URTEIL DES GERICHTS (Erste erweiterte Kammer)
9. September 1999 (1)
„EGKS-Vertrag Staatliche Beihilfen Betriebsbeihilfen Rückwirkende
Genehmigung einer bereits ausgezahlten Beihilfe Verbesserung der
Wirtschaftlichkeit der begünstigten Unternehmen im Sinne des Artikels 3 der
Entscheidung Nr. 3632/93/EGKS“
In der Rechtssache T-110/98
RJB Mining plc, Gesellschaft englischen Rechts, Harworth (Vereinigtes
Königreich), Prozeßbevollmächtigte: Barrister Mark Brealey, zugelassen in England
und Wales, und Solicitor Jonathan Lawrence, Zustellungsanschrift: Kanzlei der
Rechtsanwälte Arendt und Medernach, 8-10, rue Mathias Hardt, Luxemburg,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Paul F. Nemitz
und Nicholas Khan, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre
Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
unterstützt durch
Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch Regierungsdirektor Claus-Dieter
Quassowski, Bundesministerium der Finanzen, als Bevollmächtigten, und
Rechtsanwalt Michael Schütte, Berlin, Zustellungsbevollmächtigter: Claus-Dieter
Quassowski, Bundesministerium der Finanzen, Bonn,
Königreich Spanien, vertreten durch Abogado del Estado Rosario Silva de
Lapuerta, Staatlicher Juristischer Dienst für Verfahren vor dem Gerichtshof, als
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Spanische Botschaft, 4-6, boulevard
Emmanuel Servais, Luxemburg,
und
RAG Aktiengesellschaft, Gesellschaft deutschen Rechts, Essen (Deutschland),
Prozeßbevollmächtigter: Rechtsanwalt Sven B. Völcker, Berlin, Zustellungsanschrift:
Kanzlei des Rechtsanwalts Marc Loesch, 11, rue Goethe, Luxemburg,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 98/687/EGKS der Kommission vom 10.
Juni 1998 über Beihilfen Deutschlands zugunsten des Steinkohlenbergbaus 1997
(ABl. L 324, S. 30)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Erste erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie der Richter C. W. Bellamy,
J. Pirrung, A. W. H. Meij und M. Vilaras,
Kanzler: M. A. Mair, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15.
Dezember 1998,
folgendes
Urteil
Rechtlicher Rahmen
Generelle Normen
- 1.
- Der Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und
Stahl verbietet grundsätzlich staatliche Beihilfen zugunsten von
Kohlenbergbauunternehmen. In Artikel 4 heißt es: „Als unvereinbar mit dem
gemeinsamen Markt für Kohle und Stahl werden innerhalb der Gemeinschaft
gemäß den Bestimmungen dieses Vertrags aufgehoben und untersagt: ... c) von den
Staaten bewilligte Subventionen oder Beihilfen ..., in welcher Form dies auch immer
geschieht“.
- 2.
- Artikel 95 Absatz 1 EGKS-Vertrag bestimmt:
„In allen in diesem Vertrag nicht vorgesehenen Fällen, in denen eine Entscheidung
... der Kommission erforderlich erscheint, um eines der in Artikel 2, 3 und 4 näher
bezeichneten Ziele der Gemeinschaft auf dem gemeinsamen Markt für Kohle und
Stahl gemäß Artikel 5 zu erreichen, kann diese Entscheidung ... mit einstimmiger
Zustimmung des Rates und nach Anhörung des Beratenden Ausschusses ergehen.“
- 3.
- In Anwendung dieser Bestimmung haben die Hohe Behörde und später die
Kommission seit 1965 Regelungen zur Gewährung von Beihilfen für den
Steinkohlenbergbau erlassen. Die jüngste dieser Regelungen ist die allgemeine
Entscheidung Nr. 3632/93/EGKS der Kommission vom 28. Dezember 1993 über die
Gemeinschaftsregelung für staatliche Beihilfen zugunsten des Steinkohlenbergbaus
(ABl. L 329, S. 12; im folgenden: „Kodex von 1993“ oder „Kodex“). Dieser Kodex
war mit einstimmiger Zustimmung des Rates erlassen worden, die auf der
Grundlage und nach Erörterung einer Mitteilung der Kommission vom 27. Januar
1993 mit dem Titel „Antrag auf Zustimmung des Rates und Anhörung des EGKS-Ausschusses gemäß Artikel 95 EGKS-Vertrag betreffend einen
Entscheidungsvorschlag der Kommission über die Gemeinschaftsregelung für
staatliche Beihilfen zugunsten des Steinkohlenbergbaus“ erteilt worden war.
- 4.
- Gemäß Artikel 1 Absatz 1 des Kodex können „Beihilfen zugunsten des
Steinkohlenbergbaus, ... die von den Mitgliedstaaten ... gewährt werden, ... nur dann
als Gemeinschaftsbeihilfen und somit als mit dem Funktionieren des Gemeinsamen
Marktes vereinbar angesehen werden, wenn sie den Vorschriften der Artikel 2 bis
9 entsprechen“.
- 5.
- Artikel 2 Absatz 1 des Kodex der ebenfalls zu Teil I „Allgemeiner Rahmen und
Ziele“ gehört sieht vor, daß „die dem Kohlenbergbau gewährten Beihilfen ... als
mit dem Funktionieren des Gemeinsamen Marktes vereinbar gelten [können], wenn
sie dazu beitragen, mindestens eines der folgenden Ziele zu verwirklichen:
in Anbetracht der Weltmarktpreise für Kohle Erzielung weiterer
Fortschritte in Richtung auf die Wirtschaftlichkeit, um einen Abbau der
Beihilfen zu erreichen;
Lösung der sozialen und regionalen Probleme, die mit der völligen oder
teilweisen Rücknahme der Fördertätigkeit verbunden sind;
Erleichterung der Anpassung des Kohlenbergbaus an die
Umweltschutznormen“.
- 6.
- Gemäß Artikel 3 Absatz 1 des Kodex können „Betriebsbeihilfen“, die dazu
bestimmt sind, den Unterschied zwischen den Produktionskosten und dem sich aus
der Situation auf dem Weltmarkt ergebenden Verkaufspreis auszugleichen, unter
bestimmten Bedingungen als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar gelten.
Insbesondere darf die notifizierte Beihilfe je Tonne für kein Unternehmen oder für
keine Produktionsstätte den Unterschied zwischen den Produktionskosten und den
voraussichtlichen Erlösen des folgenden Geschäftsjahres übersteigen.
- 7.
- Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 1 des Kodex bestimmt, daß Mitgliedstaaten, die in
den Geschäftsjahren 1994 bis 2002 Betriebsbeihilfen an
Kohlenbergbauunternehmen gewähren wollen, der Kommission zuvor „einen
Modernisierungs-, Rationalisierungs- und Umstrukturierungsplan, mit dem die
Wirtschaftlichkeit dieser Unternehmen durch Verringerung der Produktionskosten
verbessert werden soll“, zu übermitteln haben.
- 8.
- Gemäß Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 2 des Kodex muß dieser Plan die
geeigneten Maßnahmen und die Bemühungen aufführen, mit denen „eine
tendenzielle Senkung der Produktionskosten zu den Preisen von 1992 im Zeitraum
1994 bis 2002 erreicht werden soll“.
- 9.
- Artikel 4 des Kodex betrifft „Beihilfen für die Rücknahme der Fördertätigkeit“,
d. h. Beihilfen zur Deckung der Produktionskosten von Unternehmen oder
Produktionsstätten, „die die in Artikel 3 Absatz 2 festgelegten Bedingungen nicht
einhalten können“. Derartige Beihilfen können genehmigt werden, wenn sie in
einen Stillegungsplan einbezogen sind.
- 10.
- Artikel 5 des Kodex regelt Beihilfen bei außergewöhnlichen Belastungen.
- 11.
- Teil III des Kodex „Notifizierungs-, Prüfungs- und Genehmigungsverfahren“
umfaßt die Artikel 8 und 9. Artikel 8 lautet wie folgt:
„(1) Mitgliedstaaten, die für die Geschäftsjahre 1994 bis 2002 Betriebsbeihilfen im
Sinne von Artikel 3 Absätze 2 und 3 und/oder Beihilfen für die Rücknahme der
Fördertätigkeit im Sinne von Artikel 4 gewähren wollen, legen der Kommission bis
zum 31. März 1994 einen Modernisierungs-, Rationalisierungs- und
Umstrukturierungsplan für den Steinkohlenbergbau entsprechend den Vorschriften
von Artikel 3 Absatz 2 und/oder einen Plan zur Rücknahme der Fördertätigkeit
gemäß Artikel 4 vor.
(2) Die Kommission prüft die Übereinstimmung dieses Plans bzw. dieser Pläne mit
den allgemeinen Zielen nach Artikel 2 Absatz 1 und mit den besonderen Kriterien
und Zielen gemäß den Artikeln 3 und 4.
(3) Die Kommission gibt innerhalb von drei Monaten nach der Notifizierung dieser
Pläne eine Stellungnahme zu deren Übereinstimmung mit den allgemeinen oder
besonderen Zielen ab, ohne sich jedoch dazu zu äußern, ob die geplanten
Maßnahmen geeignet sind, diese Ziele zu erreichen. [...]“.
- 12.
- Artikel 9 des Kodex bestimmt:
„(1) Die Mitgliedstaaten teilen bis spätestens 30. September jedes Jahres (oder drei
Monate vor dem Inkrafttreten) alle finanziellen Maßnahmen, die sie im
darauffolgenden Jahr zugunsten des Steinkohlenbergbaus ergreifen wollen, mit und
legen die Art dieser Maßnahmen dar, indem sie auf die allgemeinen Ziele und
Kriterien in Artikel 2 und auf die verschiedenen, in den Artikeln 3 bis 7
vorgesehenen Beihilfeformen verweisen. Sie stellen einen Zusammenhang mit den
der Kommission gemäß Artikel 8 notifizierten Plänen her.
