Language of document : ECLI:EU:C:2007:249

Rechtssache C‑348/04

Boehringer Ingelheim KG u. a.

gegen

Swingward Ltd u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen des

Court of Appeal [England & Wales] [Civil Division])

„Gewerbliches und kommerzielles Eigentum – Markenrecht – Arzneimittel – Parallelimport – Umpacken der mit der Marke versehenen Ware“

Leitsätze des Urteils

1.        Rechtsangleichung – Marken – Richtlinie 89/104 – Parallelimport von Arzneimitteln nach Anbringen eines zusätzlichen Aufklebers

(Art. 30 EG; Richtlinie 89/104 des Rates, Art. 7 Abs. 2)

2.        Rechtsangleichung – Marken – Richtlinie 89/104 – Parallelimport von Arzneimitteln nach Umpacken und Wiederanbringen der Marke

(Richtlinie 89/104 des Rates, Art. 7 Abs. 2)

3.        Rechtsangleichung – Marken – Richtlinie 89/104 – Parallelimport von Arzneimitteln nach Umpacken und Wiederanbringen der Marke

(Richtlinie 89/104 des Rates, Art. 7 Abs. 2)

4.        Rechtsangleichung – Marken – Richtlinie 89/104 – Parallelimport von Arzneimitteln nach Umpacken und Wiederanbringen der Marke

(Art. 30 EG; Richtlinie 89/104 des Rates, Art. 7 Abs. 2)

5.        Rechtsangleichung – Marken – Richtlinie 89/104 – Parallelimport von Arzneimitteln nach Umpacken und Wiederanbringen der Marke

(Richtlinie 89/104 des Rates, Art. 7 Abs. 2)

1.        Art. 7 Abs. 2 der Ersten Richtlinie 89/104 über die Marken ist dahin auszulegen, dass der Inhaber der Marke sich dem weiteren Vertrieb eines aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Arzneimittels in seiner inneren und äußeren Originalverpackung, die vom Importeur mit einem zusätzlichen äußeren Aufkleber versehen wurde, widersetzen kann, es sei denn, folgende Voraussetzungen sind erfüllt:

–      Es ist erwiesen, dass die Geltendmachung der Marke durch den Markeninhaber zu dem Zweck, sich dem Vertrieb der mit einem neuen Aufkleber versehenen Ware unter der Marke zu widersetzen, zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen Mitgliedstaaten beitragen würde.

–      Es ist dargetan, dass die Neuetikettierung den Originalzustand der in der Verpackung enthaltenen Ware nicht beeinträchtigen kann.

–      Auf der Verpackung ist klar angegeben, von wem der neue Aufkleber auf der Ware angebracht worden ist und wer deren Hersteller ist.

–      Das mit diesem neuen Aufkleber versehene Erzeugnis ist nicht so aufgemacht, dass dadurch der Ruf der Marke und ihres Inhabers geschädigt werden kann; das Etikett darf folglich nicht schadhaft, von schlechter Qualität oder unordentlich sein.

–      Der Importeur unterrichtet den Markeninhaber vor dem Inverkehrbringen des mit einem neuen Aufkleber versehenen Erzeugnisses und liefert ihm auf Verlangen ein Muster dieser Ware.

Die mit jeder Neuverpackung oder Neuetikettierung eines mit einer Marke versehenen Arzneimittels verbundene Veränderung schafft nämlich ihrem Wesen nach tatsächliche Gefahren für die Herkunftsgarantie, die durch die Marke gewährleistet werden soll. Eine solche Veränderung kann somit vom Inhaber der Marke untersagt werden, es sei denn, die Neuverpackung oder die Neuetikettierung ist erforderlich, um die Vermarktung der parallel eingeführten Waren zu ermöglichen, und die berechtigten Interessen des Inhabers sind überdies gewahrt.

(vgl. Randnrn. 30, 32, Tenor 1)

2.        Die Voraussetzung, dass das Umpacken eines Arzneimittels durch Neuverpackung und Wiederanbringung der Marke auf der Verpackung oder durch Aufkleben eines Etiketts auf der Verpackung der Ware für deren weiteren Vertrieb im Einfuhrmitgliedstaat erforderlich ist, als eine der Voraussetzungen dafür, dass sich der Inhaber der Marke gemäß Art. 7 Abs. 2 der Ersten Richtlinie 89/104 über die Marken diesem Vertrieb nicht widersetzen kann, betrifft nur das Umpacken als solches und nicht die Art und Weise, in der es vorgenommen wird.

(vgl. Randnr. 39, Tenor 2)

3.        Art. 7 Abs. 2 der Ersten Richtlinie 89/104 über die Marken muss dahin ausgelegt werden, dass sich der Markeninhaber dem weiteren Vertrieb eines Arzneimittels widersetzen kann, wenn der Parallelimporteur es entweder neu verpackt und die Marke wieder darauf angebracht hat oder einen Aufkleber auf der Verpackung der Ware angebracht hat, es sei denn, dass fünf Voraussetzungen erfüllt sind, darunter diejenige, dass die Aufmachung der umgepackten Ware nicht so sein darf, dass dadurch der Ruf der Marke oder ihres Inhabers geschädigt werden kann. Diese Voraussetzung ist nicht auf die Fälle beschränkt, in denen die durch das Umpacken geschaffene Verpackung schadhaft, von schlechter Qualität oder unordentlich ist. Die Aufmachung eines umgepackten Arzneimittels könnte nämlich insbesondere in dem Fall unangemessen sein und folglich dem Ansehen der Marke schaden, in dem die Verpackung oder der Aufkleber zwar nicht schadhaft, von schlechter Qualität oder unordentlich, aber so beschaffen sind, dass sie den Wert der Marke beeinträchtigen, indem sie das mit einer solchen Ware verbundene Image der Zuverlässigkeit und Qualität sowie das Vertrauen, das sie bei den betroffenen Verkehrskreisen wecken kann, schädigen.

