Language of document : ECLI:EU:C:2024:583

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 4. Juli 2024(1)

Rechtssache C277/23

E. P.

gegen

Ministarstvo financija Republike Hrvatske, Samostalni sektor za drugostupanjski upravni postupak

(Vorabentscheidungsersuchen des Ustavni sud Republike Hrvatske [Verfassungsgericht der Republik Kroatien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Unionsbürgerschaft – Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten – Steuervorschriften – Einkommensteuer – Berechnung des persönlichen Grundfreibetrags für ein unterhaltsberechtigtes Kind, das Mobilitätsbeihilfe erhalten hat – Beihilfe, die den in diesen Vorschriften vorgesehenen Höchstbetrag überschreitet – Erasmus+‑Programm – Mobilität in einen Mitgliedstaat mit höheren durchschnittlichen Lebenshaltungskosten – Diskriminierungsverbot – Beschränkung der Freizügigkeit“






I.      Einleitung

1.        Das Erasmus (EuRopean Action Scheme for the Mobility of University Students)-Programm ist in Anlehnung an eine Zeit in der Renaissance konzipiert worden, in der sich Studierende und Intellektuelle frei in Europa bewegen konnten. Es trägt daher den Namen des Philosophen, Philologen, Theologen und Humanisten Erasmus von Rotterdam (1469–1536), der sich als Weltbürger verstanden und in mehreren Regionen Europas gelebt und gearbeitet hat. Er vertrat nämlich die Auffassung, dass ihm nur die Beziehungen, die er zu anderen Ländern unterhielt, das Wissen, die Erfahrungen und die Ideen verschafften, die Gegenstand seiner Forschungen waren(2).

2.        Seit seiner Einführung im Jahr 1987 hat es das Erasmus-Programm mehreren Generationen junger Studierender ermöglicht, sich innerhalb der Europäischen Union zu Bildungszwecken frei zu bewegen, und so zur Annäherung der Völker der Union beigetragen. Es hat auch den Weg für ein Europa der Bildung geebnet, das vom Europa der Bürger und später von der Unionsbürgerschaft nicht getrennt werden kann. Heute trägt das Erasmus+‑Programm dazu bei, die Zusammenarbeit der Union in den wesentlichen Bereichen der allgemeinen und beruflichen Bildung zu verwirklichen, die eng mit der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Union verknüpft sind, und die Werte der Union gemäß Art. 2 EUV(3) zu fördern. Und morgen? Auch morgen soll dieses Programm die Mobilität von Studierenden als Ziel des Allgemeininteresses fördern und die Werte der Union festigen. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass „die Demokratie in der Union ein Bildungssubstrat braucht“(4).

3.        In der vorliegenden Rechtssache wird der Gerichtshof im Wesentlichen zur Auslegung der Art. 18, 20, 21 und 165 AEUV befragt. Im Kern geht es um die Beantwortung der entscheidenden Fragen, die sich dem vorlegenden Gericht, dem Ustavni sud Republike Hrvatske (Verfassungsgericht der Republik Kroatien), stellen und sich wie folgt zusammenfassen lassen: Kann der Bezug eines Erasmus-Stipendiums durch einen Studierenden, der die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt, teilweise der Steuerverwaltung dieses Mitgliedstaats zugutekommen? Steht die steuerliche Benachteiligung des steuerpflichtigen Elternteils im Einklang mit dem Ziel des Erasmus+‑Programms, die Mobilität von Studierenden zu fördern?

4.        Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen bietet dem Gerichtshof somit Gelegenheit, sich erneut mit der Mobilität von Studierenden vor dem Hintergrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats über bestimmte Steuervorteile zu befassen, und knüpft an seine Rechtsprechung zur Freizügigkeit von Studierenden an(5).

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

5.        Art. 21 Abs. 1 AEUV sieht vor: „Jeder Unionsbürger hat das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten.“

6.        Art. 165 Abs. 1 und 2 AEUV bestimmt:

„(1)      Die Union trägt zur Entwicklung einer qualitativ hoch stehenden Bildung dadurch bei, dass sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert und die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie der Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen erforderlichenfalls unterstützt und ergänzt.

(2)      Die Tätigkeit der Union hat folgende Ziele:

–      Entwicklung der europäischen Dimension im Bildungswesen, insbesondere durch Erlernen und Verbreitung der Sprachen der Mitgliedstaaten;

–      Förderung der Mobilität von Lernenden und Lehrenden, auch durch die Förderung der akademischen Anerkennung der Diplome und Studienzeiten;

–      Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Bildungseinrichtungen;

–      Ausbau des Informations- und Erfahrungsaustauschs über gemeinsame Probleme im Rahmen der Bildungssysteme der Mitgliedstaaten;

–      Förderung des Ausbaus des Jugendaustauschs und des Austauschs sozialpädagogischer Betreuer und verstärkte Beteiligung der Jugendlichen am demokratischen Leben in Europa;

…“

7.        Im 40. Erwägungsgrund der Verordnung (EU) Nr. 1288/2013(6) in ihrer auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits anwendbaren Fassung (im Folgenden: Erasmus+‑Verordnung) hieß es:

„Um den Zugang zu dem Programm zu erweitern, sollten die Finanzhilfen zur Förderung der Mobilität von Einzelpersonen den Lebenshaltungs- und Aufenthaltskosten des Aufnahmelandes angepasst werden. Die Mitgliedstaaten sollten zudem darin bestärkt werden, diese Finanzhilfen gemäß ihren einzelstaatlichen Rechtsvorschriften von Steuern und Sozialabgaben zu befreien. Diese Befreiung sollte auch für öffentliche oder private Einrichtungen gelten, die für die Vergabe der Finanzhilfen an die betreffenden Personen zuständig sind.“

8.        Art. 6 („Maßnahmen des Programms“) Abs. 1 der Erasmus+‑Verordnung bestimmte:

„Im Bereich allgemeine und berufliche Bildung werden die Ziele des Programms mit Hilfe der folgenden Maßnahmearten verfolgt:

a)      Lernmobilität von Einzelpersonen;

…“

9.        Art. 18 („Finanzmittel“) Abs. 7 dieser Verordnung sah vor:

„Die von einer nationalen Agentur bzw. Agenturen (‚nationale Agentur‘) zu verwaltenden Mittel für die Lernmobilität von Einzelpersonen gemäß Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe a und Artikel 12 Buchstabe a werden nach Maßgabe der Bevölkerung und der Lebenshaltungskosten in dem betreffenden Mitgliedstaat, der Entfernung zwischen den Hauptstädten der Mitgliedstaaten und der Leistung aufgeteilt. Auf den Parameter der Leistung, der anhand der in den Absätzen 8 und 9 genannten Kriterien ermittelt wird, entfallen 25 % der Gesamtmittel. Was strategische Partnerschaften nach Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a und Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe a anbelangt, die von einer nationalen Agentur auszuwählen und zu verwalten sind, so werden die Mittel auf Grundlage von Kriterien zugewiesen, die von der Kommission nach dem Prüfverfahren gemäß Artikel 36 Absatz 3 festgelegt werden. Die Formeln sind gegenüber den verschiedenen Bildungs- und Ausbildungssystemen der Mitgliedstaaten möglichst neutral, wobei eine erhebliche Verringerung der jährlichen Mittelzuweisungen für die Mitgliedstaaten von einem Jahr auf das nächste vermieden wird und übermäßige Ungleichgewichte bei der Höhe der Finanzhilfen möglichst gering gehalten werden.“

10.      Art. 67 („Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen“) der Verordnung (EG) Nr. 883/2004(7) bestimmt:

„Eine Person hat auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats, als ob die Familienangehörigen in diesem Mitgliedstaat wohnen würden. Ein Rentner hat jedoch Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des für die Rentengewährung zuständigen Mitgliedstaats.“

B.      Kroatisches Recht

11.      Das Zakon o porezu na dohodak (Einkommensteuergesetz) in seiner zur Zeit des Sachverhalts gültigen Fassung(8) (im Folgenden: ZPD) sieht in seinem Art. 6 vor, dass die Bemessungsgrundlage für die Einkommensteuer um den persönlichen Freibetrag verringert wird.

12.      Art. 10 ZPD listet die Beträge auf, die von der Einkommensteuer befreit sind. Dazu gehören u. a.:

–      „Stipendien für Studierende für ordentlichen Unterricht an Fach- und Hochschulen sowie für Postgraduierte und Postdoktoranden, für die Mittel im Staatshaushalt der Republik Kroatien vorgesehen sind, und Stipendien für Studierende für ordentlichen Unterricht an Hochschulen, die aus dem Haushalt der Europäischen Union gewährt bzw. vergeben werden und die in besonderen internationalen Abkommen geregelt sind“ (Nr. 13),

–      „Stipendien für Studierende, die im Rahmen öffentlicher Wettbewerbe ausgewählt wurden, an denen alle Studierenden unter gleichen Bedingungen teilnehmen können, für ordentlichen Unterricht an Hochschulen, sofern die Stipendien gemäß Sondervorschriften von Stiftungen, Stiftungsfonds, Einrichtungen und anderen Instituten gewährt bzw. vergeben werden, die in der Republik Kroatien für Zwecke der Erziehung und Bildung oder von Wissenschaft und Forschung registriert sind und mit dem Ziel der Vergabe von Stipendien gegründet wurden“ (Nr. 18), sowie

–      Einkünfte „bis zum vorgesehenen Betrag, die als Finanzhilfe aus Fonds und Programmen der Europäischen Union über nach Regeln der Europäischen Union akkreditierte Organe für die Umsetzung der Mobilität im Rahmen der Programme und Fonds der Europäischen Union in der Republik Kroatien gewährt werden, und zwar zum Zwecke der Bildung und der beruflichen Fortbildung und im Einklang mit der Finanzverordnung der Europäischen Kommission“ (Nr. 20).

