Language of document : ECLI:EU:C:2023:1019

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

21. Dezember 2023(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Direkte Besteuerung – Art. 49 AEUV – Niederlassungsfreiheit – Einführung einer Steuer auf die Verbindlichkeiten von Kreditinstituten zur Finanzierung des nationalen Systems der sozialen Sicherheit – Behauptete Diskriminierung von Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute – Richtlinie 2014/59/EU – Rahmen für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen – Anwendungsbereich“

In der Rechtssache C‑340/22

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuersachen [Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren – CAAD], Portugal) mit Entscheidung vom 24. Mai 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Mai 2022, in dem Verfahren

Cofidis

gegen

Autoridade Tributária e Aduaneira

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter T. von Danwitz (Berichterstatter), P. G. Xuereb und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 20. April 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Cofidis, vertreten durch Rechtsanwalt P. Melcher sowie P. Núncio, D. Oda, F. Osório de Castro, A. Queiroz Martins und M. Teles, Advogados,

–        der portugiesischen Regierung, vertreten durch P. Barros da Costa, J. P. Cardoso da Costa, A. Pimenta und A. Rodrigues als Bevollmächtigte,

–        der spanischen Regierung, vertreten durch A. Ballesteros Panizo als Bevollmächtigten,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Armenia, P. Caro de Sousa, A. Nijenhuis und D. Triantafyllou als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Juli 2023

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 49 AEUV sowie der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2014, L 173, S. 190).

2        Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Cofidis, der portugiesischen Zweigstelle der Cofidis SA, eines Kreditinstituts mit Sitz in Frankreich, und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollverwaltung, Portugal) wegen eines Antrags auf Erstattung der von dieser Zweigstelle im Ramen der Adicional de Solidariedade sobre o Sector Bancário (zusätzliche Solidaritätsabgabe des Bankensektors) (im Folgenden: ASSB) entrichteten Beiträge.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

3        In den Erwägungsgründen 1, 5 und 103 der Richtlinie 2014/59 heißt es:

„(1)      Die Finanzkrise hat gezeigt, dass es auf der Ebene der [Europäischen] Union eindeutig an angemessenen Instrumenten für den wirksamen Umgang mit unsoliden oder ausfallenden Kreditinstituten und Wertpapierfirmen … mangelt. Derartige Instrumentarien werden vor allem zur Verhinderung einer Insolvenz benötigt oder, falls eine solche eintritt, zur Minimierung der negativen Auswirkungen, indem die systemisch wichtigen Funktionen des jeweiligen Instituts aufrechterhalten werden. Während der Krise trugen diese Herausforderungen wesentlich dazu bei, dass die Mitgliedstaaten Institute unter Rückgriff auf das Geld der Steuerzahler retten mussten. Ziel eines glaubwürdigen Sanierungs- und Abwicklungsrahmens ist es, solchen Maßnahmen so weit wie möglich vorzubeugen.

(5)      [Es] bedarf … eines Regelwerks, mit dem den Behörden ein zuverlässiges Instrumentarium an die Hand gegeben wird, das ihnen eine rechtzeitige und rasche Intervention bei einem unsoliden oder ausfallenden Institut ermöglicht, sodass der Fortbestand der kritischen Finanz- und Wirtschaftsfunktionen des Instituts sichergestellt wird und gleichzeitig die Auswirkungen des Ausfalls eines Instituts auf die Wirtschaft und das Finanzsystem so gering wie möglich gehalten werden. Durch das Regelwerk sollte sichergestellt werden, dass die Verluste zunächst von den Anteilseignern und erst danach von den Gläubigern getragen werden …

(103)      Es gibt Umstände, unter denen die Wirksamkeit der angewandten Abwicklungsinstrumente von der Verfügbarkeit einer kurzfristigen Finanzierung für ein Institut oder das Brückeninstitut, der Bereitstellung von Garantien für potenzielle Käufer bzw. der Bereitstellung von Kapital für das Brückeninstitut abhängen kann. Unbeschadet der Rolle der Zentralbanken, die dem Finanzsystem selbst in angespannten Zeiten Liquidität zur Verfügung stellen, ist es wichtig, dass die Mitgliedstaaten Finanzierungsmechanismen einrichten, mit denen verhindert wird, dass die erforderlichen Mittel aus den nationalen Haushalten finanziert werden. Vielmehr sollte die gesamte Finanzbranche die Stabilisierung des Finanzsystems finanzieren.“

4        Gemäß Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie legt diese Vorschriften und Verfahren für die Sanierung und Abwicklung der dort aufgezählten Unternehmen fest.

