Language of document : ECLI:EU:C:2021:8

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

14. Januar 2021(*)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 17 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Eigentumsrecht – Art. 47 der Charta der Grundrechte – Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf – Rahmenbeschluss 2005/212/JI – Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten – Richtlinie 2014/42/EU – Einfrieren und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union – Nationale Regelung, die die Einziehung des zur Begehung von Zollschmuggel genutzten Vermögensgegenstands zugunsten des Staates vorsieht – Vermögensgegenstand, der einem gutgläubigen Dritten gehört“

In der Rechtssache C‑393/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Apelativen sad – Plovdiv (Berufungsgericht Plovdiv, Bulgarien) mit Entscheidung vom 16. Mai 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Mai 2019, im Strafverfahren gegen

OM,

Beteiligte:

Okrazhna prokuratura – Haskovo,

Apelativna prokuratura – Plovdiv,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan (Berichterstatter) und N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

–        der Okrazhna prokuratura – Haskovo, vertreten durch V. Radeva-Rancheva als Bevollmächtigte,

–        der Apelativna prokuratura – Plovdiv, vertreten durch I. Perpelov als Bevollmächtigten,

–        der griechischen Regierung, vertreten durch M. Tassopoulou, S. Charitaki und A. Magrippi als Bevollmächtigte,

–        der Europäischen Kommission, vertreten durch Y. Marinova und R. Troosters als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. Juni 2020

folgendes

Urteil

1        Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 1 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2        Es ergeht in einem Strafverfahren gegen OM wegen der nach dessen Verurteilung wegen schweren Zollschmuggels erfolgten Einziehung eines einem gutgläubigen Dritten gehörenden Vermögensgegenstands, der zur Begehung dieser Straftat genutzt wurde.

 Rechtlicher Rahmen

 Unionsrecht

 Rahmenbeschluss 2005/212/JI

3        Der dritte Erwägungsgrund des Rahmenbeschlusses 2005/212/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten (ABl. 2005, L 68, S. 49) lautet:

„Nach Nummer 50 Buchstabe b) des Wiener Aktionsplans soll spätestens fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrags eine Verbesserung und erforderlichenfalls Annäherung der einzelstaatlichen Vorschriften über Beschlagnahmen und die Einziehung von Erträgen aus Straftaten unter Berücksichtigung der Rechte Dritter, die gutgläubig gehandelt haben, erfolgen.“

4        Art. 1 („Begriffsbestimmungen“) dritter und vierter Gedankenstrich des Rahmenbeschlusses lautet:

„Im Sinne dieses Rahmenbeschlusses bezeichnet der Ausdruck

–        …

–        ‚Tatwerkzeuge‘ alle Gegenstände, die in irgendeiner Weise ganz oder teilweise zur Begehung einer oder mehrerer Straftaten verwendet werden oder verwendet werden sollen;

–        ‚Einziehung‘ eine Strafe oder Maßnahme, die von einem Gericht im Anschluss an ein eine Straftat oder mehrere Straftaten betreffendes Verfahren angeordnet wurde und die zur endgültigen Einziehung von Vermögensgegenständen führt“.

5        Art. 2 („Einziehung“) dieses Rahmenbeschlusses bestimmt:

„(1)      Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Tatwerkzeuge und Erträge aus Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht sind, oder Vermögensgegenstände, deren Wert diesen Erträgen entspricht, ganz oder teilweise eingezogen werden können.

(2)      In Verbindung mit Steuerstraftaten können die Mitgliedstaaten andere Verfahren als Strafverfahren anwenden, um den Tätern die Erträge aus der Straftat zu entziehen.“

6        Art. 4 („Rechtsmittel“) des Rahmenbeschlusses lautet:

„Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass alle von den Maßnahmen nach den Artikeln 2 und 3 betroffenen Parteien über wirksame Rechtsmittel zur Wahrung ihrer Rechte verfügen.“

 Richtlinie 2014/42/EU

7        In den Erwägungsgründen 9, 33 und 41 der Richtlinie 2014/42/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über das Einfrieren und die Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten in der Europäischen Union (ABl. 2014, L 127, S. 39, Berichtigung ABl. 2014, L 138, S. 114) heißt es:

„(9)      Mit der vorliegenden Richtlinie sollen die Bestimmungen der Rahmenbeschlüsse 2001/500/JI [des Rates vom 26. Juni 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten (ABl. 2001, L 182, S. 1)] und 2005/212/JI abgeändert und erweitert werden. Für die durch die vorliegende Richtlinie gebundenen Mitgliedstaaten sollten Teile dieser Rahmenbeschlüsse ersetzt werden.

