Language of document : ECLI:EU:T:2014:867

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)

10. Oktober 2014(*)

„Wettbewerb – Kartelle – Europäischer Markt für Automobilglas – Entscheidung, mit der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG festgestellt wird – Absprachen über die Marktaufteilung und Austausch geschäftlich sensibler Informationen – Verordnung (EG) Nr. 1/2003 – Einzige und fortdauernde Zuwiderhandlung – Beteiligung an der Zuwiderhandlung“

In der Rechtssache T‑68/09

Soliver NV mit Sitz in Roulers (Belgien), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte H. Gilliams, J. Bocken und T. Baumé,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch A. Bouquet, M. Kellerbauer und F. Ronkes Agerbeek als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Entscheidung K(2008) 6815 endg. der Kommission vom 12. November 2008 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und Art. 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39.125 – Automobilglas) in der durch die Entscheidung K(2009) 863 endg. der Kommission vom 11. Februar 2009 geänderten Fassung, soweit sie die Klägerin betrifft, und, hilfsweise, auf Herabsetzung der mit dieser Entscheidung gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße,

erlässt

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten N. J. Forwood (Berichterstatter) sowie der Richter F. Dehousse und J. Schwarcz,

Kanzler: N. Rosner, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 12. November 2013,

folgendes

Urteil

1        Mit Entscheidung K(2008) 6815 endg. vom 12. November 2008 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und Art. 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39.125 – Automobilglas) in der durch die Entscheidung K(2009) 863 endg. der Kommission vom 11. Februar 2009 geänderten Fassung (Zusammenfassung im ABl. 2009, C 173, S. 13) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) stellte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften u. a. fest, dass einige Unternehmen, darunter die Klägerin, gegen Art. 81 EG und Art. 53 des EWR-Abkommens verstoßen hätten, indem sie zwischen März 1998 und März 2003 in verschiedenen Zeiträumen an einer Reihe wettbewerbswidriger Vereinbarungen und abgestimmter Verhaltensweisen im Automobilglassektor im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beteiligt gewesen seien (Art. 1 der angefochtenen Entscheidung).

2        Die Klägerin, die Soliver NV, ist ein kleines, insbesondere im Automobilsektor tätiges Glasunternehmen. Saint-Gobain Glass France SA, Saint-Gobain Sekurit Deutschland GmbH & Co. KG und Saint-Gobain Sekurit France SAS (im Folgenden zusammen: Saint-Gobain), die ebenfalls eine Nichtigkeitsklage gegen die angefochtene Entscheidung erhoben haben (Rechtssache T‑56/09), sind Gesellschaften, die im Bereich Herstellung, Verarbeitung und Vertrieb von Werk- und Baustoffen, u. a. Automobilglas, tätig sind. Sie sind 100%ige Tochtergesellschaften der Compagnie de Saint-Gobain SA (im Folgenden: die Compagnie), die gleichfalls die Nichtigerklärung dieser Entscheidung anstrebt (Rechtssache T‑73/09). Die Pilkington Group Ltd umfasst u. a. die Gesellschaften Pilkington Automotive Ltd, Pilkington Automotive Deutschland GmbH, Pilkington Holding GmbH und Pilkington Italia SpA (im Folgenden zusammen: Pilkington). Pilkington, die ebenfalls eine Klage auf Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung eingereicht hat (Rechtssache T‑72/09), gehört zu den weltweit größten Herstellern von Glas und von Verglasungsprodukten, insbesondere im Automobilsektor.

3        Die Asahi Glass Co. Ltd (im Folgenden: Asahi) ist ein in Japan ansässiger Hersteller von Glas, chemischen Erzeugnissen und elektronischen Bauteilen. Asahi besitzt sämtliche Anteile des belgischen Glasunternehmens Glaverbel SA/NV (im Folgenden: Glaverbel), das selbst wiederum 100 % der Anteile der AGC Automotive France (im Folgenden: AGC oder AGC/Splintex) besitzt. AGC führte vor dem 1. Januar 2004 die Firmenbezeichnung Splintex Europe SA (im Folgenden: Splintex oder AGC/Splintex). Asahi, die zu den Adressaten der angefochtenen Entscheidung gehört, hat gegen diese keine Klage erhoben.

4        Die Untersuchung, die zum Erlass der angefochtenen Entscheidung geführt hatte, war eingeleitet worden, nachdem ein deutscher Rechtsanwalt im Auftrag eines anonymen Mandanten der Kommission Schreiben übermittelt hatte, die Informationen über Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen von Seiten mehrerer, im Bereich der Herstellung und des Vertriebs von Automobilglas tätiger Unternehmen enthielten.

5        Im Februar und im März 2005 führte die Kommission Nachprüfungen in verschiedenen Geschäftsräumen der Klägerin sowie von Saint-Gobain, der Compagnie, Pilkington und AGC durch. Dabei beschlagnahmte die Kommission verschiedene Dokumente und Dateien.

6        Nach diesen Prüfungen stellten Asahi und Glaverbel sowie ihre von der Untersuchung betroffenen Tochtergesellschaften (im Folgenden zusammen: Kronzeugin) einen Antrag auf Erlass oder Ermäßigung der Geldbuße nach der Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45, S. 3). Am 19. Juli 2006 lehnte die Kommission den bedingten Erlass der Geldbuße ab, informierte die Kronzeugin jedoch gemäß Rn. 26 ihrer Mitteilung über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen, dass sie beabsichtige, ihr eine Ermäßigung von 30 bis 50 % der Geldbuße zu gewähren, die normalerweise gegen sie festgesetzt worden wäre.

7        Zwischen dem 26. Januar 2006 und dem 2. Februar 2007 richtete die Kommission mehrere Auskunftsverlangen nach Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Art. 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. 2003, L 1, S. 1) an die Klägerin sowie an Saint-Gobain, die Compagnie, Pilkington, Asahi, Glaverbel und AGC. Die betroffenen Unternehmen antworteten auf diese verschiedenen Auskunftsverlangen.

8        Darüber hinaus richtete die Kommission auf derselben Grundlage Auskunftsverlangen an mehrere Automobilhersteller, an einen italienischen Bushersteller sowie an zwei Berufsverbände der Glasindustrie, die ebenfalls antworteten.

9        Am 18. April 2007 verabschiedete die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte betreffend eine einzige und fortdauernde Zuwiderhandlung, die aus Absprachen und abgestimmten Verhaltensweisen zwischen Automobilglasherstellern über die Auftragsvergabe für Lieferungen an Automobilhersteller bestand. Diese Mitteilung der Beschwerdepunkte wurde der Klägerin sowie Saint-Gobain, der Compagnie, Pilkington, Asahi, Glaverbel und AGC zugestellt. Alle Unternehmen, die Adressaten dieser Mitteilung der Beschwerdepunkte waren, hatten Akteneinsicht und wurden von der Kommission aufgefordert, insoweit Stellung zu nehmen. Eine Anhörung, an der alle diese Adressaten teilnahmen, fand am 24. September 2007 statt.

 Angefochtene Entscheidung

10      Die Kommission erließ die angefochtene Entscheidung am 12. November 2008. Hinsichtlich der Klägerin ging die Kommission davon aus, dass dieses Unternehmen vom 19. November 2001 bis zum 11. März 2003 an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei (Art. 1 Buchst. d der angefochtenen Entscheidung). Sie setzte gegen sie eine Geldbuße in Höhe von 4 396 000 Euro fest (Art. 2 Buchst. d der angefochtenen Entscheidung).

11      Hinsichtlich Saint-Gobain und der Compagnie stellte die Kommission fest, dass sie vom 10. März 1998 bis zum 11. März 2003 an den oben in Rn. 1 genannten Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen beteiligt gewesen seien (Art. 1 Buchst. b der angefochtenen Entscheidung) und verhängte gegen sie „gesamtschuldnerisch“ eine Geldbuße in Höhe von 896 Mio. Euro (Art. 2 Buchst. b der angefochtenen Entscheidung).

12      Gegen Asahi sowie ihre im Automobilglassektor tätigen Tochterunternehmen, deren Beteiligung an der Zuwiderhandlung für den Zeitraum vom 18. Mai 1998 bis zum 11. März 2003 zugrunde gelegt wurde, wurde „gesamtschuldnerisch“ eine Geldbuße in Höhe von 113,5 Mio. Euro verhängt (Art. 1 Buchst. a und Art. 2 Buchst. a der angefochtenen Entscheidung).

13      Hinsichtlich Pilkington entschied die Kommission schließlich, dass dieses Unternehmen vom 10. März 1998 bis zum 3. September 2002 an den streitigen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen beteiligt gewesen sei (Art. 1 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung). Sie verhängte gegen sie eine Geldbuße in Höhe von 370 Mio. Euro (Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung).

14      In der angefochtenen Entscheidung geht die Kommission von der Feststellung aus, dass insbesondere hohe technische Anforderungen ebenso wie ein hohes Maß an Innovation charakteristisch für den Markt für Automobilglas seien und bedeutende, integrierte Anbieter mit globaler Präsenz begünstigten. AGC, Pilkington und Saint-Gobain gehörten zu den weltweit wichtigsten Automobilglasherstellern und hätten zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Entscheidung zusammen ungefähr 76 % der weltweiten Nachfrage nach Glas abgedeckt, das für die Erstausrüstung bestimmt sei (Ausrüstung des Fahrzeugs mit Automobilglas bei der Fertigung im Werk). Die Kommission weist auch auf einen umfangreichen Handel zwischen den Mitgliedstaaten und den Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) hin, die im Automobilglassektor zum EWR gehören. Im Übrigen verhandelten die Automobilhersteller die Aufträge über die Lieferung von Automobilglas auf der Ebene des EWR.

15      Außerdem ist der angefochtenen Entscheidung zu entnehmen, dass die von der Untersuchung der Kommission betroffenen Automobilglashersteller im Zuwiderhandlungszeitraum fortlaufend ihre jeweiligen Marktanteile überwachten, und zwar nicht nur für „die einzelnen Fahrzeughersteller“, d. h. im Hinblick auf den Umsatz nach Fahrzeugmodell, sondern auch weltweit, d. h. alle Fahrzeughersteller zusammengenommen.

16      Pilkington, Saint-Gobain und AGC (oder AGC/Splintex) (im Folgenden: Club) hätten insoweit an trilateralen Treffen teilgenommen, die manchmal als „Clubtreffen“ bezeichnet worden seien. Diese Treffen, die abwechselnd von jedem dieser Unternehmen organisiert worden seien, hätten in Hotels verschiedener Städte, in Privathäusern, die Mitarbeitern dieser Unternehmen gehörten, sowie in den Geschäftsräumen des Berufsverbands Groupement européen de producteurs de verre plat (GEPVP) (Europäischer Verband der Flachglashersteller) und in denjenigen der Associazione nazionale degli industriali del vetro (Assovetro) (Nationale Vereinigung der Glasunternehmer) stattgefunden.

17      Zwischen diesen Wettbewerbern hätten auch bilaterale Treffen oder Kontakte stattgefunden, um die Lieferung von Automobilglas für laufende oder zukünftige Modelle zu erörtern. Gegenstand dieser verschiedenen Kontakte oder Treffen seien die Auswertung und Überwachung von Marktanteilen, die Verteilung der Automobilglaslieferungen auf die Hersteller und der Austausch von Preisinformationen und sonstiger sensibler Geschäftsinformationen sowie die Koordinierung der Preis- und Lieferstrategien dieser verschiedenen Wettbewerber gewesen.

