Language of document : ECLI:EU:C:2024:463

Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 6. Juni 2024(1)

Rechtssache C230/23

Reprobel CV

gegen

Copaco Belgium NV

(Vorabentscheidungsersuchen der Ondernemingsrechtbank Gent Afdeling Gent [Unternehmensgericht Gent, Abteilung Gent, Belgien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges Eigentum – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29/EG – Art. 2 – Vervielfältigungsrecht – Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b – Ausnahmen und Beschränkungen – Vervielfältigung zum privaten Gebrauch – Gerechter Ausgleich – Unmittelbare Wirkung – Einrichtung, die mit der Erhebung und der Verteilung des gerechten Ausgleichs betraut ist – Möglichkeit, sich gegenüber dieser Einrichtung unmittelbar auf die Richtlinie zu berufen“






 Einleitung

1.        Die Vorlagefragen in der vorliegenden Rechtssache erfordern eine erneute Befassung mit einer der fundamentalen Fragen des Unionsrechts, und zwar der unmittelbaren Wirkung von Richtlinienbestimmungen und der Möglichkeit, sich auf diese Bestimmungen in vertikalen Rechtsverhältnissen zu berufen, d. h. in einem Rechtsstreit zwischen einem Einzelnen und einem Mitgliedstaat. Diese Problematik gibt, obwohl sie bis in die Anfänge der Unionsrechtsordnung zurückreicht, auch heute noch Anlass zu Streitigkeiten und Kontroversen(2).

2.        In der vorliegenden Rechtssache treten beide Probleme zum Vorschein, die mit der oben genannten Frage zusammenhängen. Es geht nämlich zum einen um die Frage, ob Richtlinienbestimmungen, die zwar fakultativen Charakter haben, doch vom betreffenden Mitgliedstaat umgesetzt worden sind, unmittelbare Wirkung entfalten können. Zusätzlich zu beachten ist, dass diese Umsetzung in der vorliegenden Rechtssache, wie es der Gerichtshof ausdrücklich entschieden hat, in einer unionsrechtswidrigen Weise erfolgte. Zum anderen geht es in der vorliegenden Rechtssache wieder einmal um die Frage, ob man sich gegenüber einer privaten Einrichtung, die ein Mitgliedstaat mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben betraut hat, auf die unmittelbare Wirkung einer Richtlinienbestimmung berufen kann.

3.        Wie es scheint, wird der Gerichtshof seine bisherige Rechtsprechung in Bezug auf diese beiden Fragen präzisieren müssen.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

4.        Art. 2 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft(3) bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen für folgende Personen das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten:

a)      für die Urheber in Bezug auf ihre Werke,

b)      für die ausübenden Künstler in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Darbietungen,

c)      für die Tonträgerhersteller in Bezug auf ihre Tonträger,

d)      für die Hersteller der erstmaligen Aufzeichnungen von Filmen in Bezug auf das Original und die Vervielfältigungsstücke ihrer Filme,

e)      für die Sendeunternehmen in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Sendungen, unabhängig davon, ob diese Sendungen drahtgebunden oder drahtlos, über Kabel oder Satellit übertragen werden.“

5.        In Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b dieser Richtlinie heißt es:

„Die Mitgliedstaaten können in den folgenden Fällen Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf das in Artikel 2 vorgesehene Vervielfältigungsrecht vorsehen:

a)      in Bezug auf Vervielfältigungen auf Papier oder einem ähnlichen Träger mittels beliebiger fotomechanischer Verfahren oder anderer Verfahren mit ähnlicher Wirkung, mit Ausnahme von Notenblättern und unter der Bedingung, dass die Rechtsinhaber einen gerechten Ausgleich erhalten;

b)      in Bezug auf Vervielfältigungen auf beliebigen Trägern durch eine natürliche Person zum privaten Gebrauch und weder für direkte noch indirekte kommerzielle Zwecke unter der Bedingung, dass die Rechtsinhaber einen gerechten Ausgleich erhalten, wobei berücksichtigt wird, ob technische Maßnahmen gemäß Artikel 6 auf das betreffende Werk oder den betreffenden Schutzgegenstand angewendet wurden;“

 Belgisches Recht

6.        Das belgische Recht in der zum Zeitpunkt des Ausgangsrechtsstreit geltenden Fassung sah in den Art. 59 und 60 der Wet van 30 juni 1994 betreffende het auteursrecht en de naburige rechten (Gesetz vom 30. Juni 1994 über das Urheberrecht und ähnliche Rechte)(4) eine Vergütung vor, sofern Ausnahmen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht griffen. Diese Vergütung bestand aus einem Pauschalbetrag, der von der Zahl der Geräte abhängig war, die zur Vervielfältigung geschützter Werke bereitgestellt wurden, und einer anteiligen Vergütung je nach Zahl der erstellten Kopien dieser Werke.

7.        Gemäß Art. 60a dieses Gesetzes war die zur Erhebung und Verteilung dieser Vergütung bestimmte Einrichtung berechtigt, die erforderlichen Auskünfte von der Zollverwaltung, der Mehrwertsteuerverwaltung, dem Landesamt für soziale Sicherheit, dem Kontroll- und Mediationsdienst des Wirtschaftsministeriums sowie – unter dem Vorbehalt der Gegenseitigkeit – von vergleichbaren ausländischen Einrichtungen einzuholen.

8.        Die Höhe der Vergütung wurde gemäß Art. 61 des angeführten Gesetzes durch den Koninklijk besluit van 30 oktober 1997 betreffende de vergoeding verschuldigd aan auteurs en uitgevers voor het kopiëren voor privégebruik of didactisch gebruik van werken die op grafische of op soortgelijke wijze zijn vastgelegd (Königlicher Erlass vom 30. Oktober 1997 über die Vergütung von Urhebern und Verlegern für die Vervielfältigung zu privaten oder didaktischen Zwecken von Werken auf grafischem oder ähnlichem Träger)(5) geregelt. Art. 7 dieses Erlasses bestimmte, dass die zur Entrichtung der angeführten Vergütung verpflichteten Wirtschaftsteilnehmer verpflichtet waren, der Einrichtung, die mit ihrer Erhebung betraut war, monatlich eine Erklärung mit Angaben vorzulegen, die es ermöglichten, den verpflichteten Wirtschaftsteilnehmer zu identifizieren und die Höhe der geschuldeten Vergütung in Abhängigkeit von der Zahl der verkauften Geräte zu bestimmen.

9.        Kraft des Koninklijk besluit van 15 oktober 1997 tot het belasten van een vennootschap met de inning en de verdeling van de vergoeding voor het kopiëren van werken die op grafische of soortgelijke wijze zijn vastgelegd (Königlicher Erlass vom 15. Oktober 1997 über die Bestimmung der Einrichtung, die zur Erhebung und Verteilung der Vergütung für die Vervielfältigung von Werken auf grafischen oder analogen Trägern befugt ist)(6) wurde die Gesellschaft Reprobel mit der Erhebung und Verteilung der angeführten Vergütung betraut.

 Sachverhalt des Ausgangsverfahrens, Verfahren und Vorlagefragen

10.      Copaco Belgium NV, eine Gesellschaft belgischen Rechts (im Folgenden: Copaco), vertreibt IT‑Geräte an Unternehmen und Verbraucher, insbesondere Geräte zum Kopieren wie Kopierer und Scanner. Aus diesem Grund ist sie zur Entrichtung einer Reprografievergütung verpflichtet.