(33)      Diese Richtlinie wirkt sich nicht nur erheblich auf die Rechte verdächtiger oder beschuldigter Personen aus, sondern auch auf die Rechte strafrechtlich nicht verfolgter Dritter. Es müssen deshalb besondere Garantien und gerichtliche Rechtsbehelfe vorgesehen werden, damit ihre Grundrechte bei der Umsetzung dieser Richtlinie gewahrt bleiben. Dies schließt ein Recht auf Anhörung für Dritte ein, die geltend machen, dass sie die Eigentümer der betreffenden Vermögensgegenstände sind oder dass sie andere Eigentumsrechte (‚dingliche Rechte‘, ‚ius in re‘), wie etwa das Nießbrauchsrecht, haben. Die Sicherstellungsentscheidung sollte der betroffenen Person baldmöglichst nach ihrer Vollstreckung mitgeteilt werden. Die zuständigen Behörden können die Unterrichtung der betroffenen Person über die Entscheidung jedoch aus Ermittlungsgründen aufschieben.

(41)      Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Einziehung von Vermögensgegenständen in Strafsachen zu erleichtern, von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann, sondern vielmehr auf Unionsebene besser zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) verankerten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das für die Verwirklichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.“

8        Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

3.      ‚Tatwerkzeuge‘ alle Gegenstände, die in irgendeiner Weise ganz oder teilweise zur Begehung einer oder mehrerer Straftaten verwendet werden oder verwendet werden sollen;

4.      ‚Einziehung‘ eine von einem Gericht in Bezug auf eine Straftat angeordnete endgültige Entziehung von Vermögensgegenständen;

…“

9        Art. 3 („Anwendungsbereich“) der Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie findet Anwendung auf Straftaten im Sinne folgender Rechtsinstrumente:

a)      Übereinkommen aufgrund von Artikel K.3 Absatz 2 Buchstabe c des Vertrags über die Europäische Union über die Bekämpfung der Bestechung, an der Beamte der Europäischen Gemeinschaften oder der Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt sind …,

b)      Rahmenbeschluss 2000/383/JI des Rates vom 29. Mai 2000 über die Verstärkung des mit strafrechtlichen und anderen Sanktionen bewehrten Schutzes gegen Geldfälschung im Hinblick auf die Einführung des Euro [(ABl. 2000, L 140, S. 1)],

c)      Rahmenbeschluss 2001/413/JI des Rates vom 28. Mai 2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln [(ABl. 2001, L 149, S. 1)],

d)      Rahmenbeschluss 2001/500/JI des Rates vom 26. Juni 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten [(ABl. 2001, L 182, S. 1)],

e)      Rahmenbeschluss 2002/475/JI des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung [(ABl. 2002, L 164, S. 3)],

f)      Rahmenbeschluss 2003/568/JI des Rates vom 22. Juli 2003 zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor [(ABl. 2003, L 192, S. 54)],

g)      Rahmenbeschluss 2004/757/JI des Rates vom 25. Oktober 2004 zur Festlegung von Mindestvorschriften über die Tatbestandsmerkmale strafbarer Handlungen und die Strafen im Bereich des illegalen Drogenhandels [(ABl. 2004, L 335, S. 8)],

h)      Rahmenbeschluss 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität [(ABl. 2008, L 300, S. 42)],

i)      Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates [(ABl. 2011, L 101, S. 1)],

j)      Richtlinie 2011/93/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornografie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI des Rates [(ABl. 2011, L 335, S. 1)],

k)      Richtlinie 2013/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. August 2013 über Angriffe auf Informationssysteme und zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2005/222/JI des Rates [(ABl. 2013, L 218, S. 8)]

sowie anderer Rechtsinstrumente, sofern darin konkret festgelegt ist, dass die vorliegende Richtlinie auf die darin harmonisierten Straftaten Anwendung findet.“

10      Art. 12 („Umsetzung“) Abs. 1 der Richtlinie 2014/42 lautet:

„Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens bis zum 4. Oktober 2016 nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit.“