 Portugiesisches Recht

5        Mit Art. 18 und Anhang VI der Lei n° 27-A/2020, que aprova o Orçamento Suplementar para 2020 (Gesetz Nr. 27‑A/2020 zur Genehmigung des Nachtragshaushalts für 2020) vom 24. Juli 2020 (im Folgenden: Gesetz über den Nachtragshaushalt 2020) wurde die ASSB eingeführt.

6        Gemäß Art. 1 Abs. 2 und Art. 9 des Anhangs VI des Gesetzes über den Nachtragshaushalt 2020 wurde die ASSB eingeführt, um die Mechanismen zur Finanzierung des nationalen Systems der sozialen Sicherheit zu stärken, indem die Erträge dieser Abgabe vollständig dem Fundo de Estabilização Financeira da Segurança Social (Finanzstabilisierungsfonds der sozialen Sicherheit) zugeführt wurden. Nach diesen Bestimmungen soll die Einführung der ASSB die Befreiung des Bankensektors von der Mehrwertsteuer auf die meisten Finanzdienstleistungen ausgleichen, um die steuerliche Belastung dieses Sektors an die der anderen Wirtschaftssektoren anzugleichen.

7        Nach Art. 2 Abs. 1 des Anhangs VI unterliegen der ASSB erstens Kreditinstitute mit Sitz in Portugal (im Folgenden: gebietsansässige Kreditinstitute), zweitens portugiesische Tochtergesellschaften von Kreditinstituten mit Sitz im Hoheitsgebiet eines anderen Staates (im Folgenden: gebietsfremde Kreditinstitute) und drittens portugiesische Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute.

8        Art. 3 des Anhangs VI definiert den sachlichen Anwendungsbereich der ASSB wie folgt:

„Der ASSB unterliegen:

a)      die von den Abgabepflichtigen ermittelten und genehmigten Verbindlichkeiten, gegebenenfalls nach Abzug der zu den Eigenmitteln gehörenden Passivposten, der von der Garantie des Einlagensicherungsfonds, vom Garantiefonds auf Gegenseitigkeit für Agrarkredite oder von einem gemäß Art. 4 der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme [(ABl. 2014, L 173, S. 149)] offiziell anerkannten oder gemäß Art. 156 Abs. 1 Buchst. b der Allgemeinen Regelung für Kreditinstitute und Finanzunternehmen als gleichwertig angesehenen Einlagensicherungssystem erfassten Einlagen innerhalb der in den geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Grenzen sowie der Einlagen bei der Zentralkasse durch die dem integrierten Agrarkreditsystem angehörenden Agrarkreditbanken, in Einklang mit Art. 72 des Regime Jurídico do Crédito Agrícola Mútuo e das Cooperativas de Crédito Agrícola [Regelung für Agrarkredite auf Gegenseitigkeit und für Agrarkreditgenossenschaften], das als Anhang des Decreto-lei n° 24/91 [Gesetzesdekret Nr. 24/91] vom 11. Januar 1991 genehmigt wurde;

b)      der von den Abgabepflichtigen ermittelte Nominalwert außerbilanzieller derivativer Finanzinstrumente.“

9        Art. 4 des Anhangs VI über die Ermittlung der Besteuerungsgrundlage der ASSB bestimmt:

„1.      Unter Verbindlichkeiten im Sinne von Buchst. a des vorangehenden Artikels sind alle in der Bilanz ausgewiesenen Posten zu verstehen, die unabhängig von ihrer Form oder Modalität eine Schuld gegenüber Dritten darstellen, mit folgenden Ausnahmen:

a)      Posten, die nach den anwendbaren Rechnungslegungsstandards als Eigenmittel gelten;

b)      Verbindlichkeiten, die mit der Anerkennung von Verpflichtungen aus leistungsorientierten Plänen zusammenhängen;

c)      Einlagen, die durch den Einlagensicherungsfonds und den Garantiefonds auf Gegenseitigkeit für Agrarkredite gedeckt sind, nur in der durch diese Fonds gedeckten Höhe;

d)      Verbindlichkeiten aufgrund der Neubewertung derivativer Finanzinstrumente;

e)      transitorische Einnahmen außer Einnahmen, die Belastungstransaktionen betreffen; und

f)      Verbindlichkeiten für bei Verbriefungen nicht ausgebuchte Vermögenswerte.