(2) Die Mitgliedstaaten teilen bis spätestens 30. September jedes Jahres die Höhe
der im vorausgegangenen Geschäftsjahr tatsächlich gezahlten Beihilfen mit und
berichten über eine etwaige Berichtigung früher notifizierter Beträge.
(3) Die Mitgliedstaaten machen bei der Notifizierung der Beihilfen im Sinne der
Artikel 3 und 4 und bei der jährlichen Abrechnung der tatsächlich gezahlten
Beihilfen alle Angaben, die zur Überprüfung der in den entsprechenden Artikeln
festgelegten Kriterien erforderlich sind.
(4) Die Mitgliedstaaten dürfen geplante Beihilfen erst durchführen, nachdem sie
von der Kommission genehmigt worden sind, die ihre Entscheidung insbesondere
aufgrund der allgemeinen Ziele und Kriterien nach Artikel 2 und der besonderen
Kriterien der Artikel 3 bis 7 trifft. Ist, vom Zeitpunkt des Eingangs der Mitteilung
der geplanten Maßnahmen an gerechnet, eine Frist von drei Monaten verstrichen,
ohne daß die Kommission eine Entscheidung getroffen hat, so können diese
Maßnahmen nach 15 Arbeitstagen durchgeführt werden, nachdem der Kommission
die Absicht angekündigt worden ist, diese Maßnahmen durchzuführen. Falls die
Kommission aufgrund einer unzureichenden Mitteilung zusätzliche Angaben
verlangt, läuft die Dreimonatsfrist erneut ab dem Zeitpunkt des Eingangs der
Angaben bei der Kommission.
(5) Zahlungen, die vor Erteilung einer Genehmigung durch die Kommission
geleistet werden, sind im Fall einer ablehnenden Entscheidung von dem
begünstigten Unternehmen vollständig zurückzuzahlen, werden in jedem Fall als
Gewährung eines unüblichen Vorteils in Form eines ungerechtfertigten
Liquiditätsvorschusses behandelt und müssen als solche von dem Begünstigten zum
marktüblichen Satz verzinst werden.
(6) Die Kommission bewertet bei der Prüfung mitgeteilter Maßnahmen, ob die
geplanten Maßnahmen mit den gemäß Artikel 8 übermittelten Plänen und den in
Artikel 2 angeführten Zielen in Einklang stehen. Sie kann von den Mitgliedstaaten
eine Begründung aller Abweichungen von den ursprünglich vorgelegten Plänen und
Vorschläge für die erforderlichen Korrekturmaßnahmen verlangen.
[...]“
- 13.
- Gemäß Artikel 12 läuft die Geltungsdauer des Kodex am 23. Juli 2002 ab.
Einzelfallentscheidungen zur Genehmigung von Beihilfen zugunsten des deutschen
Steinkohlenbergbaus für die Jahre 1994, 1995 und 1996
- 14.
- Mit Schreiben vom 28. Dezember 1993 teilte die Bundesrepublik Deutschland der
Kommission geplante finanzielle Maßnahmen mit, die sie für das Jahr 1994 nach
Artikel 5 des Kodex zugunsten ihres Steinkohlenbergbaus durchzuführen
beabsichtigte. Die Kommission erließ daraufhin am 1. Juni 1994 die Entscheidung
94/573/EGKS zur Genehmigung einer Beihilfe der Bundesrepublik Deutschland
zugunsten des Steinkohlenbergbaus für das Jahr 1994 (ABl. L 220, S. 10).
- 15.
- Mit einem weiteren Schreiben vom 28. Dezember 1993 teilte die Bundesrepublik
Deutschland zusätzliche Maßnahmen nach Artikel 3 des Kodex für das Jahr 1994
mit. Außerdem legte sie der Kommission mit Schreiben vom 29. April 1994 einen
Modernisierungs-, Rationalisierungs- und Umstrukturierungsplan für den deutschen
Steinkohlenbergbau vor. Mit der Entscheidung 94/1070/EGKS vom 13. Dezember
1994 über die deutschen Beihilfen zugunsten des Steinkohlenbergbaus für das Jahr
1994 (ABl. L 385, S. 18) genehmigte die Kommission die mitgeteilten finanziellen
Maßnahmen. Diese Entscheidung enthielt auch eine Bewertung des vorgelegten
Modernisierungs-, Rationalisierungs- und Umstrukturierungsplans anhand der
Artikel 2, 3 und 4 des Kodex. Die Kommission kam zu der Auffassung, daß der
Plan grundsätzlich den in diesen Artikeln definierten Zielen und Kriterien
entsprach.
- 16.
- Mit Schreiben vom 25. Januar 1995 teilte die deutsche Regierung die für das Jahr
1995 vorgesehenen Beihilfen nach den Artikeln 3 und 5 des Kodex mit. Die
Kommission genehmigte diese Beihilfen mit der Entscheidung 95/464/EGKS vom
4. April 1995 über die deutschen Beihilfen zugunsten des Steinkohlenbergbaus für
das Jahr 1995 (ABl. L 267, S. 42).
- 17.
- Mit Schreiben vom 4. April 1995 teilte die deutsche Regierung eine zusätzliche
finanzielle Maßnahme nach Artikel 3 des Kodex für das Jahr 1994 mit, die durchdie Entscheidung 95/499/EGKS der Kommission vom 19. Juli 1995 zur
Genehmigung einer zusätzlichen Beihilfe Deutschlands zugunsten des
Steinkohlenbergbaus für das Jahr 1994 (ABl. L 287, S. 53) genehmigt wurde.
- 18.
- Mit Schreiben vom 5. Oktober 1995 teilte die deutsche Regierung schließlich die
für die Jahre 1995 und 1996 zugunsten des deutschen Steinkohlenbergbaus
vorgesehenen finanziellen Maßnahmen nach den Artikeln 3 und 5 des Kodex mit.
Diese Beihilfen wurden mit der Entscheidung 96/560/EGKS der Kommission vom
30. April 1996 über deutsche Beihilfen zugunsten des Steinkohlenbergbaus für die
Jahre 1995 und 1996 (ABl. L 244, S. 15) genehmigt.
- 19.
- Die Klägerin hat gegen keine der genannten Entscheidungen Klage erhoben.
Die angefochtene Einzelfallentscheidung
- 20.
- Mit Schreiben vom 30. September 1996 teilte die Bundesrepublik Deutschland der
Kommission gemäß Artikel 9 Absatz 1 des Kodex die für das Jahr 1997
vorgesehenen finanziellen Maßnahmen zugunsten des Steinkohlenbergbaus mit.
Diese Maßnahmen umfaßten Betriebsbeihilfen, Beihilfen für die Rücknahme der
Fördertätigkeit und Beihilfen zur Deckung außergewöhnlicher Belastungen gemäß
den Artikeln 3, 4 und 5 des Kodex. Auf Ersuchen der Kommission übermittelte die
Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben vom 15. Oktober 1996, 5. Juni 1997, 22.
Oktober 1997, 27. Januar 1998 und 4. März 1998 zusätzliche Informationen.
- 21.
- Mit der Entscheidung 96/687/EGKS der Kommission vom 10. Juni 1998 über
Beihilfen Deutschlands zugunsten des Steinkohlenbergbaus 1997 (ABl. L 324, S. 30;
im folgenden: angefochtene Entscheidung) wurden diese finanziellen Maßnahmen
im Gesamtbetrag von 10,4 Milliarden DM genehmigt. Die Kommission wies in der
Entscheidung insbesondere darauf hin, daß sie gemäß Artikel 9 Absatz 6 des Kodex
die Vereinbarkeit der beabsichtigten Maßnahmen mit dem deutschen Plan bewertet
hat, zu dem sie in der Entscheidung 94/1070 eine befürwortende Stellungnahme
abgegeben hatte.
- 22.
- Es ist unbestritten, daß die von der angefochtenen Entscheidung erfaßten Beihilfen
bereits vor ihrer Genehmigung ausgezahlt worden waren.
Sachverhalt und Verfahren
- 23.
- Die Klägerin ist eine private Bergwerksgesellschaft, die im Vereinigten Königreich
niedergelassen ist und den wesentlichen Teil der Bergbauaktivitäten von British
Coal übernommen hat. Da die Nachfrage nach Kohle im Vereinigten Königreich
dem „traditionellen“ Markt der Klägerin seit 1990 infolge des Aufkommens von
Substitutionsenergien und der zunehmenden Einfuhr von Nichtgemeinschaftskohle
stark zurückgegangen ist, hat die Klägerin versucht, u. a. in Deutschland Märkte
für einen Teil ihrer überschüssigen Produktion zu finden.
- 24.
- Wie die Kommission in ihrem dem Rat auf Grund von Artikel 10 Absatz 2 des
Kodex vorgelegten Halbzeitbericht [KOM (1998) 288 endg.] vom 8. Mai 1998 über
die Erfahrungen bei der Anwendung des Kodex (im folgenden: Halbzeitbericht)
festgestellt hat, ist die gemeinschaftliche Steinkohleförderung von 1992 bis 1996 von
184 Millionen Tonnen (1992) auf 128 Millionen Tonnen (1996) gesunken. Im
Vereinigten Königreich ist die Produktion von 84 Millionen Tonnen (1992) auf 50
Millionen Tonnen (1996) geschrumpft, während die Förderung in der
Bundesrepublik Deutschland im gleichen Zeitraum von 72 auf 53 Millionen Tonnen
sank (S. 5 des Berichts).
- 25.
- Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 20. Juli 1998 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, die vorliegende Klage gegen die angefochtene Entscheidung
erhoben.
- 26.
- Mit einer weiteren, am selben Tag eingegangenen Klageschrift hat die Klägerin
Klage auf Nichtigerklärung dreier Entscheidungen der Kommission zur
Genehmigung finanzieller Maßnahmen des Königreichs Spanien zugunsten des
Steinkohlenbergbaus für die Jahre 1994 bis 1996, 1997 und 1998 erhoben. Diese
Klage ist unter der Nummer T-111/98 eingetragen worden.