11      Art. 14 („Ersetzung der Gemeinsamen Maßnahme 98/699/JI und bestimmter Regelungen der Rahmenbeschlüsse 2001/500/JI und 2005/212/JI“) dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)      Die Gemeinsame Maßnahme 98/699/JI [vom 3. Dezember 1998 – vom Rat aufgrund von Artikel K.3 des Vertrags über die Europäische Union angenommen – betreffend Geldwäsche, die Ermittlung, das Einfrieren, die Beschlagnahme und die Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten (ABl. 1998, L 333, S. 1)], Artikel 1 Buchstabe a sowie die Artikel 3 und 4 des Rahmenbeschlusses 2001/500/JI und die Artikel 1 Gedankenstriche 1 bis 4 und Artikel 3 des Rahmenbeschlusses 2005/212/JI werden durch die vorliegende Richtlinie für die Mitgliedstaaten ersetzt, die durch die vorliegende Richtlinie gebunden sind, unbeschadet der Pflichten dieser Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den Fristen für die Umsetzung dieser Rahmenbeschlüsse in innerstaatliches Recht.

(2)      Für die Mitgliedstaaten, die an die vorliegende Richtlinie gebunden sind, gelten Bezugnahmen auf die Gemeinsame Maßnahme 98/699/JI und die Bestimmungen der Rahmenbeschlüsse 2001/500/JI und 2005/212/JI nach Absatz 1 als Bezugnahmen auf die vorliegende Richtlinie.“

 Bulgarisches Recht

12      Art. 37 Abs. 1 des Nakazatelen kodeks (Strafgesetzbuch) (im Folgenden: NK) bestimmt:

„Die Strafen sind:

3.      Einziehung vorhandener Vermögensgegenstände;

…“

13      Nach § 242 Abs. 1 NK wird schwerer Schmuggel mit Freiheitsstrafe von drei bis zehn Jahren und mit Geldstrafe von 20 000 bis 100 000 bulgarischen Leva (BGN) (etwa 10 226 bis 51 130 Euro) geahndet.

14      Art. 242 Abs. 7 und 8 NK bestimmt:

„(7)      … Die geschmuggelte Ware wird ungeachtet der Eigentumsverhältnisse zugunsten des Staates beschlagnahmt; falls sie nicht mehr vorhanden ist oder veräußert wurde, wird ein Betrag in Höhe ihres nationalen Einzelhandelspreises bestimmt.

(8)      … Das Beförderungsmittel oder das Behältnis, das zur Beförderung der geschmuggelten Waren verwendet wird, wird zugunsten des Staates beschlagnahmt, und zwar auch dann, wenn es nicht im Eigentum des Täters der Straftat steht, es sei denn, sein Wert entspricht nicht der Schwere der Straftat.“

 Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

15      Zur Zeit des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens führte OM, der bei einer in der Türkei ansässigen Spedition als Fahrer beschäftigt war, mit einem Sattelschlepper und einem Sattelanhänger dieses Unternehmens grenzüberschreitende Transporte durch.

16      Am 11. Juni 2018 nahm OM bei der Vorbereitung eines Transports zwischen Istanbul (Türkei) und Delmenhorst (Deutschland) den von einer unbekannten Person an ihn herangetragenen Vorschlag an, 2 940 antike Geldmünzen illegal gegen Entgelt nach Deutschland mitzuführen.

17      Am 12. Juni 2018 wurde OM nach Überschreiten der Grenze zwischen der Türkei und Bulgarien einer Zollkontrolle unterzogen, bei der die in der Zugmaschine versteckten Geldmünzen entdeckt wurden.

18      Die Münzen, deren Wert ein archäologisches und numismatisches Gutachten auf 73 500 BGN (etwa 37 600 Euro) bezifferte, der Sattelschlepper, der Sattelanhänger, der Kontaktschlüssel und die Zulassungsbescheinigungen der Zugmaschine wurden eingezogen und als Beweismaterial für die mutmaßliche Straftat zusammengestellt.

