URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)
14. Mai 1998 (1)
„Wettbewerb Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag Begriff der einheitlichen
Zuwiderhandlung Informationsaustausch Anordnung Geldbuße
Bestimmung der Höhe Berechnungsmethode Begründung Mildernde
Umstände“
In der Rechtssache T-334/94
Sarrió SA, Gesellschaft spanischen Rechts mit Sitz in Pamplona (Spanien),
Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Antonio Creus Carreras, Barcelona, Alberto
Mazzoni, Mailand, sowie Antonio Tizzano und Gian Michele Roberti, Neapel,
Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Alain Lorang, 51, rue Albert 1er,
Luxemburg,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Richard Lyal,
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten und durch Rechtsanwalt Alberto Dal
Ferro, Vicenza, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer
Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli
1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 Karton, ABl.
L 243, S. 1)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie des Richters C. P. Briët, der
Richterin P. Lindh und der Richter A. Potocki und J. D. Cooke,
Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25.
Juni bis zum 8. Juli 1997,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
- 1.
- Die vorliegende Rechtssache betrifft die Entscheidung 94/601/EG der Kommission
vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833
Karton, ABl. L 243, S. 1), die vor ihrer Veröffentlichung durch eine Entscheidung
der Kommission vom 26. Juli 1994 (K[94] 2135 endg.) berichtigt wurde (im
folgenden: Entscheidung). In der Entscheidung wurden gegen 19 Kartonhersteller
und -lieferanten aus der Gemeinschaft wegen Verstößen gegen Artikel 85 Absatz 1
des Vertrages Geldbußen festgesetzt.
- 2.
- Gegenstand der Entscheidung ist das Erzeugnis Karton. In der Entscheidung
werden drei Kartonsorten erwähnt, die den Qualitäten „GC“, „GD“ und „SBS“
zugeordnet werden.
- 3.
- Karton der Qualität GD (im folgenden: GD-Karton) ist ein Karton mit einer
grauen unteren Lage (Altpapier), der in der Regel für die Verpackung von Non-food-Produkten verwendet wird.
- 4.
- Karton der Qualität GC (im folgenden: GC-Karton) besitzt eine obere weiße Lage
und wird gewöhnlich für die Verpackung von Nahrungsmitteln verwendet. GC-Karton ist von höherer Qualität als GD-Karton. In dem von der Entscheidung
erfaßten Zeitraum bestand zwischen diesen beiden Produkten im allgemeinen ein
Preisunterschied von etwa 30 %. In geringerem Umfang wird hochwertiger GC-Karton auch für graphische Zwecke verwendet.
- 5.
- SBS ist die Bezeichnung für durch und durch weißen Karton (im folgenden: SBS-Karton). Sein Preis liegt etwa 20 % über dem von GC-Karton. Er dient zur
Verpackung von Lebensmitteln, Kosmetika, Arzneimitteln und Zigaretten, ist aber
hauptsächlich für graphische Zwecke bestimmt.
- 6.
- Mit Schreiben vom 22. November 1990 legte die British Printing Industries
Federation (BPIF), eine Branchenorganisation der Mehrzahl der britischen
Kartonbedrucker, bei der Kommission eine informelle Beschwerde ein. Sie machte
geltend, daß die das Vereinigte Königreich beliefernden Kartonhersteller eine
Reihe gleichzeitiger und einheitlicher Preiserhöhungen vorgenommen hätten, und
ersuchte die Kommission, das Vorliegen eines Verstoßes gegen die
Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zu prüfen. Um ihr Vorgehen publik zu
machen, gab die BPIF eine Pressemitteilung heraus. Deren Inhalt wurde von der
Fachpresse im Dezember 1990 verbreitet.
- 7.
- Am 12. Dezember 1990 reichte die Fédération française du cartonnage bei der
Kommission ebenfalls eine informelle Beschwerde mit Behauptungen betreffend
den französischen Kartonmarkt ein, die ähnlich wie die BPIF-Beschwerde lautete.
- 8.
- Am 23. und 24. April 1991 nahmen Beamte der Kommission gemäß Artikel 14
Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste
Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962,
Nr. 13, S. 204), in den Geschäftsräumen verschiedener Unternehmen und
Branchenorganisationen des Kartonsektors ohne Vorankündigung gleichzeitig
Nachprüfungen vor.
- 9.
- Im Anschluß an diese Nachprüfungen richtete die Kommission an alle Adressaten
der Entscheidung Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 und
ersuchte um die Vorlage von Dokumenten.
- 10.
- Aufgrund der im Rahmen dieser Nachprüfungen und Ersuchen um Auskünfte und
Vorlage von Dokumenten erlangten Informationen kam die Kommission zu dem
Ergebnis, daß sich die betreffenden Unternehmen von etwa Mitte 1986 bis (in den
meisten Fällen) mindestens April 1991 an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages beteiligt hätten.
- 11.
- Sie beschloß daher, ein Verfahren gemäß dieser Bestimmung einzuleiten. Mit
Schreiben vom 21. Dezember 1992 richtete sie eine Mitteilung der
Beschwerdepunkte an alle fraglichen Unternehmen. Sämtliche Adressaten
antworteten darauf schriftlich. Neun Unternehmen baten um eine mündliche
Anhörung. Ihre Anhörung fand vom 7. bis zum 9. Juni 1993 statt.
- 12.
- Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Entscheidung, die folgende
Bestimmungen enthält:
„Artikel 1
Buchmann GmbH, Cascades S.A., Enso-Gutzeit Oy, Europa Carton AG, Finnboard
the Finnish Board Mills Association, Fiskeby Board AB, Gruber & Weber GmbH
& Co. KG, Kartonfabriek .De Eendracht' NV (unter der Firma BPB de
Eendracht handelnd), NV Koninklijke KNP BT NV (ehemals Koninklijke
Nederlandse Papierfabrieken NV), Laakmann Karton GmbH & Co. KG, Mo Och
Domsjö AB (MoDo), Mayr-Melnhof Gesellschaft mbH, Papeteries de Lancey S.A.,
Rena Kartonfabrik A/S, Sarrió SpA, SCA Holding Ltd (ehemals Reed Paper &
Board (UK) Ltd), Stora Kopparbergs Bergslags AB, Enso Española S.A. (früher
Tampella Española S.A.) und Moritz J. Weig GmbH & Co. KG haben gegen
Artikel 85 Absatz 1 des EG-Vertrages verstoßen, indem sie sich
im Falle von Buchmann und Rena von etwa März 1988 bis mindestens
Ende 1990,
im Falle von Enso Española von mindestens März 1988 bis mindestens
Ende April 1991 und
im Falle von Gruber & Weber von mindestens 1988 bis Ende 1990,
in den [übrigen] Fällen von Mitte 1986 bis mindestens April 1991,
an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten
Verhaltensweise beteiligten, durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft
sich regelmäßig an einer Reihe geheimer und institutionalisierter Sitzungen
zwecks Erörterung und Festlegung eines gemeinsamen Branchenplans zur
Einschränkung des Wettbewerbs trafen;
sich über regelmäßige Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder
Landeswährung verständigten;
gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte Gemeinschaft
planten und durchführten;
sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung
konstanter Marktanteile der führenden Hersteller verständigten;
in zunehmendem Maße ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur
Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die
Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen
sicherzustellen;
als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen Geschäftsinformationen
(über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und
Kapazitätsauslastung) austauschten.
...
Artikel 3
Gegen die nachstehenden Unternehmen werden für den in Artikel 1 festgestellten
Verstoß folgende Geldbußen festgesetzt:
...
xv) gegen Sarrió SpA eine Geldbuße in Höhe von 15 500 000 ECU;
...“
- 13.
- Der Entscheidung zufolge geschah die Zuwiderhandlung im Rahmen einer aus
mehreren Gruppen oder Ausschüssen bestehenden Organisation namens
„Produktgruppe Karton“ (im folgenden: PG Karton).
- 14.
- Im Rahmen dieser Organisation sei Mitte 1986 ein Ausschuß namens „Presidents'
Working Group“ (PWG) eingesetzt worden, der aus hochrangigen Vertretern der
(etwa acht) führenden Kartonlieferanten der Gemeinschaft bestanden habe.
- 15.
- Der PWG habe sich u. a. mit der Erörterung und Abstimmung der Märkte,
Marktanteile, Preise und Kapazitäten beschäftigt. Er habe insbesondere umfassende
Beschlüsse über die zeitliche Folge und die Höhe der von den Herstellern
vorzunehmenden Preiserhöhungen gefaßt.
- 16.
- Der PWG habe der „Präsidentenkonferenz“ (PK) Bericht erstattet, an der (mehr
oder weniger regelmäßig) fast alle Generaldirektoren der betreffenden
Unternehmen teilgenommen hätten. Die PK habe im maßgeblichen Zeitraum
zweimal pro Jahr getagt.
- 17.
- Ende 1987 sei das „Joint Marketing Committee“ (JMC) eingesetzt worden. Die
Hauptaufgabe des JMC habe darin bestanden, zum einen zu ermitteln, ob und,
wenn ja, wie sich Preiserhöhungen durchsetzen ließen, und zum anderen die vom
PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten Kunden im
Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in Europa zu
gelangen.
- 18.
- Schließlich habe die „Wirtschaftliche Kommission“ (WK) u. a. die Preisentwicklung
auf den nationalen Märkten und die Auftragslage erörtert und dem JMC oder bis
Ende 1987 dessen Vorgänger, dem „Marketing Committee“, über die Ergebnisse
ihrer Arbeit berichtet. Die WK habe aus Vertriebs- und/oder Verkaufsleitern der
meisten fraglichen Unternehmen bestanden und sei mehrmals pro Jahr
zusammengetreten.
- 19.
- Aus der Entscheidung geht ferner hervor, daß die Tätigkeiten der PG Karton nach
Ansicht der Kommission durch einen Informationsaustausch über die
Treuhandgesellschaft FIDES mit Sitz in Zürich (Schweiz) unterstützt wurden. In
der Entscheidung heißt es, die meisten Mitglieder der PG Karton hätten der
FIDES regelmäßig Berichte über Auftragslage, Produktion, Verkäufe und
Kapazitätsauslastung geliefert. Diese Berichte seien im Rahmen des FIDES-Systems bearbeitet worden, und die Teilnehmer hätten die zusammengefaßten
Daten erhalten.
- 20.
- Die Klägerin ist aus einer 1990 erfolgten Fusion des Kartonbereichs des führenden
italienischen Herstellers Saffa mit dem spanischen Hersteller Sarrió hervorgegangen
(Randnr. 11 der Entscheidung). 1991 erwarb die Klägerin überdies den spanischen
Hersteller Prat Carton (a. a. O.).
- 21.
- Die Klägerin wird in der Entscheidung für die gesamte Dauer der Teilnahme von
Prat Carton an dem beanstandeten Kartell verantwortlich gemacht (Randnr. 154
der Entscheidung).
- 22.
- Die Klägerin stellt hauptsächlich GD-Karton, aber auch GC-Karton her.
Verfahren
- 23.
- Mit Klageschrift, die am 14. Oktober 1994 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
- 24.
- Sechzehn der achtzehn anderen für die Zuwiderhandlung verantwortlich gemachten
Unternehmen haben ebenfalls Klage gegen die Entscheidung erhoben
(Rechtssachen T-295/94, T-301/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94,
T-311/94, T-317/94, T-319/94, T-327/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94,
T-352/94 und T-354/94).
- 25.
- Die Klägerin in der Rechtssache T-301/94, die Laakmann Karton GmbH, hat ihre
Klage mit Schreiben, das am 10. Juni 1996 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß vom 18. Juli 1996 in der
Rechtssache T-301/94 (Laakmann Karton/Kommission, nicht in der amtlichen
Sammlung veröffentlicht) ist diese Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen
worden.
- 26.
- Vier finnische Unternehmen, die als Mitglieder der Wirtschaftsvereinigung
Finnboard gesamtschuldnerisch für die Zahlung der gegen diese festgesetzten
Geldbuße haftbar gemacht wurden, haben ebenfalls gegen die Entscheidung geklagt
(verbundene Rechtssachen T-339/94, T-340/94, T-341/94 und T-342/94).
- 27.
- Schließlich hat der Verband CEPI-Cartonboard, der nicht zu den Adressaten der
Entscheidung gehört, Klage erhoben. Er hat sie jedoch mit Schreiben, das am 8.
Januar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch
Beschluß vom 6. März 1997 in der Rechtssache T-312/94 (CEPI-Cartonboard/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ist diese
Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.
- 28.
- Mit Schreiben vom 5. Februar 1997 hat das Gericht die Parteien zu einer
informellen Sitzung geladen, in der sie sich u. a. zu einer etwaigen Verbindung der
Rechtssachen T-295/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94, T-311/94, T-317/94,
T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94, T-352/94 und
T-354/94 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung äußern sollten. In dieser
Sitzung, die am 29. April 1997 stattfand, haben sich die Parteien mit einer solchen
Verbindung einverstanden erklärt.
- 29.
- Mit Beschluß vom 4. Juni 1997 hat der Präsident der Dritten erweiterten Kammer
des Gerichts die genannten Rechtssachen wegen ihres Zusammenhangs gemäß
Artikel 50 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung
verbunden und einem Antrag der Klägerin in der vorliegenden Rechtssache auf
vertrauliche Behandlung stattgegeben.
- 30.
- Mit Beschluß vom 20. Juni 1997 hat er einem Antrag der Klägerin in der
Rechtssache T-337/94 auf vertrauliche Behandlung eines in Beantwortung einer
schriftlichen Frage des Gerichts vorgelegten Dokuments stattgegeben.
- 31.
- Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer)
beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und hat prozeßleitende
Maßnahmen getroffen, indem es die Parteien ersucht hat, einige schriftliche Fragen
zu beantworten und bestimmte Dokumente vorzulegen. Die Parteien sind diesen
Ersuchen nachgekommen.
- 32.
- Die Parteien in den in Randnummer 28 genannten Rechtssachen haben in der
Sitzung, die vom 25. Juni bis zum 8. Juli 1997 stattfand, mündlich verhandelt und
Fragen des Gerichts beantwortet.
Anträge der Parteien
- 33.
- Die Klägerin beantragt,
die Entscheidung für nichtig zu erklären;
hilfsweise, zum einen Artikel 2 und zum anderen Artikel 3 der
Entscheidung, soweit darin gegen sie eine Geldbuße von 15 500 000 ECU
festgesetzt wird, für nichtig zu erklären;
höchst hilfsweise, diese Geldbuße herabzusetzen;
der Beklagten die Kosten aufzuerlegen.
- 34.
- Die Kommission beantragt,
die Klage abzuweisen;
der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung
A Zum Klagegrund eines in der Verletzung von Verteidigungsrechten bestehenden
Verfahrens- und Formfehlers
Vorbringen der Parteien
- 35.
- Die Klägerin macht geltend, ihre Verteidigungsrechte seien dadurch verletzt
worden, daß die Kommission (in Randnr. 79 der Entscheidung) zum Nachweis der
Zuwiderhandlung ein Schriftstück herangezogen habe, das bei den im April 1991
vorgenommenen Nachprüfungen bei Finnboard (UK) Ltd gefunden worden sei (im
folgenden: Finnboard-Preisliste). Dieses Schriftstück sei ihr erst am 28. April 1994
und somit lange nach der Einreichung ihrer Antwort auf die Mitteilung der
Beschwerdepunkte und nach der Anhörung vor der Kommission übersandt worden.
Wegen dieser ungerechtfertigten Verzögerung habe sie nicht zur tatsächlichen
Bedeutung des Schriftstücks, zu dem Kontext, in dem es verfaßt worden sei, und
zu den von der Kommission aus ihm gezogenen Schlüssen Stellung nehmen können
(vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76,
Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461). Die Verletzung ihrer Rechte sei
auch durch die Übermittlung des Schriftstücks am 28. April 1994 nicht geheilt
worden.
- 36.
- Die Kommission entgegnet, daß der Klägerin das fragliche Schriftstück mit einem
Begleitschreiben vom 28. April 1994 übersandt worden sei, in dem der Inhalt des
Schriftstücks und die von der Kommission aus ihm gezogenen Schlüsse umfassend
erläutert worden seien. Da der Klägerin im Schreiben vom 28. April 1994
außerdem die Möglichkeit eröffnet worden sei, etwaige Bemerkungen schriftlich
vorzubringen, hätte sie sich rechtzeitig zur Beweiskraft des fraglichen Schriftstücks
äußern können (vgl. Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der
Rechtssache T-4/89, BASF/Kommission, Slg. 1991, II-1523, Randnr. 36).
Würdigung durch das Gericht
- 37.
- Die Kommission erlangte die Finnboard-Preisliste bei ihren Nachprüfungen in den
Geschäftsräumen von Finnboard (UK) Ltd im April 1991; diese Liste wurde der
Klägerin mit einem Erläuterungsschreiben sechzehn Monate nach der Übersendung
der Beschwerdepunkte übermittelt.
- 38.
- Nach der Rechtsprechung des Gerichts ist Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung
Nr. 17 in Verbindung mit den Artikeln 2 und 4 der Verordnung Nr. 99/63/EWG
der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze (1)
und (2) der Verordnung Nr. 17 des Rates (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268) zu
entnehmen, daß die Kommission die Beschwerdepunkte, die sie gegen die
betroffenen Unternehmen und Vereinigungen erhebt, mitteilen muß und daß sie
in ihren Entscheidungen nur die Beschwerdepunkte berücksichtigen darf, zu denen
diese Stellung nehmen konnten (Urteil vom 23. Februar 1994 in den Rechtssachen
T-39/92 und T-40/92, CB und Europay/Kommission, Slg. 1994, II-49, Randnr. 47).
- 39.
- Außerdem erfordert es die Wahrung der Verteidigungsrechte in einem Verfahren,
das zu Sanktionen der in Rede stehenden Art führen kann, daß den betroffenen
Unternehmen und Unternehmensvereinigungen bereits während des
Verwaltungsverfahrens Gelegenheit gegeben wird, zum Vorliegen und zur
Erheblichkeit der von der Kommission angeführten Tatsachen, Rügen und
Umstände gebührend Stellung zu nehmen (Urteil Hoffmann-La
Roche/Kommission, Randnr. 11, und Urteil des Gerichts vom 18. Dezember 1992
in den Rechtssachen T-10/92, T-11/92, T-12/92 und T-15/92, Cimenteries CBR
u. a./Kommission, Slg. 1992, II-2667, Randnr. 39).
- 40.
- Im vorliegenden Fall ist durch die Übermittlung des fraglichen Schriftstücks kein
neuer, in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht enthaltener Beschwerdepunkt
erhoben worden. Aus dem Begleitschreiben zur Finnboard-Preisliste geht nämlich
klar hervor, daß diese nur als zusätzlicher Beweis für einen gemeinsamen Plan zur
Preisfestsetzung angesehen wurde; dieser Beschwerdepunkt war bereits in der
Mitteilung der Beschwerdepunkte eingehend behandelt worden.
- 41.
- Der Klägerin wurde jedenfalls im Begleitschreiben ausdrücklich Gelegenheit
gegeben, während des Verwaltungsverfahrens innerhalb einer Frist von zehn Tagen
zu diesem Beweismittel Stellung zu nehmen. Unter diesen Umständen hat die
Kommission die Klägerin nicht daran gehindert, sich rechtzeitig zur Beweiskraft des
übermittelten Schriftstücks zu äußern (vgl. Urteil des Gerichtshofes Hoffmann-La
Roche/Kommission, Randnr. 11, und Urteil des Gerichtshofes vom 25. Oktober
1983 in der Rechtssache 107/82, AEG/Kommission, Slg. 1983, 3151, Randnr. 27).
- 42.
- Folglich ist der vorliegende Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.
B Begründetheit
Zum Klagegrund des Fehlens einer Abstimmung der tatsächlichen Verkaufspreise und
des Vorliegens eines Verstoßes gegen die Begründungserfordernisse
Vorbringen der Parteien
- 43.
- Die Klägerin räumt ihre Beteiligung an einer Abstimmung der angekündigten
Preise ein, bestreitet aber, daß sich die Abstimmung auf die tatsächlichen
Verkaufspreise erstreckt habe. Zur Stützung ihres Vorbringens beruft sie sich außer
auf die ihren Schriftsätzen beigefügten Unterlagen, die zeigten, daß die
tatsächlichen Verkaufspreise den angekündigten Preisen nicht gefolgt seien, auf die
Verhandlungsmacht jedes Kunden, die Entwicklung der Nachfrage und der
Herstellungskosten sowie die speziellen Merkmale des Kartonmarkts, insbesondere
die Regelmäßigkeit der Ankündigung von Preiserhöhungen und die hohe
Markttransparenz.
- 44.
- Die Kommission habe sich nicht klar dazu geäußert, ob ihrer Ansicht nach nicht
nur die angekündigten Preise, sondern auch die tatsächlichen Verkaufspreise
aufeinander abgestimmt worden seien. Entgegen dem Vorbringen der Kommission
sei die Unterscheidung zwischen diesen beiden Formen der Abstimmung aber
wegen ihrer unterschiedlichen Wirkungen von erheblicher Bedeutung (vgl. Urteil
des Gerichtshofes vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85,
C-114/85, C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85, Ahlström Osakeyhtiö
u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1307). In ihrer Erwiderung trägt die Klägerin vor, die
Unklarheiten hinsichtlich des Gegenstands der Abstimmung stellten für sich
genommen einen Verstoß gegen die Erfordernisse der Begründung und
Genauigkeit von Entscheidungen dar, mit denen eine Verletzung der
Wettbewerbsregeln festgestellt werde. Dieser Verstoß führe folglich zu einer
schweren Beeinträchtigung der legitimen Verteidigungsrechte.
- 45.
- Die Kommission hält es für nicht nachvollziehbar, wie die Klägerin zugleich
einräumen könne, an einer Abstimmung der Preise teilgenommen zu haben, und
geltend machen könne, daß die vorgenommenen Preiserhöhungen nicht das
Ergebnis dieser Abstimmung gewesen seien. In der Entscheidung (insbesondere in
den Randnrn. 72 bis 102) werde sowohl auf Schriftstücke Bezug genommen, die die
Abstimmung für jede im Rahmen des Kartells angekündigte Erhöhung belegten,
als auch auf Schriftstücke, mit denen die einzelnen Hersteller die fragliche
Erhöhung tatsächlich angekündigt hätten.
- 46.
- Die Unterscheidung zwischen einer Abstimmung der angekündigten Preise und
einer Abstimmung der tatsächlichen Verkaufspreise sei im vorliegenden Fall
unerheblich. Die Abstimmung im Rahmen des PWG und des JMC habe nicht nur
die angekündigten Preise betroffen, sondern auch die Entscheidungen über
regelmäßige Preiserhöhungen für jede Produktart und über die Durchführung
dieser gleichzeitigen Erhöhungen in der gesamten Gemeinschaft (vgl. die in den
Randnrn. 74 bis 90, 92 und 94 bis 96 der Entscheidung genannten schriftlichen
Beweise).
- 47.
- Darüber hinaus könne angesichts der Belege für eine Abstimmung im Rahmen der
Ausschüsse, an denen die Klägerin teilgenommen habe, unmöglich behauptet
werden, daß die Preisankündigungen die Ungewißheit der einzelnen Unternehmen
über das Verhalten ihrer Konkurrenten nicht beseitigt hätten und daß die Klägerin
die Preiserhöhungen unabhängig von der Abstimmung vorgenommen habe (vgl.
Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-1/89, Rhône-Poulenc/Kommission, Slg. 1991, II-867, Randnrn. 122 und 123).
Würdigung durch das Gericht
- 48.
- Gemäß Artikel 1 der Entscheidung haben die in dieser Bestimmung genannten
Unternehmen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich
im Referenzzeitraum an einer Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise
beteiligten, durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft u. a. „sich über
regelmäßige Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder Landeswährung
verständigten“ und „gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte
Gemeinschaft planten und durchführten“.
- 49.
- Die Klägerin räumt ein, in den vier Gremien der PG Karton mitgewirkt zu haben,
und bestreitet weder in ihren Schriftsätzen noch in ihren Antworten auf die vom
Gericht während der Verhandlung gestellten Fragen, daß sie sich ab 1988 an einer
Abstimmmung der angekündigten Preise beteiligte.
- 50.
- Bevor auf das Vorbringen der Klägerin eingegangen wird, daß sich die Abstimmung
nicht auf die tatsächlichen Verkaufspreise erstreckt habe, ist zu prüfen, ob die
Kommission in der Entscheidung wirklich geltend gemacht hat, daß sich die
Abstimmung auf diese Preise erstreckt habe.
- 51.
- Hierzu ist erstens festzustellen, daß Artikel 1 der Entscheidung keine Angaben
darüber enthält, welcher Preis Gegenstand der abgestimmten Erhöhungen war.
- 52.
- Zweitens geht aus der Entscheidung nicht hervor, daß die Hersteller nach Ansicht
der Kommission einheitliche tatsächliche Verkaufspreise festgelegt hatten oder
auch nur festlegen wollten. Insbesondere die Randnummern 101 und 102 der
Entscheidung, die den „Auswirkungen der abgestimmten Preisinitiativen auf das
Preisniveau“ gewidmet sind, zeigen, daß die Kommission davon ausgegangen ist,
daß die Preisinitiativen die Listenpreise betrafen und eine Erhöhung der
tatsächlichen Verkaufspreise herbeiführen sollten. Dort heißt es u. a.: „Selbst wennalle Hersteller entschlossen waren, die volle Preiserhöhung durchzusetzen,
bedeutete die für die Kunden bestehende Möglichkeit, auf eine billigere Qualität
oder Sorte auszuweichen, daß die Hersteller unter Umständen ihren angestammten
Kunden bestimmte Terminzugeständnisse machen oder zusätzliche Anreize in Form
von Mengenrabatten oder Skonti für Großaufträge geben mußten, um bei ihnen
die volle Basis-Preiserhöhung durchsetzen zu können. Eine Preiserhöhung käme
damit erst nach einer gewissen Zeit voll zum Tragen“ (Randnr. 101 Absatz 6).
- 53.
- Aus der Entscheidung ergibt sich somit, daß die Kommission das Ziel der
Preisabsprache zwischen den Herstellern darin sah, daß die abgestimmten
Erhöhungen der angekündigten Preise zu einer Erhöhung der tatsächlichen
Verkaufspreise führten. Insoweit ist Randnummer 101 Absatz 1 der Entscheidung
zu entnehmen, daß „sich die Hersteller nicht darauf [beschränkten], die
vereinbarten Preiserhöhungen anzukündigen, sondern ... mit wenigen
Ausnahmen auch alles [taten], um sicherzustellen, daß sie bei den Kunden
durchgesetzt wurden“. Die Situation im vorliegenden Fall unterscheidet sich somit
von der, die der Gerichtshof im Urteil Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission
geprüft hat, da die Kommission in der vorliegenden Entscheidung im Gegensatz zu
der Entscheidung, die zum letztgenannten Urteil führte, nicht geltend macht, daß
die Unternehmen eine unmittelbare Abstimmung der tatsächlichen Verkaufspreise
vorgenommen hätten.
- 54.
- Diese Analyse der Entscheidung wird durch die von der Kommission vorgelegten
Schriftstücke bestätigt.
- 55.
- Insbesondere enthält Anlage 109 der Mitteilung der Beschwerdepunkte einen
Bericht über die Sitzung des JMC vom 16. Oktober 1989, in dem es u. a. heißt:
„d) Holland
...
Große Probleme bei den Großabnehmern, insbesondere Imca, wo Cascades
und Van Duffel noch verrückte Preise machen und sowohl KNP als auch
den Finnen das Leben schwer machen.
...
...
f) Belgien
Ähnliche Lage wie in Holland. Finnboard hatte bei Van Genechten die
Preiserhöhung bereits durch, mußte aber auf Grund von Zugeständnissen
aus Belgien (Cascades) erneut zu einem Gespräch. Man wird hart bleiben
und erwartet dies von Beghin, Cascades und von KNP ebenso.
...
h) Italien
Saffa hat größte Probleme mit Importpreisen von Kopparfors, Finnboard
und auch Cascades.
Lieferungen bei Saffa sind stark zurückgegangen, die Importe haben stark
zugenommen.
Saffa appelliert an die Importeure, unbedingt die ausgegebenen
Preisrichtlinien einzuhalten.“
- 56.
- Aus diesem Schriftstück geht klar hervor, daß die Hersteller zwar generell damit
einverstanden waren, daß jeder von ihnen seine tatsächlichen Verkaufspreise mit
seinen Kunden aushandelt, daß aber jeder Hersteller und insbesondere die in der
obigen Anlage ausdrücklich erwähnte Klägerin von den Konkurrenten erwartete,
daß die von ihnen verlangten tatsächlichen Verkaufspreise den vereinbarten Preisen
zumindest in dem Sinne entsprachen, daß die individuellen Verhandlungen den
vereinbarten Erhöhungen der Listenpreise nicht die Wirkung nehmen durften.
- 57.
- Im übrigen hat die Klägerin in der Verhandlung eingeräumt, daß die angekündigten
Preise als Grundlage für die Aushandlung der tatsächlichen Verkaufspreise mit den
Kunden gedient hätten; dies bestätigt, daß letztlich die Erhöhung der tatsächlichen
Verkaufspreise angestrebt wurde. Ohnehin wäre die Festlegung einheitlicher, von
den Herstellern vereinbarter Listenpreise ohne jede Bedeutung, wenn diese Preise
im Endeffekt keine Auswirkung auf die tatsächlichen Verkaufspreise haben sollten.
- 58.
- Dem Vorbringen der Klägerin, daß die Unklarheiten hinsichtlich des Gegenstands
der Abstimmung für sich genommen eine Verletzung der Begründungserfordernisse
darstellten, steht entgegen, daß Artikel 1 der Entscheidung keine Angaben darüber
enthält, welcher Preis Gegenstand der Absprache war.
- 59.
- In einer solchen Situation ist der verfügende Teil der Entscheidung nach ständiger
Rechtsprechung im Licht ihrer Gründe zu verstehen (vgl. z. B. Urteil des
Gerichtshofes vom 16. Dezember 1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73,
54/73, 55/73, 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Suiker Unie u. a./Kommission, Slg.
1975, 1663, Randnrn. 122 bis 124).
- 60.
- Im vorliegenden Fall hat die Kommission nach alledem in den
Begründungserwägungen der Entscheidung hinreichend erläutert, daß sich die
Abstimmung auf die Listenpreise bezog und auf eine Erhöhung der tatsächlichen
Verkaufspreise abzielte.
- 61.
- Folglich ist der Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.
Zum Klagegrund der mangelnden Teilnahme an einem Kartell zum Einfrieren der
Marktanteile und zur Angebotskontrolle
Vorbringen der Parteien
- 62.
- Dieser Klagegrund besteht aus drei Teilen.
- 63.
- Im ersten Teil des Klagegrundes macht die Klägerin geltend, die Kommission habe
keine Beweise für das Vorliegen einer Absprache über das Einfrieren der
Marktanteile oder einer Absprache über die Angebotskontrolle. Selbst wenn man
davon ausgehe, daß rechtlich hinreichende Beweise für diese Absprachen vorlägen,
habe die Kommission die Teilnahme der Klägerin an solchen Absprachen nicht
bewiesen. Insbesondere seien mehrere Anlagen der Mitteilung der
Beschwerdepunkte, auf die sich die Kommission in der Entscheidung gestützt habe,
ohne Beweiswert.
- 64.
