URTEIL DES GERICHTS (Erste erweiterte Kammer)
5. November 1997 (1)
„Staatliche Beihilfen Umstrukturierungsbeihilfen Entscheidung der
Kommission Nichtigerklärung Zulässigkeit“
In der Rechtssache T-149/95
Établissements J. Richard Ducros, Gesellschaft französischen Rechts mit Sitz in
Paris, Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Philippe Genin, Lyon,
Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Aloyse May, 31, Grand-rue,
Luxemburg,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, zunächst vertreten durch
Jean-Paul Keppenne, sodann durch Xavier Lewis, Juristischer Dienst, als
Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz,
Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
unterstützt durch
CMF SpA, Gesellschaft italienischen Rechts, und CMF Sud SpA, Gesellschaft
italienischen Rechts in Liquidation, beide mit Sitz in Pignatero Maggiore (Italien),
Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Mario Siragusa, Rom, und Giuseppe
Scassellati-Sforzolini, Bologna, Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwälte
Elvinger, Hoss und Prussen, 2, place Winston Churchill, Luxemburg,
wegen Nichtigerklärung der in der Mitteilung 95/C 120/03 der Kommission gemäß
Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag an die anderen Mitgliedstaaten und sonstigen
Beteiligten Italienische Beihilfe für CMF Sud SpA und CMF Spa [Staatliche
Beihilfen C 6/92 (ex NN 149/91)] (ABl. 1995, C 120, S. 4) wiedergegebenen
Entscheidung
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Erste erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten A. Saggio, der Richter C. P. Briët und
A. Kalogeropoulos, der Richterin V. Tiili sowie des Richters R. M. Moura Ramos,
Kanzler: B. Pastor, Hauptverwaltungsrätin
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22.
April 1997,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
- 1.
- Die CMF Sud SpA (im folgenden: CMF Sud), die aus der 1986 erfolgten
Zusammenlegung zweier hundertprozentiger Tochtergesellschaften von zwei
Holdinggesellschaften des italienischen öffentlichen Sektors hervorgegangen war,
war hauptsächlich im Bereich der Herstellung von Metallkonstruktionen tätig.
- 2.
- Im Rahmen der Umstrukturierung dieser Holdings wurde im Oktober 1992 eine
neue Gesellschaft, die CMF SpA (im folgenden: CMF), gegründet. Diese kaufte
das Kerngeschäft der CMF Sud, die anschließend in Liquidation ging.
- 3.
- Die Klägerin ist eine Gesellschaft französischen Rechts, die im Bereich des
Tiefbaus und der Metallkonstruktion tätig ist.
- 4.
- 1990 gaben die Klägerin und CMF Sud Angebote im Rahmen einer öffentlichen
Ausschreibung für den Ausbau des Abfertigungsgebäudes des Flughafens Marseille
Provence (Frankreich) ab. Dieser Auftrag wurde durch Entscheidung vom 4.
September 1990 der CMF Sud erteilt.
- 5.
- Die Klägerin legte Beschwerde bei der Kommission mit der Begründung ein, die
von der CMF Sud in ihrem Angebot auf die fragliche Ausschreibung
vorgeschlagenen Konditionen seien nur durch Subventionen ermöglicht worden, die
diese Gesellschaft erhalten habe.
- 6.
- Die Kommission leitete mit Entscheidung vom 11. März 1992 gegen die Italienische
Republik wegen einer öffentlichen Kapitaleinlage zugunsten der CMF Sud zum
Ausgleich ihrer Betriebsverluste in den Jahren 1989 und 1990 das in Artikel 93
Absatz 2 EG-Vertrag vorgesehene Verfahren ein (Mitteilung 92/C 122/04, ABl.
C 122, S. 6). Mit Entscheidung vom 16. September 1992 erstreckte die Kommission
das Verfahren auf neue öffentliche Kapitaleinlagen (Mitteilung 92/C 279/11, ABl.
C 279, S. 13). Am 22. September 1993 erstreckte sie das Verfahren weiter auf eine
Garantie des italienischen Staates für die Gesamtverpflichtungen der CMF Sud
während ihrer freiwilligen Liquidation sowie auf die Elemente einer Beihilfe, die
der Verkauf des Kerngeschäfts der CMF Sud an die CMF eventuell bewirkte, und
die Bereitstellung von Startkapital für die neue Gesellschaft (Mitteilung
93/C 282/04, ABl. C 282, S. 5).
- 7.
- In diesen Entscheidungen führte die Kommission im wesentlichen aus, daß die
Kapitalerhöhungen der CMF Sud, die dieser gewährten Garantien und die
Bereitstellung eines Startkapitals für die CMF staatliche Beihilfen seien, da diese
Investitionen nicht dem Verhalten eines privaten Kapitalgebers in der
Marktwirtschaft entsprächen. Insbesondere hätten die Zeichner im Zusammenhang
mit den Kapitalerhöhungen nicht zugleich die notwendigen Maßnahmen in Form
eines umfangreichen Umstrukturierungsprogramms ergriffen, das unter dem
Gesichtspunkt des allgemeinen Interesses als akzeptabel hätte angesehen werden
können, um die finanziellen Schwierigkeiten der Beihilfeempfänger zu überwinden.
Damit handele es sich bei den Beihilfen um Betriebsbeihilfen zugunsten der CMF
Sud und der CMF.
- 8.
- Im Rahmen der Eröffnung und der späten Erstreckungen des Verfahrens legte die
Kommission dar, daß die von der Betriebsbeihilfe ausgehende
Wettbewerbsverzerrung angesichts der besonderen Marktlage im Hoch- und
Tiefbau und im Anlagenbau äußerst bedenklich sei. Sie sei gleichwohl nicht gegen
die Gewährung derartiger Beihilfen für die Umstrukturierung von Gesellschaften,
die sich in Schwierigkeiten befänden, sofern bestimmte strenge Bedingungen
eingehalten würden.
