Language of document : ECLI:EU:T:2012:628

BESCHLUSS DES GERICHTS (Sechste Kammer)

27. Novermber 2012(*)

„Untätigkeitsklage – Schadensersatzklage – Klage, die teils offensichtlich unzulässig ist und der teils offensichtlich jede rechtliche Grundlage fehlt“

In der Rechtssache T‑672/11

H-Holding AG mit Sitz in Cham (Schweiz), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt R. Závodný,

Klägerin,

gegen

Europäisches Parlament, vertreten durch U. Rösslein und P. Schonard als Bevollmächtigte,

Beklagter,

wegen Feststellung, dass das Parlament es in rechtswidriger Weise unterlassen hat, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Tschechische Republik einzuleiten und das OLAF aufzufordern, auf die Petition der Klägerin vom 24. August 2011 hin Ermittlungen in Bezug auf eine tschechische politische Partei aufzunehmen, und wegen Ersatz des Schadens, der der Klägerin aufgrund dieser geltend gemachten Untätigkeit des Parlaments entstanden sein soll,

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kanninen (Berichterstatter) sowie der Richter N. Wahl und S. Soldevila Fragoso,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Sachverhalt und Verfahren

1        Mit Klageschrift vom 8. Dezember 2011, die am 23. Dezember 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin, die H‑Holding AG, die vorliegende Klage erhoben.

2        Mit Schreiben vom 13. Januar, 6. Februar, 19. März und 16. April 2012 hat das Gericht die Klägerin gemäß Art. 44 seiner Verfahrensordnung zur Behebung von Mängeln der Klageschrift aufgefordert.

3        Mit Schreiben vom 20. Februar 2012 hat die Klägerin ihre Klageschrift durch ein Dokument ergänzt, in dem sie Rechtsausführungen macht. Da ein solches Dokument nach der Verfahrensordnung nicht vorgesehen ist, hat der Präsident der Sechsten Kammer seine Aufnahme in die Akte abgelehnt.

4        Mit Schreiben vom 21. Februar und 27. April 2012 ist die Klägerin der vorstehend in Randnr. 2 genannten Aufforderung zur Mängelbehebung lediglich teilweise nachgekommen.

5        Mit besonderem Schriftsatz, der am 20. Juli 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat das Europäische Parlament gemäß Art. 114 § 1 der Verfahrensordnung eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Die Klägerin hat hierzu innerhalb der ihr gesetzten Frist nicht Stellung genommen.

 Anträge der Parteien

6        Die Klägerin beantragt,

–        die Rechtssache gemäß Art. 256 Abs. 3 Unterabs. 2 AEUV an den Gerichtshof zu verweisen;

–        festzustellen, dass sie in Bezug auf ihre Petition vom 24. August 2011 „[d]urch die Untätigkeit des … Parlaments … [g]eschädigt [wurde]“;

–        festzustellen, dass die Europäische Union „für die Einhaltung der Regeln (gegeben durch das … Parlament und den Rat für die Finanzierung der politischen Parteien auf europäischer Ebene) [zuständig ist]“;

–        festzustellen, dass das Parlament in Verbindung mit dem Rechnungshof der Europäischen Union verpflichtet ist, das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) zu einer Finanzprüfung der Konten der Tschechischen Sozialdemokratischen Partei zu ermächtigen;

–        festzustellen, dass das Parlament verpflichtet ist, gegen die Tschechische Republik wegen mehrerer Verstöße gegen ihre Verpflichtungen ein Verfahren einzuleiten;

–        das Parlament zu verurteilen, ihr 33 614 084 tschechische Kronen (CZK) als Schadensersatz zu zahlen;

–        dem Parlament die Kosten aufzuerlegen.

7        Das Parlament beantragt im Wesentlichen,

–        die Klage als unzulässig abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

8        Nach Art. 111 der Verfahrensordnung kann das Gericht, wenn es für eine Klage offensichtlich unzuständig ist oder wenn eine Klage offensichtlich unzulässig ist oder ihr offensichtlich jede rechtliche Grundlage fehlt, ohne Fortsetzung des Verfahrens durch Beschluss entscheiden, der mit Gründen zu versehen ist.

9        Im vorliegenden Fall ist das Gericht in der Lage, auf der Grundlage des Akteninhalts ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

10      Zunächst ist festzustellen, dass der Vorsitzende des Petitionsausschusses des Parlaments der Klägerin mit Schreiben vom 19. Dezember 2011 mitgeteilt hat, dass ihre Petition vom 24. August 2011 für unzulässig befunden und daher abgelegt worden sei. Die Klägerin begehrt mit der vorliegenden Klage nicht die Nichtigerklärung dieser Entscheidung, denn die Klageschrift trägt das Datum des 8. Dezember 2011.

11      Die Klage ist vielmehr dahin zu verstehen, dass sie im Wesentlichen zum einen auf die Feststellung gerichtet ist, dass das Parlament es in rechtswidriger Weise unterlassen hat, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Tschechische Republik einzuleiten und das OLAF aufzufordern, auf die Petition der Klägerin vom 24. August 2011 hin Ermittlungen in Bezug auf eine tschechische politische Partei aufzunehmen, und zum anderen auf Ersatz des Schadens, der der Klägerin durch die geltend gemachte Untätigkeit entstanden sein soll.