11.      Im Urteil Hewlett-Packard Belgium(7) hat der Gerichtshof insbesondere entschieden, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 grundsätzlich einer Regelung wie der belgischen entgegensteht, die eine Pauschalvergütung mit einer anteiligen Vergütung verknüpft, ohne dabei Mechanismen vorzusehen, die es erlauben, die Höhe der Vergütung an den tatsächlichen Nachteil anzugleichen, die die Urheberrechtsinhaber erlitten haben(8). Neue belgische Rechtsvorschriften über die Reprografievergütung, die den Vorgaben genügen, die sich aus diesem Urteil ergeben, sind im März 2017 in Kraft getreten.

12.      Infolge des angeführten Urteils verweigerte Copaco die Begleichung der Rechnungen, die ihr von Reprobel auf der Grundlage der Erklärungen ausgestellt wurden, die Copaco für den Zeitraum November 2015 bis Dezember 2016 vorgelegt hatte. Copaco ist nämlich der Ansicht, dass gemäß dem Urteil Hewlett-Packard Belgium das belgische System der Reprografievergütung in dem streitigen Zeitraum unionsrechtswidrig gewesen sei.

13.      Am 16. Dezember 2020 erhob Reprobel eine Klage gegen Copaco, mit der sie die Zahlung der rückständigen Reprografievergütung nebst Zinsen und Schadensersatz begehrte. Der Rechtsstreit wurde wegen dessen örtlicher Zuständigkeit an das vorlegende Gericht verwiesen. Vor diesem Gericht macht Copaco geltend, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 unmittelbare Wirkung zukomme und Reprobel eine dem Staat zuzurechnende Einrichtung darstelle, so dass man sich ihr gegenüber auf diese unmittelbare Wirkung berufen könne. Reprobel bestreitet beides.

14.      Unter diesen Umständen hat die Ondernemingsrechtbank Gent Afdeling Gent (Unternehmensgericht Gent, Abteilung Gent, Belgien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist eine Einrichtung wie Reprobel, soweit sie vom Staat durch einen königlichen Auftrag mit der Erhebung und der Verteilung des vom Staat festgelegten gerechten Ausgleichs im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 beauftragt ist und über die der Staat die Aufsicht ausübt, eine Einrichtung, gegen die sich ein Einzelner zu seiner Verteidigung auf die Unvereinbarkeit einer nationalen Norm mit Unionsrecht berufen kann, die diese Einrichtung gegenüber diesem Einzelnen geltend zu machen sucht?

2.      Ist es für die Beantwortung dieser Frage von Bedeutung, dass die Aufsicht, die der Staat über diese Einrichtung ausübt, u. a. umfasst:

–        Die Verpflichtung dieser Einrichtung, stets Kopien ihrer Auskunftsersuchen an die Vergütungspflichtigen, die sowohl für die Erhebung als auch für die Verteilung der Reprografievergütung erforderlich sind, an den zuständigen Minister zu übermitteln, so dass dieser darüber informiert bleibt, in welcher Weise die Einrichtung ihr Aufsichtsrecht ausübt, und entscheiden kann, ob es angebracht ist, durch ministeriellen Erlass den Inhalt, die Anzahl und die Häufigkeit der Auskunftsersuchen so festzulegen, dass sie die Tätigkeiten der befragten Personen in möglichst geringem Maße behindern;

–        Die Verpflichtung der Einrichtung, den Beauftragten des Ministers dazu aufzufordern, ein für die Erhebung der anteiligen Reprografievergütung erforderliches Auskunftsersuchen an Vergütungspflichtige, Händler unabhängig davon, ob es sich um Groß- oder Einzelhändler handelt, Leasingunternehmen oder Gerätewartungsunternehmen zu übersenden, wenn der Vergütungspflichtige nicht an der Erhebung mitgewirkt hat, wobei die Einrichtung auch verpflichtet ist, dem zuständigen Minister eine Kopie dieses Ersuchens zu übermitteln, damit dieser den Inhalt, die Anzahl und die Häufigkeit der Auskunftsersuchen so festlegen kann, dass sie die Tätigkeiten der befragten Personen in möglichst geringem Maße behindern;

–        Die Verpflichtung der Einrichtung, dem zuständigen Minister die Verteilungsregeln für die Reprografievergütung sowie jede Änderung, die sie daran vornimmt, zur Genehmigung vorzulegen;

–        Die Verpflichtung der Einrichtung, dem zuständigen Minister das durch sie erstellte Meldeformular zur Genehmigung vorzulegen, ohne die dieses nicht ausgegeben werden darf?

3.      Ist es für die Beantwortung der Frage auch von Bedeutung, dass die Einrichtung über folgende Befugnisse verfügt:

–        Die Befugnis, alle für die Erhebung der Reprografievergütung erforderlichen Auskünfte von allen Personen, die Vergütungspflichtige, Beitragspflichtige, Händler, unabhängig davon, ob es sich um Groß- oder Einzelhändler handelt, Leasingunternehmen oder Gerätewartungsunternehmen sind, anzufordern. Dabei muss jedes Ersuchen stets mit einem Hinweis auf die strafrechtlichen Sanktionen versehen sein, die bei Nichteinhaltung der gesetzten Frist oder der Erteilung unvollständiger oder falscher Auskünfte verhängt werden;

–        Die Befugnis, von jedem Vergütungspflichtigen zu verlangen, dass er alle Auskünfte betreffend die vervielfältigten Werke erteilt, die für die Verteilung der Reprografievergütung erforderlich sind;

–        Die Befugnis, alle zur Ausführung ihres Auftrags erforderlichen Auskünfte bei der Zoll- und Akzisenverwaltung, der Mehrwertsteuerverwaltung und dem Landesamt für soziale Sicherheit zu erhalten?

4.      Hat Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 unmittelbare Wirkung?

5.      Ist ein nationales Gericht gehalten, eine nationale Norm auf Antrag eines Einzelnen unangewendet zu lassen, wenn diese durch den Staat vorgeschriebene Norm mit Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 unvereinbar ist, insbesondere, weil die mit dem vorstehend genannten Artikel unvereinbare Norm diesen Einzelnen zur Zahlung von Abgaben verpflichtet?

15.      Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 13. April 2023 beim Gerichtshof eingegangen. Schriftliche Erklärungen sind von den Parteien des Ausgangsverfahrens, der belgischen Regierung und von der Europäischen Kommission eingereicht worden. Dieselben Parteien sowie die französische Regierung waren in der mündlichen Verhandlung vertreten, die am 6. März 2024 stattgefunden hat.

 Würdigung

16.      Das nationale Gericht legt in der vorliegenden Rechtssache fünf Fragen zur Vorabentscheidung vor. Die ersten drei davon betreffen die Möglichkeit, eine Einrichtung wie Reprobel als eine Einrichtung anzusehen, die einem Mitgliedstaat zuzurechnen ist, was es dem Einzelnen erlauben würde, sich ihr gegenüber unmittelbar auf die Bestimmungen der Richtlinie zu berufen. In den beiden letzten Fragen geht es um die Möglichkeit, sich unmittelbar auf Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 zu berufen. Ich schlage vor, die Würdigung mit diesen beiden letzten Fragen zu beginnen.

