URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)
14. Juli 1998 (1)
„Nichtigkeitsklage Verordnung (EWG) Nr. 816/92 Klagefrist Zulässigkeit
Schadensersatzklage Gemeinsame Marktorganisation für Milch und
Milcherzeugnisse Referenzmengen Zusatzabgabe Entschädigungslose
Herabsetzung der Referenzmengen“
In der Rechtssache T-119/95
Alfred Hauer, wohnhaft in Niederweiler (Deutschland), Prozeßbevollmächtigte:
Rechtsanwälte François, Neuhaus & Co., Zustellungsanschrift: Kanzlei der
Rechtsanwältin Annick Wurth, 100, boulevard de la Pétrusse, Luxemburg,
gegen
Rat der Europäischen Union, vertreten durch Rechtsberater Arthur Brautigam als
Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter: Alessandro Morbilli,
Generaldirektor der Direktion für Rechtsfragen der Europäischen Investitionsbank,
100, boulevard Konrad Adenauer, Luxemburg,
und
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Klaus-Dieter
Borchardt, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter:
Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
wegen Nichtigerklärung der Verordnung (EWG) Nr. 816/92 des Rates vom 31.
März 1992 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 über die gemeinsame
Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 86, S. 83) und Ersatzes
des dem Kläger durch deren Anwendung entstandenen Schadens
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie der Richter C. W. Bellamy
und R. M. Moura Ramos,
Kanzler: A. Mair, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 4.
März 1998,
folgendes
Urteil
Rechtlicher Rahmen
- 1.
- 1984 erließ der Rat zur Bekämpfung der Milchüberproduktion in der Gemeinschaft
die Verordnung (EWG) Nr. 856/84 vom 31. März 1984 zur Änderung der
Verordnung (EWG) Nr. 804/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch
und Milcherzeugnisse (ABl. L 90, S. 10). Mit dieser Verordnung wurde durch
Einfügung eines neuen Artikels 5c in die Verordnung (EWG) Nr. 804/68 des Rates
vom 27. Juni 1968 (ABl. L 148, S. 13) für fünf aufeinanderfolgende Zeiträume
von 12 Monaten ab dem 1. April 1984 eine Zusatzabgabe für die gelieferten
Milchmengen eingeführt, die eine Referenzmenge („Quote“) überschreiten, die für
jeden Erzeuger oder Käufer im Rahmen einer „Gesamtgarantiemenge“
festzusetzen ist (neuer Artikel 5c Absatz 1). Die Gesamtgarantiemenge wurde für
jeden Mitgliedstaat in Höhe der Summe der um 1 % erhöhten Milchmengen, die
im Kalenderjahr 1981 geliefert worden waren, festgesetzt (Absatz 3) und
gegebenenfalls durch eine Zusatzmenge aus der „Gemeinschaftsreserve“ ergänzt
(Absatz 4). Die Zusatzabgabe konnte nach Wahl des Mitgliedstaats entweder von
den Erzeugern nach Maßgabe ihrer Liefermengen („Formel A“) oder von den
Käufern nach Maßgabe der ihnen von den Erzeugern gelieferten Mengen mit
Abwälzung auf die Erzeuger im Verhältnis ihrer Lieferungen („Formel B“)
erhoben werden.
- 2.
- Angesichts der fortbestehenden Überschüsse im Milchsektor wurden die
Gesamtgarantiemengen 1986 für den Zeitraum 1987/88 um 2 % und für den
Zeitraum 1988/89 um 1 % ohne Vergütung herabgesetzt, und zwar durch die
Verordnung (EWG) Nr. 1335/86 des Rates vom 6. Mai 1986 zur Änderung der
Verordnung Nr. 804/68 (ABl. L 119, S. 19) und die Verordnung (EWG) Nr.
1343/86 des Rates vom 6. Mai 1986 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr.
857/84 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5c der
Verordnung Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 119, S. 34).
Zusammen mit dieser Herabsetzung wurde durch die Verordnung (EWG) Nr.
1336/86 des Rates vom 6. Mai 1986 zur Festsetzung einer Vergütung bei der
endgültigen Aufgabe der Milcherzeugung (ABl. L 119, S. 21) eine Regelung über
die Gewährung einer Vergütung bei Aufgabe der Erzeugung eingeführt.
- 3.
- 1987 wurden durch die Verordnung Nr. 775/87 des Rates vom 16. März 1987 über
die vorübergehende Aussetzung eines Teils der Referenzmengen gemäß Artikel 5c
Absatz 1 der Verordnung Nr. 804/68 (ABl. L 78, S. 5) für den Zeitraum 1987/88
4 % und für den Zeitraum 1988/89 5,5 % jeder Referenzmenge vorübergehend
ausgesetzt. Dafür erhielten die Erzeuger für jeden dieser Zeiträume eine
Vergütung in Höhe von 10 ECU pro 100 kg.
- 4.
- Durch die Verordnung Nr. 1111/88 des Rates vom 25. April 1988 zur Änderung der
Verordnung Nr. 775/87 (ABl. L 110, S. 30) wurde die vorübergehende Aussetzung
von 5,5 % der Referenzmengen für drei weitere Zwölfmonatszeiträume (1989/90,
1990/91 und 1991/92) beibehalten. Artikel 1 Absatz 2 dieser Verordnung sah zum
Ausgleich für die Aussetzung die unmittelbare Zahlung einer degressiven
Vergütung von 8 ECU pro 100 kg für 1989/90, 7 ECU pro 100 kg für 1990/91 und
6 ECU pro 100 kg für 1991/92 vor.
- 5.
- 1989 wurden die Gesamtgarantiemengen durch die Verordnung (EWG) Nr.
3879/89 des Rates vom 11. Dezember 1989 zur Änderung der Verordnung Nr.