- 27.
- Mit getrennten Schriftsätzen, die ebenfalls am 20. Juli 1998 eingegangen sind, hat
die Klägerin in beiden Verfahren Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung
gestellt (T-110/98 R und T-111/98 R).
- 28.
- Mit getrennten Schriftsätzen, die am 18. September 1998 eingegangen sind, hat die
Klägerin in den beiden Hauptsacheverfahren Anträge auf Beweisaufnahmen und
prozeßleitende Maßnahmen gestellt. Sie hat insbesondere beantragt, die
Rechtssachen gemäß Artikel 55 der Verfahrensordnung mit Vorrang zu
entscheiden, da sie die Grundlagen der EGKS-Regelung staatlicher Beihilfen im
Kohlesektor beträfen und die zu erwartenden Urteile auch für künftige Beihilfen
in diesem Sektor erheblich seien.
- 29.
- In ihrer Stellungnahme vom 15. Oktober 1998 hat sich die Kommission teilweise
dieser verfahrensrechtlichen Sichtweise angeschlossen und dem Gericht
vorgeschlagen, verschiedene in den Klagen aufgeworfene Rechtsfragen mit Vorrang
zu behandeln und auf diese Fragen beschränkte Zwischenurteile zu erlassen.
- 30.
- Im Anschluß an diese Stellungnahme hat die Klägerin mit Telefax vom 20. Oktober
1998 mitgeteilt, die beantragten Beweisaufnahmen und prozeßleitenden
Maßnahmen sowie die Verfahren zum Erlaß einstweiliger Anordnungen würden
entbehrlich, wenn das Gericht bereit wäre, Zwischenurteile über die folgenden
reinen Rechtsfragen zu erlassen, die sich in den beiden Rechtssachen T-110/98 und
T-111/98 in identischer Weise stellten:
Ist die Kommission nach dem Kodex befugt, eine bereits ohne vorherige
Genehmigung ausgezahlte Beihilfe rückwirkend zu genehmigen?
Ist die Kommission nach Artikel 3 des Kodex befugt, Betriebsbeihilfen unter
der alleinigen Bedingung zu genehmigen, daß sie den begünstigten
Unternehmen erlauben, ihre Produktionskosten zu senken und einen Abbau
der Beihilfen zu erreichen, auch wenn sie keine vernünftigen Aussichten
haben, in absehbarer Zeit wirtschaftlich betrieben werden zu können?
- 31.
- Im Hinblick auf eine bevorstehende Einigung über das weitere Verfahren hat die
Klägerin mit Telefax vom 22. Oktober 1998 ihre Anträge auf Erlaß einstweiliger
Anordnungen in den beiden Rechtssachen T-110/98 und T-111/98
zurückgenommen.
- 32.
- Das Gericht (Erste erweiterte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters die
grundsätzliche Beschränkung des Streitgegenstands und die damit verbundene
Beschleunigung des Verfahrens auf gemeinsamen Antrag beider Parteien
akzeptiert. Es hat eine informelle Besprechung mit den Parteien anberaumt, um
den weiteren Verlauf des Verfahrens zu erörtern.
- 33.
- Bei dieser Besprechung am 27. Oktober 1998 hat die Klägerin angekündigt, sie
werde in der Rechtssache T-110/98 keinen Erwiderungsschriftsatz einreichen. Die
Parteien sind übereingekommen, für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens den
Streitgegenstand auf die in Randnummer 30 genannten beiden Rechtsfragen, so wie
sie in der Klageschrift und in der Klagebeantwortung erörtert wurden, zu
beschränken. Der Präsident hat daraufhin den Parteien mitgeteilt, daß sie in der
mündlichen Verhandlung entsprechend mehr Zeit für ihre Ausführungen erhalten
würden. Die Parteien haben außerdem gemäß Artikel 77 Buchstabe c der
Verfahrensordnung einen gemeinsamen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens in
der Rechtssache T-111/98 gestellt, die mit dem vorliegenden Rechtsstreit
weitgehend entsprechen.
- 34.
- Mit Entscheidung vom 28. Oktober 1998 hat der Präsident die mündliche
Verhandlung in der Rechtssache T-110/98 auf den 15. Dezember 1998 anberaumt.
- 35.
- Durch Beschluß des Präsidenten der Ersten erweiterten Kammer vom 28. Oktober
1998 ist das Verfahren in der Rechtssache T-111/98 bis zum Erlaß des Urteils in
der Rechtssache T-110/98 ausgesetzt worden.
- 36.
- Mit Beschlüssen vom selben Tag und vom 25. November 1998 hat der Präsident
die Bundesrepublik Deutschland, das Königreich Spanien und die RAG
Aktiengesellschaft in der Rechtssache T-110/98 als Streithelfer zur Unterstützung
der Anträge der Kommission zugelassen.
- 37.
- Das Königreich Spanien, die Bundesrepublik Deutschland und die RAG
Aktiengesellschaft haben ihre Streithilfeschriftsätze am 16. und 24. November bzw.
am 9. Dezember 1998 vorgelegt.
- 38.
- Die Parteien haben in der Sitzung vom 15. Dezember 1998 mündlich verhandelt
und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.
- 39.
- Die Kommission die in ihrer Klagebeantwortung hinsichtlich der Rüge der
Verletzung des Artikels 3 des Kodex den Einwand der teilweisen Unzulässigkeit
erhoben hatte hat dabei erklärt, daß sie im Rahmen des vorliegenden, auf
Rechtsfragen beschränkten Verfahrens darauf verzichte, geltend zu machen, daß
die Bestandskraft der Entscheidung 94/1070 es verbiete, die streitigen
Betriebsbeihilfen, die Bestandteil des mit der genannten Entscheidung endgültig
genehmigten deutschen Mehrjahresplanes für die Jahre 1994 bis 2002 waren, in
Frage zu stellen.
Anträge der Parteien
- 40.
- Die Klägerin beantragt,
die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;
der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 41.
- Die Kommission beantragt,
die Klage abzuweisen;
der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 42.
- Die Streithelfer beantragen,
die aufgeworfenen Rechtsfragen dahin gehend zu beantworten, daß die
Kommission nach dem Kodex von 1993 befugt ist, eine staatliche Beihilfe
auch dann noch zu genehmigen, wenn sie bereits vor Erlaß der
Genehmigungsentscheidung ausgezahlt worden ist, und daß Artikel 3 des
Kodex keinerlei Feststellungen über die Wirtschaftlichkeit des betroffenen
Unternehmens voraussetzt;
demzufolge die Klage abzuweisen.
Rechtliche Würdigung
- 43.
- Die Klägerin hat im vorliegenden Verfahren weder die Rechtmäßigkeit des Kodex
von 1993 noch die Richtigkeit der von der Kommission in ihrer Mitteilung vom 27.
Januar 1993 (Randnr. 3) vorgenommenen historischen, wirtschaftlichen und
rechtlichen Bewertungen angezweifelt. Die Untersuchung der beiden Klagegründe
der Klägerin erfolgt daher im Rahmen der anwendbaren Bestimmungen des Kodex
unter Berücksichtigung der erwähnten Mitteilung.
Der Klagegrund, die Kommission sei zur rückwirkenden Genehmigung einer bereits
ausgezahlten Beihilfe nicht befugt
Vorbringen der Parteien
- 44.
- Nach Auffassung der Klägerin gestattet es der Kodex von 1993 der Kommission
nicht, die von der angefochtenen Entscheidung erfaßten Beihilfen, die von der
Bundesrepublik Deutschland bereits vor dem Genehmigungsdatum an die
begünstigten Unternehmen ausgezahlt worden waren, rückwirkend zu genehmigen.
- 45.
- Gemäß Artikel 1 Absatz 1 des Kodex könnten Beihilfen zugunsten des
Steinkohlenbergbaus nur dann als Gemeinschaftsbeihilfen und somit als mit dem
Funktionieren des Gemeinsamen Marktes vereinbar angesehen werden, „wenn sie
den Vorschriften der Artikel 2 bis 9 [entsprächen]“. Diese eindeutige Bestimmung
mache die Genehmigung einer staatlichen Beihilfe u. a. zwingend von der
Einhaltung von Artikel 9 des Kodex abhängig.
- 46.
- Artikel 9 Absatz 1 des Kodex stelle die vorherige Genehmigung als allgemeine
Regel auf, von der er nur in Absatz 4 eine Ausnahme mache, die jedoch im
vorliegenden Fall nicht anwendbar sei.
- 47.
- Die ausdrückliche Regelung des Ausnahmeverfahrens in Artikel 9 Absatz 4 des
Kodex erlaube den Umkehrschluß, daß die Kommission in anders gelagerten Fällen
nicht zur Genehmigung einer bereits gewährten Beihilfe befugt sei. Wenn die
Kommission nämlich die Befugnis zur Genehmigung bereits gewährter Beihilfen
hätte, dann würde das ganze Verfahren der vorherigen Mitteilung zunichte gemacht
und die Wirksamkeit des in den Artikeln 8 und 9 des Kodex geregelten Systems der
vorbeugenden Kontrolle wäre erheblich beeinträchtigt.
- 48.
- Der Kodex, insbesondere die in Artikel 1 Absatz 1 enthaltene Formulierung „wenn
sie den Vorschriften der Artikel 2 bis 9 entsprechen“, seien als
Ausnahmeregelungen zu Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag der jede staatliche
Beihilfe untersage eng auszulegen.
- 49.
- Außerdem unterscheide sich der Text des Artikels 1 Absatz 1 dadurch, daß er die
Einhaltung des Artikels 9 zur Genehmigungsvoraussetzung erhebe, von dem Text
des früheren Beihilfekodex für den Steinkohlenbergbau, der in der Entscheidung
Nr. 2064/86/EGKS der Kommission vom 30. Juni 1986 über die
Gemeinschaftsregelung für Maßnahmen zugunsten des Steinkohlenbergbaus (ABl.