13.      Art. 36 ZPD bestimmt:

„(1)      Bei Steueransässigen wird der persönliche Grundfreibeitrag in Höhe von 2 200,00 [kroatischen] Kuna [(HRK) (ca. 292 Euro)] für jeden steuerpflichtigen Monat des Besteuerungszeitraums von dem gemäß Art. 5 dieses Gesetzes erzielten Gesamteinkommen abgezogen. …

(2)      Steueransässige können den persönlichen Freibeitrag gemäß Abs. 1 um folgende Beträge erhöhen:

2.      für unterhaltsberechtigte Kinder um 0,5 des persönlichen Grundfreibetrags für das erste Kind, 0,7 für das zweite, 1,0 für das dritte, 1,4 für das vierte und 1,9 für das fünfte; für jedes weitere Kind wird der Faktor des persönlichen Grundfreibetrags im Verhältnis zum Faktor des persönlichen Grundfreibetrags für das vorherige Kind schrittweise um zusätzlich 0,6, 0,7, 0,8, 0,9, 1,0 … erhöht …

(4)      Als unterhaltsberechtigte nahe Familienangehörige und Kinder gelten natürliche Personen, deren steuerpflichtige, steuerbefreite und andere Einkünfte, die nach diesem Gesetz nicht als Einkommen angesehen werden, auf Jahresbasis das Fünffache des persönlichen Grundfreibeitrags gemäß Abs. 1 dieser Bestimmung nicht überschreiten.

(5)      Abweichend von Abs. 4 werden bei der Feststellung des Anspruchs auf den persönlichen Freibetrag für unterhaltsberechtigte nahe Familienangehörige und Kinder Beträge nicht berücksichtigt, die nach Sondervorschriften als Sozialhilfe, Kindergeld, Neugeborenenhilfe, d. h. Ausstattungshilfe für Neugeborene, und Hinterbliebenenrente nach dem Tod der Eltern vorgesehen sind. …“

14.      Art. 54 ZPD schreibt bei bestimmten Steuerpflichtigen, die ihren Wohnsitz wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens in unterstützten Gebieten oder in der Stadt Vukovar (Kroatien) haben, unter Anwendung der in Art. 36 Abs. 2 Nr. 1 ZPD festgelegten Faktoren einen höheren Betrag für den persönlichen Grundfreibetrag und damit einen höheren Freibetrag für unterhaltsberechtigte Kinder vor. Der Vorlageentscheidung zufolge belief sich dieser Betrag zum Zeitpunkt des Sachverhalts auf 3 000 HRK (ca. 398 Euro) und davor auf 2 700 HRK (ca. 358 Euro).

III. Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

15.      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, eine kroatische Staatsangehörige, bezieht den Großteil ihrer Einkünfte aus einer unselbständigen Tätigkeit. Sie schuldet Einkommensteuer und den Einkommensteuerzuschlag als Sondersteuereinkünfte einer lokalen Gebietskörperschaft. Unter Berücksichtigung ihres Wohnorts kommt sie in den Genuss der Steuervorteile des ZPD.

16.      Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens in den Besteuerungszeiträumen für die Jahre vor 2014 gemäß Art. 36 Abs. 2 Nr. 2 und Art. 54 Abs. 1 Nr. 2 ZPD Anspruch auf Erhöhung des Grundfreibetrags (steuerfreier Teil der erhaltenen Jahresbeträge) für ein unterhaltsberechtigtes Kind hatte, das während des maßgeblichen Zeitraums im Rahmen eines Hochschulstudiums ordentlicher Studierender in Finnland war.

17.      Mit Bescheid vom 27. Juli 2015 informierte die Porezna uprava Ministarstva financija Republike Hrvatske (Steuerverwaltung des Finanzministeriums der Republik Kroatien) die Klägerin des Ausgangsverfahrens zum einen über das Bestehen einer Differenz zwischen dem Betrag der Einkommensteuer und dem Betrag des Zuschlags, die darauf zurückzuführen sei, dass der Grundfreibetrag für ihr Kind – einen unterhaltsberechtigten Familienangehörigen – für den Zeitraum vom 1. Januar bis zum 31. Dezember 2014 abgeschafft worden sei, und zum anderen über den von ihr danach zu entrichtenden Betrag.

18.      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens legte gegen diesen Steuerbescheid Einspruch beim Samostalni sektor za drugostupanjski upravni postupak Ministarstva financija Republike Hrvatske (Selbständige Abteilung für Verwaltungsverfahren in zweiter Instanz des Finanzministeriums der Republik Kroatien) ein.

19.      Ihrer Ansicht nach wurde der Anspruch auf Erhöhung des Einkommensteuergrundfreibetrags für das Jahr 2014 für ihr unterhaltsberechtigtes Kind zu Unrecht nicht gewährt. Sie weist insoweit darauf hin, dass dieses Kind im Rahmen des Erasmus+‑Programms für das Studienjahr 2014/2015 eine Mobilitätsbeihilfe der finnischen Hochschule Y für seinen Hochschulstudienaufenthalt in Finnland erhalten habe. Aus dem in Rede stehenden Steuerbescheid gehe hervor, dass diese Mobilitätsbeihilfe den in Art. 36 Abs. 4 und 5 ZPD vorgesehenen Schwellenwert von 11 000 HRK (ca. 1 460 Euro) überschreite, weshalb eine Erhöhung des Einkommensteuergrundfreibetrags für einen unterhaltsberechtigten Familienangehörigen als sozialpolitische Maßnahme gemäß Art. 36 Abs. 1 und 4 ZPD (im Folgenden: streitige Bestimmungen) nicht in Betracht komme. Im Übrigen sei die Mobilitätsbeihilfe als „soziale Leistung“ einzustufen und dürfe gemäß Art. 36 Abs. 5 ZPD bei der Berechnung des Anspruchs auf die Erhöhung daher nicht berücksichtigt werden.

20.      Mit Bescheid vom 17. Juli 2019 wies die Selbständige Abteilung für Verwaltungsverfahren in zweiter Instanz des Finanzministeriums ihren Einspruch als unbegründet zurück.

21.      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens erhob dagegen Klage beim Upravni sud Osijek (Verwaltungsgericht Osijek, Kroatien), die dieser am 30. Januar 2020 als unbegründet abwies.

22.      Auch ihre Berufung gegen dieses Urteil wurde vom Visoki upravni sud Republike Hrvatske (Hohes Verwaltungsgericht der Republik Kroatien) am 20. Januar 2021 zurückgewiesen.

23.      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens legte u. a. dagegen Verfassungsbeschwerde beim Ustavni sud Republike Hrvatske (Verfassungsgericht der Republik Kroatien) ein. Zur Stützung ihres Rechtsbehelfs macht sie u. a. einen Verstoß gegen die in Art. 141c der Verfassung vorgesehene Verpflichtung zum Schutz der ihr aus dem Unionsrecht erwachsenden subjektiven Rechte geltend. Sie behauptet nämlich, nach Art. 18 AEUV diskriminiert und nach Art. 20 Abs. 2 Buchst. a und Art. 21 Abs. 1 AEUV benachteiligt zu werden, weil ihr Kind von seinem Recht Gebrauch gemacht habe, sich zu Bildungszwecken in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort aufzuhalten.

24.      Das vorlegende Gericht fragt sich, ob das Unionsrecht in Ermangelung einer Rechtsprechung des Gerichtshofs, die den Rügen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot bzw. der Unverhältnismäßigkeit der steuerlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Mobilität von Studierenden im Rahmen des Erasmus+‑Programms Rechnung tragen könnte, auf die Situation der Klägerin des Ausgangsverfahrens anwendbar ist, konkret, ob die fraglichen Steuervorschriften mit Art. 18, 20, 21 und Art. 165 Abs. 2 AEUV sowie mit Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 vereinbar sind.

25.      Da der Ustavni sud Republike Hrvatske (Verfassungsgericht der Republik Kroatien) der Ansicht ist, dass der Ausgangsrechtsstreit Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts aufwerfe, hat er mit Beschluss vom 18. April 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 28. April 2023, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Sind Art. 18, 20, 21 und Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich AEUV dahin auszulegen, dass sie Vorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach denen ein Elternteil den Anspruch auf Erhöhung des jährlichen Grundfreibetrags für ein unterhaltsberechtigtes Kind im Rahmen der Einkommensteuer verliert, weil dieses Kind eine über der vorgesehenen fixen Einkunftsgrenze liegende Unterstützung für Studierendenmobilität ausbezahlt erhielt, und zwar als unterhaltsberechtigter Studierender, der von seiner Freiheit, sich zum Zwecke der Bildung in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht hat, indem er auf der Grundlage nationaler Durchführungsrechtsakte die Maßnahmen im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Erasmus+‑Verordnung zur Wahrnehmung der Studierendenmobilität aus einem Mitgliedstaat mit niedrigeren oder mittleren durchschnittlichen Lebenshaltungskosten in einen Mitgliedstaat mit höheren durchschnittlichen Lebenshaltungskosten in der Form in Anspruch genommen hat, wie diese Maßnahmen nach den Kriterien der Europäischen Kommission gemäß Art. 18 Abs. 7 dieser Verordnung festgelegt waren?