2.      Für die Anwendung von Buchst. a des vorangehenden Absatzes gelten folgende Regeln:

a)      Der Wert der Eigenmittel einschließlich des Kernkapitals und des Ergänzungskapitals umfasst die Aktivposten, die zur Berechnung der Eigenmittel in Einklang mit den Bestimmungen in Teil 2 der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 648/2012 [(ABl. 2013, L 176, S. 1)] unter Berücksichtigung der Übergangsbestimmungen in Teil 10 der Verordnung Nr. 575/2013 herangezogen werden und zugleich dem Begriff der Verbindlichkeiten entsprechen, wie er im vorangehenden Absatz definiert worden ist;

b)      die von der Garantie des Einlagensicherungsfonds, vom Garantiefonds auf Gegenseitigkeit für Agrarkredite oder von einem gemäß Art. 4 der Richtlinie 2014/49/EU anerkannten oder gemäß Art. 156 Abs. 1 Buchst. b der Allgemeinen Regelung für Kreditinstitute und Finanzunternehmen als gleichwertig angesehenen Einlagensicherungssystem erfassten Einlagen sind innerhalb der in den geltenden Rechtsvorschriften vorgesehenen Grenzen nur in Höhe des durch diese Fonds tatsächlich gedeckten Betrags zu berücksichtigen.“

 Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

10      Die Klägerin des Ausgangsverfahrens ist eine portugiesische Zweigstelle eines Kreditinstituts, das seinen Sitz in Frankreich hat. Als Zweigstelle unterliegt sie der ASSB, einer Steuer auf den Bankensektor, die von der Portugiesischen Republik eingeführt wurde, um das nationale System der sozialen Sicherheit finanziell zu unterstützen und das Gleichgewicht zwischen der steuerlichen Belastung dieses Sektors, der von der Mehrwertsteuer auf die meisten Finanzdienstleistungen befreit ist, und der steuerlichen Belastung aller anderen Sektoren der portugiesischen Wirtschaft wiederherzustellen.

11      Am 11. Dezember 2020 nahm die Klägerin des Ausgangsverfahrens die Selbstveranlagung zur ASSB für das erste Halbjahr 2020 vor und zahlte hierfür einen Betrag von 364 229,67 Euro. Am 5. Januar 2021 legte die Klägerin jedoch bei der Steuerverwaltung Einspruch ein, um sich diesen Betrag erstatten zu lassen. Mit Bescheid vom 21. Mai 2021 lehnte die Steuerverwaltung den Einspruch ab.

12      Am 23. August 2021 erhob die Klägerin des Ausgangsverfahrens beim Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuersachen [Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren – CAAD], Portugal), dem vorlegenden Gericht, Klage gegen diese Entscheidung und machte u. a. geltend, die ASSB verstoße gegen das Unionsrecht.

13      Insbesondere verstoße die Einführung der ASSB gegen die Richtlinie 2014/59 und die ihrer Ansicht nach durch diese eingeführte Steuerharmonisierung in Bezug auf die Abwicklungsbeiträge von Kreditinstituten. Sie werde nämlich bereits in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Sitz habe, d. h. in Frankreich, nach dieser Richtlinie besteuert, so dass die Portugiesische Republik ihr keine vergleichbare Steuer auferlegen könne.

14      Außerdem verstoße die ASSB aufgrund der diskriminierenden Behandlung portugiesischer Zweigstellen ausländischer Kreditinstitute gegen Art. 49 AEUV. Mangels Rechtspersönlichkeit könnten diese Zweigstellen nämlich ihre Eigenmittel nicht von der Besteuerungsgrundlage der ASSB abziehen.

15      Unter diesen Umständen hat das Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Schiedsgericht für Steuersachen [Zentrum für Verwaltungsschiedsverfahren – CAAD]) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Steht die Richtlinie 2014/59 dem entgegen, dass in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union Zweigstellen von in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Finanzinstituten durch Rechtsvorschriften wie der portugiesischen Regelung über die ASSB besteuert werden, wenn die Abgabe auf die bereinigten Verbindlichkeiten und den Nominalwert außerbilanzieller derivativer Finanzinstrumente erhoben wird und ihre Erträge weder den nationalen Mechanismen zur Finanzierung von Abwicklungsmaßnahmen zugewiesen werden noch der Finanzierung des Einheitlichen Abwicklungsfonds dienen?

2.      Steht die in Art. 49 AEUV vorgesehene Niederlassungsfreiheit einer nationalen Regelung wie der streitigen portugiesischen Regelung über die ASSB entgegen, die es gestattet, von den ermittelten und genehmigten Verbindlichkeiten bestimmte Passivposten abzuziehen, die in Einklang mit den Bestimmungen in Teil 2 der Verordnung Nr. 575/2013 unter Berücksichtigung der Übergangsbestimmungen in Teil 10 dieser Verordnung in die Berechnung des Kernkapitals und des Ergänzungskapitals einbezogen werden und nur von Körperschaften mit Rechtspersönlichkeit emittiert werden können, also von Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute nicht emittiert werden können?