L 177, S. 1; im folgenden: Kodex von 1986) enthalten gewesen sei. Artikel 1 des
Kodex von 1986 habe nämlich lediglich die Einhaltung der „Zielsetzungen und
Kriterien der Artikel 2 bis 8“ verlangt, ohne die Artikel 9 und 10 über die
Notifikations-, Prüfungs- und Genehmigungsverfahren zu erwähnen.
- 50.
- Die Anforderungen an das Verfahren seien also im Kodex von 1993 gegenüber
denen des Kodex von 1986 deutlich erhöht worden. Die Begründungserwägungen
des Kodex von 1993 bestätigten diese Tendenz zu einer Verschärfung der
Genehmigungsvoraussetzungen, was sich etwa im letzten Absatz des Abschnitts IV
der Begründungserwägungen zeige, nach dem „es ... unbedingt nötig [sei], daß
keinerlei Zahlung oder Teilzahlung [erfolge], ehe die ausdrückliche Genehmigung
der Kommission [vorliege]“.
- 51.
- Artikel 9 Absatz 5 des Kodex sei nur im Rahmen des Verfahrens nach Artikel 9
Absatz 4 anwendbar. Die Bestimmung könne daher auch im Hinblick auf den
letzten Absatz der Begründungserwägungen des Kodex nicht in dem Sinne
ausgelegt werden, daß sie die Mitgliedstaaten zur Auszahlung von Beihilfen vor
ihrer Genehmigung ermächtige.
- 52.
- Zwar habe der Gerichtshof unter dem EG-Vertrag entschieden, daß das Fehlen
einer Notifikation die Beihilfe nicht in dem Sinne rechtswidrig mache, daß es die
Kommission davon entbinde, die Beihilfe auf ihre Vereinbarkeit mit dem
Gemeinsamen Markt zu überprüfen (Urteil vom 14. Februar 1990 in der
Rechtssache C-301/87, Frankreich/Kommission, Slg. 1990, I-307; im folgenden:
Urteil Boussac). Zu diesem Ergebnis sei der Gerichtshof jedoch aufgrund einer
Gegenüberstellung der jeweiligen Rechte und Pflichten der Kommission und der
Mitgliedstaaten gelangt (Urteil Boussac, Randnr. 12). Daher sei es von wesentlicher
Bedeutung, die Rechte und Pflichten, die der EGKS-Vertrag und der Kodex von
1993 den Mitgliedstaaten und der Kommission zuwiesen, nicht zu verkennen. Die
Regelung der staatlichen Beihilfen im EG-Vertrag unterscheide sich in mehreren
Punkten von der des EGKS-Vertrags.
- 53.
- Zum einen sei das allgemeine Verbot in Absatz 1 des Artikels 92 EG-Vertrag
(nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes
weder absolut noch unbedingt, da Absatz 3 dieses Artikels der Kommission ein
weites Ermessen für die ausnahmsweise Genehmigung von Beihilfen einräume. Die
Grundregel des Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag verbiete dagegen die
Gewährung staatlicher Beihilfen unbedingt und absolut. Anders als der EG-Vertrag
begründe daher der EGKS-Vertrag eine inhärente Rechtswidrigkeit staatlicher
Beihilfen.
- 54.
- Zum anderen sei der Kodex von 1993, anders als Artikel 92 EG-Vertrag und
Artikel 93 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 88 EG), die eine Bewertung
der Beihilfe erlaubten, im Licht des erwähnten Artikels 4 Buchstabe c und als
Ausnahme von diesem Artikel eng auszulegen. Der Kodex stelle zudem, da er auf
der Grundlage des Artikels 95 EGKS-Vertrag erlassen worden sei, eine beschränkte
und sekundäre Rechtsgrundlage mit Ausnahmecharakter dar. Rechtsgrundlage für
die Freistellung einer Beihilfe sei daher deren vorherige Genehmigung.
- 55.
- Schließlich habe der Gerichtshof darauf hingewiesen, daß der Rat noch keine
Durchführungsverordnung zu den Artikeln 92 und 93 EG-Vertrag auf der
Grundlage des Artikels 94 EG-Vertrag (jetzt Artikel 89 EG) erlassen habe (Urteil
Boussac, Randnr. 14). Im vorliegenden Fall seien dagegen im Kodex von 1993 feste
und ausführliche Freistellungsvoraussetzungen festgelegt, so wie sie in einer
Durchführungsverordnung zu den genannten Artikeln enthalten sein müßten. In
diesem Punkt unterscheide sich daher die Regelung unter dem EGKS-Vertrag von
der unter dem EG-Vertrag. Insbesondere schließe der spezifische und
abschließende Charakter des Artikels 9 des Kodex eine automatische Übertragung
der Lösung des Urteils Boussac aus. Diese Vorschrift des Kodex würde jede
Wirksamkeit verlieren, wenn sich die Kommission im Anwendungsbereich des
EGKS-Vertrags auf die genannte Entscheidung stützen könnte.
- 56.
- Im übrigen habe der Gerichtshof entschieden, daß Artikel 93 Absatz 3 Satz 3 EG-Vertrag den durch diesen Artikel eingeführten Kontrollmechanismus sichere, der
seinerseits für die Gewährleistung des Funktionierens des Gemeinsamen Marktes
wesentlich sei (Urteil Boussac, Randnr. 17). Dieser Gesichtspunkt gelte mit
besonderer Berechtigung für die wesentliche strengere Regelung des
EGKS-Vertrags.
- 57.
- Um ihre These zu untermauern, beruft sich die Klägerin auf mehrere
Entscheidungen des Gerichtshofes und des Gerichts.
- 58.
- Zunächst führt sie das Urteil des Gerichts vom 25. September 1997 in der
Rechtssache T-150/95 (UK Steel Association/Kommission, Slg. 1997, II-1433,
Randnrn. 95 und 101) an, mit dem eine auf der Grundlage der Entscheidung Nr.
3855/91/EGKS vom 27. November 1991 zur Einführung gemeinschaftlicher
Vorschriften über Beihilfen an die Eisen- und Stahlindustrie (ABl. L 362, S. 57; im
folgenden: Fünfter Stahlkodex) ergangene Entscheidung der Kommission zur
Genehmigung staatlicher Beihilfe für nichtig erklärt worden sei, weil eine der
sachlichen Voraussetzungen für die Vereinbarkeit der Beihilfen mit dem
Funktionieren des Gemeinsamen Marktes im Umweltbereich nicht erfüllt gewesen
sei.
- 59.
- Die Klägerin verweist dann auf das Urteil des Gerichts vom 31. März 1998 in der
Rechtssache T-129/96 (Preussag Stahl/Kommission, Slg. 1998, II-609), das ebenfalls
den Fünften Stahlkodex und insbesondere dessen Artikel 1 Absätze 1 und 3
betreffe, wonach alle in dem Kodex vorgesehenen Beihilfen „nur dann als
Gemeinschaftsbeihilfen und somit als mit dem ordnungsgemäßen Funktionieren des
Gemeinsamen Marktes angesehen werden [könnten], wenn sie den Bestimmungen
der Artikel 2 bis 5 [entsprächen]“, wobei die Beihilfen „nur nach dem Verfahren
des Artikels 6 gewährt werden [dürften]“ und „[d]ie Frist für die [regionalen
Investitions]beihilfen nach Artikel 5 ... am 31. Dezember 1994 [auslaufe]“. Das
Gericht habe entschieden, daß die Kommission nach dem Stichtag des 31.
Dezember 1994 nicht mehr zur Genehmigung von Beihilfen befugt gewesen sei, da
sich aus dem Aufbau der verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Fünften
Stahlkodex ergebe, daß sie für ihre Entscheidung über die gemeldeten
Beihilfevorhaben eine Frist von mindestens sechs Monaten habe und daß die
Beihilfen erst nach vorheriger Genehmigung durchgeführt werden dürften. Aus
diesem Urteil lasse sich für den vorliegenden Fall der Schluß ziehen, daß die
vorherige Genehmigung eine unbedingt einzuhaltende verfahrensrechtliche
Voraussetzung darstelle.
- 60.
- Die Klägerin macht weiter geltend, auch im Bereich der Gruppenfreistellungen
nach Absatz 3 des Artikels 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG) sei die strikte
Einhaltung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen geboten, was sich mit der
verfahrensrechtlichen Situation im vorliegenden Rechtsstreit vergleichen lasse. So
habe der Gerichtshof in seinem Urteil vom 28. Februar 1991 in der Rechtssache
C-234/89 (Delimitis, Slg. 1991, I-935, Randnrn. 39 und 46) ebenso wie
Generalanwalt Van Gerven in seinen Schlußanträgen zu diesem Urteil (Slg. 1991,
I-955) die Notwendigkeit einer engen Auslegung der Freistellungsbedingungen
betont. Aus demselben Grund gehe es nicht an, die Worte „wenn sie den
Vorschriften der Artikel 2 bis 9 entsprechen“ in Artikel 1 Absatz 1 des Kodex zu
ignorieren. In diesem Zusammenhang verweist die Klägerin auch auf das Urteil des
Gerichtshofes vom 10. Juli 1980 in der Rechtssache 30/78 (Distillers
Company/Kommission, Slg. 1980, 2229).
- 61.
- Die Klägerin bezieht sich schließlich auf den Beschluß vom 3. Mai 1996 in der
Rechtssache C-399/95 R (Deutschland/Kommission, Slg. 1996, I-2441), in dem der
Präsident des Gerichtshofes wiederum in bezug auf den Fünften Stahlkodex die
besondere Sensibilität des Stahlsektors und die Bedeutung der Verpflichtungen der
Mitgliedstaaten hervorgehoben habe, ihre Beihilfevorhaben der Kommission
mitzuteilen und die Gewährung von Beihilfen von der vorherigen Stellungnahme
der Kommission abhängig zu machen (Randnrn. 53 bis 55 des Beschlusses).
- 62.