- Erstens beweise Anlage 73, eine Aktennotiz von Mayr-Melnhof, nur die
Preisabsprache, erläutere die Folgen einer rigorosen Preispolitik und belege, daß
die Klägerin auf Mayr-Melnhof keinen Druck ausgeübt habe, um diese von einer
Erhöhung ihrer Marktanteile durch Senkung ihrer Preise abzuhalten. Insoweit sei
auf die von Mayr-Melnhof in ihrem Schreiben vom 23. September 1991 (Anlage 75
der Mitteilung der Beschwerdepunkte) gegebenen Erläuterungen zu verweisen.
- 65.
- Zweitens betreffe Anlage 102, ein Vermerk von Rena, ein Treffen des Nordic
Paperboard Institute (NPI), dem die Klägerin nicht angehört habe.
- 66.
- Drittens könnten die Aussagen von Stora für sich genommen keine ausreichenden
Beweise darstellen. Außerdem habe Stora mehrfach auf die relative
Eigenständigkeit hingewiesen, über die die einzelnen Unternehmen u. a. hinsichtlich
der Produktionsmengen und des Zeitpunkts für das Abstellen der Anlagen verfügt
hätten (vgl. Randnrn. 57, 59, 60, 69, 70 und 71 der Entscheidung). Die Aussagen
von Stora bestätigten im übrigen, daß kein System zur Kontrolle eines etwaigen
Mengenkartells geschaffen worden sei. Das Fehlen eines Systems zur Kontrolle der
Mengenentwicklung zeige eindeutig, daß es insoweit kein Kartell gegeben habe.
Darüber hinaus stellten die Aussagen von Stora nur deren persönliche Meinung
zum Interesse an der Ergreifung von Maßnahmen zur Kontrolle der Produktions-
und Verkaufsmengen dar.
- 67.
- Im zweiten Teil des Klagegrundes macht die Klägerin geltend, die Entwicklung der
Marktanteile der einzelnen Unternehmen zeige, daß es keine Absprache über das
Einfrieren der Marktanteile gegeben habe oder daß sie, selbst wenn eine
Absprache zwischen bestimmten Unternehmen erfolgt sein sollte, daran jedenfalls
nicht teilgenommen habe.
- 68.
- In bezug auf die allgemeine Entwicklung der Marktanteile weist sie darauf hin, daß
einige Hersteller, darunter Iggesund (MoDo) und Mayr-Melnhof, im fraglichen
Zeitraum erhebliche neue Kapazitäten in Betrieb genommen hätten.
- 69.
- Ferner sei ihr eigener Gesamtanteil am Gemeinschaftsmarkt von 14,3 % im Jahr
1987 auf 11,7 % im Jahr 1990 zurückgegangen. Ein solcher Rückgang sei nicht mit
der Behauptung der Kommission vereinbar, daß sie an einem Kartell zum
Einfrieren der Marktanteile der verschiedenen Hersteller teilgenommen habe. Der
Rückgang des Gesamtanteils von Prat Carton am Gemeinschaftsmarkt um etwa
9 % zwischen 1987 und 1990 belege ebenfalls, daß keine Beteiligung an einer
Absprache über das Einfrieren der Marktanteile erfolgt sei.
- 70.
- Im dritten Teil des Klagegrundes führt die Klägerin aus, auch ihr Verhalten
hinsichtlich der Produktionsunterbrechungen und der Ausfuhren auf
außereuropäische Märkte entspreche nicht den Behauptungen der Kommission.
- 71.
- Die Kommission vertritt zum ersten Teil des Klagegrundes die Ansicht, daß die von
ihr angeführten Beweismittel, insbesondere die Aussagen von Stora (Anlagen 39
und 43 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) und die Anlagen 73 und 102 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte, zum Nachweis des Vorliegens eines Kartells zum
Einfrieren der Marktanteile und zur Angebotskontrolle sowie der Teilnahme der
Klägerin an diesen Bestandteilen des Kartells völlig ausreichten.
- 72.
- Hinsichtlich des zweiten Teils des Klagegrundes weist sie darauf hin, daß sie sich
auf schriftliche Beweise für ein Kartell zum Einfrieren der Marktanteile gestützt
habe, und macht geltend, das Vorbringen der Klägerin zur Entwicklung der
Marktanteile der einzelnen Unternehmen sei daher nicht erheblich für die Frage,
ob es ein solches Kartell gegeben habe. Außerdem werde in der Entscheidung
ausdrücklich eingeräumt, daß sich die Marktanteile einzelner Unternehmen
allmählich verändert hätten, da sie jedes Jahr neu ausgehandelt worden seien
(Randnrn. 60 und 131 der Entscheidung). Im übrigen verbiete Artikel 85 Kartelle,
die eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckten oder bewirkten, unabhängig
vom Ausmaß des erzielten Erfolges.
- 73.
- Entgegen dem Vorbringen der Klägerin zur Entwicklung ihrer eigenen Marktanteile
habe die Zuwiderhandlung den gesamten Gemeinschaftsmarkt betroffen. Die
Klägerin habe dem PWG angehört, in dem die Erörterungen der Marktanteile
stattgefunden hätten. 1989 sei das geschäftsführende Verwaltungsratsmitglied von
Saffa sogar zum Vizepräsidenten der PG Karton ernannt worden.
- 74.
- Schließlich gebe es für die Behauptung der Klägerin, daß sie sich stets autonom
verhalten habe, keinen Beweis. Außerdem würde selbst ein Verstoß der Klägerin
gegen das Kartell nichts an der begangenen Zuwiderhandlung ändern (vgl. Urteil
Rhône-Poulenc/Kommission).
- 75.
- Zum dritten Teil des Klagegrundes trägt die Kommission vor, Stora habe in Anlage
39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte bestätigt, daß der PWG ein System
geschaffen und eingeführt habe, um das Gleichgewicht wiederherzustellen und die
Produktion zu kontrollieren, damit die Preise konstant blieben. Daß die Marktlage
oder das planmäßige Funktionieren des Kartells dazu geführt hätten, daß die
Klägerin nach eigenen Angaben nicht auf abgestimmte
Produktionsunterbrechungen habe zurückgreifen müssen, habe deshalb weder
Einfluß auf ihre Verantwortlichkeit noch auf ihre Beteiligung am Kartell zur
Kontrolle der Marktanteile und Mengen.
Würdigung durch das Gericht
1. Zum Vorliegen einer Absprache über das Einfrieren der Marktanteile und
einer Absprache über die Angebotskontrolle
- 76.
- Zum ersten Teil des Klagegrundes ist darauf hinzuweisen, daß nach Artikel 1 der
Entscheidung die in dieser Bestimmung genannten Unternehmen gegen Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages verstoßen haben, indem sie sich im Referenzzeitraum an
einer Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die die
Kartonanbieter in der Gemeinschaft „sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen
über die Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller
verständigten“ und „in zunehmendem Maße ab Anfang 1990 abgestimmte
Maßnahmen zur Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die
Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen“.
- 77.
- Nach Ansicht der Kommission wurden diese beiden Formen von Absprachen, die
in der Entscheidung unter der Überschrift „Mengenkontrollen“ behandelt werden,
im Referenzzeitraum von den Teilnehmern an den Sitzungen des PWG eingeführt.
Aus Randnummer 37 Absatz 3 der Entscheidung geht nämlich hervor, daß der
eigentliche Auftrag des PWG nach der Darstellung von Stora „die Erörterung und
Abstimmung der Märkte, Marktanteile, Preise, Preiserhöhungen und Kapazitäten“
umfaßte.
- 78.
- Zur Rolle des PWG bei der Absprache über die Marktanteile wird in der
Entscheidung (Randnr. 37 Absatz 5) folgendes ausgeführt: „Im Zusammenhang mit
den Preiserhöhungsinitiativen führte der PWG ausführliche Diskussionen über die
Marktanteile, die die nationalen Gruppierungen und einzelne Herstellergruppen
in Westeuropa innehaben. Das Ergebnis waren eine Reihe von .Vereinbarungen'
zwischen den Teilnehmern über ihre jeweiligen Marktanteile, die sicherstellen
sollten, daß die konzertierten Preisinitiativen nicht durch ein die Nachfrageüberschreitendes Angebot gefährdet werden. So einigten sich die großen
Herstellergruppen darauf, ihre Marktanteile auf den Niveaus zu belassen, wie sie
aus den jährlichen Produktions- und Verkaufszahlen resultierten, die jeweils im
März des darauffolgenden Jahres über die FIDES bekanntgegeben wurden. Auf
jeder PWG-Sitzung wurde die Entwicklung der Marktanteile auf der Grundlage der
monatlichen FIDES-Meldungen analysiert; bei größeren Schwankungen wurden von
den vermuteten Schuldigen Erklärungen verlangt.“
- 79.
- In Randnummer 52 der Entscheidung heißt es: „Die 1987 im PWG erzielte
Vereinbarung umfaßte auch ein .Einfrieren' der Marktanteile der führenden
Hersteller in Westeuropa auf dem erreichten Niveau, ohne daß Versuche
unternommen wurden, neue Kunden zu gewinnen oder durch aggressive
Preispolitik bestehende Geschäftsbeziehungen auszubauen.“
- 80.
- Nach Randnummer 56 Absatz 1 der Entscheidung bestand die „Grundvereinbarung
zwischen den führenden Herstellern über das Einfrieren ihrer Marktanteile ...
während des gesamten von der vorliegenden Entscheidung erfaßten Zeitraums
weiter“. In Randnummer 57 heißt es: „Die .Entwicklung der Marktanteile' wurde
auf jeder PWG-Sitzung auf der Grundlage vorläufiger Statistiken analysiert ...“
Schließlich wird in Randnummer 56 letzter Absatz folgendes ausgeführt: „Die
Unternehmen, die an den Beratungen über die Marktanteile teilnahmen, waren die
gleichen wie die Mitglieder des PWG, nämlich Cascades, Finnboard, KNP (bis
1988), [Mayr-Melnhof], MoDo, Sarrió, die beiden zur Stora-Gruppe gehörenden
Hersteller CBC und Feldmühle und (ab 1988) Weig.“
- 81.
- Die Kommission hat das Vorliegen einer Absprache der Teilnehmer an den
Sitzungen des PWG über die Marktanteile ordnungsgemäß nachgewiesen.
- 82.
- Die Analyse der Kommission beruht im wesentlichen auf den Aussagen von Stora
(Anlagen 39 und 43 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) und wird durch Anlage
73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte bestätigt.
- 83.
- In Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte erläutert Stora: „Der PWG trat
ab 1986 zusammen, um bei der Einführung von Marktdisziplin zu helfen ... Neben
anderen (legitimen) Tätigkeiten bestand sein Zweck in der Erörterung und
Abstimmung hinsichtlich der Märkte, Marktanteile, Preise, Preiserhöhungen,
Nachfrage und Kapazität. Zu seiner Rolle gehörte es, die genaue Angebots- und
Nachfragesituation auf dem Markt sowie die beim Versuch, Ordnung in den Markt
zu bringen, zu treffenden Maßnahmen zu beurteilen und der Präsidentenkonferenz
zu erläutern.“
- 84.
- Zur Absprache über die Marktanteile führt Stora aus: „Die von nationalen
Gruppen in EG-, EFTA- und anderen Ländern, die von Mitgliedern der PG Karton
beliefert wurden, übernommenen Anteile wurden im PWG geprüft ... [Der PWG]
erörterte ... die Möglichkeit, die Marktanteile auf dem Niveau des Vorjahrs zu
halten“ (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 19). Ferner gab
sie folgendes an (gleiches Dokument, Punkt 6): „Auch die europäischen
Marktanteile der Hersteller wurden in diesem Zeitraum erörtert, wobei das Niveau
von 1987 den ersten Referenzzeitraum darstellte.“
- 85.
- In ihrer am 14. Februar 1992 übersandten Antwort auf ein Ersuchen der
Kommission vom 23. Dezember 1991 (Anlage 43 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte) fügte Stora hinzu: „Die Verständigungen der PWG-Mitglieder
über das Niveau der Marktanteile bezogen sich auf Europa als Ganzes. Die
Verständigungen beruhten auf den Gesamtzahlen des Vorjahrs, die in der Regel
im März des Folgejahrs endgültig verfügbar waren“ (Punkt 1.1).
- 86.
- Diese Behauptung wird im selben Dokument mit folgenden Worten bestätigt:
„[D]ie Erörterungen [führten] in der Regel im März jeden Jahres zu
Verständigungen zwischen den Mitgliedern des PWG über die Beibehaltung ihrer
Marktanteile auf dem Niveau des Vorjahrs“ (Punkt 1.4). Stora führt aus: „Es
wurden keine Maßnahmen getroffen, um die Einhaltung der Verständigungen
sicherzustellen ...“ Den Teilnehmern an den Sitzungen des PWG sei bewußt
gewesen, „daß, wenn sie sich auf bestimmten von anderen belieferten Märkten
ungewöhnlich verhielten, diese anderen auf anderen Märkten Vergeltung üben
könnten“ (gleicher Punkt).
- 87.
- Schließlich erklärt Stora, daß Saffa an den Erörterungen der Marktanteile
teilgenommen habe (Punkt 1.2).
- 88.
- Die Behauptungen von Stora hinsichtlich der Absprache über die Marktanteile
werden durch Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte untermauert. Dieses
bei FS-Karton gefundene Schriftstück ist eine vertrauliche Aktennotiz des für die
Verkaufsaktivitäten der Mayr-Melnhof-Gruppe in Deutschland zuständigen
Verkaufsleiters (Herrn Katzner) an den Geschäftsführer von Mayr-Melnhof in
Österreich (Herrn Gröller) vom 28. Dezember 1988, die die Marktsituation betrifft.
- 89.
- Nach diesem in den Randnummern 53 bis 55 der Entscheidung behandelten
Schriftstück gab es bei der 1987 beschlossenen engeren Zusammenarbeit im
„Präsidentenkreis“ „Gewinner und Verlierer“. Der Verfasser der Aktennotiz zählt
Mayr-Melnhof u. a. aus folgenden Gründen zu den Verlierern:
„2.) Eine Einigung konnte nur durch unsere .Bestrafung' erzielt werden man
verlangte von uns .Opfer'.
3.) Die 1987-Marktanteile sollten .eingefroren', die bestehenden Kontakte
beibehalten und keine neuen Aktivitäten und Sorten über den Preis
gewonnen werden (im Januar 1989 wird sich ja das Resultat zeigen wenn
alle ehrlich sind).“
- 90.
- Diese Ausführungen sind im allgemeineren Kontext der Aktennotiz zu sehen.
- 91.
- Insoweit verweist ihr Verfasser einleitend auf die engere Zusammenarbeit auf
europäischer Ebene im „Präsidentenkreis“. Dieser Ausdruck ist nach der Auslegung
von Mayr-Melnhof eine gemeinsame Bezeichnung für PWG und PK in allgemeinem
Zusammenhang, d. h. ohne Bezugnahme auf ein bestimmtes Ereignis oder Treffen
(Anlage 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 2.a); diese Auslegung
braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht erörtert zu werden.
- 92.
- Der Verfasser führt sodann aus, daß diese Zusammenarbeit zu „Preisdisziplin“
geführt habe, bei der es „Gewinner und Verlierer“ gegeben habe.
- 93.
- Folglich sind die Ausführungen zu den auf dem Niveau von 1987 einzufrierenden
Marktanteilen im Kontext dieser vom „Präsidentenkreis“ beschlossenen
Preisdisziplin zu verstehen.
- 94.
- Außerdem steht die Verweisung auf 1987 als Referenzjahr mit der zweiten Aussage
von Stora (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte; siehe oben, Randnr.
84) im Einklang.
- 95.
- Zur Rolle des PWG bei der Absprache über die Lieferkontrolle, die durch die
Prüfung der Abstellzeiten der Maschinen gekennzeichnet war, heißt es in der
Entscheidung, daß der PWG bei der Durchsetzung der Abstellzeiten eine
entscheidende Rolle gespielt habe, als ab 1990 die Produktionskapazität
zugenommen habe und die Nachfrage gesunken sei: „Von Anfang 1990 an [hielt
es] die Branche ... für erforderlich ..., sich im Rahmen des PWG über Abstellzeiten
zu verständigen. Die großen Hersteller räumten ein, daß sie die Nachfrage nicht
durch Preissenkungen steigern konnten und daß die Aufrechterhaltung der vollen
Produktion lediglich einen Preisrückgang bewirken würde. Theoretisch ließ sich
anhand der Kapazitätsberichte errechnen, wie lange die Maschinen abgestellt
werden mußten, um Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht zu bringen“
(Randnr. 70 der Entscheidung).
- 96.
- Ferner heißt es in der Entscheidung: „Der PWG wies jedoch nicht formell jedem
Hersteller seine .Abstellzeiten' zu. Laut Stora bestanden praktische
Schwierigkeiten, einen koordinierten Plan für Abstellzeiten für alle Hersteller
aufzustellen. Aus diesen Gründen bestand laut Stora nur .ein loses System der
Ermutigung'“ (Randnr. 71 der Entscheidung).
- 97.
- Die Kommission hat das Vorliegen einer Absprache der Teilnehmer an den
Sitzungen des PWG über die Produktionsunterbrechungen hinreichend
nachgewiesen.
- 98.
- Die von ihr vorgelegten Unterlagen stützen ihre Analyse.
- 99.
- In ihrer zweiten Aussage (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt
24) führt Stora aus: „Mit der Einführung der Preis-vor-Menge-Politik durch den
PWG und der allmählichen Anwendung eines einheitlichen Preissystems ab 1988
erkannten die Mitglieder des PWG an, daß Abstellzeiten erforderlich sein würden,
um diese Preise angesichts geringerer Nachfragesteigerung zu halten. Ohne
Abstellzeiten hätten die Hersteller vereinbarte Preisniveaus angesichts
zunehmender Überkapazität nicht halten können.“
- 100.
- Im folgenden Punkt ihrer Erklärung fügt sie hinzu: „1988 und 1989 konnte die
Industrie mit nahezu voller Kapazität arbeiten. Abstellzeiten neben der normalen
Schließung wegen Reparaturen und Feiertagen wurden ab 1990 erforderlich ...
Schließlich waren Abstellzeiten nötig, wenn der Auftragseingang stockte, um die
Preis-vor-Menge-Politik aufrechtzuerhalten. Die Länge der von den Herstellern (zur
Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Verbrauch)
einzuhaltenden Abstellzeit konnte anhand der Kapazitätsberichte errechnet werden.
Der PWG nahm keine formelle Zuweisung von Abstellzeiten vor, obwohl ein loses
System der Ermutigung bestand ...“
- 101.
- Die in Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte vom Verfasser genannten
Gründe dafür, daß er Mayr-Melnhof bei Abfassung der Aktennotiz als „Verlierer“
ansah, stellen wichtige Beweise für das Vorliegen einer Absprache der Teilnehmer
an den Sitzungen des PWG über die Abstellzeiten dar.
- 102.
- Der Verfasser stellt nämlich folgendes fest:
„4.) Und an dieser Stelle beginnt die unterschiedliche Auffassung der Beteiligten
über das Gewollte.
...
c) Alle Außendienstler und europäischen Vertreter wurden von ihren
Mengenbudgets entbunden, und es wurde eine fast lückenlose, harte
Preispolitik vertreten (die Mitarbeiter verstanden oftmals unsere
geänderte Einstellung zum Markt nicht früher wurde nur Tonnage
gefordert und jetzt nur Preisdisziplin mit der Gefahr, die Maschinen
abzustellen).“
- 103.
- Mayr-Melnhof macht geltend (Anlage 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte),
daß der oben wiedergegebene Abschnitt einen unternehmensinternen Sachverhalt
betreffe. Bei einer Analyse im allgemeineren Kontext der Aktennotiz läßt dieser
Auszug jedoch erkennen, daß auf der Ebene des Verkaufspersonals eine im
„Präsidentenkreis“ beschlossene rigorose Politik durchgesetzt wurde. Das
Schriftstück ist somit dahin auszulegen, daß die Teilnehmer an der Vereinbarung
von 1987, d. h. zumindest die Teilnehmer an den Sitzungen des PWG, unbestreitbar
die Folgen der beschlossenen Politik für den Fall erwogen haben, daß diese rigoros
angewandt wird.
- 104.
- Der Umstand, daß die Hersteller bei der Vorbereitung der Preiserhöhungen die
Prüfung der Abstellzeiten erörterten, wird u. a. durch Notizen von Rena vom 6.
September 1990 (Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) bestätigt, in
denen der Umfang der Preiserhöhungen in mehreren Ländern, die Zeitpunkte der
künftigen Ankündigungen dieser Erhöhungen sowie die in Arbeitstagen
ausgedrückten Auftragsbestände mehrerer Hersteller erwähnt werden.
- 105.
- Der Verfasser des Schriftstücks vermerkt, daß einige Hersteller Abstellzeiten
vorsähen, die er z. B. wie folgt aufführt:
„Kopparfors 5 15 days
5/9 will stop for five days“
- 106.
- Aus alledem ist zu schließen, daß der Kommission der Beweis für das Vorliegen
einer Absprache der Teilnehmer an den Sitzungen des PWG über die Marktanteile
sowie einer Absprache dieser Unternehmen über die Abstellzeiten rechtlich
gelungen ist. Da die Klägerin unstreitig an den Sitzungen des PWG teilnahm und
da sie im hauptsächlichen Belastungsmaterial (den Aussagen von Stora und Anlage
73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) ausdrücklich erwähnt wird, hat die
Kommission sie zu Recht für eine Teilnahme an diesen beiden Absprachen zur
Verantwortung gezogen.
- 107.
- Die Einwände der Klägerin gegen die Aussagen von Stora und Anlage 73 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte, mit denen der Beweiswert dieser Unterlagen in
Abrede gestellt wird, sind nicht geeignet, diese Feststellung zu entkräften.
- 108.
- Zunächst steht hinsichtlich der wiederholten Aussagen von Stora gegenüber der
Kommission fest, daß sie von einem der Unternehmen stammen, die an der geltend
gemachten Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sein sollen, und daß sie eineeingehende Beschreibung der Art der Erörterungen in den Gremien der PG
Karton, des von den ihr angehörenden Unternehmen verfolgten Zieles sowie der
Teilnahme dieser Unternehmen an den Sitzungen ihrer verschiedenen Gremien
enthalten. Da dieses zentrale Beweismittel durch andere Aktenstücke bestätigt
wird, stellt es eine stichhaltige Stütze des Vorbringens der Kommission dar.
- 109.
- Sodann vertritt die Klägerin in bezug auf Anlage 73 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte die Ansicht, diese belege nur eine Abstimmung der Preise, da
die darin erwähnten Veränderungen bei den Verkäufen nur als Folge der
Preispolitik angesehen würden. Sie beruft sich insoweit auf die Auslegung dieses
Schriftstücks durch Mayr-Melnhof (Anlage 75 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte).
- 110.
- Diese Analyse der Klägerin hält jedoch einer Auslegung anhand des Kontextes des
Schriftstücks nicht stand und läßt sich auch nicht auf dessen Auslegung durch Mayr-Melnhof stützen.
- 111.
- Nach Anlage 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte stellt Anlage 73 „einen
allgemeinen Lagebericht des Verkaufsleiters von FS-Karton gegenüber der
Konzernleitung dar, welcher nichts weiter ist wie der Versuch, ein Zurückbleiben
der Umsatzentwicklung bei FS-Karton gegenüber der Konzernleitung zu
rechtfertigen, und zwar im wesentlichen mit der neuen Geschäftspolitik, die die
Tochterunternehmen auf absolute Preisdisziplin auch unter Inkaufnahme von
Umsatzverlusten verpflichtete“. Im übrigen bedeutete nach Angaben von Mayr-Melnhof „Einfrieren der Marktanteile“, „daß zur Erzielung eines höheren
Preisniveaus innerhalb der Mayr-Melnhof-Karton-Gruppe nicht versucht werden
sollte, höhere Marktanteile durch den Absatz zusätzlicher Mengen über neue
Kunden oder neue Sorten zu nicht kostendeckenden Preisen zu gewinnen.
Zielvorstellung war vielmehr, trotz höherer Preise die vorhandenen
Kundenbeziehungen zu halten.“
- 112.
- Diese allgemeinen Erwägungen sind aber nicht mit der einleitenden Bezugnahme
auf den „Präsidentenkreis“ vereinbar, in deren Licht das gesamte Schriftstück zu
verstehen ist.
- 113.
- Da die in Anlage 73 enthaltenen Angaben zum „Einfrieren“ der Marktanteile und
zur Kontrolle des Angebots den Angaben in den Aussagen von Stora entsprechen,
hat die Kommission zu Recht angenommen, daß diese Schriftstücke insgesamt
gesehen die Existenz einer Willensübereinstimmung belegen, die über eine bloße
Abstimmung der Preise hinausging.
- 114.
- Da die Kommission das Vorliegen der beiden fraglichen Absprachen nachgewiesen
hat, brauchen die Einwände der Klägerin gegen Anlage 102 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte nicht geprüft zu werden.
2. Zum tatsächlichen Verhalten der Klägerin
- 115.
- Auch dem zweiten und dem dritten Teil des Klagegrundes, wonach das tatsächliche
Verhalten der Unternehmen nicht den Behauptungen der Kommission zum
Vorliegen der beiden streitigen Absprachen entspreche, kann nicht gefolgt werden.
- 116.
- Erstens darf die Existenz von Absprachen der Mitglieder des PWG über die beiden
Aspekte der „Preis-vor-Menge“-Politik nicht mit deren Durchführung verwechselt
werden. Die von der Kommission vorgelegten Beweise haben nämlich ein solches
Gewicht, daß Informationen über das tatsächliche Marktverhalten der Klägerin
keinen Einfluß auf die Ergebnisse haben können, zu denen die Kommission
hinsichtlich des Vorliegens von Absprachen über die beiden Aspekte der streitigen
Politik gelangt ist. Die Behauptungen der Klägerin könnten allenfalls als Beleg
dafür dienen, daß ihr Verhalten nicht dem entsprach, was die dem PWG
angehörenden Unternehmen vereinbart hatten.
- 117.
- Zweitens stehen die Ergebnisse, zu denen die Kommission gelangt ist, nicht im
Widerspruch zu den von der Klägerin erteilten Auskünften. Die Kommission räumt
ausdrücklich ein, daß die Absprache über die Marktanteile „kein formelles System
von Strafen oder Kompensationsmaßnahmen, um die in der Frage der Marktanteile
erzielte Einigung durchzusetzen,“ einschloß und daß die Marktanteile einzelner
großer Hersteller von Jahr zu Jahr wuchsen (vgl. insbesondere Randnrn. 59 und 60
der Entscheidung). Außerdem räumt die Kommission ein, daß die Industrie bis
Anfang 1990 mit voller Kapazitätsauslastung arbeitete, so daß bis dahin praktisch
keine Abstellzeiten notwendig wurden (Randnr. 70 der Entscheidung).
- 118.
- Drittens ist nach ständiger Rechtsprechung die Tatsache, daß sich ein
Unternehmen den Ergebnissen von Sitzungen mit offensichtlich
wettbewerbsfeindlichem Gegenstand nicht beugt, nicht geeignet, es von seiner
vollen Verantwortlichkeit für seine Teilnahme am Kartell zu entlasten, wenn es sich
nicht offen vom Inhalt der Sitzungen distanziert hat (vgl. z. B. Urteil des Gerichts
vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-141/89, Tréfileurope/Kommission, Slg.
1995, II-791, Randnr. 85). Selbst wenn man annimmt, daß das Marktverhalten der
Klägerin nicht dem vereinbarten Verhalten entsprach, ändert dies somit nichts an
ihrer Verantwortlichkeit für eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des
Vertrages.
Zum Klagegrund eines Fehlers der Kommission hinsichtlich der Dauer der
Preisabstimmung
Vorbringen der Parteien
- 119.
- Die Klägerin macht geltend, daß eine Abstimmung der angekündigten Preise
zumindest in bezug auf sie erst ab 1988 erfolgt sei. Die Preiserhöhung im
Vereinigten Königreich im Januar 1987 sei nur eine natürliche Reaktion der
Hersteller angesichts der Schwäche der britischen Währung gegenüber den anderen
europäischen Währungen gewesen, und der einheitliche Charakter dieser Erhöhung
sei die Folge der Transparenz des Marktes. Es sei den Wirtschaftsteilnehmern nicht
untersagt, ihr Verhalten dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer
Konkurrenten anzupassen (Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, a. a. O.). Im
übrigen bewiesen weder die Anlagen 44 und 61 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte noch das Dokument A-17-2 die Abstimmung der Preise durch
die Unternehmen. Sie beträfen jedenfalls nicht die Klägerin.
- 120.
- Als Zeitpunkt der Beendigung der Preisabstimmung habe die Kommission fälschlich
April 1991 angesehen; die Ankündigung der letzten abgestimmten Preiserhöhung
sei aber im September/Oktober 1990 erfolgt.
- 121.
- Die Kommission weist darauf hin, daß die Klägerin seit der Schaffung des PWG
und des JMC an deren Sitzungen teilgenommen und ihnen auch 1991 noch
angehört habe. Die in den Geschäftsräumen eines der betroffenen Unternehmen
gefundenen Unterlagen zeigten zwar, daß Ende 1987 eine Vereinbarung über die
beiden miteinander verbundenen Fragen der Mengenkontrolle und der
Preisdisziplin getroffen worden sei (Randnr. 53 der Entscheidung); dies schließe
jedoch nicht aus, daß die fraglichen Hersteller vor dieser Zeit eine Reihe geheimer
Sitzungen durchgeführt hätten, um einen Plan zur Ausschaltung des Wettbewerbs
zu erörtern (vgl. u. a. Randnr. 161 der Entscheidung). Die Anlagen 35 und 43 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte bestätigten dies. Die Richtigkeit ihrer
Schlußfolgerungen zur Dauer der Zuwiderhandlung werde auch durch die von den
Herstellern seit 1987 vorgenommenen Preiserhöhungen bestätigt.
Würdigung durch das Gericht
- 122.
- Gemäß Artikel 1 der Entscheidung hat die Klägerin gegen Artikel 85 Absatz 1 des
Vertrages verstoßen, indem sie sich von Mitte 1986 bis mindestens April 1991 an
einer Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligte, durch die sich
die Kartonanbieter in der Gemeinschaft u. a. über Erhöhungen der Kartonpreise
verständigten und gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte
Gemeinschaft planten und durchführten. In Randnummer 74 der Entscheidung wird
ausgeführt, daß die erste abgestimmte Preisinitiative, an der die Klägerin teilnahm
(Anlage A der Entscheidung), Ende 1986 im Vereinigten Königreich stattfand,
„[w]ährend der neue Mechanismus der PG Karton noch nicht voll funktionierte“.
- 123.
- In Randnummer 161 Absatz 2 der Entscheidung wird im übrigen festgestellt, daß
die meisten Adressaten der Entscheidung ab Juni 1986 an der Zuwiderhandlung
teilgenommen hätten, d. h. ab dem Zeitpunkt, zu dem „der PWG eingesetzt wurde
und die Absprachen zwischen den Herstellern sich intensivierten und wirksamer zu
werden begannen“.
- 124.
- Zur Stützung ihres Einwands hinsichtlich des Beginns der Preisabstimmung zieht
die Klägerin die Beweiskraft der Anlagen 61 und 44 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte sowie des Dokuments A-17-2 in Zweifel.
- 125.
- Anlage 61 der Mitteilung der Beschwerdepunkte ist eine beim Verkaufsagenten von
Mayr-Melnhof im Vereinigten Königreich gefundene Notiz. Nach Ansicht der
Kommission handelt es sich um eine „interne Notiz über eine
Präsidentenkonferenz“, die eine „Bestätigung für die Aussage von Stora, daß in der
Präsidentenkonferenz tatsächlich über Preisabsprachen geredet wurde, liefert“
(Randnrn. 41 Absatz 3 und 75 Absatz 2 der Entscheidung).