Die Frage, ob es den Ruf der Marke schädigen kann, wenn der Parallelimporteur

–      die Marke nicht auf dem neuen äußeren Karton anbringt („de-branding“) oder

–      entweder sein eigenes Logo oder ein Firmenmarkenzeichen, eine Firmenaufmachung oder eine für eine Reihe verschiedener Waren verwendete Aufmachung auf dem neuen äußeren Karton anbringt („co-branding“) oder

–      auf dieser Verpackung einen zusätzlichen Aufkleber so anbringt, dass die Marke des Inhabers ganz oder teilweise überklebt wird oder

–      auf dem zusätzlichen Aufkleber nicht den Inhaber der Marke angibt oder

–      den Namen des Parallelimporteurs in Großbuchstaben schreibt,

ist eine Sachfrage, über die nach dem jeweiligen Sachverhalt zu entscheiden Sache des nationalen Gerichts ist.

(vgl. Randnrn. 40, 43-44, 47, Tenor 3-4)

4.        In Rechtsstreitigkeiten zwischen Herstellern von Arzneimitteln und Parallelimporteuren und Händlern von Arzneimitteln, in denen die Hersteller gegen die Parallelimporteure und Händler Klagen wegen Verletzung ihrer Markenrechte erhoben haben, weil von ihnen hergestellte Arzneimittel von diesen Importeuren in einen Mitgliedstaat parallel importiert und dort auf den Markt gebracht wurden, nachdem sie neu verpackt oder neu etikettiert worden waren, obliegt es den Parallelimporteuren, den Nachweis für das Vorliegen der Voraussetzungen zu erbringen, dass

–      die Geltendmachung der Marke durch den Markeninhaber zu dem Zweck, sich dem Vertrieb der umgepackten Waren unter der Marke zu widersetzen, zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen Mitgliedstaaten beitragen würde;

–      das Umpacken den Originalzustand der in der Verpackung enthaltenen Ware nicht beeinträchtigen kann;

–      auf der neuen Verpackung klar angegeben ist, von wem das Arzneimittel umgepackt worden ist und wer der Hersteller ist;

–      das umgepackte Arzneimittel nicht so aufgemacht sein darf, dass dadurch der Ruf der Marke und ihres Inhabers geschädigt werden kann; die durch das Umpacken geschaffene Verpackung darf folglich nicht schadhaft, von schlechter Qualität oder unordentlich sein;

–      der Importeur den Markeninhaber vor dem Inverkehrbringen des umgepackten Arzneimittels unterrichten und ihm auf Verlangen ein Muster der umgepackten Ware liefern muss,

wobei sich bei deren Erfüllung der Inhaber der Marke dem weiteren Vertrieb eines umgepackten Arzneimittels nicht widersetzen kann.

Hinsichtlich der Voraussetzung, dass nachgewiesen werden muss, dass das Umpacken den Originalzustand der in der Verpackung enthaltenen Ware nicht beeinträchtigen kann, genügt es jedoch, wenn der Parallelimporteur Beweise erbringt, die vernünftigerweise vermuten lassen, dass diese Voraussetzung erfüllt ist. Dies gilt erst recht für die Voraussetzung, dass die Aufmachung der Ware nicht so sein darf, dass sie den Ruf der Marke und ihres Inhabers schädigen kann. Sofern der Importeur einen solchen Anfangsbeweis dafür erbringt, dass diese Voraussetzung erfüllt ist, ist es gegebenenfalls Sache des Markeninhabers, der am besten beurteilen kann, ob das Umpacken seinen Ruf und den der Marke schädigen kann, nachzuweisen, dass dies der Fall ist.

(vgl. Randnrn. 48, 54, Tenor 5)

5.        Ein Parallelimporteur, der die vorherige Unterrichtung des Markeninhabers über ein umgepacktes Arzneimittel unterlassen hat, verstößt bei jeder späteren Einfuhr dieser Ware gegen die Rechte dieses Inhabers, solange er ihn nicht unterrichtet. Die Sanktion für diesen Verstoß muss nicht nur verhältnismäßig, sondern auch effektiv und abschreckend genug sein, um die volle Wirksamkeit der Ersten Richtlinie 89/104 über die Marken sicherzustellen. Eine nationale Maßnahme, nach der der Inhaber der Marke im Fall eines solchen Verstoßes einen Anspruch auf finanzielle Entschädigung auf derselben Grundlage wie im Fall einer Fälschung hat, widerspricht als solche nicht dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Es ist jedoch Sache des nationalen Gerichts, im Einzelfall insbesondere unter Berücksichtigung des Umfangs des dem Markeninhaber durch den Verstoß des Parallelimporteurs entstandenen Schadens und unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Höhe der finanziellen Entschädigung zu bestimmen.

(vgl. Randnr. 64, Tenor 6)