804/68 (ABl. L 378, S. 1) um 1 % verringert, um die Gemeinschaftsreserve
aufzustocken und so bestimmten Erzeugern in weniger günstiger Lage zusätzliche
Referenzmengen zuteilen zu können. Gleichzeitig wurde der Prozentsatz der
vorübergehend ausgesetzten Referenzmengen durch die Verordnung (EWG) Nr.
3882/89 des Rates vom 11. Dezember 1989 zur Änderung der Verordnung (EWG)
Nr. 775/87 (ABl. L 378, S. 6) von 5,5 % auf 4,5 % verringert, damit die nicht
ausgesetzten Referenzmengen unverändert blieben; durch diese Verordnung wurde
auch die Vergütung für die einzelnen Anwendungszeiträume gemäß der
Verordnung Nr. 1111/88 auf 10 ECU, 8,5 ECU und 7 ECU pro 100 kg erhöht.
- 6.
- 1991 wurden die Gesamtgarantiemengen durch die Verordnung (EWG) Nr.
1630/91 des Rates vom 13. Juni 1991 zur Änderung der Verordnung Nr. 804/68
(ABl. L 150, S. 19) erneut um 2 % verringert, wofür in dem in den Artikeln 1 und
2 der Verordnung (EWG) Nr. 1637/91 des Rates vom 13. Juni 1991 zur Festsetzung
einer Vergütung für die Verringerung der Referenzmengen nach Artikel 5c der
Verordnung Nr. 804/68 und einer Vergütung bei der endgültigen Aufgabe der
Milcherzeugung (ABl. L 150, S. 30) vorgesehenen Umfang eine Vergütung
vorgesehen wurde.
- 7.
- Anschließend wurde mit der Verordnung Nr. 816/92 (EWG) des Rates vom 31.
März 1992 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 über die gemeinsame
Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 86, S. 83) die Regelung
über die Verringerung der Referenzmengen um 4,5 % für den Zeitraum vom 1.
April 1992 bis zum 31. März 1993 verlängert, ohne daß eine Vergütung vorgesehen
wurde.
- 8.
- Die ersten beiden Begründungserwägungen der Verordnung Nr. 816/92 lauten:
„Die Geltungsdauer der Zusatzabgabenregelung gemäß Artikel 5c der Verordnung
(EWG) Nr. 804/68 ... läuft am 31. März 1992 ab. Eine neue Regelung mit einer
Geltungsdauer bis zum Jahr 2000 ist im Rahmen der Reform der GAP zu
beschließen. Bis zu deren Inkrafttreten empfiehlt es sich, die gegenwärtige
Regelung für einen neunten Anwendungszeitraum von zwölf Monaten fortzuführen.
Die gemäß dieser Verordnung festgelegte Gesamtmenge könnte im Einklang mit
den Vorschlägen der Kommission für den genannten Zeitraum gegen
entsprechende Vergütung verringert werden, damit die bereits unternommenen
Sanierungsbemühungen fortgesetzt werden.
Die vorübergehende Aussetzung eines Teils der Referenzmengen für die Dauer des
vierten bis einschließlich des achten Zwölfmonatszeitraums gemäß der Verordnung
(EWG) Nr. 775/87 ... war aufgrund der Marktlage notwendig geworden. Angesichts
der fortbestehenden Überschüsse wird es erforderlich, 4,5 % der Referenzmengen
für Lieferungen für den neunten Anwendungszeitraum nicht in die
Gesamtgarantiemengen aufzunehmen. Der Rat wird im Rahmen der GAP-Reform
endgültig über die künftige Behandlung dieser Mengen entscheiden. Es erscheint
daher angebracht, die betreffenden Mengen für jeden Mitgliedstaat festzulegen.“
- 9.
- Artikel 5c Absatz 3 der Verordnung Nr. 804/68 wurde durch Artikel 1
Unterabsatz 3 der Verordnung Nr. 816/92 geändert, und zwar wurde folgender
Buchstabe hinzugefügt:
„g) Im Zwölfmonatszeitraum vom 1. April 1992 bis zum 31. März 1993 gilt
folgende Gesamtgarantiemenge (in 1 000 Tonnen), unbeschadet einer in
Anbetracht der Vorschläge der Kommission im Rahmen der GAP-Reform
während dieses Zeitraums vorzunehmenden Verringerung um 1 %, die auf
der Grundlage der in Unterabsatz 2 genannten Mengen errechnet wird:
...
Deutschland 27 154,205
...
Folgende Mengen gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 775/87 sind in
Unterabsatz 1 nicht berücksichtigt (in 1 000 Tonnen):
...
Deutschland 1 360,215
...
Die endgültige Entscheidung des Rates über die künftige Behandlung dieser
Mengen erfolgt im Rahmen der GAP-Reform.“
Sachverhalt
- 10.
- Der Kläger ist ein deutscher Milcherzeuger. Nach den Vorschriften über die
gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse war seine
Milcherzeugung zur maßgeblichen Zeit auf eine Referenzmenge beschränkt, die
von der nationalen Behörde auf der Grundlage der in einem Referenzjahr
erzeugten Menge festgesetzt worden war. Er verfügte außerdem über eine
zusätzliche Referenzmenge, die er in den Jahren 1990 und 1991 von den deutschen
Behörden erworben hatte.
- 11.
- Mit Bescheid vom 29. Juni 1992 setzte die Molkerei Erbeskopf eG mit Sitz in
Thalfang (Deutschland) gemäß § 4b Absatz 6 in Verbindung mit § 4c Absatz 6 der
Milch-Garantiemengen-Verordnung (der nationalen Regelung über die
Referenzmengen, in die die geltenden gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften
übernommen wurden) 4,74 % der Referenzmenge des Klägers ohne Entschädigung
vorübergehend aus.
- 12.
- Gegen diesen Bescheid legte der Kläger eine Beschwerde ein, die am 17. August
1993 von der zuständigen deutschen Behörde zurückgewiesen wurde. Zur
Begründung dieser Zurückweisung wurde auf die Verordnung Nr. 816/92 verwiesen.