 Zu den Vorlagefragen 4 und 5

17.      Mit der vierten und der fünften Vorlagefrage will das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 unmittelbare Wirkung zukommt, so dass sich der Einzelne vor einem nationalen Gericht darauf berufen kann, um die Zahlung einer Abgabe zu verweigern, die der Finanzierung des gerechten Ausgleichs dient, wenn diese Abgabe auf der Grundlage nationaler Rechtsvorschriften erhoben wird, die mit den angeführten Bestimmungen der Richtlinie 2001/29 unvereinbar sind.

 Zum Grundsatz der unmittelbaren Wirkung

18.      Der Grundsatz der unmittelbaren Wirkung der Unionsrechtsvorschriften reicht bis in die Anfänge dieser Rechtsordnung zurück. Wie allgemein bekannt, hat der Gerichtshof diesen Grundsatz im Urteil van Gend & Loos(9) aufgestellt, das für diese Rechtsordnung von fundamentaler Bedeutung ist. Die Anwendung des Grundsatzes der unmittelbaren Wirkung auf die Bestimmungen der Richtlinien, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, wurde im Urteil van Duyn(10) bestätigt. Der Gerichtshof formuliert diesen Grundsatz derzeit wie folgt:

„Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann sich der Einzelne in all den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn dieser die Richtlinie nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat …

Der Gerichtshof hat klargestellt, dass eine Unionsvorschrift zum einen unbedingt ist, wenn sie eine Verpflichtung normiert, die an keine Bedingung geknüpft ist und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiteren Maßnahmen der Unionsorgane oder der Mitgliedstaaten bedarf, und sie zum anderen hinreichend genau ist, um von einem Einzelnen geltend gemacht und vom Gericht angewandt zu werden, wenn sie in unzweideutigen Worten eine Verpflichtung festlegt …

Der Gerichtshof hat außerdem entschieden, dass eine Bestimmung einer Richtlinie auch dann, wenn die Richtlinie den Mitgliedstaaten einen gewissen Gestaltungsspielraum beim Erlass der Durchführungsvorschriften lässt, als unbedingt und genau angesehen werden kann, wenn sie den Mitgliedstaaten unmissverständlich eine Verpflichtung zur Erreichung eines bestimmten Ergebnisses auferlegt, die im Hinblick auf die Anwendung der dort aufgestellten Regel durch keinerlei Bedingungen eingeschränkt ist …“(11).

19.      Dies ist der Kontext, in dem die vierte und die fünfte Vorlagefrage zu würdigen sind.

 Zur Anwendung in der vorliegenden Rechtssache

20.      Reprobel sowie die belgische und die französische Regierung sind der Ansicht, dass in Anbetracht des weiten Spielraums, der den Mitgliedstaaten bei der Gestaltung des Systems des gerechten Ausgleichs, von dem in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 die Rede sei, und dessen Finanzierung offenstehe, diese Bestimmungen nicht unbedingt und hinreichend genau seien, um ihnen unmittelbare Wirkung gemäß der vorstehend angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofs zusprechen zu können.

21.      Diese These erscheint fragwürdig, da diese Bestimmungen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs den Mitgliedstaaten, die die darin vorgesehenen Ausnahmen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht in ihr nationales Recht eingeführt haben, eine Ergebnispflicht in dem Sinne auferlegen, dass diese Staaten eine wirksame Erhebung des gerechten Ausgleichs sicherstellen müssen(12), wobei dieser Ausgleich auf der Grundlage des Kriteriums des Nachteils, der den Rechtsinhabern entstanden ist, berechnet werden muss(13) und seine finanzielle Last grundsätzlich die Endnutzer zu tragen haben(14). Der Gerichtshof hatte mithin keine größeren Schwierigkeiten damit, in den in Rede stehenden Bestimmungen genaue und unbedingte Regelungen über die Art und Weise der Gestaltung des gerechten Ausgleichs zu erkennen, den diese vorsehen.

22.      Vor allem aber, und zwar unabhängig davon, ob die Verpflichtung zur Einführung eines solchen Ausgleichs selbst die Kriterien der unmittelbaren Wirkung gemäß Nr. 18 der vorliegenden Schlussanträge erfüllt, ist das von den angeführten Parteien dargelegte Argument meines Erachtens im Kontext der vorliegenden Rechtssache völlig verfehlt. Es geht nämlich nicht um die Feststellung der unmittelbaren Wirkung der Bestimmungen der Richtlinie 2011/29 in abstracto, sondern im Zusammenhang mit dem Ausgangsrechtsstreit. In diesem Verfahren geht es aber nicht um die Auszahlung eines gerechten Ausgleichs unmittelbar auf der Grundlage der angeführten Bestimmungen, sondern um das Recht von Copaco, die Zahlung der Abgabe zu verweigern, die der Finanzierung dieses Ausgleichs dient und die in einer Weise erhoben wird, die gegen die Bestimmungen dieser Richtlinie verstößt (im Folgenden: streitige Gebühr).

23.      Bei der Prüfung der Frage der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts sind alle Normen, d. h. rechtliche Regelungen, zu berücksichtigen, die sich aus diesem Recht ergeben und aus denen Einzelne genau bestimmte und unbedingte Rechte gegen den Staat ableiten. Diese Regelungen müssen sich dabei nicht unmittelbar aus dem Wortlaut der Bestimmungen ergeben, sondern können im Wege der Auslegung, insbesondere der Auslegung durch den Gerichtshof, ermittelt werden. Wie Copaco nämlich zutreffend anmerkt, erläutert der Gerichtshof durch die Auslegung der Unionsrechtsvorschriften, die er im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens vornimmt, die Bedeutung und die Wirkungen dieser Vorschriften und verdeutlicht, wie diese seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden sind, so dass diese Auslegung bei der Prüfung zu berücksichtigen ist, ob eine Bestimmung hinreichend genau ist, um ihr eine unmittelbare Wirkung zuzusprechen(15).

24.      Aus Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 ergeben sich insbesondere drei rechtliche Normen: erstens das Recht der Mitgliedstaaten, die in diesen Bestimmungen vorgesehenen Ausnahmen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht einzuführen – diese Norm ist fakultativ; zweitens das Gebot, einen gerechten Ausgleich für die Inhaber dieses Vervielfältigungsrechts zu schaffen – diese Norm ist für die Mitgliedstaaten bindend, die solche Ausnahmen eingeführt haben; drittens schließlich eine Reihe von Normen, die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergeben und die Grundsätze regeln, denen dieser gerechte Ausgleich entsprechen muss. Die Mitgliedstaaten sind mithin nicht verpflichtet, die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Ausnahmen in ihr nationales Recht einzuführen. Wenn sie es aber tun, dann müssen sie auch einen gerechten Ausgleich gemäß diesen Bestimmungen vorsehen, wobei sie durch die Grundsätze gebunden sind, die die Gestaltung und die Finanzierung dieses Ausgleichs betreffen und die sich nach Ansicht des Gerichtshofs aus den in Rede stehenden Bestimmungen ergeben.