12      Nach Art. 265 AEUV ist eine Untätigkeitsklage nur zulässig, wenn das in Frage stehende Organ zuvor aufgefordert worden ist, tätig zu werden. Diese Aufforderung an das Organ ist eine wesentliche Förmlichkeit, die zum einen die Frist von zwei Monaten in Lauf setzt, binnen deren das Organ Stellung zu nehmen hat, und zum anderen den Rahmen vorgibt, innerhalb dessen eine Klage erhoben werden kann, falls das Organ nicht Stellung nimmt (Urteil des Gerichts vom 3. Juni 1999, TF1/Kommission, T‑17/96, Slg. 1999, II‑1757, Randnr. 41, und Beschluss des Gerichts vom 9. Januar 2012, Neubrandenburger Wohnungsgesellschaft/Kommission, T‑407/09, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 38).

13      Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass die Kanzlei des Gerichts die Klägerin mit dem vorstehend in Randnr. 2 erwähnten Schreiben vom 16. April 2012 u. a. aufgefordert hat, einen Beleg für den Zeitpunkt der in Art. 265 AEUV vorgesehenen Aufforderung zum Tätigwerden vorzulegen.

14      Die Klägerin hat zwar am 27. April 2012 einige der vom Gericht gerügten Mängel behoben, doch hat sie keinen Beleg für den Zeitpunkt der Aufforderung an das Parlament zum Tätigwerden vorgelegt. Auch aus den Akten ergibt sich nicht, dass die Klägerin das Parlament im Sinne von Art. 265 AEUV zum Tätigwerden aufgefordert hätte.

15      Jedenfalls genügt erstens in Bezug auf den Antrag auf Feststellung, dass das Parlament es in rechtswidriger Weise unterlassen habe, ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Tschechische Republik einzuleiten, der Hinweis, dass die Kommission als einziges Organ der Union befugt ist, gemäß Art. 258 AEUV eine Vertragsverletzungsklage gegen einen Mitgliedstaat zu erheben.

16      Zweitens ist bezüglich des Antrags der Klägerin auf Feststellung, dass das Parlament es in rechtswidriger Weise unterlassen habe, das OLAF aufzufordern, eine Finanzprüfung der Konten einer tschechischen politischen Partei vorzunehmen, darauf hinzuweisen, dass die Untätigkeitsklage nach der Rechtsprechung eine Verpflichtung des betreffenden Organs zum Tätigwerden voraussetzt, so dass die gerügte Unterlassung gegen den Vertrag verstößt (Beschlüsse des Gerichts vom 6. Juli 1998, Goldstein/Kommission, T‑286/97, Slg. 1998, II‑2629, Randnr. 24, und vom 6. September 2011, Mugraby/Rat und Kommission, T‑292/09, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 34), und dass eine natürliche oder juristische Person die Unionsgerichte nach Art. 265 Abs. 3 AEUV nur anrufen kann, um feststellen zu lassen, dass ein Unionsorgan es unter Verletzung des Vertrags unterlassen hat, einen anderen Akt als eine Empfehlung oder eine Stellungnahme zu erlassen, dessen Adressat sie sein oder den sie mit einer Nichtigkeitsklage anfechten könnte (Beschluss des Gerichts vom 10. Juli 2001, Edlinger/Kommission, T‑191/00, Slg. 2001, II‑1961, Randnr. 20).

17      Im vorliegenden Fall hat die Klägerin jedoch, wie das Parlament zu Recht ausführt, nicht den Nachweis erbracht, dass das Parlament nach einer oder mehreren Vorschriften des Primärrechts oder des abgeleiteten Rechts der Union verpflichtet gewesen wäre, das OLAF mit einer Prüfung der Konten einer politischen Partei zu betrauen.

18      Daher ist der Antrag auf Feststellung der Untätigkeit als offensichtlich unzulässig zurückzuweisen.

19      Hinsichtlich des Ersatzes des Schadens, der der Klägerin durch die geltend gemachte Untätigkeit des Parlaments entstanden sein soll, ist, wie sich aus den vorstehenden Randnrn. 15 bis 17 ergibt, darauf hinzuweisen, dass dem Parlament keine rechtswidrige Untätigkeit vorgeworfen werden kann, so dass die außervertragliche Haftung der Union nicht ausgelöst werden kann (vgl. in diesem Sinne Beschluss des Gerichtshofs vom 23. Mai 1990, Asia Motor France/Kommission, C‑72/90, Slg. 1990, I‑2181, Randnr. 13, und Beschluss des Gerichts vom 14. Januar 2004, Makedoniko Metro und Michaniki/Kommission, T‑202/02, Slg. 2004, II‑181, Randnr. 43).

20      Bezüglich des Antrags auf Feststellung, dass die Europäische Union „für die Einhaltung der Regeln (gegeben durch das … Parlament und den Rat für die Finanzierung der politischen Parteien auf europäischer Ebene) [zuständig ist]“, ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht nicht befugt ist, Feststellungsurteile zu fällen (Beschlüsse des Gerichts vom 25. Oktober 2011, DMA Die Marketing Agentur und Hofmann/Österreich, T‑472/11, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 10, und vom 23. März 2012, Altner/Kommission, T‑535/11, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 12).

21      Schließlich genügt zu dem Antrag, die Rechtssache gemäß Art. 256 Abs. 3 AEUV an den Gerichtshof zu verweisen, die Feststellung, dass die vorliegende Klage nicht den Charakter eines Vorabentscheidungsersuchens hat, auf das sich dieser Artikel bezieht (vgl. in diesem Sinne Beschluss Altner/Kommission, Randnr. 12).

22      Nach alledem ist die vorliegende Klage abzuweisen, da sie teils offensichtlich unzulässig ist und ihr teils offensichtlich jede rechtliche Grundlage fehlt.

 Kosten

23      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des Parlaments die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

beschlossen:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Die H-Holding AG trägt die Kosten.

Luxemburg, den 27. November 2012

Der Kanzler

 

      Der Präsident

E. Coulon

 

      H. Kanninen


* Verfahrenssprache: Deutsch.