18      Das erste dieser bilateralen Treffen, an dem Saint-Gobain und Pilkington teilgenommen hätten, habe am 10. März 1998 im Hotel Hyatt Regency am Flughafen Charles-de-Gaulle in Paris (Frankreich) stattgefunden. Das erste trilaterale Treffen habe im Frühjahr 1998 in Königswinter (Deutschland) im Privathaus des damaligen Key Account Managers von Splintex (AGC) stattgefunden. Diesen Treffen seien ab 1997 Erkundungskontakte zwischen Saint-Gobain und Pilkington vorausgegangen, die die technische Harmonisierung der von diesen Unternehmen hergestellten Privacy-Verglasung hinsichtlich Farbe, Dicke und Lichtdurchlässigkeit zum Gegenstand gehabt hätten. Die Kommission habe jedoch diese Kontakte nicht in das streitige Kartell miteinbezogen, da sie im Wesentlichen einen fortgerückten Abschnitt der Produktionskette von Flachglas vor seiner Verarbeitung zu Automobilglas beträfen.

19      Die Kommission stellt in der angefochtenen Entscheidung nahezu 90 Treffen und Kontakte zwischen Frühling 1998 und März 2003 fest. Der letzte trilaterale Kontakt, an dem u. a. die Klägerin teilgenommen habe, habe am 21. Januar 2003 stattgefunden, während das letzte bilaterale Treffen in der zweiten Märzhälfte 2003 zwischen Saint-Gobain und AGC abgehalten worden sei. Die Teilnehmer hätten für ihre Identifikation bei den Treffen und Kontakten Abkürzungen oder Codenamen verwendet.

20      Wie aus der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, hat die Teilnahme der Klägerin an dem Kartell am 19. November 2001 begonnen. Saint-Gobain habe bereits im Jahr 2000 Kontakt zur Klägerin im Hinblick auf eine Teilnahme an dem streitigen Kartell aufgenommen. Die ursprünglichen Kartellteilnehmer, in diesem Fall Saint-Gobain, Pilkington und AGC, hätten dazu die Abhängigkeit der Klägerin von den Herstellern des Ausgangsmaterials ausgenutzt, da die Klägerin nicht über eigene Produktionskapazitäten für Flachglas verfügt habe.

21      Laut der angefochtenen Entscheidung bestand das Ziel des Kartells generell darin, die Lieferungen von Automobilglas sowohl hinsichtlich der bestehenden Lieferverträge als auch hinsichtlich der neuen Verträge auf die Teilnehmer des Kartells aufzuteilen. Mit diesem Ziel habe die Stabilität der Marktanteile dieser Teilnehmer erhalten werden sollen. Zu diesem Zweck hätten die Teilnehmer während der oben in den Rn. 16 bis 20 erwähnten Treffen und Kontakte Informationen über die Preise und andere sensible Daten ausgetauscht und ihre Preis- und Lieferstrategien koordiniert. Insbesondere seien ihre Angebote an die Automobilhersteller abgestimmt und die Wahl des Zulieferers oder im Fall einer Auftragsstreuung der Zulieferer beeinflusst worden. Es habe insoweit für die Teilnehmer zwei Möglichkeiten gegeben, um zu erreichen, dass ein Liefervertrag dem vereinbarten Hersteller zugeteilt werde, nämlich entweder kein Angebot oder ein Deckungsangebot, d. h. ein Angebot mit höheren Preisen als diejenigen des genannten Herstellers zu machen. Ausgleichsmaßnahmen in Form von Entschädigungen für einen oder mehrere Teilnehmer seien beschlossen worden, wenn sich dies als notwendig herausgestellt habe, um zu gewährleisten, dass die generelle Situation des Angebots auf EWR-Ebene der vereinbarten Aufteilung weiterhin entsprochen habe. Wenn Korrekturen an laufenden Lieferverträgen vorgenommen werden mussten, hätten die Wettbewerber, um die Marktanteile anzupassen, den Automobilherstellern technische Probleme oder einen Engpass beim Rohmaterial gemeldet und diesen vorgeschlagen, sich an einen Ersatzlieferanten zu wenden.

22      Zur Aufrechterhaltung der vereinbarten Aufteilung der Verträge hätten die Kartellteilnehmer außerdem wiederholt die Preissenkungen abgesprochen, die Automobilherstellern entsprechend den erzielten Produktivitätsgewinnen zu gewähren seien, und auch eventuelle Preiserhöhungen für Automobilmodelle, die nicht in dem vorgesehenen Umfang hergestellt worden seien. Sie hätten sich auch darauf verständigt, gegebenenfalls die Preisgabe von Informationen über ihre tatsächlichen Produktionskosten gegenüber den Automobilherstellern zu begrenzen, um häufige Anfragen wegen Preissenkungen durch Letztere zu vermeiden.

23      Die Absprachen, die die Stabilität der Marktanteile bezweckten, seien insbesondere durch die Transparenz des Marktes der Lieferung von Automobilglas ermöglicht worden. Die Entwicklung der Marktanteile sei auf der Grundlage der Produktionskosten und der Verkaufsvorhersagen unter Berücksichtigung der bereits bestehenden Lieferverträge berechnet worden.

24      Die Kommission weist in der angefochtenen Entscheidung darauf hin, dass die Kronzeugin bestätigt habe, dass mindestens seit 1998 Vertreter von Splintex mit einigen Wettbewerbern an aus wettbewerbsrechtlicher Sicht rechtswidrigen Aktivitäten beteiligt gewesen seien. Dass Saint-Gobain die Richtigkeit des in der Mitteilung der Beschwerdepunkte dargestellten Sachverhalts nicht bestritten habe, sei im Übrigen so zu verstehen, dass dieses Unternehmen die Beschreibung, die die Kommission hinsichtlich des Inhalts der streitigen Treffen und Kontakte vorgenommen habe, billige.

25      Schließlich hätten sich Pilkington, Saint-Gobain und AGC bei einem Treffen am 6. Dezember 2001 auf eine neue Berechnungsmethode zur Aufteilung und Neuzuteilung der Lieferverträge verständigt.

26      Auf der Grundlage dieses Bündels von Indizien machte die Kommission die Klägerin sowie Saint-Gobain, die Compagnie, Pilkington und die Kronzeugin für eine einzige und fortdauernde Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen verantwortlich.

27      Die zwischen diesen Parteien getroffenen Vereinbarungen sind nach Ansicht der Kommission Vereinbarungen oder abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne dieser Vorschriften, die den Wettbewerb auf dem Markt für die Lieferung von Automobilglas verfälscht hätten. Bei dieser geheimen Absprache handele es sich um eine einzige und fortdauernde Zuwiderhandlung, da die Kartellteilnehmer ihren gemeinsamen Willen ausgedrückt hätten, sich auf dem Markt auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten, und einen gemeinsamen Plan geschaffen hätten, der dazu bestimmt gewesen sei, ihre individuelle geschäftliche Autonomie zu begrenzen, indem sie die Lieferungen von Automobilglas für Personenkraftwagen und leichte Nutzfahrzeuge unter sich aufgeteilt hätten und indem sie die Preise für diese Verglasungen verfälscht hätten, mit dem Ziel, eine Gesamtstabilität auf dem Markt sicherzustellen und dort künstlich erhöhte Preise beizubehalten. Die Häufigkeit dieser Treffen und Kontakte in einem Zeitraum von fünf Jahren ohne Unterbrechung hätten dazu geführt, dass alle großen Hersteller von Personenkraftwagen und leichten Nutzfahrzeugen im EWR vom Kartell betroffen waren.

28      Die Kommission war im Übrigen der Ansicht, dass nichts darauf hingewiesen habe, dass die Vereinbarungen und die abgestimmten Verhaltensweisen zwischen den Automobilglaslieferanten zur Verbesserung der Warenerzeugung geführt oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts geführt hätten, um die Anwendung von Art. 81 Abs. 3 EG zu rechtfertigen.

29      Hinsichtlich der Dauer der Zuwiderhandlung war die Kommission der Ansicht, die Klägerin habe daran vom 19. November 2001 bis zum 11. März 2003 teilgenommen. Saint-Gobain und die Compagnie hätten vom 10. März 1998 bis zum 11. März 2003 daran teilgenommen. Für Pilkington wurde eine Teilnahme vom 10. März 1998 bis zum 3. September 2002 festgestellt.

30      Für die Berechnung der Geldbuße ermittelte die Kommission zunächst den Umsatz für Automobilglas, den jedes teilnehmende Unternehmen im EWR unmittelbar oder mittelbar im Zusammenhang mit der Zuwiderhandlung erzielt hat. Sie unterschied dafür verschiedene Zeiträume. Für den Zeitraum, der im März 1998 begann und am 30. Juni 2000 endete und als „Einführungsphase“ eingestuft wurde, war sie der Meinung, dass sie nur für einen Teil der europäischen Automobilhersteller über Beweise für die Zuwiderhandlung verfüge. Die Kommission zählte deshalb für diesen Zeitraum nur die Verkäufe von Automobilglas an Automobilhersteller, für die sie unmittelbare Beweise besaß, dass sie vom Kartell betroffen waren. Was den Zeitraum vom 1. Juli 2000 bis zum 3. September 2002 betrifft, bemerkte die Kommission, dass die Automobilhersteller, gegen die das Kartell gerichtet gewesen sei, mindestens 90 % der Lieferungen von Automobilglas im EWR betrafen. Sie zog daraus den Schluss, dass für diesen Zeitraum sämtliche Verkäufe von Automobilglas im EWR durch die Adressaten der Entscheidung zu berücksichtigen seien. Schließlich hätten sich die Aktivitäten des Clubs am Ende des Zuwiderhandlungszeitraums, nämlich vom 3. September 2002 bis März 2003, nach dem Ausscheiden von Pilkington, verlangsamt. Infolgedessen entschied die Kommission, für diesen Zeitraum nur die Verkäufe an Automobilhersteller zu zählen, für die sie direkte Beweise für das Kartell hatte. Für jeden betroffenen Automobilglaslieferanten wurde ein gewichteter Jahresdurchschnitt dieser Umsätze ermittelt, indem die Höhe der oben genannten Umsätze durch die Zahl der Monate, in denen jeder dieser Lieferanten an der Zuwiderhandlung beteiligt war, dividiert und das Ergebnis dieser Division mit zwölf multipliziert wurde.

31      Die Kommission führte weiter aus, dass die in Rede stehende Zuwiderhandlung, die darin bestanden habe, Kunden zuzuteilen, zu den schädlichsten Wettbewerbsbeschränkungen gehöre. Im Hinblick auf die Art der Zuwiderhandlung, auf ihren räumlichen Umfang und den kumulierten Marktanteil der teilnehmenden Unternehmen legte die Kommission für die Festsetzung des Grundbetrags der Geldbuße einen Anteil von 16 % der Umsätze jedes involvierten Unternehmens, multipliziert mit der Anzahl der Jahre der Beteiligung an der Zuwiderhandlung zugrunde. Der Grundbetrag der Geldbußen wurde darüber hinaus zum Zweck der Abschreckung um eine auf 16 % der Umsätze festgesetzte „Eintrittsgebühr“ erhöht.

32      Am 11. Februar 2009 erließ die Kommission die Entscheidung K(2009) 863 endg. mit Berichtigungen der angefochtenen Entscheidung in bestimmten Punkten.

 Verfahren und Anträge der Parteien

33      Mit Klageschrift, die am 18. Februar 2009 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

34      Im Zuge einer Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts ist der Berichterstatter der Zweiten Kammer zugeteilt worden, der deshalb die vorliegende Rechtssache zugewiesen worden ist.