- 9.
- Die Klägerin war das einzige Konkurrenzunternehmen, das an dem Verfahren
teilnahm.
- 10.
- Am 16. Mai 1995 wurde im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften die
Mitteilung 95/C 120/03 der Kommission gemäß Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag an
die anderen Mitgliedstaaten und sonstigen Beteiligten Italienische Beihilfe für
CMF Sud SpA und CMF SpA (Staatliche Beihilfen C 6/92 [ex NN 149/91]) (ABl.
C 120, S. 4) veröffentlicht. In dieser Mitteilung führte die Kommission aus, daß das
Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag einzustellen und die fraglichen
Beihilfen gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag zu genehmigen seien
(im folgenden: angefochtene Entscheidung).
- 11.
- Die Kommission führt aus, sie sei nach einer Beurteilung der Auskünfte der
italienischen Behörden, der Beihilfeempfänger und ihrer Aktionäre unter
Berücksichtigung der Zusagen, die diese ihr gemacht hätten, zu dem Ergebnis
gelangt, daß die Beihilfe an CMF Sud und CMF, derentwegen das Verfahren nach
Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag eingeleitet worden sei, im Einklang mit den
Vereinbarkeitsgrundsätzen stehe, die in den „Leitlinien für die Beurteilung von
staatlichen Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in
Schwierigkeiten“ niedergelegt seien, die Gegenstand ihrer Mitteilung 94/C 368/05
(ABl. 1994, C 368, S. 12, im folgenden: Leitlinien) gewesen seien.
- 12.
- Diese Beihilfe sei Teil eines angemessen durchführbaren, kohärenten und
umfassenden Plans, um die Rentabilität des betreffenden Unternehmens langfristig
wiederherzustellen. Zudem seien die der CMF Sud gewährten Beihilfen mit einer
annehmbaren industriellen Gegenleistung in Form der Herausnahme der
vorhandenen Kapazitäten aus dem relevanten Markt verbunden. Außerdem werde
sie zu der ordnungsgemäßen Abwicklung des Unternehmens ohne
wettbewerbsschädliche Wirkung in diesem Wirtschaftsbereich beitragen.
- 13.
- Die Kommission habe bei der Genehmigung der Beihilfen insbesondere die
folgenden von den italienischen Behörden eingegangenen Verpflichtungen
berücksichtigt:
die CMF werde spätestens am 30. Juni 1995 privatisiert;
zwei der Fertigungsstraßen der CMF, mit Produktionskapazitäten von
10 000 Tonnen und 12 000 Tonnen pro Jahr würden entweder auf Märkten,
die mit der EG nicht im Wettbewerb stünden, verkauft oder bis spätestens
30. Juni 1995 verschrottet;
im Rahmen der Liquidierung der CMF Sud würden ihre Aktiva spätestens
bis 31. Dezember 1996 an Unternehmen aus anderen Tätigkeitsbereichen
veräußert.
Verfahren und Anträge der Parteien
- 14.
- Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 14. Juli 1995 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.
- 15.
- Die CMF Sud und die CMF haben mit Schriftsatz, der am 27. November 1995 bei
der Kanzlei eingegangen ist, ihre Zulassung als Streithelferinnen zur Unterstützung
der Anträge der Kommission beantragt. Diesem Antrag wurde mit Beschluß vom
31. Januar 1996 stattgegeben.
- 16.
- Das schriftliche Verfahren ist am 23. Mai 1996 mit der Einreichung der
Erklärungen der Kommission zu dem Interventionsschriftsatz abgeschlossen
worden.
- 17.
- Die Parteien wurden in der Sitzung vom 22. April 1997 aufgefordert, zum
Vorliegen eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen der Klägerin und der CMF und
zur derzeitigen Situation der CMF Stellung zu nehmen.
- 18.
- Die Klägerin beantragt,
die Klage für zulässig und die angefochtene Entscheidung für nichtig zu
erklären,
der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 19.
- Die Kommission beantragt,
die Klage als unzulässig oder als unbegründet abzuweisen,
der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 20.
- Die Streithelferinnen beantragen,
die Klage für unzulässig zu erklären oder sie als unbegründet abzuweisen,
der Klägerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der
Streithelferinnen aufzuerlegen.
Zulässigkeit
Vorbringen der Parteien
- 21.
- Die Kommission trägt, unterstützt von den Streithelferinnen, vor, obwohl die
Einleitung des in Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag vorgesehenen Verfahrens auf die
Beschwerde der Klägerin zurückgehe und diese an dem Verfahren teilgenommen
habe, erfülle sie nicht die Voraussetzungen, die von der Rechtsprechung für ein
unmittelbares und individuelles Betroffensein von der angefochtenen Entscheidung
gefordert würden. Sie habe nämlich nicht dargetan, daß ihre Rechtsstellung durch
die fragliche Maßnahme wesentlich beeinträchtigt worden sei (Urteil des
Gerichtshofes vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 169/84, Cofaz
u. a./Kommission, Slg. 1986, 391, im folgenden: Urteil Cofaz; Urteile des Gerichts
vom 27. April 1995 in der Rechtssache T-435/93, ASPEC u. a./Kommission, Slg.
1995, II-1281, im folgenden: Urteil ASPEC, und vom 6. Juli 1995 in den
Rechtssachen T-447/93, T-448/93 und T-449/93, AITEC u. a./Kommission, Slg. 1995,
II-1971, im folgenden: Urteil AITEC).
- 22.
- Nach Auffassung der Kommission hat die Klägerin den Kausalzusammenhang
zwischen den der CMF Sud und der CMF gewährten Beihilfen und dem Umstand,
daß sie bei der den Flughafen von Marseille betreffenden öffentlichen
Ausschreibung nicht berücksichtigt worden sei, nicht dargetan. Die Prüfung der im
Rahmen dieser Ausschreibung abgegebenen Gebote zeige außerdem, daß zwei
andere Bieter Gebote abgegeben hätten, die für interessanter befunden worden
seien als die der Klägerin.
