Language of document : ECLI:EU:C:2022:507

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

GIOVANNI PITRUZZELLA

vom 30. Juni 2022(1)

Rechtssache C205/21

Strafverfahren

gegen

V.S.,

Beteiligter:

Ministerstvo na vatreshnite raboti, Glavna direktsia za borba s organiziranata prestapnost

(Vorabentscheidungsersuchen des Spetsializiran nakazatelen sad [Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten – Richtlinie (EU) 2016/680 – Beschuldigte Person – Polizeiliche Registrierung personenbezogener Daten – Sensible Daten – Biometrische und genetische Daten – Zwangsweise Durchführung – Ziel der Verhütung und Ermittlung von Straftaten – Laufendes Strafverfahren – Vergleich mit personenbezogenen Daten, die im Rahmen früherer Untersuchungen gesammelt wurden – Wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz – Verarbeitung von Daten – Grundsätze – Datenminimierung – Unbedingte Erforderlichkeit“






1.        Wenn die technologische Entwicklung in den Dienst der Strafverfolgung gestellt wird, erweist sie sich als ebenso faszinierend wie bedrohlich in Bezug auf die Grundrechte(2). Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen bietet dem Gerichtshof erneut Gelegenheit, eine dem Schutz personenbezogener Daten dienende unionsrechtliche Vorschrift auszulegen, die als Schutzvorkehrung einer Strafrechtspolitik gedacht ist, die auf eine volle Wirksamkeit abzielen soll, während eine dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit unterliegende demokratische Gesellschaft paradoxerweise die Fehlbarkeit einer solchen Politik als eine gewisse Tugend ansehen sollte. In gewisser Weise stellt diese Rechtssache im Bereich des Schutzes personenbezogener Daten eine Ausprägung des Grundsatzes dar, dass es besser ist, einen Schuldigen zu verschonen, als einen Unschuldigen zu verurteilen(3).

I.      Rechtlicher Rahmen

A.      Richtlinie 2016/680

2.        Art. 4 der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates(4) regelt die Grundsätze in Bezug auf die Verarbeitung personenbezogener Daten. Er lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass personenbezogene Daten

a)      auf rechtmäßige Weise und nach Treu und Glauben verarbeitet werden,

b)      für festgelegte, eindeutige und rechtmäßige Zwecke erhoben und nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise verarbeitet werden,

c)      dem Verarbeitungszweck entsprechen, maßgeblich und in Bezug auf die Zwecke, für die sie verarbeitet werden, nicht übermäßig sind,

…“

3.        Art. 6 Buchst. a der Richtlinie 2016/680 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass der Verantwortliche gegebenenfalls und so weit wie möglich zwischen den personenbezogenen Daten verschiedener Kategorien betroffener Personen klar unterscheidet, darunter:

a)      Personen, gegen die ein begründeter Verdacht besteht, dass sie eine Straftat begangen haben oder in naher Zukunft begehen werden“.

4.        Art. 8 der Richtlinie 2016/680 betrifft die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung und lautet:

„(1)      Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass die Verarbeitung nur dann rechtmäßig ist, wenn und soweit diese Verarbeitung für die Erfüllung einer Aufgabe erforderlich ist, die von der zuständigen Behörde zu den in Artikel 1 Absatz 1 genannten Zwecken wahrgenommenen wird, und auf Grundlage des Unionsrechts oder des Rechts der Mitgliedstaaten erfolgt.

(2)      Im Recht der Mitgliedstaaten, das die Verarbeitung innerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie regelt, werden zumindest die Ziele der Verarbeitung, die personenbezogenen Daten, die verarbeitet werden sollen, und die Zwecke der Verarbeitung angegeben.“