2.      Ist Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen, dass er Vorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach denen ein Elternteil den Anspruch auf Erhöhung des jährlichen Grundfreibetrags für einen unterhaltsberechtigten Studierenden im Rahmen der Einkommensteuer verliert, der die Unterstützung für Studierendenmobilität im Sinne von Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Erasmus+‑Verordnung während seines Studienaufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat in Anspruch genommen hat?

26.      Die kroatische Regierung und die Kommission haben beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht. Der Gerichtshof hat beschlossen, in der vorliegenden Rechtssache keine mündliche Verhandlung abzuhalten.

IV.    Würdigung

27.      In dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalt hat ein kroatischer Staatsangehöriger – ein ordentlicher Studierender – im Rahmen des Erasmus+‑Programms eine Mobilitätsbeihilfe einer finnischen Universität für einen fünfmonatigen Studienaufenthalt in Finnland während des Studienjahrs 2014/2015 erhalten. Der Bezug dieser Beihilfe hat Folgen für die Berechnung der Einkommensteuer seiner Mutter gehabt, und zwar insoweit, als der in den nationalen Rechtsvorschriften vorgesehene Schwellenwert überschritten worden ist, jenseits dessen die Mutter, die in Kroatien abhängig beschäftigt ist, als Steuerpflichtige ihren Anspruch auf Erhöhung des Grundfreibetrags für unterhaltsberechtigte Kinder als sozialpolitische Maßnahme verliert. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass der in diesen Rechtsvorschriften vorgesehene Freibetrag für den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraum abgeschafft worden ist, weshalb die Klägerin des Ausgangsverfahrens die Differenz zwischen dem Betrag der Einkommensteuer und dem Betrag des Zuschlags in Höhe von ca. 4 500 HRK (ca. 597 Euro) hat entrichten müssen.

28.      Mit dem Vorabentscheidungsersuchen soll im Wesentlichen in Erfahrung gebracht werden, ob das Unionsrecht nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach eine Mobilitätsbeihilfe berücksichtigt wird, die ein unterhaltsberechtigtes Kind eines Steuerpflichtigen gemäß dem Erasmus+‑Programm erhalten hat, was zu nachteiligen Folgen bei der Bestimmung des Grundfreibetrags führt, auf den der steuerpflichtige Elternteil im Rahmen der Berechnung seiner Einkommensteuer Anspruch hat.

29.      Vor der Prüfung der Vorabentscheidungsfragen des vorlegenden Gerichts ist die von der kroatischen Regierung hinsichtlich der Zulässigkeit der Fragen erhobene Einrede zurückzuweisen.

A.      Zur Zulässigkeit

30.      Die kroatische Regierung ist der Ansicht, die Vorlagefragen müssten für unzulässig erklärt werden, weil die steuerliche Situation der Klägerin des Ausgangsverfahrens und insbesondere die Berechnung ihrer Einkommensteuer sowie ihr Anspruch auf den steuerlichen Grundfreibetrag durch das nationale Recht geregelt würden. Es dürfe nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass die bloße Teilnahme am Erasmus+‑Programm alle Personen betreffe, die eine Verbindung zu einem an diesem Programm teilnehmenden Studierenden hätten. Außerdem handle es sich im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung der Staatsangehörigkeit der Klägerin des Ausgangsverfahrens, der Tatsache, dass sie in Kroatien arbeite und Einkünfte beziehe, sowie des Umstands, dass sie weder persönlich von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht noch im Rahmen des Programms die Mobilitätsbeihilfe für Studierende erhalten habe, um einen rein innerstaatlichen Sachverhalt.

31.      Dieses Vorbringen kann meines Erachtens keinen Erfolg haben.

32.      Als Erstes ist bezüglich der Erheblichkeit der Fragen an den Gerichtshof darauf hinzuweisen, dass es allein Sache des mit dem Ausgangsrechtsstreit befassten nationalen Gerichts ist, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten dieses Rechtsstreits sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daraus folgt, dass für die von den nationalen Gerichten vorgelegten Fragen eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit gilt und dass der Gerichtshof ihre Beantwortung nur ablehnen kann, wenn die Auslegung, um die er ersucht wird, offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn der Gerichtshof nicht über die für eine zweckdienliche Beantwortung dieser Fragen erforderlichen tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt(9).

33.      Das ist hier nicht der Fall. Es ist nämlich festzustellen, dass das vorlegende Gericht genau darlegt, weshalb es zu der Auffassung gelangt ist, dass eine Auslegung des Unionsrechts für den Erlass seiner Entscheidung erforderlich ist und sich die Vorlagefragen auf die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits auswirken können. Dieses Gericht erläutert, dass es unter Berücksichtigung des Gegenstands der bei ihm anhängigen Klage und in Ermangelung einer Rechtsprechung des Gerichtshofs, die den Rügen eines Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot bzw. der Unverhältnismäßigkeit der steuerlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Mobilität von Studierenden im Rahmen des Erasmus+‑Programms Rechnung tragen könnte, für den Erlass seiner Entscheidung u. a. feststellen müsse, ob die einzelnen Akte, die Gegenstand der bei ihm anhängigen Klage seien, gegen Art. 18, 20, 21 und Art. 165 Abs. 2 AEUV verstießen.

34.      Als Zweites ist in Bezug auf das Argument, wonach der Ausgangsrechtsstreit im Hinblick auf die Art. 18, 20 und 21 AEUV als „rein innerstaatlich“ anzusehen sei, daran zu erinnern, dass die Bestimmungen des AEU‑Vertrags über die Freizügigkeit und die zur Durchführung dieser Bestimmungen erlassenen Maßnahmen nach ständiger Rechtsprechung nicht auf Tätigkeiten anwendbar sind, die keine Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Unionsrecht abstellt, und die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen. Wie der Gerichtshof klargestellt hat, fällt demgegenüber jeder Unionsangehörige, der in einem anderen Mitgliedstaat vom Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit in den Anwendungsbereich dieser Bestimmungen(10).

35.      Im vorliegenden Fall ist zu bemerken, dass die Vorlageentscheidung die erforderlichen Angaben enthält, die es dem Gerichtshof ermöglichen, den Zusammenhang der Situation der Klägerin des Ausgangsverfahrens mit dem Unionsrecht festzustellen. Außerdem fallen die direkten Steuern, wie der Gerichtshof bereits klargestellt hat, zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch müssen diese ihre Befugnisse unter Wahrung des Unionsrechts(11), insbesondere der Bestimmungen des AEU‑Vertrags über das jedem Unionsbürger zuerkannte Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten(12), sowie des Grundsatzes der Gleichbehandlung, ausüben.

36.      In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die Lage eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens vom Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht hat, entgegen dem Vorbringen der kroatischen Regierung nicht allein aus diesem Grund einer rein internen Situation gleichgestellt werden kann. Auch wenn nämlich die Klägerin des Ausgangsverfahrens dieses Recht weder persönlich ausgeübt noch persönlich die Mobilitätsbeihilfe für Studierende im Rahmen des Erasmus+‑Programms erhalten hat, steht doch zum einen fest, dass ihr unterhaltsberechtigtes Kind von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat(13), und zum anderen, dass, wie das vorlegende Gericht klarstellt, die nachteilige steuerliche Behandlung der Klägerin des Ausgangsverfahrens, die im vorliegenden Fall der steuerpflichtige Elternteil ist, unbestreitbar mit der Mobilitätsbeihilfe zusammenhängt, die ihr unterhaltsberechtigtes Kind im Rahmen dieses Programms erhalten hat.

37.      Ich halte die Fragen des vorlegenden Gerichts folglich für zulässig.

B.      Zur Sache

1.      Zur ersten Vorlagefrage

38.      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Art. 21 AEUV nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur dazu berechtigt, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, sondern auch jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet. Folglich ist der Fall der Klägerin des Ausgangsverfahrens allein anhand dieser Bestimmung(14) im Licht von Art. 165 AEUV zu prüfen.

39.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 21 AEUV im Licht von Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich AEUV dahin auszulegen ist, dass er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach bei der Bestimmung des Grundfreibetrags, auf den ein steuerpflichtiger Elternteil für ein unterhaltsberechtigtes Kind Anspruch hat, eine Mobilitätsbeihilfe zu Bildungszwecken berücksichtigt wird, die das Kind gemäß dem Erasmus+‑Programm erhalten hat, mit der Folge, dass der Anspruch auf Erhöhung dieses Freibetrags im Rahmen der Berechnung der Einkommensteuer verloren geht.

40.      Die kroatische Regierung ist der Ansicht, die streitigen Bestimmungen stellten weder eine (unmittelbare oder mittelbare) Diskriminierung der betroffenen Personen noch ein Hindernis für deren Freizügigkeit innerhalb der Union dar. Die Kommission ist demgegenüber der Meinung, dass diese Bestimmungen eine Beschränkung der Freizügigkeit gemäß Art. 21 AEUV, ausgelegt im Licht von Art. 165 AEUV und Art. 4 Abs. 3 EUV, darstellten, da die nachteilige steuerliche Behandlung der Einkünfte der Klägerin des Ausgangsverfahrens im vorliegenden Fall unmittelbar mit der Tatsache zusammenhänge, dass ihr Kind von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe.