- 23.
- Die Klägerin habe nicht den Beweis dafür erbracht, daß die fraglichen Beihilfen
ihre Stellung auf dem Markt beeinflußt hätten. Nach ständiger Rechtsprechung
rechtfertige jedoch die Tatsache allein, daß eine Maßnahme geeignet sei, die
bestehenden Wettbewerbsverhältnisse zu beeinflussen, es noch nicht, einen
Marktbeteiligten, der im Wettbewerb mit dem Adressaten der Maßnahme steht,
als durch diese unmittelbar und individuell betroffen anzusehen (Urteil des
Gerichtshofes vom 10. Dezember 1969 in den Rechtssache 10/68 und 18/68,
Eridania u. a./Kommission, Slg. 1969, 459, im folgenden: Urteil Eridania).
- 24.
- Die Kommission führt, unterstützt von den Streithelferinnen, aus, daß die Klage
nicht allein dadurch zulässig werde, daß die CMF sich als Konkurrentin der
Klägerin auf dem Markt habe behaupten können, zumal die angefochtene
Entscheidung zur Schließung der Produktionslinien der CMF, die in unmittelbarem
Wettbewerb mit den Tätigkeiten der Klägerin gestanden hätten, geführt habe.
- 25.
- Die Streithelferinnen vertreten die Auffassung, daß die Klägerin entgegen den
Anforderungen des Urteils Cofaz keine entscheidende Rolle beim Ablauf des
Verwaltungsverfahrens gespielt habe, denn es heiße in der angefochtenen
Entscheidung, der einzige Wettbewerber, der an diesem Verfahren teilgenommen
habe (d. h. die Klägerin), habe sich darauf beschränkt, öffentlich zugängliche
Buchhaltungsunterlagen beizubringen.
- 26.
- Auch habe die Klägerin entgegen den Anforderungen des Urteils ASPEC nicht
dargetan, daß sie zu einem engen Kreis von Wettbewerbern gehöre oder daß die
fragliche Beihilfe auf einem Markt, auf dem bereits Überkapazitäten bestünden,
zu einer Erhöhung von Kapazitäten führe. Die im Urteil ASPEC aufgestellten
Voraussetzungen seien deshalb im vorliegenden Fall nicht erfüllt; die Klage sei
daher unzulässig. Außerdem habe das im Mai 1991 beschlossene finanzielle
Eingreifen des italienischen Staates nur zum Ausgleich der Verluste des
Wirtschaftsjahres 1990 und nicht, wie es in der angefochtenen Entscheidung heiße,
auch derjenigen des Wirtschaftsjahres 1989 gedient. Da die streitige Ausschreibung
im Jahre 1990 stattgefunden habe, habe diese Beihilfe keinen Einfluß auf die
Teilnahme der CMF Sud an dieser Ausschreibung haben können.
- 27.
- Schließlich sei die Klage auch wegen Unzuständigkeit des Gerichts unzulässig. Zwar
habe die Kommission die Einrede der Unzuständigkeit nicht erhoben, diese könne
jedoch, da sie dem Ordre public zugehöre, vom Gericht von Amts wegen geprüft
werden. Die von der Klägerin angeführten Klagegründe bezögen sich im
wesentlichen auf die Rechtmäßigkeit des Zuschlags eines öffentlichen Auftrags in
Marseille. Die französischen Gerichte, die über eine vollständige Kenntnis der
Sachlage und über alle notwendigen Aufklärungsbefugnisse verfügt hätten, hätten
jedoch die in der vorliegenden Klage erhobenen Rügen bereits zurückgewiesen. Die
Klage sei deshalb nicht gemäß Artikel 173 EG-Vertrag auf die Nichtigerklärung
einer Handlung eines Gemeinschaftsorgans gerichtet; das Gericht sei folglich für
die Entscheidung darüber nicht zuständig.
- 28.
- Die Klägerin macht geltend, sie erfülle die im Urteil Cofaz aufgestellten Kriterien.
Das Verwaltungsverfahren gehe auf ihre Beschwerde zurück; ihre Marktstellung
werde dadurch beeinträchtigt, daß die angefochtene Entscheidung die Privatisierung
der CMF ohne Rückzahlung der erhaltenen Beihilfen zulasse. Berücksichtige man
den Betrag der von CMF Sud und CMF seit 1989 erlittenen Verluste, so hätten
diese Unternehmen ihre Tätigkeit nicht fortsetzen können, wenn sie nicht „vom
Staat aufgekauft“ worden wären.
- 29.
- Die von der CMF Sud im Rahmen der Ausschreibung für den Flughafen von
Marseille gebotenen Preise stellten in Wirklichkeit einen Verkauf mit Verlust dar,
der allein durch die staatlichen Beihilfen ermöglicht worden sei. Die CMF Sud und
die CMF hätten einen bedeutenden Anteil am Gemeinschaftsmarkt, wie sich daraus
ergebe, daß sie mehrere Aufträge in Frankreich, in Dänemark und in Portugal
erhalten hätten; die fraglichen Beihilfen hätten es ihnen ermöglicht, Dumpingpreise
gegenüber ihren Konkurrenten anzuwenden.
Würdigung durch das Gericht
- 30.
- Entgegen dem Vorbringen der Streithelferinnen ist das Gericht zuständig. Die
Klageanträge sind nämlich eindeutig auf die Nichtigerklärung einer Entscheidung
der Kommission gerichtet, zu deren Nachprüfung das Gericht befugt ist. Der
Zuständigkeit des Gerichts steht nicht entgegen, daß die Klagegründe, auf die diese
Anträge gestützt wurden, möglicherweise schon in einem nationalen Verfahren
geltend gemacht und zurückgewiesen worden sind.
- 31.