35      Die Parteien haben in der Sitzung vom 12. November 2013 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

36      Die Klägerin beantragt,

–        Art. 1 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit er sie betrifft;

–        Art. 2 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit er sie betrifft;

–        hilfsweise, die gegen sie verhängte Geldbuße wesentlich herabzusetzen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

37      Die Kommission beantragt,

–        die Klage als unbegründet abzuweisen;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

38      Die Klägerin macht mehrere Klagegründe geltend, wobei der erste Klagegrund auf den Fehler gestützt wird, den die Kommission bei der Überlegung begangen habe, dass sie an einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung ist. Dieser Klagegrund ist im vorliegenden Fall zu prüfen.

 Vorbringen der Parteien

39      Nach Auffassung der Klägerin hat die Kommission nicht mit Hilfe eines genauen und übereinstimmenden Bündels von Indizien nachgewiesen, dass die Klägerin beabsichtigt habe, durch ihr eigenes Verhalten zu den von den Teilnehmern des streitigen Kartells gemeinsam verfolgten Zielen beizutragen, dass sie von den von den anderen Unternehmen geplanten oder an den Tag gelegten Verhaltensweisen bei der Verfolgung derselben Ziele Kenntnis gehabt habe oder dass sie diese vernünftigerweise habe vorhersehen können und dass sie bereit gewesen sei, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen.

40      Abgesehen davon, dass die Zuwiderhandlung mehr als vier Jahre vor den ersten mit AGC/Splintex geknüpften Kontakten begonnen habe, die der Klägerin vorgeworfen würden, habe die Kommission zugestanden, dass die Klägerin an keinem der zahlreichen bilateralen oder trilateralen Clubtreffen teilgenommen habe oder dort vertreten gewesen sei. Außerdem habe die Kommission nicht nachgewiesen, dass die Klägerin gewusst habe, dass ihr Verhalten Teil eines vorher von den anderen Teilnehmern entworfenen Gesamtplans gewesen sei.

41      Die Klägerin trägt in dieser Hinsicht vor, Anfang des Jahres 2001 hätten Saint-Gobain, Pilkington und AGC gleichzeitig in bedeutendem Umfang die Preise erhöht, die sie von ihr für die Lieferung von Flachglas verlangt hätten, welches das Ausgangsmaterial für ihre Herstellung von Automobilglas darstelle. Nach Auffassung der Klägerin ermöglichte ihr dieser einzelne Umstand jedoch weder zu verstehen, dass diese Unternehmen detaillierte und geregelte Absprachen getroffen hätten, betreffend zum einen die Aufteilung von Verträgen, der anzubietenden Preise und der zu gewährenden Nachlässe und zum anderen die Ausarbeitung sowie die Anwendung der Kontroll- und Vergütungsmechanismen, überdies für alle Automobilhersteller, noch zu realisieren, dass die drei großen Hersteller ganz regelmäßig Treffen zum Inhalt der Absprachen organisierten. Die bei der Klägerin gefundenen Dokumente ermöglichten höchstens festzustellen, dass die Klägerin von dem Umstand Kenntnis gehabt habe, dass andere Unternehmen wie Saint-Gobain und AGC bestimmte unangemessene Kontakte hinsichtlich des Wettbewerbsrechts unterhielten.

42      Somit sei es unzutreffend, dass sich die Kommission u. a. zur Feststellung der Teilnahme der Klägerin an dem Kartell auf die sie betreffenden Hinweise gestützt habe, die in den von Angestellten von Saint-Gobain, Pilkington und AGC gemachten Notizen gefunden worden seien. Diese Hinweise seien nämlich durch den Umstand zu erklären, dass diese drei großen Hersteller die Klägerin mit Flachglas beliefert und daher eine gute Kenntnis von ihren Herstellungskapazitäten gehabt hätten, aber auch dadurch, dass sie über Informationen über die Automobilhersteller verfügt hätten, an die sie Automobilglas geliefert habe, wie Volkswagen und Fiat.

43      Keiner der von der Kommission in der angefochtenen Entscheidung oder anlässlich des Gerichtsverfahrens geltend gemachten Umstände sei geeignet, diese Kritik abzuschwächen. Dies ergebe sich u. a. aus der handschriftlichen Aufzeichnung, die über ein Telefongespräch zwischen einem bei der Klägerin für den Verkauf Verantwortlichen und einem Vertreter von Saint-Gobain im Mai 2002 angefertigt worden sei. Weder dieses Dokument noch bestimmte telefonische Kontakte mit AGC ermöglichten nämlich festzustellen, dass die Klägerin eine Absprache mit anderen Automobilglasherstellern getroffen habe, die die Aufteilung von Verträgen für die Lieferung von verschiedenen Glasteilen für den Volkswagen Passat betreffe. Aus der Akte der Kommission ergebe sich hingegen, dass Saint-Gobain, Pilkington und AGC entschieden hätten, dass dieser Vertrag Gegenstand einer Aufteilung von Lieferungen sein solle, die mit der Aufteilung identisch sei, die für das Vorgängermodell dieses Automobils vorgenommen worden sei, wobei infolgedessen die Lieferung der Glasteile durch die Klägerin hiervon erfasst gewesen sei. Die Vergabe eines Liefervertrags für bestimmte Glasteile für den neuen Volkswagen Passat durch Volkswagen an die Klägerin erkläre sich allein aus der hervorragenden Qualität des Glases, das sie für das Vorgängermodell zu einem konkurrenzfähigen Preis geliefert habe. Diese Entscheidung habe daher nichts mit einer möglichen Absprache über die Marktaufteilung zu tun, an der die Klägerin teilgenommen habe. Überdies zeige diese Aufzeichnung, dass die Klägerin an keiner Absprache teilgenommen habe, die den Vertrag über den neuen Opel Frontera betroffen habe. Hinsichtlich des Vertrags über den Lancia Lybra (von der Fiat Group hergestelltes Fahrzeug) gehe aus dieser Aufzeichnung letztlich nur hervor, dass Saint-Gobain gegenüber dem Versuch der Klägerin, diesen Vertrag zu erhalten, ablehnend reagiert habe. Diese Einschüchterung weise keinesfalls nach, dass die Klägerin an einer möglichen Absprache über diesen Vertrag teilgenommen habe.

44      Im Hinblick auf die Kontakte, die sie mit AGC im November und Dezember 2001 betreffend die Hersteller Fiat und Iveco unterhalten habe, räumt die Klägerin zwar den nicht angemessenen Charakter dieser Kontakte ein, trägt aber vor, diese hätten zu keinerlei rechtswidriger Absprache geführt. Jedenfalls hätten diese Kontakte in keinem Zusammenhang mit dem von der angefochtenen Entscheidung betroffenen Kartell gestanden. Außerdem sei sie von AGC im Rahmen der von dieser im Zusammenhang mit dem Kronzeugenprogramm abgegebenen Erklärungen als an dem Kartell zwischen den drei großen Automobilglasherstellern nicht beteiligt bezeichnet worden.

45      Schließlich kommt die Klägerin zu dem Ergebnis, die Kommission könne sich im vorliegenden Fall nicht auf die Rechtsprechung berufen, wonach ein Unternehmen, das an Treffen teilnimmt, auf denen geheime wettbewerbswidrige Vereinbarungen getroffen werden, verpflichtet ist, sich öffentlich von dem Inhalt dieser Treffen zu distanzieren, um der durch die betreffenden Absprachen begründeten Verantwortung entgehen zu können. Die Klägerin sei nämlich, da sie an keinem der Clubtreffen teilgenommen habe, über das Bestehen der zwischen Saint-Gobain, Pilkington und AGC getroffenen systematischen und detaillierten Absprachen über den gesamten Automobilglasmarkt im EWR nicht auf dem Laufenden gewesen, was die Anwendung der betreffenden Rechtsprechung ausschließe.

46      Die Kommission tritt diesem Vorbringen entgegen. Die Klägerin sei sich des allgemeinen Rahmens, in dem ihre bilateralen Kontakte mit Saint-Gobain und AGC gestanden hätten, sowie des Ziels der von den Kartellteilnehmern verfolgten Koordinierung auf dem Markt bewusst gewesen.

47      Die Klägerin habe mehrere Kontakte gehabt, die geeignet gewesen seien, ihre Beteiligung an der einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung festzustellen. Diese Kontakte hätten am Ende des Jahres 2001 (mit AGC), im Mai 2002 (mit Saint-Gobain) und im Laufe des ersten Quartals 2003 (mit AGC) stattgefunden.

48      Im Hinblick auf das Jahr 2001 führt die Kommission aus, aus den vom ehemaligen Direktor der Abteilung „Herstellung“ der Klägerin angefertigten Notizen ergebe sich, dass ein Bevollmächtigter der Klägerin, Herr D., Gespräche mit AGC über die Vergabe von Verträgen für die Lieferung von Automobilglas an Fiat sowie an ihre Tochtergesellschaft Iveco geführt habe. Nach Auffassung der Kommission belegen diese Notizen, dass die Klägerin akzeptiert habe, mit AGC in keinen Wettbewerb bei der Vergabe von Verträgen für die Lieferung an Fiat zu treten, aber dafür gefordert habe, dass AGC seine Preise gegenüber Iveco erhöhe.

49      Hinsichtlich des Jahres 2002 legt die Kommission die Aufzeichnung eines Telefongesprächs vom 29. Mai 2002 zwischen Herrn K. H., bei der Klägerin für den Verkauf verantwortlich, und Angestellten von Saint-Gobain vor, aus dem hervorgehe, dass die Klägerin über das Kartell zwischen den drei großen Herstellern informiert gewesen sei.

50      Im Hinblick auf das Jahr 2003 stützt sich die Kommission auf die Notizen eines Angestellten von AGC, aus denen hervorgehe, dass dieses Unternehmen und die Klägerin kontaktiert worden seien, um über den Liefervertrag für die Seitenscheiben des neuen Modells des Volkswagen Passat zu diskutieren.

51      Diese unterschiedlichen Indizien reichten aus, um die Teilnahme der Klägerin an dem Kartell festzustellen, u. a. in einem Zusammenhang, in dem es häufig notwendig sei, bestimmte Einzelheiten auf der Grundlage von Schlussfolgerungen zu rekonstruieren. Der Umstand, dass sich ein Unternehmen nicht an allen Bestandteilen eines Kartells beteiligt habe oder dass es bei den Aspekten, an denen es teilgenommen habe, eine untergeordnete Rolle gespielt habe, sei im Rahmen des Nachweises seiner Beteiligung an einer Zuwiderhandlung nicht relevant. Im vorliegenden Fall folge daraus somit umso mehr, dass die Klägerin auf dem betreffenden Markt ein Akteur von untergeordneter Bedeutung sei und dass es daher nicht notwendig gewesen sei, alle Vergaben von Verträgen mit diesem Unternehmen im Rahmen des Kartells ausdrücklich zu koordinieren.

52      Nach Auffassung der Kommission hätte die Klägerin dagegen ohne das Kartell keine Absprache mit AGC/Splintex über die Lieferung von Automobilglas an Fiat treffen können. Hieraus ergebe sich, dass die Klägerin, indem sie diese Absprache sowie die Absprache mit Saint-Gobain über den Volkswagen Passat getroffen habe, zumindest vernünftigerweise habe annehmen können, dass diese Absprachen Teil eines umfassenderen Gesamtplans gewesen seien, der in der Aufteilung der Lieferung von Automobilglas und in der Aufrechterhaltung der Stabilität der Marktanteile der teilnehmenden Unternehmen bestanden habe. Die Umstände, unter denen die Klägerin die Entscheidung getroffen habe, sich an der Zuwiderhandlung zu beteiligen, seien insoweit nicht relevant.

