jahre - der betreffenden
Ausnahmeregelung des Gesetzes Nr. 33/93 übermäßig lang gewesen.
- 78.
- Zudem habe BFM seit der Unternehmensgründung keinen Gewinn zu verzeichnen.
Unter diesen Umständen könne das Verhalten von EFIM und FEB gegenüber
BFM selbst unter dem Gesichtspunkt einer Rettung der Unternehmensgruppe nicht
dem Verhalten eines gewöhnlichen Investors gleichgestellt werden, da für das
Unternehmen keinerlei ernsthafte Aussicht auf Rentabilität bestanden habe. Im
übrigen seien die Argumente der Klägerinnen bezüglich der Verschuldungsgründe
in keiner Weise stichhaltig. Die Beurteilung der Kommission sei nämlich nicht
moralischer Art, sondern beschränke sich auf die Bewertung der Fähigkeit des
Unternehmens, dank der Stützungsmaßnahmen kurzfristig unter
marktwirtschaftlichen Bedingungen arbeiten zu können.
Würdigung durch das Gericht
- 79.
- Nach ständiger Rechtsprechung können Kapitalzuweisungen der öffentlichen Hand
an Unternehmen, in welcher Form sie auch erfolgen, staatliche Beihilfen darstellen,
wenn die Voraussetzungen des Artikels 92 des Vertrages erfüllt sind. Um
festzustellen, ob solche Maßnahmen den Charakter staatlicher Beihilfen haben, ist
zu prüfen, ob ein privater Investor in vergleichbarer Lage hätte veranlaßt werden
können, Kapitalhilfen dieses Umfangs zu gewähren. In diesem Zusammenhang hat
der Gerichtshof klargestellt, daß, auch wenn das Verhalten des privaten Investors,
mit dem die Intervention des öffentlichen Investors, der wirtschaftspolitische Ziele
verfolgt, verglichen werden muß, nicht zwangsläufig das eines gewöhnlichen
Investors sein muß, der Kapital zum Zweck seiner mehr oder weniger kurzfristigen
Rentabilisierung anlegt, es doch wenigstens das einer privaten Holding oder einer
privaten Unternehmensgruppe zu sein hat, die eine globale oder sektorale
Strukturpolitik verfolgt und sich von längerfristigen Rentabilitätsaussichten leiten
läßt (siehe insbesondere Urteil des Gerichtshofes vom 14. September 1994 in den
verbundenen Rechtssachen C-278/92, C-279/92 und C-280/92, Spanien/Kommission,
Slg. 1994, I-4103, Randnrn. 20 bis 22).
- 80.
- Wie der Gerichtshof ferner festgestellt hat, „kann ein privater Anteilseigner
vernünftigerweise einem Unternehmen das Kapital zuführen, das zur Sicherstellung
seines Fortbestandes erforderlich ist, wenn es sich in vorübergehenden
Schwierigkeiten befindet, aber seine Rentabilität - gegebenenfalls nach einer
Umstrukturierung - wieder zurückgewinnen kann. Eine Muttergesellschaft kann
somit während eines beschränkten Zeitraums auch Verluste einer ihrer
Tochtergesellschaften übernehmen, um dieser die Einstellung ihrer Tätigkeit untermöglichst günstigen Bedingungen zu ermöglichen. ... Wenn Kapitalzuschüsse eines
öffentlichen Kapitalgebers jedoch selbst langfristig von jeder Aussicht auf
Rentabilität absehen, sind sie als Beihilfen im Sinne des Artikels 92 EWG-Vertrag
anzusehen“ (Urteil des Gerichtshofes vom 21. März 1991 in der Rechtssache
C-303/88, Italien/Kommission, Slg. 1991, I-1433, Randnrn. 21 und 22).
- 81.