- 13.
- Mit Schreiben vom 16. März 1995 begehrte er von der Kommission die teilweise
Nichtigerklärung der Verordnung sowie die Zahlung von Schadensersatz.
Verfahren und Anträge der Parteien
- 14.
- Der Kläger hat mit Klageschrift, die am 12. Mai 1995 eingegangen ist, die
vorliegende Klage erhoben.
- 15.
- Er beantragt,
die Verordnung Nr. 816/92 insoweit für nichtig zu erklären, als sie die
Gewährung einer Vergütung für den ausgesetzten Teil der Referenzmenge
nicht vorsieht;
ihm Schadensersatz in Höhe von 59 827,21 DM zu gewähren;
die Kosten des Verfahrens den Beklagten aufzuerlegen.
- 16.
- Der beklagte Rat beantragt,
die Nichtigkeitsklage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet
zurückzuweisen;
die Schadensersatzklage als unbegründet zurückzuweisen;
dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 17.
- Die beklagte Kommission beantragt,
die Nichtigkeitsklage, soweit sie gegen die Kommission gerichtet ist, als
unzulässig abzuweisen;
die Schadensersatzklage als unbegründet abzuweisen;
dem Kläger die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 18.
- Der Kläger und die Kommission haben sich in der mündlichen Verhandlung vom
4. März 1998 geäußert. Der Rat war in dieser mündlichen Verhandlung nicht
vertreten.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung
Zur Zulässigkeit
Vorbringen der Parteien
- 19.
- Der Rat ist der Ansicht, daß der Antrag auf Nichtigerklärung als unzulässig
zurückzuweisen sei, da die angefochtene Verordnung den Kläger nicht unmittelbar
und individuell betreffe (Urteile des Gerichtshofes vom 11. Juli 1968 in der
Rechtssache 6/68, Zuckerfabrik Watenstedt/Rat, Slg. 1968, 611, und vom 18. Mai
1994 in der Rechtssache C-309/89, Codorniu/Rat, Slg. 1994, I-1853). Die
Verordnung betreffe den Kläger wie jeden anderen Wirtschaftsteilnehmer in
derselben Lage nur in seiner objektiven Eigenschaft als Milcherzeuger.
- 20.
- Die Kommission trägt vor, daß sie im Rahmen eines Antrags auf
Nichtigkeiterklärung, der einen vom Rat erlassenen Rechtsakt wie die VerordnungNr. 816/92 betreffe, nicht passivlegitimiert sei. Der Antrag auf Nichtigerklärung sei
daher, soweit er gegen die Kommission gerichtet sei, als unzulässig zurückzuweisen.
- 21.
- Der Kläger hat zu diesem Vorbringen nicht Stellung genommen.
Würdigung durch das Gericht
- 22.
- Das Gericht weist zunächst darauf hin, daß nach ständiger Rechtsprechung die
Klagefristen nicht zur Disposition des Gerichts oder der Parteien stehen und
zwingendes Recht sind (Urteil des Gerichts vom 15. März 1995 in der Rechtssache
T-514/93, Cobrecaf u. a./Kommission, Slg. 1995, II-621, Randnr. 40). Gemäß Artikel
113 der Verfahrensordnung kann das Gericht von Amts wegen prüfen, ob die
Klagefrist gewahrt wurde (Urteil des Gerichts vom 18. September 1997 in den
verbundenen Rechtssachen T-121/96 und T-151/96, Mutual Aid Administration
Services/Kommission, Slg. 1997, II-1355, Randnr. 39), selbst wenn sich die Parteien
wie im vorliegenden Fall nicht zu dieser Frage geäußert haben.
- 23.
- Da der Antrag des Klägers auf die Nichtigerklärung einer Verordnung gerichtet ist,
gilt für die Erhebung der Klage die in Artikel 173 Absatz 5 des Vertrages
festgelegte Frist von zwei Monaten. Bei einer Klage gegen eine am 1. April 1992
veröffentlichte Handlung begann diese Frist nach Artikel 102 § 1 der
Verfahrensordnung des Gerichts am 16. April 1992. Diese nach Artikel 102 § 2 um
eine Entfernungsfrist von sechs Tagen verlängerte Frist lief somit im Juni 1992 ab.
- 24.
- Da die Klageschrift am 12. Mai 1995, also fast drei Jahre später, eingegangen ist,
ist die Klage verspätet erhoben worden.
- 25.
- Daher ist die Klage, soweit sie auf Nichtigerklärung gerichtet ist, als unzulässig
abzuweisen, ohne daß über die von den Beklagten geltend gemachten
Unzulässigkeitsgründe entschieden werden müßte.
Zum Schadensersatzantrag
- 26.
- Voraussetzung für die außervertragliche Haftung der Gemeinschaft für einen durch
ihre Organe verursachten Schaden nach Artikel 215 Absatz 2 des Vertrages ist, daß
ein Tatbestand erfüllt ist, dessen Merkmale die Rechtswidrigkeit des dem
Gemeinschaftsorgan zur Last gelegten Verhaltens, das Vorliegen eines Schadens
und das Bestehen eines Kausalzusammenhangs zwischen diesem Verhalten und
dem geltend gemachten Schaden sind. Auf dem Gebiet der Haftung für normative
Handlungen muß das der Gemeinschaft vorgeworfene Verhalten nach ständiger
Rechtsprechung (Urteile des Gerichtshofes vom 2. Dezember 1971 in der
Rechtssache 5/71, Zuckerfabrik Schöppenstedt/Rat, Slg. 1971, 975, Randnr. 11,
Urteil des Gerichts vom 15. April 1997 in der Rechtssache T-390/94, Schröder
u. a./Kommission, Slg. 1997, II-501, Randnr. 52) eine Verletzung einer
höherrangigen, den einzelnen schützenden Rechtsnorm darstellen. Wenn das Organ
die Handlung in Ausübung eines weiten Ermessens erlassen hat, wie dies auf dem
Gebiet der gemeinsamen Agrarpolitik der Fall ist, muß diese Verletzung außerdem
hinreichend qualifiziert, d. h. offenkundig und schwerwiegend sein (vgl. Urteil des
Gerichtshofes vom 19. Mai 1992 in den verbundenen Rechtssachen C-104/89 und
C-37/90, Mulder u. a./Rat und Kommission, Slg. 1992, I-3061, Randnr. 12, und
Urteil des Gerichts vom 9. Dezember 1997 in den verbundenen Rechtssachen T-195/94 und T-202/94, Quiller und Heusmann/Rat und Kommission, Slg. 1997, II-2247, Randnrn. 48 und 49).