- Nach Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag können andere Personen als die Adressaten
eine Entscheidung nur anfechten, wenn diese sie unmittelbar und individuell
betrifft. Da die angefochtene Entscheidung an die italienische Regierung gerichtet
war, ist zu prüfen, ob diese Voraussetzungen bei der Klägerin vorliegen.
- 32.
- Die angefochtene Entscheidung hat unmittelbare Wirkungen gegenüber der
Klägerin, da sie gewisse bereits gewährte Beihilfen für mit dem Gemeinsamen
Markt vereinbar erklärt (Urteil AITEC, Randnr. 41).
- 33.
- Nach ständiger Rechtsprechung betrifft eine Entscheidung diejenigen natürlichen
oder juristischen Personen individuell, die sie wegen bestimmter persönlicher
Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen
heraushebender Umstände berührt (Urteile des Gerichtshofes vom 15. September
1963 in der Rechtssache 25/62, Plaumann/Kommission, Slg. 1963, 213, 238, und des
Gerichts vom 22. Oktober 1996 in der Rechtssache T-266/94, Skibsværftsforeningen
u. a./Kommission, Slg. 1996, II-1395, Randnr. 44).
- 34.
- Besonders für den Bereich der Kontrolle staatlicher Beihilfen ergibt sich aus der
Rechtsprechung, daß eine Entscheidung, durch die ein gemäß Artikel 93 Absatz 2
EG-Vertrag eingeleitetes Verfahren abgeschlossen wird, diejenigen Unternehmen
individuell betrifft, die die Beschwerde, die zur Einleitung des
Untersuchungsverfahrens geführt hat, eingelegt, Erklärungen abgegeben und den
Verfahrensablauf bestimmt haben, sofern ihre Marktstellung durch die Beihilfe, die
Gegenstand der angefochtenen Entscheidung ist, spürbar beeinträchtigt wird (Urteil
Cofaz, Randnrn. 24 und 25). Daraus ergibt sich jedoch nicht, daß ein Unternehmen
nicht in anderer Weise unter Hinweis auf besondere Umstände, die es in ähnlicher
Weise individualisieren wie den Adressaten, den Nachweis erbringen kann, daß es
individuell betroffen ist (Urteil ASPEC, Randnr. 64).
- 35.
- Im vorliegenden Fall hat die Klägerin erstens, wie die Kommission zugesteht, die
Beschwerde erhoben und als einziges Unternehmen außer den Beihilfeempfängern
am Verfahren teilgenommen, indem sie am 15. Juli 1992 und, nach der ersten
Erstreckung des Verfahrens, am 8. Dezember 1992 Erklärungen abgegeben hat.
Diese Erklärungen wurden den italienischen Behörden übermittelt, die zu ihnen
Stellung genommen haben (vgl. auch die angefochtene Entscheidung, S. 5 und 6,
und die Entscheidung vom 11. März 1992, S. 6).
- 36.
- Insoweit ist das Vorbringen der Streithelferinnen, die Buchhaltungsunterlagen, die
die Klägerin während des Verfahrens eingereicht habe, seien öffentlich zugänglich,
nicht stichhaltig, denn die Klägerin ist aufgrund dieser Unterlagen die anders als
die internen Unterlagen der nationalen Verwaltung, die die Beihilfe gewährt, und
anders als die Unterlagen des begünstigten Unternehmens zu denjenigen gehören,
zu denen Konkurrenzunternehmen Zugang haben in der Lage, ihren Standpunkt
im Verfahren vor der Kommission zu vertreten. Daß die Kommission zweimal
gezwungen war, das Verfahren zu erstrecken, zeigt im übrigen die Schwierigkeiten
bei der Klärung der Lage der von den Beihilfen begünstigten Unternehmen.
- 37.
- Was zweitens die Beeinträchtigung der Marktstellung der Klägerin angeht, enthält
die Akte mehrere Schriftstücke, aus denen sich ergibt, daß die Klägerin von der
angefochtenen Entscheidung individuell betroffen ist. Zunächst hat die Kommission
die Klägerin in der angefochtenen Entscheidung als Konkurrentin der CMF Sud
bezeichnet.
- 38.
- Weiter ergibt sich aus der gesamten Akte, daß der Hoch- und Tiefbausektor durch
Ausschreibungen bei denen der gebotene Preis das hauptsächliche
Auswahlkriterium ist auf europäischer Ebene gekennzeichnet ist; diese führen
gegebenenfalls dazu, daß eine Gesellschaft einen öffentlichen Auftrag wie
denjenigen erhält, der der Beschwerde zugrunde lag, so daß die Marktanteile der
betroffenen Unternehmen schwer bestimmbar sind.
- 39.
- Außerdem wurde die Klägerin in der Sitzung aufgefordert, näher zu belegen, daß
sie in einem Wettbewerbsverhältnis zur CMF steht. Sie hat hierauf ausgeführt, daß
auf dem Sektor der Metallkonstruktionen in Europa nur wenige Unternehmen
aktiv seien. Zwar habe sie seit der Abgabe des Gebots im Rahmen der
Ausschreibung für den Flughafen von Marseille nicht mehr mit der CMF an
Ausschreibungen teilgenommen, jedoch habe der fragliche Auftrag für sie große
Bedeutung gehabt, da er einem erheblichen Teil ihres Jahresumsatzes entsprochen
habe. Damit kann dieses Wettbewerbsverhältnis aufgrund seiner Intensität nicht der
Sachlage gleichgestellt werden, um die es im Urteil Eridania ging (oben,
Randnr. 23).
- 40.
- Dagegen haben die Beklagte und die Streithelferinnen ihr Vorbringen, die CMF
sei aufgrund der Bedingungen der streitigen Entscheidung keine Konkurrentin der
Klägerin mehr, nicht erhärten können. Selbst wenn Produktionslinien geschlossen
worden sind, ist dieses Unternehmen weiter in bestimmten Bereichen der
Metallkonstruktion tätig; daher ist nicht ausgeschlossen, daß die Klägerin entgegen
dem Vorbringen der Kommission und der Streithelferinnen eine Konkurrentin der
CMF bleibt.