19      Im Lauf der Ermittlungen verlangte der Geschäftsführer des türkischen Unternehmens und Arbeitgeber von OM die Rückgewähr des Sattelschleppers und des Sattelanhängers, wobei er sich darauf berief, dass das Unternehmen in keinem Zusammenhang mit der Straftat stehe und die Rückgewähr dieser Gegenstände die Ermittlungen nicht beeinträchtige. Dieses Ersuchen wurde von dem für die Ermittlung zuständigen Staatsanwalt mit der Begründung abgelehnt, dass das Beweismaterial nach bulgarischem Recht bis zum Abschluss des Strafverfahrens aufbewahrt werde und eine Rückgewähr die Ermittlungen behindern würde. Der Geschäftsführer focht die ablehnende Entscheidung vor dem Okrazhen sad Haskovo (erstinstanzliches Gericht Haskovo, Bulgarien) an, der sie mit unanfechtbarem Beschluss vom 19. Oktober 2018 bestätigte.

20      Mit Urteil vom 22. März 2019 wurde OM vom Okrazhen sad Haskovo (erstinstanzliches Gericht Haskovo) wegen schweren Zollschmuggels zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und einer Geldstrafe von 20 000 BGN (etwa 10 200 Euro) verurteilt. Die Geldmünzen und der Sattelschlepper wurden nach Art. 242 Abs. 7 und 8 NK zugunsten des Staates beschlagnahmt. Dagegen wurde der Sattelanhänger, der in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit der Begehung der Straftat stand, dem Arbeitgeber von OM zurückgewährt.

21      OM legte beim Apelativen sad – Plovdiv (Berufungsgericht Plovdiv, Bulgarien) Berufung gegen dieses Urteil ein, soweit darin die Beschlagnahme des Sattelschleppers angeordnet worden war, und machte geltend, dass diese Beschlagnahme u. a. gegen die Bestimmungen des AEU-Vertrags und der Charta verstoße.

22      Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass die in Art. 242 Abs. 8 NK vorgesehene Beschlagnahme des Fahrzeugs, das der Beförderung der Schmuggelware gedient habe, zwar im Anschluss an die Begehung des Schmuggels zwingend vorgeschrieben sei, aber anders als die Einziehung von Vermögensgegenständen des Beschuldigten gemäß Art. 37 Abs. 1 Nr. 3 NK keine Strafe darstelle.

23      Das vorlegende Gericht hat jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit von Art. 242 Abs. 8 NK, der vor dem Beitritt der Republik Bulgarien zur Europäischen Union am 1. Januar 2007 erlassen worden war, mit den Bestimmungen des Unionsrechts, u. a. mit Art. 17 Abs. 1 und Art. 47 der Charta.

24      Insbesondere könne die Beschlagnahme im Sinne dieser Bestimmung – auch dann, wenn das zur Beförderung der Schmuggelware verwendete Beförderungsmittel nicht dem Täter gehöre – zu einem Ungleichgewicht zwischen dem Interesse des Dritten, der Eigentümer sei und der an der Straftat nicht beteiligt gewesen sei und in keiner Weise mit dieser im Zusammenhang stehe, und dem Interesse des Staates an der Beschlagnahme dieses Vermögensgegenstands, weil dieser für die Begehung der Straftat verwendet worden sei, führen.

25      Insoweit verweist das vorlegende Gericht auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 13. Oktober 2015, Ünsped Paket Servisi San. VE TİC. A.Ş./Bulgarien (CE:ECHR:2015:1013JUD000350308), in dem dieser entschieden habe, dass die auf der Grundlage von Art. 242 Abs. 8 NK verfügte Einziehung eines Lastkraftwagens, der einem in der Türkei ansässigen Unternehmen gehöre, gegen Art. 1 des Protokolls Nr. 1 zur am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verstoße, dessen Inhalt sich mit Art. 17 Abs. 1 der Charta decke. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte habe nämlich darauf hingewiesen, dass das Unternehmen, das Eigentümerin des Lastkraftwagens sei, keinen Zugang zu den Gerichten gehabt habe, da das nationale Verfahren ihm nicht die Möglichkeit gegeben habe, seinen Standpunkt darzulegen, so dass kein ausgewogenes Verhältnis zwischen allen Interessen gewährleistet gewesen sei.

26      Vor diesem Hintergrund führt das vorlegende Gericht aus, dass angesichts des Umstands, dass sich die Richtlinie 2014/42 nach ihrem 33. Erwägungsgrund nicht nur erheblich auf die Rechte verdächtiger oder beschuldigter Personen, sondern auch auf die Rechte strafrechtlich nicht verfolgter Dritter auswirke, besondere Garantien und Rechtsbehelfe vorgesehen werden müssten, damit die Grundrechte dieser Personen gewahrt blieben, und dass dies das Recht auf Anhörung für Dritte einschließe, die geltend machten, dass sie die Eigentümer der betreffenden Vermögensgegenstände seien.