41.      Die vorliegende Rechtssache befindet sich somit an der Schnittstelle zwischen dem Bereich der direkten Steuern und dem Bereich der Freizügigkeit der Unionsbürger. Um dem Gerichtshof eine sachdienliche Antwort auf die erste Vorlagefrage geben zu können, werde ich unter Berücksichtigung der Ziele des Erasmus+‑Programms in einem ersten Schritt kurz die Besonderheiten der Mobilitätsbeihilfen im Rahmen dieses Programms (Abschnitt a) und in einem zweiten Schritt die Frage prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsvorschriften eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und/oder eine Beschränkung der Freizügigkeit der Unionsbürger darstellen (Abschnitt b).

a)      Zu den Besonderheiten der Mobilitätsbeihilfen im Rahmen des Erasmus+Programms

42.      Um die Besonderheiten der Mobilitätsbeihilfen des Erasmus+‑Programms besser zu verstehen, werde ich kurz auf die Entstehungsgeschichte dieses Programms eingehen. Da die rechtliche Entwicklung des Programms eng mit derjenigen der Tätigkeit der Union im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung zusammenhängt, die nunmehr in den Art. 165 und 166 AEUV verankert ist, werde ich in den folgenden Ausführungen ihre parallele Entwicklung untersuchen.

1)      Entstehungsgeschichte der Tätigkeit der Union im Bildungsbereich und des Erasmus+Programms

43.      Ich möchte gleich zu Beginn darauf hinweisen, dass die Aussicht auf Maßnahmen der Union im Bereich der Bildung zwar bereits im Vertrag von Rom aus dem Jahr 1957 keimhaft enthalten war, der Rat aber erst 1963 einen Beschluss über eine gemeinsame Politik der Berufsausbildung (ex‑Art. 128 EWG-Vertrag) angenommen(15) und damit Überlegungen über den Zusammenhang zwischen beruflicher und allgemeiner Bildung angestoßen hat(16). Ab diesem Zeitpunkt mussten allerdings noch mehrere Schritte unternommen werden, bis die allgemeine und berufliche Bildung im Mittelpunkt der europäischen Zusammenarbeit gestanden hat, wodurch es den Unionsorganen ermöglicht worden ist, Programme zur allgemeinen und beruflichen Bildung aufzulegen.

44.      Insbesondere ist der Zeitraum von 1985 bis 1992 hervorzuheben, in dem u. a. das Comett- (Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Unternehmen), das Erasmus- (Mobilität von Studierenden und Hochschulkooperation) und das Lingua-Programm (Förderung des Fremdsprachenunterrichts) geschaffen worden sind. Parallel dazu ist die Zusammenarbeit im Bildungsbereich während dieser Zeit im EG-Vertrag verankert worden(17). Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Maastricht aus dem Jahr 1992 taucht der Begriff „Bildung“ nämlich zum ersten Mal im EG-Vertrag auf(18), der damit die Bedeutung der komplementären Rolle der Union bei der Förderung qualitativ hochwertiger europäischer Bildungssysteme im europäischen Aufbauwerk anerkannt, gleichzeitig aber die Grenzen dieser Rolle und die Schlüsselziele der Tätigkeit der Union im Zusammenhang mit der ausdrücklichen Bekräftigung der primären Verantwortung der Mitgliedstaaten für ihre Bildungssysteme festgelegt und so das Subsidiaritätsprinzip in vollem Umfang gewahrt hat. Darüber hinaus hat die Aufnahme des Bildungsbereichs in das Primärrecht eine klare Rechtsgrundlage geschaffen, mit der den diesbezüglichen Debatten und rechtlichen Kontroversen ein Ende gesetzt worden ist(19). Schließlich hat Art. 165 AEUV, der durch den Vertrag von Lissabon in die Verträge eingefügt worden ist, diese Entwicklung in Gesetzgebung und Rechtsprechung konkretisiert(20).

45.      Das Erasmus-Programm ist 1987 nach mehr als 15‑jährigen Diskussionen ins Leben gerufen worden und sollte den Austausch von Studierenden ausschließlich zwischen Hochschulen verschiedener Mitgliedstaaten fördern(21). Dieses Programm hat somit den Weg für ein Europa der Bildung als untrennbaren Bestandteil des Europas der Bürger geebnet(22). Im ersten Jahr seines Bestehens haben 3 200 Studierende von Hochschulen aus elf Mitgliedstaaten daran teilgenommen(23). Seitdem wird der große Erfolg des Erasmus-Programms durch die ständig steigende Zahl von Teilnehmern umfassend belegt. Im Jahr 2017 profitierten 9 Mio. Personen von diesem Programm, und im Jahr 2024 werden es mehr als 15 Mio. Personen sein, darunter insbesondere Hochschulstudierende, aber auch Schüler der Mittel- und Oberstufe, Auszubildende, Erzieher und Ausbilder oder junge Hochschulabsolventen, die an einer breiten Palette von Projekten zur allgemeinen und beruflichen Bildung sowie zur Mobilität junger Menschen teilnehmen.

46.      Aus der Entwicklung der Maßnahmen der Union im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung sowie aus der Entwicklung des Erasmus-Programms, das nunmehr als „Erasmus+-Programm“ bezeichnet wird, ergibt sich, dass dessen Ziele heute in Art. 165 AEUV niedergelegt sind(24).

2)      Das gemeinsame Ziel der Tätigkeit der Union im Bildungsbereich und der Erasmus+Verordnung: Förderung der Mobilität von Studierenden

47.      Die in der vorliegenden Rechtssache anwendbare Erasmus+‑Verordnung ist auf der Grundlage von Art. 165 Abs. 4 und Art. 166 Abs. 4 AEUV erlassen worden. Gemäß Art. 165 Abs. 1 AEUV besteht das allgemeine Ziel der Union darin, „zur Entwicklung einer qualitativ hoch stehenden Bildung dadurch bei[zutragen], dass sie die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten fördert und die Tätigkeit der Mitgliedstaaten unter strikter Beachtung der Verantwortung der Mitgliedstaaten für die Lehrinhalte und die Gestaltung des Bildungssystems sowie der Vielfalt ihrer Kulturen und Sprachen erforderlichenfalls unterstützt und ergänzt“. Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich AEUV stellt sodann klar, worauf die Tätigkeit der Union genau abzielt, nämlich u. a. auf die „Förderung der Mobilität von Lernenden und Lehrenden“(25).

48.      Die Tätigkeit der Union war auch in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Erasmus+‑Verordnung verankert, der vorsah, dass die Ziele des Erasmus+‑Programms im Bereich allgemeine und berufliche Bildung mit Hilfe einer Reihe von Maßnahmen verfolgt werden, darunter „Lernmobilität von Einzelpersonen“(26). Art. 7 der Verordnung bestimmte insoweit, dass mit dieser Tätigkeit u. a. „die Mobilität von Studierenden auf allen Ebenen der Hochschulbildung“ unterstützt werden soll.

3)      Die besondere Natur der Erasmus+Stipendien

49.      Ich weise zunächst darauf hin, dass der Grundsatz der komplementären Finanzierung durch die Union und die Mitgliedstaaten seit der Schaffung des Erasmus-Programms stets als wesentlicher Entwicklungsfaktor für dieses Programm betrachtet worden ist. Das gilt insbesondere für die Finanzierung der Mobilität von Studierenden, da die Erasmus+‑Stipendien, die lediglich die mobilitätsbedingten Zusatzkosten decken sollen, als Zulage zu verstehen sind(27).

50.      So ergibt sich aus dem Wortlaut des 40. Erwägungsgrundes der Erasmus+‑Verordnung, dass die Finanzhilfen zur Förderung der Mobilität von Einzelpersonen den Lebenshaltungs- und Aufenthaltskosten des Aufnahmelandes angepasst werden sollten, um den Zugang zum Programm zu erweitern. In diesem Erwägungsgrund hieß es u. a., dass die Mitgliedstaaten zudem darin bestärkt werden sollten, die Finanzhilfen gemäß ihren einzelstaatlichen Rechtsvorschriften von Steuern und Sozialabgaben zu befreien.

51.      Art. 18 der Erasmus+‑Verordnung bestimmte in Bezug auf die Finanzmittel des Erasmus+‑Programms insoweit, dass die von einer nationalen Agentur bzw. Agenturen zu verwaltenden Mittel für die Lernmobilität von Einzelpersonen gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. a und Art. 12 Buchst. a dieser Verordnung „nach Maßgabe der Bevölkerung und der Lebenshaltungskosten in dem betreffenden Mitgliedstaat, der Entfernung zwischen den Hauptstädten der Mitgliedstaaten und der Leistung aufgeteilt“ wurden(28).

52.      Denn da das allgemeine und das Einzelziel des Erasmus+‑Programms darin bestehen, die Lernmobilität von Personen zu fördern, sollen die Erasmus+‑Stipendien, wie die Kommission bemerkt, einen Beitrag zu den Zusatzkosten leisten, die ohne Mobilität nicht entstanden wären(29).

53.      Im Licht dieses Entwicklungs- und Regelungskontexts ist das vom vorlegenden Gericht aufgeworfene Rechtsproblem mithin zu prüfen.

b)      Zum Vorliegen einer Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder einer Beschränkung der Freizügigkeit der Unionsbürger

54.      Da das vorlegende Gericht selbst Zweifel daran hat, ob eine mittelbare Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit vorliegt, werde ich mit der Prüfung dieses Punkts beginnen.