53      Die vorliegende Rechtssache unterscheide sich außerdem von derjenigen, in der das Urteil des Gerichts vom 20. März 2002, Sigma Tecnologie/Kommission (T‑28/99, Slg. 2002, II‑1845), ergangen sei, die nach ihrer Auffassung durch den Umstand gekennzeichnet sei, dass das Kartell eine komplexe Struktur mit nationalen Ebenen und einer europäischen Ebene aufgewiesen habe. Die Kommission macht ferner geltend, auch wenn sich aus einer der Erklärungen der Kronzeugin zwar ergebe, dass die Kronzeugin die Klägerin als an diesem Kartell nicht beteiligt bezeichnet habe, sei diese Erklärung jedoch im Zusammenhang mit einer ganz konkreten Vergabe eines Vertrags abgegeben worden, so dass man daher darin nicht den Nachweis sehen dürfe, dass die Klägerin vollständig außerhalb des Kartells gestanden habe.

54      Die Kommission stellt schließlich fest, dass, wie sie im 89. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung dargelegt habe, bereits vor dem Zeitpunkt, zu dem die Teilnahme der Klägerin an dem Kartell festgestellt worden sei, die drei großen Automobilglashersteller die Vergabe von Lieferverträgen für Automobilglas an die Klägerin beabsichtigt und somit für sie eine Rolle bei der Verwirklichung des Gesamtplans des Kartells vorgesehen hätten. Die Kommission hat diesen Punkt dadurch veranschaulicht, dass sie zum einen auf ein Treffen von Angestellten von Saint-Gobain und AGC, das am 27. Oktober 2000 in einem Hotel am Flughafen Brüssel (Belgien) u. a. im Zusammenhang mit der Aufteilung der Lieferung von Automobilglas für das Fahrzeug Audi A6 stattgefunden haben soll, und zum anderen auf ein Treffen zwischen Angestellten von Saint-Gobain, Pilkington und AGC/Splintex, das am 9. November 2000 in einem Hotel am Flughafen Charles-de-Gaulle in Paris u. a. im Zusammenhang mit der Vergabe des Liefervertrags von Seitenscheiben für den Fiat Punto stattgefunden haben soll, Bezug genommen hat. Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung ferner vorgetragen, diese Bezüge zur Klägerin bestätigten, obwohl sie aus einer Zeit stammten, die vor dem Zeitraum liege, für den ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung festgestellt worden sei, dass diese das Bestehen des Gesamtkartells zwischen den drei großen Automobilglasherstellern kannte oder notwendigerweise gekannt habe.

 Würdigung durch das Gericht

 Zur Begründetheit des Vorbringens der Klägerin

–       Vorbemerkungen und Hinweis auf die Grundsätze

55      Aus der angefochtenen Entscheidung ergibt sich, dass das streitige Kartell aus einer abgestimmten Aufteilung von Verträgen über die Lieferung von Automobilglas auf nahezu alle Automobilhersteller im EWR durch die Koordinierung der Preis‑ und Rabattpolitik sowie der Strategien für die Belieferung der Kunden bestanden hat. Das Ziel dieses Kartells, das zwischen März 1998 und März 2003 existierte, bestand nach dieser Entscheidung darin, eine Gesamtstabilität der Marktanteile der verschiedenen Teilnehmer zu gewährleisten. Treffen wurden regelmäßig zwischen diesen Teilnehmern organisiert, um nicht nur die Vergabe zukünftiger Lieferverträge zu besprechen, sondern auch um die Befolgung der bei vorherigen Treffen und Kontakten getroffenen Entscheidungen zu gewährleisten. Über Ausgleichsmaßnahmen in Form von gegenseitigen Entschädigungen sei entschieden worden, wenn die zuvor vereinbarten Aufteilungen nicht ausgereicht hätten, um die Stabilität der Marktanteile der Teilnehmer zu garantieren. Da sie u. a. durch dieses gemeinsame wirtschaftliche Ziel begründet gewesen seien, stellten diese verschiedenen Kartellkontakte nach Auffassung der Kommission eine einzige und fortdauernde Zuwiderhandlung gegen Art. 81 Abs. 1 EG dar.

56      Die Klägerin, die ein deutlich kleinerer Akteur als Saint-Gobain, Pilkington und AGC auf dem Markt für Automobilglas ist, bestreitet grundsätzlich ihre Beteiligung an dieser einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung. Zwar habe sie bestimmte unangemessene Kontakte mit Wettbewerbern gehabt, doch habe sie an keinem der Treffen des zwischen diesen Herstellern bestehenden Clubs teilgenommen, auf denen sie über den Gesamtplan des Kartells sowie über die grundlegenden Merkmale dieses Kartells hätte informiert werden können.

57      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der Unschuldsvermutung, wie er sich insbesondere aus Art. 48 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie aus Art. 6 Abs. 2 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) ergibt, angesichts der Art der fraglichen Zuwiderhandlung sowie der Art und der Schwere der ihretwegen verhängten Sanktionen insbesondere in Verfahren wegen Verletzung der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln gilt, die zur Verhängung von Geldbußen oder Zwangsgeldern führen können (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 8. Juli 1999, Hüls/Kommission, C‑199/92 P, Slg. 1999, I‑4287, Rn. 149 und 150, sowie Montecatini/Kommission, C‑235/92 P, Slg. 1999, I‑4539, Rn. 175 und 176; Urteil des Gerichts vom 12. September 2007, Coats Holdings und Coats/Kommission, T‑36/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 70).

58      Zum einen ergibt sich hieraus, dass die Kommission die Beweismittel beizubringen hat, die das Vorliegen der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG darstellenden Tatsachen rechtlich hinreichend beweisen (Urteile des Gerichtshofs vom 17. Dezember 1998, Baustahlgewebe/Kommission, C‑185/95 P, Slg. 1998, I‑8417, Rn. 58, und vom 8. Juli 1999, Kommission/Anic Partecipazioni, C‑49/92 P, Slg. 1999, I‑4125, Rn. 86), und zum anderen, dass ein Zweifel des Gerichts dem Unternehmen zugutekommen muss, an das sich die Entscheidung richtet, mit der eine Zuwiderhandlung festgestellt wird (vgl. Urteil des Gerichts vom 24. März 2011, Kaimer u. a./Kommission, T‑379/06, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dabei obliegt es der Kommission insbesondere, alles nachzuweisen, woraus auf die Mitwirkung eines Unternehmens an einer solchen Zuwiderhandlung und auf seine Verantwortung für die verschiedenen mit dieser verbundenen Einzelakte geschlossen werden kann (Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, Rn. 86). Hieraus folgt, dass die Mitwirkung eines Unternehmens an einem Kartell nicht aus einer auf der Grundlage von ungenauen Tatsachen herbeigeführten Spekulation abgeleitet werden darf (vgl. in diesem Sinne Urteil Kaimer u. a./Kommission, Rn. 69 bis 71).

59      Im Übrigen ist es üblich, dass Tätigkeiten, mit denen wettbewerbswidrige Verhaltensweisen und Vereinbarungen verbunden sind, insgeheim ablaufen, dass die Zusammenkünfte heimlich stattfinden und dass die Unterlagen darüber auf ein Minimum reduziert werden. Hieraus ergibt sich, dass selbst wenn die Kommission Schriftstücke findet, die eine unzulässige Kontaktaufnahme zwischen Wirtschaftsteilnehmern explizit bestätigen, es sich daher normalerweise nur um lückenhafte und vereinzelte Belege handelt, so dass es häufig erforderlich ist, bestimmte Einzelheiten durch Schlussfolgerungen zu rekonstruieren. Infolgedessen muss in den meisten Fällen das Vorliegen einer wettbewerbswidrigen Verhaltensweise oder Vereinbarung aus einer Reihe von Koinzidenzen und Indizien abgeleitet werden, die bei einer Gesamtbetrachtung mangels einer anderen schlüssigen Erklärung den Beweis für eine Verletzung der Wettbewerbsregeln darstellen können (Urteile des Gerichtshofs vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P, C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Rn. 55 bis 57, und vom 25. Januar 2007, Sumitomo Metal Industries und Nippon Steel/Kommission, C‑403/04 P und C‑405/04 P, Slg. 2007, I‑729, Rn. 51). Diese Feststellungen kommen ebenfalls entsprechend bei dem Nachweis der Beteiligung eines Unternehmens an einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht zur Anwendung.

60      Sodann ist festzustellen, dass sich die Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG notwendigerweise aus einem Zusammenwirken mehrerer Unternehmen ergeben, die zwar alle Mittäter an der Zuwiderhandlung sind, deren Beteiligung aber insbesondere gemäß den Merkmalen des betroffenen Marktes und der Stellung des einzelnen Unternehmens auf diesem Markt, den verfolgten Zielen und der gewählten oder vorgesehenen Art und Weise der Durchführung verschiedene Formen aufweisen kann. Folglich kann die Verantwortung des einzelnen Unternehmens für die Gesamtzuwiderhandlung einschließlich des Verhaltens, das zwar von anderen Beteiligten an den Tag gelegt worden ist, aber dieselbe wettbewerbswidrige Bestimmung oder Wirkung hat, nicht schon allein deshalb ausgeschlossen sein, weil jedes Unternehmen sich auf eine ihm eigene Art und Weise an der Zuwiderhandlung beteiligt (Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Rn. 58 angeführt, Rn. 79 und 80, und Urteil des Gerichts vom 6. März 2012, UPM‑Kymmene/Kommission, T‑53/06, Rn. 53).

61      Somit ist ein Unternehmen, das sich durch eigene Handlungen, die den Begriff von auf ein wettbewerbswidriges Ziel gerichteten Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG erfüllt haben und zur Mitwirkung an der Verwirklichung der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit bestimmt waren, an einer einheitlichen und komplexen Zuwiderhandlung beteiligt hatte, für die ganze Zeit seiner Beteiligung an der genannten Zuwiderhandlung auch für das Verhalten verantwortlich, das andere Unternehmen im Rahmen der Zuwiderhandlung an den Tag legten (Urteile Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Rn. 58 angeführt, Rn. 83, und UPM‑Kymmene/Kommission, oben in Rn. 60 angeführt, Rn. 52).

62      Das Vorliegen einer einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung bedeutet jedoch nicht notwendigerweise, dass ein Unternehmen, das an dem einen oder anderen dieser Treffen teilgenommen hat, für sämtliche dieser Zuwiderhandlungen verantwortlich gemacht werden kann. Es ist erforderlich, dass die Kommission nachweist, dass dieses Unternehmen die wettbewerbswidrigen Aktivitäten der anderen Unternehmen auf der europäischen Ebene kannte oder dass sie diese vernünftigerweise vorhersehen konnte. Die bloße Tatsache, dass eine Vereinbarung, an der sich ein Unternehmen beteiligt hat, und ein Gesamtkartell den gleichen Gegenstand haben, genügt nicht, um diesem Unternehmen die Beteiligung am Gesamtkartell zur Last zu legen. Es ist nämlich darauf hinzuweisen, dass Art. 81 Abs. 1 EG nur anwendbar ist, wenn eine Willensübereinstimmung zwischen den betreffenden Parteien vorliegt (vgl. Urteil des Gerichts vom 19. Mai 2010, IMI u. a./Kommission, T‑18/05, Slg. 2010, II‑1769, Rn. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63      Nur wenn das Unternehmen, als es an einer Vereinbarung teilnahm, wusste oder wissen musste, dass es sich damit in das Gesamtkartell eingliederte, kann seine Teilnahme an der betreffenden Vereinbarung somit Ausdruck seines Beitritts zu diesem Kartell sein (Urteile des Gerichts Sigma Tecnologie/Kommission, oben in Rn. 53 angeführt, Rn. 45, vom 16. November 2011, Low & Bonar und Bonar Technical Fabrics/Kommission, T‑59/06, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Rn. 61, und vom 30. November 2011, Quinn Barlo u. a./Kommission, T‑208/06, Slg. 2011, II‑7953, Rn. 144). Anders gesagt muss festgestellt werden, dass dieses Unternehmen durch sein Verhalten zur Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele beitragen wollte und von dem von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigten oder an den Tag gelegten Verhalten wusste oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte sowie bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Rn. 58 angeführt, Rn. 83, 87 und 203, Urteile des Gerichtshofs vom 6. Dezember 2012, Kommission/Verhuizingen Coppens, C‑441/11 P, Rn. 42, und vom 11. Juli 2013, Team Relocations u. a./Kommission, C‑444/11 P, Rn. 50).

