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BESCHLUSS DES PRÄSIDENTEN DES GERICHTS

1. Dezember 2021(*)

„Vorläufiger Rechtsschutz – Öffentlicher Dienst – Einstellung – Allgemeines Auswahlverfahren – Entscheidung von EPSO, die Verschiebung der Termine der computergestützten Multiple-Choice-Tests abzulehnen – Antrag auf einstweilige Anordnungen – Fehlende Dringlichkeit“

In der Rechtssache T‑709/20 R,

OJ, Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt H.‑E. von Harpe,

Antragsteller,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch I. Melo Sampaio und L. Hohenecker als Bevollmächtigte,

Antragsgegnerin,

betreffend einen Antrag nach den Art. 278 und 279 AEUV auf Aussetzung des allgemeinen Auswahlverfahrens EPSO/AD/380/19 zur Erstellung einer Reserveliste von Beamten (m/w) der Funktionsgruppe Administration für die Kommission im Bereich Internationale Zusammenarbeit und Verwaltung der Hilfe für Nicht-EU-Länder

erlässt

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

folgenden

Beschluss

 Vorgeschichte des Rechtsstreits, Verfahren und Anträge der Parteien

1        Der Antragsteller, OJ, ist Vertragsbediensteter der Europäischen Kommission und bei der Delegation der Europäischen Union in Islamabad (Pakistan) tätig.

2        Am 14. Januar 2020 bewarb sich der Antragsteller für das vom Europäischen Amt für Personalauswahl (EPSO) durchgeführte allgemeine Auswahlverfahren EPSO/AD/380/19 Beamte (m/w) der Funktionsgruppe „Administration“ (Besoldungsgruppen AD 7/AD 9) Internationale Zusammenarbeit und Verwaltung der Hilfe für Nicht-EU-Länder, dessen Bekanntmachung im Amtsblatt der Europäischen Union vom 5. Dezember 2019 (ABl. 2019, C 409A, S. 1) veröffentlicht wurde.

3        Am 20. Januar 2020 wurde der Antragsteller von EPSO aufgefordert, für die computergestützten Multiple-Choice-Vorauswahltests einen Termin im Zeitraum vom 4. bis 14. Februar 2020 in einem der vom EPSO anerkannten Testzentren zu buchen.

4        Am 30. Januar 2020 richtete der Antragsteller eine E‑Mail an das EPSO, in der er unter Hinweis auf Planungsschwierigkeiten um Verlängerung des nach seiner Ansicht außergewöhnlich kurzfristig anberaumten Testzeitraums ersuchte.

5        Am selben Tag antwortete ihm das EPSO, dass eine Absolvierung der Auswahltests außerhalb des in der Einladung angegebenen Testzeitraums aus Gründen der Gleichbehandlung und der zügigen Durchführung des Auswahlverfahrens nicht möglich sei.

6        Mit Schreiben vom 31. Januar 2020 ersuchte der Antragsteller erneut um die Festlegung eines Testtermins nach dem 15. Februar 2020, da er seinen Dienstort in Pakistan vor diesem Datum nicht verlassen könne, um ein Testzentrum aufzusuchen.

7        Am 3. Februar 2020, an dem die in der Einladung des EPSO gesetzte Frist zur Buchung eines Termins für diese Vorauswahltests ablief, hatte der Antragsteller keine Terminbuchung vorgenommen.

8        Mit Schreiben vom 7. Februar 2020 bestätigte das EPSO gegenüber dem Antragsteller seine Entscheidung, die Festlegung eines neuen Termins für die Auswahlprüfung außerhalb des ursprünglich angegebenen Zeitraums nicht zuzulassen.

9        Am 20. April 2020 legte der Antragsteller gegen diese Entscheidung gemäß Art. 90 Abs. 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Union (im Folgenden: Statut) eine Beschwerde ein, mit der er im Wesentlichen geltend machte, ihm sei durch die kurzfristige Bekanntgabe des Testzeitraums angesichts seines außereuropäischen Dienstortes mit angespannter Sicherheitslage ein ungerechtfertigter Nachteil entstanden.

10      Mit Entscheidung vom 1. September 2020, deren deutschsprachige Fassung auf den 21. September 2020 datiert ist, lehnte EPSO die Beschwerde des Antragstellers ab, da er keinen Termin für die Auswahlprüfung gebucht habe, womit die Bewerbung nach der Rechtsprechung als zurückgezogen gelte (im Folgenden: Entscheidung vom 1. September 2020).

11      Mit Klageschrift, die am 30. November 2020 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Antragsteller Klage erhoben und u. a. beantragt, die Entscheidung vom 1. September 2020 und alle damit zusammenhängenden Akte aufzuheben sowie die Wiederholung des Auswahlverfahrens EPSO/AD/380/19 durch das EPSO anzuordnen.