1)      Zum Vorliegen einer Diskriminierung

55.      Was den Bereich der direkten Steuern angeht, so ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung außerhalb der Bereiche, in denen das Steuerrecht der Union harmonisiert wurde, die Bestimmung der grundlegenden Merkmale jeder Steuer aufgrund der Steuerautonomie der Mitgliedstaaten in deren Ermessen liegt, das in jedem Fall im Einklang mit dem Unionsrecht ausgeübt werden muss. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass dies u. a. für die Wahl des Steuersatzes, der proportional oder progressiv sein kann, aber auch für die Festlegung der steuerlichen Bemessungsgrundlage und des Steuertatbestands gilt(30).

56.      In diesem Zusammenhang sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, ein solches Ermessen unter Beachtung des Unionsrechts und insbesondere unter Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung auszuüben. Im Übrigen erfasst das vorstehende Erfordernis sowohl die Maßnahmen, mit denen von diesem Ermessen Gebrauch gemacht wird, als auch deren Anwendung. Außerdem verlangt der Grundsatz der Gleichbehandlung nach ständiger Rechtsprechung, dass vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleichbehandelt werden, es sei denn, dass eine solche Behandlung objektiv gerechtfertigt ist(31). Der Gerichtshof hat insoweit bereits entschieden, dass die Vergleichbarkeit der Sachverhalte notwendigerweise nur im Rahmen ein und desselben Steuersystems beurteilt werden kann(32). Ferner sei darauf hingewiesen, dass die Vorschriften über die Gleichbehandlung nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit verbieten, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen(33).

57.      Im vorliegenden Fall führt das vorlegende Gericht aus, dass es schwierig sei, eine Referenzgruppe zu ermitteln, mit der die Situation der Klägerin des Ausgangsverfahrens verglichen werden könne, um festzustellen, ob hier ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung vorliege.

58.      Insbesondere vertritt dieses Gericht die Auffassung, dass die Anwendung der streitigen Bestimmungen in Bezug auf Ausgaben, die Eltern für den Unterhalt ihrer unterhaltsberechtigten Kinder aufwendeten, auf den ersten Blick eine Ungleichbehandlung zwischen steuerpflichtigen Eltern begründen könne, deren unterhaltsberechtigtes Kind im Rahmen des Erasmus+‑Programms von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht habe, um sich wie im Fall der Klägerin des Ausgangsverfahrens in einen Mitgliedstaat mit ähnlichen oder höheren Lebenshaltungskosten zu begeben, einerseits, und steuerpflichtigen Eltern, deren unterhaltsberechtigtes Kind dieses Recht im Rahmen desselben Programms ausgeübt habe, um sich in einen Mitgliedstaat mit ähnlichen oder niedrigeren Lebenshaltungskosten zu begeben, sowie Eltern, deren unterhaltsberechtigtes Kind vom Recht auf Freizügigkeit keinen Gebrauch gemacht habe, um an einer Hochschule zu studieren, wobei Letzteren keine mobilitätsbedingten Kosten entstanden seien, andererseits.

59.      Das vorlegende Gericht weist jedoch selbst darauf hin, dass die Situation der Klägerin des Ausgangsverfahrens insbesondere unter Berücksichtigung der Ziele der Erasmus+‑Verordnung weder allgemein mit der Situation von Einkommensteuerpflichtigen, deren Kinder ihr Recht auf Freizügigkeit nicht ausgeübt hätten, noch mit der Situation solcher Steuerpflichtiger vergleichbar sei, deren Kinder im Rahmen des Erasmus+‑Programms eine Mobilitätsbeihilfe für einen Hochschulstudienaufenthalt in Mitgliedstaaten mit ähnlichen oder niedrigeren Lebenshaltungskosten erhalten hätten.

60.      Dagegen scheint dieses Gericht der Ansicht zu sein, dass sich die Situation der Klägerin des Ausgangsverfahrens von der anderer Einkommensteuerpflichtiger unterscheide und daher nicht die gleiche steuerliche Behandlung erfahren dürfe.

61.      Insoweit ist festzustellen, dass die Situationen dieser Gruppen steuerpflichtiger Eltern unter dem Gesichtspunkt der Ziele des Erasmus+‑Programms und der Besonderheiten der in dessen Rahmen erhaltenen Stipendien(34) nicht vergleichbar sind(35). Unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Erasmus+‑Stipendien handelt es sich vielmehr um unterschiedliche Sachverhalte, die nicht gleichbehandelt werden sollten, was bedeutet, dass die Erasmus+‑Mobilitätsbeihilfen bei der Berechnung der Einkommensteuer des steuerpflichtigen Elternteils nicht berücksichtigt werden sollten, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

62.      Ich bin jedenfalls davon überzeugt, dass die streitigen Bestimmungen eine Beschränkung der Freizügigkeit der Studierenden darstellen, und zwar aus folgenden Gründen.

2)      Zum Vorliegen einer Beschränkung der Freizügigkeit

63.      Ich erinnere daran, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens als kroatische Staatsangehörige gemäß Art. 20 Abs. 1 AEUV den Unionsbürgerstatus genießt, der, wie der Gerichtshof mehrfach bemerkt hat, dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein(36). Demnach kann sie sich – gegebenenfalls auch gegenüber ihrem Herkunftsmitgliedstaat – auf die mit der Unionsbürgerschaft verbundenen Rechte, insbesondere das in Art. 21 AEUV verliehene Recht berufen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten zu bewegen und aufzuhalten(37).

64.      Ich stelle weiter fest, dass eine nationale Regelung, die bestimmte eigene Staatsangehörige allein deswegen benachteiligt, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und dort aufzuhalten, Gebrauch gemacht haben, eine Beschränkung der Freiheiten darstellt, die Art. 21 Abs. 1 AEUV jedem Unionsbürger zuerkennt(38). Der Gerichtshof hat zwar bereits entschieden, dass der Vertrag einem Unionsbürger nicht garantiert, dass die Ausübung der Freizügigkeit hinsichtlich der Besteuerung neutral ist. Er hat insoweit zum einen klargestellt, dass eine solche Ausübung aufgrund der Unterschiede im Steuerrecht der Mitgliedstaaten je nach Einzelfall Vor- oder Nachteile haben kann. Zum anderen gilt der gleiche Grundsatz erst recht in einer Situation, in der der Betroffene sein Recht auf Freizügigkeit nicht selbst wahrgenommen hat, sondern rügt, er sei infolge der Ausübung der Freizügigkeit eines Familienangehörigen benachteiligt worden(39).

65.      Wie sich allerdings aus der Vorlageentscheidung ergibt und auch die Kommission betont, hat die Tatsache, dass das unterhaltsberechtigte Kind der Klägerin des Ausgangsverfahrens im Rahmen des Erasmus+‑Programms sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat, gewisse Auswirkungen auf deren Anspruch auf steuerlichen Abzug gehabt(40).

66.      Unter diesen Umständen geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ferner hervor, dass die vom Vertrag auf dem Gebiet der Freizügigkeit der Unionsbürger gewährten Erleichterungen nicht ihre volle Wirkung entfalten könnten, wenn ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats von ihrer Wahrnehmung durch Hindernisse abgehalten werden könnte, die seinem Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat infolge einer Regelung seines Herkunftsstaats entgegenstehen, die ihn allein deshalb ungünstiger stellt, weil er von den Erleichterungen Gebrauch gemacht hat(41). Es sollte nicht vergessen werden, dass dies, wie der Gerichtshof ebenfalls bemerkt hat, angesichts der mit Art. 6 Buchst. e und Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich AEUV verfolgten Ziele, nämlich u. a. die Mobilität von Lernenden und Lehrenden zu fördern, besonders im Bereich der Bildung gilt(42). Die Mitgliedstaaten sind nach Art. 165 Abs. 1 AEUV nämlich zwar für die Lehrinhalte und die Gestaltung ihrer jeweiligen Bildungssysteme zuständig; sie müssen diese Zuständigkeit jedoch unter Beachtung des Unionsrechts ausüben, und zwar insbesondere unter Beachtung der Bestimmungen des Vertrags über das durch Art. 21 Abs. 1 AEUV jedem Unionsbürger verliehene Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten(43).

67.      In diesem Zusammenhang ist zudem festzustellen, dass die Tätigkeit der Union im Bildungsbereich gemäß Art. 165 Abs. 2 AEUV und die Erasmus+‑Verordnung das gemeinsame Ziel verfolgen, die Mobilität von Lernenden und Lehrenden zu fördern(44). In Bezug auf dieses Ziel hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass es im Allgemeininteresse liegt und zu den Tätigkeiten gehört, die Art. 165 AEUV der Union im Rahmen der Politik der allgemeinen und der beruflichen Bildung, der Jugend und des Sports zugewiesen hat, und dass Mobilität zu Zwecken der allgemeinen und der beruflichen Bildung Teil des freien Personenverkehrs und eines der wichtigsten Ziele des Handelns der Union ist(45).

68.      Auch wenn die Erasmus+‑Mobilitätsbeihilfe als solche in Kroatien nicht besteuert wird, steht im vorliegenden Fall fest, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens, deren unterhaltsberechtigtes Kind eine Erasmus+‑Mobilitätsbeihilfe erhalten und damit sein Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt in Finnland ausgeübt hat, durch die streitigen Bestimmungen benachteiligt worden ist. Die Tatsache, dass diese Bestimmungen die Berücksichtigung des Betrags der Erasmus+‑Mobilitätsbeihilfe vorsehen, in deren Genuss das unterhaltsberechtigte Kind gekommen ist, hat nämlich den Verlust ihres Anspruchs auf Erhöhung des Grundfreibetrags zur Folge gehabt.