- Die Kommission und die zur Unterstützung ihrer Anträge auftretenden Streithelfer
sind dagegen der Auffassung, die Auszahlung einer Beihilfe stehe einer späteren
Genehmigung nach dem Kodex von 1993 nicht entgegen. Der Wortlaut von Artikel
9 Absatz 5 des Kodex erkenne nämlich ausdrücklich an, daß eine Beihilfe bereits
vor ihrer Genehmigung ausgezahlt werden könne, und regele die Konsequenzen
einer solchen Auszahlung, indem er vorsehe, daß der Beihilfebetrag nur „im Fall
einer ablehnenden Entscheidung“ zurückzuzahlen sei.
- 63.
- Im Fall einer vorzeitigen Auszahlung habe die Kommission nicht nur die Befugnis,
sondern auch die Pflicht, die Beihilfe auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen
Markt zu überprüfen. Die Situation unter dem EGKS-Vertrag unterscheide sich
insoweit nicht von der unter dem EG-Vertrag.
- 64.
- Was die Folgerungen aus dem Urteil Boussac angeht, so bemerkt die Kommission,
sie sei bis zur Verkündung dieses Urteils der Auffassung gewesen, das Unterbleiben
einer Notifikation habe bereits für sich genommen und ohne weitere Prüfung die
Pflicht zur Rückforderung der Beihilfe zur Folge. Das Urteil Boussac zeige jedoch,
daß die vorzeitige Auszahlung der Genehmigung einer Beihilfe nicht entgegenstehe.
Hätte die Kommission erreichen wollen, daß die von ihr in dieser Rechtssache
vertretene Auffassung in den Kodex von 1993 Eingang fände, so hätte sie eine
entsprechende Bestimmung aufnehmen und sich die Befugnis vorbehalten müssen,
eine Beihilfe alleine wegen des Fehlens der Notifikation als mit dem Gemeinsamen
Markt unvereinbar zu erklären. Sie habe jedoch in Artikel 9 Absatz 5 lediglich
vorgesehen, daß die vorzeitige Auszahlung im Fall einer ablehnenden Entscheidung
zur Rückzahlung der Beihilfe nebst Zinsen führe.
Rechtliche Würdigung
- 65.
- Keine Bestimmung des Kodex verbietet der Kommission die Überprüfung der
Vereinbarkeit eines Beihilfevorhabens mit dem Gemeinsamen Markt allein
deswegen, weil der Mitgliedstaat, der das Beihilfevorhaben mitgeteilt hat, die
Beihilfe bereits ausgezahlt hat, ohne die vorherige Genehmigung der Kommission
abzuwarten.
- 66.
- Weiter können Beihilfen gemäß Artikel 1 Absatz 1 des Kodex „nur dann als
Gemeinschaftsbeihilfen und somit als mit dem Funktionieren des Gemeinsamen
Marktes vereinbar angesehen werden, wenn sie den Vorschriften der Artikel 2 bis
9 entsprechen“. Diese Bestimmung definiert im Wege einer Globalverweisung
diejenigen von den Mitgliedstaaten beabsichtigten finanziellen Maßnahmen, die
„den Vorschriften der Artikel 2 bis 9“ des Kodex entsprechen, als
„Gemeinschaftsbeihilfen“.
- 67.
- Ein großer Teil der Bestimmungen in den Artikeln 2 bis 9 des Kodex betrifft
tatsächlich die konkreten Eigenschaften der betreffenden finanziellen Maßnahmen.
So müssen die Maßnahmen gemäß Artikel 2 Absatz 1 geeignet sein, zur
Verwirklichung bestimmter Ziele beizutragen. Ebenso zählen die Artikel 3 bis 7
mehrere Kategorien von Beihilfen auf, die per se mit dem Gemeinsamen Markt
vereinbar sind.
- 68.
- Die Artikel 2 bis 9 enthalten aber auch verfahrensrechtliche Bestimmungen. So hat
die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, jährlich den Gesamtbetrag der im
vorausgegangenen Geschäftsjahr tatsächlich gezahlten Beihilfen mitzuteilen (Artikel
9 Absatz 2), keine Bedeutung für die Frage, ob ein bestimmtes finanzielles
Vorhaben als Gemeinschaftsbeihilfe angesehen werden kann. Dasselbe gilt für
diejenigen Vorschriften, in denen die Kommission verpflichtet wird, bestimmte
Prüfungen durchzuführen oder Stellungnahmen abzugeben (Artikel 3 Absatz 2
Unterabsatz 3; Artikel 8 Absatz 2 und Artikel 8 Absatz 3 Satz 1).
- 69.
- Daraus folgt, daß die in Artikel 1 Absatz 1 des Kodex enthaltene Verweisung auf
die Artikel 2 bis 9 sich auf zwei Arten von Bestimmungen bezieht, nämlich die
materiell-rechtlichen und die Verfahrensbestimmungen. Während die ersteren die
Eigenschaften der Beihilfe betreffen und damit für deren Vereinbarkeit mit dem
Gemeinsamen Markt entscheidend sind, hängt die Bedeutung der letzteren für die
Prüfung einer Beihilfe von der Funktion ab, die der einzelnen Bestimmung im
System des Kodex zukommt.
- 70.
- Die Regelung des Artikels 9 des Kodex dient nun in ihrer Gesamtheit nicht dazu,
die Eigenschaften der Beihilfe festzulegen, sondern regelt vielmehr die
verfahrensrechtlichen Anforderungen an die Notifikation, Prüfung, Genehmigung
und Durchführung.
- 71.
- Sicherlich läßt sich nicht bestreiten, daß Artikel 1 Absatz 1 des Kodex von 1986 für
die Definition der Gemeinschaftsbeihilfen nur auf die materiell-rechtlichen
Bestimmungen (Artikel 2 bis 8) verwies, während eine andere Bestimmung vorsah,
daß diese Beihilfen unter Beachtung der Verfahrensvorschriften (Artikel 9 und 10)
durchzuführen seien. Die bloße Tatsache, daß diese beiden getrennten
Verweisungen im Kodex von 1993 durch eine globale Verweisung auf die Regeln
des materiellen und des Verfahrensrechts ersetzt wurden, macht jedoch aus
Verfahrensregeln keine materiell-rechtlichen Vorschriften. Nach dem Vorstehenden
handelt es sich vielmehr gegenüber dem früheren Kodex um eine schlichte
Änderung des Aufbaus.
- 72.
- Die Entstehungsgeschichte des Kodex von 1993 bestätigt diese Auffassung. Die
Mitteilung vom 27. Januar 1993 (Randnr. 3), auf deren Grundlage der Kodex vom
Rat gebilligt wurde, enthält keinen Anhaltspunkt für eine Absicht des Gesetzgebers,
Verfahrensregeln in den Rang materiell-rechtlicher Bestimmungen zu erheben, so
daß die materiell-rechtliche Beurteilung einer Gemeinschaftsbeihilfe künftig von derEinhaltung der einschlägigen Formalien abhängig wäre.
- 73.
- Ganz im Gegenteil sollte der neue Kodex sich nach dieser Mitteilung nicht nur in
die Kontinuität der gemeinschaftlichen Kohlepolitik einfügen, sondern auch die
Integration des Kohlesektors in den EG-Vertrag vorbereiten (S. 2). Daraus läßt sich
schließen, daß an eine Aufhebung der im Kodex von 1986 enthaltenen Trennung
zwischen materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Vorschriften, die sich auch
in der Regelung der Artikel 92 und 93 EG-Vertrag findet, nicht gedacht war. Daher
erscheint es folgerichtig, daß der Wortlaut des Kodex von 1993, abgesehen von der
erörterten globalen Verweisung, diese Unterscheidung beibehält.
- 74.
- Was die Rechtsfolgen einer Verletzung des Verfahrensgrundsatzes der vorherigen
Genehmigung anbelangt, so sind nach Artikel 9 Absatz 5 des Kodex „Zahlungen,
die vor Erteilung einer Genehmigung geleistet werden, ... im Fall einer
ablehnenden Entscheidung ... vollständig zurückzuzahlen“. Da diese Bestimmung
die Rückzahlung der vorzeitig ausgezahlten Beihilfe ausdrücklich davon abhängig
macht, daß die Kommission eine ablehnende Entscheidung trifft, setzt sie
denknotwendig voraus, daß die Kommission eine Genehmigungsentscheidung
treffen kann.
- 75.
- Im übrigen steht die Ansicht der Klägerin, Artikel 9 Absatz 5 erfasse nur die durch
Artikel 9 Absatz 4 geregelten Fälle, in Widerspruch zum Wortlaut des Absatzes 5,
der sich ausdrücklich auf sämtliche Zahlungen bezieht. Sie verstößt auch gegen den
Aufbau des Artikels 9, da Absatz 5 einen eigenen, selbständigen Absatz und gerade
nicht einen Bestandteil des Absatzes 4 bildet.
- 76.
- Ganz allgemein ist das Verbot in Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag zwar
strenger formuliert als das in Artikel 92 EG-Vertrag; jedoch weisen die im Kodex
von 1993 enthaltenen Vorschriften des materiellen und des Verfahrensrechts
gegenüber der Regelung der Artikel 92 und 93 EG-Vertrag keine grundsätzlichen
Unterschiede auf. Daher wäre es nicht gerechtfertigt, die Bestimmungen des Kodex
von 1993 im Verhältnis zu Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag restriktiver
anzuwenden als die des Artikels 92 Absätze 2 und 3 EG-Vertrag im Verhältnis zu
Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag.
- 77.
- Nun hat der Gerichtshof entschieden, daß eine Verletzung der
verfahrensrechtlichen Verpflichtungen des Artikels 93 Absatz 3 EG-Vertrag die
Kommission nicht davon entbindet, die Vereinbarkeit der Beihilfe mit Artikel 92
Absatz 2 EG-Vertrag zu prüfen, und daß die Kommission die Beihilfe nicht für
rechtswidrig erklären kann, ohne sie auf ihre Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen
Markt geprüft zu haben (vgl. Urteil Boussac, Randnrn. 21 bis 23, sowie
eingehender die Urteile des Gerichtshofes vom 21. März 1990 in der Rechtssache
C-142/87, Belgien/Kommission, Slg. 1990, I-959, Randnr. 20 und vom 21. November
1991 in der Rechtssache C-354/90, Fédération nationale du commerce extérieur des
produits alimentaires und Syndicat national des négociants et transformateurs de
saumon, Slg. 1990, I-5505, Randnr. 13).