25.      Zu diesen Grundsätzen zählen Regeln negativer Natur, die der Gerichtshof im Urteil Hewlett-Packard Belgium konkret in Bezug auf die in Belgien geltende Art und Weise der Erhebung der streitigen Gebühr aufgestellt hat. Nach diesem Urteil darf der gerechte Ausgleich, von dem in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 die Rede ist, nicht in der Weise finanziert werden, dass eine Vergütung erhoben wird, die sich aus einer Pauschalvergütung und einer anteiligen Vergütung zusammensetzt, wenn die Pauschalvergütung allein anhand der Geschwindigkeit, mit der das betreffende Gerät Vervielfältigungen vornehmen kann, berechnet wird, die anteilige Vergütung davon abhängt, ob der Vergütungspflichtige an der Einziehung dieser Vergütung mitgewirkt hat, und das System insgesamt nicht mit Mechanismen, u. a. für die Rückerstattung, ausgestattet ist, die eine ergänzende Anwendung der Kriterien des tatsächlichen Nachteils und des pauschal ermittelten Nachteils hinsichtlich der verschiedenen Kategorien von Nutzern erlauben(16). Die Merkmale der vorstehend beschriebenen Gebühr entsprechen denen der streitigen Gebühr. Auf diese Normen, die sich aus der Auslegung von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 durch den Gerichtshof ergeben, beruft sich Copaco, und die unmittelbare Wirkung dieser Normen ist Gegenstand der vierten Vorlagefrage.

26.      Die Unbedingtheit der vorstehenden Normen für den Mitgliedstaat, der die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 vorgesehen Ausnahmen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht eingeführt hat, weckt keine Zweifel. Fraglich bleibt jedoch, ob diese Normen hinreichend genau sind, um ihnen eine unmittelbare Wirkung zuzusprechen.

27.      Bei der Prüfung der Normen des Unionsrechts in Bezug auf ihre hinreichende Genauigkeit bestimmt der Gerichtshof den durch sie berechtigten und verpflichteten Personenkreis sowie den Inhalt der Rechte, die sich aus ihnen ergeben(17). Ich gehe zunächst auf die letztgenannte Frage ein.

28.      Die angeführten Rechtsnormen verbieten es den Mitgliedstaaten, eine Gebühr zu Zwecken der Finanzierung eines gerechten Ausgleichs gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 von der Art einzuführen, wie sie in Nr. 4 des Tenors des Urteils Hewlett-Packard Belgium beschrieben ist. Der Gerichtshof hat bereits im Urteil van Gend & Loos(18) entschieden, dass ein derartiges Verbot, d. h. die einem Mitgliedstaat obliegende Verpflichtung, etwas zu unterlassen, positive Rechte auf Seiten der Einzelnen begründen kann.

29.      Was die Gebühr zu Zwecken der Finanzierung eines gerechten Ausgleichs angeht, können Einzelne die Tragung der finanziellen Last einer solchen Gebühr ablehnen, wenn sie unter einer Verletzung der Grundsätze erhoben wird, die sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs aus Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29(19) ergeben. Es trifft zu, dass der Gerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung die Notwendigkeit betont hat, im System des gerechten Ausgleichs das Recht auf Rückerstattung einer Gebühr vorzusehen, die unberechtigterweise zu Zwecken der Finanzierung eines solchen Ausgleichs erhoben worden ist. Es liegt jedoch meines Erachtens auf der Hand, dass Einzelne die Zahlung einer solchen Gebühr verweigern können, wenn die Zahlung noch nicht erfolgt ist und die Unvereinbarkeit des nationalen Systems zur Schaffung eines gerechten Ausgleichs mit den angeführten Bestimmungen der Richtlinie 2001/29 klar aus einem bereits erlassenen Urteil des Gerichtshofs hervorgeht und durch die Rechtsprechung der nationalen Gerichte bestätigt wurde. Eine Verpflichtung des Betroffenen in dieser Situation, die Gebühr zu entrichten und anschließend auf ihre Erstattung zu warten, wäre nämlich unlogisch und würde übermäßig die Wahrnehmung der Rechte erschweren, die ihm gemäß den Unionsrechtsvorschriften zustehen.

30.      Folglich ist anzunehmen, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29, wie er im Urteil Hewlett-Packard Belgium ausgelegt worden ist, Einzelnen ein unbedingtes und hinreichend genau bestimmtes Recht gewährt, die Zahlung der Gebühr zu verweigern, die der Finanzierung des in dieser Bestimmung vorgesehenen gerechten Ausgleichs dienen soll, wenn diese Gebühr die Kriterien erfüllt, von denen in Nr. 4 des Tenors dieses Urteils die Rede ist.

31.      Was den Kreis der zu einer solchen Weigerung Berechtigten angeht, so ist dieser ebenso genau bestimmt – er umfasst nämlich jeden Wirtschaftsteilnehmer, der zur Entrichtung der oben genannten Gebühr verpflichtet ist. Ebenso wenig Zweifel weckt die Bestimmung des Verpflichteten. Es sind nämlich die Mitgliedstaaten, die gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 berechtigt sind, die dort vorgesehenen Ausnahmen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht in ihren Rechtsordnungen einzuführen, so dass auch sie verpflichtet sind, einen gerechten Ausgleich dafür zu schaffen und ein System seiner Finanzierung zu errichten. Daher sind die Mitgliedstaaten auch notwendigerweise diejenigen, die alle Pflichten – sowohl die negativen als auch die positiven – treffen, die mit der Errichtung eines solchen Systems einhergehen und sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergeben, u. a. das Verbot der Erhebung von Gebühren, die den angeführten Bestimmungen der Richtlinie 2001/29 zuwiderlaufen.

32.      Im vorliegenden Rechtsstreit ergab sich die Unvereinbarkeit der belgischen Vorschriften in der im Ausgangsverfahren geltenden Fassung, die die streitige Gebühr eingeführt hatten, mit Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 eindeutig aus dem Urteil Hewlett-Packard Belgium, was die Änderung dieser Vorschriften zur Folge gehabt hat. Die angeführten Bestimmungen der Richtlinie sind folglich unter Berücksichtigung ihrer durch den Gerichtshof vorgenommenen Auslegung hinreichend genau und unbedingt, um die Unvereinbarkeit der nationalen Rechtsvorschriften mit ihnen festzustellen(20). Wie Copaco mithin zutreffend darlegt, ist es Sache des vorlegenden Gerichts, diese nationalen Rechtsvorschriften unberücksichtigt zu lassen und die Unbegründetheit der darauf gestützten Forderung von Reprobel festzustellen.

Antwort auf die Fragen

33.      In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen schlage ich vor, die vierte und die fünfte Vorlagefrage dahin zu beantworten, dass Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 unmittelbare Wirkung zukommt, so dass sich der Einzelne vor einem nationalen Gericht darauf berufen kann, um die Zahlung einer Abgabe zu verweigern, die der Finanzierung des gerechten Ausgleichs dient, wenn diese Abgabe auf der Grundlage nationaler Rechtsvorschriften erhoben wird, die mit den angeführten Bestimmungen der Richtlinie 2001/29, insbesondere mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu ihrer Auslegung, unvereinbar sind.