69.      Wie das vorlegende Gericht erläutert und die Kommission zu Recht bemerkt, geht die abschreckende Wirkung besonders deutlich aus dem Bericht der Ombudsfrau der Republik Kroatien für das Jahr 2017 hervor(46). Diesem Bericht zufolge gaben die kroatischen Hochschulen nämlich an, dass zahlreiche am Erasmus+‑Programm interessierte Studierende darauf verzichteten, nachdem sie darüber informiert worden seien, dass der Bezug der Erasmus+‑Mobilitätsbeihilfe nach der vom kroatischen Finanzministerium zugrunde gelegten Auslegung dazu führe, dass ihren Eltern der Anspruch auf Erhöhung des Grundfreibetrags für unterhaltsberechtigte Studierende genommen werde. Das vorlegende Gericht fügt hinzu, dass das ZPD infolge der Empfehlung der Ombudsfrau im Jahr 2018 geändert worden sei(47).

70.      Meiner Meinung nach sind die streitigen Bestimmungen somit geeignet, Angehörige der Union wie beispielsweise Hochschulstudierende davon abzuhalten, von ihrem Recht, sich zu Bildungszwecken in einem anderen Mitgliedstaat frei zu bewegen und aufzuhalten, Gebrauch zu machen, weil sich die Ausübung dieses Rechts auf den Anspruch ihrer steuerpflichtigen Eltern auf Steuerabzug auswirken kann.

3)      Zur Rechtfertigung

71.      Eine Beschränkung der Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt lässt sich unionsrechtlich nur rechtfertigen, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen des Allgemeininteresses beruht und in angemessenem Verhältnis zu dem mit dem nationalen Recht legitimerweise verfolgten Ziel steht. Eine Maßnahme ist verhältnismäßig, wenn sie zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet ist und nicht über das hinausgeht, was dazu notwendig ist(48).

72.      Was als Erstes die Ermittlung einer objektiven Erwägung des Allgemeininteresses angeht, so stellt das vorlegende Gericht klar, dass die streitigen Bestimmungen im Einklang mit den Grundsätzen der Gleichheit und Gerechtigkeit des Steuersystems sowie der ordnungsgemäßen Verwaltung knapper öffentlicher Mittel ein legitimes Ziel verfolgten, nämlich die Korrektur der sozialen und materiellen Ungleichheiten zwischen Steuerpflichtigen mit unterhaltsberechtigten Kindern und solchen, die keine Ausgaben im Zusammenhang mit dem Unterhalt von Kindern zu tragen hätten, im Hinblick auf Medianeinkommen und durchschnittliche Ausgaben(49).

73.      Insoweit berücksichtigen die streitigen Bestimmungen somit die Steuerkraft einkommensteuerpflichtiger Eltern(50). Da diese Bestimmungen unstreitig eine Beschränkung der Freizügigkeit der Hochschulstudierenden innerhalb der Union darstellen, kann die Beschränkung jedoch nur dann gerechtfertigt sein, wenn die Bestimmungen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten.

74.      Was als Zweites die Verhältnismäßigkeit betrifft, so sei darauf hingewiesen, dass eine Regelung, die eine durch den Vertrag gewährleistete Grundfreiheit wie das Recht der Unionsbürger, sich frei zu bewegen und aufzuhalten, beschränkt, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn sie geeignet ist, die Verwirklichung des verfolgten legitimen Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was für seine Erreichung erforderlich ist(51), was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

75.      Was erstens die Geeignetheit der streitigen Bestimmungen angeht, so stellt sich die Frage, ob diese Bestimmungen in kohärenter und systematischer Weise die Erreichung des mit den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Rechtsvorschriften verfolgten Ziels gewährleisten können.

76.      Das scheint mir verneint werden zu müssen.

77.      Aus meiner Analyse der Besonderheiten der Erasmus+‑Mobilitätsbeihilfen geht hervor, dass das Erasmus+‑Programm die Förderung der Mobilität von Studierenden zu Bildungszwecken, insbesondere im Rahmen der Hochschulausbildung, zum Ziel hat, weshalb diese Beihilfen lediglich zu den zusätzlichen Kosten beitragen, die ohne Mobilität nicht entstanden wären, und ihr Bezug dementsprechend nicht zu einer Verringerung der Ausgaben der steuerpflichtigen Eltern im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht (für unterhaltsberechtigte Kinder) führt(52).

78.      Demnach verstoßen die streitigen Bestimmungen, wie das vorlegende Gericht selbst bemerkt, dadurch, dass sie einen Schwellenwert für den Anspruch auf Erhöhung des Grundfreibetrags vorsehen, ohne den Unterschieden zwischen den verschiedenen Gruppen steuerpflichtiger Eltern Rechnung zu tragen, gegen das legitime Ziel von Art. 36 Abs. 2 ZPD, wonach ein Anspruch auf den Grundfreibetrag für unterhaltsberechtigte Kinder anerkannt wird, um soziale und materielle Ungleichheiten zwischen Steuerpflichtigen zu korrigieren.

79.      Ich zweifle insoweit an der Kohärenz der streitigen Bestimmungen, da die kroatische Regierung deren Änderung, wie sich aus der Vorlageentscheidung ergibt, damit begründet hatte, dass die bisherige gesetzliche Lösung, nämlich die auf die Klägerin des Ausgangsverfahrens anwendbare Lösung, dazu geführt habe, dass junge Menschen – vor allem aus benachteiligten Verhältnissen – darauf verzichteten, im Rahmen des Erasmus+‑Programms ins Ausland zu gehen. Aus der Entscheidung geht darüber hinaus hervor, dass die Beträge der Erasmus+‑Stipendien durch die besagte Änderung von der Kategorie der Beträge ausgenommen worden sind, die bei der Berechnung der Einkommensteuer steuerpflichtiger Eltern berücksichtigt wurden und auf deren Grundlage die Steuerbehörde diesen das Recht auf einen solchen Abzug versagen konnte(53).

80.      Folglich sind die streitigen Bestimmungen nicht geeignet, das mit ihnen verfolgte Ziel des Allgemeininteresses, nämlich die Berücksichtigung der Steuerkraft einkommensteuerpflichtiger Eltern, zu erreichen.

81.      Was zweitens die Erforderlichkeit der streitigen Bestimmungen für die Erreichung dieses Ziels betrifft, so geht aus der fraglichen Gesetzesänderung eindeutig hervor, dass diese Bestimmungen über das hinausgingen, was für die Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich war. Das zeigt insbesondere, dass es dem kroatischen Gesetzgeber möglich war, weniger restriktive Maßnahmen zu ergreifen und die Besonderheiten der Mobilitätsbeihilfe und das Ziel des Erasmus+‑Programms zu berücksichtigen, also ohne steuerpflichtige Eltern von Studierenden, die im Rahmen des Erasmus+‑Programms Mobilitätsbeihilfen erhalten und folglich dadurch von ihrer Freizügigkeit Gebrauch gemacht hatten, dass sie ein Studium an einer Hochschule in einem anderen Mitgliedstaat aufgenommen hatten, in ungerechtfertigter Weise zu benachteiligen.

2.      Zur zweiten Vorlagefrage

82.      Mit seiner zweiten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die streitigen Bestimmungen mit Art. 67 der Verordnung Nr. 883/2004 im Einklang stehen. Die kroatische Regierung und die Kommission vertreten die Auffassung, dass Art. 67 dieser Verordnung im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei.

83.      Art. 3 Abs. 1 Buchst. j der Verordnung Nr. 883/2004 sieht vor, dass diese für „alle Rechtsvorschriften [gilt], die [Familienleistungen] betreffen“. Bezüglich der Frage, ob eine bestimmte Leistung unter die in dieser Vorschrift genannten Familienleistungen fällt, ist daher darauf hinzuweisen, dass der Ausdruck „Familienleistungen“ nach Art. 1 Buchst. z der Verordnung Nr. 883/2004 in der auf den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits anwendbaren Fassung „alle Sach- oder Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten [bezeichnet], mit Ausnahme von Unterhaltsvorschüssen und besonderen Geburts- und Adoptionsbeihilfen nach Anhang I“ (Hervorhebung nur hier).

84.      Zu dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Recht auf Steuerabzug für unterhaltsberechtigte Kinder ist zu sagen, dass es sich bei diesem Abzug, wie aus dem rechtlichen Rahmen hervorgeht, nicht um Geldleistungen zum Ausgleich von Familienlasten, sondern vielmehr um eine steuerliche Vergünstigung handelt, die unter bestimmten Voraussetzungen die Höhe der Steuer auf das Einkommen herabsetzt(54).

85.      Da das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Recht auf Steuerabzug keine Familienleistung im Sinne von Art. 1 Buchst. z der Verordnung Nr. 883/2004 darstellt, ist Art. 67 dieser Verordnung folglich nicht auf Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden anwendbar.