- 126.
- Dieses Schriftstück, das sich auf eine Sitzung in Wien am 12. und 13. Dezember
1986 bezieht, enthält folgende Angaben:
„Preisfestsetzung VK
An der letzten FIDES-Sitzung nahm der Vertreter von Weig teil, der erklärte, daß
sie 9 % für das VK für zu hoch halten und sich mit 7 % zufriedengeben!! Große
Enttäuschung, da dies eine .Verhandlungsmarge' für alle anderen signalisiert. Die
Preispolitik im VK bleibt RHU mit Unterstützung durch [Mayr-Melnhof]
überlassen, selbst wenn dies eine vorübergehende Verringerung der Tonnage
bedeutet, während wir versuchen (und dies auch deutlich machen), auf 9 % zu
kommen. [Mayr-Melnhof/FS] behalten eine Wachstumspolitik im VK bei, aber der
Rückgang der Erträge ist ernst, und wir müssen kämpfen, um die Kontrolle über
die Preisfestsetzung zurückzugewinnen. [Mayr-Melnhof] räumt ein, daß es nicht
hilfreich ist, daß sie bekanntermaßen ihre Tonnage in Deutschland um 6 000 erhöht
haben!“
- 127.
- Bei der „FIDES-Sitzung“, auf die am Anfang des Zitats Bezug genommen wird,
handelt es sich nach Angaben von Mayr-Melnhof (Antwort auf ein
Auskunftsverlangen, Anlage 62 der Mitteilung der Beschwerdepunkte)
wahrscheinlich um das Treffen der PK am 10. November 1986.
- 128.
- Das analysierte Schriftstück zeigt, daß Weig mit Angaben über ihre künftige
Preispolitik im Vereinigten Königreich auf das ursprüngliche Ausmaß einer
Preiserhöhung reagierte.
- 129.
- Es kann jedoch nicht als Beweis dafür angesehen werden, daß Weig auf ein
bestimmtes Ausmaß einer Preiserhöhung reagierte, das zwischen den der PG
Karton angehörenden Unternehmen vor dem 10. November 1986 vereinbart
worden war.
- 130.
- Die Kommission beruft sich nämlich insoweit auf kein anderes Beweismittel.
Außerdem kann die Bezugnahme von Weig auf eine Preiserhöhung um „9 %“
damit zu erklären sein, daß Thames Board Ltd am 5. November 1986 eine
Preiserhöhung im Vereinigten Königreich ankündigte (Anlage A-12-1). Diese
Ankündigung wurde innerhalb kurzer Zeit publik gemacht, wie aus einem
Pressebericht hervorgeht (Anlage A-12-3). Schließlich hat die Kommission kein
anderes Schriftstück vorgelegt, das einen unmittelbaren Beweis dafür darstellen
könnte, daß die Preiserhöhungen auf Sitzungen der PK erörtert wurden. Unter
diesen Umständen ist nicht auszuschließen, daß die in Anlage 61 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte wiedergegebenen Äußerungen von Weig am Rand der Sitzung
der PK vom 10. November 1986 fielen, wie Weig in der mündlichen Verhandlung
wiederholt geltend gemacht hat.
- 131.
- Im übrigen bestätigt die von der Kommission in der Entscheidung (Randnr. 74
Absatz 3) herangezogene Niederschrift einer Vorstandssitzung von Feldmühle (UK)
Ltd am 7. November 1986 (Anlage A-17-2) lediglich, daß dieser britischen
Tochtergesellschaft von Feldmühle die Ankündigung einer Preiserhöhung um etwa
9 % durch Thames Board Ltd vor dem 10. November 1986 bekannt war: „TBM
and the Fins have announced price increases of approximately 9 % to be effective
from February 1987 and it would appear that most other mills will be looking for
the same sort of increase“ [„TBM und die Finnen haben Preiserhöhungen von
annähernd 9 % für Februar 1987 angekündigt. Die meisten anderen Werke
erwägen offensichtlich eine Preisanhebung im gleichen Umfang.“] (Anlage A-17-2,
zitiert von der Kommission in Randnr. 74 der Entscheidung).
- 132.
- In bezug auf Anlage 44 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, eine handschriftliche
Eintragung im Terminkalender eines Angestellten von Feldmühle auf den Seiten
für den 15. bis 17. Januar 1987, vertritt die Kommission die Auffassung, daß sie
einen „weiteren Beweis für eine Absprache“ darstelle (Randnr. 75 Absatz 3 der
Entscheidung).
- 133.
- Diese Eintragung hat jedoch nicht den ihr von der Kommission beigemessenen
Beweiswert. Aus ihr geht nicht hervor, welche Sitzung darin protokolliert wird, so
daß nicht auszuschließen ist, daß es sich um eine interne Sitzung des UnternehmensFeldmühle handelte. Da die Eintragung vermutlich Mitte Januar 1987
vorgenommen wurde, beweist sie außerdem nicht, daß die Durchsetzung der
Preiserhöhung, „incl. TBM“, das Ergebnis einer Abstimmung war, da diese Angabe
eine bloße Feststellung sein kann.
- 134.
- Einige Angaben in der Eintragung sprechen sogar gegen die Behauptung der
Kommission, daß diese Eintragung das Vorliegen einer Absprache über die
Entscheidung belege, die Preise im Vereinigten Königreich anzuheben.
Insbesondere kann die Bemerkung, daß der Direktor von Feldmühle „Skepsis“
gegenüber Kopparfors gezeigt und Mayr-Melnhof beschuldigt habe, „ohne
Verantwortung“ zu handeln, nicht als Stütze für die These der Kommission
angesehen werden. Gleiches gilt für die Bemerkung: „Finnboard: Preisautonomie
auch f. Tako“.
- 135.
- Nach alledem hat die Kommission nicht nachgewiesen, daß sich die Unternehmen
über die Erhöhung der Preise im Vereinigten Königreich im Januar 1987
verständigt haben, und erst recht nicht, daß die Klägerin an Erörterungen dieser
Frage beteiligt war.
- 136.
- Dennoch ist die Klägerin in ihrer Eigenschaft als Unternehmen, das wie sie selbst
eingeräumt hat seit der Schaffung des PWG Mitte 1986 an den Sitzungen dieses
Gremiums der PG Karton teilnahm, für eine Preisabsprache ab diesem Zeitpunkt
zur Verantwortung zu ziehen.
- 137.
- Der PWG wurde nämlich von einigen Unternehmen, zu denen die Klägerin
gehörte, mit im wesentlichen wettbewerbsfeindlicher Absicht geschaffen. Wie Stora
erläutert hat (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 8), trat der
PWG „ab 1986 zusammen, um bei der Einführung von Marktdisziplin zu helfen“,
und sein Zweck bestand u. a. in der „Erörterung und Abstimmung hinsichtlich der
Märkte, Marktanteile, Preise, Preiserhöhungen und Kapazitäten“ (Anlage 35 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 5 iii).
- 138.
- Die Rolle der in diesem Gremium vertretenen Unternehmen bei den Absprachen
über die Marktanteile und die Abstellzeiten ist im vorangegangenen Klagegrund
beschrieben worden (siehe oben, Randnrn. 78 bis 106). Die in diesem Gremium
vertretenen Unternehmen haben auch Preisinitiativen erörtert. Nach Angaben von
Stora (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 10) gelangte der
PWG ab 1987 „zu einer Einigung und traf umfassende Beschlüsse sowohl über den
Zeitplan ... als auch über die Höhe der von den Kartonherstellern vorzunehmenden
Preiserhöhungen“.
- 139.
- Die Bereitschaft zur Schaffung eines Gremiums, dessen wettbewerbsfeindlicher
Zweck, der u. a. in der Erörterung künftiger Preiserhöhungen bestand, den
Unternehmen bei seiner Gründung bekannt war und von ihnen gebilligt wurde, und
zur Teilnahme an den Sitzungen dieses Gremiums stellt somit einen hinreichenden
Grund für die Annahme dar, daß die Klägerin für eine Preisabsprache ab Mitte
1986 dem Zeitpunkt, ab dem die Klägerin eine Beteiligung am PWG eingeräumt
hat verantwortlich ist.
- 140.
- Als Zeitpunkt der Beendigung der Preisabstimmung hat die Kommission zu Recht
April 1991 angesehen, den Monat, in dem Beamte der Kommission in den
Geschäftsräumen verschiedener Unternehmen Nachprüfungen gemäß Artikel 14
der Verordnung Nr. 17 vornahmen. Die letzte, von der Klägerin im Oktober 1990
angekündigte abgestimmte Preiserhöhung wurde nämlich ab Januar 1991
durchgeführt, und die von den Unternehmen vereinbarte Höhe der Listenpreise
hatte sich im April 1991 noch nicht geändert.
- 141.
- Folglich ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.
Zum Klagegrund eines Fehlers der Kommission hinsichtlich der Dauer des Kartells
zum Einfrieren der Marktanteile und zur Angebotskontrolle
Vorbringen der Parteien
- 142.
- Die Klägerin trägt vor, selbst wenn ein Kartell zum Einfrieren der Marktanteile
und zur Angebotskontrolle als erwiesen angesehen würde, habe die Kommission
einen Fehler bei der Beurteilung seiner Dauer gemacht, da die von ihr angeführten
Beweismittel zeigten, daß vor Ende 1988 kein Kartell bestanden habe. In ihrer
Erwiderung fügt sie hinzu, der eine Sitzung des NPI am 3. Oktober 1988
betreffende Vermerk von Rena in Anlage 102 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte belege, daß es bei seiner Abfassung kein solches Kartell
gegeben habe, denn der Verfasser erwähne dort nur die Möglichkeit der Prüfung
einer Kontrolle des Angebots für den Fall, daß es Schwierigkeiten bei den Preisen
gebe.
- 143.
- Die Kommission verweist auf ihr Vorbringen im Rahmen des Klagegrundes eines
Fehlers hinsichtlich der Dauer der Preisabstimmung (siehe oben, Randnr. 121).
Würdigung durch das Gericht
- 144.
- Wie das Gericht bereits festgestellt hat (siehe oben, Randnrn. 78 bis 106), hat die
Kommission nachgewiesen, daß die im PWG vertretenen Unternehmen zum einen
an einer Absprache über die Marktanteile und zum anderen an einer Absprache
über die Abstellzeiten teilnahmen.
- 145.
- Aus der Entscheidung geht hervor, daß die Teilnehmer an den Sitzungen des PWG
Ende 1987 mit der speziellen Erörterung des „Einfrierens“ der Marktanteile und
der Prüfung der Abstellzeiten begannen, um den Erfolg der ab 1988 ergriffenen
Preisinitiativen sicherzustellen (vgl. insbesondere die Randnrn. 51 bis 60). Hierzu
heißt es in der Entscheidung: „Alle Mitglieder des PWG setzten sich dafür ein, daß
die neuen Preisinitiativen nicht durch spürbare Erhöhungen in den
Verkaufsmengen unterlaufen wurden. Diese Politik wurde von Stora mit der
Formel .Preis vor Menge' bezeichnet“ (Randnr. 51 Absatz 1). Die Kommission
kam ferner zu dem Schluß, daß die für die PG Karton von Ende 1987 bis April
1991 charakteristische „Preis-vor-Menge“-Politik u. a. durch das „.Einfrieren' der
Marktanteile der führenden Hersteller, ursprünglich auf der Grundlage der 1987
erreichten Positionen“, und die „Koordinierung der .Abstellzeiten' durch die
führenden Hersteller anstelle einer Reduzierung der Preise (hauptsächlich ab
1990)“ gekennzeichnet gewesen sei (Randnr. 130 Absatz 2).
- 146.
- Diese Behauptungen der Kommission stützen sich im wesentlichen auf die Anlagen
39 und 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte.
- 147.
- In dem Schriftstück in Anlage 39 (Punkt 5) führt Stora aus: „Verbunden mit der
Preisinitiative von 1987 war das Erfordernis, ein annäherndes Gleichgewicht
zwischen Produktion und Verbrauch aufrechtzuerhalten (Preis-vor-Menge-Politik).“
- 148.
- Hinsichtlich des Beginns der Absprache über die Marktanteile geht aus Anlage 73
der Mitteilung der Beschwerdepunkte hervor (siehe oben, Randnr. 89), daß der
„Präsidentenkreis“ beschlossen hatte, ab Oktober oder November 1987 enger
zusammenzuarbeiten. Das Ergebnis dieser Zusammenarbeit war eine Absprache
über die Marktanteile ab diesem Zeitpunkt.
- 149.
- Hinsichtlich des Beginns der Absprache über die Abstellzeiten führt Stora aus: „Mit
der Einführung der Preis-vor-Menge-Politik durch den PWG und der allmählichen
Anwendung eines einheitlichen Preissystems ab 1988 erkannten die Mitglieder des
PWG an, daß Abstellzeiten erforderlich sein würden, um diese Preise angesichts
geringerer Nachfragesteigerung zu halten. Ohne Abstellzeiten hätten die Hersteller
vereinbarte Preisniveaus angesichts zunehmender Überkapazität nicht halten
können“ (Anlage 39, Punkt 24).
- 150.
- Sie fügt hinzu: „1988 und 1989 konnte die Industrie mit nahezu voller Kapazität
arbeiten. Abstellzeiten neben der normalen Schließung wegen Reparaturen und
Feiertagen wurden ab 1990 erforderlich ... Schließlich waren Abstellzeiten nötig,
wenn der Auftragseingang stockte, um die Preis-vor-Menge-Politik
aufrechtzuerhalten“ (Anlage 39, Punkt 25).
- 151.
- Damit hat die Kommission nachgewiesen, daß die an den Sitzungen des PWG
teilnehmenden Unternehmen Ende 1987 eine „Preis-vor-Menge“-Politik einführten
und daß einer der Aspekte dieser Politik eine Absprache über die Marktanteile
mit sofortiger Wirkung angewandt wurde, während der die Abstellzeiten
betreffende Aspekt erst ab 1990 tatsächlich angewandt werden mußte.
- 152.
- Nach alledem ist der Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.
Zum Klagegrund eines Fehlers der Kommission bei der Beurteilung des
Informationsaustauschsystems der FIDES
- 153.
- In ihrer Erwiderung macht die Klägerin geltend, das Informationsaustauschsystem
der FIDES sei nicht zur Förderung aufeinander abgestimmten Verhaltens geeignet
gewesen und verstoße daher nicht gegen Artikel 85 des Vertrages. Es gebe
erhebliche Unterschiede zwischen dem vorliegenden Sachverhalt und dem, der zur
Entscheidung 87/1/EWG der Kommission vom 2. Dezember 1986 betreffend ein
Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/31.128 Fettsäuren, ABl. 1987, L 3,
S. 17) geführt habe, auf die sich die Kommission in Randnummer 134 der
Entscheidung berufe.
- 154.
- Die Kommission weist in ihrer Gegenerwiderung auf die Gründe hin, aus denen sie
auf die genannte Fettsäuren-Entscheidung Bezug genommen habe. Sie trägt vor,
im vorliegenden Fall habe das Informationsaustauschsystem das Kartell zumindest
erleichtert.
- 155.
- Nach Artikel 48 § 2 Absatz 1 der Verfahrensordnung können neue Angriffs- und
Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es
sei denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst
während des Verfahrens zutage getreten sind.
- 156.
- Der Klagegrund eines Fehlers der Kommission bei der Beurteilung des
Informationsaustauschsystems der FIDES ist von der Klägerin erstmals in der
Erwiderung geltend gemacht worden und wird nicht auf rechtliche oder tatsächliche
Gründe gestützt, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind.
- 157.
- Folglich ist dieser Klagegrund unzulässig.
Zum Klagegrund eines Fehlers der Kommission, der darin bestehen soll, daß sie eine
einheitliche und globale Zuwiderhandlung angenommen und die Klägerin dafür in
vollem Umfang verantwortlich gemacht habe
Vorbringen der Parteien
- 158.
- Die Klägerin wendet sich gegen die Vorgehensweise der Kommission, die zum
einen vom Vorliegen einer einheitlichen Zuwiderhandlung und zum anderen von
der vollen Verantwortlichkeit der Klägerin ausgegangen sei.
- 159.
- Erstens habe sich die Kommission im wesentlichen auf eine „Schuldvermutung“
gestützt, da sie nicht über unmittelbare Beweise für ein umfassendes Kartell
verfüge. Die Kommission müsse jedoch nachweisen, ob und, wenn ja, in welchem
Umfang die Klägerin an jedem einzelnen Bestandteil einer einheitlichen
Zuwiderhandlung mitgewirkt habe. Bei Zuwiderhandlungen gegen das
gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht gelte der Grundsatz rein individueller
Verantwortlichkeit, da der Gedanke einer kollektiven Verantwortlichkeit
namentlich mit dem quasi-strafrechtlichen Charakter der Sanktionen unvereinbar
sei, die wegen solcher Zuwiderhandlungen verhängt werden könnten. Folglich
mache die Kommission zu Unrecht geltend, daß die aktive Beteiligung der Klägerin
an jedem einzelnen Bestandteil der Zuwiderhandlung nicht nachgewiesen zu
werden brauche. Es sei vielmehr erforderlich, sowohl das genaue Wesen der
begangenen Zuwiderhandlung zu ermitteln als auch die individuelle Beteiligung
jedes Unternehmens zu prüfen, um die individuelle Verantwortlichkeit und somit
die angemessene individuelle Sanktion richtig bestimmen zu können.
- 160.
- Zweitens verstoße es auch gegen die tragenden Grundsätze des
Gemeinschaftsrechts und insbesondere den Grundsatz der Beweislastverteilung,
wenn die individuelle Verantwortlichkeit eines Unternehmens für eine
Zuwiderhandlung auf seine bloße Zugehörigkeit zu einem Verband gestützt werde,
der zumindest teilweise rechtmäßige Tätigkeiten ausübe.
- 161.
- Drittens habe die Kommission die besondere Stellung der Klägerin auf dem Markt
sowie in der PG Karton nicht gebührend berücksichtigt. Die Klägerin habe sich
1986 vor allem deshalb bemüht, in den Kreis der Teilnehmer an den Treffen der
PG Karton aufgenommen zu werden, um sich gegen ihre Konkurrenten besser zur
Wehr setzen zu können.
- 162.
- Die Kommission trägt vor, sie habe nachgewiesen, daß das Kartell bestanden und
daß die Klägerin als führende Kraft aktiv an ihm mitgewirkt habe. Sie habe ihre
Analyse folglich auf präzise und gut untermauerte Tatsachen gestützt, und die aus
einer „kollektiven Verantwortlichkeit“ oder einer „Schuldvermutung“ abgeleiteten
Argumente der Klägerin entbehrten der Grundlage.
- 163.
- Im übrigen habe sie die Verantwortlichkeit der Klägerin keineswegs nur aus ihrer
Eigenschaft als Mitglied der PG Karton abgeleitet. In Wirklichkeit habe sie sichzum einen auf die aktive Teilnahme der Klägerin an den Sitzungen der
verschiedenen Ausschüsse der PG Karton mit wettbewerbswidrigem Ziel und zum
anderen auf die Tatsache gestützt, daß sich die Klägerin letztlich die auf diesen
Sitzungen vereinbarten Verhaltensweisen zu eigen gemacht habe.
Würdigung durch das Gericht
- 164.
- Nach den Feststellungen der Kommission hat die Klägerin gegen Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich von Mitte 1986 bis mindestens
April 1991 an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten
Verhaltensweise mit mehreren Bestandteilen beteiligte.
- 165.
- In Randnummer 116 Absatz 3 der Entscheidung heißt es: „Das Belastende des
Verstoßes liegt in einem mehrere Jahre dauernden Zusammengehen der Hersteller
bei einem gemeinsamen gesetzwidrigen Vorhaben nach einem gemeinsamen Plan.“
Diese Sichtweise der Zuwiderhandlung kommt auch in Randnummer 128 zum
Ausdruck: „Es wäre jedoch ein künstliches Unterfangen, wollte man eindeutig
kontinuierliches gemeinsames Vorgehen mit ein und demselben Gesamtziel in
verschiedene getrennte Verstöße unterteilen; siehe das bereits zitierte Urteil des
Gerichts erster Instanz in der Rechtssache T-13/89, Imperial Chemical Industries
gegen Kommission, Entscheidungsgrund 260.“
- 166.
- Auch wenn die Kommission in der Entscheidung nicht ausdrücklich auf den Begriff
„einheitliche Zuwiderhandlung“ zurückgegriffen hat, hat sie sich somit implizit auf
diesen Begriff bezogen, wie die Verweisung auf Randnummer 260 des Urteils des
Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-13/89 (ICI/Kommission, Slg.
1992, II-1021) belegt.
- 167.
- Außerdem kommt in der wiederholten Verwendung des Wortes „Kartell“ zur
Erfassung der verschiedenen festgestellten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen
eine globalisierende Sichtweise der Verstöße gegen Artikel 85 Absatz 1 des
Vertrages zum Ausdruck. Wie sich aus Randnummer 117 der Entscheidung ergibt,
vertritt die Kommission nämlich folgende Ansicht: „Das richtige Vorgehen besteht
in einem Fall wie dem vorliegenden darin, zuerst das Vorliegen und das
Funktionieren sowie die herausragenden Merkmale des Kartells als Ganzes zu
ermitteln und dann zu bestimmen, a) ob es glaubwürdige und überzeugende
Nachweise gibt, um jeden einzelnen Hersteller mit dem gemeinsamen Plan in
Verbindung zu bringen, und b) für welche Zeit jeder Hersteller teilnahm ...“ Sie
fügt hinzu (ebenfalls Randnr. 117): „Die Kommission ... ist nicht gehalten, die
verschiedenen Verstoßbestandteile aufzuspalten, indem jede einzelne Gelegenheit
während der Existenz des Kartells, bei der ein Konsens über die eine oder andere
Frage erzielt wurde, oder jedes einzelne Beispiel eines abgesprochenen Verhaltens
identifiziert und dann ein nicht durch direkten Beweis der Teilnahme überführter
Hersteller von der Teilnahme bei dieser Gelegenheit oder an dieser speziellen
Erscheinungsform des Kartells freigesprochen würden.“ Ferner führt sie aus
(Randnr. 118): „Es gibt genügend unmittelbare Beweise für die Beteiligung jedes
vermuteten Teilnehmers an dem Verstoß.“ Dabei differenziert sie nicht nach den
Bestandteilen dieses globalen Verstoßes.
- 168.
- Nach der Konzeption der Kommission entspricht die einheitliche Zuwiderhandlung
somit dem „Kartell als Ganzes“ oder dem „Gesamtkartell“ und ist durch ein
kontinuierliches Verhalten mehrerer Unternehmen zur Verfolgung eines
gemeinsamen rechtswidrigen Zieles gekennzeichnet. Aus dieser Konzeption der
einheitlichen Zuwiderhandlung ergeben sich das in Randnummer 117 der
Entscheidung beschriebene System der Beweisführung sowie eine einheitliche
Verantwortlichkeit in dem Sinn, daß jedes mit dem Gesamtkartell „verbundene“
Unternehmen für das Kartell zur Verantwortung gezogen wird, unabhängig davon,
an welchen Bestandteilen es nachweislich teilgenommen hat.
- 169.
- Die Kommission kann jedoch alle Unternehmen, an die sich eine Entscheidung der
vorliegenden Art richtet, nur dann als während eines bestimmten Zeitraums für ein
Gesamtkartell verantwortlich ansehen, wenn sie nachweist, daß jedes von ihnen
entweder der Aufstellung eines Gesamtplans zugestimmt hat, der die Bestandteile
des Kartells umfaßt, oder während dieses Zeitraums an all seinen Bestandteilen
unmittelbar mitgewirkt hat. Ein Unternehmen kann ferner auch dann, wenn
feststeht, daß es nur an einem oder mehreren Bestandteilen dieses Kartells
unmittelbar mitgewirkt hat, für ein Gesamtkartell zur Verantwortung gezogen
werden, sofern es wußte oder zwangsläufig wissen mußte, daß die Absprache, an
der es sich beteiligte, Teil eines Gesamtplans war und daß sich dieser Gesamtplan
auf sämtliche Bestandteile des Kartells erstreckte. In diesem Fall kann die
Tatsache, daß das betreffende Unternehmen nicht an allen Bestandteilen des
Gesamtkartells unmittelbar mitgewirkt hat, es nicht von der Verantwortung für die
Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages befreien. Ein solcher
Umstand kann jedoch bei der Beurteilung der Schwere der ihm zur Last gelegten
Zuwiderhandlung berücksichtigt werden.
- 170.
- Im vorliegenden Fall geht aus der Entscheidung hervor, daß die in ihrem Artikel 1
festgestellte Zuwiderhandlung in Absprachen besteht, die sich auf drei verschiedene
Gegenstände bezogen, mit denen aber ein gemeinsames Ziel verfolgt wurde; diese
Absprachen sind als die Bestandteile des Gesamtkartells anzusehen. Artikel 1 ist
nämlich zu entnehmen, daß alle dort genannten Unternehmen gegen Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages verstoßen haben, indem sie sich an einer Vereinbarung und
abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die sie a) sich über regelmäßige
Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder Landeswährung verständigten und
diese Preiserhöhungen planten und durchführten, b) sich vorbehaltlich
gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der
führenden Hersteller verständigten und c) in zunehmendem Maße ab Anfang 1990
abgestimmte Maßnahmen zur Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft
trafen, um die Durchsetzung der abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen.
- 171.
- In ihrer Entscheidung hat die Kommission trotz ihrer Konzeption der einheitlichen
Zuwiderhandlung folgendes ausgeführt: „Die .Kerndokumente', die die Existenz
des Gesamtkartells oder einzelne Aspekte des Kartells beweisen, identifizieren
häufig die Teilnehmer auch namentlich; daneben gibt es ausreichende zusätzliche
Beweise für die Rolle jedes Herstellers in dem Kartell und für das Ausmaß seiner
Mitwirkung“ (Randnr. 118 Absatz 1 der Entscheidung).
- 172.
- Das Gericht hat somit im Licht der vorstehenden Erwägungen zu prüfen, ob die
Kommission nachgewiesen hat, daß die Klägerin in dem in Artikel 1 der
Entscheidung in bezug auf sie festgestellten Umfang am Kartell mitgewirkt hat.
- 173.
- Hierzu ist bereits festgestellt worden (siehe oben, Randnrn. 48 ff. und Randnrn.
76 ff.), daß die Kommission nachgewiesen hat, daß die Klägerin in ihrer
Eigenschaft als Unternehmen, das seit der Schaffung des PWG an dessen Sitzungen
teilnahm, seit Mitte 1986 an einer Preisabsprache und ab Ende 1987 an einer
Absprache über die Marktanteile sowie an einer Absprache über die Abstellzeiten,
d. h. an den drei in Artikel 1 der Entscheidung genannten Bestandteilen der
Zuwiderhandlung, mitwirkte. Sie hat daher zu Recht entschieden, die Klägerin für
eine aus den drei Absprachen mit gleichem Ziel bestehende Zuwiderhandlung zur
Verantwortung zu ziehen.
- 174.
- Die Kommission hat der Klägerin folglich nicht die Verantwortung für das
Verhalten anderer Hersteller auferlegt und ihre Verantwortung nicht allein aus
ihrer Beteiligung an der PG Karton abgeleitet.
- 175.
- Ohne daß die übrigen von der Klägerin vorgetragenen Argumente geprüft zu
werden brauchen, ist der Klagegrund somit zurückzuweisen.
Zum Klagegrund der mangelnden Berücksichtigung der Lage auf dem spanischen
Markt durch die Kommission
- 176.
- In ihrer Erwiderung trägt die Klägerin vor, die Kommission habe den
geographischen Markt, auf dem die Zuwiderhandlung stattgefunden haben solle,
nicht genau definiert und insbesondere die Lage auf dem spanischen Markt und das
dortige Marktverhalten der betroffenen Unternehmen nicht hinreichend geprüft.
Sie habe bereits in ihrer Klageschrift darauf hingewiesen, daß die einzige
Bezugnahme auf den spanischen Markt in der Entscheidung in zwei Fußnoten zu
den der Entscheidung beigefügten Tabellen E und G bestehe.
- 177.
- Die Kommission macht geltend, daß dieser erstmals in der Erwiderung
vorgebrachte Klagegrund unzulässig sei.
- 178.
- Nach Artikel 48 § 2 Absatz 1 der Verfahrensordnung können neue Angriffs- und
Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es
sei denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst
während des Verfahrens zutage getreten sind.
- 179.
- Der Klagegrund der mangelnden Berücksichtigung der Lage auf dem spanischen
Markt durch die Kommission ist von der Klägerin erstmals in der Erwiderung
vorgebracht worden. Das einzige Argument in der Klageschrift, das sich auf den
spanischen Markt bezieht, dient nämlich zur Stützung des Klagegrundes der
mangelnden Beteiligung von Prat Carton an der gerügten Zuwiderhandlung. Über
den Wortlaut dieses Klagegrundes hinaus sollte mit dem zu seiner Stützung geltend
gemachten Argument nur darauf hingewiesen werden, daß in der der Entscheidung
beigefügten Tabelle G, in der die Ankündigungen einer im Januar 1991 auf dem
spanischen Markt von den dort tätigen Herstellern vorgenommenen Preiserhöhung
behandelt werden, Prat Carton nicht erwähnt wird. Es kann daher nicht als Rüge
der mangelnden Berücksichtigung des spanischen Marktes ausgelegt werden.
- 180.
- Unter diesen Umständen ist der vorliegende Klagegrund für unzulässig zu erklären,
da er erstmals in der Erwiderung geltend gemacht wurde und nicht auf rechtliche
oder tatsächliche Gründe gestützt wird, die erst während des Verfahrens zutage
getreten sind.
Zum Klagegrund einer mangelnden Beteiligung von Prat Carton an der
Zuwiderhandlung
Vorbringen der Parteien
- 181.
- Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe die Beteiligung von Prat Carton
an einer Zuwiderhandlung nicht nachgewiesen. Insbesondere werde Prat Carton in
der Fußnote zu der (eine Preiserhöhung auf dem spanischen Markt im Januar 1991
betreffenden) Tabelle G der Entscheidung nicht erwähnt.
- 182.
- Prat Carton habe nur ganz sporadisch an Sitzungen einiger Ausschüsse der PG
Karton teilgenommen. Sie habe im übrigen am JMC nur von Juni 1990 bis März
1991 teilgenommen. Darüber hinaus stelle die bloße Tatsache, daß Stora erklärt
habe, sie nehme an, daß die spanischen Hersteller im allgemeinen von Saffa oder
Finnboard über die Ergebnisse der Sitzungen informiert worden seien (Anlage 38
der Mitteilung der Beschwerdepunkte), keinen Beweis für eine Beteiligung von Prat
Carton an der angeblichen Zuwiderhandlung dar.
- 183.
- Nach Ansicht der Klägerin enthalten die (der Mitteilung der Beschwerdepunkte
beigefügten) Schriftstücke F-15-9, G-15-7 und G-15-8, auf die sich die Kommission
berufen hat, keinen Beleg für die Beteiligung von Prat Carton an abgestimmten
Preiserhöhungsinitiativen im April 1990. In ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage
des Gerichts weist sie darauf hin, daß das Schriftstück F-15-9 vom Februar 1991
stamme und nicht, wie die Kommission behaupte, vom Februar 1990. Das
Schriftstück G-15-7 liefere nur den Beweis dafür, daß es in der Branche üblich
gewesen sei, die jährlichen Preiserhöhungen im April vorzunehmen, sowie dafür,
daß bei Prat Carton über den Umfang der Erhöhung sowie den Zeitpunkt ihres
Inkrafttretens Unsicherheit bestanden habe.