34.      Im Kontext des Ausgangsverfahrens muss daraus selbstverständlich der Schluss gezogen werden, dass Reprobel als eine dem belgischen Staat zuzurechnende Einrichtung angesehen werden kann, was uns zur Prüfung der ersten drei Vorlagefragen führt.

Zu den Vorlagefragen 1  bis 3

35.      Mit seinen Vorlagefragen 1 bis 3, deren gemeinsame Prüfung ich vorschlage, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob sich Einzelne einer Einrichtung gegenüber, die ein Mitgliedstaat mit der Erhebung einer Abgabe betraut hat, die auf die Finanzierung des gerechten Ausgleichs im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 und auf die Auszahlung dieses Ausgleichs an die Rechtsinhaber abzielt und die zu Zwecken der Wahrnehmung ihrer Aufgaben mit besonderen Rechten ausgestattet ist, unmittelbar auf Bestimmungen des Unionsrechts berufen können, um die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften, die diesem Recht zuwiderlaufen, ihnen gegenüber auszuschließen.

36.      Im Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass Reprobel keine Einrichtung des belgischen Staates ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs können sich Einzelne jedoch unmittelbar auf Unionsrechtsvorschriften nicht nur gegenüber den Mitgliedstaaten und ihren Einrichtungen im engeren Sinne berufen, sondern auch – insbesondere – gegenüber Einrichtungen, die Aufgaben im öffentlichen Interesse wahrnehmen und die hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über das hinausgehen, was für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt(21). Es ist dabei nicht erforderlich, dass diese Einrichtungen staatlicher Kontrolle oder Aufsicht unterliegen(22).

37.      Generalanwältin Sharpston(23) und Generalanwalt Emiliou(24) haben sich vor kurzem eingehend mit diesen Kriterien befasst. Ich werde hier nicht ihre sehr aufschlussreichen theoretischen Erwägungen zu dieser Frege wiederholen – insoweit verweise ich auf die Lektüre der angeführten Schlussanträge. Indes werde ich mich auf Fragen beschränken, die mit den Besonderheiten des vorliegenden Sachverhalts zusammenhängen.

Zur Wahrnehmung von Aufgaben im öffentlichen Interesse

38.      Reprobel ist weder eine Einrichtung des öffentlichen Rechts noch wird sie vom belgischen Staat in einer Weise kontrolliert, die die Annahme begründen würde, sie sei strukturell in diesen eingebunden. Daher ist zu erwägen, ob sie Aufgaben im öffentlichen Interesse wahrnimmt und hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über das hinausgehen, was für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt.

39.      Wie ich bereits erwähnt habe, sind die Mitgliedstaaten gemäß Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 berechtigt, in ihren Rechtsordnungen die dort vorgesehenen Ausnahmen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht einzuführen, und sie sind es auch, die einen gerechten Ausgleich dafür schaffen und ein System der Finanzierung dieses Ausgleichs errichten müssen(25). Der Gerichtshof hat entschieden, dass die wirtschaftliche Last dieser Finanzierung grundsätzlich die Endnutzer zu tragen haben, die durch diese Ausnahmen berechtigt werden. In Anbetracht der praktischen Schwierigkeiten, diese Nutzer zu identifizieren, steht es den Mitgliedstaaten jedoch frei, ein System zu errichten, in dessen Rahmen diese Last auf die Hersteller und Vertriebshändler der Geräte und Träger, die das Kopieren von Werken und sonstigen Schutzgegenständen des Vervielfältigungsrechts ermöglichen, oder auf die Dienstleister umgelegt wird, die Vervielfältigungsdienstleistungen anbieten; diese legen die finanzielle Last wiederum auf die Endnutzer – wie es scheint im Preis dieser Geräte und Träger oder Dienstleistungen – um(26).

40.      In diesem Kontext sei zudem darauf hingewiesen, dass der Nachteil, den die Inhaber des Vervielfältigungsrechts erleiden, zum erheblichen Teil hypothetisch ist, insbesondere was die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 vorgesehene Ausnahme angeht. Es wäre für die Rechtsinhaber nämlich überaus schwierig, dieses Recht in Bezug auf Handlungen geltend zu machen, die die Nutzer im privaten Bereich vornehmen und die sie als natürliche Nutzung einer legal erworbenen Kopie eines Werks betrachten. Die Einführung der angeführten Ausnahmen in Bezug auf dieses Recht ist mithin ein Element der öffentlichen Politik. Im Rahmen dieser Politik legalisiert der Staat einerseits Handlungen, die die Nutzer ohnehin – unabhängig von der Frage ihrer Rechtmäßigkeit – vornehmen würden, da nur ein geringes Risiko besteht, entdeckt und zur Verantwortung gezogen zu werden. Andererseits sichert der Staat den Rechtsinhabern Einnahmen, deren Erhebung unmittelbar von den Nutzern häufig sehr schwierig wäre.

41.      Bei der auf diese Weise erhobenen Gebühr handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Gebühr auf Kopiergeräte und Träger, die von allen Erwerbern solcher Geräte und Träger oder Dienstleistungen zu entrichten ist, die dazu berechtigt sind, die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Ausnahmen in Anspruch zu nehmen(27). Sie hängt mithin nicht von der tatsächlichen Inanspruchnahme der angeführten Ausnahmen durch die Nutzer ab. Wie nämlich der Gerichtshof entschieden hat, ist davon auszugehen, dass sie die ihnen insoweit zustehenden Rechte in vollem Umfang in Anspruch nehmen(28). Was die Mitgliedstaaten angeht, die eine Gebühr auf Geräte und Träger vorsehen, so müssen diese die Gebühr in einer Höhe festsetzen, die den tatsächlichen Nachteil kompensiert, die die Inhaber des Urheberrechts und verwandter Schutzrechte wegen dieser Ausnahmen erleiden(29).

42.      Es handelt sich vorliegend mithin nicht um einen Austausch gegenseitiger Leistungen zwischen den Endnutzern und jenen Rechtsinhabern, sondern um eine Regelung, die erga omnes gilt, wonach jede Person, die die angeführten Ausnahmen betreffen, berechtigt ist, Handlungen vorzunehmen, die von den Ausnahmen in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 umfasst sind, wobei die Rechtsinhaber im Gegenzug einen Ausgleich für den erlittenen Nachteil erhalten, dessen Höhe pauschal bestimmt und durch die Gebühren finanziert wird, die alle Erwerber von Geräten und Trägern, die zum Kopieren dienen, sowie Empfänger von Vervielfältigungsdienstleistungen entrichten, die zur Inanspruchnahme der angeführten Ausnahmen berechtigt sind. Die Erhebung dieser Gebühr und die Auszahlung eines gerechten Ausgleichs an die Rechtsinhaber ist mithin eine Aufgabe, die im öffentlichen Interesse wahrgenommen wird.