V.      Ergebnis

86.      In Anbetracht des Vorstehenden schlage ich dem Gerichtshof vor, die erste Vorlagefrage des Ustavni sud Republike Hrvatske (Verfassungsgericht der Republik Kroatien) wie folgt zu beantworten:

Art. 21 AEUV ist im Licht von Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich AEUV

dahin auszulegen, dass

er Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegensteht, wonach bei der Bestimmung des Grundfreibetrags, auf den ein steuerpflichtiger Elternteil für ein unterhaltsberechtigtes Kind Anspruch hat, eine Mobilitätsbeihilfe zu Bildungszwecken, die das Kind im Rahmen des Erasmus+‑Programms erhalten hat, mit der Folge berücksichtigt wird, dass der Anspruch auf Erhöhung dieses Freibetrags bei der Berechnung der Einkommensteuer verloren geht.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Pépin, L., Histoire de la coopération européenne dans le domaine de l’éducation et de la formation. Comment l’Europe se construit – Un exemple, Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaften, Luxemburg 2006, S. 116.


3      Art. 2 EUV sieht vor: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“


4      Grimonprez, K., The European Union and Education for Democratic Citizenship. Legal Foundations for EU Learning at School, Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2020, S. 17.


5      Vgl. u. a. Urteil vom 24. Oktober 2013, Thiele Meneses, (C‑220/12, im Folgenden: Urteil Thiele Meneses, EU:C:2013:683).


6      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 zur Einrichtung von „Erasmus+“, dem Programm der Union für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, und zur Aufhebung der Beschlüsse Nr. 1719/2006/EG, Nr. 1720/2006/EG und Nr. 1298/2008/EG (ABl. 2013, L 347, S. 50). Diese Verordnung ist durch die Verordnung (EU) 2021/817 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2021 zur Einrichtung von Erasmus+, dem Programm der Union für allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport, und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1288/2013 (ABl. 2021, L 189, S. 1) aufgehoben worden.


7      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1).


8      Narodne novine [kroatisches Amtsblatt], Nrn. 177/04, 73/08, 80/10, 114/11, 22/12, 144/12, 43/13, 120/13, 125/13 und 148/13.


9      Vgl. u. a. Urteil vom 21. Dezember 2023, Royal Antwerp Football Club (C‑680/21, EU:C:2023:1010, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).


10      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. April 2008, Gouvernement de la Communauté française und Gouvernement wallon (C‑212/06, EU:C:2008:178, Rn. 33 und 34 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 50). Zur Erinnerung: Der Gerichtshof hat die vier Situationen, in denen Rechtssachen, die aus rein innerstaatlichen Sachverhalten entstanden sind, gleichwohl für die Einholung einer Vorabentscheidung in Betracht kommen, in den Rn. 50 bis 53 dieses Urteils klar zusammengefasst und aufgeführt.


11      Urteil vom 11. September 2007, Schwarz und Gootjes-Schwarz (C‑76/05, EU:C:2007:492, Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).


12      Urteil vom 12. Juli 2005, Schempp (C‑403/03, im Folgenden: Urteil Schempp, EU:C:2005:446, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).


13      Vgl. in diesem Sinne Urteil Schempp (Rn. 22 und 23 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


14      Vgl. Urteile vom 8. Juni 2017, Freitag (C‑541/15, EU:C:2017:432, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 19. November 2020, ZW (C‑454/19, EU:C:2020:947, Rn. 28 und 29).


15      Art. 128 EWG-Vertrag ist 1992 durch den am 7. Februar 1992 unterzeichneten und am 1. November 1993 in Kraft getretenen Vertrag von Maastricht (ABl. 1992, C 191, S. 1) aufgehoben worden. Er ist durch die Art. 126 und 127 EG-Vertrag ersetzt worden, die zu den Art. 165 bzw. 166 AEUV geworden sind. Siehe Fn. 18 der vorliegenden Schlussanträge.


16      Beschluss 63/266/EWG des Rates vom 2. April 1963 über die Aufstellung allgemeiner Grundsätze für die Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung (ABl. 1963, Nr. 63, S. 1338).


17      Vgl. Pépin, L., Histoire de la coopération européenne dans le domaine de l’éducation et de la formation, a. a. O., S. 16 bis 18, 97 und 143 f.


18      Nach Art. 3(p) EG-Vertrag umfasst „[d]ie Tätigkeit der Gemeinschaft … nach Maßgabe dieses Vertrags und der darin vorgesehenen Zeitfolge einen Beitrag zu einer qualitativ hochstehenden allgemeinen und beruflichen Bildung“. Diese Bestimmung verwies auf Art. 126 EG-Vertrag (allgemeine Bildung) und Art. 127 EG-Vertrag (berufliche Bildung), die zu den Art. 165 bzw. 166 AEUV geworden sind.


19      Vgl. Pépin, L., Histoire de la coopération européenne dans le domaine de l’éducation et de la formation, a. a. O., S. 39 f.


20      Zur grundlegenden Rolle der Rechtsprechung des Gerichtshofs im Bereich der europäischen Zusammenarbeit im Bildungswesen vgl. Urteil vom 13. Februar 1985, Gravier (293/83, EU:C:1985:69, Rn. 31 und verfügender Teil). Dieses Urteil hat die Aufnahme der Hochschulbildung in den Anwendungsbereich des Vertrags (ex‑Art. 128 EWG-Vertrag) ermöglicht und die Kommission in die Lage versetzt, die Annahme weitreichender Programme wie Comett und Erasmus vorzuschlagen. Vgl. auch Urteile vom 2. Februar 1988, Blaizot u. a. (24/86, EU:C:1988:43, Rn. 29 und Nr. 1 des verfügenden Teils), vom 30. Mai 1989, Kommission/Rat (242/87, EU:C:1989:217, Rn. 37), sowie vom 11. Juni 1991, Vereinigtes Königreich u. a./Rat (C‑51/89, C‑90/89 und C‑94/89, EU:C:1991:241, Rn. 10 und 31). Für eine Analyse dieser Rechtsprechung vgl. Lenaerts, K., „Education in European Community Law after ‚Maastricht‘“, Common Market Law Review, Nr. 31, 1994, S. 7 bis 41, insbesondere S. 19 f.


21      Trotz anfänglicher Schwierigkeiten, die u. a. die Meinungsverschiedenheiten über den Haushalt und die Rechtsgrundlage betrafen, hat die Delors-Kommission dem Rat am 3. Januar 1986 den Vorschlag für eine Entscheidung über ein Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaft zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten (ERASMUS) vorgelegt (ABl. 1986, C 73, S. 4). Dieser Vorschlag, der vom Europäischen Rat von London vom 5. und 6. Dezember 1986 unterstützt wurde (DOC/86/2), ist schließlich am 15. Juni 1987 vom Rat angenommen worden (Beschluss 87/327/EWG [ABl. 1987, L 166, S. 20]). Zur Entstehungsgeschichte dieses Programms vgl. u. a. Traversa, E., „Histoire juridique méconnue du programme ‚Erasmus‘ (1985–1987)“, Revue du Droit de l'Union Européenne, Nr. 4, 2017, S. 1 bis 20.


22      Vgl. Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Fontainebleau vom 25. und 26. Juni 1984 (DOC/84/2). Vgl. Richonier, M., „Comment l’Europe des citoyens (éducation et santé publique) est-elle née en 1987? Histoire d’un commencement (1984–1989)“, L’Europe en Formation, Nr. 3, 2012, S. 163 bis 194. Vgl. auch Jones, H. C., „Origins of the Erasmus programme. Development of Erasmus+ and the Future“, Vox, Nr. 124, März 2023, S. 17 bis 27, sowie „Education in a Changing Europe“, Charles Gittins Memorial. Lecture presented at the University College of Wales, Swansea, Wales, United Kingdom, 16. März 1992, S. 6. Zum Zusammenhang zwischen der europäischen Dimension der Bildung und der Unionsbürgerschaft vgl. Grimonprez, K., The European Union and Education for Democratic Citizenship. Legal Foundations for EU Learning at School, a. a. O., S. 634.


23      Es handelte sich um das Königreich Belgien, das Königreich Dänemark, die Bundesrepublik Deutschland, Irland, die Hellenische Republik, das Königreich Spanien, die Französische Republik, die Italienische Republik, das Königreich der Niederlande, die Portugiesische Republik sowie das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland. Seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Union nehmen 33 Länder an allen Aktionen des Erasmus+‑Programms teil, nämlich die 27 Mitgliedstaaten der Union sowie Island, Liechtenstein, Nordmazedonien, Norwegen, Serbien und die Türkei.


24      Vgl. insoweit Traversa, E., „Histoire juridique méconnue du programme ‚Erasmus‘ (1985–1987)“, a. a. O., S. 19.


25      Hervorhebung nur hier. Zur Auslegung von Art. 165 AEUV vgl. Grimonprez, K., The European Union and Education for Democratic Citizenship. Legal Foundations for EU Learning at School, a. a. O., S. 595 bis 686.


26      Hervorhebung nur hier. In Bezug auf sein allgemeines Ziel geht aus dem Wortlaut von Art. 4 Buchst. b und f der Erasmus+‑Verordnung hervor, dass das Erasmus+‑Programm zur Erreichung der Ziele des strategischen Rahmens für die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung (ET 2020) sowie der Förderung der europäischen Werte gemäß Art. 2 EUV beiträgt. Konkret verfolgt dieses Programm nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Erasmus+‑Verordnung mehrere Einzelziele, u. a. das Ziel der „Verbesserung des Niveaus der Schlüsselkompetenzen und ‑fertigkeiten insbesondere hinsichtlich ihrer Relevanz für den Arbeitsmarkt und ihres Beitrags zu einem stärkeren sozialen Zusammenhalt, insbesondere durch verbesserte Möglichkeiten der Lernmobilität und durch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen der Welt der allgemeinen und beruflichen Bildung und der Arbeitswelt“ (Hervorhebung nur hier).