27      Unter diesen Umständen hat der Apelativen sad Plovdiv (Berufungsgericht Plovdiv) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Ist Art. 17 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen, dass wegen einer Beeinträchtigung des ausgewogenen Verhältnisses zwischen dem Allgemeininteresse und dem Erfordernis des Schutzes des Eigentumsrechts eine nationale Regelung wie die nach Art. 242 Abs. 8 NK unzulässig ist, wonach ein zur Begehung schweren Schmuggels genutztes Transportmittel, das einer dritten Person gehört, die weder wusste noch hätte wissen müssen oder können, dass ihr Angestellter die Straftat begeht, zugunsten des Staates einzuziehen ist?

2.      Ist Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung wie die nach Art. 242 Abs. 8 NK unzulässig ist, wonach ein Transportmittel, das im Eigentum einer Person steht, bei der es sich nicht um die Person handelt, die die Tat begangen hat, eingezogen werden kann, ohne dass der unmittelbare Zugang des Eigentümers zu den Gerichten zur Darlegung seines Standpunkts gewährleistet ist?

 Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

28      Die Apelativna prokuratura – Plovdiv (Berufungsstaatsanwaltschaft Plovdiv, Bulgarien) und die griechische Regierung halten den Gerichtshof für die Beantwortung der Vorlagefragen für unzuständig, da die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften nicht vom Anwendungsbereich des Unionsrechts erfasst würden. Sie machen u. a. geltend, dass das nationale Gericht keine unionsrechtliche Vorschrift anführe, die einen hinreichenden Zusammenhang zwischen dem Ausgangsrechtsstreit und dem Unionsrecht herstellen könne.

29      Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass sich die Vorlagefragen ausdrücklich nur auf Bestimmungen der Charta beziehen, und zwar auf Art. 17 über das Eigentumsrecht sowie Art. 47 über das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht.

30      Hierzu ist festzustellen, dass der Anwendungsbereich der Charta, was das Handeln der Mitgliedstaaten betrifft, in ihrem Art. 51 Abs. 1 definiert ist. Danach gilt sie für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Unionsrechts (Urteil vom 6. Oktober 2015, Delvigne, C‑650/13, EU:C:2015:648, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Art. 51 Abs. 1 der Charta bestätigt die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs, nach der die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte in allen unionsrechtlich geregelten Fallgestaltungen, aber nicht außerhalb derselben Anwendung finden (vgl. u. a. Urteil vom 6. Oktober 2015, Delvigne, C‑650/13, EU:C:2015:648, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32      Wird eine rechtliche Situation nicht vom Unionsrecht erfasst, ist der Gerichtshof also nicht zuständig, um über sie zu entscheiden, und die möglicherweise angeführten Bestimmungen der Charta können als solche keine entsprechende Zuständigkeit begründen (Urteil vom 6. Oktober 2015, Delvigne, C‑650/13, EU:C:2015:648, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33      Folglich ist zu prüfen, ob ein Sachverhalt wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, in dem das Vermögen eines Dritten zugunsten des betreffenden Mitgliedstaats mit der Begründung eingezogen wird, dass es im Rahmen einer Straftat verwendet wurde, in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt.

34      Im vorliegenden Fall verweist das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen auf die Richtlinie 2014/42, die den Mitgliedstaaten Verpflichtungen auferlegt, um, wie es in ihrem 41. Erwägungsgrund heißt, die Einziehung von Vermögensgegenständen in Strafsachen zu erleichtern.

35      Der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Schmuggel gehört jedoch nicht zu den Straftaten, auf die diese Richtlinie nach ihrem Art. 3 Anwendung findet, so dass der Gegenstand des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Verfahrens nicht in den sachlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.

36      Hierzu ist festzustellen, dass die Richtlinie 2014/42 den Rahmenbeschluss 2005/212 teilweise ersetzt hat, der ganz wie diese Richtlinie die Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten betrifft. Nach dem neunten Erwägungsgrund dieser Richtlinie besteht deren Zweck nämlich darin, die Bestimmungen u. a. dieses Rahmenbeschlusses abzuändern und zu erweitern.