5.        Art. 10 der Richtlinie 2016/680 sieht Folgendes vor:

„Die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische oder ethnische Herkunft, politische Meinungen, religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen oder die Gewerkschaftszugehörigkeit hervorgehen, sowie die Verarbeitung von genetischen Daten, biometrischen Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person, Gesundheitsdaten oder Daten zum Sexualleben oder der sexuellen Orientierung ist nur dann erlaubt, wenn sie unbedingt erforderlich ist und vorbehaltlich geeigneter Garantien für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person erfolgt und

a)      wenn sie nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten zulässig ist

b)      der Wahrung lebenswichtiger Interessen der betroffenen oder einer anderen natürlichen Person dient oder

c)      wenn sie sich auf Daten bezieht, die die betroffene Person offensichtlich öffentlich gemacht hat.“

B.      Bulgarisches Recht

6.        Art. 68 des Zakon sa Ministerstvo na vatreshnite raboti (Gesetz über das Innenministerium(5), im Folgenden: ZMVR) lautet:

„1.      Die Polizeibehörden nehmen eine polizeiliche Registrierung der Personen vor, die einer vorsätzlichen Offizialstraftat beschuldigt werden. Die Behörden des Vorverfahrens sind verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die Polizeibehörden die Registrierung vornehmen.

2.      Die polizeiliche Registrierung stellt eine Kategorie der Verarbeitung personenbezogener Daten der in Abs. 1 genannten Personen dar, die unter den Voraussetzungen dieses Gesetzes erfolgt.

3.      Für die Zwecke der polizeilichen Registrierung nehmen die Polizeibehörden Folgendes vor:

1)      Erhebung der personenbezogenen Daten nach Art. 18 des Zakon za balgaskite lichni dokumenti[(6)];

2)      Abnahme des Fingerabdrucks und Aufnahme von Karteifotos;

3)      Entnahme von Proben zur Erstellung eines DNA-Profils der Personen.

4.      Für die Vornahme der in Abs. 3 Nr. 1 angeführten Tätigkeiten bedarf es keiner Zustimmung der Person.

5.      Die Personen sind zur Zusammenarbeit verpflichtet und dürfen die Ausübung der in Abs. 3 angeführten Tätigkeiten durch die Polizeibehörden weder behindern noch erschweren. Im Fall der Weigerung der Person werden die in Abs. 3 Nrn. 2 und 3 angeführten Tätigkeiten zwangsweise vorgenommen, mit Bewilligung des erstinstanzlichen Gerichts, in dessen Zuständigkeit die von Amts wegen verfolgte Straftat fällt, wegen der die Person beschuldigt wird.

6.      Die polizeiliche Registrierung wird auf der Grundlage einer schriftlichen Entscheidung des für die Verarbeitung der personenbezogenen Daten Verantwortlichen oder der von diesem ermächtigten Beamten von Amts wegen oder auf einen begründeten schriftlichen Antrag der registrierten Person aufgehoben, wenn

1)      die Registrierung unter Verstoß gegen das Gesetz erfolgt ist;

2)      das Strafverfahren unterbrochen wurde, außer in den Fällen nach Art. 24 Abs. 3 des (Nakazatelno-protsesualen kodeks [Strafprozessordnung, im Folgenden: NPK]);

3)      das Strafverfahren durch einen rechtskräftigen Freispruch beendet wurde;

4)      die strafrechtliche Verantwortlichkeit der Person nicht festgestellt und eine verwaltungsrechtliche Sanktion gegen sie verhängt wurde;

5)      die Person verstorben ist, wobei in diesem Fall der Antrag von ihren Rechtsnachfolgern gestellt werden kann.

7.      Die Einzelheiten der Durchführung und Aufhebung der polizeilichen Registrierung werden durch eine Verordnung des Ministerrats festgelegt.“

7.        Art. 2 Abs. 1 des Naredba za reda za izvarshvane i snemane na politseyska registratsia (Verordnung über die Einzelheiten der Durchführung und Aufhebung der polizeilichen Registrierung, im Folgenden: NRISPR)(7) sieht vor, dass „[d]ie polizeiliche Registrierung … eine Verarbeitung personenbezogener Daten [ist], die unter den Bedingungen [des ZMVR] für die Zwecke des Schutzes der nationalen Sicherheit, der Bekämpfung der Kriminalität und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durchgeführt wird“.