12      Mit gesondertem Schriftsatz, der am 4. Oktober 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Antragsteller den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt, mit dem er beantragt,

–        das Auswahlverfahren EPSO/AD/380/19 bis zur Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache auszusetzen;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

13      In ihrer Stellungnahme zum Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, die am 18. Oktober 2021 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, beantragt die Kommission,

–        den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen;

–        dem Antragsteller die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

14      Nach den Art. 278 und 279 AEUV in Verbindung mit Art. 256 Abs. 1 AEUV kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, gemäß Art. 156 der Verfahrensordnung des Gerichts die Durchführung einer vor dem Gericht angefochtenen Handlung aussetzen oder die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen. Nach Art. 278 AEUV haben Klagen jedoch grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung, da für die Handlungen der Unionsorgane die Vermutung der Rechtmäßigkeit gilt. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter kann daher nur in Ausnahmefällen die Aussetzung der Durchführung eines vor dem Gericht angegriffenen Rechtsakts anordnen oder einstweilige Anordnungen treffen (vgl. Beschluss vom 19. Juli 2016, Belgien/Kommission, T‑131/16 R, EU:T:2016:427, Rn. 12 und die dort angeführte Rechtsprechung).

15      Gemäß Art. 156 Abs. 4 Satz 1 der Verfahrensordnung müssen Anträge auf vorläufigen Rechtsschutz „den Streitgegenstand bezeichnen und die Umstände, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt, sowie die den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung dem ersten Anschein nach rechtfertigenden Sach- und Rechtsgründe anführen“.

16      Somit kann der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter Anträgen auf Aussetzung der Vollziehung und sonstige einstweilige Anordnungen stattgeben, wenn dargetan ist, dass die einstweiligen Anordnungen dem ersten Anschein nach in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht gerechtfertigt sind (fumus boni iuris) und sie dringlich in dem Sinne sind, dass es zur Verhinderung eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens für die Interessen des Antragstellers erforderlich ist, sie vor der Entscheidung zur Hauptsache zu erlassen und wirksam werden zu lassen. Diese Voraussetzungen sind kumulativ, so dass der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen ist, sofern eine von ihnen fehlt. Der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter nimmt gegebenenfalls auch eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vor (vgl. Beschluss vom 2. März 2016, Evonik Degussa/Kommission, C‑162/15 P‑R, EU:C:2016:142, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

17      Im Rahmen dieser Gesamtprüfung verfügt der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter über ein weites Ermessen, und er kann im Hinblick auf die Besonderheiten des Einzelfalls die Art und Weise, in der diese verschiedenen Voraussetzungen zu prüfen sind, sowie die Reihenfolge der Prüfung frei bestimmen, da keine Rechtsvorschrift ihm ein feststehendes Prüfungsschema für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer vorläufigen Entscheidung vorschreibt (vgl. Beschluss vom 19. Juli 2012, Akhras/Rat, C‑110/12 P[R], nicht veröffentlicht, EU:C:2012:507, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

18      In Anbetracht des Akteninhalts ist der Präsident des Gerichts der Auffassung, dass er über alle für die Entscheidung über den vorliegenden Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz erforderlichen Informationen verfügt, ohne dass eine vorherige mündliche Anhörung der Parteien angebracht wäre.

19      Unter den Umständen des vorliegenden Falles ist zunächst zu prüfen, ob die Voraussetzung der Dringlichkeit erfüllt ist.

20      Im vorliegenden Fall macht der Antragsteller zum Nachweis eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens geltend, dass die Fortsetzung und Beendigung des Auswahlverfahrens zur Folge hätte, dass seine Bewerbung nicht mehr berücksichtigt werden könne und er selbst im Fall der Besteignung als Bewerber die Stelle nicht erhalten könnte. Da die Veröffentlichung der Liste der erfolgreichen Bewerber kurzfristig bevorstehe, würden durch die Beendigung des Auswahlverfahrens vollendete Tatsachen geschaffen und es wäre keine Stelle mehr für den Antragsteller vorhanden.

21      Die Kommission ist der Auffassung, dem Antragsteller sei der Nachweis nicht gelungen, dass die Voraussetzung der Dringlichkeit erfüllt sei.

22      Was erstens das Vorbringen des Antragstellers betrifft, die Fortsetzung und die Beendigung des Auswahlverfahrens führten dazu, dass seine Bewerbung nicht mehr berücksichtigt werden könne, ist darauf hinzuweisen, dass die Fortsetzung der Prüfungen eines allgemeinen Auswahlverfahrens einem Bewerber, der durch einen Fehler in diesem Auswahlverfahren benachteiligt wird, keinen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden zufügen kann (vgl. in diesem Sinne Beschlüsse vom 15. Juli 1999, Giulietti/Kommission, T‑167/99 R, EU:T:1999:151, Rn. 30, und vom 15. Mai 2000, Martín de Pablos/Kommission, T‑101/00 R, EU:T:2000:126, Rn. 23).