- 78.
- Diese Auslegung, die die Kommission zu einer nachträglichen Prüfung verpflichtet,
führt denknotwendig zur Bejahung der Frage nach der Befugnis der Kommission,
eine bereits vor der Genehmigung ausgezahlte Beihilfe rückwirkend zu genehmigen.
Die Kommission war, mit anderen Worten, im vorliegenden Fall durch nichts
verpflichtet, restriktivere Verfahrensgrundsätze anzuwenden, als sie die in der
vorstehenden Randnummer genannte Rechtsprechung vorsieht.
- 79.
- Angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falles, der die Beihilferegelung
für den Steinkohlenbergbau betrifft, sind die Folgerungen, die die Klägerin aus den
zu den Artikeln 85 EG-Vertrag und 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 82 EG) und zu
den Gruppen- und Einzelfreistellungen ergangenen Urteilen Delimitis und Distillers
Company/Kommission ziehen will, nicht stichhaltig.
- 80.
- Soweit sich die Klägerin im vorliegenden Zusammenhang auf die Rechtsprechung
zum Fünften Stahlkodex beruft, ist zu berücksichtigen, daß der Stahlsektor durch
die Wettbewerbsfähigkeit der auf dem Markt tätigen Unternehmen gekennzeichnet
ist. Der Kohlesektor ist dagegen seit 1965 durch den dauerhaften finanziellen
Unterstützungsbedarf der Gemeinschaftsindustrie und durch die strukturbedingt
mangelnde Wettbewerbsfähigkeit dieser Industrie geprägt (Mitteilung vom 27.
Januar 1993, S. 2 f., insbesondere S. 10). Der Präsident des Gerichtshofes hat
jedoch in dem Beschluß Deutschland/Kommission (Randnrn. 54, 57 und 80)
besonders hervorgehoben, daß der Stahlsektor besonders empfindlich für
Verzerrungen des Wettbewerbs ist und daß die Beihilferegelung in diesem Sektor
bezweckt, das Überleben leistungsstarker Unternehmen, nicht aber die Erhaltung
von Unternehmen, die unter normalen Marktbedingungen nicht fortbestehen
könnten, sicherzustellen. Da die Rahmenbedingungen staatlicher Beihilfen im
Stahlsektor aus diesem Grund strenger sind als die im Kohlesektor, läßt sich die
genannte Rechtsprechung nicht auf den vorliegenden Fall übertragen.
- 81.
- Was das Urteil UK Steel Association/Kommission angeht, so hat das Gericht in
dieser Rechtssache die angefochtene Entscheidung für nichtig erklärt, weil die
Kommission materielle Regelungen des Fünften Stahlkodex verkannt und eine
Beihilfe genehmigt hatte, die in Wirklichkeit nicht als mit dem Funktionieren des
Binnenmarktes vereinbar betrachtet werden konnte. Im vorliegenden Fall geht es
demgegenüber um die Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften des Kodex
von 1993.
- 82.
- Im Urteil Preussag Stahl/Kommission hat das Gericht schließlich aus der Tatsache,
daß die streitgegenständlichen Beihilfen nur während eines beschränkten Zeitraums
als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden konnten,
geschlossen, daß eine Genehmigung dieser Beihilfen durch die Kommission
ebenfalls während dieses Zeitraums erfolgen mußte (Randnrn. 38 bis 43).
Vorliegend können die streitigen Beihilfen jedoch bis 2002 als
Gemeinschaftsbeihilfen und damit als mit dem Funktionieren des Gemeinsamen
Marktes vereinbar angesehen werden. Die angefochtene Entscheidung, mit der
diese Beihilfen 1998 genehmigt wurden, wird daher von der dem Urteil Preussag
Stahl/Kommission zugrunde liegenden Problematik nicht berührt.
- 83.
- Aus den vorstehend ausgeführten Gründen ist der Klagegrund, die Kommission sei
zur rückwirkenden Genehmigung einer bereits ausgezahlten Beihilfe nicht befugt,
so wie er in Randnummer 30 erster Gedankenstrich dargestellt ist, zurückzuweisen.
Zum Klagegrund der Verletzung von Artikel 3 des Kodex von 1993
Vorbringen der Parteien
- 84.
- Die Klägerin weist zunächst darauf hin, daß die von der Bundesrepublik
Deutschland ausgezahlten und von der Kommission genehmigten Beihilfen ihre
Versuche, Zugang zum deutschen Markt zu finden, zum Scheitern brächten und
außerdem einen künstlichen Einfluß auf die Weltmarktpreise ausübten, wodurch
die Wettbewerbsfähigkeit ihrer Produkte sowohl auf dem britischen Markt als auch
auf dem Weltmarkt beeinträchtigt werde. Sie habe nach einer Umstrukturierung
ohne staatliche Beihilfen eine hohe Wettbewerbsfähigkeit erreicht und verkaufe zu
Preisen, die nahe am Weltmarktniveau lägen. Sie sei jedoch dem Wettbewerb der
deutschen Unternehmen ausgesetzt, die als Beihilfeempfänger zu niedrigeren
Preisen als die Klägerin anbieten könnten.
- 85.
- Die Kommission habe den EGKS-Vertrag dadurch verletzt und einen
offensichtlichen Irrtum begangen, daß sie die Betriebsbeihilfen nach Artikel 3 des
Kodex genehmigt habe, ohne zuvor die Wirtschaftlichkeit sämtlicher begünstigter
Unternehmen geprüft zu haben. Wie sich nämlich aus Artikel 3 Absatz 2 und
Artikel 4 sowie aus der Präambel des Kodex ergebe, seien Betriebsbeihilfen
(Artikel 3) von Schließungsbeihilfen (Artikel 4) zu unterscheiden. Gemäß Artikel
2 Absatz 1 erster Gedankenstrich des Kodex kämen nur Unternehmen, die
Aussicht hätten, in absehbarer Zeit wirtschaftlich zu werden, als Empfänger von
Betriebsbeihilfen in Betracht.
- 86.
- Die Klägerin folgert hieraus, daß Artikel 3 des Kodex es ausschließe, Unternehmen
nur deswegen Betriebsbeihilfen zu gewähren, weil sie eine Verringerung ihrer
Produktionskosten anstrebten. Soweit keine Aussicht auf Wirtschaftlichkeit bestehe,
komme allein eine Beihilfe nach Artikel 4 des Kodex in Betracht, die die Vorlage
eines bis spätestens 2002 befristeten Stillegungsplans voraussetze.
- 87.
- Der grundlegende Unterschied zwischen Artikel 3 und Artikel 4 des Kodex werde
durch die Begründungserwägungen bestätigt: Gemäß Abschnitt III Absatz 10 der
Begründungserwägungen müßten die Beihilfesysteme es nur in dem Maß, in dem
die Unternehmen nicht hoffen könnten, sich angesichts der Weltmarktpreise für
Kohle einer wirtschaftlichen Lebensfähigkeit anzunähern, gestatten, die sozialen
und regionalen Konsequenzen der Stillegungen abzufedern. Nach Abschnitt III
Absatz 11 sei es angebracht, nicht nur die Voraussetzungen für einen gesunden
Wettbewerb zu schaffen, sondern auch die Wettbewerbsfähigkeit dieses Sektors auf
Gemeinschaftsebene gegenüber dem Weltmarkt mittelfristig zu verbessern.
- 88.
- Die Auffassung der Klägerin werde weiter durch die Leitlinien der Kommission für
die Beurteilung von staatlichen Beihilfen zur Rettung und Umstrukturierung von
Unternehmen in Schwierigkeiten (ABl. 1994, C 368, S. 12; im folgenden: Leitlinien)
gestützt. Insbesondere müsse es nach Absatz 3.2.2 Ziffer i unbedingte
Voraussetzung jedes Umstrukturierungsplans sein, daß er die langfristige
Rentabilität und Lebensfähigkeit des Unternehmens innerhalb eines angemessenen
Zeitraums auf der Grundlage realistischer Annahmen hinsichtlich seiner
zukünftigen Betriebsbedingungen wiederherstelle. Die Klägerin verweist in diesem
Zusammenhang auf das Urteil UK Steel Association/Kommission.
- 89.
- Was den Begriff der Wirtschaftlichkeit angeht, so macht die Klägerin unter
Berufung auf die Leitlinien geltend, dieser sei nicht im Sinne der
Wettbewerbsfähigkeit des betroffen Unternehmens im Zeitpunkt der
Beihilfegewährung zu verstehen, sondern im Sinne der Fähigkeit, innerhalb eines
angemessenen Zeitraums und auf der Grundlage realistischer Annahmen
hinsichtlich der künftigen Betriebsbedingungen eine Situation herbeizuführen, in
der das Unternehmen in der Lage sei, langfristig aus eigener Kraft und ohne neue
Beihilfe auf dem Weltmarkt zu konkurrieren. Die Klägerin verweist außerdem auf
die Mitteilungen vom 27. Januar 1993 (Randnr. 3). Nach dieser Mitteilung müsse
das oberste Ziel der Geschäftsführung jedes Unternehmens des
Steinkohlenbergbaus die wirtschaftliche Rentabilität sein, wobei Betriebsbeihilfen
dazu beitragen müßten, jede weitere Subventionierung innerhalb zweier
Vierjahreszeiträume entbehrlich zu machen (S. 23); unter Betriebsbeihilfe sei jede
Beihilfe für die laufende Produktion von Unternehmen zu verstehen, die sich
darauf vorbereiteten, langfristig zu Wirtschaftlichkeit zu gelangen.
- 90.