 Zu den Vorlagefragen

 Zur ersten Frage

16      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Richtlinie 2014/59 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, mit der eine Steuer auf die Verbindlichkeiten von Kreditinstituten eingeführt wird, deren Berechnungsmethode derjenigen der von ihnen nach dieser Richtlinie entrichteten Beiträge ähneln soll, deren Erträge aber nicht den nationalen Mechanismen zur Finanzierung von Abwicklungsmaßnahmen zugewiesen werden.

 Zur Zulässigkeit

17      Die portugiesische Regierung macht geltend, diese Frage sei unzulässig, da sie für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits unerheblich sei. Die ASSB stehe in keinem Zusammenhang mit der Abwicklung und Sanierung von Kreditinstituten und falle daher nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/59.

18      Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache des nationalen Gerichts, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen zu beurteilen, die es dem Gerichtshof vorlegt. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn sie die Auslegung oder die Gültigkeit einer Vorschrift des Unionsrechts betreffen. Folglich gilt für Fragen nationaler Gerichte eine Vermutung der Entscheidungserheblichkeit. Der Gerichtshof kann die Beantwortung einer Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung ersichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, das Problem hypothetischer Natur ist oder er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 16. Juli 2020, Facebook Ireland und Schrems, C‑311/18, EU:C:2020:559, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19      Da die Klägerin des Ausgangsverfahrens im vorliegenden Fall im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits geltend gemacht hat, dass die ASSB mit der Richtlinie 2014/59 unvereinbar sei, steht die Vermutung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage nicht in Zweifel. Im Übrigen bezieht sich das Vorbringen der portugiesischen Regierung zum Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/59 in Wirklichkeit auf die Beantwortung der Vorlagefrage.

20      Damit ist die erste Frage zulässig.

 Beantwortung der Vorlagefrage

21      Im Hinblick auf die Beantwortung der Vorlagefrage ist zunächst darauf hinzuweisen, dass bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur deren Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang, in dem sie steht, sowie die Zwecke und Ziele zu berücksichtigen sind, die mit dem Rechtsakt, zu dem sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 21. September 2023, Staatssecretaris van Justitie en Veiligheid [Diplomatenausweis], C‑568/21, EU:C:2023:683, Rn. 32).

22      Erstens legt die Richtlinie 2014/59 gemäß ihrem Art. 1 Abs. 1 Regeln und Verfahren für die Sanierung und Abwicklung der dort aufgezählten Unternehmen fest.

23      Zweitens wurde diese Richtlinie, wie sich aus ihren Erwägungsgründen 1 und 5 ergibt, im Anschluss an die Finanzkrise erlassen, die die Notwendigkeit offengelegt hat, Instrumente für den Umgang mit der Insolvenz u. a. von Kreditinstituten vorzusehen, indem die diesbezüglichen Risiken von ihren Anteilseignern und Gläubigern und nicht von den Steuerzahlern getragen werden. Nach dem 103. Erwägungsgrund der Richtlinie ist es nämlich Aufgabe der gesamten Finanzbranche, die Stabilisierung des Finanzsystems zu finanzieren.

24      Drittens stellen die von den Kreditinstituten nach dieser Richtlinie entrichteten Beiträge keine Steuern dar, sondern beruhen im Gegenteil auf einer auf dem Versicherungsgedanken basierenden Logik (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. Juli 2021, Kommission/Landesbank Baden-Württemberg und SRB, C‑584/20 P und C‑621/20 P, EU:C:2021:601, Rn. 113).

25      Die Richtlinie 2014/59 verfolgt somit keineswegs das Ziel, die Besteuerung von Kreditinstituten, die innerhalb der Union tätig sind, zu harmonisieren.

26      Folglich steht die Richtlinie 2014/59 der Einführung einer nationalen Steuer wie der ASSB nicht entgegen, die auf die Verbindlichkeiten dieser Institute erhoben wird und deren Einnahmen der Finanzierung des nationalen Systems der sozialen Sicherheit dienen, ohne mit der Abwicklung und Sanierung dieser Institute im Zusammenhang zu stehen. Der Umstand, dass die Art und Weise der Berechnung einer solchen Steuer Ähnlichkeiten mit derjenigen der Beiträge nach der Richtlinie 2014/59 aufweist, ist insoweit völlig unerheblich.

27      Somit ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Richtlinie 2014/59 dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, mit der eine Steuer auf die Verbindlichkeiten von Kreditinstituten eingeführt wird, deren Berechnungsmethode derjenigen der von ihnen nach dieser Richtlinie entrichteten Beiträge ähneln soll, deren Erträge aber nicht den nationalen Mechanismen zur Finanzierung von Abwicklungsmaßnahmen zugewiesen werden.

