Language of document : ECLI:EU:T:2015:472

Rechtssache T‑312/14

Federazione nazionale delle cooperative della pesca (Federcoopesca) u. a.

gegen

Europäische Kommission

„Nichtigkeitsklage – Fischerei – Gemeinschaftliche Kontrollregelung zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften der gemeinsamen Fischereipolitik – Beschluss der Kommission über die Aufstellung eines Aktionsplans zur Behebung von Mängeln des italienischen Systems der Fischereiaufsicht – Handlung, die als solche die Rechtsstellung des Klägers nicht verändert – Fehlende individuelle Betroffenheit – Unzulässigkeit“

Leitsätze – Urteil des Gerichts (Zweite Kammer) vom 7. Juli 2015

1.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Klage einer Vereinigung, die die allgemeinen Interessen einer Gruppe natürlicher oder juristischer Personen vertritt – Zulässigkeit – Voraussetzung – Individuelle Klagebefugnis ihrer Mitglieder

(Art. 263 Abs. 4 AEUV)

2.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Rechtsakte mit Verordnungscharakter – Rechtsakte, die keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen und den Kläger unmittelbar betreffen – Rechtsakt, der als solcher die Rechtsstellung des Klägers nicht verändert – Unzulässigkeit

(Art. 230 Abs. 4 EG; Art. 263 Abs. 4 AEUV)

3.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Unmittelbare Betroffenheit – Kriterien

(Art. 263 Abs. 4 AEUV)

4.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Rechtsakte mit Verordnungscharakter – Beschluss der Kommission, in Anwendung der Verordnung Nr. 1124/2009 einen Aktionsplan zur Behebung von Mängeln eines nationalen Systems der Fischereiaufsicht aufzustellen – Keine verbindliche Wirkung des Aktionsplans gegenüber natürlichen oder juristischen Personen – Rechtsakt, der als solcher die Rechtsstellung des Klägers nicht ändert – Unzulässigkeit

(Art. 263 Abs. 4 AEUV; Verordnung Nr. 1224/2009 des Rates, Art. 102 Abs. 4)

5.      Handlungen der Organe – Richtlinien – Umsetzung durch die Mitgliedstaaten – Notwendigkeit, die Wirksamkeit der Richtlinien zu gewährleisten – Pflichten der nationalen Gerichte – Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung – Umfang – Auslegung contra legem des nationalen Rechts – Ausschluss

(Art. 288 Abs. 3 AEUV)

6.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Individuelle Betroffenheit – Kriterien – Beschluss der Kommission, in Anwendung der Verordnung Nr. 1124/2009 einen Aktionsplan zur Behebung von Mängeln eines nationalen Systems der Fischereiaufsicht aufzustellen – Klage einer Vereinigung von Fischern – Keine Verfahrensgarantien zu ihren Gunsten – Fehlende individuelle Betroffenheit – Unzulässigkeit

(Art. 263 Abs. 4, AEUV; Verordnung Nr. 1224/2009 des Rates, Art. 102 Abs. 4)

7.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Möglichkeit, von einer allgemeinen Entscheidung individuell betroffen zu sein – Voraussetzungen – Beschluss der Kommission im Fischereibereich –Kläger mit prekären Fischereirechten – Fehlende individuelle Betroffenheit – Unzulässigkeit

(Art. 263 Abs. 4, AEUV; Verordnung Nr. 1224/2009 des Rates, Art. 6 und 7)

1.      Die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage einer Vereinigung, die zur Förderung der gemeinsamen Interessen einer Gruppe von Personen gegründet wurde und die kein eigenes Rechtsschutzinteresse hat, hängt davon ab, ob ihre Mitglieder diese Klage individuell hätten erheben können.

(vgl. Rn. 18)

2.      Die dritte Alternative des Art. 263 Abs. 4 AEUV kann in Anbetracht sowohl der Zielsetzung dieser Bestimmung als auch der Tatsache, dass der Vertragsgesetzgeber der Voraussetzung des unmittelbaren Betroffenseins eine zusätzliche Voraussetzung, betreffend das Fehlen von Durchführungsmaßnahmen, hinzugefügt hat, nur auf die Anfechtung von Rechtsakten der ersten der beiden Fallgruppen angewandt werden, die von der Voraussetzung des unmittelbaren Betroffenseins erfasst werden, nämlich der Fallgruppe der Rechtsakte, die als solche, d. h. unabhängig von jeder Durchführungsmaßnahme, die Rechtsstellung des Klägers verändern. Verändert der angefochtene Rechtsakt nicht als solcher die Rechtsstellung des Klägers, so kann bereits aus dieser Feststellung auf die Unanwendbarkeit der dritten Alternative des Art. 263 Abs. 4 AEUV gefolgert werden, wobei in diesem Fall dahingestellt bleiben kann, ob dieser Rechtsakt im Hinblick auf den Kläger Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht.

(vgl. Rn. 42, 43)

3.      Siehe Text der Entscheidung.

(vgl. Rn. 33-36)

4.      In Art. 102 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1224/2009 zur Einführung einer gemeinschaftlichen Kontrollregelung zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften der gemeinsamen Fischereipolitik hat sich der Rat darauf beschränkt, die Kommission in Zusammenarbeit mit den zuständigen nationalen Behörden zur Erarbeitung eines Aktionsplans mit einer auf nationaler Ebene von diesen Behörden angenommenen Reihe von Maßnahmen zu ermächtigen und diesem Plan anschließend im Verhältnis zu diesen Behörden verbindliche Wirkung zu verleihen. Aus dieser Bestimmung ergibt sich mithin keine Zuständigkeit der Kommission, einseitige, auf die in einem Mitgliedstaat im Fischereisektor Tätigen unmittelbar anwendbare Handlungen zu erlassen.