64      Das betreffende Unternehmen muss somit die allgemeine Tragweite und die wesentlichen Merkmale des Gesamtkartells kennen (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 14. Dezember 2006, Raiffeisen Zentralbank Österreich u. a./Kommission, T‑259/02 bis T‑264/02 und T‑271/02, Slg. 2006, II‑5169, Rn. 191 und 193, und vom 24. März 2011, Aalberts Industries u. a./Kommission, T‑385/06, Slg. 2011, II‑1223, Rn. 111 bis 119).

65      In einem solchen Fall darf der Umstand, dass sich ein Unternehmen nicht an allen Bestandteilen eines Kartells beteiligt oder aber bei seiner Beteiligung eine weniger bedeutende Rolle gespielt hat, erst bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung und gegebenenfalls bei der Bemessung der Geldbuße Berücksichtigung finden (Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Rn. 58 angeführt, Rn. 90; Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998, Buchmann/Kommission, T‑295/94, Slg. 1998, II‑813, Rn. 121).

66      Im vorliegenden Fall wird nicht bestritten, dass die Klägerin nicht an allen Bestandteilen der Zuwiderhandlung beteiligt war. Außerdem hat die Kommission eingeräumt, dass die Klägerin sowohl während des Zeitraums, der dem Zeitraum vorausgeht, für den die Kommission die Teilnahme der Klägerin an dem streitigen Kartell annimmt, als auch im Laufe dieses Zeitraums selbst an keinem der Treffen der Vertreter des Clubs im eigentlichen Sinne teilgenommen hat.

67      Aus den oben in den Rn. 60 bis 64 dargestellten Grundsätzen ergibt sich, dass die Kommission, um die Beteiligung der Klägerin an der von der angefochtenen Entscheidung erfassten einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung festzustellen, nicht nur die Wettbewerbswidrigkeit der Kontakte zwischen der Klägerin zum einen sowie AGC/Splintex und Saint-Gobain zum anderen zwischen November 2001 und März 2003 nachweisen muss, sondern auch, dass die Klägerin zum einen von dem Umstand, dass diese Kontakte darauf abzielten, zur Verwirklichung des Gesamtplans des Kartells beizutragen, und zum anderen von der allgemeinen Tragweite und den wesentlichen Merkmalen dieses Kartells, wie sie oben in Rn. 55 ausgeführt worden sind, Kenntnis hatte oder vernünftigerweise haben musste.

–       Zur Wettbewerbswidrigkeit der Kontakte zwischen der Klägerin und einigen ihrer Wettbewerber

68      Der angefochtenen Entscheidung zufolge ergibt sich aus mehreren Dokumenten und Indizien, dass die Klägerin durch ihr eigenes Verhalten an der Verwirklichung des globalen Ziels des Kartells teilgenommen hat. Die Kommission unterstreicht u. a., dass die Klägerin Kontakte gehabt habe, die geeignet seien, ihre Beteiligung an der einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung am Ende des Jahres 2001 (mit AGC/Splintex), im Mai 2002 (mit Saint-Gobain) und im Laufe des ersten Quartals 2003 (mit AGC/Splintex) festzustellen.

69      Im Hinblick auf das Jahr 2001 gehe aus den von dem ehemaligen Direktor der Abteilung „Herstellung“ der Klägerin verfassten Notizen hervor, dass ein Bevollmächtigter dieser Abteilung, Herr D., Gespräche mit einem Angestellten von AGC/Splintex über die Vergabe von Lieferverträgen für Automobilglas an Fiat sowie an ihre Tochtergesellschaft Iveco geführt habe. Nach Ansicht der Kommission weisen diese Notizen nach, dass die Klägerin akzeptiert habe, mit AGC/Splintex nicht in einen Wettbewerb für die Vergabe von Lieferverträgen an Fiat zu treten. Die Klägerin habe als Gegenleistung verlangt, dass AGC/Splintex ihre Preise gegenüber dem Hersteller von Iveco Nutzfahrzeugen anhebe. Im Hinblick auf das Jahr 2002 legt die Kommission sodann die Aufzeichnung eines Telefongesprächs vom 22. Mai 2002 durch Angestellte von Saint-Gobain mit Herrn K. H., dem damaligen Verkaufsdirektor der Klägerin, vor, aus denen sich ergebe, dass die Klägerin über das Kartell zwischen den drei großen Herstellern informiert gewesen sei. Im Hinblick auf das Jahr 2003 stützt sich die Kommission auf die von einem Angestellten von AGC, Herrn G., gemachten Notizen, die darauf schließen ließen, dass sich AGC und die Klägerin miteinander in Verbindung gesetzt hätten, um den Liefervertrag für Seitenscheiben des neuen Modells des Volkswagen Passat zu besprechen. Die Teilnahme der Klägerin an dem Gesamtkartell sei nochmals durch mündliche Erklärungen der Kronzeugin belegt worden.

70      Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass das in der Anlage zur Klagebeantwortung enthaltene Dokument mit dem Aktenzeichen PDR 12, auf das in Fn. 249 der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen wird, zwar gewiss einen Bezug zur Klägerin sowie zu mehreren ihrer Wettbewerber hinsichtlich der Lieferung von Scheiben für Autotüren für den Volkswagen Polo aufweist, es jedoch auf den 29. Juli 1999 datiert ist. Dieses Dokument ist also mehr als zwei Jahre vor dem Zeitpunkt angefertigt worden, ab dem die Kommission die Teilnahme der Klägerin an dem streitigen Kartell festgestellt hat, nämlich dem 19. November 2001. Hieraus folgt, dass selbst unter der Annahme, dass dieses Dokument einen wettbewerbswidrigen Kontakt widerspiegelt, an dem sich die Klägerin beteiligt hat, wobei die Kommission sich aber entschieden hätte, ihr diesen Kontakt nicht zur Last zu legen, es nicht geeignet wäre, die Beteiligung der Klägerin an der von der angefochtenen Entscheidung zwischen dem 19. November 2001 und dem 11. März 2003 erfassten einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung nachzuweisen.

71      Sodann werden zwar in mehreren Abschnitten der Erklärungen der Kronzeugin vom 25. Februar und 14. März 2005 bestimmte Kontakte zwischen Saint-Gobain und der Klägerin im Laufe des Jahres 2000 erwähnt, doch ist die Kommission in der angefochtenen Entscheidung nicht davon ausgegangen, dass diese Kontakte es ermöglichten, die Teilnahme der Klägerin am Gesamtplan des Kartells zwischen den Clubmitgliedern festzustellen. Somit ergibt sich aus der angefochtenen Entscheidung, dass − obwohl die Situation der Klägerin von den Clubmitgliedern vor November 2001 angesprochen worden war, als die Clubmitglieder versucht hatten, sie in die Diskussionen einzubeziehen, indem sie aus dem Umstand einen Vorteil zogen, dass die Klägerin im Gegensatz zu ihnen nicht über eigene Herstellungskapazitäten für Flachglas verfügte − die Kommission die Beteiligung der Klägerin an der einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung erst seit dem 19. November 2001, zu einem Zeitpunkt, zu dem bestimmte Kontakte zwischen der Klägerin und AGC/Splintex stattfanden, festgestellt hat.

72      Außerdem ergibt sich aus den zwischen dem 19. November 2001 und dem 12. Dezember 2001 von Herrn H., damals Direktor der Abteilung „Herstellung“ der Klägerin, gemachten Notizen, dass die Klägerin mittels ihres Bevollmächtigten für Italien, Herrn D., bestimmte wettbewerbswidrige Kontakte mit AGC/Splintex hatte. Ohne dass aus diesen Notizen das Bestehen einer rechtswidrigen Absprache im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG gefolgert werden kann, legen diese Notizen daher zumindest nahe, dass Herr D. und Herr M., damals Direktor bei Splintex, im Laufe dieses Zeitraums wettbewerbswidrige Gespräche über die Kunden Iveco und Fiat geführt haben. Die Klägerin hat außerdem in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte den unangemessenen Charakter der von ihrem Bevollmächtigten in diesem Rahmen unternommenen Schritte anerkannt.

73      Die Kommission legt außerdem die Aufzeichnung eines Telefongesprächs vom 22. Mai 2002 zwischen den Herren D. W. und V. G., beide damals Key Account Manager bei Saint-Gobain, und Herrn K. H., damals Verkaufsdirektor der Klägerin, vor. Diese eine Seite umfassende Aufzeichnung ist in den Geschäftsräumen der Klägerin beschlagnahmt worden.

74      Aus dieser Aufzeichnung geht hervor, dass die Herren D. W. und V. G. gegenüber Herrn K. H. erklärten, Fiat habe Saint-Gobain unterrichtet, dass es von einem „sehr kleinen Lieferanten“ ein „äußerst gutes Angebot“ über Glasteile für den Lancia Lybra erhalten habe und dass Fiat Saint-Gobain mitgeteilt habe, dass Saint-Gobain dieses Geschäft nur behalten könne, wenn es neue Angebote unterbreite und neue Preise vorschlage. Anschließend nahmen die Key Account Manager von Saint-Gobain, wie aus der Aufzeichnung hervorgeht, auf das Vorliegen einer „eindeutigen Vereinbarung über Glas“ mit der Klägerin Bezug, wonach keine der Parteien dieser Absprache „absurde Preise und sicherlich nicht für die von der anderen akquirierte Projekte“ einreiche. Die Key Account Manager von Saint-Gobain hätten ergänzt, sie seien der Ansicht, dass die Klägerin durch ihr Verhalten „einen Fehler … ohne Absprache begangen“ habe. Saint-Gobain habe insoweit auf der zwischen den drei großen Automobilglasherstellern bestehenden Zusammenarbeit für die Modelle Opel Frontera, Audi A3, Audi A6 und Volkswagen Passat bestanden. Aus dieser Aufzeichnung geht ebenfalls hervor, dass Saint-Gobain um ein Treffen in Aachen (Deutschland) gebeten hat, um „den Lybra sowie die folgenden Projekte“ zu besprechen, wobei Herr K. H. diese letzte Formulierung als den Volkswagen Passat betreffend ausgelegt habe. Die Aufzeichnung endet schließlich mit folgender Anmerkung: „Dieses Dokument ist nicht aufzubewahren, dieses Gespräch darf keine Spur hinterlassen.“

75      Nach Ansicht der Klägerin ergibt sich aus dieser Aufzeichnung lediglich die Unzufriedenheit von Saint-Gobain über ihre konkurrenzfähigen Preise im Zusammenhang mit der Lieferung von Glasteilen an Fiat, insbesondere mit den für den Lancia Lybra bestimmten Glasteilen.