 Zur zweiten Frage

28      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die in den Art. 49 und 54 AEUV garantierte Niederlassungsfreiheit dahin auszulegen ist, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, mit der eine Steuer eingeführt wird, deren Besteuerungsgrundlage aus den Verbindlichkeiten gebietsansässiger Kreditinstitute sowie von Tochtergesellschaften und Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute besteht, soweit diese Regelung den Abzug von Eigenmitteln und mit Eigenmitteln vergleichbaren Schuldtiteln zulässt, die nicht von Unternehmensteilen ohne Rechtspersönlichkeit wie solchen Zweigstellen emittiert werden können.

 Zur Zulässigkeit

29      Die portugiesische Regierung hält die zweite Frage für unzulässig, soweit sie auf dem Vorbringen der Klägerin des Ausgangsverfahrens beruht, dass es den Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute nicht möglich sei, Eigenmittel von der Besteuerungsgrundlage der ASSB abzuziehen. Dieses Vorbringen werde von der Steuerverwaltung im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits bestritten, und das vorlegende Gericht habe dessen Richtigkeit noch nicht geprüft, so dass die von ihm gestellte Frage rein hypothetisch sei.

30      Soweit die portugiesische Regierung geltend macht, die zweite Frage sei verfrüht gestellt worden, genügt der Hinweis, dass die nationalen Gerichte ein unbeschränktes Recht zur Vorlage an den Gerichtshof haben, wenn sie der Auffassung sind, dass eine bei ihnen anhängige Rechtssache Fragen der Auslegung oder der Gültigkeit der unionsrechtlichen Bestimmungen aufwirft, deren Beantwortung für die Entscheidung des ihnen unterbreiteten Rechtsstreits erforderlich ist, und dass es ihnen insbesondere freisteht, diese Möglichkeit in jedem Moment des Verfahrens, den sie für geeignet halten, wahrzunehmen (Urteil vom 16. März 2023, Beobank, C‑351/21, EU:C:2023:215, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Soweit die portugiesische Regierung geltend macht, dass dieses Vorbringen der Klägerin des Ausgangsverfahrens im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits bestritten werde, ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Unionsgerichten und den nationalen Gerichten in Bezug auf den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in den sich die Vorlagefragen einfügen, von den Feststellungen in der Vorlageentscheidung auszugehen hat. Wenn das vorlegende Gericht den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen seiner Vorlagefragen festgelegt hat, ist es somit nicht Sache des Gerichtshofs, dessen Richtigkeit zu überprüfen (Urteil vom 8. Juni 2023, Prestige and Limousine, C‑50/21, EU:C:2023:448, Rn. 42 und 43 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass die Zweigstellen gebietsfremder Institute nach Ansicht des vorlegenden Gerichts nicht in der Lage sind, von der Bemessungsgrundlage der ASSB Eigenmittel oder Verbindlichkeiten abzuziehen, die Eigenmitteln gleichgestellt werden können, da es sich um Instrumente handele, die nur von Unternehmensteilen mit Rechtspersönlichkeit emittiert werden könnten.

33      Auch wenn das vorlegende Gericht selbst darauf hinweist, dass diese Feststellung im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits von der Steuerverwaltung bestritten werde, wie die portugiesische Regierung ausführt, ergibt sich aus der oben in Rn. 31 angeführten Rechtsprechung, dass der Gerichtshof den tatsächlichen und rechtlichen Kontext, in den sich die Vorlagefragen einfügen, nicht selbst bestimmen kann.

34      Folglich kann in Anbetracht des in der Vorlageentscheidung festgelegten tatsächlichen und rechtlichen Kontexts nicht davon ausgegangen werden, dass die Frage hypothetischer Natur ist.

35      Damit ist die zweite Frage zulässig.

 Beantwortung der Vorlagefrage

36      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Sitz einer Gesellschaft, ebenso wie die Staatsangehörigkeit bei natürlichen Personen, dazu dient, ihre Zugehörigkeit zur Rechtsordnung eines Staates zu bestimmen. Somit betrifft die Anwendung einer nationalen Steuerregelung wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden auf eine gebietsansässige Gesellschaft, einschließlich einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Gesellschaft auf der einen und auf die Zweigniederlassung einer gebietsfremden Gesellschaft auf der anderen Seite die steuerliche Behandlung einer gebietsansässigen Gesellschaft und die einer gebietsfremden Gesellschaft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2017, X, C‑68/15, EU:C:2017:379, Rn. 35 und 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

37      Ferner ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung mit der in den Art. 49 und 54 AEUV garantierten Niederlassungsfreiheit für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Union haben, das Recht verbunden ist, ihre Tätigkeit in anderen Mitgliedstaaten durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (Urteile vom 22. September 2022, W [Abziehbarkeit der endgültigen Verluste einer gebietsfremden Betriebsstätte], C‑538/20, EU:C:2022:717, Rn. 14, und vom 16. Februar 2023, Gallaher, C‑707/20, EU:C:2023:101, Rn. 70).