- 27.
- Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist zunächst das Vorliegen eines
rechtswidrigen Verhaltens der Organe zu prüfen.
Zum Vorliegen einer dem behaupteten Schaden zugrunde liegenden rechtswidrigen
Handlung
- 28.
- Der Kläger macht im Rahmen seines Antrags auf Nichtigerklärung drei
Klagegründe geltend, die die Rechtswidrigkeit der Verordnung Nr. 816/92 wegen
Verletzung des Eigentumsrechts, wegen Verstoßes gegen den Grundsatz des
Vertrauensschutzes und wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz betreffen.
Zum ersten Klagegrund: Verletzung des Eigentumsrechts
Vorbringen der Parteien
- 29.
- Der Kläger macht geltend, daß das Eigentumsrecht zu den allgemeinen
Rechtsgrundsätzen gehöre, deren Wahrung der Gerichtshof gewährleiste (Urteil des
Gerichtshofes vom 13. Dezember 1979 in der Rechtssache 44/79, Hauer, Slg. 1979,
3727, Randnr. 17). Im vorliegenden Fall habe der Umstand, daß die angefochtene
Verordnung keine Entschädigung für die Verringerung der Referenzmenge vorsehe,
enteignungsgleiche Wirkung, da die außerhalb der Quote verkaufte Milch der
Zusatzabgabe unterliege. Sie wirke damit wie ein Vermarktungsverbot. Auch eine
Enteignung auf gesetzlicher Grundlage könne nach dem nationalen Recht nur
erfolgen, wenn das entsprechende Gesetz die Art und das Ausmaß der
Entschädigung regle. Werde keine Entschädigung gewährt, so stelle die damit
geschaffene Situation eine Verletzung des Eigentumsrechts dar.
- 30.
- Der Kläger ist der Ansicht, daß sich der vorliegende Sachverhalt in einem
wesentlichen Punkt von dem Sachverhalt unterscheide, der dem Urteil des Gerichts
vom 13. Juli 1995 in den verbundenen Rechtssachen T-466/93, T-469/93, T-473/93,
T-474/93 und T-477/93 (O'Dwyer u. a./Rat, Slg. 1995, II-2071), das die Beklagten
ihm entgegenhielten, zugrunde gelegen habe. Er führt hierzu aus, daß er von den
nationalen Behörden Referenzmengen erworben habe. Folglich könne das
Vorbringen der Beklagten bezüglich dieser Mengen keine Geltung beanspruchen,
die, da sie käuflich erworben worden seien, Eigentumsschutz genössen. Er trägt vor,
daß er ein solches Geschäft, das letztlich nur dem Staat genützt habe, nicht
abgeschlossen hätte, wenn er zur Zeit des Erwerbs gewußt hätte, daß ihm diese
Mengen ohne Entschädigung wieder entzogen würden.
- 31.
- Diese Beschränkung des Eigentumsrechts sei nicht im Allgemeininteresse
gerechtfertigt. Wenn den Erzeugern ihr Einkommen entzogen werde, so stehe dies
in völligem Widerspruch zu Artikel 39 des Vertrages und sei im Hinblick auf den
verfolgten Zweck unverhältnismäßig.
- 32.
- Der Rat führt aus, daß Referenzmengen für Milch nicht Gegenstand von
Eigentumsrechten sein könnten, die von dem Land, an das sie gebunden seien,
getrennt seien. Die in der vorliegenden Rechtssache angeordnete Herabsetzung der
Referenzmengen könne daher das Eigentumsrecht des Betroffenen grundsätzlich
nicht verletzen (Urteil des Gerichtshofes vom 22. Oktober 1991 in der Rechtssache
C-44/89, von Deetzen, Slg. 1991, I-5119, Randnr. 27).
- 33.
- Das Eigentumsrecht könne im Gemeinschaftsrecht keine uneingeschränkte Geltung
beanspruchen. Namentlich im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation sei
es nur gegen unverhältnismäßige, nicht tragbare Eingriffe geschützt, die das
betreffende Recht in seinem Wesensgehalt antasteten (Urteil des Gerichtshofes
vom 11. Juli 1989 in der Rechtssache 265/87, Schräder, Slg. 1989, 2237, Randnr.
15). In der vorliegenden Rechtssache liege kein solcher Eingriff vor, und die
beanstandete Beschränkung entspreche eindeutig einem dem Gemeinwohl
dienenden Ziel. Jedenfalls sei der Betrieb des Klägers angesichts des geringen
Umfangs der streitigen Herabsetzung nicht gefährdet, so daß der Wesensgehalt
seines Eigentumsrechts nicht angetastet sein könne.
- 34.
- Nach Auffassung des Rates muß zwischen dem Ziel der Einkommensgarantie in
der Landwirtschaft des Artikels 39 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages und dem
der Stabilisierung der Märkte des Artikels 39 Absatz 1 Buchstabe c ein Ausgleich
hergestellt werden, wobei letzterem unter bestimmten Umständen ein zeitweiliger
Vorrang eingeräumt werden dürfe (Urteile des Gerichtshofes vom 11. März 1987
in der Rechtssache 265/85, Van den Bergh en Jurgens/Kommission, Slg. 1987, 1155,
Randnr. 20, und vom 19. März 1992 in der Rechtssache C-311/90, Hierl, Slg. 1992,
I-2061, Randnr. 13). Dies sei im vorliegenden Fall zu Recht geschehen.