II.    Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

8.        Gegen V.S. wurde ein Strafverfahren wegen Betrugs bei der Feststellung und Zahlung von Steuerschulden zweier Handelsgesellschaften eingeleitet. Am 1. März 2021 wurden gegen V.S. Ermittlungen wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung mit Bereicherungsvorsatz aufgenommen. Die Ermittlungsanordnung wurde V.S. am 15. März 2021 zur Kenntnis gebracht. Am selben Tag wurde sie aufgefordert, an der polizeilichen Registrierung mitzuwirken, d. h. sich Fingerabdrücke abnehmen(8), sich fotografieren(9) und sich eine Probe für das DNA-Profil entnehmen zu lassen. Da sie sich weigerte, füllte sie einen Vordruck in Form einer Erklärung aus, in der sie angab, dass sie über das Bestehen einer gesetzlichen Grundlage für die Durchführung dieser Registrierung informiert worden sei, aber dass sie nicht damit einverstanden sei, dass eine solche Entnahme und diese sie betreffende Registrierung vorgenommen würden.

9.        Am 24. März 2021 stellte der stellvertretende Direktor der Glavna direktsiya za borba s organiziranata prestapnost (Generaldirektion für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität) im Ministerstvo na vatreshnite raboti (Innenministerium, Bulgarien) beim vorlegenden Gericht, dem Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien), einen Antrag auf Bewilligung der zwangsweisen Durchführung der polizeilichen Registrierung, die V.S. verweigert hatte.

10.      Im Antrag wird auf das laufende Strafverfahren gegen V.S. sowie das Vorliegen hinreichender Beweise für ihre Schuld hingewiesen. Darin wird auch angegeben, dass gegen V.S. Ermittlungen wegen der Begehung einer Straftat eingeleitet worden seien und dass sie es verweigert habe, sich für die Zwecke der polizeilichen Registrierung fotografieren und Fingerabdrücke abnehmen und Proben für das DNA-Profil entnehmen zu lassen. Diesem Antrag liegen nur zwei Fotokopien bei: die der Ermittlungsanordnung und die der Erklärung, in der V.S sich weigerte, der polizeilichen Registrierung zuzustimmen. Die übrigen Aktenstücke wurden dem vorlegenden Gericht nicht übermittelt.

11.      Erstens fragt sich das vorlegende Gericht, ob Art. 10 der Richtlinie 2016/680, der unter bestimmten Voraussetzungen die Verarbeitung biometrischer und genetischer Daten zulässt, ordnungsgemäß in bulgarisches Recht umgesetzt worden ist. Insoweit weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass sich die Bestimmungen über die polizeiliche Registrierung nur auf die Verordnung (EU) 2016/679(10) und nicht auf die Richtlinie 2016/680 bezögen. Nach ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchst. d finde jedoch die DSGVO keine Anwendung auf die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten, da die Richtlinie 2016/680 nach ihrem Art. 1 Abs. 1 eine solche Verarbeitung regele.

12.      Zweitens fragt sich das vorlegende Gericht für den Fall, dass davon auszugehen sein sollte, dass Art. 10 der Richtlinie 2016/680 ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden sei oder dass in diesem Recht eine wirksame Rechtsgrundlage für die Verarbeitung biometrischer und genetischer Daten bestehe, ob die Anforderung von Art. 10 Buchst. a dieser Richtlinie, wonach eine solche Verarbeitung nach dem Unionsrecht oder nach dem Recht eines Mitgliedstaats zulässig sein müsse, trotz des Umstands erfüllt sei, dass zwischen den anwendbaren Bestimmungen des nationalen Rechts ein Widerspruch bestehe.

13.      Drittens weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass nach Art. 6 Buchst. a der Richtlinie 2016/680 personenbezogene Daten für die Zwecke der Kriminalitätsbekämpfung bei Personen verarbeitet werden könnten, gegen die ein begründeter Verdacht bestehe, dass sie eine Straftat begangen hätten. Im Übrigen heiße es im 31. Erwägungsgrund dritter Satz dieser Richtlinie, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten von Personen, die der Begehung einer Straftat verdächtigt würden, aber nicht verurteilt würden, der Anwendung der Unschuldsvermutung nicht entgegenstehen sollte. Art. 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) kommt seiner Ansicht nach daher zur Anwendung.