- 41.
- Zu dem Vorbringen, die Klägerin habe bei der Vergabe des öffentlichen Auftrags
für den Flughafen Marseille nur den vierten Platz erhalten, ist von Belang, daß
Gegenstand der vorliegenden Klage die Entscheidung der Kommission ist, ein
Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag einzustellen. Da die Teilnahme
der Klägerin und eines der Unternehmen, die die Beihilfe erhalten haben, an
derselben öffentlichen Ausschreibung außer Frage steht, ändert der Platz, den die
Klägerin in diesem Rahmen erhalten hat, nichts an der wesentlichen
Beeinträchtigung ihrer Marktstellung durch die angefochtene Entscheidung. Die
Klage betrifft nämlich nicht die Rechtmäßigkeit der Ausschreibung; nur im Rahmen
einer solchen Nachprüfung, um die es hier nicht geht, könnte der Platz, den die
Klägerin erhalten hat, eventuell von Bedeutung sein.
- 42.
- Somit steht die Klägerin mit den durch die Beihilfen begünstigten Unternehmen
in einem Wettbewerbsverhältnis, so daß sie von der Entscheidung, durch die diese
Beihilfen für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt worden sind,
individuell betroffen ist (vgl. Urteil Skibsværftsforeningen u. a./Kommission,
a. a. O., Randnr. 47).
- 43.
- Daher ist die Klage zulässig.
Begründetheit
- 44.
- Die Klägerin stützt ihre Anträge auf zwei Gründe. Der erste Klagegrund betrifft
die Verletzung der im EG-Vertrag niedergelegten Verfahrensregeln dadurch, daß
der italienische Staat die Kommission nicht von den gewährten Beihilfen
unterrichtet habe, was zur Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung führen
müsse. Der zweite Klagegrund betrifft die Verletzung der Bedingungen, die die
Kommission für die Beihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten aufgestellt hat,
durch diese Entscheidung.
- 45.
- Die Kommission, unterstützt durch die Streithelferinnen wendet sich gegen diese
Klagegründe.
Der erste Klagegrund: Verletzung der im EG-Vertrag niedergelegten Verfahrensregeln
Vorbringen der Parteien
- 46.
- Mit ihrem ersten Klagegrund macht die Klägerin geltend, der Umstand, daß die der
CMF und der CMF Sud gewährten Beihilfen nicht gemeldet worden seien, führe
zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung. Die Kommission müsse eine
derartige Verletzung der Anmeldeverpflichtung dadurch ahnden, daß sie
systematisch die Rückzahlung der nicht gemeldeten Beihilfen fordere. Die
Kommission habe in ihrer Mitteilung vom 24. November 1983 (ABl. C 318, S. 3)
im übrigen festgestellt, daß derartige Beihilfen von ihrer Gewährung an
rechtswidrig seien. Das Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1973 in der
Rechtssache 70/72 (Kommission/Deutschland, Slg. 1973, 813) gebe der Kommission
im vorliegenden Fall die Möglichkeit, eine Entscheidung zu erlassen, mit der sie die
Rückzahlung derartiger Beihilfen anordne. Dies entspreche auch der derzeitigen
Haltung der Kommission, wie sich aus der Entscheidung ergebe, die dem Urteil des
Gerichtshofes vom 2. Februar 1988 in den Rechtssachen 67/85, 68/85 und 70/85
(Van der Kooy u. a./Kommission, Slg. 1988, 219) zugrunde liege, sowie aus der
Entscheidung 88/468/EWG der Kommission vom 29. März 1988 über die Beihilfen
der französischen Regierung an ein Unternehmen des Agrarmaschinensektors in
St. Dizier, Angers und Croix (ABl. L 229, S. 37). Wenn die Kommission die
Beihilfen, die die anwendbaren Verfahrensregeln verletzten, unter dem Vorwand,
daß sie den materiellen Regeln entsprächen, nicht für rechtswidrig erkläre, so
mache sie diese Regeln wirkungslos.
- 47.
- Die Kommission führt aus, sie habe die einschlägigen Verfahrensregeln genau
eingehalten. Außerdem stehe das Vorbringen der Klägerin hinsichtlich der
Konsequenzen der Nichteinhaltung der Meldevorschriften in völligem Widerspruch
zur Rechtsprechung (Urteile des Gerichtshofes vom 21. November 1991 in der
Rechtssache C-354/90, Fédération nationale du commerce extérieur des produits
alimentaires und Syndicat national des négociants et transformateurs de saumon,
Slg. 1991, I-5505, und des Gerichts vom 18. September 1995 in der Rechtssache
T-49/93, SIDE/Kommission, Slg. 1995, II-2501). Sie sei nicht befugt, die
Rückzahlung staatlicher Beihilfen mit der alleinigen Begründung zu fordern, daß
die Anmeldeverpflichtung nicht beachtet worden sei, ohne zu prüfen, ob die
Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sei.
- 48.
- Die Streithelferinnen tragen vor, die Verletzung der Verpflichtung zur Anmeldung
der Beihilfen führe nicht zu ihrer Unvereinbarkeit mit dem EG-Vertrag. Die
Erfüllung dieser Verpflichtung werde durch die unmittelbare Wirkung sichergestellt,
die der Gerichtshof Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag zugesprochen habe und die
es den nationalen Gerichten ermögliche, aus einer derartigen Verletzung alle
Konsequenzen zu ziehen. Die Klägerin hätte deshalb, sofern sie ihr
Rechtsschutzinteresse hätte dartun können, erreichen können, daß die italienischenGerichte die Maßnahmen zur Durchführung der nicht angemeldeten Beihilfen für
unwirksam erklärten. Deshalb müsse dieser Klagegrund zurückgewiesen werden.
Würdigung durch das Gericht
- 49.