- 35.
- Die Kommission trägt vor, daß das Gericht im Urteil O'Dwyer u. a./Rat den vom
Kläger geltend gemachten Klagegrund bereits zurückgewiesen und festgestellt habe,
daß die entschädigungslose Aussetzung der Referenzmenge aufgrund der
Verordnung Nr. 816/92 durch das Erfordernis gerechtfertigt gewesen sei, den
Milchmarkt zu stabilisieren und strukturelle Überschüsse zu verringern. Diese
Aussetzung könne daher für sich allein keine Verletzung des Eigentumsrechts
darstellen.
- 36.
- Die Beklagten führen aus, daß in den Rechtssachen, in denen das Urteil O'Dwyer
u. a./Rat ergangen sei, einige Kläger ebenfalls Käufer zusätzlicher Referenzmengen
gewesen seien. Das Gericht habe jedoch entschieden, daß bei der Verringerung
oder Aussetzung von Referenzmengen nicht nach deren Herkunft unterschieden
werden dürfe. Nach Ansicht der Beklagten läßt sich eine solche Unterscheidung
nicht mit dem Erfordernis einer Stabilisierung des Marktes vereinbaren.
- 37.
- Die Kommission führt aus, daß die Regelung den Kauf zusätzlicher
Referenzmengen von den nationalen Behörden nicht zulasse, da Verkäufe zwischen
Milcherzeugern die einzigen zulässigen Geschäfte dieser Art seien. Der Kläger
habe nicht angegeben, auf welcher Rechtsgrundlage er die zusätzlichen
Referenzmengen erworben habe. Das Vorbringen des Klägers sei daher nicht
schlüssig. Wenn außerdem alle von den Erzeugern erworbenen zusätzlichen
Mengen nicht in die Verringerung einbezogen werden dürften, so betreffe dies
Mengen in einer Größenordnung, die es unmöglich machen würde, die mit der
Verordnung Nr. 816/92 verfolgten Ziele zu erreichen.
Würdigung durch das Gericht
- 38.
- Die Verordnung Nr. 816/92 wurde im Anschluß an eine Reihe anderer
Rechtsvorschriften erlassen, die ebenfalls Beschränkungen der Referenzmengen
vorsahen. Der Gerichtshof hat in seinen Urteilen vom 20. September 1988 in der
Rechtssache 203/86 (Spanien/Rat, Slg. 1988, 4563, Randnr. 15) und Hierl (Randnr.
21) entschieden, daß die Verordnungen Nrn. 1335/86 und 1343/86, die die
Gesamtgarantiemenge jedes Mitgliedstaats um 3 % verringerten, und die Vorschrift
der Verordnung Nr. 775/87, die die Aussetzung eines Teils jeder Referenzmenge
vorsah, keine Norm des Gemeinschaftsrechts verletzten. Außerdem hat das Gericht
in seinem Urteil O'Dwyer u. a./Rat Klagen abgewiesen, mit denen wie im
vorliegenden Fall ebenfalls der Ersatz des durch die Verordnung Nr. 816/92
entstandenen Schadens begehrt wurde. Schließlich hat der Gerichtshof in seinem
Urteil vom 15. April 1997 in der Rechtssache C-22/94 (Irish Farmers Association
u. a., Slg. 1997, I-1809, Randnr. 42) die die streitige Verringerung betreffende
Vorschrift dieser Verordnung geprüft; diese Prüfung hat nichts ergeben, was ihre
Gültigkeit beeinträchtigen könnte. Im Lichte dieser Rechtsprechung ist der
vorliegende Schadensersatzantrag zu prüfen.
- 39.
- Das Eigentumsrecht, das der Kläger für verletzt hält, wird von der
Gemeinschaftsrechtsordnung gewährleistet. Dieses Recht kann jedoch keine
uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern muß im Hinblick auf seine
gesellschaftliche Funktion gesehen werden. Folglich kann die Gemeinschaft, wenn
sie dem Gemeinwohl dienende Ziele verfolgt, das Eigentumsrecht namentlich im
Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation Beschränkungen unterwerfen,
sofern diese tatsächlich diesen Zielen entsprechen und keinen im Hinblick auf den
verfolgten Zweck unverhältnismäßigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen (Urteile
des Gerichtshofes Hauer, Randnr. 23, Schräder, Randnr. 15, vom 10. Januar 1992
in der Rechtssache C-177/90, Kühn, Slg. 1992, I-35, Randnr. 16, und Irish Farmers
Association u. a., Randnr. 27; Urteil des Gerichts O'Dwyer u. a./Rat, Randnr. 98).
- 40.
- Zur Verfolgung der Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik wurde dem
Gemeinschaftsgesetzgeber vom Vertrag neben der politischen Verantwortung ein
weites Ermessen übertragen. Dieses Ermessen soll es den Gemeinschaftsorganen
insbesondere ermöglichen, für den ständigen Ausgleich zu sorgen, den etwaige
Widersprüche zwischen diesen Zielen, wenn sie isoliert betrachtet werden,
erforderlich machen können, und gegebenenfalls dem einen oder anderen von
ihnen den zeitweiligen Vorrang einzuräumen, den die wirtschaftlichen Tatsachen
oder Umstände, im Hinblick auf die sie ihre Entscheidungen erlassen, gebieten
(Urteile Spanien/Rat, Randnr. 10, und Hierl, Randnr. 13). So können
Verringerungen der Referenzmengen zulässig sein, wenn damit ein Ausgleich
zwischen Angebot und Nachfrage und eine Stabilisierung des Milchmarkts erreicht
werden soll.
- 41.