14.      Zum einen heiße es in Art. 219 Abs. 1 NPK, dass es unerlässlich sei, „hinreichende Beweise für die Schuld einer bestimmten Person“ zu sammeln. Es fragt sich, ob dieses Kriterium dem Kriterium „begründeter Verdacht …, dass [Personen] eine Straftat begangen haben“ nach Art. 6 Buchst. a der Richtlinie 2016/680 entspricht. Eher sei davon auszugehen, dass für die Verarbeitung biometrischer und genetischer Daten stichhaltigere Beweise als jene, die nach nationalem Recht erforderlich seien, um Ermittlungen gegen die Person anzuordnen – soweit diese Ermittlungsanordnung dazu diene, die Person über die gegen sie bestehenden Verdachtsmomente zu informieren, wobei ihr die Möglichkeit gegeben werde, sich zu verteidigen – unerlässlich seien.

15.      Zum anderen stellt das vorlegende Gericht fest, dass Art. 68 ZMVR nicht vorsehe, dass das angerufene Gericht im Rahmen des Verfahrens der zwangsweisen Durchführung der polizeilichen Registrierung irgendeine Kontrolle darüber ausübe, ob ein begründeter Verdacht im Sinne von Art. 6 Buchst. a der Richtlinie 2016/680 vorliege, da es ausreichend sei, festzustellen, dass gegen die Person Ermittlungen wegen einer vorsätzlichen Offizialstraftat eingeleitet worden seien. Das Gericht sei daher nicht befugt zu beurteilen, ob zur Stützung dieser Beschuldigung hinreichende oder stichhaltige Beweise vorlägen; es habe auch nicht die faktische Möglichkeit, diese Beurteilung vorzunehmen, da es nur die Fotokopien der Anordnung zur Einleitung von Ermittlungen und eine Erklärung über die Verweigerung der polizeilichen Registrierung erhalten habe. Das vorlegende Gericht fragt sich, ob unter solchen Umständen davon ausgegangen werden könne, dass die Person, die sich geweigert habe, dieser polizeilichen Registrierung nachzukommen, einen effektiven gerichtlichen Rechtsschutz und die Beachtung der Unschuldsvermutung, wie sie durch die Art. 47 und 48 der Charta gewährleistet seien, genieße.

16.      Viertens weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2016/680 personenbezogene Daten für festgelegte, eindeutige und rechtmäßige Zwecke zu erheben seien, und dass Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie klarstelle, dass das Recht des Mitgliedstaats sowohl die Ziele als auch die Zwecke der Verarbeitung anzugeben habe. Außerdem bestimmten Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/680, dass die Erhebung personenbezogener Daten nicht über das Erforderliche hinausgehen dürfe. Überdies heiße es konkret zu biometrischen und genetischen Daten in Art. 10 der Richtlinie 2016/680, dass deren Verarbeitung nur dann erlaubt sei, wenn sie „unbedingt erforderlich“ sei.

17.      Das vorlegende Gericht leitet aus diesen Bestimmungen der Richtlinie 2016/680 ab, dass das nationale Recht den zuständigen Behörden bei der Durchführung der polizeilichen Registrierung ein gewisses Ermessen einräumen müsse, das sich sowohl auf die Frage beziehen müsse, ob die Erhebung der betreffenden Daten zu erfolgen habe, als auch darauf, ob sie sich auf alle diese Daten erstrecken solle. Außerdem könne aus dem Erfordernis, dass sie „unbedingt erforderlich“ sein müsse, abgeleitet werden, dass die Bewilligung der Erhebung solcher Daten nur bei Vorliegen einer ordnungsgemäßen Begründung der Erforderlichkeit erfolgen könne. Die polizeiliche Registrierung gelte zwingend für alle Personen, die wegen vorsätzlicher Offizialstraftaten beschuldigt würden, und für die drei in diesem Artikel genannten Arten der Erhebung personenbezogener Daten, nämlich die Aufnahme von Fotografien, die Abnahme von Fingerabdrücken und die Entnahme von DNA-Proben.