- Nach ständiger Rechtsprechung hat die Verletzung der in Artikel 93 Absatz 3
EG-Vertrag vorgesehenen Verpflichtung, die Kommission von beabsichtigten
Beihilfen zu unterrichten und diese nicht vor Erlaß der abschließenden
Entscheidung der Kommission durchzuführen, durch die Mitgliedstaaten nicht zur
Folge, daß diese Maßnahmen automatisch mit dem Gemeinsamen Markt
unvereinbar werden (Urteile des Gerichtshofes vom 14. Februar 1990 in der
Rechtssache C-301/87, Frankreich/Kommission, Slg. 1990, I-307, Randnrn. 11 ff.,
und vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache C-39/94, SFEI u. a., Slg. 1996, I-3547,
Randnr. 43, Urteil SIDE/Kommission, a. a. O., Randnr. 84). Denn das in Artikel
92 Absatz 1 vorgesehene Verbot der Gewährung von Beihilfen ist weder absolut
noch unbedingt, da Artikel 92 Absatz 3 der Kommission bei der Ausübung der
Befugnis, bestimmte Beihilfen unter Abweichung von dem allgemeinen Verbot für
mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar zu erklären, ein weites Ermessen einräumt
(Urteile Frankreich/Kommission, a. a. O., Randnr. 15, und SFEI u. a., a. a. O.,
Randnr. 36).
- 50.
- Die eventuelle Unvereinbarkeit einer Beihilfemaßnahme mit dem Gemeinsamen
Markt kann somit erst am Ende der in Artikel 93 vorgesehenen Untersuchung
festgestellt werden, deren Durchführung Sache der Kommission ist, und ergibt sich
nicht automatisch daraus, daß der betreffende Mitgliedstaat die Kommission nicht
von der fraglichen Maßnahme unterrichtet hat.
- 51.
- Außerdem wird die Verletzung dieser Verpflichtung durch die unmittelbare
Wirkung des Artikels 93 Absatz 3 a. E. sanktioniert (Urteil des Gerichtshofes vom
11. Dezember 1973 in der Rechtssache 120/73, Lorenz, Slg. 1973, 1471, und Urteil
Fédération nationale du commerce extérieur des produits alimentaires und Syndicat
national des négociants et transformateurs de saumon, a. a. O., Randnrn. 12 und
14), die es der Klägerin ermöglichte, gegebenenfalls die nationalen Gerichte
anzurufen. Die Kommission kann jedoch dem für die Rechtsverletzung
verantwortlichen Mitgliedstaat aufgeben, die Zahlung dieser Beihilfen bis zum
Abschluß des Verfahrens auszusetzen (Urteil Frankreich/Kommission, a. a. O.,
Randnrn. 19 und 20). Im vorliegenden Fall hat die Kommission sowohl in der
Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens als auch in den zwei
nachfolgenden Entscheidungen über seine Erstreckung der italienischen Regierung
aufgegeben, die Zahlung der fraglichen Beihilfen auszusetzen, und sie auf die
Konsequenzen eines derartigen Handelns aufmerksam gemacht.
- 52.
- Unter diesen Umständen konnte die Tatsache, daß die italienischen Behörden die
der CMF und CMF Sud gewährten Beihilfen nicht mitgeteilt haben, nicht dazu
führen, daß diese mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar wurden. Der erste
Klagegrund ist deshalb zurückzuweisen.
Der zweite Klagegrund: Nichtbeachtung der Bedingungen, die für die Beihilfen für
Unternehmen in Schwierigkeiten gelten
Vorbringen der Parteien
- 53.
- Die Klägerin trägt vor, die angefochtene Entscheidung verletze die Regeln, die die
Kommission in ihren Leitlinien über Beihilfen für Unternehmen in Schwierigkeiten
aufgestellt habe (siehe oben Randnr. 11).
- 54.
- Die CMF Sud und die CMF hätten zwischen der Gründung der CMF Sud im Jahre
1986 und der Aufstellung eines von der Kommission 1994 gebilligten
Umstrukturierungsplans sechsmal Beihilfen erhalten. Die Kommission habe die
fraglichen Beihilfen in ihren Mitteilungen 92/C 122/04 und 92/C 279/11 vom 14. Mai
und 28. Oktober 1992 als Betriebsbeihilfen angesehen, da kein
Umstrukturierungsplan vorgelegen habe und die von den italienischen Behörden
für die CMF Sud vorgeschlagenen Aktionslinien sehr unbestimmt gewesen seien.
Die Beihilfen seien somit rechtswidrig, und die spätere Annahme eines
Umstrukturierungsplans unter dem Druck der Kommission könnte sie nicht
rechtmäßig machen. Deshalb seien die Grundsätze anzuwenden, die der
Gerichtshof im Urteil vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-305/89
(Italien/Kommission, Slg. 1991, I-1603) aufgestellt habe.
- 55.
- Der Gesamtbetrag der Beihilfen belaufe sich auf ca. 51 Millionen ECU, also den
Jahresumsatz der CMF, und stehe in keinem angemessenen Verhältnis zu den auf
Gemeinschaftsebene erwarteten Vorteilen. Damit sei die einzig angemessene
Sanktion die Liquidation der CMF, wie sie die Kommission auch für die CMF Sud
gefordert habe. Die bloße Privatisierung ermögliche es dem italienischen Staat
nicht, die gewährten Summen zurückzuerlangen; sie belasse vielmehr dem
Erwerber des Unternehmens den Vorteil, der sich aus der geschaffenen Situation
ergebe, und ermögliche es ihm, sofort ein ernsthafter Konkurrent zu werden.
Deshalb müßten die Beihilfen zurückgefordert werden, denn nur so könne die
durch diese bewirkte Wettbewerbsverzerrung beseitigt werden.
- 56.
- Die Kommission weist zunächst auf den weiten Spielraum hin, über den sie bei der
Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt
insbesondere bei Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen
nach der Rechtsprechung, insbesondere den Urteilen des Gerichtshofes vom 17.