- Im vorliegenden Fall entspricht die in der Verordnung Nr. 816/92 vorgesehene
Verringerung der Referenzmengen diesen Erfordernissen. Wie sich aus den
Begründungserwägungen dieser Verordnung ergibt, war die Aussetzung der
Referenzmengen dadurch gerechtfertigt, daß die Sanierung des Milchmarkts
fortgesetzt werden sollte, nachdem in den vorangegangenen Jahren Maßnahmen
gleicher Art getroffen worden waren (vgl. oben, Randnrn. 2 bis 7).
- 42.
- Die streitige Verringerung überschritt von ihrem Umfang her nicht die Grenzen
eines tragbaren Eingriffs und tastete das Eigentumsrecht somit nicht in seinem
Wesensgehalt an. Wie der Gerichtshof in den Urteilen Hierl (Randnrn. 13 bis 15)
und Spanien/Rat (Randnrn. 10 und 11) anerkannt hat, verletzen vorübergehende
Verringerungen der Referenzmengen, mit denen das Ziel verfolgt wird, eine
Stabilisierung der durch eine Überproduktion gekennzeichneten Märkte zu
erreichen, nicht das Eigentumsrecht. Außerdem geht aus dem Urteil Irish Farmers
Association u. a. (Randnr. 29) hervor, daß selbst eine Umwandlung einer
vorübergehenden Verringerung in eine endgültige Kürzung um 4,5 % der
Referenzmengen ohne Entschädigung dieses Recht nicht verletzt.
- 43.
- Sollte sich der dem Kläger mitgeteilte Prozentsatz der Verringerung, wie dieser
behauptet, auf 4,74 % statt auf die in der Verordnung Nr. 816/92 vorgesehenen
4,5 % belaufen haben, so wären für diesen Unterschied die nationalen Behörden
verantwortlich.
- 44.
- Nach alledem ist die einen angeblichen Verstoß gegen Artikel 39 des Vertrages
betreffende Rüge des Klägers ebenfalls zurückzuweisen. Der Rat durfte nämlich
im Rahmen seines weiten Ermessens auf dem Gebiet der gemeinsamen
Agrarpolitik dem Ziel der Stabilisierung des Marktes für Milcherzeugnisse
vorübergehend Vorrang einräumen, da die getroffenen Maßnahmen durch eine
Rationalisierung der Milcherzeugung zur Aufrechterhaltung einer angemessenen
Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung im Sinne des Artikels 39
Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages beitrugen (Urteil O'Dwyer u. a./Rat,
Randnr. 82, und allgemein zum System der Zusatzabgabe Urteil des Gerichtshofes
vom 17. Mai 1988 in der Rechtssache 84/87, Erpelding, Slg. 1988, 2647,
Randnr. 26).
- 45.
- Was die von den nationalen Behörden gekauften Referenzmengen angeht, so hat
der Kläger nicht dargetan, warum die zusätzlichen Referenzmengen von der
ursprünglichen Referenzmenge unterschieden werden müßten. Es wäre mit dem
Grundgedanken der streitigen Verordnung, die darauf abzielt, die Überproduktion
unter Kontrolle zu bekommen, nicht zu vereinbaren, wenn zusätzliche Mengen von
der in der Verordnung Nr. 816/92 vorgesehenen Verringerung nur deshalb
ausgeschlossen würden, weil sie außerhalb der ursprünglich gewährten
Referenzmenge erworben wurden.
- 46.
- Entgegen dem Vorbringen des Klägers hatten in den Rechtssachen, in denen das
Urteil O'Dwyer u. a./Rat ergangen ist, jedenfalls einige Kläger ebenfalls zusätzliche
Referenzmengen von den nationalen Behörden erworben (vgl. Randnrn. 119 bis
130 des Urteils). Der Kauf zusätzlicher Referenzmengen stellt eine wirtschaftliche
Entscheidung der Erzeuger dar, die es ihnen ermöglicht, ihre Liefermengen zu
erhöhen. Damit tragen diese Erzeuger zur Erhöhung des strukturellen
Überschusses in diesem Sektor bei, so daß es gerechtfertigt ist, daß sie sich stärker
an den von den Erzeugern verlangten Anstrengungen zur Verringerung des
Überschusses zu beteiligen haben. Die in der Verordnung Nr. 816/92 vorgesehene
Verringerung ist also im gleichen Verhältnis auf alle Referenzmengen unabhängig
von deren Herkunft anwendbar (vgl. Urteil O'Dwyer u. a./Rat, Randnr. 128).
- 47.
- Ohne daß geprüft zu werden braucht, ob der Kauf zusätzlicher Mengen wie die
Kommission vorträgt gegen die damals geltende Regelung verstieß, ist daher das
Vorbringen des Klägers, soweit es sich auf den Schutz des Eigentumsrechts bezieht,
zurückzuweisen.
- 48.
- Der erste Klagegrund ist somit in vollem Umfang zurückzuweisen.
Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes
Vorbringen der Parteien
- 49.
- Der Kläger trägt vor, daß für Aussetzungen von Referenzmengen bis zum Erlaß
der angefochtenen Verordnung Entschädigung gewährt worden sei. Er habe daher
darauf vertrauen dürfen, daß ihm diese Bestandteile seines Vermögens erhalten
bleiben und zur Verfügung stehen würden. Außerdem habe er Investitionen
getätigt, um Nutzen aus den von den nationalen Behörden erworbenen
Referenzmengen ziehen zu können. Er hätte weder die zusätzlichen Mengen
erworben noch diese Investitionen getätigt, wenn er vorher von einer solchen
Maßnahme gewußt hätte.
- 50.
- In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger auf Aufforderung des Gerichts, zur
Bedeutung des Urteils Irish Farmers Association u. a. Stellung zu nehmen,
ausgeführt, daß sein Fall anders gelagert sei als der vom Gerichtshof in diesem
Urteil geprüfte Sachverhalt, da er die zusätzlichen Referenzmengen im Zuge
staatlicher Maßnahmen gekauft habe. Er habe daher erwarten dürfen, sie nutzen
zu können, sei aber Opfer einer nach diesem Erwerb eingetretenen Änderung der
Regelung geworden.