43.      Aus diesem Grund greift das Argument von Reprobel nicht, sie sei eine Verwertungsgesellschaft für Urheberrechte und verwandte Schutzrechte. Möglicherweise ist sie zugleich eine Verwertungsgesellschaft. Dies ändert aber nichts an dem Umstand, dass sie bei der Erhebung der streitigen Gebühr und Auszahlung des gerechten Ausgleichs im öffentlichen Interesse und nicht zu Zwecken der Verwaltung ausschließlicher Rechte handelt. Die Inhaber der Urheber- und verwandter Schutzrechte beauftragen sie nämlich nicht eigenständig(30) mit der Verwertung des Vervielfältigungsrechts, da dieses Recht, soweit es den angeführten Ausnahmen unterliegt, überhaupt nicht existiert. Die Nutzer zahlen den Rechtsinhabern nämlich keine Vergütung für die tatsächliche Nutzung der Werke oder anderer Schutzgüter, da diese unentgeltlich erfolgt; vielmehr finanzieren sie in Form einer mittelbaren Steuer eigener Art eine Entschädigung für den Verlust der ausschließlichen Rechte durch die Inhaber(31).

44.      Die französische Regierung liegt daher mit ihrer Annahme falsch, Reprobel nehme keine Aufgabe im öffentlichen Interesse, sondern im privaten Interesse der Inhaber der Urheberrechte und verwandter Schutzrechte wahr. Die in den angeführten Bestimmungen der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Ausnahmen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht dienen dem öffentlichen Interesse, da sie darauf abzielen, natürlichen Personen ein allgemeines Recht zu gewähren, Werke und andere Schutzgegenstände für den privaten Gebrauch zu kopieren, ohne die Erlaubnis der Rechtsinhaber einholen zu müssen. Der gerechte Ausgleich für diese Rechtsinhaber ist das Korrelat zu diesem Recht und dient der Sicherstellung des entsprechenden Gleichgewichts zwischen den Interessen der Beteiligten, was durchaus im öffentlichen Interesse liegt.

Zur Frage der besonderen Rechte

45.      Was die besonderen Rechte einer Einrichtung wie Reprobel angeht, die über das hinausgehen, was in Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt, ist die grundlegende Befugnis dieser Art in dem Recht selbst zu sehen, von den Herstellern und Vertriebshändlern von Geräten und Trägern, die zum Kopieren dienen, die Zahlung der streitigen Gebühr fordern zu können. In Beziehungen zwischen Privatpersonen, die auf dem Grundsatz der Gleichrangigkeit der Parteien beruhen, steht ein Zahlungsanspruch immer im Zusammenhang mit einem bestimmten rechtlichen Ereignis, wie einem Vertrag, einer unerlaubten Handlung oder einem anderen Ereignis, in dessen Folge ein Rechtsverhältnis zwischen zwei oder mehreren namentlich bestimmten Personen entsteht. Der Einrichtung, die zur Erhebung der streitigen Gebühr berechtigt ist, steht hingegen kraft Gesetzes ein Zahlungsanspruch gegen jede Person zu, die zu dem abstrakt bestimmten Kreis der Verpflichteten gehört. Es handelt sich mithin um ein Hoheitsrecht des Staates.

46.      Dabei ist die Lage einer solchen Einrichtung von der Lage jener Hersteller und Vertriebshändler zu unterscheiden, die nur eine tatsächliche Möglichkeit haben, die finanzielle Last der angeführten Gebühr – im Vertragswege über den Preis der verkauften Geräte und Träger – auf ihre Kunden abzuwälzen. Ähnliches gilt für jeden Verkäufer beliebiger Waren, der – natürlich unter dem Vorbehalt der Marktgegebenheiten – die Möglichkeit hat, über den Preis seiner Ware die Kosten ihrer Herstellung oder Erwerbs sowie die öffentlichen Abgaben, insbesondere die indirekten Steuern, zu kompensieren. So sind die Hersteller und Vertriebshändler zwar an der Umsetzung der im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe beteiligt, von der hier die Rede ist, doch treten sie dabei aus rechtlicher Sicht nur als Verpflichtete zur Erbringung bestimmter Leistungen auf und es stehen ihnen keine besonderen Rechte zu, die über das hinausgehen, was in Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt.

47.      Ohne Bedeutung ist dabei der Umstand, den Reprobel und die belgische Regierung anführen, dass nicht diese Gesellschaft, sondern Hoheitsträger die Höhe der streitigen Gebühr festlegten. Die Wahrnehmung von Aufgaben im öffentlichen Interesse bedeutet weder, dass die Einrichtung, die diese Aufgaben wahrnimmt, alle Aspekte dieser Aufgaben „von A bis Z“ selbständig bestimmt, noch, dass ihre besonderen Rechte diskretionärer Natur sein müssen. Im Gegenteil, die Wahrnehmung anvertrauter Aufgaben setzt definitionsmäßig voraus, dass der Auftraggeber die Grenzen der Tätigkeit des Auftragnehmers festlegt. Die Begrenzung des Handlungsspielraums einer Einrichtung, die Aufgaben im öffentlichen Interesse wahrnimmt, durch die Hoheitsträger bestätigt vielmehr, dass diese Einrichtung im Namen des Staates tätig wird und eine diesem Staat zuzurechnende Einrichtung im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Frage der unmittelbaren Wirkung des Unionsrechts darstellt.

48.      Im Übrigen ist dies ein zweischneidiges Argument, denn, wenn wir annehmen, dass Reprobel nur automatisch die Vorschriften ausführt, die der belgische Staat aufgestellt hat, und insoweit über keine eigenen Rechte verfügt, müsste der Ausgangsrechtsstreit erst recht als ein vertikaler angesehen, d. h. zwischen Copaco und diesem Staat. Wie diese Gesellschaft nämlich zutreffend anmerkt, wäre es völlig unlogisch anzunehmen, dass der König (d. h. der belgische Staat) die streitige Gebühr nicht erheben darf, Reprobel aber, die seine Weisungen willenlos zu befolgen hat, dazu berechtigt sein soll.

49.      Die Befugnis, in rechtlich verbindlicher Weise die Zahlung der streitigen Gebühr fordern zu können, ist ein besonderes Recht von Reprobel, das über das hinausgeht, was in Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt, wobei meines Erachtens schon dieses Recht genügt, um diese Gesellschaft als eine dem belgischen Staat zuzurechnende Einrichtung anzusehen. Entscheidend ist dabei, dass sich dieses Recht unmittelbar aus dem Gesetz ergibt und nicht auf individuellen Rechtsbeziehungen dieser Gesellschaft mit den verpflichteten Wirtschaftsteilnehmern beruht.

50.      Zum Zweck der Wahrnehmung der ihr anvertrauten und dem öffentlichen Interesse dienenden Aufgabe verfügt Reprobel zudem über eine Reihe von Auskunftsrechten. Sie hat erstens das Recht, sowohl bei den zur Zahlung der streitigen Gebühr Verpflichteten als auch bei anderen Wirtschaftsteilnehmer, die auf dem Markt für Kopiergeräte (wie Unternehmen, die sich mit der Wartung solcher Geräte befassen) tätig sind, alle Auskünfte einzuholen, die erforderlich sind, um den Kreis der Verpflichteten und die Höhe der von ihnen geschuldeten Beträge zu bestimmen. Diese Wirtschaftsteilnehmer sind unter Strafandrohung verpflichtet, die betreffenden Auskünfte zu erteilen.