- Die Klägerin beruft sich außerdem auf den Halbzeitbericht (vgl. Randnr. 24), in
dem die Kommission feststelle, daß die Genehmigung von Betriebsbeihilfen an die
Verpflichtung gebunden sei, angesichts der Kohlepreise auf den internationalen
Märkten weitere Fortschritte in Richtung Wirtschaftlichkeit zu erzielen, um die
Degressivität der Beihilfen zu gewährleisten, was bedeute, daß die Unternehmen,
die in den Genuß derartiger Beihilfen kämen, „eine gewisse Wettbewerbsfähigkeit
gegenüber der Importkohle erreichen [könnten]“ (S. 4 des Berichts).
- 91.
- Die Auffassung der Kommission würde zu der absurden Konsequenz führen, daß
die wirtschaftlichsten Bergbauunternehmen der Gemeinschaft geschlossen werden
müßten, während Unternehmen ohne Aussicht auf Wettbewerbsfähigkeit
fortbestehen könnten. So könnte ein Unternehmen A, dessen Produktion bereits
umstrukturiert und reduziert worden sein, das aber seine Produktionskosten nicht
weiter verringern könne, nicht in den Genuß von Betriebsbeihilfen kommen,
während einem Unternehmen B, dessen tatsächliche Produktionskosten wesentlich
höher seien als die des Unternehmens A, eine derartige Beihilfe gewährt und
genehmigt würde, wenn es einen Rückgang der Produktionskosten nachwiese, selbst
wenn diese immer noch höher seien als die des Unternehmens A und selbst wenn
das Unternehmen B langfristig keine Aussicht auf Wirtschaftlichkeit habe.
- 92.
- Die Klägerin wendet sich gegen die von der Kommission vertretene weite
Auslegung des Artikels 3 des Kodex. Nach ihrer Auffassung folgt aus dem in
Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag ausgesprochenen generellen Verbot
staatlicher Beihilfen und dem Ausnahmecharakter des auf der Grundlage von
Artikel 95 EGKS-Vertrag erlassenen Kodex, daß eine Beihilfe nur dann genehmigt
werden könne, wenn sie die Voraussetzungen des Kodex vollständig erfülle.
- 93.
- Jede Ausnahme von der Grundregel des Artikels 4 EGKS-Vertrag, nach der
staatliche Beihilfen verboten seien, müsse daher notwendig sein, um eines der in
den Artikeln 2 bis 4 EGKS-Vertrag aufgestellten Gemeinschaftsziele zu erreichen,
zu denen es u. a. gehöre, die rationellste Verteilung der Erzeugung auf dem
höchsten Leistungsstandard zu sichern (Artikel 2), auf die Bildung niedrigster
Preise zu achten (Artikel 3 Buchstabe c), sowie darauf zu achten, daß
Voraussetzungen erhalten blieben, die einen Anreiz für die Unternehmen böten,
ihr Produktionspotential auszubauen und zu verbessern (Artikel 3 Buchstabe d).
- 94.
- Schließlich müsse eine auf der Grundlage von Artikel 95 EGKS-Vertrag erlasseneEntscheidung wie der Kodex von 1993 auch Artikel 5 EGKS-Vertrag
berücksichtigen, nach dem die Gemeinschaft insbesondere für die
Aufrechterhaltung normaler Wettbewerbsbedingungen sorge und nur dann in die
Erzeugung und den Markt direkt eingreife, wenn es die Umstände erforderten.
- 95.
- In ihrer Erwiderung auf die einleitenden Bemerkungen der Klägerin wendet die
Kommission insoweit unwidersprochen ein, die Klägerin hätte ihrerseits
staatliche Beihilfen beantragen können. Das Vereinigte Königreich Großbritannien
und Nordirland habe allerdings, obwohl es dem Erlaß des Kodex von 1993
zugestimmt habe, die politische Entscheidung getroffen, dem britischen
Steinkohlenbergbau keine Beihilfen mehr zu zahlen. Nach Auffassung der
Kommission ist daher die Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Interessen der
Klägerin auf die Politik ihrer nationalen Regierung zurückzuführen. Sie versuche
nun, im Rechtsweg die Auswirkungen dieser Politik den Unternehmen der anderen
Mitgliedstaaten aufzuerlegen.
- 96.
- Zur Frage der Begründetheit tragen die Kommission und die Streithelfer, die ihre
Anträge unterstützen, vor, der von der Klägerin vertretene Maßstab für die
Genehmigung von Betriebsbeihilfen im Sinne von Artikel 3 des Kodex, nach dem
eine „realistische Aussicht auf langfristige Erreichung der Wirtschaftlichkeit“
bestehen müsse, widerspreche dem ausdrücklichen Wortlaut der Artikel 2 und 3
des Kodex und lasse sich mit dessen Zielsetzung, wie sie in der Präambel
dargestellt werde, nicht vereinbaren. Der Kodex erkenne an, daß das Ziel der
Wirtschaftlichkeit für die Kohlezechen schwer zu erreichen sei, da diese strukturell
nicht wettbewerbsfähig seien, und verlange lediglich, daß die Zechen in der Lage
seien, ihre Produktionskosten zu verringern, um einen Abbau der Betriebsbeihilfen
zu erreichen. Es sei nicht vorstellbar, daß der Rat seine Zustimmung zu einer
Bedingung gegeben hätte, die nach der Auslegung der Klägerin dazu führen würde,
daß in keinem Mitgliedstaat mehr Betriebsbeihilfen nach Artikel 3 des Kodex
gewährt werden könnten.
Rechtliche Würdigung
- 97.
- Keine Bestimmung des Kodex behält die Gewährung von Betriebsbeihilfen
ausdrücklich solchen Unternehmen vor, die langfristig eine vernünftige Aussicht auf
Erreichung der Wirtschaftlichkeit in dem Sinne haben, daß sie in der Lage wären,
aus eigener Kraft auf dem Weltmarkt zu konkurrieren. Daher ist die Bedeutung
des Begriffs der Wirtschaftlichkeit für die Regelung der Betriebsbeihilfen, d. h.
nach der gewöhnlichen Definition der Beihilfen, mit denen ein Unternehmen
ganz oder teilweise von den Kosten befreit werden soll, die es normalerweise im
Rahmen seiner laufenden Verwaltung oder seiner üblichen Tätigkeiten hätte tragen
müssen (vgl. z. B. Urteil des Gerichts vom 8. Juni 1995 in der Rechtssache T-459/93, Siemens/Kommission, Slg. 1995, II-1675, Randnr. 48), im Wege der
Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Kodex zu ermitteln.
- 98.
- Artikel 3 Absatz 1 des Kodex definiert Betriebsbeihilfen im Hinblick auf ihre
Zielrichtung als Beihilfen, „die dazu bestimmt sind, den Unterschied zwischen den
Produktionskosten und dem angesichts der Weltmarktbedingungen frei vereinbarten
Verkaufspreis der Vertragsparteien auszugleichen“.
- 99.
- Gemäß Artikel 3 Absatz 2 sowie den Artikeln 8 und 9 Absatz 6 des Kodex setzt
die Genehmigung von Betriebsbeihilfen u. a. die vorherige Übermittlung eines
Modernisierungs-, Rationalisierungs- und Umstrukturierungsplans voraus, mit dem
nach Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 1 „die Wirtschaftlichkeit [der betroffenen]
Unternehmen durch Verringerung der Produktionskosten verbessert werden soll“.
Unterabsatz 2 bestimmt zusätzlich, daß der Plan geeignete Maßnahmen enthalten
muß, „mit denen eine tendenzielle Senkung der Produktionskosten zu den Preisen
von 1992 im Zeitraum 1994 bis 2002 erreicht werden soll“.
- 100.
- Diese Bestimmungen setzen nicht voraus, daß das begünstigte Unternehmen bei
Ablauf eines vorgegebenen Zeitraums Wirtschaftlichkeit erreicht haben muß. Sie
verlangen lediglich, daß die Wirtschaftlichkeit „verbessert“ wird. Auch Artikel 2
Absatz 1 des Kodex, dessen erster Gedankenstrich die Betriebsbeihilfen nach
Artikel 3 betrifft, fordert nur die „Erzielung weiterer Fortschritte in Richtung auf
die Wirtschaftlichkeit“, ohne diese Bedingung an bestimmte Fristen zu knüpfen.
- 101.
- Dieser „weiche“ Ansatz erklärt sich aus den wirtschaftlichen Gegebenheiten, auf
denen das System der staatlichen Beihilfen zugunsten des Steinkohlenbergbaus
beruht, nämlich der strukturell fehlenden Wettbewerbsfähigkeit des Bergbaus, die
darauf zurückzuführen ist, daß der größte Teil der Unternehmen gegenüber
Einfuhren aus Drittländern nicht wettbewerbsfähig ist.
- 102.
- Wie sich aus der Mitteilung vom 27. Januar 1993 (S. 2 ff.) ergibt, ist der
Steinkohlenbergbau in der Gemeinschaft seit 1965 durch eine andauernde
finanzielle Unterstützung in Form staatlicher Beihilfen gekennzeichnet. Der
anhaltende Finanzbedarf des Steinkohlenbergbaus in der Gemeinschaft hat auch
den Erlaß des Kodex von 1993 erforderlich gemacht. Nach der in der Mitteilung
vom 27. Januar 1993 (S. 10) enthaltenen Grafik überschritten die durchschnittlichen
nationalen Produktionskosten zwischen 1975 und 1991 die Preise für Importkohle
erheblich, so daß die Kommission zu dem Schluß kam, daß es sich bei der
mangelnden Wettbewerbsfähigkeit offensichtlich um eine Problematik handele, mit
der der gesamte Bergbau der Gemeinschaft konfrontiert bleibe. Die Kommission
stellte in derselben Mitteilung weiter fest, daß der Steinkohlenbergbau der
Gemeinschaft in unterschiedlichem Ausmaß von Eingriffen der Mitgliedstaaten
abhängig bleibe (S. 19). Auch in ihrem Halbzeitbericht weist die Kommission auf
das Fehlen jeglicher Wirtschaftlichkeitsperspektiven für die mittel- und langfristige
Zukunft des größten Teils der Industrie hin (S. 26 des Berichts).