- Vor der Untersuchung des vorliegenden Falles ist darauf hinzuweisen, daß die von
der Kommission vorzunehmende Prüfung der Frage, ob eine bestimmte Maßnahme
als Beihilfe im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 des Vertrages anzusehen ist, weil der
Staat nicht „wie ein normaler Wirtschaftsteilnehmer“ gehandelt hat, eine komplexe
wirtschaftliche Beurteilung umfaßt (Urteil des Gerichtshofes vom 29. Februar 1996
in der Rechtssache C-56/93, Belgien/Kommission, Slg. 1996, I-723, Randnrn. 10
und 11). Nach ständiger Rechtsprechung steht der Kommission jedoch ein weites
Ermessen zu, wenn sie eine Handlung vornimmt, die eine solche Beurteilung
einschließt, und die gerichtliche Kontrolle dieser Handlung muß sich demnach auf
die Prüfung der Fragen beschränken, ob die Vorschriften über das Verfahren und
die Begründung eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt, der der getroffenen
Entscheidung zugrunde gelegt wurde, zutreffend festgestellt worden ist und ob
keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts oder ein
Ermessensmißbrauch vorliegt (Urteil vom 29. Februar 1996, Belgien/Kommission,
Randnr. 11, und Urteil Air France/Kommission, a. a. O., Randnrn. 71 und 72).
Insbesondere darf das Gericht die wirtschaftliche Beurteilung des Urhebers der
Entscheidung nicht durch seine eigene Beurteilung ersetzen (Urteil des Gerichts
vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache T-380/94, AIUFFASS und
AKT/Kommission, Slg. 1996, II-2169, Randnr. 56).
- 82.
- Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß BFM nach Aktenlage seit der Gründung des
Unternehmens keinen Gewinn zu verzeichnen hat. Die Klägerinnen machen jedoch
geltend, daß das Betriebsergebnis im Jahr 1988 fast ausgeglichen gewesen sei, nach
einer schwierigen Periode eine eindeutige Verbesserung der Betriebsindikatoren
habe festgestellt werden können und BFM lebensfähig, strukturell gesund und
gewinnfähig geworden sei. Die Kommission hat indessen, ohne daß die Klägerinnen
dem widersprochen hätten, in der streitigen Entscheidung folgendes festgestellt:
- 1990 wies BFM bei einem Umsatz von 14,6 Milliarden LIT Verluste in
Höhe von 18 Milliarden LIT auf;
- 1991 beliefen sich die Verluste von BFM bei einem Umsatz in Höhe von
18,4 Milliarden LIT auf 14 Milliarden LIT;
- 1992 verzeichnete BFM bei einem Umsatz in Höhe von 19,9 Milliarden LIT
Verluste in Höhe von 27,6 Milliarden LIT;
- 1993 erhöhten sich die Verluste bei einem verringerten Umsatz in Höhe von
14,7 Milliarden LIT auf 36,1 Milliarden LIT;
- 1994 erreichten die Verluste bei einem Umsatz von 20,6 Milliarden LIT
einen Betrag von 13,8 Milliarden LIT;
- 1995 betrugen die Verluste bei einem Umsatz von 28,1 Milliarden LIT
15 Milliarden LIT;
- Ende 1994 beliefen sich die Schulden von BFM auf über 85 Milliarden LIT
und entsprachen bei Erlaß der streitigen Entscheidung dem Fünffachen des
Stammkapitals von BFM in Höhe von 17 Milliarden LIT.
- 83.
- Ferner ist festzustellen, daß die Bilanz von BFM, wie die Klägerinnen vortragen,
zwar „durch außerordentliche Posten aus früherer Geschäftsführung belastet“ war,
daß die entsprechende Verschuldung jedoch bei der Beurteilung der Wirtschafts-
und Finanzlage des Unternehmens zu berücksichtigen ist, die nach dem von den
Klägerinnen selbst vorgelegten Gutachten „zweifellos prekär“ war, sofern nicht
zwischen „gewöhnlicher“ und „außerordentlicher“ Geschäftsführung unterschieden
wird. Wie die Kommission in der streitigen Entscheidung betont hat, sind bei der
Beurteilung der Rentabilität des Unternehmens nicht nur das Betriebsergebnis,
sondern auch die finanziellen Lasten zu berücksichtigen, die das Unternehmen
normalerweise zu tragen hat. In diesem Zusammenhang haben die Klägerinnen in
ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichts eingeräumt, daß die
Tilgungen und finanziellen Belastungen von BFM ungewöhnlich hoch seien und von
den „außerordentlichen“ Belastungen abzusehen sei, um das Unternehmen als
existenzfähig betrachten zu können.