September 1980 in der Rechtssache 730/79 (Philip Morris/Kommission, Slg. 1980,
2671) und vom 15. Juni 1993 in der Rechtssache C-225/91, Matra/Kommission, Slg.
1993, I-3203), verfüge.
- 57.
- Die CMF und die CMF Sud hätten drei Kapitaleinlagen erhalten und nicht sechs,
wie die Klägerin angebe. Daß die Beihilfen in mehreren Stufen ausgezahlt worden
seien, schließe ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt nicht aus. Die
Kommission habe im übrigen in ihrer zweiten Entscheidung über die Erstreckung
des Verfahrens angekündigt, daß die Gesamtheit der Beihilfen global bewertet
werden müsse. Da die Klägerin diese Sichtweise in ihren der Kommission
übersandten Erklärungen zu dieser Entscheidung nicht beanstandet habe, könne
sie dies im jetzigen Stadium nicht mehr tun (Urteil des Gerichtshofes vom 13. Juli
1988 in der Rechtssache 102/87, Frankreich/Kommission, Slg. 1988, 4067,
Randnr. 27). Zudem ergebe sich aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 14.
November 1984 in der Rechtssache 323/82 (Intermills/Kommission, Slg. 1984, 3809,
Randnr. 35), daß die mit einem Umstrukturierungsplan verbundene Gewährung
einer Beihilfe zur Rettung eines Unternehmens nur dann mit dem Gemeinsamen
Markt unvereinbar sei, wenn sie nachweislich die Handelsbedingungen verändere.
Die Klägerin habe dies jedoch nicht dargetan.
- 58.
- Im übrigen stehe der Umstand, daß ein für die Kommission annehmbarer
Umstrukturierungsplan erst 1994 zustandegekommen sei, im vorliegenden Fall nicht
dem entgegen, daß bereits 1991 Umstrukturierungsmaßnahmen in Form einer
Kapitaleinlage ergriffen worden und 1992 mit der freiwilligen Liquidierung der
CMF Sud fortgesetzt worden seien. Das Fehlen eines Umstrukturierungsplans zum
Zeitpunkt der Kapitaleinlage habe die Kommission veranlaßt, diese Maßnahme als
Beihilfe anzusehen, die die Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 2
EG-Vertrag gerechtfertigt habe. Dagegen könne die Ungleichzeitigkeit kein
Hindernis für die Feststellung der Vereinbarkeit der fraglichen Beihilfe mit dem
Gemeinsamen Markt sein, nachdem der Umstrukturierungsplan akzeptiert worden
sei.
- 59.
- Schließlich habe die Klägerin ihr Vorbringen, die Höhe der Beihilfen stehe in
keinem angemessenen Verhältnis zu dem Umstrukturierungsbemühen, nicht belegt.
Die angefochtene Entscheidung folge vielmehr in diesem Punkt den Leitlinien für
derartige Beihilfen.
- 60.
- Die Streithelferinnen führen aus, entgegen dem Vorbringen der Klägerin ergebe
sich aus den Leitlinien betreffend Beihilfen an Unternehmen in Schwierigkeiten,
daß grundsätzlich nur ein Umstrukturierungsplan gebilligt werden könne, daß
jedoch die Beihilfen in mehreren Stufen gezahlt werden könnten. Auch könne
selbst bei Fehlen eines vorherigen Planes eine Beihilfe für mit dem Gemeinsamen
Markt vereinbar erklärt werden, wenn sie bestimmte Voraussetzungen erfülle,
darunter die Ausarbeitung eines Plans, der die Rentabilität des Unternehmens in
einer angemessenen Frist und Maßnahmen zur Verringerung der negativen
Auswirkungen auf den Wettbewerb sicherstelle. Schließlich müsse die Beihilfe
verhältnismäßig in dem Sinne sein, daß sie die Kosten der Umstrukturierung nicht
übersteigen dürfe. Die Klägerin habe nichts vorgetragen, was im vorliegenden Fall
Zweifel an der Einhaltung dieser Bedingungen hätte wecken können.
Würdigung durch das Gericht
- 61.
- Die Kommission kann sich bei der Ausübung ihres Ermessens durch Maßnahmen
wie die fraglichen Leitlinien selbst binden, sofern diese Regeln enthalten, die auf
den Inhalt der Ermessensbindung hinweisen und die nicht gegen den EG-Vertrag
verstoßen (Urteil des Gerichtshofes vom 24. März 1993 in der Rechtssache
C-313/90, CIRFS u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1125, Randnrn. 34 und 36, Urteil
des Gerichts vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache T-380/94, AIUFFASS und
AKT/Kommission, Slg. 1996, II-2169, Randnr. 57). Die angefochtene Entscheidung
ist also anhand dieser Regeln zu überprüfen.
- 62.
- Die Leitlinien fordern, daß die Umstrukturierungsbeihilfen mit einem Plan
einhergehen. Nach Absatz 3.2.2 ist die Genehmigung eines solchen Plans nur bei
Vorliegen von drei materiellen Voraussetzungen möglich: Er muß die
Wiederherstellung der Rentabilität des Unternehmens ermöglichen, unzumutbare
Wettbewerbsverfälschungen vermeiden und ein angemessenes Verhältnis der
Beihilfen zu den Kosten und Nutzen der Umstrukturierung sicherstellen. Es ist zu
prüfen, ob diese Voraussetzungen hier erfüllt sind.
- 63.