- 51.
- Der Rat weist darauf hin, daß die Anerkennung eines berechtigten Vertrauens der
Milcherzeuger auf die zeitlich unbegrenzte Beibehaltung einer Entschädigung einer
Anerkennung wohlerworbener Rechte auf diesem Gebiet gleichkäme, die im
Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung stünde (Urteile des Gerichtshofes vom
22. Januar 1986 in der Rechtssache 250/84, Eridania u. a., Slg. 1986, 117, und
Spanien/Rat).
- 52.
- Es seien bereits mehrere anderweitige Herabsetzungen von Referenzmengen
angeordnet worden, die nicht immer vorübergehend oder von einer Entschädigung
begleitet gewesen seien. Überdies müsse ein umsichtiger und besonnener
Wirtschaftsteilnehmer mit Maßnahmen rechnen, die angesichts der
Marktentwicklung erforderlich würden (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Februar
1990 in der Rechtssache C-350/88, Delacre u. a./Commission, Slg. 1990, I-395). Die
streitigen Verringerungen seien angesichts der Marktentwicklung völlig
vorhersehbar gewesen.
- 53.
- Die Kommission ist der Ansicht, daß nach ständiger Rechtsprechung, die im Urteil
O'Dwyer u. a./Rat (Randnrn. 48 und 49) bestätigt worden sei, die
Wirtschaftsteilnehmer nicht auf die Beibehaltung einer bestehenden Situation
vertrauen dürften, die die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres Ermessens
ändern könnten. Der Umstand, daß die vorherige Regelung bei jeder Verringerung
der Referenzmengen eine Entschädigung vorgesehen habe, könne kein berechtigtes
Vertrauen begründen, da die mit der Verordnung Nr. 816/92 eingeführte neue
Regelung von diesem Ermessen gedeckt gewesen sei.
Würdigung durch das Gericht
- 54.
- Jeder Wirtschaftsteilnehmer, bei dem ein Gemeinschaftsorgan begründete
Erwartungen geweckt hat, kann sich auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes
berufen. Die Wirtschaftsteilnehmer dürfen jedoch nicht auf die Beibehaltung einer
bestehenden Situation vertrauen, die die Gemeinschaftsorgane im Rahmen ihres
Ermessens ändern können. Dies gilt insbesondere auf einem Gebiet wie dem der
gemeinsamen Agrarmarktorganisationen, deren Zweck eine ständige Anpassung an
die Veränderungen der wirtschaftlichen Lage mit sich bringt (vgl. Urteile des
Gerichtshofes Delacre u. a./Kommission, Randnr. 33, und vom 5. Oktober 1994 in
der Rechtssache C-280/93, Deutschland/Rat, Slg. 1994, I-4973, Randnr. 80, sowie
Urteile des Gerichts vom 15. Dezember 1994 in der Rechtssache T-489/93, Unifruit
Hellas/Kommission, Slg. 1994, II-1201, Randnr. 67, vom 21. Februar 1995 in der
Rechtssache T-472/93, Campo Ebro u. a./Rat, Slg. 1995, II-421, Randnr. 71, und
O'Dwyer u. a./Rat, Randnr. 48). Ist zudem ein umsichtiger und besonnener
Wirtschaftsteilnehmer in der Lage, den Erlaß einer Gemeinschaftsmaßnahme
vorauszusehen, die seine Interessen berühren kann, so kann er sich im Fall ihres
Erlasses nicht auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes berufen (Urteile van den
Bergh en Jurgens/Kommission, Randnr. 44).
- 55.
- Wie sich aus dem Urteil Irish Farmers Association u. a. (Randnr. 22) ergibt, haben
der Rat und die Kommission keine Lage geschaffen, aufgrund deren die
Milcherzeuger hätten erwarten dürfen, daß ihnen die vorübergehend ausgesetzten
Referenzmengen zu den angegebenen Zeitpunkten wieder zugeteilt würden. Denn
bereits vor dem Zeitpunkt, zu dem die durch die Verordnung Nr. 775/87
eingeführte Aussetzungsregelung auslaufen sollte, wurde sie durch die Verordnung
Nr. 1111/88 verlängert. Auch diese Verordnung sah eine Vergütung vor, die anders
als die Vergütung nach der Verordnung Nr. 775/587 degressiv war. Außerdem hatte
die Kommission einen formellen Vorschlag vorgelegt, der eine entschädigungslose
Herabsetzung der Referenzmengen vorsah; diesen Vorschlag hatte sie am 31.
Dezember 1991 (ABl. C 337, S. 35) veröffentlicht. Schließlich konnte zum
Zeitpunkt des Ablaufs der auf diese Weise verlängerten Regelungen am 31. März
1992 den Milcherzeugern nicht unbekannt sein, daß weiter Milchüberschüsse
erzeugt wurden und somit die Beibehaltung der Abgabenregelung notwendig war.
Demnach war die Dauer der Regelung der vorübergehenden Aussetzung von ihrer
Einführung und von ihrer Verlängerung an untrennbar mit der Dauer der
Zusatzabgabenregelung verbunden.
- 56.
- Unter diesen Umständen kann der Kläger, der auch nichts vorgetragen hat, was
gegen diese Feststellung spräche, nicht geltend machen, daß die beklagten Organe
ein berechtigtes Vertrauen bei ihm begründet hätten.
- 57.