- 84.
- Schließlich war die Kommission unter diesen Umständen bei der Ausübung des ihr
auf diesem Gebiet zustehenden weitgehenden Ermessens nicht gehalten, die
negative Beurteilung aller beanstandeten Maßnahmen, zu der sie gelangt war,
durch Berücksichtigung einiger Anzeichen und Perspektiven der Verbesserung, auf
die sich die Klägerinnen berufen, abzuschwächen, da diese angesichts der
allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Lage von BFM zum Zeitpunkt der
Interventionen als unwesentlich, in Anbetracht einer getrennt erstellten Bilanz für
die „gewöhnliche Geschäftsführung“ sogar als künstlich betrachtet werden konnten
(siehe Urteil des Gerichtshofes vom 3. Oktober 1991 in der Rechtssache C-261/89,
Italien/Kommission, Slg. 1991, I-4437, Randnr. 14, und Urteil Air
France/Kommission, Randnr. 98).
- 85.
- Somit ist die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß ein privater
Investor nicht die Kapitalzuschüsse und sonstigen Finanzierungsmaßnahmen
vorgenommen hätte, die die italienischen Behörden im vorliegenden Fall gewährt
haben.
- 86.
- Das Gericht vertritt ebenso wie die Kommission in ihrer streitigen Entscheidung
die Auffassung, daß ein privater Investor, der Finanzierungshilfen und
Kapitalzuführungen in der vorliegenden Größenordnung in Betracht zieht, einenUmstrukturierungsplan verlangen würde, durch den das Unternehmen seine
Rentabilität erlangt.
- 87.
- Die Klägerinnen haben jedoch in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, daß
kein konkreter und detaillierter Umstrukturierungsplan für die Zeit nach 1987
vorhanden war.
- 88.
- Für die Zeit vor 1987 wird von den Parteien nicht bestritten, daß das Dokument,
das die Klägerinnen auf Ersuchen des Gerichts erstellt haben und das den Titel
„Fünfjahresplan 1983-1987“ trägt, der Kommission nicht im Rahmen des
Verwaltungsverfahrens zugeleitet wurde. Die Klägerinnen können sich vor dem
Gericht nicht auf ein derartiges Dokument berufen, das der Kommission nicht im
vorprozessualen Stadium vorgelegt wurde, da die Rechtmäßigkeit einer
Entscheidung im Bereich staatlicher Beihilfen aufgrund der Informationen zu
beurteilen ist, über die die Kommission bei Erlaß der Entscheidung verfügte (Urteil
des Gerichtshofes vom 29. September 1996 in der Rechtssache C-241/94,
Frankreich/Kommission, Slg. 1996, I-4551, Randnr. 33). Selbst wenn dieses
Dokument berücksichtigt werden könnte, hätte sie angesichts seines Inhalts
offensichtlich nicht als echter Umstrukturierungsplan angesehen werden können.
Es ist darin nämlich keine besondere Maßnahme vorgesehen, um die speziellen
Probleme von BFM zu bewältigen. Die Beihilfen der öffentlichen Hand waren
somit nicht an konkrete Umstrukturierungsmaßnahmen gebunden, die in einem
hierzu erstellten Programm vorgesehen sind, was aber als unerläßliche
Voraussetzung anzusehen ist, damit ein Plan als Umstrukturierungsplan betrachtet
werden kann.
- 89.