37      Im Einzelnen ergibt sich aus Art. 14 Abs. 1 der Richtlinie 2014/42, dass diese nur Art. 1 erster bis vierter Gedankenstrich und Art. 3 des Rahmenbeschlusses 2005/212 für die Mitgliedstaaten, die an diese Richtlinie gebunden sind, ersetzt hat, was zur Folge hatte, dass die Art. 2, 4 und 5 dieses Rahmenbeschlusses nach dem Erlass dieser Richtlinie in Kraft geblieben sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. März 2020, „Agro In 2001“, C‑234/18, EU:C:2020:221, Rn. 48).

38      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Rahmenbeschluss 2005/212 in seinem Art. 2 Abs. 1 allgemeiner als in der Richtlinie 2014/42 formuliert vorsieht, dass „[j]eder Mitgliedstaat … die erforderlichen Maßnahmen [trifft], um sicherzustellen, dass Tatwerkzeuge und Erträge aus Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht sind, oder Vermögensgegenstände, deren Wert diesen Erträgen entspricht, ganz oder teilweise eingezogen werden können“.

39      Im vorliegenden Fall wird der im Ausgangsverfahren in Rede stehende schwere Schmuggel mit einer Freiheitsstrafe von drei bis zehn Jahren geahndet, die gemäß Art. 242 Abs. 8 NK durch die Beschlagnahme des für die Beförderung der geschmuggelten Ware verwendeten Transportmittels ergänzt werden kann.

40      Daraus folgt, dass die Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2005/212 zwangsläufig Teil der unionsrechtlichen Aspekte sind, die in Anbetracht des Gegenstands des Ausgangsrechtsstreits und der Angaben des vorlegenden Gerichts vom Gerichtshof berücksichtigt werden müssen, damit dieser die ihm vorgelegten Fragen sachdienlich beantworten kann. Somit fällt die Rechtslage im Ausgangsverfahren in den Anwendungsbereich des Unionsrechts und insbesondere dieses Rahmenbeschlusses.

41      Darüber hinaus sieht der Rahmenbeschluss gemäß seinen Art. 2 und 4 Vorschriften über die Einziehung von „Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten“ und über die Rechtsmittel vor, über die die von einer Einziehungsmaßnahme betroffenen Personen verfügen müssen. Folglich begehrt das vorlegende Gericht mit seinen Fragen, die sich auf die Rechtmäßigkeit der Einziehung von Vermögensgegenständen, die einem gutgläubigen Dritten gehören, sowie auf die Rechtsbehelfe beziehen, die einem von einer Einziehungsmaßnahme betroffenen Dritten gehören, offenstehen müssen, in Wirklichkeit eine Auslegung dieser Vorschriften des Rahmenbeschlusses 2005/212 im Licht der Art. 17 und 47 der Charta.

42      Der Gerichtshof ist daher für die Beantwortung des Vorabentscheidungsersuchens zuständig.

 Zur ersten Frage

43      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2005/212 im Licht von Art. 17 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein für die Begehung eines schweren Schmuggels verwendetes Tatwerkzeug eingezogen werden kann, auch wenn es im Eigentum eines gutgläubigen Dritten steht.

44      Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Begriff „Einziehung“ in Art. 1 vierter Gedankenstrich des Rahmenbeschlusses 2005/212 definiert wird.

45      Wie sich jedoch aus Rn. 37 des vorliegenden Urteils ergibt, wurde der vierte Gedankenstrich dieses Art. 1 für die Mitgliedstaaten, die an diese Richtlinie gebunden sind, durch die Richtlinie 2014/42 ersetzt.

46      Da der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens aber zeitlich nach der gemäß Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2014/42 auf den 4. Oktober 2016 festgesetzten Umsetzungsfrist lag, ist im vorliegenden Fall für die Definition des Begriffs „Einziehung“ auf diese Richtlinie Bezug zu nehmen.

47      Gemäß Art. 2 Nr. 4 der Richtlinie 2014/42 wird dieser Begriff der Einziehung als die „von einem Gericht in Bezug auf eine Straftat angeordnete endgültige Entziehung von Vermögensgegenständen“ verstanden.