51.      Dieses Recht geht über das hinaus, was in Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt. Normalerweise ist nämlich niemand dazu verpflichtet, Dritten unter Strafandrohung Auskünfte über die eigene und erst recht eine fremde wirtschaftliche Tätigkeit zu erteilen. Im Gegenteil, solche Informationen sind vielfach als Betriebsgeheimnis geschützt, dessen Offenbarung nur unter besonderen Umständen und aufgrund besonderer Vorschriften gefordert werden kann, z. B. in Steuerangelegenheiten oder bei einer Bilanzprüfung bzw. im Rahmen eines Rechtsverhältnisses, das eine Privatperson mit einem bestimmten anderen Wirtschaftsteilnehmer verbindet.

52.      Unzutreffend ist daher das von der belgischen Regierung vorgebrachte Argument, wonach die Lage von Reprobel mit der einer Bank vergleichbar sei, die ebenfalls weitreichende Auskünfte über die finanzielle Lage ihrer Kunden anfordern könne. Der Unterschied ist gerade darin zu sehen, dass die Bank solche Auskünfte nur von ihren Kunden verlangen kann, die freiwillig einen Vertrag mit der Bank geschlossen haben oder zu schließen beabsichtigen, wobei die einzige Sanktion für die Nichterteilung dieser Auskünfte der Nichtabschluss des Vertrags oder seine Auflösung sein kann(32). Keine Bank ist berechtigt, irgendwelche Auskünfte von Personen zu fordern, mit denen sie keine rechtliche Beziehung verbindet. Die Hersteller und die Vertriebshändler von Kopiergeräten und ‑trägern sind hingegen zur Auskunftserteilung gegenüber Reprobel kraft gesetzlicher Bestimmungen verpflichtet, ohne dass die Eingehung irgendeines Rechtsverhältnisses zu ihr erforderlich wäre.

53.      Ohne Bedeutung ist auch der Umstand, auf den Reprobel und die belgische Regierung hinweisen, dass diese Gesellschaft nicht befugt sei, Wirtschaftsteilnehmer zu sanktionieren, die ihrer Verpflichtung zur Auskunftserteilung nicht nachkämen. Nach den Kriterien im Urteil Foster ist es nicht erforderlich, dass die Einrichtung, die öffentliche Aufgaben wahrnimmt, über alle Rechte verfügt, die für gewöhnlich den Staatsorganen zustehen, insbesondere über das Recht zur Verhängung von Sanktionen. Bei Nichterfüllung der Auskunftspflichten gegenüber Reprobel drohen nach den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen strafrechtliche Sanktionen, die naturgemäß nur von den Gerichten verhängt werden können. Zum anderen zeigt allein schon die Existenz dieser Sanktionen, dass die in Rede stehenden Rechte dieser Gesellschaft besonderer Art sind.

54.      Zweitens ist Reprobel berechtigt, die zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben erforderlichen Auskünfte von der Zollverwaltung, der Steuerverwaltung und den Sozialversicherungsträgern einzuholen. Auch dieses Recht geht über das hinaus, was in Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt. Selbst die weitreichendste Offenlegung des Gesellschaftslebens geht nicht so weit, dass Privatpersonen bei solchen Einrichtungen Auskünfte über andere Privatpersonen einholen könnten, mit Ausnahme von Angaben, die grundsätzlich öffentlich sind, wie etwa die Registrierung zu Zwecken der Mehrwertsteuer. Solche Auskünfte genügen jedoch nicht, um die Aufgaben wahrzunehmen, die Reprobel anvertraut worden sind, so dass es sich um weitergehende Auskünfte handeln muss, wie etwa über den Umfang des Imports von Kopiergeräten oder Trägern bzw. die Höhe der Umsätze der Hersteller oder Vertriebshändler solcher Geräte und Träger. Solche Auskünfte erteilen die öffentlichen Behörden jedoch nicht an Wirtschaftsteilnehmer, die über keine besonderen Rechte verfügen.

55.      Erneut unbegründet sind an dieser Stelle die Argumente der französischen Regierung, die darlegt, das Recht von Reprobel zur Einholung von Auskünften bei den öffentlichen Hoheitsträgern betreffe nicht ihr Verhältnis zu den Wirtschaftsteilnehmern, die zur Zahlung der streitigen Gebühr verpflichtet seien, wie dies im Urteil Foster gefordert werde. Erstens wird weder in diesem Urteil noch in der späteren Rechtsprechung des Gerichtshofs gefordert, dass die besonderen Rechte der Einrichtung, die Aufgaben im öffentlichen Interesse wahrnimmt, eng und ausschließlich die unmittelbaren Beziehungen dieser Einrichtung mit dem betreffenden Wirtschaftsteilnehmer betreffen müssen. Diese Rechte müssen dieser Einrichtung zu dem Zweck eingeräumt worden sein, die ihr anvertrauten und im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben wahrzunehmen(33). Zweitens kann nicht ernsthaft behauptet werden, wie es die französische Regierung tut, dass das Recht von Reprobel auf Einholung von Auskünften von der Zoll- und Steuerverwaltung die Verhältnisse dieser Gesellschaft zu diesen Behörden und nicht zu den aufgrund der streitigen Gebühr Verpflichteten betreffe. Reprobel hat das Recht, Auskünfte nicht über die eigene steuerliche oder zollrechtliche Lage zu erhalten, sondern über die Tätigkeit der verpflichteten Wirtschaftsteilnehmer, und zwar zu dem Zweck, die Höhe der von ihnen geschuldeten streitigen Gebühr zu bestimmen. Es liegt auf der Hand, dass es dabei um ihre Beziehungen zu diesen Wirtschaftsteilnehmern geht.

Zusammenfassung

56.      Die vorstehenden Erwägungen führen mich zu dem Schluss, dass Reprobel die sogenannten „Kriterien des Urteils Foster“ erfüllt, da sie eine Aufgabe im öffentlichen Interesse wahrnimmt und zu diesem Zweck mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über das hinausgehen, was für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt.

57.      Diese Schlussfolgerung lässt sich verallgemeinern. Die Einführung der in Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Ausnahmen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht im nationalen Recht ist staatliches Handeln im öffentlichen Interesse, und zwar im Interesse aller Nutzer von Werken und anderen durch dieses Recht geschützten Gütern, bei denen es sich um natürliche Personen handelt. Ebenso ein Handeln im öffentlichen Interesse stellt die Auszahlung des gerechten Ausgleichs, von dem in denselben Bestimmungen die Rede ist, an die Rechtsinhaber sowie die Gestaltung der Finanzierung dieses Ausgleichs dar, insbesondere durch eine Gebühr oder ein anderes Entgelt, das von den Herstellern oder Vertriebshändlern der Geräte und Träger erhoben wird, die es erlauben, die angeführten Ausnahmen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht in Anspruch zu nehmen. Folglich nimmt auch eine Einrichtung, der die Erhebung einer solchen Abgabe und die Auszahlung des gerechten Ausgleichs an die Rechtsinhaber anvertraut wurde, eine im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe wahr. Notwendigerweise verfügt diese Einrichtung zu diesem Zweck über besondere Rechte, die über das hinausgehen, was in Beziehungen zwischen Privatpersonen gilt, angefangen mit dem Recht, die Zahlung dieser Abgabe fordern zu können(34). Einzelne können sich mithin in einem Rechtsstreit mit dieser Einrichtung unmittelbar auf das Unionsrecht berufen und die Nichtanwendung der nationalen Rechtsvorschriften fordern, die diesem Recht zuwiderlaufen.