- Bezüglich des Arguments, daß die Interventionen in der Zeit, als BFM angeblich
für den Verteidigungssektor tätig war, also vor 1986, nicht unter Artikel 92, sondern
unter die Ausnahmeregelung des Artikels 223 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages
fielen, ist vor allem darauf hinzuweisen, daß sich der italienische Staat nie auf die
Bestimmungen dieses Artikels berufen hat. Ferner ergibt sich aus den Antworten
der Klägerinnen auf die schriftlichen und mündlichen Fragen des Gerichts, daß
keine der von der Kommission beanstandeten Beihilfen speziell an militärische
Vorhaben gebunden war, die in den Rahmen der nationalen Verteidigungspolitik
fallen. Die Klägerinnen behaupten nämlich zwar, daß bestimmte Interventionen „im
Zusammenhang mit einem Ungleichgewicht stehen“, das auf die Tätigkeit von BFM
auf dem Verteidigungssektor zurückzuführen sei, sie räumen jedoch ein, daß es
„nicht möglich ist, einen Kausalzusammenhang zwischen dem Zuschuß frischen
Kapitals und seiner Zweckbestimmung herzustellen“. Somit kann, selbst wenn man
annimmt, daß BFM tatsächlich dem Verteidigungssektor zuzurechnen war,
jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, daß die Interventionen aus dieser Zeit
nicht unter Artikel 92, sondern unter die Ausnahmeregelung des Artikels 223
Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages fielen.
- 90.
- Aus den vorstehend dargelegten Gründen hat die Kommission keine offensichtlich
fehlerhafte Beurteilung vorgenommen, als sie die in Rede stehenden Interventionenals staatliche Beihilfen im Sinne des Artikels 92 Absatz 1 des Vertrages angesehen
hat.
- 91.
- Der dritte Klagegrund ist somit zurückzuweisen.
Zum vierten Klagegrund: Fehlerhafte Anwendung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstaben
a und c des Vertrages
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
- 92.
- Die Klägerinnen vertreten die Auffassung, die Kommission habe gegen Artikel 92
Absatz 3 Buchstaben a und c des Vertrages verstoßen, da sie weder die Sanierungs-
und Umstrukturierungsmaßnahmen von BFM noch den Umstand richtig gewürdigt
habe, daß dieses Unternehmen in einem besonders benachteiligten Gebiet
niedergelassen sei. Hätte die Kommission die genannten Bestimmungen richtig
angewandt, so hätte sie nach Ansicht der Klägerinnen die Vereinbarkeit der in
Rede stehenden Interventionen mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt.
- 93.
- Die beanstandeten Maßnahmen hätten jedenfalls, so führen die Klägerinnen aus,
als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden müssen, da sie zur
Anpassung der Strukturen von BFM im Rahmen eines Programms zur
Wiederherstellung der Existenzfähigkeit des Unternehmens beitrügen, da sie ein
Unternehmen beträfen, das sich in einem Unterstützungsgebiet befinde, in dem die
Erhaltung von Produktionstätigkeiten von vorrangiger Bedeutung sei, und da sie
einem kleinen Unternehmen zugute kämen, auf das als solches die Bestimmungen
über die staatlichen Beihilfen flexibel anzuwenden seien.
- 94.
- Die Kommission weist vor allem darauf hin, daß der Vorbehalt des Artikels 92
Absatz 3 Buchstaben a und c des Vertrages einen wirklichen
Umstrukturierungsplan voraussetze, damit die positiven Wirkungen der Beihilfe für
die regionale Entwicklung dauerhaft sein könnten und somit die Auswirkungen
einer Wettbewerbsverzerrung ausgeglichen würden (Urteil des Gerichtshofes vom
21. März 1991 in der Rechtssache C-305/89, Italien/Kommission, Slg. 1991, I-1603,
Randnr. 36).
- 95.
- Die Kommission betont, daß hier kein Umstrukturierungsplan vorliege und keine
Ausnahme zum Zuge komme.
- 96.