38      Da Art. 49 Abs. 1 Satz 2 AEUV den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich die Möglichkeit lässt, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat frei zu wählen, darf diese freie Wahl nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden (Urteile vom 23. Februar 2006, CLT‑UFA, C‑253/03, EU:C:2006:129, Rn. 14, vom 6. September 2012, Philips Electronics UK, C‑18/11, EU:C:2012:532, Rn. 13, und vom 17. Mai 2017, X, C‑68/15, EU:C:2017:379, Rn. 40).

39      Die Freiheit, die geeignete Rechtsform für die Ausübung von Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat zu wählen, hat insbesondere zum Ziel, es den Gesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat zu ermöglichen, eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zu eröffnen, um ihre Tätigkeiten dort unter den gleichen Bedingungen auszuüben, wie sie für Tochtergesellschaften gelten (Urteile vom 23. Februar 2006, CLT‑UFA, C‑253/03, EU:C:2006:129, Rn. 15, und vom 6. September 2012, Philips Electronics UK, C‑18/11, EU:C:2012:532, Rn. 14 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

40      Nach ständiger Rechtsprechung sind als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung der in Art. 49 AEUV garantierten Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (Urteil vom 11. Mai 2023, Manitou BF und Bricolage Investissement France, C‑407/22 und C‑408/22, EU:C:2023:392, Rn. 20 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

41      Somit sind nicht nur offene Diskriminierungen aufgrund des Sitzes der Gesellschaften verboten, sondern auch alle verdeckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen (Urteil vom 6. Oktober 2022, Contship Italia, C‑433/21 und C‑434/21, EU:C:2022:760, Rn. 35 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

42      Insbesondere ist eine Pflichtabgabe, die an ein scheinbar objektives Unterscheidungskriterium anknüpft, aber aufgrund ihrer Merkmale in den meisten Fällen Gesellschaften benachteiligt, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben und sich in einer vergleichbaren Situation wie die Gesellschaften mit Sitz in dem die Abgabe erhebenden Mitgliedstaat befinden, eine nach den Art. 49 und 54 AEUV verbotene mittelbare Diskriminierung aufgrund des Sitzes der Gesellschaften (Urteile vom 3. März 2020, Vodafone Magyarország, C‑75/18, EU:C:2020:139, Rn. 43, und vom 3. März 2020, Tesco-Global Áruházak, C323/18, EU:C:2020:140, Rn. 63 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

43      Im vorliegenden Fall ist die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung unterschiedslos auf gebietsansässige Kreditinstitute sowie auf die portugiesischen Tochtergesellschaften und Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute anwendbar. Die Besteuerungsgrundlage der ASSB besteht aus den Verbindlichkeiten dieser Unternehmen, d. h. nach Art. 4 des Anhangs VI des Gesetzes über den Nachtragshaushalt von 2020 alle in der Bilanz ausgewiesenen Posten, die unabhängig von ihrer Form oder Modalität eine Schuld gegenüber Dritten darstellen, mit Ausnahme insbesondere der Posten, die nach den anwendbaren Rechnungslegungsstandards als Eigenmittel gelten.

44      Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts ist es aber den Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute, da sie keine Rechtspersönlichkeit besitzen, im Gegensatz zu gebietsansässigen Kreditinstituten und Tochtergesellschaften gebietsfremder Kreditinstitute unmöglich, Eigenmittel von der Besteuerungsgrundlage der ASSB abzuziehen, da diese Unternehmensteile von Gesetzes wegen über keine Eigenmittel verfügten. Außerdem seien diese Zweigstellen nicht befugt, mit Eigenmitteln vergleichbare Schuldtitel wie u. a. Wandelschuldverschreibungen, Gewinnschuldverschreibungen, rückzahlbare Vorzugsaktien und Contingent Convertible Bonds auszugeben, so dass sie solche Instrumente auch nicht von ihrer Besteuerungsgrundlage abziehen könnten.