18.      Außerdem weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass im ZMVR nur die Zwecke dieser Verarbeitung erwähnt würden, nämlich die Ausübung einer Untersuchungstätigkeit, auch im Hinblick auf den Schutz der nationalen Sicherheit, die Kriminalitätsbekämpfung und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Dagegen verlange das nationale Recht nicht, festzustellen, dass es konkret erforderlich sei, alle fraglichen biometrischen und genetischen Daten oder gegebenenfalls nur einen Teil davon zu erheben. Das vorlegende Gericht stellt sich daher die Frage, ob die im nationalen Recht vorgesehene Voraussetzung für die polizeiliche Registrierung – nämlich die Tatsache, einer vorsätzlichen Offizialstraftat beschuldigt zu sein – ausreiche, um die Anforderungen der Richtlinie 2016/680 als erfüllt anzusehen.

19.      Unter diesen Umständen hat der Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof mit Entscheidung, die am 31. März 2021 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Wird Art. 10 der Richtlinie 2016/680 durch Bezugnahme auf die ähnliche Vorschrift des Art. 9 der DSGVO im nationalen Gesetz wirksam umgesetzt?

2.      Wird die in Art. 10 Buchst. a der Richtlinie 2016/680 in Verbindung mit Art. 3, Art. 8 und Art. 52 der Charta aufgestellte Anforderung, dass eine Einschränkung der Unversehrtheit und des Schutzes personenbezogener Daten gesetzlich vorgesehen sein muss, erfüllt, wenn einander widersprechende nationale Vorschriften in Bezug auf die Zulässigkeit einer Verarbeitung von genetischen und biometrischen Daten für die Zwecke der polizeilichen Registrierung vorliegen?

3.      Ist mit Art. 6 Buchst. a der Richtlinie 2016/680 in Verbindung mit Art. 48 der Charta ein nationales Gesetz – Art. 68 Abs. 4 des ZMVR – vereinbar, das die Verpflichtung des Gerichts vorsieht, die zwangsweise Erhebung personenbezogener Daten (Aufnahme von Karteifotos, Abnahme des Fingerabdrucks und Entnahme von Proben zur Erstellung eines DNA-Profils) anzuordnen, wenn sich eine Person, die einer vorsätzlichen Offizialstraftat beschuldigt wird, weigert, bei der Erfassung dieser personenbezogenen Daten freiwillig mitzuwirken, ohne dass das Gericht beurteilen kann, ob begründeter Verdacht besteht, dass die Person die Straftat, derer sie beschuldigt wird, begangen hat?

4.      Ist mit Art. 10, mit Art. 4 Abs. 1 Buchst. a und c sowie mit Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2016/680 ein nationales Gesetz vereinbar – Art. 68 Abs. 1 bis 3 des ZMVR –, das als allgemeine Regel die Aufnahme von Karteifotos, die Abnahme des Fingerabdrucks und die Entnahme von Proben zur Erstellung eines DNA-Profils für alle Personen vorsieht, die einer vorsätzlichen Offizialstraftat beschuldigt werden?

20.      Die bulgarische und die französische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht. Das Innenministerium, die bulgarische und die französische Regierung sowie die Kommission haben dem Gerichtshof auch die Antworten auf die schriftlichen Fragen übermittelt, die er ihnen gestellt hatte.

21.      Wie vom Gerichtshof gewünscht, werden sich die vorliegenden Schlussanträge auf die dritte und die vierte Vorlagefrage konzentrieren.