- Die Streithelferin Manoir fügt hinzu, daß Beihilfen für ein Unternehmen in einem
Unterstützungsgebiet nicht mit größerem Entgegenkommen betrachtet werden
dürften als bei nicht unterstützten Regionen. Das betreffende Unternehmen müsse
nämlich stets nach dem Umstrukturierungsvorgang wirtschaftlich existenzfähig sein
und wirklich zur Entwicklung der Region beitragen, ohne daß es ständig unterstützt
werden müsse.
Würdigung durch das Gericht
- 97.
- Nach Artikel 92 Absatz 3 des Vertrages kann die Kommission in Abweichung vom
Verbot staatlicher Beihilfen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten
beeinträchtigen und den Wettbewerb verfälschen können, folgende Beihilfen für
vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklären:
„a) Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, in
denen die Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche
Unterbeschäftigung herrscht;
...
c) Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder
Wirtschaftsgebiete, soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise
verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft.“
- 98.
- Wie die Kommission bemerkt, können Beihilfen für notleidende Unternehmen nur
dann für mit Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages vereinbar erklärt
werden, wenn sie mit einem Umstrukturierungsplan verbunden sind, der dazu dient,
die Tätigkeit dieser Unternehmen zu verringern oder umzuorientieren (Urteil vom
14. September 1994, Spanien/Kommission, Randnr. 67). Somit weisen staatliche
Unternehmensbeihilfen, die zur Kompensierung der Verluste des Unternehmens
verwendet werden, ohne daß sie Teil eines zufriedenstellenden
Umstrukturierungsprogramms sind, Merkmale auf, die sie von der in dieser
Bestimmung vorgesehenen Ausnahme vom Beihilfeverbot ausschließen (Urteil des
Gerichtshofes vom 14. September 1994 in der Rechtssache C-42/93,
Spanien/Kommission, Slg. 1994, I-4175, Randnrn. 26 bis 29).
- 99.
- Zudem mußte und konnte dieses Erfordernis, die Beihilfemaßnahmen mit einem
zufriedenstellenden Umstrukturierungsplan zu verbinden, den Klägerinnen
vernünftigerweise bekannt sein. Die Kommission hat nämlich schon in ihrem
Achten Bericht über die Wettbewerbspolitik von 1979 (Nr. 228) betont, daß sie die
vorherige Mitteilung eines Umstrukturierungsplans verlangt, wenn es sich um einen
wichtigen Einzelanwendungsfall handelt. Diese Regel findet ihre Bestätigung und
noch stärkere Verdeutlichung in den Gemeinschaftsrichtlinien für die Beurteilung
von staatlichen Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in
Schwierigkeiten (ABl. 1994, C 368, S. 12), in denen ausdrücklich verlangt wird, daß
der Kommission ein tragfähiges Umstrukturierungs- oder Sanierungsprogramm im
nötigen Detail vorgelegt wird (Nr. 3.2.2, A) und das Unternehmen den von der
Kommission genehmigten Umstrukturierungsplan vollständig durchführt (Nr.
3.2.2, D), und in denen vorgesehen ist, daß die Durchführung des
Umstrukturierungsplans in den einzelnen Abschnitten und Ergebnissen anhand
eines der Kommission jährlich vorzulegenden ausführlichen Berichts kontrolliert
wird (Nr. 3.2.2, E).
- 100.
- Im vorliegenden Fall ist jedoch unbestritten, daß der Kommission im
Verwaltungsverfahren kein Umstrukturierungsplan von BFM vorgelegt wurde (siehe
oben, Randnrn. 81 und 82). Somit war die Anwendung des Artikels 92 Absatz 3
Buchstabe c des Vertrages zugunsten von BFM auf jeden Fall ausgeschlossen.
- 101.
- Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die in Artikel 92 Absatz 3 Buchstaben a und
c des Vertrages zugunsten der Regionalbeihilfen vorgesehenen Ausnahmen vom
freien Wettbewerb auf der gemeinschaftlichen Solidarität beruhen, die ein
grundlegendes Ziel des Vertrages darstellt, wie aus dessen Präambel hervorgeht.