Daher verändert ein nach Art. 102 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1224/2009 erlassener Beschluss als solcher, d. h. unabhängig von jeder Durchführungsmaßnahme, die Rechtsstellung keiner anderen natürlichen oder juristischen Person als des Mitgliedstaats, an den er sich richtet. Mithin verändert er als solcher insbesondere nicht die Rechtsstellung der im Fischereisektor Tätigen. Ein Kläger kann sich demzufolge nicht auf Art. 263 Abs. 4 dritte Alternative AEUV berufen, um seine Klage für zulässig erklären zu lassen. Diese Schlussfolgerung drängt sich auf, ohne dass bestimmt werden müsste, ob es sich bei dem angefochtenen Beschluss um einen „Rechtsakt mit Verordnungscharakter“ im Sinne von Art. 263 Abs. 4 dritte Alternative AEUV handelt. Ebenso wenig bedarf es der Prüfung, ob dieser Beschluss im Hinblick auf den Kläger Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht. Für diese Prüfung hätte das Gericht auf die Stellung der Person, die sich auf ihre Klageberechtigung nach dieser Bestimmung beruft, und nicht auf die Stellung anderer Personen abzustellen.

Im Übrigen kann eine Entscheidung wie der ein nach Art. 102 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1224/2009 erlassener Beschluss keine Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen, so dass diesem gegenüber eine Berufung auf den Beschluss als solchen nicht möglich ist.

(vgl. Rn. 46, 47, 52, 55, 56, 59)

5.      Der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts unterliegt bestimmten Schranken. So findet die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen ihre Schranken und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen.

(vgl. Rn. 60)

6.      Eine Person, die nicht Adressat einer Entscheidung ist, kann nur dann geltend machen, von dieser individuell betroffen zu sein, wenn die Entscheidung sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie daher in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten. Insoweit bedeutet der Umstand, dass die Personen, für die eine Maßnahme gilt, nach Zahl oder sogar Identität mehr oder weniger genau bestimmbar sind, jedoch keineswegs, dass sie als von der Maßnahme individuell betroffen anzusehen sind, sofern diese Maßnahme aufgrund eines durch sie bestimmten objektiven Tatbestands rechtlicher oder tatsächlicher Art anwendbar ist.

Unzulässig ist daher ist die Klage einer nationalen Vereinigung von Fischern gegen einen nach Art. 102 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1224/2009 zur Einführung einer gemeinschaftlichen Kontrollregelung zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften der gemeinsamen Fischereipolitik erlassenen Beschluss über die Aufstellung eines Aktionsplans zur Behebung von Mängeln des nationalen Systems der Fischereiaufsicht. Erstens betrifft ein solcher Beschluss die Mitglieder der klagenden Vereinigung nämlich nur wegen ihrer objektiven Eigenschaft als Fischer, ebenso wie jeden anderen Wirtschaftsteilnehmer, der sich tatsächlich oder potenziell in der gleichen Lage befindet. Zweitens ist nicht ersichtlich, dass der Kommission für den Erlass eines solchen Beschlusses durch eine unionsrechtliche Bestimmung die Anwendung eines Verfahrens vorgeschrieben wäre, in dessen Rahmen die Mitglieder der Klägerin oder diese selbst möglicherweise Rechte hätten geltend machen können. Das Unionsrecht hat somit im Hinblick auf den Erlass des angefochtenen Beschlusses keine besondere Rechtsposition zugunsten von Wirtschaftsteilnehmern, wie es die Mitglieder der Klägerin oder diese selbst sind, festgelegt. Daraus folgt, dass ein solcher Beschluss keinen geschlossenen Kreis von Personen betrifft, die zum Zeitpunkt seines Erlasses feststanden und deren Rechte die Kommission hätte regeln wollen.

(vgl. Rn. 63, 64, 66, 68, 69)

7.      Wenn ein angefochtener Beschluss eine Gruppe von Personen berührt, die zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Rechtsakts anhand von Merkmalen, die den Mitgliedern dieser Gruppe eigen waren feststand oder feststellbar war, können diese Personen von diesem Rechtsakt insoweit individuell betroffen sein, als sie zu einem beschränkten Kreis von Wirtschaftsteilnehmern gehören. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Beschluss in Rechte eingreift, die diese Personen vor ihrem Erlass erworben haben.

Insoweit ist hinsichtlich einer Klage einer nationalen Vereinigung von Fischern gegen einen Beschluss der Kommission im Bereich der Fischerei festzustellen, dass die Erteilung einer Fanglizenz und einer Fangerlaubnis, nicht dazu führt, dass deren Inhaber so angesehen werden kann, als habe er ein erworbenes Recht. Denn nach Art. 6 der Verordnung Nr. 1224/2009 zur Einführung einer gemeinschaftlichen Kontrollregelung zur Sicherstellung der Einhaltung der Vorschriften der gemeinsamen Fischereipolitik darf ein Fischereifahrzeug der Union lebende aquatische Ressourcen nur dann gewerblich nutzen, wenn es über eine gültige Fanglizenz verfügt. Ebenso darf ein Fischereifahrzeug der Union, das in Unionsgewässern eingesetzt wird, nach Art. 7 dieser Verordnung bestimmte Fischereitätigkeiten nur dann ausüben, wenn diese in einer gültigen Fangerlaubnis konkret angegeben sind. Im Hinblick auf den Zugang zu den Ressourcen unterliegen die Fischereifahrzeuge der Union somit einer Erlaubnisregelung, die durch eine gewisse Unsicherheit gekennzeichnet ist.

(vgl. Rn. 71, 73, 74, 76, 78)