- 184.
- Die Kommission trägt vor, Prat Carton habe von Anfang an am Kartell mitgewirkt,
wie die mit der Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgelegten Schriftstücke (die
„Einzeldarstellung“) belegten. Erstens habe Prat Carton zwischen dem 29. März
1986 und dem 28. November 1989 an zahlreichen Sitzungen der PK, zwischen
Oktober 1988 und Oktober 1989 an drei Sitzungen der WK sowie zwischen Juni
1990 und dem 5. März 1991 an verschiedenen Sitzungen des JMC teilgenommen
(vgl. die der Entscheidung beigefügten Tabellen 3 bis 7). Da sie somit unmittelbar
an Sitzungen teilgenommen habe, in denen Entscheidungen über das Kartell
getroffen worden seien, sei Prat Carton dafür verantwortlich (vgl. das Urteil Rhône-Poulenc/Kommission). Außerdem gebe es keine offizielle Spur von der Teilnahme
der einzelnen Unternehmen an den Sitzungen des JMC vor den Nachprüfungen der
Kommission oder an den Sitzungen des PWG vor Februar 1990. Die bloße
Tatsache, daß die von den Unternehmen vorgelegten Unterlagen keine genauen
Angaben zur Anwesenheit von Prat Carton bei den einzelnen Sitzungen enthielten,
beweise daher nicht, daß sie diesen Sitzungen nicht beigewohnt habe.
- 185.
- Zweitens sei Prat Carton nach der Aussage von Stora (Anlage 38 der Mitteilung
der Beschwerdepunkte) über das Ergebnis der Sitzungen des PWG informiert
worden.
- 186.
- Drittens habe Prat Carton die in den verschiedenen Gremien der PG Karton im
fraglichen Zeitraum vereinbarten Preisinitiativen umgesetzt. Geringe Unterschiede
beim Zeitpunkt oder dem Betrag der von Prat Carton und den anderen Herstellernvorgenommenen Erhöhungen belegten nicht, daß Prat Carton nicht am Kartell
mitgewirkt habe. Es treffe allerdings zu, daß das Schriftstück F-15-9 vom Februar
1991 und nicht vom Februar 1990 stamme und daß die Kommission deshalb keine
Beweise für die tatsächliche Beteiligung von Prat Carton an
Preiserhöhungsinitiativen vor Januar 1991 habe. Hinsichtlich der
Preiserhöhungsinitiative vom Januar 1991 sei insbesondere auf das Schriftstück
G-15-8 vom 26. September 1990 zu verweisen, in dem Prat Carton ausdrücklich
erkläre, daß sie eine Preiserhöhung in allen Ländern im Januar 1991 plane.
Würdigung durch das Gericht
- 187.
- Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerin Prat Carton im Februar 1991 zu
100 % übernommen hat und daß sie ihre Verantwortung für die etwaige
Beteiligung von Prat Carton an einem Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des
Vertrages nicht leugnet. Hierzu heißt es in Randnummer 154 der Entscheidung,
daß die Klägerin mit der Übernahme von Prat Carton „auch für die
Kartellteilnahme dieses spanischen Herstellers für die gesamte Dauer von dessen
Kartellteilnahme verantwortlich [wird]“. Überdies ist festzustellen, daß in Artikel 1
der Entscheidung allein die Klägerin für die gerügte Zuwiderhandlung zur
Verantwortung gezogen wird, auch soweit sie von Prat Carton begangen worden
sein soll, und daß die Entscheidung an die Klägerin gerichtet ist, ohne daß Prat
Carton erwähnt wird (Artikel 5 der Entscheidung).
- 188.
- Unter diesen Umständen und da bereits festgestellt worden ist, daß die
Kommission die Beteiligung der Klägerin selbst an der in Artikel 1 der
Entscheidung beschriebenen Zuwiderhandlung nachgewiesen hat kann der
vorliegende Klagegrund, falls ihm zu folgen wäre, nicht die völlige oder teilweise
Nichtigerklärung dieser Bestimmung rechtfertigen. Da die Klägerin Prat Carton erst
im Februar 1991, d. h. zwei Monate vor dem Ende des von der Entscheidung
erfaßten Zeitraums der Zuwiderhandlung, übernommen hat, wäre jedoch eine
Herabsetzung der Geldbuße gerechtfertigt, wenn sich herausstellen sollte, daß die
Kommission die individuelle Beteiligung von Prat Carton an den Bestandteilen des
Kartells vor Februar 1991 nicht nachgewiesen hat. Im übrigen wurden die in
Artikel 3 der Entscheidung festgesetzten Geldbußen u. a. auf der Grundlage des
von den einzelnen Unternehmen im Jahr 1990, in dem Prat Carton noch nicht zum
Konzern der Klägerin gehörte, erzielten Umsatzes berechnet. Es ist deshalb
sinnvoll, die geltend gemachten Argumente schon im Rahmen des vorliegenden
Klagegrundes zu prüfen.
- 189.
- Das Gericht wird zunächst prüfen, ob die Kommission die Beteiligung von Prat
Carton an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages für den
Zeitraum von Mitte 1986 bis Juni 1990, als Prat Carton nach eigenem Bekunden
mit der Teilnahme an den Sitzungen des JMC begann, nachgewiesen hat. Sodann
wird das Gericht prüfen, ob die Kommission die Beteiligung von Prat Carton an
einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages für den
verbleibenden Zeitraum von Juni 1990 bis Februar 1991, als Prat Carton von der
Klägerin übernommen wurde, nachgewiesen hat.
1. Zeitraum von Mitte 1986 bis Juni 1990
- 190.
- Zum Nachweis der Beteiligung von Prat Carton an einer Zuwiderhandlung gegen
die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft im fraglichen Zeitraum stützt sich die
Kommission auf die Teilnahme dieses Unternehmens an den Sitzungen der PK vom
29. Mai 1986, 25. Mai 1988, 17. November 1988 und 28. November 1989 sowie an
den Sitzungen der WK vom 20. September 1988, 8. Mai 1989 und 3. Oktober 1989.
Außerdem stützt sie sich auf eine Aussage von Stora (Anlage 38 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte). Schließlich ist sie der Ansicht, die bloße Tatsache, daß die von
den Unternehmen vorgelegten Unterlagen keine genauen Angaben zur
Anwesenheit von Prat Carton bei den Sitzungen des JMC enthielten, beweise nicht,
daß sie diesen Sitzungen nicht beigewohnt habe.
- 191.
- Diese Beweismittel sind in der genannten Reihenfolge zu prüfen.
a) Teilnahme von Prat Carton an bestimmten Sitzungen der PK
- 192.
- Die Kommission legt keinen Beweis für den Gegenstand der vier Sitzungen der PK
vor, an denen Prat Carton teilgenommen hat. Wenn sie diese Teilnahme als Beweis
für die Beteiligung des Unternehmens an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages heranzieht, stützt sie sich daher zwangsläufig auf die in der
Entscheidung enthaltene allgemeine Beschreibung des Gegenstands der Sitzungen
dieses Gremiums sowie auf die in der Entscheidung zur Untermauerung dieser
Beschreibung angeführten Beweismittel.
- 193.
- Hierzu heißt es in der Entscheidung: „Wie Stora erläuterte, gehörte es zu den
Aufgaben des PWG, der Präsidentenkonferenz zu erklären, welche Maßnahmen
erforderlich waren, um den Markt in Ordnung zu bringen ... Auf diese Weise
wurden die an den Sitzungen der Präsidentenkonferenz teilnehmenden Direktoren
über die Beschlüsse des PWG und die Anweisungen, die ihren Vertriebsabteilungen
zwecks Durchführung der vereinbarten Preisinitiativen zu erteilen waren,
unterrichtet“ (Randnr. 41 Absatz 1). Ferner heißt es dort: „Der PWG tagte
regelmäßig vor den anberaumten Präsidentenkonferenzen, und da die gleiche
Person den Vorsitz auf beiden Treffen führte, besteht kein Zweifel, daß sie die
Ergebnisse der PWG-Sitzung anderen sogenannten .Präsidenten', die nicht
Mitglied des inneren Kreises waren, mitteilte“ (Randnr. 38 Absatz 2).
- 194.
- Stora gibt an, daß die Teilnehmer an den Sitzungen der PK über die vom PWG
getroffenen Beschlüsse informiert worden seien (Anlage 39 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte, Punkt 8). Die Richtigkeit dieser Behauptung wird jedoch von
mehreren Unternehmen, die an den Sitzungen der PK teilnahmen, in Abrede
gestellt; zu ihnen gehört die Klägerin. Folglich können die Aussagen von Stora zur
Rolle der PK ohne Untermauerung durch andere Beweismittel nicht als
hinreichender Beleg für den Gegenstand der Sitzungen dieses Gremiums angesehen
werden.
- 195.
- Die Akten enthalten zwar ein Schriftstück, nämlich eine Erklärung eines früheren
Vorstandsmitglieds von Feldmühle (Herrn Roos), das auf den ersten Blick die
Angaben von Stora bestätigt. Herr Roos führt u. a. aus: „Der Inhalt der in der
Presidents Working Group geführten Gespräche wurde an in dieser Gruppe nicht
vertretene Unternehmen in der darauffolgenden Präsidentenkonferenz oder, wenn
keine Präsidentenkonferenz anschließend stattfand, über das Joint Marketing
Committee übermittelt.“ Unabhängig davon, daß dieses Schriftstück in der
Entscheidung nicht ausdrücklich zur Stützung der Behauptungen der Kommission
zum Gegenstand der Sitzungen der PK herangezogen wird, kann es jedenfalls nicht
als zusätzlicher Beweis angesehen werden, der zu den Aussagen von Stora
hinzukommt. Da diese Aussagen nämlich eine Zusammenfassung der Antworten
aller drei Unternehmen darstellen, die Stora während des Zeitraums der
Zuwiderhandlung gehörten und zu denen Feldmühle zählt, war das frühere
Vorstandsmitglied des letztgenannten Unternehmens zwangsläufig eine der Quellen
der Aussagen von Stora selbst.
- 196.
- Hinsichtlich der übrigen Beweismittel für den Gegenstand der Sitzungen der PK
vertritt die Kommission in der Entscheidung die Ansicht, daß Anlage 61 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte (oben erwähnt in den Randnrn. 125 und 126)
eine interne Notiz über eine Sitzung der PK sei, die eine Bestätigung für die
Aussage von Stora liefere, daß in der PK tatsächlich über Preisabsprachen geredet
worden sei (Randnr. 41 Absatz 3 der Entscheidung). Wie bereits ausgeführt (siehe
oben, Randnrn. 125 bis 135), stellt diese Notiz jedoch keinen Beweis für eine
Absprache über die Preisinitiative vom Januar 1987 im Vereinigten Königreich dar.
Im übrigen hat Stora entgegen der Behauptung der Kommission nie eingeräumt,
daß in der PK tatsächlich über Preisabsprachen debattiert wurde. Nach den
Angaben von Stora boten die Sitzungen der PK den im PWG vertretenen
Unternehmen lediglich die Gelegenheit, die getroffenen Entscheidungen den
diesem Gremium nicht angehörenden Unternehmen mitzuteilen.
- 197.
- Schließlich behauptet die Kommission: „Schriftstücke, die die Kommission bei FS-Karton (zur M-M-Gruppe gehörend) vorfand, bestätigen, daß Ende 1987 im
Rahmen der beiden Präsidentengremien eine Vereinbarung über die beiden
miteinander verbundenen Fragen der Mengenkontrolle und der Preisdisziplin
gefunden worden war“ (Randnr. 53 Absatz 1 der Entscheidung). Sie nimmt
insoweit auf Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte Bezug (siehe oben,
Randnr. 88). Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Randnr. 91), verweist der
Verfasser des Schriftstücks einleitend auf die engere Zusammenarbeit auf
europäischer Ebene im „Präsidentenkreis“, wobei dieser Ausdruck von Mayr-Melnhof als gemeinsame Bezeichnung für PWG und PK in allgemeinem
Zusammenhang, d. h. ohne Bezugnahme auf ein bestimmtes Ereignis oder Treffen,
ausgelegt wird (Anlage 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 2.a).
- 198.
- Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte stellt zwar einen Beweis für die
Richtigkeit der Aussagen von Stora zum Vorliegen einer Absprache der zum
„Präsidentenkreis“ gehörenden Unternehmen über die Marktanteile und einer
Absprache dieser Unternehmen über die Abstellzeiten dar (siehe oben, Randnrn.
84 bis 114 und insbesondere Randnr. 110). Es gibt jedoch kein weiteres
Beweismittel, das die Behauptung der Kommission bestätigt, wonach in der PK
u. a. die Absprache über die Marktanteile und die Kontrolle der
Produktionsmengen erörtert worden seien. Somit kann das in Anlage 73 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte verwendete Wort „Präsidentenkreis“ trotz der
Erläuterungen von Mayr-Melnhof nicht als Bezugnahme auf andere Gremien als
den PWG ausgelegt werden.
- 199.
- Nach alledem hat die Kommission nicht nachgewiesen, daß die Sitzungen der PK
neben den rechtmäßigen Tätigkeiten einem wettbewerbsfeindlichen Zweck dienten.
Folglich konnte sie aus den angeführten Beweismitteln nicht ableiten, daß sich die
Unternehmen, die an den Sitzungen dieses Gremiums teilnahmen, an einer
Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligt haben.
- 200.
- Folglich ist die Teilnahme von Prat Carton an vier Sitzungen der PK nicht zum
Nachweis ihrer Beteiligung an einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln
im Zeitraum von Mitte 1986 bis Juni 1990 geeignet.
b) Teilnahme von Prat Carton an bestimmten Sitzungen der WK
- 201.
- Es steht fest, daß Prat Carton an drei Sitzungen der WK vom 20. September 1988,
8. Mai 1989 und 3. Oktober 1989 teilgenommen hat. Außerdem wird in einem
Schriftstück über den Inhalt der Sitzung vom 3. Oktober 1989 berichtet (Anlage 70
der Mitteilung der Beschwerdepunkte). Daher ist zunächst zu prüfen, ob die
Sitzungen der WK einen wettbewerbsfeindlichen Gegenstand hatten, und sodann,
ob aus Anlage 70 der Mitteilung der Beschwerdepunkte abgeleitet werden kann,
daß Prat Carton an Gesprächen mit wettbewerbsfeindlichem Gegenstand
teilgenommen hat.
i) Allgemeiner Gegenstand der Sitzungen der WK
- 202.
- In der Entscheidung heißt es: „.Zentrales Thema' der Beratungen in der
Wirtschaftlichen Kommission war die Analyse und Beurteilung der Marktlage in
den einzelnen Ländern“ (Randnr. 50 Absatz 1). Die WK „erörterte (unter
anderem) die Preisentwicklung auf den nationalen Märkten und die Auftragslage
und berichtete dem JMC (oder vor Ende 1987 dessen Vorgänger, dem .Marketing
Committee') über die Ergebnisse ihrer Arbeit“ (Randnr. 49 Absatz 1).
- 203.
- Nach Ansicht der Kommission waren die „Erörterungen über die Marktsituation ...
nicht ohne konkreten Zweck; die Gespräche über die Verfassung der einzelnen
nationalen Märkte müssen im Kontext der geplanten Preisinitiativen einschließlich
der Notwendigkeit zeitweiliger Abstellzeiten zur Abstützung der Preisanhebungen
gesehen werden“ (Randnr. 50 Absatz 1 der Entscheidung). Außerdem meint die
Kommission: „Die Wirtschaftliche Kommission war möglicherweise weniger direkt
mit der Preisfestsetzung als solcher befaßt, doch ist nicht glaubhaft, daß ihre
Mitglieder nichts von dem gesetzwidrigen Zweck gewußt hätten, zu dem die
Informationen, die sie dem JMC wissentlich überließen, benutzt wurden“ (Randnr.
119 Absatz 2 der Entscheidung).
- 204.
- Zur Stützung ihrer Behauptung, daß die Gespräche in der WK einen
wettbewerbsfeindlichen Zweck gehabt hätten, verweist die Kommission auf ein
einziges Schriftstück, und zwar auf eine vertrauliche Notiz eines Vertreters von FS-Karton über die „Highlights“ der Sitzung der WK vom 3. Oktober 1989 (Anlage
70 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), an der Prat Carton teilnahm.
- 205.
- In der Entscheidung faßt die Kommission den Inhalt dieses Schriftstücks wie folgt
zusammen:
„[N]eben einer detaillierten Übersicht über Nachfrage, Produktion und
Auftragsbestand auf den einzelnen nationalen Märkten [wurde] folgendes
erörtert ...:
deutlicher Widerstand der Abnehmer gegen die letzte Preiserhöhung für
GC-Sorten zum 1. Oktober;
jeweiliger Auftragsbestand der GC- und GD-Hersteller einschließlich
individueller Positionen;
Berichte über tatsächliche und geplante Abstellzeiten;
die speziellen Probleme der Durchsetzung der Preiserhöhung im
Vereinigten Königreich und deren Folgen für die notwendige Preisdifferenz
zwischen GC- und GD-Sorten;
Gegenüberstellung von tatsächlichen und vorgesehenen Auftragseingängen
für jede nationale Gruppe“ (Randnr. 50 Absatz 2).
- 206.
- Diese Beschreibung des Inhalts des Schriftstücks trifft im wesentlichen zu. Die
Kommission führt jedoch kein Beweismittel zur Stützung ihrer Behauptung an, daß
Anlage 70 der Mitteilung der Beschwerdepunkte „als Hinweis auf die tatsächliche
Art der Beratungen dieses Gremiums gewertet werden“ könne (Randnr. 113 letzter
Absatz der Entscheidung). Außerdem macht Stora folgende Angaben: „Das JMC
wurde Ende 1987 geschaffen und trat Anfang 1988 erstmals zusammen; von da an
übernahm es einen Teil der Funktionen der Wirtschaftlichen Kommission. Die
übrigen Funktionen der Wirtschaftlichen Kommission wurden von der Statistischen
Kommission übernommen“ (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte,
Punkt 13). Zumindest für die Zeit ab Anfang 1988 den einzigen Zeitraum, in dem
Prat Carton an Sitzungen der WK teilnahm enthalten die Aussagen von Stora
somit keinen Beleg für den von der Kommission geltend gemachten
wettbewerbsfeindlichen Zweck der Beratungen dieses Gremiums. Schließlich führt
die Kommission auch keine Beweismittel an, die den Schluß zulassen, daß die
Teilnehmer an den Sitzungen der WK über das genaue Wesen der Sitzungen des
JMC des Gremiums, dem die WK berichtete informiert waren. Es ist daher
nicht auszuschließen, daß Teilnehmer an den Sitzungen der WK, die nicht zugleich
an den Sitzungen des JMC teilnahmen, von der genauen Verwendung der von der
WK erstellten Berichte durch das JMC nichts wußten.
- 207.
- Folglich ergibt sich aus Anlage 70 der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht,
welcher Natur die Erörterungen in den Sitzungen der WK wirklich waren.
ii) Sitzung der WK vom 3. Oktober 1989
- 208.
- Der Inhalt der Sitzung der WK vom 3. Oktober 1989 wird in Anlage 70 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte wiedergegeben. Es stellt sich die Frage, ob die
Teilnahme von Prat Carton an dieser Sitzung einen hinreichenden Beweis für ihre
Beteiligung an einem Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darstellt.
- 209.
- Erstens betrafen die Preisdiskussionen auf dieser Sitzung die Reaktionen der
Kunden auf die Erhöhung der Preise für GC-Karton, die die meisten Hersteller
dieser Kartonsorte mit Wirkung zum 1. Oktober 1989 vorgenommen hatten,
nachdem sie dem Markt einige Monate zuvor angekündigt worden war. Nach den
Angaben der Kommission betraf diese Preiserhöhung auch SBS-Karton, nicht aber
GD-Karton. Die Diskussionen in der fraglichen Sitzung gingen nach Ansicht des
Gerichts über das gemäß den Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zulässige Maß
hinaus, insbesondere soweit festgestellt wurde, daß es „nicht richtig [wäre], von dem
jetzt etablierten wichtigen GC-Preisniveau abzurücken“. Durch die damit erfolgte
Äußerung des gemeinsamen Willens, das neue Preisniveau bei GC-Karton strikt
durchzusetzen, haben die Hersteller nämlich nicht autonom bestimmt, welche
Marktpolitik sie verfolgen wollen, und so gegen den Grundgedanken der
Wettbewerbsvorschriften des Vertrages verstoßen (vgl. u. a. Urteil Suiker Unie
u. a./Kommission, Randnr. 173).
- 210.
- Nichts läßt jedoch den Schluß zu, daß Prat Carton an einer Absprache über die
Preiserhöhung im Oktober 1989 vor deren Durchführung teilgenommen und zudem
ihre Preise für GC-Karton damals tatsächlich erhöht hat. Insoweit geht aus den
Antworten der Klägerin auf die schriftlichen Fragen des Gerichts hervor, daß Prat
Carton 1989 zu über 80 % GD-Karton herstellte, der von der fraglichen
Preiserhöhung nicht betroffen war. Außerdem fand die Sitzung der WK vom
Oktober 1989 etwa acht Monate vor der ersten nachgewiesenen Teilnahme von
Prat Carton an einer Sitzung des JMC statt, das zu den Gremien gehörte, die der
Entscheidung zufolge zusammen mit dem PWG den Rahmen bildeten, in dem die
hauptsächlichen wettbewerbsfeindlichen Erörterungen stattfanden.
- 211.
- In Anbetracht dieser Umstände kann nicht ausgeschlossen werden, daß dem oder
den Vertreter(n) von Prat Carton bei der Sitzung der WK vom 3. Oktober 1989
nicht bewußt war, in welchem Zusammenhang die Erörterungen über die Preise
stattfanden. Zudem fehlen Beweise für ihr Preisverhalten auf dem Markt im
fraglichen Zeitraum, so daß es möglich ist, daß Prat Carton der Meinung war, daß
die Erörterungen ihre individuelle Situation nicht betrafen. Da der Inhalt der
Sitzung der WK vom 3. Oktober 1989 für Prat Carton Ausnahmecharakter gehabt
haben mag, kann diesem Unternehmen folglich nicht vorgeworfen werden, sich vom
Inhalt der Erörterungen auf dieser Sitzung nicht offen distanziert zu haben.
- 212.
- Zweitens enthält Anlage 70 der Mitteilung der Beschwerdepunkte keinen Beleg
dafür, daß tatsächlich Erörterungen stattfanden, die zur Planung künftiger
Abstellzeiten der Einrichtungen auf der Basis von Absprachen führten. Alle darin
enthaltenen Bezugnahmen auf konkrete Abstellzeiten betreffen nämlich Daten aus
der Vergangenheit. Das Schriftstück enthält zwar Ausführungen über die künftige
Nutzung der Einrichtungen: „Bei anhaltend schlechtem Auftragseingang und
schlechter Belegung ist es naheliegend, entsprechend dem Marktbedarf ein
Abstellen zu überlegen.“ Da die Teilnahme von Prat Carton an der fraglichen
Sitzung der WK aus den oben genannten Gründen nicht beweist, daß sie sich an
einer Preisabsprache beteiligt hat, stellt sie jedoch auch keinen ausreichenden
Beweis für ihre Beteiligung an einer Absprache über die Abstellzeiten dar. Die
bloße Erwähnung der etwaigen Notwendigkeit künftiger Abstellzeiten kann nicht
als Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft angesehen werden, da
sie zumindest bei den Unternehmen, die nicht an einer Preisabsprache teilnahmen,
nur die objektive Feststellung der bestehenden Marktbedingungen sein könnte.
- 213.
- Nach alledem stellt die Teilnahme von Prat Carton an der Sitzung der WK vom 3.
Oktober 1989 keinen hinreichenden Beweis für ihre Beteiligung an einem Verstoß
gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages dar.
c) Die Aussage von Stora zur Übermittlung von Informationen an die
Unternehmen, die den Sitzungen nicht beiwohnten
- 214.
- Stora macht in ihrer von der Kommission angeführten Aussage (Anlage 38 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte, S. 2) Angaben zu den Herstellern, die über die
Ergebnisse der Sitzungen des PWG informiert wurden: „Die Stora-Hersteller
glauben, daß die spanischen Hersteller im allgemeinen von Saffa oder von
Finnboard informiert wurden. Die anderen der PG Karton angehörenden
Hersteller sind: Papelera del Centro SA, Prat Carton SA, Romani Esteve SA,
Sarrió SA und Tampella Española SA.“
- 215.
- Wie aus dem Wortlaut dieser Aussage klar hervorgeht, spricht Stora nur davon,
daß die zu ihrem Konzern gehörenden Hersteller glaubten, daß Prat Carton über
die Ergebnisse der Sitzungen des PWG informiert worden sei. Die Grundlage für
diese Annahme wird im übrigen nicht genannt. Unter diesen Umständen kann die
Aussage keinen Beweis für eine Beteiligung von Prat Carton an einer
Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darstellen. Diese
Schlußfolgerung ist um so mehr geboten, als sich die Behauptungen von Stora auf
mehrere andere Mitgliedsunternehmen der PG Karton erstrecken, denen in der
Entscheidung keine Beteiligung an einer Zuwiderhandlung zur Last gelegt wurde.
d) Zur Teilnahme von Prat Carton an Sitzungen des JMC
- 216.
- Die Kommission trägt vor, es gebe keinen Beweis dafür, daß Prat Carton vor Juni
1989 nicht an Sitzungen des JMC teilgenommen habe, da es keine offizielle Spur
von der Teilnahme der einzelnen Unternehmen an diesen Sitzungen vor den
Nachprüfungen der Kommission gebe.
- 217.
- Die Beweislast für das Vorliegen einer Zuwiderhandlung von Prat Carton gegen
Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages trägt jedoch die Kommission. Ihre bloßen
Behauptungen in bezug auf die mögliche Teilnahme von Prat Carton an Sitzungen
des JMC im fraglichen Zeitraum entbehren daher der Grundlage.
e) Ergebnis hinsichtlich des fraglichen Zeitraums
- 218.
- Nach alledem belegen die von der Kommission angeführten Beweismittel auch
zusammen genommen nicht, daß sich Prat Carton in der Zeit von Mitte 1986 bis
Juni 1990 an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
beteiligte.
2. Zeitraum von Juni 1990 bis Februar 1991
- 219.
- Es steht fest, daß Prat Carton im betreffenden Zeitraum an drei Sitzungen des
JMC teilnahm, und zwar an den Sitzungen vom 27./28. Juni 1990, vom 4.
September 1990 und vom 8./9. Oktober 1990. Hinsichtlich des tatsächlichen
Marktverhaltens von Prat Carton glaubt die Kommission über Beweise zu verfügen,
die zeigten, daß sich dieses Unternehmen an der abgestimmten Preiserhöhung im
Januar 1991, der einzigen abgestimmten Preiserhöhung in diesem Zeitraum,
beteiligt habe.
- 220.
- Es ist zu prüfen, ob durch diese von der Kommission angeführten Beweise die
Beteiligung von Prat Carton an den drei Bestandteilen der Zuwiderhandlung im
fraglichen Zeitraum hinreichend nachgewiesen wird.
a) Zur Beteiligung von Prat Carton an einer Preisabsprache
- 221.
- Nach Ansicht der Kommission hatte das JMC von Anfang an folgende
Hauptaufgabe:
„ zu ermitteln, ob sich Preiserhöhungen durchsetzen lassen, und falls ja, wie,
und anschließend dem PWG Bericht zu erstatten;
die vom PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten
Kunden im Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in
Europa zu gelangen ...“ (Randnr. 44 Absatz 1 der Entscheidung).
- 222.
- Im einzelnen führt die Kommission in Randnummer 45 Absätze 1 und 2 der
Entscheidung folgendes aus:
„[D]ieser Ausschuß [erörterte] für jeden einzelnen Markt, wie die vom PWG
vereinbarten Preiserhöhungen von den Herstellern durchgesetzt werden sollten. Die
praktischen Aspekte der Durchführung der vorgeschlagenen Preiserhöhungen
wurden in .Round Table'-Gesprächen erörtert, wobei jeder Teilnehmer
Gelegenheit erhielt, sich zu der vorgeschlagenen Preiserhöhung zu äußern.
Schwierigkeiten bei der Durchführung der vom PWG beschlossenen
Preiserhöhungen oder gelegentliche Fälle von Verweigerung der Zusammenarbeit
wurden dem PWG gemeldet, der dann (wie Stora es formulierte) .zu versuchen
hatte, das erforderliche Maß an Zusammenarbeit zustande zu bringen'. Das JMC
erstellte stets gesonderte Berichte für GC- und für GD-Sorten. Änderte der PWG
aufgrund der Berichte des JMC einen Preisfestsetzungsbeschluß, so waren die
hierfür erforderlichen Schritte auf den nächsten JMC-Sitzungen zu erörtern.“
- 223.
- Die Kommission verweist zur Stützung dieser Angaben zum Gegenstand der
Sitzungen des JMC zu Recht auf die Aussagen von Stora (Anlagen 35 und 39 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte).
- 224.
- Außerdem hat sie, auch wenn sie nicht über ein offizielles Protokoll einer Sitzung
des JMC verfügt, von Mayr-Melnhof und Rena einige interne Aufzeichnungen über
die Sitzungen vom 6. September 1989, 16. Oktober 1989 und 6. September 1990
erlangt (Anlagen 117, 109 und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte). In
diesen Aufzeichnungen, deren Inhalt in den Randnummern 80, 82 und 87 der
Entscheidung beschrieben wird, werden die eingehenden Erörterungen
wiedergegeben, die auf diesen Sitzungen über die abgestimmten Preisinitiativen
stattfanden. Sie stellen somit Beweismittel dar, die die Beschreibung der Aufgaben
des JMC durch Stora eindeutig bestätigen.
- 225.
- Insoweit genügt es, als Beispiel auf die von Rena erlangten Notizen über die
Sitzung des JMC vom 6. September 1990 (Anlage 118 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte) zu verweisen, in denen es u. a. heißt:
„Preiserhöhung wird nächste Woche im September angekündigt:
Frankreich 40 FF
Niederlande 14
Deutschland 12 DM
Italien 80 LIT
Belgien 2,50 BFR
Schweiz 9 FS
England 40 UKL
Irland 45 IRL
Alle Sorten sollten gleich heraufgesetzt werden: GD, UD, GT, GC usw.
Nur 1 Preiserhöhung pro Jahr.
Für Lieferungen ab 7. Januar.
Nicht später als 31. Januar.
Schreiben vom 14. September mit Preiserhöhung (Mayr-Melnhof).
19. September. Brief von Feldmühle geht raus.
Cascades vor Ende September.
Alle Schreiben müssen vor dem 8. Oktober raus sein.“
- 226.
- Wie die Kommission in den Randnummern 88 bis 90 der Entscheidung erläutert,
konnte sie ferner interne Unterlagen sicherstellen, die den Schluß zuließen, daß die
Unternehmen und insbesondere diejenigen, die in Anlage 118 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte erwähnt worden seien, die vereinbarten Preiserhöhungen
tatsächlich angekündigt und vorgenommen hätten.
- 227.
- Auch wenn die von der Kommission angeführten Unterlagen nur eine kleine Zahlder Sitzungen des JMC in dem von der Entscheidung erfaßten Zeitraum betreffen,
bestätigen alle verfügbaren schriftlichen Beweise die Angabe von Stora, daß die
Hauptaufgabe des JMC darin bestanden habe, die Durchführung der abgestimmten
Preiserhöhungen festzulegen und zu planen. Insoweit ist das fast völlige Fehlen von
offiziellen oder internen Protokollen der Sitzungen des JMC als hinreichender
Beweis für die Behauptung der Kommission anzusehen, daß sich die an den
Sitzungen teilnehmenden Unternehmen bemühten, die wahre Natur der
Erörterungen in diesem Gremium zu verschleiern (vgl. u. a. Randnr. 45 der
Entscheidung). Diese Umstände haben zu einer Umkehr der Beweislast geführt,
und den Adressaten der Entscheidung, die an den Sitzungen dieses Gremiums
teilgenommen hatten, oblag der Nachweis, daß es ein rechtmäßiges Ziel verfolgte.