Es ist Sache der Kommission, in Ausübung ihres Ermessens unter Beachtung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf einen Ausgleich zwischen den Zielen des
freien Wettbewerbs und der gemeinschaftlichen Solidarität hinzuwirken. In diesem
Rahmen hat die Kommission die sektoriellen Auswirkungen der geplanten
Regionalbeihilfe auch bezüglich der Regionen, die unter Artikel 92 Absatz 3
Buchstabe a des Vertrages fallen können, abzuschätzen, um zu verhindern, daß
durch die Beihilfemaßnahme auf Gemeinschaftsebene ein sektorielles Problem
entsteht, das schwerer wiegt als das ursprüngliche regionale Problem. Somit ist das
Kriterium der Existenzfähigkeit auch bei dieser Untersuchung von Bedeutung
(siehe Urteil AIUFFASS und AKT/Kommission, Randnrn. 54 und 120). Ferner hat
der Gerichtshof betont, daß aus dem Unterschied in der Formulierung zwischen
Buchstabe a und Buchstabe c des Artikels 92 Absatz 3 nicht abgeleitet werden
kann, daß die Kommission bei der Anwendung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe
a das gemeinsame Interesse außer acht lassen darf und sich darauf zu beschränken
hat, die regionale Spezifizität der fraglichen Maßnahmen zu prüfen, ohne ihre
Auswirkungen auf den oder die relevanten Märkte in der gesamten Gemeinschaft
zu untersuchen (Urteil Spanien/Kommission vom 14. Januar 1997, Randnr. 17).
- 102.
- BFM befindet sich zwar in einem Gebiet, das zu den Regionen gehört, denen nach
Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a des Vertrages Regionalbeihilfen zugute kommen
können. In dem betreffenden Wirtschaftszweig bestand jedoch eine gewaltige
Überkapazität (siehe die unbestrittene Feststellung unter Titel VI der streitigen
Entscheidung). Im Hinblick auf die vorstehend dargelegte Rechtsprechung hat die
Kommission keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung vorgenommen, als sie die
Gewährung der genannten Ausnahmeregelung unter Berücksichtigung dieser
Marktlage und zugleich der offensichtlich mangelnden Existenzfähigkeit des
Unternehmens verweigert hat. Somit können unter den gegebenen Umständen,
unter denen sich das durch rechtswidrige Beihilfen begünstigte Unternehmen
offensichtlich nur durch diese Beihilfen auf dem Markt halten könnte, regionale
Erwägungen nach Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a keine Ausnahme von dem
grundsätzlichen Verbot von Beihilfen rechtfertigen, die den Wettbewerb verfälschen
können. Derartige Beihilfen können nämlich nicht als „Beihilfen zur Förderung der
wirtschaftlichen Entwicklung“ des betreffenden Gebietes im Sinne des Artikels 92
Absatz 3 Buchstabe a des Vertrages angesehen werden.
- 103.
- Demgemäß hat die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler
begangen, als sie zu der Auffassung gelangte, daß im vorliegenden Fall keine in
Artikel 92 Absatz 3 Buchstaben a und c des Vertrages vorgesehene
Ausnahmeregelung vom Beihilfeverbot angewandt werden konnte.
- 104.
- Danach ist dieser Klagegrund ebenfalls zurückzuweisen.
- 105.
- Da kein Klagegrund durchgreifen konnte, sind die Klagen abzuweisen.
Kosten
- 106.
- Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf
Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen mit ihrem
Vorbringen unterlegen sind, sind sie als Gesamtschuldner zur Tragung der Kosten
der Kommission und der Streithelferin Manoir auf deren Antrag zu verurteilen.
Nach Artikel 87 § 4 Absatz 1 der Verfahrensordnung trägt die Französische
Republik als Streithelferin ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Klägerinnen tragen die Kosten der Kommission und der Manoir
industries SA als Gesamtschuldner.
3. Die Französische Republik trägt ihre eigenen Kosten.
Tiili Briët Lenaerts
Potocki Cooke
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. September 1998.
Der Kanzler
Die Präsidentin
H. Jung
V. Tiili