45      Somit erlaubt es die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung den Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute offenbar nicht, ihre Tätigkeiten im Sinne der in Rn. 39 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung unter den gleichen Bedingungen auszuüben, wie sie für die Tochtergesellschaften gebietsfremder Kreditinstitute gelten. Denn diese Regelung betrifft zwar unterschiedslos die Verbindlichkeiten von Tochtergesellschaften und Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute, ermöglicht es aber Tochtergesellschaften, die Besteuerungsgrundlage durch Abzug von Eigenmitteln und mit Eigenmitteln vergleichbaren Schuldtiteln zu verringern, obwohl ein solcher Abzug den Zweigstellen offenbar rechtlich nicht zugänglich ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

46      Unter diesen Umständen ist eine solche nationale Regelung geeignet, es für Gesellschaften mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat weniger attraktiv zu machen, ihre Tätigkeiten in Portugal über eine Zweigniederlassung auszuüben.

47      Wie der Generalanwalt in Nr. 45 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, kann eine Ungleichbehandlung, die geeignet ist, die freie Wahl der geeigneten Rechtsform für die Ausübung einer Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat im Sinne der oben in Rn. 38 angeführten Rechtsprechung einzuschränken, eine Beschränkung der in den Art. 49 und 54 AEUV garantierten Niederlassungsfreiheit darstellen.

48      Eine solche unterschiedliche Behandlung ist nur dann mit den Bestimmungen des AEU‑Vertrags über die Niederlassungsfreiheit vereinbar, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (Urteil vom 11. Mai 2023, Manitou BF und Bricolage Investissement France, C‑407/22 und C‑408/22, EU:C:2023:392, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49      Erstens ist bei der Prüfung der Vergleichbarkeit eines grenzüberschreitenden Sachverhalts mit einem innerstaatlichen Sachverhalt des betreffenden Mitgliedstaats das mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgte Ziel sowie deren Zweck und Inhalt zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. März 2022, AllianzGI-Fonds AEVN, C‑545/19, EU:C:2022:193, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50      Wie aus den Angaben des vorlegenden Gerichts hervorgeht, bestehen die Ziele der ASSB, die unterschiedslos den gesamten Bankensektor in Portugal einschließlich der gebietsansässigen Kreditinstitute sowie die portugiesischen Tochtergesellschaften und Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute betrifft, darin, das nationale System der sozialen Sicherheit finanziell zu unterstützen und das Gleichgewicht zwischen der steuerlichen Belastung dieses Sektors, der von der Mehrwertsteuer auf die meisten Finanzdienstleistungen befreit ist, und der steuerlichen Belastung aller anderen Sektoren der portugiesischen Wirtschaft wiederherzustellen.

51      Im Licht dieser Ziele unterscheiden die vom vorlegenden Gericht dargelegten nationalen Bestimmungen nicht zwischen gebietsansässigen Kreditinstituten und Tochtergesellschaften sowie Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute.

52      Im Übrigen geht aus der Vorlageentscheidung nicht hervor, dass Gegenstand und Inhalt der in Rede stehenden nationalen Bestimmungen eine solche Unterscheidung begründen würden.

53      Folglich deutet nichts darauf hin, dass die Situation eines gebietsfremden Kreditinstituts, das seine Tätigkeit über eine Zweigstelle ausübt, objektiv nicht mit der eines gebietsansässigen Kreditinstituts oder einer Tochtergesellschaft eines gebietsfremden Kreditinstituts vergleichbar wäre.

54      Zweitens hat die portugiesische Regierung bezüglich der Rechtfertigung der Ungleichbehandlung durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses in ihren schriftlichen Erklärungen geltend gemacht, dass der Steuervorteil, der den gebietsansässigen Kreditinstituten und den Tochtergesellschaften gebietsfremder Kreditinstitute durch die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung gewährt werde, durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sei, die Kohärenz des nationalen Steuersystems zu gewährleisten.

55      Nach ständiger Rechtsprechung greift eine solche Rechtfertigung jedoch nur, wenn ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem betreffenden steuerlichen Vorteil und dessen Ausgleich durch eine bestimmte steuerliche Belastung besteht (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Juni 2018, Bevola und Jens W. Trock, C‑650/16, EU:C:2018:424, Rn. 45, und vom 27. April 2023, L Fund, C‑537/20, EU:C:2023:339, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).

56      Im vorliegenden Fall enthalten die dem Gerichtshof vorgelegten Akten keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Abzugsfähigkeit von Eigenmitteln von der Besteuerungsgrundlage der ASSB durch eine bestimmte von gebietsansässigen Kreditinstituten und Tochtergesellschaften gebietsfremder Kreditinstitute getragene steuerliche Belastung ausgeglichen würde.

57      Folglich lässt sich die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die im Ausgangsverfahren streitige nationale Regelung nicht mit der Notwendigkeit der Wahrung der Kohärenz des portugiesischen Steuersystems rechtfertigen.