Da sie diesen Beweis nicht erbracht haben, hat die Kommission zu Recht
angenommen, daß die von den Unternehmen bei den Sitzungen dieses Gremiums
geführten Gespräche einen im wesentlichen wettbewerbsfeindlichen Zweck hatten.
- 228.
- Was die individuelle Situation von Prat Carton anbelangt, so ist ihre Teilnahme an
drei Sitzungen des JMC in einem Zeitraum von etwa acht Monaten angesichts des
Vorstehenden und trotz des Fehlens schriftlicher Beweise für die bei diesen drei
Sitzungen geführten Gespräche als hinreichender Beleg für ihre Beteiligung an der
Preisabsprache während dieses Zeitraums anzusehen.
- 229.
- Diese Feststellung wird durch die von der Kommission angeführten Unterlagen
zum tatsächlichen Preisverhalten von Prat Carton bestätigt. Wie bereits dargelegt,
wurde Anfang September 1990 eine Preiserhöhung für alle Kartonsorten
beschlossen und von den verschiedenen Unternehmen im September oder Oktober
1990 angekündigt; dies ergibt sich aus der bereits genannten Anlage 118 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte. Die Erhöhung sollte in allen betroffenen
Ländern im Januar 1991 in Kraft treten.
- 230.
- In einer von Prat Carton stammenden Fernkopie vom 26. September 1990
(Schriftstück G-15-8) heißt es u. a.:
„Wir beabsichtigen, die Preise in allen Ländern im Januar 1991 zu erhöhen.
Für Frankreich denken wir an eine Erhöhung um 400 FF/Tonne für alle Sorten.“
- 231.
- Auch wenn in dieser Fernkopie der genaue Betrag der vorgesehenen Preiserhöhung
nur für ein Land genannt wird, beweist sie, daß Prat Carton Preiserhöhungen
ankündigte, die den Beschlüssen entsprachen, die gemäß Anlage 118 der Mitteilung
der Beschwerdepunkte im JMC getroffen worden waren. Die in Anlage 118 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte erwähnten Erhöhungen beziehen sich nicht für
alle in Rede stehenden Länder auf die gleichen Verkaufsmengen, und die für
Frankreich angegebene Erhöhung um 40 FF betrifft den Preis pro 100 kg. Ferner
geht aus den Schriftstücken F-15-9 und G-15-7, bei denen es sich um Fernkopien
handelt, die Ende Februar/Anfang März 1991 zwischen Prat Carton und einem
britischen Unternehmen gewechselt wurden, zwar unstreitig hervor, daß Prat
Carton ihre Preise im Vereinigten Königreich letztlich erst im April 1991 erhöhte;
ein solcher Aufschub der Vornahme der Preiserhöhung in einem der betroffenen
Länder ist jedoch nicht geeignet, den Beweiswert des oben genannten Schriftstücks
G-15-8 in bezug auf die Beteiligung von Prat Carton an der abgestimmten
Preiserhöhung im Januar 1991 zu beeinträchtigen. Dies gilt um so mehr, als die von
Prat Carton auf dem britischen Markt vorgenommene Preiserhöhung nach dem
Schriftstück F-15-9 zwischen 35 und 45 UKL/t betrug und somit nahe bei dem in
Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte angegebenen Betrag von 40 UKL
lag.
- 232.
- In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist das Gericht der Ansicht, daß die
Kommission die Beteiligung von Prat Carton an der Preisabsprache für die Zeit
von Juni 1990 bis Februar 1991 nachgewiesen hat.
b) Zur Beteiligung von Prat Carton an einer Absprache über die Abstellzeiten
- 233.
- Wie bereits festgestellt worden ist, hat die Kommission nachgewiesen, daß sich die
bei den Sitzungen des PWG anwesenden Unternehmen ab Ende 1987 an einer
Absprache über die Abstellzeiten der Einrichtungen beteiligt haben und daß es ab
1990 tatsächlich Abstellzeiten gab.
- 234.
- In der Entscheidung heißt es, auch die an den Sitzungen des JMC teilnehmenden
Unternehmen hätten sich an dieser Absprache beteiligt.
- 235.
- Hierzu führt die Kommission u. a. folgendes aus:
„Neben den zusammengefaßten Daten des FIDES-Systems pflegten die Hersteller
auf den JMC-Sitzungen auch ihren individuellen Auftragsbestand offenzulegen.
Die Informationen über den Auftragsbestand (ausgedrückt in Produktionstagen)
waren aus zweierlei Gründen wichtig:
einmal für die Entscheidung darüber, ob abgestimmte Preisanhebungen
vorgenommen werden können;
zum anderen für die Entscheidung über notwendige Abstellzeiten zur
Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage ...“
(Randnr. 69 Absätze 3 und 4 der Entscheidung).
- 236.
- Ferner stellt sie fest:
„Der PWG wies jedoch nicht formell jedem Hersteller seine .Abstellzeiten' zu.
Laut Stora bestanden praktische Schwierigkeiten, einen koordinierten Plan für
Abstellzeiten für alle Hersteller aufzustellen. Aus diesen Gründen bestand laut
Stora nur .ein loses System der Ermutigung' (Zweite Aussage von Stora, S. 15).
Erneut dürften es die führenden Hersteller gewesen sein, die die Last der Ausstoß-Drosselung zur Absicherung des Preisniveaus auf ihre Schultern nahmen.
Die inoffiziellen Aufzeichnungen über zwei JMC-Sitzungen im Januar 1990 (siehe
Randnummer 84) und im September 1990 (Randnummer 87) wie auch andere
Dokumente (Randnummern 94 und 95) bestätigen jedoch, daß die großen
Hersteller ihre kleineren Wettbewerber in der PG Karton laufend über ihre Pläne
unterrichteten, zusätzliche Abstellzeiten vorzusehen, um so einem Preisrückgang
zuvorzukommen“ (Randnr. 71 der Entscheidung).
- 237.
- Die Kommission nimmt zur Stützung ihrer Behauptung, daß der PWG nicht formell
jedem Hersteller seine „Abstellzeiten“ zugewiesen habe, daß aber insoweit dennoch
„ein loses System der Ermutigung“ bestanden habe, zu Recht auf die zweite
Aussage von Stora Bezug (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte,
Punkt 25).
- 238.
- Für die Unternehmen, die an den Sitzungen des JMC teilnahmen, bestätigen die
schriftlichen Beweise, die diese Sitzungen betreffen (die bereits genannten Anlagen
109, 117 und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), daß die Gespräche über
Abstellzeiten im Zusammenhang mit der Vorbereitung von abgestimmten
Preiserhöhungen stattfanden. Wie bereits festgestellt (siehe oben, Randnr. 104),
wird in Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte der Auftragsbestand
mehrerer Hersteller aufgeführt und darauf hingewiesen, daß einige Hersteller
Abstellzeiten vorsähen. Außerdem zeigen die Anlagen 109 und 117 der Mitteilung
der Beschwerdepunkte obwohl sie keine unmittelbaren Angaben zu den
vorgesehenen Abstellzeiten enthalten , daß die Auftragsbestände und die
Auftragseingänge auf den fraglichen Sitzungen erörtert wurden.
- 239.
- Diese Schriftstücke stellen zusammen mit den Aussagen von Stora einen
hinreichenden Beweis für die Beteiligung der bei den Sitzungen des JMC
vertretenen Hersteller an der Absprache über die Abstellzeiten dar. Da die
Abstimmung der angekündigten Preise auf eine Erhöhung der tatsächlichen
Verkaufspreise abzielte (siehe oben, Randnrn. 48 bis 61), war den an der
Preisabsprache teilnehmenden Unternehmen zwangsläufig bewußt, daß durch die
Prüfung der Auftragsbestände und der Auftragseingänge sowie die Gespräche über
etwaige Abstellzeiten nicht nur festgestellt werden sollte, ob die Marktbedingungen
für eine abgestimmte Preiserhöhung günstig waren, sondern auch, ob das Abstellen
der Anlagen geboten war, um zu verhindern, daß das vereinbarte Preisniveau durch
ein Überangebot gefährdet würde. Insbesondere geht aus Anlage 118 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte hervor, daß sich die Teilnehmer an der Sitzung
des JMC vom 6. September 1990 auf die Ankündigung einer bevorstehenden
Preiserhöhung einigten, obwohl mehrere Hersteller erklärt hatten, daß sie sich
anschickten, ihre Produktion zu unterbrechen. Die Marktbedingungen gingen
folglich dahin, daß die tatsächliche Durchführung einer künftigen Preiserhöhung
höchstwahrscheinlich (zusätzliche) Abstellzeiten erfordern würde, so daß die
Hersteller diese Auswirkung zumindest implizit gebilligt haben.
- 240.
- Auf dieser Grundlage ist, ohne daß die anderen von der Kommission in der
Entscheidung angeführten Beweismittel (Anlagen 102, 113, 130 und 131 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte) geprüft zu werden brauchen, davon auszugehen,
daß die Kommission die Beteiligung der Unternehmen, die an den Sitzungen des
JMC und an der Preisabsprache teilnahmen, an einer Absprache über die
Abstellzeiten nachgewiesen hat.
- 241.
- Daher ist davon auszugehen, daß sich Prat Carton in der Zeit von Juni 1990 bis
Februar 1991 an einer Absprache über die Abstellzeiten beteiligte.
c) Zur Beteiligung von Prat Carton an einer Absprache über die Marktanteile
- 242.
- Es ist bereits festgestellt worden, daß die Kommission nachgewiesen hat, daß sich
die bei den Sitzungen des PWG anwesenden Unternehmen ab Ende 1987 an einer
Absprache über die Marktanteile beteiligten (siehe oben, Randnrn. 84 bis 114).
- 243.
- Zur Stützung ihrer Behauptung, daß sich auch die Unternehmen, die nicht an den
Sitzungen des PWG teilnahmen, an dieser Absprache beteiligt hätten, führt die
Kommission in der Entscheidung folgendes aus:
„Obgleich die kleineren Kartonhersteller, die an den JMC-Sitzungen teilnahmen,
nicht im einzelnen über die Gespräche im PWG betreffend die Marktanteile
unterrichtet waren, war ihnen im Rahmen der .Preis-vor-Menge'-Politik, an die sie
sich alle hielten, sehr wohl bekannt, daß sich die führenden Hersteller darauf
verständigt hatten, .das Angebot auf einem konstanten Niveau' zu halten, wie
ihnen sicherlich auch die Notwendigkeit bewußt war, ihr eigenes Verhalten
entsprechend anzupassen“ (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung).
- 244.
- Obwohl dies aus der Entscheidung nicht ausdrücklich hervorgeht, macht sich die
Kommission in diesem Punkt die Aussagen von Stora zu eigen, in denen es heißt:
„Andere Hersteller, die nicht am PWG teilnahmen, wurden im allgemeinen nicht
über die Einzelheiten der Gespräche über die Marktanteile informiert. Im Rahmen
der Preis-vor-Menge-Politik, an der sie teilnahmen, dürfte ihnen die Übereinkunft
der führenden Hersteller, die Preise durch die Beibehaltung konstanter
Angebotsmengen nicht zu untergraben, jedoch bekannt gewesen sein.
In bezug auf das Angebot an GC-Sorten war der Anteil der Hersteller, die nicht
am PWG teilnahmen, ohnehin so unbedeutend, daß ihre Teilnahme oder
Nichtteilnahme an den Vereinbarungen über die Marktanteile so gut wie keine
Auswirkungen hatte“ (Anlage 43 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 1.2).
- 245.
- Die Kommission stützt sich somit wie Stora im wesentlichen auf die Annahme,
daß die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, aber
nachweislich an anderen Bestandteilen der in Artikel 1 der Entscheidung
beschriebenen Zuwiderhandlung mitwirkten, von der Existenz der Absprache über
die Marktanteile gewußt haben müssen, auch wenn es dafür keine unmittelbaren
Beweise gibt.
- 246.
- Einer solchen Argumentation kann nicht gefolgt werden. Erstens führt die
Kommission kein Beweismittel an, aus dem hervorginge, daß die Unternehmen, die
nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, einer allgemeinen Vereinbarung
zustimmten, die u. a. das Einfrieren der Marktanteile der führenden Hersteller
vorsah.
- 247.
- Zweitens ist die bloße Tatsache, daß sich diese Unternehmen an einer
Preisabsprache und an der Absprache über die Abstellzeiten beteiligten, kein Beleg
dafür, daß sie sich auch an einer Absprache über die Marktanteile beteiligten.
Insoweit ist die Absprache über die Marktanteile entgegen der offenbar von der
Kommission vertretenen Ansicht nicht untrennbar mit der Preisabsprache und/oder
der Absprache über die Abstellzeiten verbunden. Es genügt der Hinweis, daß die
Absprache über die Marktanteile der führenden im PWG vertretenen Hersteller
der Entscheidung zufolge (siehe oben, Randnrn. 78 bis 80) darauf abzielte,
vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen konstante Marktanteile
aufrechtzuerhalten; dies galt selbst für Zeiträume, in denen aufgrund der
Marktbedingungen und insbesondere des Gleichgewichts zwischen Angebot und
Nachfrage eine Kontrolle der Produktion zur Sicherstellung der tatsächlichen
Durchführung der vereinbarten Preiserhöhungen nicht erforderlich war. Folglich
belegt die etwaige Beteiligung an der Preisabsprache und/oder der Absprache über
die Abstellzeiten nicht, daß sich die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des
PWG teilnahmen, an der Absprache über die Marktanteile beteiligten oder daß sie
davon wußten oder zwangsläufig davon wissen mußten.
- 248.
- Schließlich ist drittens festzustellen, daß die Kommission in Randnummer 58
Absätze 2 und 3 der Entscheidung auf Anlage 102 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte, eine von Rena erlangte Aufzeichnung, die der Entscheidung
zufolge eine Sondersitzung des NPI am 3. Oktober 1988 betreffen soll, alszusätzliches Beweismittel für die fragliche Behauptung verweist. Insoweit genügt die
Feststellung, daß die Klägerin dem NPI nicht angehörte und daß die Bezugnahme
auf möglicherweise erforderliche Abstellzeiten in diesem Schriftstück aus den
bereits genannten Gründen keinen Beweis für eine Absprache über die
Marktanteile darstellen kann.
- 249.
- Nach alledem hat die Kommission nicht nachgewiesen, daß sich Prat Carton in der
Zeit von Juni 1990 bis Februar 1991 an einer Absprache über die Marktanteile
beteiligte.
3. Ergebnisse hinsichtlich der Beteiligung von Prat Carton an einem Verstoß
gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages vor ihrer Übernahme durch die Klägerin
im Februar 1991
- 250.
- Auf der Grundlage aller vorstehenden Erwägungen ist festzustellen, daß die
Kommission nachgewiesen hat, daß sich Prat Carton in der Zeit von Juni 1990 bis
Februar 1991 an einer Preisabsprache und an einer Absprache über die
Abstellzeiten beteiligte. Die Beteiligung von Prat Carton an der Absprache über
die Marktanteile im selben Zeitraum ist jedoch nicht hinreichend nachgewiesen.
Schließlich hat die Kommission für die Zeit davor, d. h. von Mitte 1986 bis Juni
1990, die Beteiligung von Prat Carton an den Bestandteilen der Zuwiderhandlung
nicht nachgewiesen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 2 der Entscheidung
Vorbringen der Parteien
- 251.
- Die Klägerin macht als Klagegrund geltend, daß das Verbot eines künftigen
Informationsaustauschs rechtswidrig sei. Weder Artikel 1 noch Artikel 2 der
Entscheidung beträfen das erste Informationsaustauschsystem des Berufsverbands
CEPI-Cartonboard (im folgenden: CEPI), das in den Randnummern 105, 106 und
166 der Entscheidung erwähnt werde. Das Verbot eines künftigen
Informationsaustauschs hindere den CEPI und seine Mitglieder, zu denen die
Klägerin gehöre, aber daran, künftig neue Informationsaustauschsysteme zu
schaffen, und stehe zugleich dem speziellen System entgegen, das der CEPI der
Kommission Ende 1993 notifiziert habe und das im übrigen in der Entscheidung
nicht erwähnt werde.
- 252.
- Außerdem seien Informationsaustauschsysteme, mit denen keine verbotenen
Ergebnisse wie die Preisfestsetzung oder die Abstimmung der Mengen erzielt
werden sollten, in der früheren Praxis der Kommission nie als unzulässig angesehen
worden, wenn sie sich nicht auf den Austausch individueller und vertraulicher
Daten erstreckten. Die Kommission habe in ihrem Siebten Bericht über die
Wettbewerbspolitik ausgeführt, daß sie keine grundsätzlichen Einwände gegen den
Austausch statistischer Informationen über Wirtschaftsverbände oder besondere
Meldestellen habe, selbst wenn diese eine Aufgliederung der Daten vornähmen,
sofern die ausgetauschten Informationen keinen Rückschluß auf individuelle Daten
zuließen.
- 253.
- Der Klagegrund gliedert sich sodann in zwei Teile. Im ersten Teil macht die
Klägerin geltend, das Verbot in Artikel 2 der Entscheidung sei im wesentlichen zu
vage und allgemein formuliert. Insbesondere werde nicht angegeben, unter welchen
Umständen ein Informationsaustauschsystem, das keine individuellen Daten zum
Gegenstand habe, als zur Förderung einer Abstimmung der Preise oder der
Produktion oder zur Kontrolle der Durchführung einer Vereinbarung über die
Preise oder die Marktaufteilung geeignet angesehen werde.
- 254.
- Darüber hinaus werde in Artikel 2 der Entscheidung nicht angegeben, welche
Merkmale das System aufweisen müsse, um dem Erfordernis des Ausschlusses
a) globaler Daten, „mit denen sich das Verhalten einzelner Hersteller ermitteln
läßt“ (Absatz 2), b) von Produktions- und Verkaufsstatistiken in globaler Form, die
dazu benutzt werden können, „ein gemeinsames Geschäftsverhalten zu fördern
oder zu erleichtern“ (Absatz 3) und c) von „jedem Austausch ...
wettbewerbsrelevanter Informationen“ sowie von „allen Treffen oder sonstigen
Kontakten zur Erörterung des Aussagegehalts der ausgetauschten Informationen
oder der möglichen oder wahrscheinlichen Reaktion der Branche oder einzelner
Hersteller auf diese Informationen“ (Absatz 4) zu genügen.
- 255.
- Derart vage und allgemeine Verbote erschienen undurchführbar und verstießen
jedenfalls gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit.
- 256.
- Im zweiten Teil des Klagegrundes bezweifelt die Klägerin die Rechtmäßigkeit des
in Artikel 2 Absatz 2 der Entscheidung aufgestellten Verbotes des Austauschs von
Daten (auch in globaler Form) über den gegenwärtigen Stand der Auftragseingänge
und der Auftragslage.
- 257.
- Solche Daten lieferten erstens nur Anhaltspunkte für die generelle Tendenz der
allgemeinen Nachfrage und ermöglichten es nicht, einen Hersteller oder ein Land
zu ermitteln.
- 258.
- Zweitens sei der fragliche Datenaustausch in der Kartonbranche besonders nützlich,
wenn nicht gar erforderlich.
- 259.
- Drittens habe die Kommission den fraglichen Datenaustausch noch nie untersagt.
Sie habe vielmehr den Austausch von Informationen über die Lagerbestände, die
aktuellen und früheren Marktpreise, den Verbrauch, die Verarbeitungskapazität
und sogar die Preisentwicklung als wettbewerbsneutral angesehen (vgl. u. a. die
Mitteilung 87/C 339/07 der Kommission gemäß Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung
Nr. 17 des Rates betreffend einen Antrag auf Negativattest gemäß Artikel 85
Absatz 3 EWG-Vertrag Fall Nr. IV/32.076 Europäischer Altpapier-Informationsdienst [ABl. 1987, C 339, S. 7; im folgenden: EWIS-Mitteilung] und
den Siebten Bericht über die Wettbewerbspolitik, Nrn. 5 bis 8).
- 260.
- Die Kommission führt aus, Artikel 2 der Entscheidung beziehe sich nicht auf das
vom CEPI notifizierte Informationsaustauschsystem, das den zuständigen Stellen
der Kommission zum Zeitpunkt der Klageerhebung zur Prüfung vorgelegen habe.
- 261.
- Die Anordnungen in Artikel 2 der Entscheidung seien auch nichts Ungewöhnliches,
da sie keinen Beweis dafür erhalten habe, daß die Zuwiderhandlung abgestellt
worden sei; die Tragweite solcher Anordnungen hänge vom Verhalten der
Unternehmen ab. Da sie die Teilnahme an einem System verhinderten, mit dem
gleiches oder ähnliches wie mit dem in Rede stehenden System bezweckt oder
bewirkt werde, beschränkten sie sich nämlich auf die Anwendung des allgemeinen
Verbotes in Artikel 85 des Vertrages (Urteil des Gerichts vom 27. Oktober 1994
in der Rechtssache T-34/92, Fiatagri und New Holland Ford/Kommission, Slg. 1994,
II-905). Sie stützten sich im übrigen auf Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17
und stünden mit früheren, vom Gericht gebilligten Entscheidungen im Einklang.
- 262.
- Im vorliegenden Fall sei das Informationsaustauschsystem von den
Kartellmitgliedern als bedeutsam angesehen worden und habe die Kontrolle und
Durchführung der wettbewerbswidrigen Initiativen ermöglicht (Randnrn. 61 bis 71
und 134 der Entscheidung). Außerdem sei es auch nach seinen Änderungen im
Jahr 1991 noch geeignet gewesen, die Hersteller zu wettbewerbswidrigem Verhalten
zu ermutigen (Randnr. 166 der Entscheidung). Bei der Beurteilung der Tragweite
der Anordnungen in Artikel 2 der Entscheidung seien diese Gesichtspunkte, die
Besonderheiten des Kartonmarkts und die durch die Existenz eines nahezu
unbeschränkten Kartells auf dem europäischen Markt gekennzeichnete Situation
zu berücksichtigen. In Anbetracht dieser Erwägungen sei das Vorbringen der
Klägerin zurückzuweisen, daß die Informationen, deren Austausch verboten werde,
allgemeiner Art seien und daß Artikel 2 der Entscheidung gegen den Grundsatz der
Rechtssicherheit verstoße. Das Verbot eines Informationsaustauschs gelte nämlich,
insbesondere in bezug auf die in Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a, b und c
genannten Informationen, nicht allgemein, sondern nur für Informationen, die ein
wettbewerbswidriges Verhalten erleichtern oder fördern sollten.
- 263.
- Schließlich habe die EWIS-Mitteilung einen ganz anderen wirtschaftlichen Kontext
als den des Kartonsektors betroffen (Nr. 3 der Mitteilung), insbesondere weil EWIS
nur globale Angaben über eine ausreichend große Zahl von Mitgliedern habe
machen dürfen, so daß das Verhalten eines einzelnen Mitglieds daraus nicht
ersichtlich gewesen sei (Nr. 7 der Mitteilung).
Würdigung durch das Gericht
- 264.
- Artikel 2 der Entscheidung lautet:
„Die in Artikel 1 bezeichneten Unternehmen stellen, soweit noch nicht geschehen,
den genannten Verstoß unverzüglich ab. Sie sehen im Zusammenhang mit ihren
Tätigkeiten im Kartonbereich künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten
Verhaltensweisen ab, mit denen gleiches oder ähnliches bezweckt oder bewirkt
wird, einschließlich jedes Austauschs von Geschäftsinformationen,
a) durch den die Teilnehmer mittel- oder unmittelbar Kenntnis von der
Produktion, den Verkäufen, dem Auftragsbestand, der
Kapazitätsausnutzung, den Verkaufspreisen, den Kosten oder den
Absatzplänen anderer einzelner Hersteller erlangen, oder
b) durch den auch ohne Offenlegung individueller Informationen eine
gemeinsame Reaktion der Branche auf wirtschaftliche Verhältnisse
hinsichtlich der Preise oder der Kontrolle der Produktion gefördert oder
erleichtert wird, oder
c) durch die die Teilnehmer in die Lage versetzt werden könnten, die
Erfüllung oder Beachtung ausdrücklicher oder stillschweigender
Vereinbarungen betreffend die Preise oder die Marktaufteilung in der
Gemeinschaft zu überwachen.
Jedes System für den Austausch allgemeiner Informationen (wie das FIDES-System
oder dessen Nachfolgesystem), an dem sie sich beteiligen, ist so zu gestalten, daß
es nicht nur alle Informationen, mit denen sich das Verhalten einzelner Hersteller
ermitteln läßt, sondern auch alle Daten über den gegenwärtigen Stand der
Auftragseingänge und der Auftragslage, die erwartete Kapazitätsausnutzung (in
beiden Fällen auch in globaler Form) oder die Produktionskapazität jeder
Maschine ausschließt.
Ein eventueller Informationsaustausch beschränkt sich auf die Beschaffung und
Verbreitung von Produktions- und Verkaufsstatistiken in globaler Form, die nicht
dazu benutzt werden können, ein gemeinsames Geschäftsverhalten zu fördern oder
zu erleichtern.
Die Unternehmen nehmen außerdem von jedem Austausch weiterer
wettbewerbsrelevanter Informationen über den zulässigen Informationsaustausch
hinaus sowie von allen Treffen oder sonstigen Kontakten zur Erörterung des
Aussagegehalts der ausgetauschten Informationen oder der möglichen oder
wahrscheinlichen Reaktion der Branche oder einzelner Hersteller auf diese
Informationen Abstand.
Für die notwendigen Änderungen an einem etwaigen Informationsaustauschsystem
wird eine Frist von drei Monaten ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser
Entscheidung eingeräumt.“
- 265.
- Wie sich aus Randnummer 165 der Entscheidung ergibt, wurde Artikel 2 der
Entscheidung gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 erlassen. Nach
dieser Bestimmung kann die Kommission u. a. dann, wenn sie eine
Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 des Vertrages feststellt, die beteiligten
Unternehmen durch Entscheidung verpflichten, die festgestellte Zuwiderhandlung
abzustellen.
- 266.
- Nach ständiger Rechtsprechung kann die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der
Verordnung Nr. 17 das Verbot umfassen, bestimmte Tätigkeiten, Praktiken oder
Sachverhalte fortzuführen oder fortdauern zu lassen, deren Rechtswidrigkeit
festgestellt worden ist (Urteile des Gerichtshofes vom 6. März 1974 in den
Rechtssachen 6/73 und 7/73, Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial
Solvents/Kommission, Slg. 1974, 223, Randnr. 45, und vom 6. April 1995 in den
Rechtssachen C-241/91 P und C-242/91 P, RTE und ITP/Kommission, Slg. 1995,
I-743, Randnr. 90), aber auch das Verbot, sich künftig ähnlich zu verhalten (Urteil
des Gerichts vom 6. Oktober 1994 in der Rechtssache T-83/91, Tetra
Pak/Kommission, Slg. 1994, II-755, Randnr. 220).
- 267.
- Da die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 der
festgestellten Zuwiderhandlung angepaßt sein muß, ist die Kommission außerdem
befugt, den Umfang der Verpflichtungen anzugeben, die die betroffenen
Unternehmen erfüllen müssen, damit die Zuwiderhandlung abgestellt wird.
Derartige den Unternehmen auferlegte Verpflichtungen dürfen jedoch nicht die
Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des angestrebten Zieles
Wiederherstellung der Legalität im Hinblick auf die verletzten Vorschriften
angemessen und erforderlich ist (Urteil RTE und ITP/Kommission, Randnr. 93; in
diesem Sinne auch Urteile des Gerichts vom 8. Juni 1995 in den Rechtssachen
T-7/93, Langnese Iglo/Kommission, Slg. 1995, II-1533, Randnr. 209, und T-9/93,
Schöller/Kommission, Slg. 1995, II-1611, Randnr. 163).
- 268.
- Um im vorliegenden Fall festzustellen, ob die Anordnung in Artikel 2 der
Entscheidung wie die Klägerin behauptet zu weit geht, ist der Umfang der
verschiedenen Verbote zu prüfen, die den Unternehmen damit auferlegt werden.
- 269.
- Das Verbot in Artikel 2 Absatz 1 Satz 2, wonach die Unternehmen künftig von
allen Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen absehen müssen, mit
denen gleiches oder ähnliches wie mit den in Artikel 1 der Entscheidung
festgestellten Zuwiderhandlungen bezweckt oder bewirkt wird, soll die
Unternehmen nur daran hindern, die Verhaltensweisen zu wiederholen, deren
Rechtswidrigkeit festgestellt wurde. Folglich hat die Kommission mit der
Aufstellung dieses Verbotes die ihr durch Artikel 3 der Verordnung Nr. 17verliehenen Befugnisse nicht überschritten.
- 270.
- Die Bestimmungen von Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben a, b und c betreffen
Einzelheiten zum Verbot des künftigen Austauschs von Geschäftsinformationen.
- 271.
- Die Anordnung in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe a, der für die Zukunft jeden
Austausch von Geschäftsinformationen verbietet, der es den Teilnehmern
ermöglicht, unmittelbar oder mittelbar individuelle Informationen über die
Konkurrenzunternehmen zu erlangen, setzt voraus, daß die Kommission in der
Entscheidung die Rechtswidrigkeit eines derartigen Informationsaustauschs im
Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages festgestellt hat.
- 272.
- In Artikel 1 der Entscheidung heißt es nicht, daß der Austausch individueller
Geschäftsinformationen als solcher gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
verstößt.
- 273.
- Dort wird in allgemeinerer Form ausgeführt, daß die Unternehmen gegen diesen
Artikel des Vertrages verstoßen hätten, indem sie sich an einer Vereinbarung und
abgestimmten Verhaltensweise beteiligt hätten, durch die sie u. a. „als Absicherung
der vorgenannten Maßnahmen Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise,
Abstellzeiten, Auftragsbestände und Kapazitätsauslastung) austauschten“.
- 274.
- Da der verfügende Teil der Entscheidung im Licht ihrer Gründe auszulegen ist
(Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, Randnr. 122), ist jedoch darauf hinzuweisen,
daß es in Randnummer 134 Absatz 2 der Entscheidung heißt:
„Der von den Herstellern in Sitzungen der PG Karton (vor allem des JMC)
praktizierte Austausch von normalerweise vertraulichen und sensitiven individuellen
Informationen über Auftragslage, Abstellzeiten und Produktionshöhe war
offenkundig wettbewerbsfeindlich, da mit ihm bezweckt wurde, möglichst günstige
Voraussetzungen für die Durchführung der vereinbarten Preisinitiativen zu
schaffen.“
- 275.
- Da die Kommission somit in der Entscheidung ordnungsgemäß ihre Ansicht
geäußert hat, daß im Austausch individueller Geschäftsinformationen als solchem
ein Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zu sehen sei, erfüllt das
Verbot, künftig einen derartigen Informationsaustausch vorzunehmen, die
Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung
Nr. 17.
- 276.
- Die in Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c der Entscheidung aufgestellten
Verbote des Austauschs von Geschäftsinformationen sind im Licht der Absätze 2,
3 und 4 dieses Artikels zu prüfen, die ihren Inhalt näher ausgestalten. In diesem
Kontext ist zu ermitteln, ob und, wenn ja, inwieweit die Kommission den fraglichen
Austausch als rechtswidrig angesehen hat, da der Umfang der den Unternehmen
auferlegten Verpflichtungen auf das zur Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit
ihres Verhaltens im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages erforderliche
Maß zu beschränken ist.