III. Würdigung

22.      Vorab möchte ich auf Folgendes hinweisen.

23.      Was die Einstufung der bei der polizeilichen Registrierung erhobenen und verarbeiteten Daten betrifft(11), handelt es sich bei der Entnahme von Proben zur Erstellung eines DNA-Profils der betroffenen Person offensichtlich um genetische Daten im Sinne von Art. 3 Nr. 12 der Richtlinie 2016/680. Die Fingerabdrücke(12) sind biometrische Daten, wie Art. 3 Nr. 13 dieser Richtlinie bestätigt. Auch die Fotografien(13) können biometrische Daten darstellen, wie dies auch in Art. 3 Nr. 13 der Richtlinie 2016/680 vorgesehen ist. Die polizeiliche Registrierung betrifft somit zwei Kategorien personenbezogener Daten: die sogenannten „klassischen“ Daten wie der Personenstand, die der allgemeinen Regelung der Richtlinie 2016/680 unterliegen, und die sogenannten „besonderen“, um nicht zu sagen sensiblen, Daten, nämlich die Fotografien, die Fingerabdrücke und die Entnahme von Proben zur Erstellung eines DNA-Profils der betroffenen Person. Ich weise jedoch darauf hin, dass das vorlegende Gericht in seinen Fragen nur auf diese „besonderen“ Daten Bezug nimmt. Im Zusammenhang mit Maßnahmen, die zur Erhebung und Verarbeitung sensibler Daten durch die Ermittlungsbehörden verpflichten, stellen solche Maßnahmen offensichtlich, unbeschadet ihrer etwaigen Rechtfertigung, Eingriffe in das Recht der betroffenen Person auf Achtung ihres Privatlebens und auf Schutz ihrer personenbezogenen Daten dar(14). Dieser Eingriff ist umso schwerwiegender, als die Daten sensibel sind(15). Gleichwohl ist die Verarbeitung dieser besonderen Kategorie von Daten durch die Polizeibehörden u. a. zu Zwecken der Registrierung trotz der dem Unionsgesetzgeber wohlbekannten Gefahren von Abweichungen und Missbräuchen nicht verboten, weil die Wirksamkeit einer solchen Verarbeitung für die Erfüllung der Aufgaben dieser Behörden erwiesen ist(16). In dieser Rechtssache geht es also darum, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den Erfordernissen im Zusammenhang mit dem ordnungsgemäßen Ablauf der strafrechtlichen Ermittlungen und dem nicht weniger zwingenden Gebot der Gewährleistung eines verstärkten Schutzes dieser personenbezogenen Daten besonderer Art zu suchen.

A.      Zur dritten Vorlagefrage

24.      Mit seiner dritten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 6 Buchst. a der Richtlinie 2016/680 im Licht der Art. 47 und 48 der Charta dahin auszulegen ist, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, nach denen, wenn sich die Person, die einer vorsätzlichen Offizialstraftat beschuldigt wird, weigert, am Verfahren zur Registrierung ihrer personenbezogenen Daten (d. h. zumindest eine Fotografie, ihre Fingerabdrücke und ihr DNA-Profil nach Entnahme von Proben) mitzuwirken, eine Verpflichtung des zu diesem Zweck angerufenen Gerichts vorgesehen ist, die zwangsweise Erhebung dieser Daten anzuordnen, ohne dass das Gericht beurteilen kann, ob begründeter Verdacht besteht, dass die betroffene Person die Straftat, derer sie beschuldigt wird, begangen hat.

25.      Der nationale rechtliche Rahmen ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass fast alle im bulgarischen Strafgesetzbuch vorgesehenen Straftaten von Amts wegen verfolgt würden, d. h., dass die Anklage von der Staatsanwaltschaft erhoben werde. Der NPK sieht vor, dass gegen eine bestimmte Person Ermittlungen eingeleitet werden, wenn hinreichende Beweise dafür vorliegen, dass sie eine von Amts wegen zu verfolgende Straftat begangen hat(17). Die Personen, die dieser Art von Straftaten beschuldigt werden, unterliegen der polizeilichen Registrierung, wie sie u. a. in Art. 68 ZMVR geregelt ist. Die Polizeibehörden nehmen diese Registrierung vor, und nicht die Behörden, die das Strafverfahren durchführen. Folgende personenbezogene Daten werden registriert: Angaben über den Personenstand der Person (Name, Geburtsdatum und Geburtsort, Geschlecht, Staatsangehörigkeit), Anschrift und verwaltungstechnische Identifikationsnummer sowie physische Merkmale (Größe, Augenfarbe). Außerdem werden mindestens ein Foto der betroffenen Person, ihre Fingerabdrücke und ihr DNA-Profil nach der Entnahme von Proben registriert. Die beschuldigte Person ist zur Zusammenarbeit verpflichtet und darf die Erhebung ihrer personenbezogenen Daten nicht behindern. Erst nach der Einreichung der Anklageschrift durch die Staatsanwaltschaft beim Gericht erlangt sie die Eigenschaft als Angeklagter, wobei das Strafverfahren in die gerichtliche Phase tritt.