- Er kann auch nicht seinen Entschluß, nach Ankauf der zusätzlichen
Referenzmengen von den nationalen Behörden Investitionen zu tätigen, mit einem
berechtigten Vertrauen begründen. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß er vorträgt,
diese Mengen in den Jahren 1990 und 1991 erworben zu haben. Damals waren die
Referenzmengen jedoch bereits nach der Verordnung Nr. 1111/88 vorübergehend
ausgesetzt. Dem Kläger konnte somit zum Zeitpunkt des Erwerbs der betreffenden
Mengen nicht unbekannt sein, daß Milchüberschüsse erzeugt wurden und daß es
Maßnahmen zur Aussetzung der Referenzmengen gab, die zwar mit einer
degressiven Vergütung verbunden waren, jedoch zeigten, daß sich der Markt in
einer besonderen Situation befand. Daher ist unabhängig davon, ob wie die
Kommission ausführt der Erwerb zusätzlicher Referenzmengen gegen die damals
geltende Regelung verstieß, festzustellen, daß der Kläger, als er die zusätzlichen
Mengen erwarb, eine wirtschaftliche Entscheidung getroffen hat, deren Folgen er
zu tragen hat.
- 58.
- Der zweite Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen den Gleichheitssatz
Vorbringen der Parteien
- 59.
- Der Kläger ist der Ansicht, daß die in der Verordnung Nr. 816/92 enthaltene
Kürzung der Referenzmengen rechtswidrig sei, da sie für alle Betriebe einen
einheitlichen Kürzungssatz vorsehe, was in der Praxis dazu führe, daß die
Auswirkungen der Kürzung auf einen Kleinbetrieb gravierender seien als auf einen
Großbetrieb. Daß ein einheitlicher Kürzungssatz vorgesehen sei, widerspreche
demnach dem Gleichbehandlungsgrundsatz. Dies stelle auch einen Verstoß gegen
Artikel 39 EG-Vertrag dar.
- 60.
- Der Rat trägt vor, daß der Gerichtshof ähnliche Rügen bereits in seinen Urteilen
Spanien/Rat und Hierl zurückgewiesen habe. Im Urteil Hierl habe der Gerichtshof
die Ansicht vertreten, daß die unterschiedslose Anwendung der Aussetzung von
Referenzmengen auf Klein- und Großerzeuger von Milch keine Verletzung des
Artikels 39 des Vertrages darstelle. Dies müsse auch im vorliegenden Fall gelten.
- 61.
- Der Rat ist der Ansicht, daß die angefochtene Verordnung, selbst wenn sie
rechtswidrig sei, jedenfalls nicht gegen höherrangige, den einzelnen schützende
Rechtsnormen verstoße. Sie könne daher den behaupteten Schaden nicht
verursacht haben.
- 62.
- Die Kommission trägt vor, daß der Umstand, daß eine im Rahmen einer
gemeinsamen Marktorganisation getroffene Maßnahme für bestimmte Erzeuger je
nach der individuellen Ausrichtung ihrer Erzeugung unterschiedliche Auswirkungen
haben könne, nach den Ausführungen des Gerichtshofes im Urteil Hierl (Randnr.
19) nicht als eine Diskriminierung angesehen werden könne, wenn diese
Maßnahme auf objektiven Kriterien beruhe. Wie das Gericht im Urteil O'Dwyer
u. a./Rat (Randnr. 117) entschieden habe, stelle die aufgrund der Verordnung Nr.
816/92 für den Zeitraum 1992/1993 vorgenommene entschädigungslose Kürzung der
individuellen Referenzmenge keine rechtswidrige Handlung dar. Die daraus
abgeleiteten Schadensersatzansprüche des Klägers seien daher unbegründet.
Würdigung durch das Gericht
- 63.
- Der Gleichheitssatz verbietet es, gleiche Sachverhalte unterschiedlich und
unterschiedliche Sachverhalte gleich zu behandeln, es sei denn, daß eine solche
Behandlung objektiv gerechtfertigt wäre. Maßnahmen im Rahmen der
gemeinsamen Marktorganisationen dürfen daher nur aufgrund objektiver Kriterien,
die eine ausgewogene Verteilung der Vor- und Nachteile auf die Betroffenen
gewährleisten, nach Regionen und sonstigen Produktions- oder
Verbrauchsbedingungen differenzieren (Urteile des Gerichtshofes Spanien/Rat,
Randnr. 25, und Irish Farmers Association u. a., Randnr. 34; Urteil des Gerichts
O'Dwyer u. a./Rat, Randnr. 113).
- 64.
- Der Umstand, daß eine im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation
getroffene Maßnahme für bestimmte Erzeuger je nach der individuellen
Ausrichtung ihrer Erzeugung unterschiedliche Auswirkungen haben kann, kann
nicht als eine Diskriminierung angesehen werden, wenn diese Maßnahme auf
objektiven, den Erfordernissen des gesamten Funktionierens der gemeinsamen
Marktorganisation angepaßten Kriterien beruht (Urteil des Gerichtshofes vom 9.
Juli 1985 in der Rechtssache 179/84, Bozetti, Slg. 1985, 2301, Randnr. 34). Dies ist
bei der Regelung der vorübergehenden Aussetzung der Fall, die so ausgestaltet ist,
daß die ausgesetzten Mengen im Verhältnis zu den Referenzmengen stehen (vgl.
Urteile Hierl, Randnr. 19, und O'Dwyer u. a./Rat, Randnr. 117).
- 65.
- Der dritte Klagegrund ist somit ebenfalls zurückzuweisen.
- 66.
- Nach alledem ist nicht nachgewiesen worden, daß dem behaupteten Schaden eine
rechtswidrige Handlung der Organe zugrunde liegt. Die Klage ist somit, soweit sie
auf Schadensersatz gerichtet ist, abzuweisen, ohne daß geprüft werden müßte, ob
die anderen Haftungsvoraussetzungen erfüllt sind.
Kosten
Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf
Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Kläger mit seinem
Vorbringen unterlegen ist, sind ihm gemäß den entsprechenden Anträgen des Rates
und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Erste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird, soweit sie auf Nichtigerklärung gerichtet ist, als unzulässig
abgewiesen.
2. Soweit die Klage auf Schadensersatz gerichtet ist, wird sie als unbegründet
abgewiesen.
3. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
VesterdorfBellamy
Moura Ramos
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Juli 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
B. Vesterdorf