- 277.
- Die Entscheidung ist dahin auszulegen, daß die Kommission den Verstoß des
FIDES-Systems gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darin sah, daß es das
festgestellte Kartell stützte (Randnr. 134 Absatz 3 der Entscheidung). Diese
Auslegung wird durch den Wortlaut von Artikel 1 der Entscheidung bestätigt, aus
dem hervorgeht, daß die Geschäftsinformationen zwischen den Unternehmen „als
Absicherung“ der als Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
angesehenen Maßnahmen ausgetauscht wurden.
- 278.
- Im Licht dieser Auffassung der Kommission zur Frage der Vereinbarkeit des
FIDES-Systems mit Artikel 85 des Vertrages im vorliegenden Fall ist die Tragweite
der in die Zukunft gerichteten Verbote in Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b und c
der Entscheidung zu beurteilen.
- 279.
- Die fraglichen Verbote beschränken sich zum einen nicht auf den Austausch
individueller Geschäftsinformationen, sondern betreffen auch den Austausch
bestimmter globaler statistischer Daten (Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b und
Absatz 2 der Entscheidung). Zum anderen verbietet Artikel 2 Absatz 1
Buchstaben b und c der Entscheidung den Austausch bestimmter statistischer
Informationen, um dem Aufbau einer möglichen Stütze potentieller
wettbewerbswidriger Verhaltensweisen vorzubeugen.
- 280.
- Da ein solches Verbot den Austausch rein statistischer Informationen, die nicht den
Charakter individueller oder individualisierbarer Informationen haben, mit der
Begründung verhindern soll, daß die ausgetauschten Informationen zu
wettbewerbswidrigen Zwecken verwendet werden könnten, überschreitet es das zur
Wiederherstellung der Rechtmäßigkeit der festgestellten Verhaltensweisen
erforderliche Maß. Zum einen geht nämlich aus der Entscheidung nicht hervor, daß
die Kommission den Austausch statistischer Daten als solchen als Verstoß gegen
Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages angesehen hat. Zum anderen führt die bloße
Tatsache, daß ein System des Austauschs statistischer Informationen zu
wettbewerbswidrigen Zwecken verwendet werden kann, nicht zu seiner
Unvereinbarkeit mit Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages; vielmehr sind unter
derartigen Umständen seine konkreten wettbewerbswidrigen Auswirkungen zu
bestimmen. Folglich geht das Vorbringen der Kommission, daß Artikel 2 der
Entscheidung rein deklaratorischen Charakter habe (siehe oben, Randnr. 261), fehl.
- 281.
- Daher ist Artikel 2 Absätze 1 bis 4 der Entscheidung mit Ausnahme folgender
Passagen für nichtig zu erklären:
„Die in Artikel 1 bezeichneten Unternehmen stellen, soweit noch nicht geschehen,
den genannten Verstoß unverzüglich ab. Sie sehen im Zusammenhang mit ihren
Tätigkeiten im Kartonbereich künftig von allen Vereinbarungen oder abgestimmten
Verhaltensweisen ab, mit denen gleiches oder ähnliches bezweckt oder bewirkt
wird, einschließlich jedes Austauschs von Geschäftsinformationen,
a) durch den die Teilnehmer mittel- oder unmittelbar Kenntnis von der
Produktion, den Verkäufen, dem Auftragsbestand, der
Kapazitätsausnutzung, den Verkaufspreisen, den Kosten oder den
Absatzplänen anderer einzelner Hersteller erlangen.
Jedes System für den Austausch allgemeiner Informationen (wie das FIDES-System
oder dessen Nachfolgesystem), an dem sie sich beteiligen, ist so zu gestalten, daß
es alle Informationen, mit denen sich das Verhalten einzelner Hersteller ermitteln
läßt, ausschließt.“
Zum Antrag auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße
A Zu dem Klagegrund, mit dem geltend gemacht wird, daß die Definition von
Gegenstand und Dauer der Zuwiderhandlung falsch und die Geldbuße deshalb
herabzusetzen sei
- 282.
- Die Klägerin trägt unter Bezugnahme auf die vorangegangenen Klagegründe und
Argumente vor, die Zuwiderhandlung sei von ganz anderer inhaltlicher Tragweite,
von wesentlich kürzerer Dauer und sehr viel weniger schwerwiegend gewesen, als
die Kommission behaupte; deshalb sei die Geldbuße erheblich herabzusetzen.
- 283.
- Nach den im Rahmen der Prüfung der vorangegangenen Klagegründe getroffenen
Feststellungen hat die Kommission in bezug auf die Klägerin das Vorliegen und die
Dauer der in Artikel 1 der Entscheidung beschriebenen Zuwiderhandlung
zutreffend ermittelt.
- 284.
- Der vorliegende Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
B Zum Klagegrund eines Beurteilungsfehlers der Kommission, der darin bestehen
soll, daß sie das Kartell als, „was die Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend
erfolgreich“ angesehen habe, sowie eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht in
diesem Punkt
Vorbringen der Parteien
- 285.
- Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe einen Beurteilungsfehler begangen,
als sie bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße davon ausgegangen sei, daß das
Kartell, „was die Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend erfolgreich“ gewesen
sei (Randnr. 168 der Entscheidung). Die Kommission habe insoweit die von den
betroffenen Unternehmen und insbesondere von der Klägerin gelieferten Beweise
nicht berücksichtigt.
- 286.
- Die Modalitäten der Preisankündigungen seien branchenüblich, und die
Marktbedingungen, insbesondere die Transparenz des Marktes, seien der Grund
dafür, daß die Ankündigungen von Preiserhöhungen der verschiedenen Hersteller
in gewissem Umfang einheitlich und gleichzeitig erfolgt seien. Die Kommission
habe folgende Gesichtspunkte außer acht gelassen: a) Die tatsächlichen
Verkaufspreise seien stets deutlich niedriger gewesen als die angekündigten Preise,
b) es hätten stets erhebliche Unterschiede zwischen den für die einzelnen Kunden
geltenden Preisen bestanden, so daß es keinen Einheitspreis gegeben habe, c) die
Konjunkturzyklen hätten sich auf die Preisentwicklung ausgewirkt, und d) die
Differenz zwischen den für die einzelnen Kunden geltenden Preisen habe sich
während des fraglichen Zeitraums vergrößert, so daß eine stärkere
Individualisierung der Preise eingetreten sei.
- 287.
- Die Entwicklung der tatsächlichen Verkaufspreise sei allein durch die auf dem
Markt im fraglichen Zeitraum herrschenden Bedingungen und insbesondere durch
die relativ feste Nachfrage, die zufriedenstellende und bisweilen optimale
Kapazitätsausnutzung (vgl. Randnrn. 13 bis 15 der Entscheidung), den erheblichen
Anstieg der Kosten (vgl. Randnrn. 16 bis 19 der Entscheidung) und schließlich
durch einen ganz normalen durchschnittlichen Rentabilitätsgrad im gesamten
Zeitraum bestimmt worden. Unter diesen Umständen hätte die Kommission zu
dem Schluß kommen müssen, daß die Preiserhöhungen normal gewesen seien (vgl.
auch Randnr. 135 der Entscheidung) und daß die feststellbaren Erhöhungen der
tatsächlichen Verkaufspreise mit den ökonomischen Grundvariablen im Einklang
gestanden hätten. Sie hätte daher ferner zu dem Schluß kommen müssen, daß das
angebliche Kartell keine Auswirkungen auf die Entwicklung der tatsächlichen
Verkaufspreise gehabt habe.
- 288.
- Die tatsächlichen Verkaufspreise seien stets der Kostenentwicklung gefolgt. Der in
der zweiten Hälfte des Jahres 1989 eingetretene Rückgang der Rohstoffkosten sei
von einer erheblichen Erhöhung der Arbeits- und Energiekosten begleitet worden,
die etwa 35 % der Gesamtkosten der Kartonhersteller ausmachten. Daß die
Nachfrage 1991 zurückgegangen sei, deute ebensowenig darauf hin, daß andere
Faktoren als die Marktbedingungen die Preisentwicklung beeinflußt hätten, denn
die einzige Preiserhöhung im Jahr 1991 (im Monat Januar) sei bereits im Herbst
1990 angekündigt und von den Herstellern noch früher geplant worden.
- 289.
- Die Behauptung der Kommission zu den Auswirkungen des Kartells treffe auch auf
die angebliche Abstimmung der Marktanteile nicht zu, da es insoweit weder eine
Abstimmung noch ein System zur Kontrolle der Entwicklung der Marktanteile der
einzelnen Hersteller gegeben habe. Darüber hinaus hätten die Marktanteile der
Klägerin im fraglichen Zeitraum erheblich geschwankt.
- 290.
- Schließlich liege ein Begründungsmangel vor, der mit einem Widerspruch zwischen
den Schlußfolgerungen hinsichtlich der Auswirkungen des Kartells auf den Markt
und den tatsächlichen Feststellungen in der Entscheidung selbst zusammenhänge.
- 291.
- Die Kommission weist darauf hin, daß die Preise im fraglichen Zeitraum stets
regelmäßig erhöht und entsprechend den Absprachen der Hersteller in den
Ausschüssen der PG Karton angewandt worden seien, daß ein System zur Kontrolle
der Einhaltung der vom Kartell getroffenen Entscheidungen mit Hilfe der
ausgetauschten detaillierten Informationen geschaffen worden sei und daß die
Marktanteile der verschiedenen Hersteller stets mehr oder weniger konstant
geblieben seien. Unter diesen Umständen und insbesondere angesichts der
zahlreichen schriftlichen Beweise für das Kartell sei die Behauptung der Klägerin,
daß das Kartell die Markttendenzen nicht wesentlich verändert habe, nicht haltbar.
- 292.
- Hinsichtlich der Preisentwicklung sei auf den Erfolg des Kartells als Ganzes
abzustellen. Der Eintritt des Erfolges werde keineswegs durch die im übrigen
unbewiesene Tatsache widerlegt, daß die Klägerin weniger Vorteile erlangt habe
als andere.
- 293.
- Die geringen Veränderungen der Marktanteile der einzelnen Hersteller bestätigten,
daß das Kartell auch insoweit sehr erfolgreich gewesen sei.
- 294.
- Schließlich treffe es nach den vorstehenden Ausführungen nicht zu, daß die
Entscheidung mit einem Begründungsmangel hinsichtlich der Auswirkungen des
Kartells auf den Markt behaftet sei. Hierzu sei auf die Analysen der Bedingungen
und der Entwicklung des Marktes in den Randnummern 16, 21 und 137 der
Entscheidung zu verweisen; sofern man nicht versuche, eine Behauptung aus ihrem
Kontext zu reißen, sei kein Widerspruch in der Begründung der Entscheidung
festzustellen.
Würdigung durch das Gericht
- 295.
- Gemäß Randnummer 168, siebter Gedankenstrich, der Entscheidung hat die
Kommission bei der Festsetzung der Höhe der Geldbußen u. a. berücksichtigt, daß
das Kartell, „was die Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend erfolgreich“ war.Es ist unstreitig, daß mit dieser Erwägung auf die Auswirkungen der in Artikel 1
der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlung auf den Markt Bezug genommen
wird.
- 296.
- Zur Überprüfung der von der Kommission vorgenommenen Beurteilung der
Auswirkungen der Zuwiderhandlung braucht nach Ansicht des Gerichts nur die
Beurteilung der Auswirkungen der Preisabsprache untersucht zu werden. Erstens
geht nämlich aus der Entscheidung hervor, daß die Feststellung, wonach die Ziele
weitgehend erreicht worden seien, im wesentlichen auf den Auswirkungen der
Preisabsprache beruht. Während diese Auswirkungen in den Randnummern 100
bis 102, 115 und 135 bis 137 der Entscheidung analysiert werden, wird die Frage,
ob die Absprachen über die Marktanteile und über die Abstellzeiten Auswirkungen
auf den Markt hatten, darin nicht gesondert geprüft.
- 297.
- Zweitens kann durch die Untersuchung der Auswirkungen der Preisabsprache
jedenfalls zugleich festgestellt werden, ob das Ziel der Absprache über die
Abstellzeiten erreicht wurde, da mit ihr verhindert werden sollte, daß die
konzertierten Preisinitiativen durch ein Überangebot gefährdet würden.
- 298.
- Drittens macht die Kommission hinsichtlich der Absprache über die Marktanteile
nicht geltend, daß die an den Sitzungen des PWG teilnehmenden Unternehmen das
völlige Einfrieren ihrer Marktanteile bezweckt hätten. Nach Randnummer 60
Absatz 2 der Entscheidung war die Vereinbarung über die Marktanteile keine
statische Regelung, „sondern wurde in regelmäßigen Abständen angepaßt und neu
ausgehandelt“. Angesichts dieser Klarstellung kann der Kommission somit kein
Vorwurf daraus gemacht werden, daß sie die Ansicht vertreten hat, daß das Kartell,
was die Erreichung seiner Ziele betreffe, weitgehend erfolgreich gewesen sei, ohne
daß sie den Erfolg dieser Absprache über die Marktanteile in der Entscheidung
gesondert geprüft hat.
- 299.
- Bei der Preisabsprache hat die Kommission die allgemeinen Auswirkungen
beurteilt. Selbst wenn die von der Klägerin gemachten individuellen Angaben wie
sie behauptet zeigen sollten, daß die Preisabsprache für sie geringere als die auf
dem europäischen Kartonmarkt als Ganzem festgestellten Auswirkungen hatte,
würden diese individuellen Gegebenheiten daher als solche nicht ausreichen, um
die Beurteilung der Kommission in Frage zu stellen.
- 300.
- Wie die Kommission in der Verhandlung bestätigt hat, ist der Entscheidung zu
entnehmen, daß zwischen drei Arten von Auswirkungen unterschieden wurde.
Außerdem hat sich die Kommission darauf gestützt, daß die Hersteller selbst die
Preisinitiativen im wesentlichen als Erfolg gewertet hätten.
- 301.
- Die erste von der Kommission berücksichtigte und von der Klägerin nicht in
Abrede gestellte Art von Auswirkungen besteht darin, daß die vereinbarten
Preiserhöhungen den Kunden tatsächlich angekündigt wurden. Die neuen Preise
dienten somit als Referenz bei der individuellen Aushandlung der tatsächlichen
Verkaufspreise mit den Kunden (vgl. u. a. Randnrn. 100 und 101 Absätze 5 und 6
der Entscheidung).
- 302.
- Die zweite Art von Auswirkungen besteht darin, daß die Entwicklung der
tatsächlichen Verkaufspreise der Entwicklung der angekündigten Preise folgte.
Hierzu führt die Kommission aus, daß „sich die Hersteller nicht darauf
[beschränkten], die vereinbarten Preiserhöhungen anzukündigen, sondern ... mit
wenigen Ausnahmen auch alles [taten], um sicherzustellen, daß sie bei den
Kunden durchgesetzt wurden“ (Randnr. 101 Absatz 1 der Entscheidung). Sie räumt
ein, daß den Kunden bisweilen Zugeständnisse hinsichtlich des Termins des
Inkrafttretens der Erhöhungen gemacht oder vor allem bei Großaufträgen
individuelle Rabatte oder Skonti gewährt worden seien und daß „die
durchschnittliche Netto-Preiserhöhung, die nach allen Nachlässen, Rabatten und
sonstigen Zugeständnissen erzielt wurde, stets geringer [war] als der volle Betrag
der angekündigten Preisanhebung“ (Randnr. 102 letzter Absatz der Entscheidung).
Unter Bezugnahme auf Schaubilder in einer Wirtschaftsstudie, die im
Zusammenhang mit dem Verfahren vor der Kommission im Auftrag mehrerer
Adressaten der Entscheidung erstellt wurde (im folgenden: LE-Bericht), macht sie
jedoch geltend, in dem von der Entscheidung erfaßten Zeitraum habe es einen
„engen linearen Zusammenhang“ zwischen der Entwicklung der angekündigten
Preise und der Entwicklung der tatsächlichen Verkaufspreise ausgedrückt in
Landeswährung oder umgerechnet in Ecu gegeben. Sie zieht daraus folgenden
Schluß: „Die erzielten Netto-Preiserhöhungen vollzogen die Preisankündigungen
wenngleich mit etwas zeitlichem Abstand nach. Der Verfasser des Berichts
räumte bei der mündlichen Anhörung selbst ein, daß dies für die Jahre 1988 und
1989 zutrifft“ (Randnr. 115 Absatz 3 der Entscheidung).
- 303.
- Bei der Beurteilung dieser zweiten Art von Auswirkungen war die Kommission
zweifellos zu der Annahme berechtigt, daß die Existenz eines linearen
Zusammenhangs zwischen der Entwicklung der angekündigten Preise und der
Entwicklung der tatsächlichen Verkaufspreise den Beweis für eine Auswirkung der
Preisinitiativen auf die letztgenannten Preise entsprechend dem von den Herstellern
verfolgten Ziel darstellte. Denn unstreitig hat die Praxis individueller
Verhandlungen mit den Kunden auf dem fraglichen Markt zur Folge, daß die
tatsächlichen Verkaufspreise im allgemeinen nicht mit den angekündigten Preisen
übereinstimmen. Es war daher nicht zu erwarten, daß der Anstieg der tatsächlichen
Verkaufspreise mit den Erhöhungen der angekündigten Preise übereinstimmen
würde.
- 304.
- Hinsichtlich des Bestehens einer Wechselbeziehung zwischen den angekündigten
Preiserhöhungen und dem Anstieg der tatsächlichen Verkaufspreise hat die
Kommission zu Recht auf den LE-Bericht Bezug genommen, da in diesem die
Entwicklung des Kartonpreises in dem von der Entscheidung erfaßten Zeitraum
unter Heranziehung der von mehreren Herstellern, darunter der Klägerin selbst,
gemachten Angaben untersucht wird.
- 305.
- Dieser Bericht bestätigt jedoch in zeitlicher Hinsicht nur teilweise, daß es einen
„engen linearen Zusammenhang“ gab. Bei der Prüfung des Zeitraums von 1987 bis
1991 ergeben sich nämlich drei gesonderte Abschnitte. Während der Anhörung vor
der Kommission hat der Verfasser des LE-Berichts seine Schlußfolgerungen hierzu
wie folgt zusammengefaßt: „Es gibt keinen engen Zusammenhang, auch nicht in
zeitlichem Abstand, zwischen den angekündigten Preiserhöhungen und den
Marktpreisen zu Beginn des Zeitraums, von 1987 bis 1988. 1988/89 besteht ein
solcher Zusammenhang, und dann löst sich der Zusammenhang auf und verhält
sich im Zeitraum 1990/91 recht seltsam [oddly]“ (Anhörungsprotokoll, S. 28).
Ferner führte er aus, daß diese Veränderungen im Lauf der Zeit eng mit den
Nachfrageschwankungen zusammenhingen (vgl. u. a. Anhörungsprotokoll, S. 20).
- 306.
- Diese mündlichen Schlußfolgerungen des Verfassers stimmen mit der in seinem
Bericht vorgenommenen Analyse und insbesondere mit den Schaubildern überein,
in denen die Entwicklung der angekündigten Preise mit der Entwicklung der
tatsächlichen Verkaufspreise verglichen wird (LE-Bericht, Schaubilder 10 und 11,
S. 29). Somit ist festzustellen, daß die Kommission nur teilweise nachgewiesen hat,
daß es den von ihr geltend gemachten „engen linearen Zusammenhang“ gab.
- 307.
- In der Verhandlung hat die Kommission erklärt, daß sie noch eine dritte Art von
Auswirkungen der Preisabsprache berücksichtigt habe, die darin bestehe, daß die
tatsächlichen Verkaufspreise stärker gestiegen seien, als wenn es keinerlei
Absprache gegeben hätte. Hierzu hat die Kommission unter Hinweis darauf, daß
Zeitpunkt und Reihenfolge der Ankündigungen von Preiserhöhungen vom PWG
festgelegt worden seien, in der Entscheidung die Ansicht vertreten, es sei „unter
solchen Umständen undenkbar, daß die abgestimmten Preisankündigungen keine
Auswirkungen auf das tatsächliche Preisniveau hatten“ (Randnr. 136 Absatz 3 der
Entscheidung). Im LE-Bericht (Abschnitt 3) wurde jedoch eine Modellrechnung
vorgenommen, die die Vorhersage des Preisniveaus ermöglicht, das sich aus den
objektiven Marktbedingungen ergibt. Nach diesem Bericht hätte sich das anhand
objektiver wirtschaftlicher Faktoren in der Zeit von 1975 bis 1991 ermittelte
Preisniveau mit unerheblichen Abweichungen ebenso entwickelt wie das Niveau der
tatsächlichen Verkaufspreise; dies gilt auch für den von der Entscheidung erfaßten
Zeitraum.
- 308.
- Trotz dieser Ergebnisse läßt die im Bericht vorgenommene Analyse nicht den
Schluß zu, daß die konzertierten Preisinitiativen es den Herstellern nicht ermöglicht
haben, höhere tatsächliche Verkaufspreise als bei freiem Wettbewerb zu erzielen.
Insoweit ist es möglich, wie die Kommission in der Verhandlung ausgeführt hat,
daß die bei dieser Analyse herangezogenen Faktoren durch die Existenz der
Absprache beeinflußt wurden. So hat die Kommission zu Recht geltend gemacht,
daß das abgesprochene Verhalten z. B. den Anreiz für die Unternehmen verringern
konnte, ihre Kosten zu senken. Sie hat jedoch keinen direkten Fehler in der im LE-Bericht enthaltenen Analyse gerügt und auch keine eigenen wirtschaftlichen
Analysen zur hypothetischen Entwicklung der tatsächlichen Verkaufspreise bei
Fehlen jeder Abstimmung vorgelegt. Unter diesen Umständen geht ihre
Behauptung, daß die tatsächlichen Verkaufspreise ohne die Absprache zwischen
den Herstellern niedriger gewesen wären, fehl.
- 309.
- Folglich gibt es für die Existenz dieser dritten Art von Auswirkungen der
Preisabsprache keinen Beweis.
- 310.
- Auf die vorstehenden Feststellungen hat die subjektive Einschätzung der Hersteller
keinen Einfluß, auf die die Kommission ihre Annahme gestützt hat, daß das Kartell,
was die Erreichung seiner Ziele betreffe, weitgehend erfolgreich gewesen sei. Dabei
hat die Kommission auf eine von ihr in der Verhandlung vorgelegte Liste von
Schriftstücken Bezug genommen. Selbst wenn man unterstellt, daß sie ihre
Beurteilung des möglichen Erfolges der Preisinitiativen auf Schriftstücke stützen
konnte, in denen die subjektiven Empfindungen einiger Hersteller zum Ausdruck
kommen, ist aber festzustellen, daß mehrere Unternehmen, zu denen auch die
Klägerin gehört, in der Verhandlung zu Recht auf zahlreiche andere Aktenstücke
verwiesen haben, in denen von den Problemen die Rede ist, die die Hersteller bei
der Durchführung der vereinbarten Preiserhöhungen hatten. Unter diesen
Umständen reicht die Bezugnahme der Kommission auf Erklärungen der Hersteller
selbst nicht aus, um zu dem Ergebnis zu kommen, daß das Kartell, was die
Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend erfolgreich war.
- 311.
- In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen sind die von der Kommission geltend
gemachten Auswirkungen der Zuwiderhandlung nur teilweise bewiesen. Das
Gericht wird die Tragweite dieses Ergebnisses im Rahmen seiner Befugnis zur
unbeschränkten Nachprüfung von Geldbußen bei der Beurteilung der Schwere der
im vorliegenden Fall festgestellten Zuwiderhandlung prüfen (siehe unten, Randnr.
334).
- 312.
- Die Behauptung der Klägerin schließlich, daß die Begründung der Entscheidung
in bezug auf die Auswirkungen der Zuwiderhandlung unzureichend sei, trifft nicht
zu. Wie die vorstehende Prüfung ergeben hat, enthält die Entscheidung hinsichtlich
der Auswirkungen der festgestellten Zuwiderhandlung eine eingehende und
widerspruchsfreie Begründung.
C Zum Klagegrund eines Rechtsfehlers, der darin bestehen soll, daß die Kommission
die Verschleierung des Kartells als erschwerenden Umstand angesehen habe, und eines
insoweit vorliegenden Begründungsfehlers
Vorbringen der Parteien
- 313.
- Die Klägerin trägt vor, selbst wenn man unterstelle, daß eine gewisse Staffelung der
Ankündigungen von Preiserhöhungen das Ergebnis einer Abstimmung gewesen sei
was nicht zutreffe , hätte die Kommission dies nicht als besonderen
erschwerenden Umstand behandeln dürfen, da die „Verschleierung“ eines Kartells
mit der Zuwiderhandlung als solcher untrennbar verbunden sei.
- 314.
- Die Tatsache, daß die Kommission keine schriftlichen Beweise für ihre
Behauptungen hinsichtlich des Vorliegens einer Zuwiderhandlung habe finden
können, bedeute nicht, daß Verschleierungsmaßnahmen getroffen worden seien.
- 315.
- Schließlich sei die Begründung insofern unzureichend, als in der Entscheidung nicht
erläutert werde, weshalb die Verschleierung eines Kartells als erschwerender
Umstand anzusehen sei.
- 316.
- Die Kommission macht geltend, daß die Verschleierung der Existenz des Kartells
einen Gesichtspunkt darstelle, der bei der Beurteilung der Schwere der
Zuwiderhandlung zu berücksichtigen sei (Urteil BASF/Kommission, Randnr. 273).
Würdigung durch das Gericht
- 317.
- Randnummer 167 Absatz 3 der Entscheidung lautet: „Ein besonders gravierender
Aspekt des Verstoßes ist der Umstand, daß die Unternehmen bei dem Bemühen,
die Existenz des Kartells zu verschleiern, soweit gingen, daß sie im voraus
verabredeten, zu welchem Zeitpunkt und in welcher zeitlichen Folge die einzelnen
großen Hersteller die neuen Preiserhöhungen ankündigen würden.“ Ferner heißtes in der Entscheidung: „[D]ie Hersteller [hätten] aufgrund dieses ausgeklügelten
Systems die Serien einheitlicher, regelmäßiger und branchenweiter Preiserhöhungen
in der Kartonbranche dem Phänomen .oligopolistischen Verhaltens' zuschreiben
können“ (Randnr. 73 Absatz 3). Schließlich hat die Kommission gemäß
Randnummer 168, sechster Gedankenstrich, der Entscheidung bei der Festsetzung
des allgemeinen Niveaus der Geldbußen berücksichtigt, daß „aufwendige Schritte
unternommen [wurden], um die wahre Natur und das wahre Ausmaß der
Absprachen zu verschleiern (Fehlen jeglicher offiziellen Sitzungsniederschriften
oder Dokumente für den PWG und das JMC; Vorkehrungen gegen das Anfertigen
von Notizen; Maßnahmen mit dem Ziel, die Zeitpunkte und die zeitliche
Reihenfolge der Preiserhöhungsankündigungen so zu inszenieren, daß die
Unternehmen behaupten können, einem Preisführer zu folgen usw.)“.
- 318.
- Die Kommission hat aus den gesammelten Beweisen zu Recht geschlossen, daß die
Unternehmen die Zeitpunkte und die Reihenfolge der Schreiben, in denen die
Preiserhöhungen angekündigt wurden, festlegten, um zu versuchen, das Vorliegen
der Preisabsprache zu verschleiern. Diese Festlegung geht insbesondere aus den
Aussagen von Stora hervor (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte,
Punkt 30): „Es gab kein Standardverfahren dafür, wer eine Preiserhöhung zuerst
ankündigen und wer sich anschließen würde. Im PWG wurde erörtert und
vereinbart, wer die jeweilige Preiserhöhung zuerst ankündigen würde und wann die
Ankündigungen der anderen führenden Hersteller folgen. Der Ablauf war nicht
immer gleich.“ Ihr Vorhandensein wird ferner durch die Aktennotiz von Rena über
die Sitzung des JMC vom 6. September 1990 (Anlage 118 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte) bestätigt. Dieses Schriftstück enthält genaue Angaben über die
Zeitpunkte der Ankündigung der Preiserhöhungen im Januar 1991 durch einige
Mitgliedsunternehmen des PWG (Mayr-Melnhof, Feldmühle und Cascades), die
exakt den Daten entsprechen, zu denen diese Unternehmen ihre
Ankündigungsschreiben tatsächlich versandt haben (vgl. Randnrn. 87 und 88 der
Entscheidung).
- 319.
- Das Fehlen offizieller Protokolle und das fast völlige Fehlen interner Vermerke
über die Sitzungen des PWG und des JMC stellen in Anbetracht der Zahl und der
zeitlichen Dauer dieser Sitzungen sowie der Art der fraglichen Erörterungen einen
hinreichenden Beweis für die Behauptung der Kommission dar, daß Vorkehrungen
gegen das Anfertigen von Notizen getroffen worden seien.
- 320.
- Nach alledem war den Unternehmen, die an den Sitzungen dieser Gremien
teilnahmen, nicht nur die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens bewußt, sondern sie
haben auch Maßnahmen zur Verschleierung der Absprache getroffen. Die
Kommission hat diese Maßnahmen folglich bei der Beurteilung der Schwere der
Zuwiderhandlung zu Recht als erschwerende Umstände behandelt.
- 321.
- Schließlich hat sie ihre Beurteilung dieses Gesichtspunkts ausreichend begründet,
da sie in der Entscheidung erläutert hat, welche Verhaltensweisen der
Unternehmen im einzelnen als erschwerende Umstände angesehen wurden.
- 322.
- Der vorliegende Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
D Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, der
darin bestehen soll, daß die Kommission ohne objektive Rechtfertigung wesentlich
höhere Geldbußen festgesetzt habe als nach ihrer früheren Praxis
Vorbringen der Parteien
- 323.
- Die Klägerin trägt vor, die Erhöhung der Geldbuße im Vergleich zu den nach der
früheren Entscheidungspraxis der Kommission festgesetzten Beträgen stelle eine
ungerechtfertigte Ungleichbehandlung dar.
- 324.
- Eine Reihe ähnlicher Kartelle sei nämlich wesentlich weniger hart geahndet worden
(vgl. z. B. Entscheidung 86/398/EWG der Kommission vom 23. April 1986
betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags [IV/31.149
Polypropylen, ABl. L 230, S. 1; im folgenden: Polypropylen-Entscheidung]).
- 325.
- Auch im Vergleich zur Entscheidung 92/163/EWG der Kommission vom 24. Juli
1991 in einem Verfahren nach Artikel 86 EWG-Vertrag (Sache IV/31.043 Tetra
Pak II, ABl. 1992, L 72, S. 1) erscheine das allgemeine Niveau der Geldbußen nicht
gerechtfertigt.
- 326.
- Der Fehler bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung werde ferner
durch einen Vergleich mit der Höhe der in der Entscheidung 94/815/EG der
Kommission vom 30. November 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85
EG-Vertrag (Sache IV/33.126 und 33.322 Zement, ABl. L 343, S. 1) verhängten
Geldbußen bestätigt.
- 327.
- Die Kommission führt aus, jede Zuwiderhandlung weise eigene Besonderheiten auf.
Da der Grundsatz der Gleichbehandlung voraussetze, daß vergleichbare
Sachverhalte gleich behandelt würden, sei es unmöglich, die im vorliegenden Fall
festgesetzten Geldbußen in der Höhe mit denen zu vergleichen, die wegen
Zuwiderhandlungen festgesetzt worden seien, die unter anderen Modalitäten und
während anderer Zeiträume begangen worden seien. Im übrigen sei sie jedenfalls
berechtigt, das Niveau der Geldbußen anzuheben, wenn dies erforderlich sei, um
die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen (Urteil
des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-12/89, Solvay/Kommission,
Slg. 1992, II-907).