58.      Ich schlage daher vor, die Vorlagefragen 1 bis 3 dahin zu beantworten, dass sich Einzelne einer Einrichtung gegenüber, die ein Mitgliedstaat mit der Erhebung einer Abgabe betraut hat, die auf die Finanzierung des gerechten Ausgleichs im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 und auf die Auszahlung dieses Ausgleichs an die Rechtsinhaber abzielt und die zu Zwecken der Wahrnehmung ihrer Aufgaben mit besonderen Rechten ausgestattet ist, unmittelbar auf Bestimmungen des Unionsrechts berufen können, um die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften, die diesem Recht zuwiderlaufen, ihnen gegenüber auszuschließen.

59.      Ergebnis

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die von der Ondernemingsrechtbank Gent Afdeling Gent (Unternehmensgericht Gent, Abteilung Gent, Belgien) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.      Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft kommt unmittelbare Wirkung zu, so dass sich der Einzelne vor einem nationalen Gericht darauf berufen kann, um die Zahlung einer Abgabe zu verweigern, die der Finanzierung des gerechten Ausgleichs dient, wenn diese Abgabe auf der Grundlage nationaler Rechtsvorschriften erhoben wird, die mit den angeführten Bestimmungen der Richtlinie 2001/29, insbesondere mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu ihrer Auslegung, unvereinbar sind.

2.      Einzelne können sich einer Einrichtung gegenüber, die ein Mitgliedstaat mit der Erhebung einer Abgabe betraut hat, die auf die Finanzierung des gerechten Ausgleichs im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b der Richtlinie 2001/29 und auf die Auszahlung dieses Ausgleichs an die Rechtsinhaber abzielt und die zu Zwecken der Wahrnehmung ihrer Aufgaben mit besonderen Rechten ausgestattet ist, unmittelbar auf Bestimmungen des Unionsrechts berufen, um die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften, die diesem Recht zuwiderlaufen, ihnen gegenüber auszuschließen.


1      Originalsprache: Polnisch.


2      Vgl. das kürzlich erlassene Urteil vom 11. April 2024, Gabel Industria Tessile und Canavesi (C‑316/22, EU:C:2024:301) sowie die Schlussanträge des Generalanwalts Emiliou in der Rechtssache Gabel Industria Tessile und Canavesi (C‑316/22, EU:C:2023:885).


3      ABl. 2001, L 167, S. 10.


4      Belgisch Staatsblad vom 27. Juli 1994, S. 19297.


5      Belgisch Staatsblad vom 7. November 1997, S. 29874.


6      Belgisch Staatsblad vom 7. November 1997, S. 29873.


7      Urteil vom 12. November 2015 (C‑572/13, im Folgenden: Urteil Hewlett-Packard Belgium, EU:C:2015:750).


8      Urteil Hewlett-Packard Belgium. Nr. 4 des Tenors.


9      Urteil vom 5. Februar 1963 (26/62, EU:C:1963:1).


10      Urteil vom 4. Dezember 1974 (41/74, EU:C:1974:133).


11      Urteil vom 8. März 2022, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld (Unmittelbare Wirkung) (C‑205/20, EU:C:2022:168, Rn. 17 bis 19).


12      Urteil vom 9. Februar 2012, Luksan (C‑277/10, EU:C:2012:65, Rn. 106).


13      Urteil vom 21. Oktober 2010, Padawan (C‑467/08, EU:C:2010:620, Rn. 42).


14      Urteil vom 16. Juni 2011, Stichting de Thuiskopie (C‑462/09, EU:C:2011:397, Rn. 29).


15      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. September 2016, Microsoft Mobile Sales International u. a. (C‑110/15, EU:C:2016:717, Rn. 59), sowie vom 6. September 2018, Hampshire (C‑17/17, EU:C:2018:674, Rn. 58 bis 60).


16      Urteil Hewlett-Packard Belgium, Nr. 4 des Tenors.


17      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. September 2018, Hampshire (C‑17/17, EU:C:2018:674, Rn. 56).


18      Urteil vom 5. Februar 1963 (26/62, EU:C:1963:1).


19      Vgl. insbesondere Urteil Hewlett-Packard Belgium, Rn. 85 bis 87, sowie Urteil vom 22. September 2016, Microsoft Mobile Sales International u. a. (C‑110/15, EU:C:2016:717, Rn. 37 sowie Rn. 54 und 55).


20      Genauer gesagt wurde die Voraussetzung für die Anwendung dieser Bestimmungen erfüllt, da das Königreich Belgien die darin vorgesehenen Ausnahmen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht in seiner nationalen Rechtsordnung eingeführt hat.


21      Vgl. Urteile vom 12. Juli 1990, Foster u. a. (C‑188/89, im Folgenden: Urteil Foster, EU:C:1990:313, Rn. 20), vom 10. Oktober 2017, Farrell (C‑413/15, EU:C:2017:745, Rn. 33 und 34). Dies sind die sogenannten „Kriterien des Urteils Foster“.


22      Vgl. Urteil vom 10. Oktober 2017, Farrell (C‑413/15, EU:C:2017:745, Rn. 27 bis 29).


23      Schlussanträge des Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Farrell (C‑413/15, EU:C:2017:492, Nrn. 35 bis 54 sowie 130 bis 147).


24      Schlussanträge des Generalanwalts Emiliou in der Rechtssache Gabel Industria Tessile und Canavesi (C‑316/22, EU:C:2023:885, Nrn. 33 bis 47).


25      Nr. 31 der vorliegenden Schlussanträge.


26      Urteil Hewlett-Packard Belgium, Rn. 69 und 70 sowie die dort angeführte Rechtsprechung.


27      Der Anwendungsbereich von Buchst. a und b des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 unterscheidet sich insoweit. Die Ausnahme in Buchst. b betrifft nur natürliche Personen, die eine Vervielfältigung für den privaten Gebrauch vornehmen, wohingegen Buchst. a alle Nutzerkategorien und Vervielfältigungen zu einem beliebigen Zweck umfasst (vgl. Urteil Hewlett-Packard Belgium, Rn. 30 bis 34).


28      Vgl. in diesem Sinne Urteil Hewlett-Packard Belgium, Rn. 36 und 85 sowie die dort angeführte Rechtsprechung.


29      Urteil Hewlett-Packard Belgium, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung.


30      Und auch nicht zwangsweise, wie es manchmal der Fall ist, wenn das Recht eine verpflichtende kollektive Verwertung vorsieht.


31      Die wegen der angeführten Ausnahmen in Bezug auf das ausschließliche Recht einen Nachteil erleiden, der nicht eintritt, wenn dieses Recht entgeltlich genutzt wird (vgl. das kürzlich ergangene Urteil vom 8. September 2022, Ametic, C‑263/21, EU:C:2022:644, Rn. 68).


32      Die Erteilung falscher Informationen kann als Betrug angesehen und zivil- oder strafrechtliche Verantwortlichkeit nach sich ziehen. Die Verpflichtung zur Erteilung der Auskünfte beruht jedoch weiterhin auf dem Rechtsverhältnis zwischen dem Kunden und der Bank.


33      Urteil Foster, Rn. 20.


34      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. September 2022, Ametic (C‑263/21, EU:C:2022:644, Rn. 68 bis 72).