48      Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass es in diesem Zusammenhang unerheblich ist, ob die Einziehung eine Strafe im Sinne des Strafrechts darstellt oder nicht. Somit fällt eine Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die mit einer von einem Gericht in Bezug auf eine Straftat angeordneten endgültigen Entziehung des beschlagnahmten Vermögensgegenstands verbunden ist, unter diesen Begriff der Einziehung.

49      Sodann trifft nach Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2005/212 jeder Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Tatwerkzeuge und Erträge aus Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr bedroht sind, oder Vermögensgegenstände, deren Wert diesen Erträgen entspricht, ganz oder teilweise eingezogen werden können.

50      Insoweit benennt diese Bestimmung zwar nicht ausdrücklich die Person, deren Vermögensgegenstände Gegenstand einer Einziehungsmaßnahme sein können. Sie bezieht sich lediglich auf „Tatwerkzeuge“, die mit einer Straftat in Zusammenhang stehen, ohne dass zu bestimmen wäre, wer sie besitzt oder in wessen Eigentum sie stehen.

51      Jedoch ist Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2005/212 im Licht des dritten Erwägungsgrundes dieses Rahmenbeschlusses zu verstehen, nach dem die Rechte gutgläubiger Dritter zu berücksichtigen sind. Daraus folgt, dass die Bestimmungen des Rahmenbeschlusses grundsätzlich auch für die Einziehung von Vermögensgegenständen gelten, die Dritten gehören, wobei sie jedoch u. a. verlangen, dass deren Rechte bei Gutgläubigkeit geschützt werden.

52      In diesem Zusammenhang ist Art. 17 Abs. 1 der Charta zu berücksichtigen, der u. a. vorsieht, dass jede Person das Recht hat, ihr rechtmäßig erworbenes Eigentum zu besitzen, zu nutzen und darüber zu verfügen.

53      Zwar gilt das durch diese Bestimmung garantierte Eigentumsrecht nicht schrankenlos. Nach Art. 52 Abs. 1 der Charta können nämlich die Ausübung der in der Charta verankerten Rechte und Freiheiten Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Wohl der Allgemeinheit dienenden Zielen der Union entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff darstellen, der das so gewährleistete Recht in seinem Wesensgehalt antasten würde (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Juli 2020, Adusbef und Federconsumatori, C‑686/18, EU:C:2020:567, Rn. 85 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

54      Im vorliegenden Fall hat die Berufungsstaatsanwaltschaft Plovdiv in ihren schriftlichen Erklärungen ausgeführt, dass das mit der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung verfolgte Ziel darin bestehe, im Allgemeininteresse die unerlaubte Einfuhr von Waren in das Land zu verhindern.

55      In Anbetracht des erheblichen Eingriffs in die Rechte des Einzelnen, der sich aus der Einziehung von Vermögensgegenständen, nämlich der endgültigen Entziehung des Eigentumsrechts an diesen Vermögensgegenständen, ergibt, stellt eine solche Einziehung gegenüber einem gutgläubigen Dritten, der nicht wusste und nicht wissen konnte, dass sein Vermögensgegenstand für die Begehung einer Straftat verwendet wurde, im Hinblick auf den verfolgten Zweck einen unverhältnismäßigen und untragbaren Eingriff dar, der dessen Eigentumsrecht in seinem Wesensgehalt antastet.

56      Es ist daher festzustellen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende das in Art. 17 Abs. 1 der Charta garantierte Eigentumsrecht nicht wahrt, soweit sie vorsieht, dass die Vermögensgegenstände eines gutgläubigen Dritten, die für die Begehung eines schweren Schmuggels verwendet wurden, Gegenstand einer Einziehungsmaßnahme sein können.

57      Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass sich die Einziehung im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2005/212 nicht auf das Vermögen gutgläubiger Dritter erstrecken kann.

58      Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2005/212 im Licht von Art. 17 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein für die Begehung eines schweren Schmuggels verwendetes Tatwerkzeug eingezogen werden kann, auch wenn es im Eigentum eines gutgläubigen Dritten steht.

 Zur zweiten Frage

59      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 des Rahmenbeschlusses 2005/212 im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der im Rahmen eines Strafverfahrens ein Vermögensgegenstand, der einer anderen Person als derjenigen gehört, die die Straftat begangen hat, eingezogen werden kann, ohne dass die erstgenannte Person über einen wirksamen Rechtsbehelf verfügt.