Würdigung durch das Gericht
- 328.
- Nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 kann die Kommission gegen
Unternehmen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 85 Absatz 1 des
Vertrages verstoßen haben, durch Entscheidung Geldbußen in Höhe von 1 000
ECU bis 1 000 000 ECU oder über diesen Betrag hinaus bis zu 10 % des von dem
einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten
Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen. Die Höhe der Geldbuße richtet sich
sowohl nach der Schwere als auch nach der Dauer der Zuwiderhandlung. Nach der
Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand
einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen
Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der
Geldbußen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von
Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müßten (Beschluß des
Gerichtshofes vom 25. März 1996 in der Rechtssache C-137/95 P, SPO
u. a./Kommission, Slg. 1996, I-1611, Randnr. 54).
- 329.
- Im vorliegenden Fall hat die Kommission bei der Festsetzung des allgemeinen
Niveaus der Geldbußen der Dauer der Zuwiderhandlung (Randnr. 167 der
Entscheidung) und folgenden Erwägungen Rechnung getragen (Randnr. 168 der
Entscheidung):
„ Preis- und Marktaufteilungsabsprachen stellen als solche schwere
Wettbewerbsbeschränkungen dar;
das Kartell erstreckte sich praktisch auf das ganze Gebiet der Gemeinschaft;
der EG-Kartonmarkt ist ein bedeutender Industriesektor, der jedes Jahr
einen Wert von bis zu 2,5 Milliarden ECU darstellt;
die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen repräsentieren
praktisch den gesamten Markt;
das Kartell wurde in einem System regelmäßiger Sitzungen institutionalisiert,
in denen der Kartonmarkt in der Gemeinschaft im einzelnen reguliert
wurde;
es wurden aufwendige Schritte unternommen, um die wahre Natur und das
wahre Ausmaß der Absprachen zu verschleiern (Fehlen jeglicher offiziellen
Sitzungsniederschriften oder Dokumente für den PWG und das JMC;
Vorkehrungen gegen das Anfertigen von Notizen; Maßnahmen mit dem
Ziel, die Zeitpunkte und die zeitliche Reihenfolge der
Preiserhöhungsankündigungen so zu inszenieren, daß die Unternehmen
behaupten können, einem Preisführer zu folgen usw.);
das Kartell war, was die Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend
erfolgreich.“
- 330.
- Außerdem geht aus einer Antwort der Kommission auf eine schriftliche Frage des
Gerichts hervor, daß gegen die als „Anführer“ des Kartells angesehenen
Unternehmen Geldbußen mit einem Basissatz von 9 % und gegen die übrigen
Unternehmen Geldbußen mit einem Basissatz von 7,5 % des von den Adressaten
der Entscheidung auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten
Umsatzes festgesetzt wurden.
- 331.
- Erstens ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission bei ihrer Beurteilung des
allgemeinen Niveaus der Geldbußen der Tatsache Rechnung tragen darf, daß
offenkundige Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft
immer noch verhältnismäßig häufig sind, und daß es ihr daher freisteht, das Niveau
der Geldbußen anzuheben, um deren abschreckende Wirkung zu verstärken.
Folglich ist die Kommission dadurch, daß sie in der Vergangenheit für bestimmte
Arten von Zuwiderhandlungen Geldbußen in bestimmter Höhe verhängt hat, nicht
daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen
Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der
gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen (vgl. u. a. Urteil des
Gerichtshofes vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80, 101/80, 102/80 und
103/80, Musique Diffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnrn.
105 bis 108, und Urteil ICI/Kommission, Randnr. 385).
- 332.
- Zweitens hat die Kommission zu Recht geltend gemacht, daß aufgrund der
Besonderheiten des vorliegenden Falles kein direkter Vergleich zwischen dem
allgemeinen Niveau der Geldbußen in der streitigen Entscheidung und dem Niveau
nach der früheren Entscheidungspraxis der Kommission insbesondere in der
Polypropylen-Entscheidung, die die Kommission selbst als die mit dem vorliegenden
Fall am besten vergleichbare Entscheidung ansieht vorgenommen werden kann.
Im Gegensatz zu dem Fall, der Gegenstand der Polypropylen-Entscheidung war,
wurde hier nämlich bei der Festlegung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen
kein genereller mildernder Umstand berücksichtigt. Im übrigen bilden, wie das
Gericht bereits festgestellt hat, die aufwendigen Maßnahmen der Unternehmen zur
Verschleierung der Existenz der Zuwiderhandlung einen besonders
schwerwiegenden Aspekt der Zuwiderhandlung, der sie von den früheren von der
Kommission aufgedeckten Zuwiderhandlungen unterscheidet.
- 333.
- Drittens ist auf die lange Dauer und die Offenkundigkeit der Zuwiderhandlung
gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages hinzuweisen, die trotz der Warnung
begangen wurde, die die frühere Entscheidungspraxis der Kommission und
insbesondere die Polypropylen-Entscheidung hätte darstellen müssen.
- 334.
- Aufgrund dieser Gesichtspunkte rechtfertigen die in Randnummer 168 der
Entscheidung wiedergegebenen Kriterien das von der Kommission festgelegte
allgemeine Niveau der Geldbußen. Das Gericht hat zwar bereits festgestellt, daß
die Auswirkungen der Preisabsprache, die die Kommission der Bestimmung des
allgemeinen Niveaus der Geldbußen zugrunde gelegt hat, nur teilweise bewiesen
sind. Angesichts der vorstehenden Erwägungen kann dieses Ergebnis die
Beurteilung der Schwere der festgestellten Zuwiderhandlung jedoch nicht spürbar
beeinflussen. Insoweit läßt sich schon allein daraus, daß die Unternehmen die
vereinbarten Preiserhöhungen tatsächlich angekündigt und daß die angekündigten
Preise als Grundlage für die Bestimmung der individuellen tatsächlichen
Verkaufspreise gedient haben, ableiten, daß die Preisabsprache eine schwere
Wettbewerbsbeschränkung sowohl bezweckt als auch bewirkt hat. Das Gericht ist
daher im Rahmen seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Ansicht, daß
die Feststellungen zu den Auswirkungen der Zuwiderhandlung keine Herabsetzung
des von der Kommission festgelegten allgemeinen Niveaus der Geldbußen
rechtfertigen.
- 335.
- Schließlich ist die Kommission bei der hier erfolgten Festlegung des allgemeinen
Niveaus der Geldbußen nicht derart von ihrer früheren Entscheidungspraxis
abgewichen, daß sie ihre Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung
ausführlicher hätte begründen müssen (vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 26.
November 1975 in der Rechtssache 73/74, Groupement des fabricants de papiers
peints de Belgique u. a./Kommission, Slg. 1975, 1491, Randnr. 31).
- 336.
- Somit ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.
E Zum Klagegrund einer unzureichenden Begründung und eines Verstoßes gegen die
Verteidigungsrechte in bezug auf die Berechnung der Geldbuße
Vorbringen der Parteien
- 337.
- Die Klägerin trägt vor, um festzustellen, ob die Kommission innerhalb der durch
Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 gesteckten Grenzen geblieben sei und
ihr Ermessen im Bußgeldbereich korrekt und willkürfrei ausgeübt habe, müsse
geprüft werden, ob die Entscheidung eine Beschreibung der von der Kommission
angewandten Kriterien enthalte. Die Entscheidung genüge diesen Anforderungen
nicht, denn darin werde weder das zur Ermittlung der Geldbußen herangezogene
Geschäftsjahr noch der zur Berechnung der einzelnen Geldbußen verwendete
Prozentsatz angegeben. Sie könne daher die Rechtmäßigkeit der Entscheidung
nicht wirksam überprüfen; dies stelle eine offenkundige Verletzung ihrer
Verteidigungsrechte dar.
- 338.
- Die Kommission führt aus, in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 sei weder
explizit noch implizit davon die Rede, daß sie den angewandten Berechnungsmodus
angeben müsse. Außerdem sei die Begründung der Entscheidung in bezug auf die
Gesichtspunkte, die für das allgemeine Bußgeldniveau sowie für die Höhe der
gegen die einzelnen Unternehmen festgesetzten Geldbußen maßgeblich gewesen
seien, voll und ganz mit den in ähnlichen Entscheidungen gegebenen Begründungen
vergleichbar. Darüber hinaus gebe es keinen Präzedenzfall, in dem die
Verpflichtung aufgestellt worden sei, die zur Berechnung der Geldbußen
verwendeten Kriterien im einzelnen anzugeben.
- 339.
- Sie sei nicht verpflichtet, die Höhe der Geldbußen anhand einer genauen
mathematischen Formel festzulegen; dies könnte die Unternehmen dazu
veranlassen, im voraus den Nutzen zu berechnen, den sie aus einer Teilnahme an
einem rechtswidrigen Kartell ziehen würden. Sie verfüge bei der Festlegung der
Höhe der Geldbußen über ein Ermessen, da diese ein Instrument ihrer
Wettbewerbspolitik darstellten (Urteil des Gerichts vom 6. April 1995 in der
Rechtssache T-150/89, Martinelli/Kommission, Slg. 1995, II-1165, Randnr. 59).
- 340.
- Schließlich könne auch die Tatsache, daß ein Mitglied der Kommission bei einer
Pressekonferenz rein informatorisch einige zusätzliche Details über die Geldbußen
mitgeteilt habe, keine Auswirkungen auf die Entscheidung haben; derartige
Angaben bedeuteten auch nicht, daß die Begründung der Entscheidung
unzureichend sei.
Würdigung durch das Gericht
- 341.
- Nach ständiger Rechtsprechung hat die Pflicht zur Begründung von
Einzelfallentscheidungen den Zweck, dem Gemeinschaftsrichter die Überprüfung
der Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu ermöglichen und den Betroffenen
so ausreichend zu unterrichten, daß er erkennen kann, ob die Entscheidung
zutreffend begründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre
Anfechtung ermöglicht; dabei hängt der Umfang der Begründungspflicht von der
Art des fraglichen Rechtsakts und den Umständen ab, unter denen er erlassen
wurde (vgl. u. a. Urteil des Gerichts vom 11. Dezember 1996 in der Rechtssache
T-49/95, Van Megen Sports/Kommission, Slg. 1996, II-1799, Randnr. 51).
- 342.
- Handelt es sich um eine Entscheidung, mit der wie im vorliegenden Fall gegen
mehrere Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln
der Gemeinschaft Geldbußen festgesetzt werden, so ist bei der Bestimmung des
Umfangs der Begründungspflicht insbesondere zu berücksichtigen, daß die Schwere
der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln
ist, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die
Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne daß es eine zwingende oder
abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden
müßten (Beschluß SPO u. a./Kommission, Randnr. 54).
- 343.
- Außerdem verfügt die Kommission bei der Festlegung der Höhe der einzelnen
Geldbußen über ein Ermessen und ist nicht verpflichtet, insoweit eine genaue
mathematische Formel anzuwenden (in diesem Sinne auch Urteil
Martinelli/Kommission, Randnr. 59).
- 344.
- Die zur Ermittlung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen und der Höhe der
individuellen Geldbußen herangezogenen Kriterien finden sich in den
Randnummern 168 und 169 der Entscheidung. Zudem führt die Kommission in
bezug auf die individuellen Geldbußen in Randnummer 170 aus, daß die
Unternehmen, die an den Sitzungen des PWG teilgenommen hätten, grundsätzlich
als „Anführer“ des Kartells und die übrigen Unternehmen als dessen „gewöhnliche
Mitglieder“ angesehen worden seien. Schließlich weist sie in den Randnummern
171 und 172 darauf hin, daß die gegen Rena und Stora festgesetzten Geldbußen
erheblich niedriger auszufallen hätten, um deren aktiver Kooperation mit der
Kommission Rechnung zu tragen, und daß acht andere Unternehmen, darunter die
Klägerin, ebenfalls in den Genuß einer in geringerem Umfang herabgesetzten
Geldbuße kommen könnten, da sie in ihren Erwiderungen auf die Mitteilung der
Beschwerdepunkte die vorgebrachten Tatsachenbehauptungen der Kommission in
der Substanz nicht bestritten hätten.
- 345.
- In ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen und in ihrer Antwort auf eine
schriftliche Frage des Gerichts hat die Kommission erläutert, daß die Geldbußen
auf der Grundlage des von den einzelnen Adressaten der Entscheidung auf dem
Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes berechnet worden
seien. Gegen die als „Anführer“ des Kartells angesehenen Unternehmen seien
Geldbußen mit einem Basissatz von 9 % und gegen die übrigen Unternehmen
Geldbußen mit einem Basissatz von 7,5 % festgesetzt worden. Schließlich habe die
Kommission gegebenenfalls dem kooperativen Verhalten bestimmter Unternehmen
während des Verwaltungsverfahrens Rechnung getragen. Bei zwei Unternehmen
seien die Geldbußen aus diesem Grund um zwei Drittel und bei anderen
Unternehmen um ein Drittel herabgesetzt worden.
- 346.
- Im übrigen ergibt sich aus einer von der Kommission vorgelegten Tabelle, die
Angaben zur Festlegung der Höhe aller individuellen Geldbußen enthält, daß diese
zwar nicht durch streng mathematische Anwendung allein der oben genannten
Zahlen ermittelt wurden, daß diese Zahlen jedoch bei der Berechnung der
Geldbußen systematisch herangezogen wurden.
- 347.
- In der Entscheidung wird aber nicht erläutert, daß die Geldbußen auf der
Grundlage des von den einzelnen Unternehmen auf dem Kartonmarkt der
Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes berechnet wurden. Auch die zur
Berechnung der festgesetzten Geldbußen angewandten Basissätze von 9 % für die
als „Anführer“ angesehenen Unternehmen und von 7,5 % für die „gewöhnlichen
Mitglieder“ sind in der Entscheidung nicht zu finden. Gleiches gilt für den Umfang
der Herabsetzung bei Rena und Stora einerseits und bei acht anderen
Unternehmen andererseits.
- 348.
- Im vorliegenden Fall ist erstens davon auszugehen, daß die Randnummern 169 bis
172 der Entscheidung bei einer Auslegung im Licht der in der Entscheidung zu
findenden eingehenden Darstellung der jedem ihrer Adressaten zur Last gelegten
Sachverhalte ausreichende und sachgerechte Angaben zu den Gesichtspunkten
enthalten, die bei der Beurteilung der Schwere und der Dauer der von den
einzelnen Unternehmen begangenen Zuwiderhandlung herangezogen wurden (in
diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache
T-2/89, Petrofina/Kommission, Slg. 1991, II-1087, Randnr. 264).
- 349.
- Zweitens würde, wenn die Höhe der jeweiligen Geldbußen wie hier auf der
Grundlage der systematischen Heranziehung einiger ganz bestimmter Daten
ermittelt wird, die Angabe all dieser Faktoren in der Entscheidung den
Unternehmen die Beurteilung der Frage erleichtern, ob die Kommission bei der
Festlegung der Höhe der individuellen Geldbuße Fehler begangen hat und ob die
Höhe jeder individuellen Geldbuße in Anbetracht der angewandten allgemeinen
Kriterien gerechtfertigt ist. Im vorliegenden Fall wäre mit der Angabe der
fraglichen Faktoren Referenzumsatz, Referenzjahr, angewandte Basissätze und
Umfang der Herabsetzung der Geldbußen in der Entscheidung keine
möglicherweise gegen Artikel 214 des Vertrages verstoßende implizite Preisgabe
des genauen Umsatzes der Adressaten der Entscheidung verbunden gewesen. Denn
der Endbetrag der individuellen Geldbußen ergibt sich, wie die Kommission selbst
ausgeführt hat, nicht aus einer streng mathematischen Anwendung dieser Faktoren.
- 350.
- Die Kommission hat im übrigen in der Verhandlung eingeräumt, daß sie in der
Entscheidung die systematisch berücksichtigten und in einer Pressekonferenz am
Tag ihres Erlasses bekanntgegebenen Faktoren durchaus hätte aufzählen können.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Begründung einer Entscheidung nach
ständiger Rechtsprechung in der Entscheidung selbst enthalten sein muß und daß
nachträgliche Erläuterungen der Kommission nur unter außergewöhnlichen
Umständen berücksichtigt werden können (vgl. Urteil des Gerichts vom 2. Juli 1992
in der Rechtssache T-61/89, Dansk Pelsdyravlerforening/Kommission, Slg. 1992,
II-1931, Randnr. 131; in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 12. Dezember
1991 in der Rechtssache T-30/89, Hilti/Kommission, Slg. 1991, II-1439, Randnr.
136).
- 351.
- Gleichwohl ist festzustellen, daß die Begründung zur Festlegung der Höhe der
Geldbußen in den Randnummern 167 bis 172 der Entscheidung mindestens ebenso
detailliert ist wie die Begründung in früheren Entscheidungen der Kommission, die
ähnliche Zuwiderhandlungen betrafen. Zwar ist der Klagegrund eines
Begründungsmangels von Amts wegen zu berücksichtigen, doch hatte der
Gemeinschaftsrichter zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung noch in keinem
Fall die Praxis der Kommission bei der Begründung der festgesetzten Geldbußen
gerügt. Erst im Urteil vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-148/89
(Tréfilunion/Kommission, Slg. 1995, II-1063, Randnr. 142) und in zwei anderen
Urteilen vom selben Tag in den Rechtssachen T-147/89 (Société métallurgique de
Normandie/Kommission, Slg. 1995, II-1057, abgekürzte Veröffentlichung) und
T-151/89 (Société des treillis et panneaux soudés/Kommission, Slg. 1995, II-1191,
abgekürzte Veröffentlichung) hat es das Gericht erstmals als wünschenswert
bezeichnet, daß die Unternehmen die Berechnungsweise der gegen sie verhängten
Geldbuße im einzelnen in Erfahrung bringen können, ohne zu diesem Zweck
gerichtlich gegen die Entscheidung der Kommission vorgehen zu müssen.
- 352.
- Folglich muß die Kommission, wenn sie in einer Entscheidung eine
Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln feststellt und gegen die daran
beteiligten Unternehmen Geldbußen verhängt und wenn sie systematisch bestimmte
Grundelemente bei der Festlegung der Höhe der Geldbußen heranzieht, diese
Elemente in der Entscheidung selbst angeben, um es deren Adressaten zu
ermöglichen, die Richtigkeit der Höhe der Geldbuße zu überprüfen und
festzustellen, ob eine Diskriminierung vorliegt.
- 353.
- Unter den zuvor in Randnummer 351 genannten besonderen Umständen und unter
Berücksichtigung der Tatsache, daß die Kommission bereit war, im gerichtlichen
Verfahren alle Auskünfte über den Berechnungsmodus der Geldbußen zu geben,
kann das Fehlen einer speziellen Begründung für den Berechnungsmodus der
Geldbußen in der Entscheidung im vorliegenden Fall nicht als Verstoß gegen die
Begründungspflicht angesehen werden, der die völlige oder teilweise
Nichtigerklärung der festgesetzten Geldbußen rechtfertigt. Die Klägerin hat
überdies auch nicht dargelegt, daß sie daran gehindert worden wäre, von ihren
Verteidigungsrechten sachgerecht Gebrauch zu machen.
- 354.
- Der vorliegende Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
F Zum Klagegrund eines Beurteilungsfehlers der Kommission, der darin bestehen
soll, daß sie die Rolle der Klägerin im Rahmen des Kartells sowie ihr tatsächliches
Marktverhalten nicht gebührend berücksichtigt habe, und einer insoweit
unzureichenden Begründung
Vorbringen der Parteien
- 355.
- Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe ihre besondere Stellung auf dem
Markt und innerhalb der PG Karton nicht gebührend berücksichtigt. Sie beschreibt
im einzelnen ihre Marktstellung und führt aus, nach der Produktionskapazität sei
sie 1990 nur der fünftgrößte und 1991 nur der viertgrößte Hersteller in Westeuropa
gewesen (vgl. die in Randnr. 9 der Entscheidung erwähnten Studien), wobei ihr
Marktanteil nur halb so groß gewesen sei wie der des Marktführers. Außerdem
habe sie aufgrund ihrer Spezialisierung auf die GD-Sorten nicht über die Flexibilität
der Hersteller verfügt, die sowohl im GD-Bereich als auch im GC-Bereich große
Mengen produziert hätten. Sie sei starken Angriffen sowohl der skandinavischen
Hersteller, die durch den unmittelbaren und integrierten Zugang zu Rohfasern
begünstigt würden, als auch der deutschen und österreichischen Hersteller, die
durch die nationalen Regelungen über die Wiederverwertung begünstigt würden,
ausgesetzt gewesen und immer noch ausgesetzt. Um mit der Dynamik dieser
Konkurrenten Schritt halten zu können, habe sie sich 1986 darum bemüht, in den
Kreis der Teilnehmer an den Treffen der PG Karton aufgenommen zu werden;
diese Teilnahme habe ihr die Kontrolle des Verhaltens ihrer Hauptkonkurrenten
ermöglichen sollen.
- 356.
- Die Kommission habe keinen Beweis für das tatsächliche Verhalten der Klägerin
vorgelegt und nichts vorgetragen, was deren folgende Argumente widerlegen
könnte: a) Sie habe ihre tatsächlichen Verkaufspreise autonom und im Einklang
mit den Marktbedingungen festgelegt, b) es habe beträchtliche Unterschiede
zwischen den angekündigten Preisen und den tatsächlichen Verkaufspreisen
gegeben, c) ihre Marktanteile hätten während des gesamten fraglichen Zeitraums
erheblich geschwankt, und d) in Übereinstimmung mit den Marktbedingungen habe
sie die Produktion nie unterbrochen. Sie habe keinerlei Initiativen zur
Einschränkung der Handlungsfreiheit ihrer Konkurrenten ergriffen. Der einzige
Beweis für ein solches Verhalten finde sich in einem privaten Vermerk, der
zwischen zwei Geschäftsführern von Konkurrenzunternehmen ausgetauscht worden
sei. Dieser Vermerk sei jedoch allgemein gehalten und nehme auf ein VerhaltenBezug, das der Klägerin lediglich zugeschrieben werde (Anlage 109 der Mitteilung
der Beschwerdepunkte).
- 357.
- Eine Prüfung ihres tatsächlichen Verhaltens hätte gezeigt, daß dies im angeblichen
Kartell keine Entsprechung gefunden habe; dies hätte die Kommission dazu
veranlassen müssen, die Situation der Klägerin bei der Ermittlung der Höhe der
Geldbuße wesentlich günstiger zu beurteilen. Der bei FS-Karton gefundene und
von der Kommission als Beweis für die tatsächliche Umsetzung des Kartells durch
die Klägerin herangezogene Vermerk betreffe keineswegs ihr tatsächliches
Marktverhalten, sondern belege nur eine Beteiligung an einer Absprache über die
angekündigten Preise.
- 358.
- Schließlich sei die Entscheidung insofern unzureichend begründet, als die
Kommission es ohne Angabe von Gründen unterlassen habe, wesentliche von der
Klägerin vorgetragene Gesichtspunkte in bezug auf ihre Rolle in der PG Karton
und ihr Marktverhalten zu beurteilen.
- 359.
- Die Kommission trägt vor, sie habe in Randnummer 169 der Entscheidung sowohl
der Rolle jedes Unternehmens bei den Absprachen als auch dem tatsächlichen
Verhalten der Klägerin Rechnung getragen. Die Entscheidung sei in diesem Punkt
ordnungsgemäß begründet.
Würdigung durch das Gericht
- 360.
- Den Feststellungen zu den von der Klägerin zur Stützung ihres Antrags auf völlige
oder teilweise Nichtigerklärung von Artikel 1 der Entscheidung geltend gemachten
Klagegründen ist zu entnehmen, daß die Kommission nachgewiesen hat, daß der
PWG die in der Entscheidung beschriebenen Funktionen hatte.
- 361.
- Unter diesen Umständen war die Kommission zu dem Schluß berechtigt, daß die
Unternehmen, die an den Sitzungen dieses Gremiums teilnahmen und zu denen die
Klägerin gehört, als „Anführer“ der festgestellten Zuwiderhandlung anzusehen
waren und aus diesem Grund eine besondere Verantwortung zu tragen hatten (vgl.
Randnr. 170 Absatz 1 der Entscheidung). Die Erläuterungen der Klägerin, daß sie
nur deshalb an den Sitzungen des PWG teilgenommen habe, um Informationen zu
erlangen, die ihr die Kontrolle des Verhaltens ihrer Hauptkonkurrenten
ermöglichten, bestätigen lediglich das im wesentlichen wettbewerbsfeindliche Ziel
ihrer Teilnahme.
- 362.
- Im übrigen hat die Klägerin nicht dargetan, daß sie in den Gremien der PG Karton
eine weitgehend passive Rolle gespielt und daß sie ihr tatsächliches Marktverhalten
stets autonom festgelegt hätte.
- 363.
- Insoweit ist unstreitig, daß sie an den konzertierten Preisinitiativen tatsächlich
mitwirkte, indem sie die vereinbarten Preiserhöhungen auf dem Markt ankündigte.
Darüber hinaus ergibt sich, wie die Kommission zu Recht vorgetragen hat, aus
Anlage 109 der Mitteilung der Beschwerdepunkte (siehe oben, Randnr. 55), daß
die Klägerin an andere Hersteller appellierte, sich an die vereinbarten
Preiserhöhungen zu halten. Schließlich gibt es beim effektiven Preisverhalten der
Klägerin keinen Anhaltspunkt dafür, daß ihre tatsächlichen Verkaufspreise spürbar
niedriger gewesen wären als die der anderen an der Preisabsprache beteiligten
Hersteller.
- 364.
- Zu dem Vorbringen der Klägerin, ihre Marktanteile hätten in dem von der
Entscheidung erfaßten Zeitraum der Zuwiderhandlung geschwankt, genügt die
Feststellung, daß diese Schwankungen nach Angaben der Klägerin damit zu
erklären sind, daß mehrere Hersteller ihre Produktionskapazität erhöht hatten, um
den bis 1990 anhaltenden starken Anstieg der Nachfrage zu befriedigen. Unter
diesen Umständen können die Schwankungen der Marktanteile der Klägerin, auch
wenn sie ihre Produktionskapazität erst im Februar 1991 durch den Erwerb von
Prat Carton erhöhte, ihre Verantwortung für ihr wettbewerbswidriges Verhalten
nicht verringern.
- 365.
- Hinzu kommt, daß sich die Marktbedingungen erst im Jahr 1990 dahin gehend
entwickelten, daß sich die Unternehmen tatsächlich zu Abstellzeiten gezwungen
sahen, und daß auch nach den Angaben in der Entscheidung insoweit nur ein
„loses System der Ermutigung“ bestand (siehe oben, Randnrn. 96 und 151). Die
Klägerin nahm an den Sitzungen teil, auf denen die Frage der Abstellzeiten
angesprochen wurde, ohne sich offen von den dortigen Erörterungen zu
distanzieren; deshalb läge selbst dann, wenn man unterstellt, daß die Klägerin in
dem von der Entscheidung erfaßten Zeitraum keine Produktionsunterbrechungen
vornahm, darin kein Beweis dafür, daß ihr individuelles Verhalten dazu beitragen
konnte, die wettbewerbswidrigen Wirkungen der festgestellten Zuwiderhandlung zu
mindern.
- 366.
- Im Ergebnis enthält die Entscheidung bei Berücksichtigung aller ihrer
Begründungserwägungen eine hinreichende Begründung für die Beurteilung der
Rolle der Klägerin bei der festgestellten Zuwiderhandlung und ihres
Marktverhaltens durch die Kommission.
- 367.
- Folglich ist auch der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.
G Zu dem Klagegrund, der darauf gestützt wird, daß die Kommission bestimmte
mildernde Umstände hätte berücksichtigen müssen
Vorbringen der Parteien
- 368.
- Die Klägerin trägt vor, selbst wenn man davon ausgehe, daß das Kartell im
allgemeinen Auswirkungen auf die Marktbedingungen gehabt habe, hätte die
Kommission zumindest als mildernde Umstände eine Reihe von Gesichtspunkten
heranziehen müssen, die zeigten, daß das Kartell keine oder nur unerhebliche
Auswirkungen auf das für die Beurteilung ihrer Situation maßgebliche
Marktsegment gehabt habe.
- 369.
- Erstens hätte die Kommission berücksichtigen müssen, daß die tatsächlichen
Verkaufspreise, die sie zwischen 1986 und 1992 auf dem italienischen Markt dem
Hauptabsatzgebiet für ihre Erzeugnisse erzielt habe, stets der Entwicklung des
Indexes der Industriepreise gefolgt seien. Zweitens hätte sie berücksichtigen
müssen, wie leicht Karton durch andere Arten von Erzeugnissen z. B. alle
Plastikderivate ersetzt werden könne; dies bedeute, daß jegliche „Ausbeutung“
des Marktes ausgeschlossen oder stark eingeschränkt sei. Schließlich hätte die
Kommission drittens berücksichtigen müssen, daß die GD-Sorten im fraglichen
Zeitraum einen erheblichen Marktanteil an die GC-Sorten verloren hätten. Auch
angesichts des gesunkenen Marktanteils der Klägerin und des Umfangs der
Erhöhungen der italienischen Preise, der geringer gewesen sei als die
Preiserhöhungen auf den anderen europäischen Märkten, sei daraus zu schließen,
daß das Kartell der Klägerin keinen Erfolg gebracht habe.
- 370.
- Die Kommission weist darauf hin, daß die Auswirkung des Kartells als Ganzes auf
den Markt zu beurteilen sei und daß das Kartell unter diesem Blickwinkel sehr
erfolgreich gewesen sei. Jedenfalls könne keiner der von der Klägerin angeführten
Gesichtspunkte als mildernder Umstand angesehen werden, der eine Herabsetzung
der Geldbuße rechtfertige.
Würdigung durch das Gericht
- 371.
- Das Gericht hat bereits geprüft, ob die Kommission die Auswirkungen der
Zuwiderhandlung auf den Markt ordnungsgemäß beurteilt hat (siehe oben,
Randnrn. 295 ff.) und ob das Marktverhalten der Klägerin bei der Festlegung der
Höhe der Geldbuße als mildernder Umstand hätte berücksichtigt werden müssen
(siehe oben, Randnrn. 360 ff.).
- 372.
- Angesichts der dort getroffenen Feststellungen kann dem Vorbringen der Klägerin
im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes nicht gefolgt werden.
- 373.
- Da die Preisabsprache sowohl GC-Karton als auch GD-Karton betraf und es
keinen Anhaltspunkt dafür gibt, daß das individuelle Verhalten der Klägerin dazu
beigetragen hat, die wettbewerbswidrigen Wirkungen der Zuwiderhandlung zu
mindern, hat die Kommission bei der Festsetzung der Höhe der gegen die Klägerin
verhängten Geldbuße den Absatzrückgang bei GD-Karton zugunsten von GC-Karton zu Recht nicht berücksichtigt. Außerdem hat die Klägerin nicht
nachgewiesen, daß zwischen der Zuwiderhandlung und der Entwicklung der
Marktanteile der verschiedenen Kartonsorten ein Zusammenhang bestand.
- 374.
- Selbst wenn die Erhöhungen der tatsächlichen Verkaufspreise auf dem italienischen
Markt dem Hauptabsatzgebiet der Klägerin geringer ausgefallen sein sollten als
auf den anderen Märkten der Gemeinschaft, genügt im übrigen der Hinweis, daß
sich die Preisabsprache, an der die Klägerin mitwirkte, fast auf das gesamte Gebiet
der Gemeinschaft erstreckte und daß die Klägerin die vereinbarten
Preiserhöhungen auf allen wichtigen europäischen Märkten ankündigte (vgl. die der
Entscheidung beigefügten Tabellen B bis G).