27      Vgl. u. a. ERASMUS-Programm – von der Kommission vorgelegter Jahresbericht 1994, KOM(95) 416 endg., S. 10.


28      Hervorhebung nur hier. Gemäß Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Erasmus+‑Verordnung wurden die in Art. 11 dieser Verordnung aufgeführten Einzelziele im Jugendbereich durch die Maßnahme betreffend die „Lernmobilität von Einzelpersonen“ verfolgt.


29      Wie u. a. aus dem Erasmus+‑Programmleitfaden für das Jahr 2014 hervorgeht, werden für Auslandsaufenthalte von Hochschulstudenten Finanzmittel der Union „als Zuschuss zu den Aufenthalts- und Reisekosten“ gewährt. Daher richtet sich die Höhe der Finanzhilfe danach, ob die Lebenshaltungskosten im Mitgliedstaat der „Bestimmung“ höher, ähnlich oder niedriger sind als im Mitgliedstaat der „Herkunft“. Dafür werden die Mitgliedstaaten in diesem Leitfaden in drei Gruppen eingeteilt. Finnland gehört zu Gruppe 1 (Länder mit höheren Lebenshaltungskosten) und Kroatien zu Gruppe 2 (Länder mit mittleren Lebenshaltungskosten). In Bezug auf die Mobilität von Kroatien nach Finnland stellt der Leitfaden klar, dass die Höhe der Beihilfe in der sogenannten „oberen“ Spanne liegt, die der von der nationalen Agentur gewährten mittleren Finanzhilfe zuzüglich mindestens 50 Euro, d. h. einem Betrag zwischen 250 und 550 Euro pro Monat, entspricht. Vgl. „Erasmus+‑Programmleitfaden“, Europäische Kommission, 2014, S. 65 und 66.


30      Vgl. Urteile vom 16. März 2021, Kommission/Ungarn (C‑596/19 P, EU:C:2021:202, Rn. 44), und vom 23. November 2023, Ministarstvo financija (C‑682/22, EU:C:2023:920, Rn. 34).


31      Vgl. in diesem Sinne u. a. Urteil vom 9. September 2021, Hauptzollamt B (Fakultative Steuerermäßigung) (C‑100/20, EU:C:2021:716, Rn. 31 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


32      Vgl. u. a. Urteil vom 15. September 2011, Schulz-Delzers und Schulz (C‑240/10, EU:C:2011:591, Rn. 40).


33      Vgl. u. a. Urteile vom 12. Februar 1974, Sotgiu (152/73, EU:C:1974:13, Rn. 11), vom 14. Februar 1995, Schumacker (C‑279/93, EU:C:1995:31, Rn. 26), und vom 24. Februar 2015, Sopora (C‑512/13, EU:C:2015:108, Rn. 23).


34      Siehe Nrn. 43 bis 52 der vorliegenden Schlussanträge.


35      Die Kommission hat insoweit hervorgehoben, dass es schwierig sei, die Situation steuerpflichtiger Eltern, deren Kinder Mobilitätsbeihilfen für Studierende in Anspruch genommen hätten, mit der Situation von Eltern zu vergleichen, deren Kinder Einkünfte aus einer studentischen Tätigkeit oder nicht mobilitätsbezogene Finanzhilfen erhalten hätten.


36      Vgl. Urteile vom 20. September 2001, Grzelczyk (C‑184/99, EU:C:2001:458, Rn. 31), Schempp (Rn. 15) sowie vom 18. April 2024, Préfet du Gers und Institut national de la statistique et des études économiques (C‑716/22, EU:C:2024:339, Rn. 40).


37      Vgl. u. a. Urteile vom 26. Oktober 2006, Tas-Hagen und Tas (C‑192/05, EU:C:2006:676, Rn. 19), sowie Thiele Meneses (Rn. 18 und 19 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).


38      Vgl. u. a. Urteile vom 11. Juli 2002, D’Hoop (C‑224/98, EU:C:2002:432, Rn. 31), Thiele Meneses (Rn. 22) sowie vom 26. Mai 2016, Kohll und Kohll-Schlesser (C‑300/15, EU:C:2016:361, Rn. 42).


39      Vgl. in diesem Sinne Urteil Schempp (Rn. 45 und 46). Zur Erinnerung: In der Rechtssache, in der dieses Urteil ergangen ist, fragte sich das vorlegende Gericht, ob es den Art. 12 EG und 18 EG zuwiderlief, dass die deutschen Finanzbehörden dem Kläger den Abzug seiner Unterhaltsleistungen an seine in Österreich wohnende frühere Ehefrau versagt hatten. Der Kläger, der sein Recht auf Freizügigkeit nicht selbst wahrgenommen hatte, rügte nämlich den Verlust einer Steuervergünstigung, der durch den Umzug seiner früheren Ehefrau von Deutschland nach Österreich verursacht worden war. Da solche Leistungen an einen in Österreich wohnenden Empfänger nicht mit Leistungen an einen in Deutschland wohnenden Empfänger verglichen werden konnten, weil die beiden Sachverhalte unterschiedlichen Steuerregelungen unterlagen, hat der Gerichtshof jedoch entschieden, dass diese Behandlung nicht diskriminierend war.


40      Vgl. insoweit Urteil Schempp (Rn. 25).


41      Vgl. u. a. Urteil Thiele Meneses (Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).


42      Vgl. u. a. Urteile vom 11. Juli 2002, D’Hoop (C‑224/98, EU:C:2002:432, Rn. 32), vom 7. Juli 2005, Kommission/Österreich (C‑147/03, EU:C:2005:427, Rn. 44), und Thiele Meneses (Rn. 24).


43      Vgl. u. a. Urteile Thiele Meneses (Rn. 21), vom 26. Februar 2015, Martens (C‑359/13, EU:C:2015:118, Rn. 23), und vom 25. Juli 2018, A (Hilfe für eine schwerbehinderte Person) (C‑679/16, EU:C:2018:601, Rn. 58).


44      Siehe Nrn. 46 bis 48 der vorliegenden Schlussanträge.


45      Urteil Thiele Meneses (Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).


46      Bericht verfügbar unter: https://www.ombudsman.hr/hr/download/izvjesce-pucke-pravobraniteljice-za-2017-godinu/?wpdmdl=4745&refresh=63c90d728a8151674120562.


47      Aus der Vorlageentscheidung ergibt sich, dass im Jahr 2018 ohne Rückwirkung Änderungen an den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Steuervorschriften vorgenommen worden sind, so dass nach dem neuen Art. 17 Abs. 2 Nr. 10 ZPD Beträge wie beispielsweise „Stipendien, Preisgelder für Spitzenleistungen von Schülern und Studierenden, die aus dem Haushalt gewährt werden und aus Finanzhilfen stammen, die aus dem Haushalt, Fonds und Programmen der Europäischen Union sowie anderen internationalen Fonds und Programmen, die in Sondervorschriften und internationalen Abkommen geregelt sind, zum Zwecke der Bildung und der beruflichen Fortbildung gewährt werden“, im Rahmen der Berechnung des Grundfreibetrags nicht mehr berücksichtigt werden. In der an das kroatische Parlament gerichteten Begründung zum Änderungsvorschlag hatte die kroatische Regierung darauf hingewiesen, dass die bisherige gesetzliche Lösung dazu führe, dass sich „junge Menschen, vor allem aus benachteiligten Verhältnissen, … nicht für die fraglichen Programme entscheiden, weil sie dann nicht mehr von ihren Eltern unterstützt werden können“.


48      Vgl. u. a. Urteile Thiele Meneses (Rn. 29), vom 26. Februar 2015, Martens (C‑359/13, EU:C:2015:118, Rn. 34), und vom 22. Februar 2024, Direcţia pentru Evidenţa Persoanelor şi Administrarea Bazelor de Date (C‑491/21, EU:C:2024:143, Rn. 52).


49      Daher verleihen diese Bestimmungen nach Ansicht des vorlegenden Gerichts Steuerpflichtigen, deren unterhaltsberechtigte Kinder in einem Steuerjahr ein steuerfreies Einkommen in einer bestimmten Höhe beziehen, das es dem Kind nach der Wertung des Gesetzgebers ermöglicht, aus dem eigenen Einkommen zu seinem Unterhalt beizutragen und die im Rahmen der Unterhaltspflicht seiner Eltern anfallenden Ausgaben zu verringern, anders als bei Steuerpflichtigen, deren Kinder kein steuerfreies Einkommen – oder nur einen geringfügigen Betrag – beziehen, weshalb der Kindesunterhalt nur aus dem Einkommen der Eltern bestritten werden kann, kein Recht auf Erhöhung des Grundfreibetrags für unterhaltsberechtigte Kinder.


50      Vgl. insoweit Urteil vom 21. Dezember 2021, Finanzamt V (Erbschaften – Teilfreibetrag und Abzug von Pflichtteilsansprüchen) (C‑394/20, EU:C:2021:1044, Rn. 52).


51      Vgl. Urteil Thiele Meneses (Rn. 49 und die angeführte Rechtsprechung).


52      Siehe Nrn. 43 bis 52 der vorliegenden Schlussanträge.


53      Siehe insoweit Fn. 47 der vorliegenden Schlussanträge.


54      Vgl. insoweit Urteil vom 16. Juni 2022, Kommission/Österreich (Indexierung von Familienleistungen) (C‑328/20, EU:C:2022:468, Rn. 61).