76      Dieser Auslegung kann jedoch nicht gefolgt werden. Dem Wortlaut dieser Aufzeichnung kann nämlich entnommen werden, dass die Bekundung der Unzufriedenheit der Key Account Manager von Saint-Gobain gegenüber der Klägerin ihren Ursprung in der Verletzung einer Absprache durch die Klägerin hatte, die mit Saint-Gobain für die Lieferung von Automobilglas für den Lancia Lybra getroffen worden war. Bei der Anwendung von Art. 81 Abs. 1 EG brauchen die konkreten Auswirkungen einer Absprache nicht berücksichtigt zu werden, wenn sich ergibt, dass diese Absprache eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt (Urteile des Gerichtshofs vom 2. Oktober 2003, Ensidesa/Kommission, C‑198/99 P, Slg. 2003, I‑11111, Rn. 60, und vom 21. September 2006, Nederlandse Federatieve Vereniging voor de Groothandel op Elektronisch Gebied/Kommission, C‑105/04 P, Slg. 2006, I‑8725, Rn. 136). Daher ist der Umstand, dass sich ein Unternehmen, das sich an einer Vereinbarung über die Aufteilung des Marktes beteiligt hat, anschließend nicht an die vereinbarten Preise und Quoten hält, nicht geeignet, das Unternehmen zu entlasten (Urteil des Gerichtshofs vom 11. Juli 1989, Belasco u. a./Kommission, 246/86, Slg. 1989, 2117; Urteil des Gerichts vom 6. April 1995, Trefileurope/Kommission, T‑141/89, Slg. 1995, II‑791, Rn. 60; vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts Trefilunion/Kommission, T‑148/89, Slg. 1995, II‑1063, Rn. 79).

77      Die Kommission bezieht sich ferner auf in den Monaten Januar und März 2003 erstellte Notizen von Herrn G., damals Vertriebsleiter bei AGC/Splintex, um die Kontakte zu veranschaulichen, die zwischen der Klägerin und den Vertretern von AGC/Splintex und Saint-Gobain im Zusammenhang mit dem neuen Modell des Volkswagen Passat stattfanden. Diese Notizen beinhalten u. a. alle Daten über die verschiedenen Glasteile des neuen Volkswagen Passat, insbesondere die Preise. Sie erwähnen mehrere Male eine „Entschädigung“ zwischen den Automobilglasherstellern und scheinen darauf hinzuweisen, dass die Klägerin 10 000 Verbundsicherheitsglasteile pro Jahr herstelle.

78      Wie die Klägerin selbst einräumt, hat sie sich Anfang des Jahres 2003 mehrere Male telefonisch mit AGC/Splintex in Verbindung gesetzt, um die Scheibenlieferung für den neuen Volkswagen Passat zu besprechen. Die Klägerin macht dennoch geltend, dass sie keinesfalls die Zusicherung erhalten habe, dass sie auf diesen Vertrag zählen könne und dass sich die Bestellung der Scheiben, die ihr letztlich von Volkswagen erteilt worden sei, durch ihr wettbewerbskonformes Angebot sowie durch die „ausgezeichnete Qualität des Produkts, das [sie] für das vorherige Modell des Passat zu einem äußerst wettbewerbsfähigen Preis geliefert habe“, erklären könne. Die Klägerin trägt ferner vor, die drei großen Automobilglashersteller hätten Anfang 2001 unabhängig von ihrem Willen entschieden, die Lieferungen für das neue Modell des Volkswagen Passat zwischen Saint-Gobain, Pilkington und der Klägerin in derselben Weise wie für das Vorgängermodell aufzuteilen.

79      Diesen Erklärungen kann jedoch nicht gefolgt werden. Zwar stammen die von der Kommission vorgelegten Notizen von Herrn G. nicht von der Klägerin selbst. Dennoch ist zu betonen, dass die Klägerin in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte den unangemessenen Charakter der Kontakte anerkannt hat, die sie mit AGC Anfang des Jahres 2003 hatte. Überdies untermauern mehrere Abschnitte der Erklärungen der Kronzeugin den Umstand, dass die Klägerin bei den telefonischen Kontakten mit AGC/Splintex im Jahr 2003 die Vergabe eines Liefervertrags für Seitenscheiben für den neuen Volkswagen Passat gewünscht hat, um den Markt zu behalten, den sie für das Vorgängermodell desselben Automobils erhalten hatte. Aus denselben Erklärungen ergibt sich, dass Saint-Gobain und AGC/Splintex ihr Einverständnis erklärt haben, dass die Klägerin weiterhin die Seitenscheiben des neuen Volkswagen Passat liefert. Alles in allem folgt aus der oben in den Rn. 73 bis 76 genannten Aufzeichnung des Telefongesprächs vom 22. Mai 2002 zwischen Herrn K. H. zum einen sowie den Herren D. W. und V. G. zum anderen, dass die Klägerin von diesem Zeitpunkt an die Absicht von Saint-Gobain kannte, über die Aufteilung der Lieferung von Glasteilen für den neuen Volkswagen Passat zu sprechen.

80      Daher ist es als erwiesen anzusehen, dass die Klägerin zu Beginn des Jahres 2003 wettbewerbswidrige Kontakte mit AGC/Splintex anlässlich der für das neue Modell des Volkswagen Passat bestimmten Lieferung von Seitenscheiben hatte. Der Umstand, dass die drei großen Automobilglashersteller, ohne die Klägerin zu konsultieren, seit 2001 entschieden hätten, dass die Lieferung von Glasteilen für dieses neue Modell auf dieselbe Weise wie für das Vorgängermodell zwischen Saint-Gobain, Pilkington und der Klägerin aufgeteilt würde, ist in dieser Hinsicht irrelevant. Selbst wenn dieser Umstand nachgewiesen wäre, geht nämlich aus der Akte hervor, dass die Auslieferung des neuen Modells des Volkswagen Passat Anlass zu spezifischen wettbewerbswidrigen Gesprächen gegeben hat, an denen die Klägerin dieses Mal beteiligt war.

81      Somit ergibt sich aus den vorstehenden Erwägungen, dass die Kommission rechtsfehlerfrei festgestellt hat, dass die Klägerin zwischen November 2001 und März 2003 bestimmte bilaterale wettbewerbswidrige Kontakte mit AGC/Splintex zum einen und mit Saint-Gobain zum anderen gehabt hat.

–       Zur Teilnahme der Klägerin am Gesamtkartell auf dem Markt für Automobilglas zwischen den Clubmitgliedern

82      Nach den oben in den Rn. 60 bis 64 angeführten Grundsätzen reicht indessen die Feststellung des Bestehens bestimmter bilateraler wettbewerbswidriger Kontakte zwischen der Klägerin und AGC/Splintex zum einen sowie Saint-Gobain zum anderen zwischen November 2001 und März 2003 nicht aus, um auf ihre Beteiligung an der einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung zu schließen, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung ist. Da unstreitig ist, dass die Klägerin nicht an einem der Treffen des Clubs im eigentlichen Sinne teilgenommen hat, ist nämlich zum einen zu überprüfen, ob sie wusste oder notwendigerweise wissen musste, dass sich die wettbewerbsbeschränkende Absprache, an der sie teilgenommen hat, in den Gesamtplan dieser einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung einfügte, wie er oben in Rn. 55 dargelegt worden ist, und zum anderen, dass sie die allgemeine Tragweite und die wesentlichen Merkmale des Gesamtkartells kannte oder notwendigerweise kennen musste.

83      Das Gericht muss daher überprüfen, ob die Kommission nicht dadurch einen Fehler begangen hat, dass sie zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Klägerin wusste oder notwendigerweise wissen musste, dass die wettbewerbswidrigen Kontakte, von denen oben in den Rn. 68 bis 81 die Rede gewesen ist, Teil eines Kartells betreffend den gesamten Markt für die Lieferung von Automobilglas im EWR durch die Koordinierung der Preis‑ und Rabattpolitik sowie der Strategien für die Belieferung der Kunden waren, die auf die Aufrechterhaltung einer insgesamt konstanten Stellung der beteiligten Unternehmen auf dem betreffenden Markt ausgerichtet waren, und dass sie mit einer regelmäßigen Überwachung der Marktanteile sowie einem Berichtigungsmechanismus einhergehen (vgl. entsprechend Urteil Buchmann/Kommission, oben in Rn. 65 angeführt, Rn. 118 bis 122).

84      In dieser Hinsicht ist erstens festzustellen, dass in der von einem deutschen Rechtsanwalt, der auf Rechnung eines anonymen Mandanten tätig war, an die Kommission gerichteten Anzeige des streitigen Kartells (oben in Rn. 4 angeführt) die Klägerin nicht als ein an dem Kartell teilnehmendes Unternehmen bezeichnet wurde.

85      Zweitens ist zu betonen, dass sich die Kommission in den Erwägungsgründen 113 und 114 der angefochtenen Entscheidung auf zwei wichtige Clubtreffen vom 6. Dezember 2001 und vom 10. Juli 2002 bezieht, auf denen diese Unternehmen eine Gesamtwürdigung der Funktionsweise des streitigen Kartells und der notwendigen Anpassungen zur wirksamen Überwachung ihrer Absprache über die Marktanteile vorgenommen haben. Für diese Treffen sind Tabellen ausgearbeitet worden, um bestimmte Prognosen und Ziele von Marktanteilen jedes dieser drei Unternehmen aufzuzeigen.

86      Zum einen steht fest, dass die Klägerin an keinem dieser beiden Treffen teilgenommen hat, obwohl sie während des Zeitraums stattgefunden haben, für den die Kommission ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung angenommen hat. Zum anderen wird die Klägerin in den von den drei großen Automobilglasherstellern vorbereiteten Tabellen über die Kalkulation der Marktanteile während dieser Treffen nicht erwähnt.

87      Drittens ermöglichen die oben in den Rn. 72 bis 80 erwähnten handschriftlichen Notizen nicht die Schlussfolgerung, dass die Klägerin notwendigerweise verstehen musste, dass sie sich aufgrund bestimmter bilateraler wettbewerbswidriger Gespräche mit AGC/Splintex und mit Saint-Gobain am Ende des Jahres 2001, im Jahr 2002 und am Anfang des Jahres 2003 in ein Gesamtkartell einfügte, das beabsichtigte, eine Stabilität der Marktanteile der Teilnehmer an diesem Kartell im gesamten EWR zu gewährleisten.