60      Es ist festzustellen, dass Art. 4 dieses Rahmenbeschlusses eine Verpflichtung aller Mitgliedstaaten vorsieht, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die Personen, die von den u. a. in Art. 2 des Rahmenbeschlusses vorgesehenen Maßnahmen betroffen werden, über wirksame Rechtsbehelfe zur Wahrung ihrer Rechte verfügen.

61      Angesichts des allgemein gehaltenen Wortlauts von Art. 4 des Rahmenbeschlusses 2005/212 sind die Personen, denen die Mitgliedstaaten wirksame Rechtsbehelfe gewährleisten müssen, nicht nur diejenigen, die einer Straftat für schuldig befunden werden, sondern auch alle anderen von den in Art. 2 dieses Rahmenbeschlusses vorgesehenen Maßnahmen betroffenen Personen, also auch Dritte.

62      Insoweit ist auch darauf hinzuweisen, dass nach dem Wortlaut von Art. 47 Abs. 1 und 2 der Charta jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, einen Anspruch darauf hat, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen bei einem Gericht einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen, und vor allem darauf, dass ihre Sache in einem fairen Verfahren verhandelt wird.

63      Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf bedeutet insbesondere, dass ein Dritter, zu dessen Vermögen ein Gegenstand gehört, der Gegenstand einer Einziehungsmaßnahme ist, die Rechtmäßigkeit dieser Maßnahme anfechten können muss, um diesen Vermögensgegenstand wiederzuerlangen, wenn die Einziehung nicht gerechtfertigt ist.

64      Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen darauf hingewiesen, dass ein Dritter, zu dessen Vermögen Gegenstände gehört hätten, die Gegenstand einer Einziehungsmaßnahme gewesen seien, nach der nationalen Regelung keinen unmittelbaren Zugang zu den Gerichten habe, so dass er seine Rechte nicht wirksam geltend machen könne.

65      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens einem Dritten, zu dessen Vermögen ein Gegenstand gehört, der eingezogen wird, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf genommen wird.

66      Diese Feststellung kann zudem aus dem in Rn. 63 des vorliegenden Urteils dargelegten Grund nicht durch die Ausführungen der Berufungsstaatsanwaltschaft Plovdiv entkräftet werden, wonach sich der Eigentümer des eingezogenen Vermögensgegenstands nach dem Zakon za zadalzheniata i dogovorite (Gesetz über Schuldverhältnisse und Verträge) unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens wegen des aus dieser Einziehung entstandenen Schadens an die verurteilte Person wenden kann.

67      Darüber hinaus hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Wesentlichen entschieden, dass in einem Fall, in dem die Einziehung vom Staat vorgenommen werde und die nationalen Vorschriften und Praktiken kein Verfahren vorsähen, in dem der Eigentümer seine Rechte verteidigen könne, dieser Staat seine sich aus der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergebende Verpflichtung, ein solches Verfahren einzuführen, nicht dadurch erfüllen könne, dass er eine Person, die nicht wegen der der Einziehung zugrunde liegenden Straftat vor Gericht gestellt worden sei, auffordere, sich bei einem Dritten um die Wiedererlangung ihres Eigentums zu bemühen (EGMR 13. Oktober 2015, Ünsped Paket Servisi San. VE TİC. A.Ş./Bulgarien, CE:ECHR:2015:1013JUD000350308, § 32).

68      Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 4 des Rahmenbeschlusses 2005/212 im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der im Rahmen eines Strafverfahrens ein Vermögensgegenstand, der einer anderen Person als derjenigen gehört, die die Straftat begangen hat, eingezogen werden kann, ohne dass die erstgenannte Person über einen wirksamen Rechtsbehelf verfügt.

 Kosten

69      Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

1.      Art. 2 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 2005/212/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten ist im Licht von Art. 17 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein für die Begehung eines schweren Schmuggels verwendetes Tatwerkzeug eingezogen werden kann, auch wenn es im Eigentum eines gutgläubigen Dritten steht.

2.      Art. 4 des Rahmenbeschlusses 2005/212 ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der im Rahmen eines Strafverfahrens ein Vermögensgegenstand, der einer anderen Person als derjenigen gehört, die die Straftat begangen hat, eingezogen werden kann, ohne dass die erstgenannte Person über einen wirksamen Rechtsbehelf verfügt.

Unterschriften


*      Verfahrenssprache: Bulgarisch.