- 375.
- Schließlich ist eine etwaige weitgehende Austauschbarkeit von Karton und anderen
Erzeugnissen nicht geeignet, die vom Gericht bereits getroffenen Feststellungen zu
den Auswirkungen der Preisabsprache zu beeinflussen (siehe oben, Randnrn.
295 ff.).
- 376.
- Folglich ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.
H Zum Klagegrund eines sachlichen Fehlers bei der Berechnung der gegen die
Klägerin festgesetzten Geldbuße
Vorbringen der Parteien
- 377.
- Die Klägerin macht geltend, der Kommission sei bei der Berechnung der Geldbuße
ein sachlicher Fehler unterlaufen. Die Beklagte habe den im August 1991 in
Beantwortung eines Auskunftsverlangens im Sinne von Artikel 11 der Verordnung
Nr. 17 mitgeteilten Betrag des Umsatzes im Jahr 1990 herangezogen, obwohl sie
die Geldbuße anhand des 1993 als Anlage zur Antwort auf die Mitteilung der
Beschwerdepunkte übermittelten berichtigten und bestätigten Umsatzes hätte
berechnen müssen.
- 378.
- Unter diesen Umständen sei der Kommission nicht nur ein sachlicher Fehler bei
der Berechnung der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße unterlaufen,
sondern sie habe auch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, da
die gegen die übrigen Adressaten der Entscheidung festgesetzten Geldbußen auf
korrekter Grundlage berechnet worden seien. Durch die Berechnung der Geldbuße
auf der Grundlage einer Umsatzzahl, die mitgeteilt worden bei, bevor die Klägerin
mit der Möglichkeit der Festsetzung einer Geldbuße habe rechnen können, und
durch die Nichtbeachtung der später übermittelten bestätigten Zahlen habe die
Kommission auch die Verteidigungsrechte der Klägerin verletzt.
- 379.
- Die Kommission entgegnet, sie habe den in Beantwortung eines
Auskunftsverlangens im Sinne von Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 angegebenen
Umsatz gerade deshalb herangezogen, um jede Beanstandung auszuschließen; für
sie sei nicht ersichtlich, weshalb die vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte
übermittelte Zahl falsch und die danach genannte Zahl richtig sein solle.
Würdigung durch das Gericht
- 380.
- Nach dem Inhalt der Akten hat die Kommission keinen Fehler begangen, als sie
bei der Berechnung der Geldbuße den von der Klägerin im August 1991
mitgeteilten und nicht den im Mai 1993 übermittelten berichtigten Umsatz des
Jahres 1990 zugrunde legte. Ein Unternehmen, das während des
Verwaltungsverfahrens vor der Kommission eine ihr zuvor in Beantwortung eines
ihrer Auskunftsverlangen übermittelte Zahlenangabe wie den Umsatz berichtigt,
muß eingehend die Gründe erläutern, aus denen die ursprüngliche Angabe im
weiteren Verfahren nicht mehr herangezogen werden soll.
- 381.
- Dies ist hier aber nicht geschehen. Die Klägerin hat sich in ihrer Antwort auf die
Mitteilung der Beschwerdepunkte auf den Hinweis beschränkt, daß der Umsatz des
Jahres 1990 durch den Abzug von Beträgen berichtigt worden sei, die mit
konzerninternen Leistungen, dem Verkauf von durch die Untersuchung der
Kommission nicht betroffenen Erzeugnissen (Schachteln und unbehandelter
Karton), Reklamationen, Mengenprämien, unverkaufter Ware und den Kunden
gewährten Rabatten zusammenhingen, ohne diese Berichtigung durch detaillierte
Zahlenangaben zu untermauern. Außerdem ist der berichtigte Umsatz nicht durch
einen Rechnungsprüfer bestätigt worden; die Klägerin hat in der Verhandlung
eingeräumt, daß ihre dahin gehende Behauptung unzutreffend war. Folglich war die
Kommission berechtigt, nicht den berichtigten Umsatz heranzuziehen und die
Geldbuße anhand des ursprünglich mitgeteilten Umsatzes zu berechnen.
- 382.
- Der Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
I Zum Klagegrund eines methodischen Fehlers bei der Berechnung der Geldbuße
Vorbringen der Parteien
- 383.
- Die Klägerin führt aus, die Kommission habe zur Bestimmung der Höhe der
festgesetzten Geldbuße zunächst den im Referenzgeschäftsjahr, dem Geschäftsjahr
1990, erzielten Umsatz unter Verwendung des durchschnittlichen Wechselkursesfür dieses Jahr in Ecu umgerechnet und sodann unter Anwendung des zuvor
gewählten Prozentsatzes, der in ihrem Fall 6 % betragen habe, die Höhe der
Geldbuße ermittelt. Bei dieser Vorgehensweise habe die Kommission die
Wirkungen der Währungsschwankungen außer acht gelassen, da sowohl die
spanische Peseta als auch die italienische Lira seit 1990 gegenüber der ECU und
den anderen europäischen Währungen stark gefallen seien. In nationaler Währung
müßte sie heute etwa 2 452 Millionen PTA aufbringen, um die Geldbuße zu zahlen.
Auf der Grundlage des bestätigten Umsatzes (27 256 Millionen PTA) bei
Kartonverkäufen innerhalb der Gemeinschaft im Jahr 1990 hätte sich eine
Geldbuße von 6 % dieses Betrages aber auf etwa 1 635 Millionen PTA belaufen
müssen. Die tatsächlich festgesetzte Geldbuße stelle somit eine zusätzliche
finanzielle Belastung von 817 Millionen PTA dar. Ziehe man den Wechselkurs zum
Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entscheidung heran, so entspreche die Höhe
der Geldbuße tatsächlich etwa 9 % des Umsatzes im Jahr 1990. Daher sei davon
auszugehen, daß die Kommission entweder die Herabsetzung um ein Drittel
unterlassen habe, obwohl sie von ihr zugestanden worden sei, oder daß die
Geldbuße vor dieser Herabsetzung etwa 13,4 % des Umsatzes des Referenzjahres
betragen und damit die in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 vorgesehene
rechtliche Grenze von 10 % des Umsatzes überschritten habe.
- 384.
- Im (Prozent-)Satz der Geldbuße solle zum Ausdruck kommen, zu welchem
Ergebnis die Kommission in bezug auf die Höhe und somit die Wirkung gelangt sei,
die die Geldbuße im Verhältnis zum Umsatz des betreffenden Unternehmens
haben solle. Daraus folge aber, daß die Höhe der Geldbuße auf der Grundlage der
Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung zu ermitteln sei, während Faktoren
wie die Währungsschwankungen, die mit der zu ahndenden Zuwiderhandlung nichts
zu tun hätten und ihrem Urheber nicht anzulasten seien, somit keinen Einfluß auf
die Höhe der Geldbuße haben dürften. Insoweit sei auf die Schlußanträge von
Generalanwalt Sir Gordon Slynn in der Rechtssache Musique Diffusion française
u. a./Kommission (Slg. 1983, 1914) zu verweisen, wonach bei der Festlegung der
Höhe der Geldbußen die neuesten Umsatzzahlen zu berücksichtigen seien, in
denen die wirkliche Lage des Unternehmens am besten zum Ausdruck komme.
- 385.
- Ihre Auffassung, daß Wechselkursschwankungen keinen Einfluß auf die Höhe der
Geldbuße haben dürften, werde durch das Urteil des Gerichtshofes vom 9. März
1977 in den Rechtssachen 41/73, 43/73 und 44/73 Auslegung (Société anonyme
générale sucrière u. a./Kommission, Slg. 1977, 445, Randnrn. 12 bis 17) bestätigt.
In ihrer Erwiderung wendet sich die Klägerin gegen die Auffassung der
Kommission, nach der dieses Urteil bestätige, daß die Umrechnung der damals
geltenden Rechnungseinheit (RE) in Landeswährung nicht erforderlich gewesen
wäre, wenn es sich um eine Währung gehandelt hätte, in der Zahlungen hätten
vorgenommen werden können.
- 386.
- Die Entscheidung führe auch zu ungerechtfertigten Ungleichbehandlungen, da die
Währungsschwankungen das Verhältnis zwischen den verschiedenen festgesetzten
Geldbußen grundlegend veränderten. Zwischen 1990 und 1994 habe die Peseta
gegenüber der Ecu 22 % an Wert verloren, während die österreichische, die
deutsche und die niederländische Währung im gleichen Zeitraum gegenüber der
Ecu etwa 7,5 % an Wert gewonnen hätten. Folglich werde der Klägerin ohne jede
objektive Rechtfertigung eine Geldbuße auferlegt, die für sie mit Mehrkosten von
etwa 30 % gegenüber den gegen andere, insbesondere deutsche Unternehmen
festgesetzten Geldbußen verbunden sei.
- 387.
- Die Kommission sei nicht verpflichtet, die Geldbuße in Ecu anzugeben, und sie
hätte die Geldbuße daher in Landeswährung angeben müssen, um ungerechtfertigte
Ungleichbehandlungen zu verhindern. Selbst wenn die Kommission befugt sein
sollte, die Geldbuße in Ecu anzugeben, hätte sie zumindest den Wechselkurs
verwenden müssen, der die Gleichbehandlung gewährleiste, d. h. den Wechselkurs
zum Zeitpunkt der Verhängung der Geldbuße (dem Tag der Veröffentlichung oder
der Notifizierung der Entscheidung).
- 388.
- Die Kommission weist darauf hin, daß sie gemäß Artikel 15 Absatz 2 der
Verordnung Nr. 17 Geldbußen in Höhe von „bis zu zehn vom Hundert des ... im
letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes“ jedes an der Zuwiderhandlung
Beteiligten festsetzen könne. Dieser auf den Gesamtumsatz angewandte Satz von
10 % stelle die Obergrenze der Geldbuße dar (Urteil des Gerichtshofes vom 8.
Februar 1990 in der Rechtssache C-279/87, Tipp-Ex/Kommission, Slg. 1990, I-261,
abgekürzte Veröffentlichung, Randnrn. 38 ff.). Da die Kommission die Geldbuße
unter Bezugnahme auf das Geschäftsjahr 1990 das letzte vollständige
Geschäftsjahr, in dem das Kartell tätig geworden sei ermittelt und alle
Umsatzzahlen auf der Grundlage des durchschnittlichen Wechselkurses dieses
Jahres in ECU umgerechnet habe, habe sie sich in den durch die Verordnung Nr.
17 gesteckten Grenzen gehalten.
- 389.
- Die Umrechnung in Ecu auf der Grundlage des Wechselkurses im Referenzjahr
ergebe den tatsächlichen Umsatz in Ecu; damit solle gerade jede
Ungleichbehandlung der betroffenen Unternehmen infolge von Schwankungen der
Landeswährungen der einzelnen Mitgliedstaaten verhindert werden. Das Urteil
Société anonyme générale sucrière u. a./Kommission stütze die Auffassung der
Klägerin nicht. Aus ihm gehe klar hervor, daß es nur die Frage betreffe, ob die
Geldbuße in Landeswährung habe angegeben werden müssen, weil die RE keine
Währung gewesen sei, in der Zahlungen hätten vorgenommen werden können.
- 390.
- Was die angeblich diskriminierenden Wirkungen der angewandten Methode
anbelange, so sei die Gefahr von Währungsschwankungen mit dem internationalen
Handel und Warenverkehr untrennbar verbunden. Es handele sich dabei um einen
nicht zu beseitigenden Faktor, der sich in jedem Fall auf die Höhe der Geldbuße
zum Zeitpunkt der Zahlung auswirke. Gerade durch die Umrechnung der
Umsatzzahlen in Ecu werde eine Ungleichbehandlung jedoch so weit wie möglich
ausgeschlossen. Auf diese Weise werde die „effektive“ Geldbuße berechnet. Die
Festsetzung in Landeswährung würde sie zu einer rein nominalen Geldbuße
machen und, wie die Berechnungen der Klägerin bewiesen, die Unternehmen
begünstigen, deren Umsatz in Weichwährungen angegeben sei. Der Wert der Ecu
richte sich jedoch nach dem Wert aller Landeswährungen, und da die Adressaten
der Entscheidung in verschiedenen Mitgliedstaaten tätig seien und mit
verschiedenen Landeswährungen arbeiteten, entspreche die Umrechnung in Ecu
einer wirksamen Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung.
- 391.
- Dem Vorbringen der Klägerin, daß zumindest der Wechselkurs zum Zeitpunkt der
Verhängung der Geldbuße hätte herangezogen werden müssen, sei
entgegenzuhalten, daß der Umsatz im Referenzjahr einen tatsächlichen Wert zum
damals geltenden Kurs und nicht zu dem später beim Erlaß der Entscheidung
geltenden Kurs gehabt habe.
Würdigung durch das Gericht
- 392.
- Gemäß Artikel 4 der Entscheidung sind die festgesetzten Geldbußen in Ecu zu
zahlen.
- 393.
- Die Kommission ist nicht daran gehindert, die Geldbuße in Ecu anzugeben, einer
in Landeswährung konvertierbaren Währungseinheit. Dies erleichtert es den
Unternehmen im übrigen, die Beträge der festgesetzten Geldbußen miteinander zu
vergleichen. Außerdem unterscheidet die Umrechnungsmöglichkeit der Ecu in
Landeswährung diese Währungseinheit von der in Artikel 15 Absatz 2 der
Verordnung Nr. 17 erwähnten „Rechnungseinheit“, bei der nach der ausdrücklichen
Feststellung des Gerichtshofes der Betrag der Geldbuße zwangsläufig in
Landeswährung bestimmt werden mußte, da sie keine Währung ist, in der
Zahlungen vorgenommen werden können (Urteil Société anonyme générale
sucrière u. a./Kommission, Randnr. 15).
- 394.
- Den Einwänden der Klägerin gegen die Methode der Kommission, den Umsatz der
Unternehmen im Referenzjahr zum durchschnittlichen Wechselkurs dieses Jahres
(1990) in Ecu umzurechnen, ist nicht zu folgen.
- 395.
- Zunächst muß die Kommission bei der Berechnung der Geldbußen gegen
Unternehmen, die wegen Beteiligung an derselben Zuwiderhandlung verfolgt
werden, normalerweise dieselbe Methode anwenden (vgl. Urteil Musique Diffusion
française u. a./Kommission, Randnr. 122).
- 396.
- Sodann muß sie, um die verschiedenen mitgeteilten Umsätze, die in den jeweiligen
Landeswährungen der betreffenden Unternehmen angegeben sind, miteinander
vergleichen zu können, diese Zahlen in dieselbe Währungseinheit umrechnen. Da
sich der Wert der Ecu nach dem Wert aller Landeswährungen der Mitgliedstaaten
richtet, hat die Kommission die Umsätze der einzelnen Unternehmen zu Recht in
Ecu umgerechnet.
- 397.
- Sie hat sich auch zu Recht auf den Umsatz im Referenzjahr (1990) gestützt und
diesen Umsatz auf der Grundlage der durchschnittlichen Wechselkurse dieses
Jahres in Ecu umgerechnet. Zum einen hat es ihr die Heranziehung des von den
einzelnen Unternehmen im Referenzjahr dem letzten vollständigen in den
Zeitraum der Zuwiderhandlung einbezogenen Jahr erzielten Umsatzes
ermöglicht, die Größe und die Wirtschaftskraft jedes Unternehmens sowie das
Ausmaß der von jedem von ihnen begangenen Zuwiderhandlung einzuschätzen;
dies sind für die Beurteilung der Schwere der von den einzelnen Unternehmen
begangenen Zuwiderhandlung relevante Gesichtspunkte (vgl. Urteil Musique
Diffusion française u. a./Kommission, Randnrn. 120 und 121). Zum anderen konnte
sie durch die Heranziehung der durchschnittlichen Wechselkurse im gewählten
Referenzjahr bei der Umrechnung der fraglichen Umsätze in ECU verhindern, daß
etwaige Währungsschwankungen seit der Beendigung der Zuwiderhandlung die
Beurteilung der relativen Größe und Wirtschaftskraft der Unternehmen sowie des
Ausmaßes der von jedem von ihnen begangenen Zuwiderhandlung und damit die
Beurteilung der Schwere dieser Zuwiderhandlung beeinflussen. Die Beurteilung der
Schwere der Zuwiderhandlung muß sich nämlich auf die tatsächliche wirtschaftliche
Lage zur Zeit ihrer Begehung beziehen.
- 398.
- Folglich kann dem Vorbringen, daß der Umsatz im Referenzjahr auf der Grundlage
des zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung geltenden Wechselkurses in ECU
hätte umgerechnet werden müssen, nicht gefolgt werden. Die Methode, die
Geldbuße unter Heranziehung des durchschnittlichen Wechselkurses im
Referenzjahr zu berechnen, erlaubt es, die zufälligen Auswirkungen von
Änderungen des tatsächlichen Wertes der Landeswährungen auszuschließen, die
zwischen dem Referenzjahr und dem Jahr des Erlasses der Entscheidung eintreten
können und im vorliegenden Fall auch eingetreten sind. Diese Methode kann zwar
dazu führen, daß ein bestimmtes Unternehmen einen Betrag zahlen muß, der in
Landeswährung nominal höher oder niedriger ist als der Betrag, der bei
Anwendung des Wechselkurses zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung hätte
gezahlt werden müssen; dies ist jedoch nur die logische Folge der Schwankungen
des tatsächlichen Wertes der einzelnen Landeswährungen.
- 399.
- Hinzu kommt, daß mehrere Adressaten der Entscheidung Kartonwerke in mehr als
einem Land besitzen (vgl. Randnrn. 7, 8 und 11 der Entscheidung). Außerdem sind
die Adressaten der Entscheidung im allgemeinen über örtliche Vertretungen in
mehr als einem Mitgliedstaat tätig. Sie arbeiten folglich mit mehreren nationalen
Währungen. Die Klägerin selbst erzielt einen beträchtlichen Teil ihres Umsatzes
auf den Exportmärkten. Werden mit einer Entscheidung der in Rede stehenden
Art Verstöße gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages geahndet, und sind die
Adressaten der Entscheidung im allgemeinen in mehreren Mitgliedstaaten tätig, so
besteht der zum durchschnittlichen Wechselkurs des Referenzjahres in Ecu
umgerechnete Umsatz dieses Jahres aus der Summe der Umsätze in allen Ländern,
in denen das Unternehmen tätig ist. Er trägt somit der tatsächlichen
wirtschaftlichen Situation der betreffenden Unternehmen im Referenzjahr voll und
ganz Rechnung.
- 400.
- Schließlich ist zu prüfen, ob die Behauptung der Klägerin zutrifft, daß die in Artikel
15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 vorgesehene Obergrenze von „zehn vom
Hundert des ... im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes“ infolge der nach dem
Referenzjahr eingetretenen Währungsschwankungen überschritten wurde.
- 401.
- Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes bezieht sich der in dieser Bestimmung
genannte Prozentsatz auf den Gesamtumsatz des fraglichen Unternehmens (Urteil
Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 119).
- 402.
- Das „letzte Geschäftsjahr“ im Sinne von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr.
17 ist das dem Erlaß der Entscheidung vorangegangene Jahr, d. h. im vorliegenden
Fall das letzte vollständige Geschäftsjahr jedes betroffenen Unternehmens am 13.
Juli 1994.
- 403.
- In Anbetracht dieser Gesichtspunkte ist auf der Grundlage der von der Klägerin
in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts gegebenen Auskünfte
festzustellen, daß der Betrag der Geldbuße, umgerechnet in Landeswährung zu
dem zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Entscheidung geltenden Wechselkurs,10 % des Gesamtumsatzes der Klägerin im Jahr 1993 nicht übersteigt.
- 404.
- Nach alledem ist der vorliegende Klagegrund zurückzuweisen.
J Zum Klagegrund einer falschen Berechnung des Teils der Geldbuße, der auf die
Prat Carton zur Last gelegte Zuwiderhandlung entfällt, und eines dabei begangenen
Verstoßes gegen die Begründungspflicht
Vorbringen der Parteien
- 405.
- Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe den Teil der Geldbuße, der auf
die angeblich von Prat Carton begangene Zuwiderhandlung entfalle, insofern falsch
berechnet, als sie den gleichen Prozentsatz des Umsatzes wie bei der Klägerin, d. h.
9 %, verringert um ein Drittel wegen der Kooperation des Unternehmens während
der Untersuchung des Falles, herangezogen habe. Die auf die Sitzungen des JMC
von Juni 1990 bis März 1991 beschränkte Beteiligung von Prat Carton und die
Tatsache, daß sie nicht zu den „Anführern“ gehört habe, hätten aber eine
Herabsetzung der Geldbuße gerechtfertigt.
- 406.
- Schließlich rügt die Klägerin, daß die Berechnung des Teils der Geldbuße, der auf
die Prat Carton zur Last gelegte Zuwiderhandlung entfalle, völlig undurchschaubar
sei und einer Begründung entbehre.
- 407.
- Die Kommission weist darauf hin, daß die Klägerin, die Prat Carton im Februar
1991 übernommen habe, für deren wettbewerbswidriges Verhalten während der
gesamten Dauer ihrer Zugehörigkeit zum Kartell verantwortlich sei, wie in
Randnummer 154 der Entscheidung ausgeführt worden sei. Da gegen die Klägerin
nur eine, auf der Grundlage ihres Gesamtumsatzes im Kartonsektor und somit
unter Einbeziehung des Umsatzes von Prat Carton berechnete Geldbuße festgesetzt
worden sei, habe das Verhalten des letztgenannten Unternehmens nicht zur
Verhängung einer gesonderten Geldbuße geführt. Das Vorbringen der Klägerin
stehe folglich im Widerspruch zu der Tatsache, daß nur gegen sie eine Geldbuße
festgesetzt worden sei.
- 408.
- Unter diesen Umständen sei auch jeder Vorwurf einer insoweit undurchschaubaren
oder widersprüchlichen Begründung der Entscheidung zurückzuweisen.
Würdigung durch das Gericht
- 409.
- Nach Angaben der Kommission beträgt die gegen die Klägerin festgesetzte
Geldbuße 6 % der Summe des 1990 von ihr und Prat Carton erzielten Umsatzes
(der bei den „Anführern“ herangezogene Satz von 9 %, verringert um ein Drittel
wegen der als kooperativ eingestuften Haltung der Klägerin). Auch wenn es in
einem solchen Fall wünschenswert ist, daß die Entscheidung eine ausführlichere
Begründung der angewandten Berechnungsmethode enthält, ist die von der
Klägerin erhobene Rüge eines Verstoßes gegen Artikel 190 des Vertrages aus den
bereits genannten Gründen (siehe oben, Randnrn. 351 bis 353) zurückzuweisen.
- 410.
- Des weiteren hat die Kommission, wie bereits festgestellt wurde (siehe oben,
Randnr. 250), nachgewiesen, daß sich Prat Carton in der Zeit von Juni 1990 bis
Februar 1991 an der Preisabsprache und an der Absprache über die Abstellzeiten
beteiligte. Dagegen hat sie weder die Beteiligung von Prat Carton an einer
Absprache über die Marktanteile im selben Zeitraum noch ihre Beteiligung an
einem der in Artikel 1 der Entscheidung beschriebenen Bestandteile der
Zuwiderhandlung zwischen Mitte 1986 und Juni 1990 hinreichend nachgewiesen.
- 411.
- In Anbetracht der Tatsache, daß sich Prat Carton nur an einigen Bestandteilen der
Zuwiderhandlung beteiligte und daß sich ihre Beteiligung auf einen kürzeren als
den von der Kommission angenommenen Zeitraum erstreckte, ist die gegen die
Klägerin festgesetzte Geldbuße herabzusetzen.
- 412.
- Da im vorliegenden Fall kein anderer der von der Klägerin geltend gemachten
Klagegründe eine Herabsetzung der Geldbuße rechtfertigt, setzt das Gericht diese
in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung auf 14 000 000 ECU
fest.
Kosten
- 413.
- Gemäß Artikel 87 § 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen
oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils
obsiegt, teils unterliegt. Da der Klage nur teilweise stattgegeben wurde, hält es das
Gericht bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles für geboten,
der Klägerin ihre eigenen Kosten sowie die Hälfte der Kosten der Kommission und
dieser die andere Hälfte ihrer eigenen Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Artikel 2 Absätze 1 bis 4 der Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom
13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833
Karton) wird in bezug auf die Klägerin mit Ausnahme folgender Passagen
für nichtig erklärt:
„Die in Artikel 1 bezeichneten Unternehmen stellen, soweit noch nicht
geschehen, den genannten Verstoß unverzüglich ab. Sie sehen im
Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten im Kartonbereich künftig von allen
Vereinbarungen oder abgestimmten Verhaltensweisen ab, mit denen gleiches
oder ähnliches bezweckt oder bewirkt wird, einschließlich jedes Austauschs
von Geschäftsinformationen,
a) durch den die Teilnehmer mittel- oder unmittelbar Kenntnis von der
Produktion, den Verkäufen, dem Auftragsbestand, der
Kapazitätsausnutzung, den Verkaufspreisen, den Kosten oder den
Absatzplänen anderer einzelner Hersteller erlangen.
Jedes System für den Austausch allgemeiner Informationen (wie das
FIDES-System oder dessen Nachfolgesystem), an dem sie sich beteiligen,
ist so zu gestalten, daß es alle Informationen, mit denen sich das Verhalten
einzelner Hersteller ermitteln läßt, ausschließt.“
2. Die Höhe der in Artikel 3 der Entscheidung 94/601 gegen die Klägerin
verhängten Geldbuße wird auf 14 000 000 ECU festgesetzt.
3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten und die Hälfte der Kosten der
Kommission.
5. Die Kommission trägt die Hälfte ihrer eigenen Kosten.
VesterdorfBriët
Lindh
Potocki Cooke
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Mai 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
B. Vesterdorf
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
II - 2
Verfahren
II - 6
Anträge der Parteien
II - 7
Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung
II - 8
A Zum Klagegrund eines in der Verletzung von Verteidigungsrechten bestehenden
Verfahrens- und Formfehlers
II - 8
Vorbringen der Parteien
II - 8
Würdigung durch das Gericht
II - 8
B Begründetheit
II - 9
Zum Klagegrund des Fehlens einer Abstimmung der tatsächlichen Verkaufspreise
und des Vorliegens eines Verstoßes gegen die Begründungserfordernisse
II - 9
Vorbringen der Parteien
II - 10
Würdigung durch das Gericht
II - 11
Zum Klagegrund der mangelnden Teilnahme an einem Kartell zum Einfrieren der
Marktanteile und zur Angebotskontrolle
II - 13
Vorbringen der Parteien
II - 13
Würdigung durch das Gericht
II - 15
1. Zum Vorliegen einer Absprache über das Einfrieren der Marktanteile und
einer Absprache über die Angebotskontrolle
II - 16
2. Zum tatsächlichen Verhalten der Klägerin
II - 22
Zum Klagegrund eines Fehlers der Kommission hinsichtlich der Dauer der
Preisabstimmung
II - 23
Vorbringen der Parteien
II - 23
Würdigung durch das Gericht
II - 23
Zum Klagegrund eines Fehlers der Kommission hinsichtlich der Dauer des Kartells
zum Einfrieren der Marktanteile und zur Angebotskontrolle
II - 27
Vorbringen der Parteien
II - 27
Würdigung durch das Gericht
II - 27
Zum Klagegrund eines Fehlers der Kommission bei der Beurteilung des
Informationsaustauschsystems der FIDES
II - 28
Zum Klagegrund eines Fehlers der Kommission, der darin bestehen soll, daß sie eine
einheitliche und globale Zuwiderhandlung angenommen und die Klägerin dafür
in vollem Umfang verantwortlich gemacht habe
II - 29
Vorbringen der Parteien
II - 29
Würdigung durch das Gericht
II - 30
Zum Klagegrund der mangelnden Berücksichtigung der Lage auf dem spanischen
Markt durch die Kommission
II - 33
Zum Klagegrund einer mangelnden Beteiligung von Prat Carton an der
Zuwiderhandlung
II - 33
Vorbringen der Parteien
II - 33
Würdigung durch das Gericht
II - 35
1. Zeitraum von Mitte 1986 bis Juni 1990
II - 35
2. Zeitraum von Juni 1990 bis Februar 1991
II - 42
3. Ergebnisse hinsichtlich der Beteiligung von Prat Carton an einem Verstoß
gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages vor ihrer Übernahme durch die
Klägerin im Februar 1991
II - 49
Zum Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 2 der Entscheidung
II - 49
Vorbringen der Parteien
II - 49
Würdigung durch das Gericht
II - 52
Zum Antrag auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße
II - 56
A Zu dem Klagegrund, mit dem geltend gemacht wird, daß die Definition von Gegenstand
und Dauer der Zuwiderhandlung falsch und die Geldbuße deshalb herabzusetzen
sei
II - 56
B Zum Klagegrund eines Beurteilungsfehlers der Kommission, der darin bestehen soll, daß
sie das Kartell als, „was die Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend erfolgreich“
angesehen habe, sowie eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht in diesem
Punkt
II - 56
Vorbringen der Parteien
II - 56
Würdigung durch das Gericht
II - 58
C Zum Klagegrund eines Rechtsfehlers, der darin bestehen soll, daß die Kommission die
Verschleierung des Kartells als erschwerenden Umstand angesehen habe, und eines
insoweit vorliegenden Begründungsfehlers
II - 62
Vorbringen der Parteien
II - 62
Würdigung durch das Gericht
II - 63
D Zum Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung, der darin
bestehen soll, daß die Kommission ohne objektive Rechtfertigung wesentlich höhere
Geldbußen festgesetzt habe als nach ihrer früheren Praxis
II - 64
Vorbringen der Parteien
II - 64
Würdigung durch das Gericht
II - 65
E Zum Klagegrund einer unzureichenden Begründung und eines Verstoßes gegen die
Verteidigungsrechte in bezug auf die Berechnung der Geldbuße
II - 67
Vorbringen der Parteien
II - 67
Würdigung durch das Gericht
II - 68
F Zum Klagegrund eines Beurteilungsfehlers der Kommission, der darin bestehen soll, daß
sie die Rolle der Klägerin im Rahmen des Kartells sowie ihr tatsächliches
Marktverhalten nicht gebührend berücksichtigt habe, und einer insoweit
unzureichenden Begründung
II - 71
Vorbringen der Parteien
II - 71
Würdigung durch das Gericht
II - 72
G Zu dem Klagegrund, der darauf gestützt wird, daß die Kommission bestimmte mildernde
Umstände hätte berücksichtigen müssen
II - 74
Vorbringen der Parteien
II - 74
Würdigung durch das Gericht
II - 74
H Zum Klagegrund eines sachlichen Fehlers bei der Berechnung der gegen die Klägerin
festgesetzten Geldbuße
II - 75
Vorbringen der Parteien
II - 75
Würdigung durch das Gericht
II - 76
I Zum Klagegrund eines methodischen Fehlers bei der Berechnung der Geldbuße
II - 76
Vorbringen der Parteien
II - 76
Würdigung durch das Gericht
II - 79
J Zum Klagegrund einer falschen Berechnung des Teils der Geldbuße, der auf die Prat
Carton zur Last gelegte Zuwiderhandlung entfällt, und eines dabei begangenen
Verstoßes gegen die Begründungspflicht
II - 81
Vorbringen der Parteien
II - 81
Würdigung durch das Gericht
II - 82
Kosten
II - 82