88      Zwar könnten mehrere Abschnitte der im November und im Dezember 2001 von einem Angestellten der Klägerin gemachten Notizen Anhaltspunkte dafür liefern, dass die Klägerin wusste, dass Absprachen zwischen den drei großen Automobilglasherstellern bestanden, die über den italienischen Markt hinausgingen. So ist in der Notiz vom 19. November 2001 zu lesen, dass „sich Herr [M.] für eine Absprache von Splintex-Soliver ausspricht, da sie Absprachen mit Saint-Gobain und Pilkington haben …“, und in der Notiz vom 30. November 2001, dass „Herr [M.] sicherlich auf einem solchen Treffen die Automobilverglasung für alle Länder und nicht nur für Italien ansprechen [will]“. Aus der Notiz vom 30. November 2001 geht ebenfalls hervor, dass die Klägerin sich über den Umstand im Klaren war, dass Herr M. vermutlich versuchen würde, die Diskussion auf Europa zu lenken, auch wenn diese Notiz zeigt, dass die Klägerin Herrn D. angewiesen hatte, während des am 4. Dezember 2001 vorgesehenen Treffens „nur über den italienischen Markt zu sprechen“. Überdies ergibt sich aus der Notiz vom 12. Dezember 2001, dass dieses Treffen zwar stattgefunden hat, Herr D. jedoch insoweit „sehr ungenau“ war und dass hierbei „nicht mehr die Rede von einem Treffen [zwischen Herrn S. B., damals Direktor bei der Klägerin, und Herrn M., Direktor bei Splintex], war“. In derselben Notiz verweist Herr H. noch auf seinen „Eindruck, [dass Herr] D. mit [Herrn] M. andere Probleme angesprochen hat, die mit [der Klägerin] nichts zu tun hatten.“

89      Sicherlich bezieht sich die Aufzeichnung des Telefongesprächs vom 29. Mai 2002 ebenfalls auf eine „Zusammenarbeit“ zwischen den drei großen Automobilglasherstellern im Hinblick auf vier Fahrzeugmodelle für zwei Konzerne des Automobilsektors, nämlich General Motors für den Opel Frontera und Volkswagen für die Audi A3 und A6 sowie für den Volkswagen Passat. Im Hinblick auf das Wesen dieser Kontakte sowie auf den Zusammenhang, in dem diese stattgefunden haben, konnte die Klägerin vernünftigerweise annehmen, dass diese Absprachen oder Zusammenarbeit einen wettbewerbswidrigen Charakter aufwiesen. Die Klägerin hat außerdem in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte eingeräumt, dass die bedeutenden Erhöhungen der Preise für Flachglas, mit der sie u. a. am Anfang des Jahres 2001 konfrontiert worden sei, sie das Bestehen von wettbewerbswidrigen Kontakten zwischen diesen drei großen Automobilglasherstellern hätten annehmen lassen.

90      Diese Elemente reichen jedoch nicht aus, um nachzuweisen, dass die Klägerin das von den Mitgliedern des Clubs verfolgte allgemeine Ziel der Stabilisierung des Marktes für Automobilglas durch eine Reihe wettbewerbswidriger Verhaltensweisen, die nahezu alle Automobilhersteller betrafen, kannte oder notwendigerweise kennen musste. Die Bezugnahmen auf „Absprachen“ oder auf eine „Zusammenarbeit“ geben somit keinen Hinweis auf das Wesen und die Tragweite des Kartells zwischen den drei großen Automobilglasherstellern. Aus der Bezugnahme auf eine Zusammenarbeit betreffend vier PKW-Modelle von lediglich zwei Konzernen des Automobilsektors kann ebenfalls nicht geschlossen werden, dass die Klägerin die Gesamttragweite des Kartells notwendigerweise verstehen musste, soweit es eine Stabilisierung des gesamten Marktes beabsichtigte, da eine solche Bezugnahme als Verweisung auf punktuelle wettbewerbswidrige Verhaltensweisen betreffend die Zuteilung bestimmter Lieferverträge hätte verstanden werden können, ohne damit indessen ein allgemeines Ziel der Aufrechterhaltung der Marktanteile der Beteiligten zum Ausdruck zu bringen.

91      Aus diesen Gründen lassen die von der Kommission vorgelegten Dokumente auch nicht die Feststellung zu, dass die Klägerin die wesentlichen Modalitäten der Funktionsweise des streitigen Kartells kannte oder notwendigerweise kennen musste, nämlich, erstens, die Koordinierung der Preis‑ und Rabattpolitik sowie der Strategien für die Belieferung der Automobilhersteller, zweitens, den Umstand, dass regelmäßig bilaterale und trilaterale Treffen zwischen den Clubmitgliedern zur Überwachung der Marktanteile und der konkreten Umsetzung der auf den vorherigen Treffen getroffenen Absprachen über die Vergabe bestimmter Lieferverträge organisiert wurden, und, drittens, den Umstand, dass Ausgleichsmaßnahmen in Form von Entschädigungen bei bestimmten Lieferverträgen beschlossen wurden, wenn die Vergabe eines Liefervertrags nicht wie vorgesehen stattgefunden hatte, um zu garantieren, dass die gesamte Angebotssituation auf der Ebene des EWR der vereinbarten Aufteilung entspricht.

92      Die Notizen eines Angestellten von AGC/Splintex aus dem Jahr 2003 haben keine Auswirkung auf dieses Ergebnis, da sie zum einen interne Notizen von AGC/Splintex darstellen und sie zum anderen auf jeden Fall keine Elemente beinhalten, die geeignet sind, nachzuweisen, dass die Klägerin die allgemeine Tragweite und die wesentlichen Elemente des streitigen Kartells, wie sie oben beschrieben worden sind, kannte oder notwendigerweise kennen musste.

93      Viertens hat die Kronzeugin in einer gegenüber der Kommission am 19. Dezember 2005 abgegebenen Erklärung bestimmte von Herrn B., dem ehemaligen Verkaufsdirektor von AGC/Splintex, gemachte Notizen kommentiert. Im Rahmen dieser Erklärung hat die Kronzeugin die Klägerin als an dem Kartell zwischen den Clubmitgliedern nicht beteiligt dargestellt. Im Gegensatz zum Vorbringen der Kommission wurde diese Beschreibung jedoch nicht im Zusammenhang mit einer ganz konkreten Vertragsvergabe vorgenommen, sondern im Zusammenhang mit der Aufteilung der Marktanteile dieser Mitglieder im Hinblick auf den Hersteller Fiat, wie sie sich in den von Herrn B. während eines Clubtreffens vom 30. April 2002 gemachten Notizen widerspiegelt. Daher betraf diese Beschreibung nicht nur einen Zeitraum, für den die Beteiligung der Klägerin an der Zuwiderhandlung durch die Kommission festgestellt worden war, sondern sie betraf darüber hinaus einen der Hersteller, gegenüber denen die Kommission das Bestehen von wettbewerbswidrigen Kontakten zwischen der Klägerin und AGC/Splintex auf der Grundlage der von einem Angestellten der Klägerin im Laufe der Monate November und Dezember 2001, also mehrere Monate vor dem Treffen am 30. April 2002, gemachten handschriftlichen Notizen festgestellt hat.

94      Die Kronzeugin hat außerdem in demselben Abschnitt ihrer Erklärungen darauf hingewiesen, dass wenn ein Wettbewerber eines der Clubmitglieder einen Vertrag erhalten habe − die Kronzeugin nennt in diesem Zusammenhang die Klägerin −, eine solche Vergabe eines Liefervertrags nicht zu einer Entschädigung geführt habe. Dieses Aktenstück lässt somit erkennen, dass die Vergabe eines Liefervertrags an die Klägerin durch einen Automobilhersteller zu einer Zeit, für welche die Kommission die Beteiligung der Klägerin an der einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung angenommen hatte, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung ist, gleichwohl nicht die Umsetzung des Entschädigungsmechanismus zwischen den Clubmitgliedern auslöste. Wie u. a. oben in den Rn. 21 und 55 dargestellt worden ist, nahm dieser Mechanismus einen wesentlichen Platz in der Funktionsweise des streitigen Kartells ein, da er zur Verwirklichung des Ziels der Gesamtstabilisierung der Marktanteile der teilnehmenden Unternehmen beitrug, ungeachtet der Fälle, in denen sich die innerhalb des Clubs zuvor entschiedene Aufteilung der Lieferverträge nicht konkretisierte.

95      Fünftens kann auch dem Vorbringen der Kommission nicht gefolgt werden, wonach die Bezugnahmen auf die Klägerin in den Notizen, die bei den am 27. Oktober und 9. November 2000 stattgefundenen Treffen angefertigt wurden, nicht nur bestätigten, dass die drei großen Automobilglashersteller für die Klägerin bei der Verwirklichung des Gesamtplans des Kartells eine Rolle vorgesehen hätten, sondern auch, dass die Klägerin diesen Plan kannte oder notwendigerweise kennen musste.

96      Insoweit ist festzustellen, dass die beiden Treffen, auf die sich die Kommission bezieht, mehr als ein Jahr vor dem Zeitpunkt liegen, ab dem die Klägerin der Kommission zufolge an der streitigen Zuwiderhandlung beteiligt war. Überdies hat die Klägerin bestritten, an diesen Gesprächen teilgenommen zu haben oder von einem der Teilnehmer an diesen Gesprächen über deren Inhalt informiert worden zu sein. Im Hinblick auf das Treffen vom 9. November 2000 hat die Kommission außerdem im 294. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung anerkannt, dass kein Beweis vorliege, dass die Notizen über dieses Treffen, in denen auf die Klägerin Bezug genommen wird, von dieser verfasst und von einem der Teilnehmer in ihrem Namen mitgeteilt worden seien.

97      Das Gericht kommt infolgedessen zu dem Ergebnis, dass diese in den Notizen enthaltenen Bezugnahmen auf die Klägerin, die vor dem Beginn ihrer mutmaßlichen Beteiligung an der Zuwiderhandlung und im Laufe der Treffen, an denen ihre Teilnahme nicht nachgewiesen worden ist, gemacht worden sind, nicht ermöglichen, festzustellen, dass sie die allgemeine Tragweite oder die wesentlichen Merkmale des streitigen Kartells, wie sie oben in Rn. 55 zusammengefasst worden sind, kannte oder notwendigerweise kennen musste.

98      Sechstens ist hinsichtlich der Bezugnahmen der Kommission in der mündlichen Verhandlung auf verschiedene Auszüge aus den Erklärungen der Kronzeugin festzustellen, dass diese Auszüge nicht geeignet sind, dieses Ergebnis in Frage zu stellen. Zum einen enthält die angefochtene Entscheidung nämlich keine spezifische Begründung, aus der sich ergibt, wie diese Auszüge, isoliert oder in Verbindung mit den oben in den Rn. 72 bis 80 und 87 bis 92 überprüften handschriftlichen Notizen, belegen sollen, dass die Klägerin die allgemeine Tragweite und die wesentlichen Merkmale des Gesamtkartells sowie den Umstand, dass sich die Kontakte, die sie mit Wettbewerbern zwischen dem Ende des Jahres 2001 und März 2003 gehabt hat, in die Verwirklichung des Gesamtkartells einfügten, kannte oder notwendigerweise kennen musste. Zum anderen ermöglichen diese Auszüge auf jeden Fall nicht, zu einem solchen Ergebnis zu kommen.

99      Siebtens schließlich ist der von der Kommission hervorgehobene Unterschied zwischen dem Kontext der vorliegenden Rechtssache und demjenigen der Rechtssache, in der das oben in Rn. 53 angeführte Urteil Sigma Tecnologie/Kommission ergangen ist, im vorliegenden Fall nicht entscheidend.

100    Sicherlich war die Rechtssache Sigma Tecnologie/Kommission, die wettbewerbswidrige Verhaltensweisen im Fernwärmesektor betraf, im Gegensatz zur vorliegenden Rechtssache, wie die Kommission feststellt, durch eine Kartellstruktur auf zwei Ebenen, nämlich auf nationaler und auf europäischer Ebene, gekennzeichnet. In diesem Zusammenhang kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass die Kommission nicht nachgewiesen habe, dass Sigma Tecnologie, als sie sich an der Vereinbarung auf dem italienischen Markt beteiligte, von den wettbewerbswidrigen Aktivitäten der anderen Unternehmen auf europäischer Ebene wusste oder diese vernünftigerweise vorhersehen konnte (Urteil Sigma Tecnologie/Kommission, oben in Rn. 53 angeführt, Rn. 44).