- Nach ständiger Rechtsprechung räumt Artikel 92 Absatz 3 EG-Vertrag der
Kommission ein weites Ermessen bei der Zulassung von Beihilfen unter
Abweichung von dem allgemeinen Verbot des Artikels 92 Absatz 1 ein, da die
Beurteilung der Vereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen
Markt in diesen Fällen Probleme aufwirft, die die Berücksichtigung und Bewertung
komplexer wirtschaftlicher Tatsachen und Umstände implizieren (Urteil SFEI u. a.,
a. a. O., Randnr. 36). Der Gemeinschaftsrichter muß deshalb die Nachprüfung
insoweit darauf beschränken, ob die Vorschriften über das Verfahren und die
Begründung eingehalten und die Tatsachen richtig ermittelt wurden und kein
offensichtlicher Beurteilungsfehler oder Ermessensmißbrauch vorliegt (Urteil
Skibsværftsforeningen u. a./Kommission, a. a. O., Randnr. 170). Das Gericht darf
somit nicht seine wirtschaftliche Beurteilung an die Stelle der Beurteilung der
Kommission setzen (siehe AIUFFASS und AKT/Kommission, a. a. O., Randnr. 56).
- 64.
- Zunächst weist die angefochtene Entscheidung detailliert auf mehrere Elemente
eines Umstrukturierungsplans hin, der bezweckt, die Wiederherstellung der
Rentabilität zu erreichen. Im übrigen hatten die italienischen Behörden, wie die
Kommission bereits während des Verfahrens, das zum Erlaß der angefochtenen
Entscheidung geführt hat, festgestellt hat (siehe insbesondere die Entscheidung vom
22. September 1993, S. 6) im Jahre 1992 einen Aktionsplan für die
Umstrukturierung der fraglichen Unternehmen, die freiwillige Liquidierung der
CMF Sud im Jahre 1992 und die Übertragung bestimmter in diesen Bereich
fallender Tätigkeiten dieser Firma auf die CMF angenommen.
- 65.
- Die Entscheidung zeigt nämlich deutlich (siehe die Tabelle auf S. 7), daß nach der
Umstrukturierung der CMF und der Liquidierung der CMF Sud die
Gesamtkapazität der Anlagen der beiden Unternehmen um 50 % sinken wird. Die
Kapazität der Anlagen des Kerngeschäfts der CMF allein wird um 8,5 % sinken,
nachdem die anderen Tätigkeitsbereiche aufgegeben worden sind. Prüft man diese
Angaben in Zusammenhang mit den Maßnahmen, die zugunsten der Erhöhung der
Produktivität ergriffen werden und insbesondere im Personalabbau, in der
Ersetzung veralteter Ausrüstungen und in der Übertragung der Endbearbeitung auf
Subunternehmer bestehen, so stützen sie das im übrigen von der Klägerin nicht
bestrittene Ergebnis, zu dem die Kommission hinsichtlich der Rentabilität der
CMF gekommen ist.
- 66.
- Die Klägerin macht weiter geltend, daß die Beihilfen in mehreren Stufen ausgezahlt
worden sind. Aus der bloßen Wiederholung einer Auszahlung läßt sich jedoch keine
Verletzung der Leitlinien herleiten, so daß auf die Einrede der Kommission nicht
eingegangen zu werden braucht. In Absatz 3.2.2 A der Leitlinien heißt es lediglich,
daß die Beihilfe „normalerweise“ nur einmal erforderlich sein sollte. Es handelt
sich also um eine Angabe mit Ordnungscharakter. Die angefochtene Entscheidung
erfüllt deshalb die erste in den Leitlinien aufgestellte Voraussetzung.
- 67.
- Was weiter die Vermeidung unzumutbarer Wettbewerbsverfälschungen betrifft,
bildet, wie aus der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, die Verringerung der
Kapazität der Anlagen eine annehmbare Gegenleistung für die durch die erhaltene
Beihilfe verursachten Wettbewerbsverzerrungen, da die vorgeschriebene
Verringerung vollständig in dem Sinne sein wird, daß die geschlossenen Anlagen
verschrottet oder an Nicht-Wettbewerber verkauft werden (siehe S. 10 der
angefochtenen Entscheidung).
- 68.
- Was schließlich das angemessene Verhältnis der Beihilfe zu dem erwarteten Nutzen
angeht, hat die Klägerin zunächst ihre Behauptung, diesem Erfordernis sei im
vorliegenden Fall nicht Genüge getan, nicht substantiiert. Unter den Vorteilen, die
sich unter dem Gesichtspunkt des Wettbewerbs aus der angefochtenen
Entscheidung ergeben, finden sich insbesondere die genannteKapazitätsverringerung der Anlagen und die Privatisierung der CMF. Insoweit
nimmt die angefochtene Entscheidung (vgl. S. 10) Kenntnis von der Verpflichtung
des italienischen Staates, die Privatisierung im Wege einer unbedingten
Ausschreibung durchzuführen, die es ermöglichen wird, daß sich der Preis der CMF
auf dem Markt bildet, und damit zum Verschwinden des möglicherweise
überschüssigen Teils der gewährten Beihilfe führen wird.
- 69.
- Außerdem ist das andere Unternehmen, dem die Beihilfe gewährt wurde, nämlich
die CMF Sud, in Liquidation gegangen, was, wie in der angefochtenen
Entscheidung (S. 9) ausgeführt wird und wie das Gericht bereits festgestellt hat,
eine annehmbare industrielle Gegenleistung für die erhaltenen Beihilfen darstellt,
da die Liquidation die vollständige Beseitigung der bestehenden Kapazitäten
ermöglicht.
- 70.
- Nach alledem greift der zweite Klagegrund nicht durch, da die in den Richtlinien
aufgestellten Bedingungen erfüllt sind. Die Klage ist somit abzuweisen.
Kosten
- 71.
- Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag
zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen
unterlegen ist und die Kommission sowie die Streithelferinnen beantragt haben, ihr
die Kosten aufzuerlegen, ist die Klägerin zur Tragung der Kosten des Verfahrens
einschließlich der Kosten der Streithelferinnen zu verurteilen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der
Streithelferinnen.
SaggioBriët
Kalogeropoulos
Tiili Moura Ramos
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 5. November 1997.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
A. Saggio