Language of document : ECLI:EU:C:2017:745

Rechtssache C413/15

Elaine Farrell

gegen

Alan Whitty u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court [Irland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung – Richtlinie 90/232/EWG – Art. 1 – Haftung im Fall von Personenschäden bei allen Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers – Pflichtversicherung – Unmittelbare Wirkung – Richtlinie 84/5/EWG – Art. 1 Abs. 4 – Stelle, die für den Ersatz von Sach- oder Personenschäden zuständig ist, die durch ein nicht ermitteltes oder nicht versichertes Fahrzeug verursacht werden – Möglichkeit, sich gegenüber einem Staat auf eine Richtlinie zu berufen – Voraussetzungen, unter denen eine privatrechtliche Stelle als eine dem Staat zuzurechnende Einrichtung angesehen werden kann und ihr die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen einer Richtlinie entgegengehalten werden können“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 10. Oktober 2017

1.        Handlungen der Organe – Richtlinien – Unmittelbare Wirkung – Stelle, die unter staatlicher Aufsicht eine Dienstleistung im öffentlichen Interesse zu erbringen hat oder mit besonderen Rechten ausgestattet ist – Alternativer Charakter dieser Voraussetzungen

(Art. 288 AEUV)

2.        Rechtsangleichung – Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung – Richtlinie 84/5 – Ersatz für Schäden, die durch ein nicht ermitteltes oder unzureichend versichertes Fahrzeug verursacht werden – Von einem Mitgliedstaat eingerichtete privatrechtliche Stelle, die solche Schäden zu ersetzen hat – Möglichkeit für Privatpersonen, sich gegenüber einer solchen Stelle auf die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen einer Richtlinie zu berufen

(Art. 288 AEUV; Richtlinie 84/5 des Rates in der durch die Richtlinie 90/232 geänderten Fassung, Art. 1 Abs. 4)

1.      Art. 288 AEUV ist dahin auszulegen, dass er als solcher nicht ausschließt, dass einer Einrichtung, die nicht alle in den Rn. 18 und 20 des Urteils vom 12. Juli 1990, Foster u. a. (C‑188/89, EU:C:1990:313), genannten Eigenschaften aufweist, die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen einer Richtlinie entgegengehalten werden können.

Rn. 20 des Urteils ist nämlich in Verbindung mit dessen Rn. 18 zu betrachten, wo der Gerichtshof hervorgehoben hat, dass eine Privatperson solche Bestimmungen gegenüber einer Organisation oder Einrichtung geltend machen kann, die dem Staat oder dessen Aufsicht untersteht oder mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über diejenigen hinausgehen, die nach den Vorschriften für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gelten. Wie die Generalanwältin in den Nrn. 53 und 77 ihrer Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, können daher die Voraussetzungen, dass die betreffende Stelle dem Staat oder dessen Aufsicht untersteht und mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über diejenigen hinausgehen, die nach den Vorschriften für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gelten, nicht kumulativ sein (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Dezember 1997, Kampelmann u. a., C‑253/96 bis C‑258/96, EU:C:1997:585, Rn. 46 und 47, sowie vom 7. September 2006, Vassallo, C‑180/04, EU:C:2006:518, Rn. 26).

(vgl. Rn. 27-29, Tenor 1)

2.      Einer privatrechtlichen Stelle, die ein Mitgliedstaat mit einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe betraut hat – wie der Aufgabe, die sich aus der Pflicht der Mitgliedstaaten nach Art. 1 Abs. 4 der Zweiten Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung in der Fassung der Dritten Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 ergibt – und die hierzu kraft Gesetzes mit besonderen Rechten ausgestattet ist – wie der Befugnis, die Versicherer, die im Gebiet des betreffenden Mitgliedstaats Kfz-Versicherungen anbieten, zu verpflichten, bei dieser Stelle Mitglied zu werden und sie zu finanzieren –, können die unmittelbar anwendbaren Bestimmungen einer Richtlinie entgegengehalten werden.

(vgl. Rn. 42, Tenor 2)