101    Es gibt aber keinen Grund, der es rechtfertigt, die Anwendung des im Urteil Sigma Tecnologie/Kommission, oben in Rn. 53 angeführt, angewandten Grundsatzes, wonach die bloße Tatsache, dass eine Vereinbarung, an der ein Unternehmen teilgenommen hat, und ein Gesamtkartell den gleichen Gegenstand haben, nicht genügt, um diesem Unternehmen die Beteiligung am Gesamtkartell zur Last zu legen, auf Fälle von Kartellen begrenzt ist, in denen Vereinbarungen auf verschiedenen geografischen Ebenen getroffen werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Buchmann/Kommission, oben in Rn. 65 angeführt, Rn. 118 bis 122, vgl. auch entsprechend Urteil Quinn Barlo u. a./Kommission, oben in Rn. 63 angeführt, Rn. 142 bis 151). Das allein entscheidende Kriterium für die Feststellung der Teilnahme eines Unternehmens an einem Gesamtkartell besteht nämlich in der Überprüfung, ob dieses Unternehmen, als es an der einen oder anderen Absprache oder abgestimmten Verhaltensweise teilgenommen hat, gewusst hat oder wissen musste, dass es sich damit in dieses Gesamtkartell einfügte, wodurch es seine Zugehörigkeit zu diesem Kartell zum Ausdruck brachte.

102    Somit ergibt sich aus den oben in den Rn. 84 bis 98 angestellten Erwägungen, dass dieser Nachweis von der Kommission im vorliegenden Fall nicht erbracht worden ist. Es ist in dieser Hinsicht ohne Bedeutung, dass das streitige Kartell nur auf der Ebene des EWR organisiert worden ist.

103    Hinzu kommt, dass die Kommission ihre Behauptung, im Gegensatz zum Kartell auf dem italienischen Markt in der Rechtssache, in der das Urteil Sigma/Tecnologie, oben in Rn. 53 angeführt, ergangen sei, sei es wenig wahrscheinlich, dass die bilateralen wettbewerbswidrigen Gespräche der Klägerin mit zwei ihrer Wettbewerber Sinn gehabt hätten, wenn sie nicht Teil eines umfangreicheren Gesamtplans gewesen wären, nicht belegt. Wie schon oben in Rn. 90 dargelegt, ist es im Gegenteil gut vorstellbar, dass wettbewerbswidrige Verhaltensweisen punktuell für die Vergabe von bestimmten Lieferverträgen beschlossen werden, ohne deshalb ein allgemeines Ziel der Stabilisierung der Marktanteile der Teilnehmer an solchen Verhaltensweisen auf dem Markt für Automobilglas im EWR zu enthalten.

104    Die von der Kommission angeführten Elemente stellen somit nicht ein Bündel von Indizien dar, das für die Annahme genügt, dass die Klägerin an der die drei großen Automobilglashersteller umfassenden einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung teilgenommen hat, die Gegenstand der angefochtenen Entscheidung ist.

105    In diesem Zusammenhang ist ebenfalls das Vorbringen der Kommission zurückzuweisen, die Klägerin habe sich nicht öffentlich vom Inhalt der Treffen der Clubmitglieder distanziert, um der Verantwortung zu entgehen, die angeblich mit ihrer Beteiligung an der von diesen begangenen einzigen und fortdauernden Zuwiderhandlung verbunden ist. Eine solche Feststellung wäre nur dann relevant, wenn die Kommission der ihr obliegenden Beweislast nachgekommen wäre, was hier nicht der Fall ist (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 6. Januar 2004, BAI und Kommission/Bayer, C‑2/01 P und C‑3/01 P, Slg. 2004, I‑23, Rn. 62 und 63).

106    Daraus folgt, dass dem ersten Klagegrund stattzugeben ist.

 Zu den Folgen der im Rahmen des ersten Klagegrundes festgestellten Rechtswidrigkeit für die Nichtigkeit

107    Unter Berücksichtigung der oben in den Rn. 68 bis 81 angestellten Erwägungen, wonach die Klägerin effektiv zwischen November 2001 und März 2003 an bestimmten bilateralen wettbewerbswidrigen Gesprächen mit AGC/Splintex und Saint-Gobain teilgenommen hat, stellt sich noch die Frage nach den Folgen der im Rahmen der Prüfung des ersten Klagegrundes festgestellten Rechtswidrigkeit für die Nichtigkeit.

108    Art. 264 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass die mit einer Nichtigkeitsklage angefochtene Handlung nur für nichtig erklärt wird, soweit die Klage begründet ist (Urteil Kommission/Verhuizingen Coppens, oben in Rn. 63 angeführt, Rn. 36). Daher erlaubt dem Gericht die Tatsache allein, dass es einen von der klagenden Partei zur Stützung ihrer Nichtigkeitsklage geltend gemachten Klagegrund für begründet hält, nicht, den angefochtenen Rechtsakt ohne Weiteres insgesamt für nichtig zu erklären. Eine vollständige Nichtigerklärung kann nämlich nicht erfolgen, wenn der betreffende Klagegrund, der nur einen spezifischen Aspekt des angefochtenen Rechtsakts betrifft, ganz offensichtlich nur eine teilweise Nichtigerklärung rechtfertigen kann (vgl. Urteil Kommission/Verhuizingen Coppens, oben in Rn. 63 angeführt, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

109    Hat sich daher ein Unternehmen an einer oder mehreren wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen, die eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung bilden, unmittelbar beteiligt, ist aber nicht nachgewiesen, dass es durch sein eigenes Verhalten zur Erreichung sämtlicher von den anderen Kartellbeteiligten an den Tag gelegten gemeinsamen Ziele beitragen wollte und von dem gesamten übrigen rechtswidrigen Verhalten, das die genannten Kartellbeteiligten in Verfolgung dieser Ziele beabsichtigten oder an den Tag legten, wusste oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen, so ist die Kommission lediglich berechtigt, dieses Unternehmen für die Verhaltensweisen, an denen es sich unmittelbar beteiligt hat, und die Verhaltensweisen zur Verantwortung zu ziehen, die die anderen Kartellbeteiligten in Verfolgung der gleichen wie der von ihm verfolgten Ziele beabsichtigten oder an den Tag legten und für die nachgewiesen ist, dass es von ihnen wusste oder sie vernünftigerweise vorhersehen konnte und bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (Urteil Kommission/Verhuizingen Coppens, oben in Rn. 63 angeführt, Rn. 44). Dies darf jedoch nicht zu einer Entlastung dieses Unternehmens von seiner Verantwortlichkeit für die Verhaltensweisen führen, an denen seine Beteiligung feststeht und für die es tatsächlich zur Verantwortung gezogen werden kann (Urteil Kommission/Verhuizingen Coppens, oben in Rn. 63 angeführt, Rn. 45).

110    Eine solche Aufteilung einer Entscheidung der Kommission, in der ein Gesamtkartell als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung eingestuft wird, kommt jedoch nur in Betracht, wenn das fragliche Unternehmen im Verwaltungsverfahren in die Lage versetzt wurde, zu erkennen, dass ihm nicht nur die Beteiligung an dieser Zuwiderhandlung, sondern auch an bestimmten Verhaltensweisen, aus denen sie besteht, vorgeworfen wird, und es sich mithin in diesem Punkt verteidigen konnte, und wenn die Entscheidung insoweit hinreichend klar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Verhuizingen Coppens, oben in Rn. 63 angeführt, Rn. 46).

111    Im vorliegenden Fall vertritt die Kommission in der Gegenerwiderung die Ansicht, aus den im Zusammenhang mit den bilateralen Kontakten zwischen der Klägerin und AGC/Splintex sowie Saint-Gobain gesammelten Beweisen ergebe sich das Bestehen von durch das Wettbewerbsrecht der Union verbotenen abgestimmten Verhaltensweisen.

112    Unabhängig von einer möglichen Begründetheit dieser Feststellung ist auf jeden Fall festzuhalten, dass die angefochtene Entscheidung die Teilnahme der Klägerin an den bilateralen Kontakten, die sie zwischen dem Ende des Jahres 2001 und März 2003 mit AGC/Splintex und Saint-Gobain gehabt hat, nicht für sich alleine als Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG qualifiziert. Die Kommission hat außerdem im 498. Erwägungsgrund der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass sie es „für widersinnig [hielt, das] durch einen einzigen Zweck bestimmte fortgesetzte Verhalten [der betroffenen Unternehmen] in verschiedene getrennte Zuwiderhandlungen zu unterteilen, während es sich in Wirklichkeit um eine einzige Zuwiderhandlung handelt[e], die sich schrittweise sowohl durch Vereinbarungen als auch durch aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen konkretisierte“ (vgl. entsprechend Urteil des Gerichtshofs vom 4. Juli 2013, Kommission/Aalberts Industries u. a., C‑287/11 P, Rn. 65).

113    Nach den oben in Rn. 110 angeführten Grundsätzen darf der Unionsrichter unter solchen Umständen nicht selbst eine solche Qualifizierung vornehmen, da er sonst in die der Kommission durch Art. 85 EG übertragenen Zuständigkeiten im Hinblick auf die Verfolgung und Bestrafung von Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht der Union eingreifen würde.

114    Unter diesen Umständen ist daher − ohne dass es notwendig ist, die anderen Klagegründe zu prüfen − zu entscheiden, dass Art. 1 Buchst. d und Art. 2 Buchst. d der angefochtenen Entscheidung in der durch die berichtigende Entscheidung K(2009) 863 endg. geänderten Fassung für nichtig erklärt werden, soweit mit dieser Entscheidung die Teilnahme der Klägerin an einem rechtswidrigen Kartell auf dem Markt für Automobilglas im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in der Zeit vom 19. November 2001 bis zum 11. März 2003 festgestellt und daher eine Geldbuße in Höhe von 4 396 000 Euro gegen sie verhängt wurde.

 Kosten

115    Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

116    Da die Kommission unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Art. 1 Buchst. d und Art. 2 Buchst. d der Entscheidung K(2008) 6815 endg. der Kommission vom 12. November 2008 in einem Verfahren nach Art. 81 [EG] und Art. 53 EWR-Abkommen (Sache COMP/39.125 – Automobilglas) in der durch die Entscheidung K(2009) 863 endg. der Kommission vom 11. Februar 2009 geänderten Fassung werden für nichtig erklärt, soweit mit dieser Entscheidung die Teilnahme der Soliver NV an einem rechtswidrigen Kartell auf dem Markt für Automobilglas im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) in der Zeit vom 19. November 2001 bis zum 11. März 2003 festgestellt und daher eine Geldbuße in Höhe von 4 396 000 Euro gegen sie verhängt wurde.

2.      Die Europäische Kommission trägt die Kosten.

Forwood

Dehousse

Schwarcz

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 10. Oktober 2014.

Unterschriften

Inhaltsverzeichnis


Angefochtene Entscheidung

Verfahren und Anträge der Parteien

Rechtliche Würdigung

Vorbringen der Parteien

Würdigung durch das Gericht

Zur Begründetheit des Vorbringens der Klägerin

– Vorbemerkungen und Hinweis auf die Grundsätze

– Zur Wettbewerbswidrigkeit der Kontakte zwischen der Klägerin und einigen ihrer Wettbewerber

– Zur Teilnahme der Klägerin am Gesamtkartell auf dem Markt für Automobilglas zwischen den Clubmitgliedern

Zu den Folgen der im Rahmen des ersten Klagegrundes festgestellten Rechtswidrigkeit für die Nichtigkeit

Kosten


* Verfahrenssprache: Niederländisch.