- 103.
- Daraus folgt, daß die Verbesserung der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens sich
denknotwendig auf eine graduelle Verringerung seiner Unwirtschaftlichkeit und
mangelnden Wettbewerbsfähigkeit beschränkt. Die Kommission hat im übrigen in
ihrer Mitteilung vom 27. Januar 1993 festgestellt, daß die Festlegung eines Zieles
der Wettbewerbsfähigkeit auf der Grundlage einer zuverlässigen Schätzung der
langfristigen Weltmarktentwicklung ein schwieriges Unterfangen ist.
- 104.
- Soweit sich die Klägerin auf die Erklärung der Kommission beruft, nach der das
Ziel der Degressivität der Betriebsbeihilfen in zwei Phasen zu erreichen sei, die
zwei Vierjahreszeiträumen entsprächen (S. 22 f. der erwähnten Mitteilung), so ist
festzustellen, daß diese Zeitplanung nicht getrennt von dem Richtkostensystem
gesehen werden kann, das die Kommission einführen wollte, um die Degressivität
der Betriebsbeihilfen zu beschleunigen. Dieses System, das bei der Genehmigung
von Beihilfen restriktiver gestaltet war als das des Artikels 3 des Kodex, wurde
jedoch vom Rat nicht gebilligt. Daher ist das Vorbringen der Klägerin zu den zwei
Vierjahreszeiträumen im Zusammenhang des Artikels 3 des Kodex unerheblich.
- 105.
- Weiter ist zu untersuchen, welche Mittel der Kodex für die Erreichung des Zieles
der Verbesserung der Wirtschaftlichkeit vorsieht.
- 106.
- Nach Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz 1 des Kodex muß die Verbesserung der
Wirtschaftlichkeit „durch Verringerung der Produktionskosten“ erreicht werden. Da
der Gesetzgeber ausdrücklich bestimmt, daß diese Verringerung die
„Wirtschaftlichkeit“ und nicht nur die wirtschaftliche „Situation“ der betroffenen
Unternehmen verbessern muß, reicht eine unwesentliche oder gar nur symbolische
Verringerung der Produktionskosten nicht aus, um die Gewährung von
Betriebsbeihilfen zugunsten dieser Unternehmen zu rechtfertigen. Eine
Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit des gemeinschaftlichen
Steinkohlenbergbaus (Abschnitt III Absatz 11 der Begründungserwägungen des
Kodex) käme nämlich nicht ernsthaft in Betracht, wenn die Verringerung der
Produktionskosten wirtschaftlich und finanziell unwesentlich wäre.
- 107.
- Diese Feststellung steht nicht in Widerspruch zu Artikel 3 Absatz 2 Unterabsatz
2 des Kodex, wonach eine „tendenzielle“ Verringerung der Produktionskosten bis
2002 als ausreichend anzusehen ist. Diese Formulierung schließt es zwar
insbesondere zu Beginn des Zeitraums von 1994 bis 2002 nicht aus, daß ein
Unternehmen in einem bestimmten Jahr aus zwingenden Gründen darauf
verzichtet, seine Produktionskosten zu senken, ohne deshalb seinen Anspruch auf
Betriebsbeihilfen zu verlieren. Eine Verbesserung der Wirtschaftlichkeit setzt
jedoch voraus, daß ein solches Unternehmen in den Folgejahren seine
Produktionskosten in entsprechend höherem Maße verringert.
- 108.
- Entgegen der Auffassung der Kommission reicht eine bloße Verringerung der
Produktionskosten nicht aus, um die Genehmigung einer Betriebsbeihilfe zu
rechtfertigen. Artikel 2 Absatz 1 des Kodex enthält nämlich zusätzlich den
Grundsatz, daß nur solche Beihilfen, die zur Verwirklichung mindestens eines der
dort genannten Ziele beitragen, als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar
angesehen werden können. Außerdem verpflichtet Artikel 9 Absätze 4 und 6 des
Kodex die Kommission, die Vereinbarkeit eines jeden Beihilfevorhabens mit diesen
Zielen zu prüfen.
- 109.
- Wie sich aus dem Wortlaut des Artikels 2 Absatz 1 des Kodex ergibt, entsprechen
die drei dort genannten Ziele jeweils bestimmten Gruppen von Beihilfen. Das Ziel,
in Anbetracht der Weltmarktpreise für Kohle weitere Fortschritte in Richtung auf
die Wirtschaftlichkeit zu erzielen, um einen Abbau der Beihilfen zu erreichen
(erster Gedankenstrich), bezieht sich auf die Betriebsbeihilfen nach Artikel 3 des
Kodex. Angesichts dieser Entsprechung von Zielen und Beihilfekategorien ist die
Auffassung der Kommission zurückzuweisen, es reiche aus, wenn mit der
Gewährung von Betriebsbeihilfen ein beliebiges der drei genannten Ziele,
namentlich das der Lösung der Probleme im Zusammenhang mit der Rücknahme
der Fördertätigkeit, verfolgt würde.
- 110.
- Für die Bestimmung des Inhalts des in Artikel 2 Absatz 1 erster Gedankenstrich
des Kodex genannten Zieles ist die vorstehende rechtliche, wirtschaftliche und
historische Erörterung der Auslegung von Artikel 3 des Kodex heranzuziehen.
Daraus ergibt sich, daß die „Erzielung weiterer Fortschritte in Richtung auf die
Wirtschaftlichkeit“ in Anbetracht der Weltmarktpreise für Kohle im Sinne der
vorstehenden Auslegung dieser Begriffe praktisch bedeutungsgleich ist mit der
Verbesserung der „Wirtschaftlichkeit“, soweit sich die durch die Verringerung der
Produktionskosten erzielten finanziellen Vorteile in Form eines „Abbaus der
Beihilfen“ niederschlagen.
- 111.
- Wenn sich daher herausstellt, daß eine wesentliche Verringerung der
Produktionskosten die Erreichung des Abbaus der Betriebsbeihilfen ermöglicht,
dann ist die Kommission zu der Annahme berechtigt, daß die begünstigten
Unternehmen zu einer Verbesserung ihrer Wirtschaftlichkeit fähig sind.
- 112.
- Daraus ergibt sich, daß Unternehmen, deren Produktionskosten es nicht erlauben,
einen wirklichen Fortschritt in Richtung der Wirtschaftlichkeit im eben
dargestellten Sinne zu erzielen, nur als Empfänger von Beihilfen für die
Rücknahme der Fördertätigkeit nach Artikel 4 in Betracht kommen.
- 113.
- Diese Folgerungen stehen nicht in Widerspruch zu den von der Klägerin
angeführten Textstellen der Mitteilung vom 27. Januar 1993 und des
Halbzeitberichts. Die Kommission hält nämlich in diesen Papieren an dem
Grundsatz fest, daß der Begriff der Wirtschaftlichkeit im Einklang mit den Zielen
und Kriterien der vorliegenden Entscheidung stehen müsse, wobei sie klarstellt, daß
die Degressivität der Beihilfesumme infolge einer Verringerung der
Produktionskosten eine notwendige Bedingung für die Verbesserung der
internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Steinkohlenbergbaus der Gemeinschaft
sei (S. 20 und 22 der Mitteilung vom 27. Januar 1993) und daß die Unternehmen,
„die das Ziel einer Kostensenkung erreichen ... folglich eine gewisse
Wettbewerbsfähigkeit erwarten können“ (S. 4 des Halbzeitberichts).
- 114.
- Angesichts dieser Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Kodex können
auch die von der Klägerin angeführten Leitlinien keine andere Beurteilung
rechtfertigen, zumal die Leitlinien selbst in Absatz 2.2 ihren Anwendungsbereich
in der Weise beschränken, daß sie in der Kohleindustrie nur insoweit Anwendung
finden, wie sie mit den spezifischen Vorschriften in diesem Sektor übereinstimmen.
- 115.
- Diese Folgerungen aus dem Wortlaut, dem Zusammenhang und der Zielsetzung
der Artikel 2, 3 und 4 des Kodex stehen schließlich auch nicht in Widerspruch mit
der von der Klägerin vertretenen restriktiven Auslegung des Artikels 4 Buchstabe
c EGKS-Vertrag. Wie vorstehend (Randnr. 111) ausgeführt, steht nämlich die
Genehmigung von Betriebsbeihilfen unter der Bedingung, daß die begünstigten
Unternehmen eine wesentliche Verringerung ihrer Produktionskosten erreichen, die
einen Abbau der Beihilfen ermöglicht.
- 116.
- Daraus folgt, daß der Klagegrund der Verletzung des Artikels 3 des Kodex, so wie
er in Randnummer 30 zweiter Gedankenstrich dargestellt ist, zurückzuweisen ist.
Kosten
- 117.
- Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Erste erweiterte Kammer)
gemäß dem Antrag der Parteien auf die beiden in Randnummer 30 dargestellten
Klagegründe für Recht erkannt und entschieden:
1. Der Klagegrund des Verstoßes gegen ein Verbot, bereits ohne vorherige
Genehmigung ausgezahlte Beihilfen rückwirkend zu genehmigen, ist
unbegründet.
2. Der Klagegrund der Verletzung des Artikels 3 der Entscheidung Nr.
3632/93/EGKS der Kommission vom 28. Dezember 1993 über die
Gemeinschaftsregelung für staatliche Beihilfen zugunsten des
Steinkohlenbergbaus ist unbegründet.
3. Die Klage wird abgewiesen, soweit sie auf diese beiden Gründe gestützt ist.
4. Die Parteien erhalten Gelegenheit, sich innerhalb einer vom Präsidenten
des Gerichts festzusetzenden Frist zum Fortgang des Verfahrens zu äußern.
5. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.
VesterdorfBellamy
Pirrung
Meij Vilaras
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Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. September 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
B. Vesterdorf