58      Schließlich hat die Europäische Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass die unterschiedliche Behandlung, die sich aus der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung ergebe, hinsichtlich der Abzugsfähigkeit mit Eigenmitteln vergleichbarer Schuldtitel von der Besteuerungsgrundlage der ASSB durch die Notwendigkeit gerechtfertigt werden könne, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren. So könne etwa durch den Ausschluss der Zweigstellen von dieser Abzugsfähigkeit verhindert werden, dass die Zweigstellen den Umfang der Besteuerungsgrundlage der ASSB frei wählen könnten, indem sie künstlich mit Eigenmitteln vergleichbare Schuldtitel ihrer Muttergesellschaft einbezögen, ohne dass diese Titel zwangsläufig einen Zusammenhang mit ihren Tätigkeiten in Portugal aufwiesen.

59      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass eine derartige Rechtfertigung u. a. dann anerkannt werden kann, wenn die betreffende Regelung bezweckt, Verhaltensweisen vorzubeugen, die das Recht eines Mitgliedstaats beeinträchtigen könnten, seine Besteuerungsbefugnis in Bezug auf Tätigkeiten in seinem Hoheitsgebiet auszuüben (Urteil vom 27. April 2023, L Fund, C‑537/20, EU:C:2023:339, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60      So hat der Gerichtshof entschieden, dass damit insbesondere die Ausgewogenheit zwischen dem Recht der Besteuerung der Gewinne und der Möglichkeit, die Verluste einer Betriebsstätte abzuziehen, sichergestellt werden soll, da die Erlaubnis, die Verluste einer nicht gebietsansässigen Betriebsstätte von den Einkünften des Stammhauses abzuziehen, zur Folge hätte, dass das Stammhaus den Mitgliedstaat, in dem es solche Verluste geltend macht, frei wählen könnte (Urteil vom 4. Juli 2013, Argenta Spaarbank, C‑350/11, EU:C:2013:447, Rn. 54).

61      Wenn sich allerdings ein Mitgliedstaat dafür entschieden hat, die in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Unternehmen im Hinblick auf derartige Einkünfte nicht zu besteuern, kann er sich nicht auf die Notwendigkeit berufen, eine ausgewogene Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen, um die Besteuerung von in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Unternehmen zu rechtfertigen (vgl. entsprechend Urteile vom 18. Juni 2009, Aberdeen Property Fininvest Alpha, C‑303/07, EU:C:2009:377, Rn. 67 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 27. April 2023, L Fund, C‑537/20, EU:C:2023:339, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62      Im vorliegenden Fall hat sich die Portugiesische Republik dafür entschieden, gebietsansässige Kreditinstitute und Tochtergesellschaften gebietsfremder Kreditinstitute in Bezug auf mit Eigenmitteln vergleichbare Schuldtitel nicht zu besteuern.

63      Daher kann sich dieser Mitgliedstaat nicht auf die Notwendigkeit berufen, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu gewährleisten, um die Besteuerung der Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute in Bezug auf solche Schuldtitel zu rechtfertigen.

64      Folglich erscheint die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch die im Ausgangsverfahren streitige nationale Regelung nicht durch die Notwendigkeit gerechtfertigt, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren.

65      Somit ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die in den Art. 49 und 54 AEUV garantierte Niederlassungsfreiheit dahin auszulegen ist, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, mit der eine Steuer eingeführt wird, deren Besteuerungsgrundlage aus den Verbindlichkeiten gebietsansässiger Kreditinstitute sowie von Tochtergesellschaften und Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute besteht, soweit diese Regelung den Abzug von Eigenmitteln und mit Eigenmitteln vergleichbaren Schuldtiteln zulässt, die nicht von Unternehmensteilen ohne Rechtspersönlichkeit wie solchen Zweigstellen emittiert werden können.

 Kosten

66      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Die Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, mit der eine Steuer auf die Verbindlichkeiten von Kreditinstituten eingeführt wird, deren Berechnungsmethode derjenigen der von ihnen nach dieser Richtlinie entrichteten Beiträge ähneln soll, deren Erträge aber nicht den nationalen Mechanismen zur Finanzierung von Abwicklungsmaßnahmen zugewiesen werden.

2.      Die in den Art. 49 und 54 AEUV garantierte Niederlassungsfreiheit ist dahin auszulegen, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, mit der eine Steuer eingeführt wird, deren Besteuerungsgrundlage aus den Verbindlichkeiten gebietsansässiger Kreditinstitute sowie von Tochtergesellschaften und Zweigstellen gebietsfremder Kreditinstitute besteht, soweit diese Regelung den Abzug von Eigenmitteln und mit Eigenmitteln vergleichbaren Schuldtiteln zulässt, die nicht von Unternehmensteilen ohne Rechtspersönlichkeit wie solchen Zweigstellen emittiert werden können.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Portugiesisch.