23      Wird ein Rechtsverstoß im Rahmen eines solchen Auswahlverfahrens festgestellt, sind die Rechte eines Klägers nämlich angemessen geschützt, wenn der Prüfungsausschuss und die Anstellungsbehörde die ihn beschwerende Entscheidung überprüfen und für seinen Fall eine gerechte Lösung zu erreichen suchen; es besteht keine Veranlassung, das gesamte Ergebnis des Auswahlverfahrens in Frage zu stellen oder die danach ausgesprochenen Ernennungen aufzuheben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Juli 1993, Kommission/Albani u. a., C‑242/90 P, EU:C:1993:284, Rn. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24      Insoweit kann die Aussetzung des Auswahlverfahrens grundsätzlich nicht als in dem Sinne dringend angesehen werden, dass dadurch verhindert werden könnte, dass dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht, da der Prüfungsausschuss und die Anstellungsbehörde, wenn die Entscheidung vom 1. September 2020 im Hauptsacheverfahren aufgehoben werden würde, jedenfalls nach Art. 266 AEUV gehalten wären, die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen und dabei auch nach einer gerechten Lösung zu suchen, die es ermöglichen würde, den Antragsteller wieder in seine Rechte einzusetzen und den ihm entstandenen Schaden vollständig zu beseitigen (vgl. in diesem Sinne Beschluss vom 19. Juli 2004, Eppe/Parlament, T‑439/03 R II, EU:T:2004:242, Rn. 32). Des Weiteren kann das Organ, wenn die Durchführung eines Aufhebungsurteils mit besonderen Schwierigkeiten verbunden ist, seiner Verpflichtung aus Art. 266 AEUV auch durch jede Entscheidung nachkommen, die geeignet ist, den Nachteil, der dem Antragsteller aufgrund der Rechtswidrigkeit der aufgehobenen Entscheidung entstanden ist, in angemessener Weise auszugleichen. In diesem Zusammenhang kann das Organ mit dem Betroffenen in einen Dialog treten, um zu versuchen, zu einer Einigung zu gelangen, die ihm eine angemessene Entschädigung für die Rechtswidrigkeit, die er erlitten hat, bietet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 9. August 1994, Parlament/Meskens, C‑412/92 P, EU:C:1994:308, Rn. 28 und 30, und vom 8. Oktober 1992, Meskens/Parlament, T‑84/91, EU:T:1992:103, Rn. 80).

25      Folglich sind in Anwendung dieser Rechtsprechung die Rechte des Antragstellers vorliegend angemessen geschützt, falls seiner Klage in der Hauptsache stattgegeben wird.

26      Insoweit ist es, wie die Kommission geltend macht, nicht ausgeschlossen, dass der Antragsteller im Fall einer ihn betreffenden Wiedereröffnung des Auswahlverfahrens nach erfolgreicher Ablegung aller Prüfungen, sofern seine Ergebnisse dies rechtfertigen, nachträglich in die Liste der erfolgreichen Teilnehmer des Auswahlverfahrens aufgenommen wird, so dass er in weiterer Folge von den entsprechenden Organen eingestellt werden könnte.

27      Was zweitens das Vorbringen des Antragstellers betrifft, die Beendigung des Auswahlverfahrens schaffe vollendete Tatsachen, da keine Stelle mehr für ihn vorhanden wäre, ist darauf hinzuweisen, dass die Aufnahme in eine Reserveliste für die Betroffenen eine Anwartschaft und keinen Anspruch auf die Ernennung zum Beamten begründet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli 2007, Centeno Mediavilla u. a./Kommission, T‑58/05, EU:T:2007:218, Rn. 52). Darauf wird im Übrigen in der Bekanntmachung des allgemeinen Auswahlverfahrens EPSO/AD/380/19 wie folgt hingewiesen: „Die Aufnahme in die Reserveliste begründet weder ein Recht auf eine Einstellung noch eine Garantie hierfür.“

28      Unter diesen Umständen ist festzustellen, dass der Antragsteller nicht nachgewiesen hat, dass die Voraussetzung der Dringlichkeit im vorliegenden Fall erfüllt ist.

29      Nach alledem ist, da der Antragsteller die Dringlichkeit nicht nachgewiesen hat, der Antrag auf einstweilige Anordnung zurückzuweisen, ohne dass über den fumus boni iuris zu entscheiden oder eine Interessenabwägung vorzunehmen ist.

30      Gemäß Art. 158 Abs. 5 der Verfahrensordnung ist die Entscheidung über die Kosten vorzubehalten.

Aus diesen Gründen hat

DER PRÄSIDENT DES GERICHTS

beschlossen:

1.      Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird zurückgewiesen.

2.      Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 1. Dezember 2021

Der Kanzler

 

Der Präsident

E. Coulon

 

M. van der Woude


*      Verfahrenssprache: Deutsch.