26.      Im Fall einer Weigerung kann diese Person, da es sein kann, dass die Einwilligung der beschuldigten Person bei der Verarbeitung personenbezogener Daten im Zusammenhang mit den Tätigkeiten der Kriminalitätsbekämpfung nicht erforderlich ist, eine schriftliche Erklärung unterzeichnen, in der sie ihr fehlendes Einverständnis zum Ausdruck bringt. Die mit der polizeilichen Registrierung betraute Polizeibehörde befasst sodann das für den Fall zuständige Gericht, dass das Strafverfahren wegen der fraglichen Straftat in die gerichtliche Phase treten sollte, um die Bewilligung der zwangsweisen Durchführung dieser Registrierung zu beantragen. Das Ermessen des Gerichts ist begrenzt, da es nur zu prüfen hat, ob die Person einer vorsätzlichen Offizialstraftat beschuldigt wurde und ob sie sich tatsächlich geweigert hat, sich der polizeilichen Registrierung zu unterziehen. Die Akte des Verfahrens zur Beantragung der zwangsweisen Durchführung der polizeilichen Registrierung besteht somit nur aus einer Fotokopie der Anordnung zur Einleitung von Ermittlungen und der Erklärung über die Verweigerung der Registrierung der Daten. Hat das angerufene Gericht festgestellt, dass gegen die betroffene Person tatsächlich Ermittlungen eingeleitet wurden und dass sie sich der polizeilichen Registrierung widersetzt hat, hat es die zwangsweise Durchführung dieser Registrierung zu bewilligen.

27.      Art. 6 der Richtlinie 2016/680, der im Mittelpunkt dieser dritten Vorlagefrage steht, verpflichtet die Mitgliedstaaten „gegebenenfalls und so weit wie möglich“ zwischen den Daten verschiedener Kategorien betroffener Personen klar zu unterscheiden, darunter „Personen, gegen die ein begründeter Verdacht besteht, dass sie eine Straftat begangen haben oder in naher Zukunft begehen werden“(18). Der Zweck dieser Bestimmung besteht, wie die Kommission ausgeführt hat, darin, dass die Opfer von Straftaten nicht demselben Eingriff in das Grundrecht auf Schutz personenbezogener Daten wie z. B. die Personen, die im Verdacht stehen, sie begangen zu haben, ausgesetzt werden(19).

28.      Schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich, dass der Umfang der den Mitgliedstaaten auferlegten Verpflichtung eher gering und nicht ganz bestimmt ist, da die Liste der Kategorien von Personen nicht abschließend ist und die Richtlinie es den Mitgliedstaaten überlässt, die Folgen aus der klaren Unterscheidung zu ziehen, deren Vornahme von ihnen verlangt wird. Rein wörtlich betrachtet halte ich es im Hinblick auf diese Bestimmung von vornherein für völlig zulässig, dass ein Mitgliedstaat als „klare Kategorie“ diejenige der beschuldigten Personen festlegt, d. h. die Personen, in Bezug auf die hinreichende Beweise dafür vorliegen, dass sie eine Straftat begangen haben.

29.      Was die vom Gericht bewilligte zwangsweise Durchführung der polizeilichen Registrierung betrifft, weise ich zum einen darauf hin, dass die Richtlinie 2016/680 nicht bezweckt, die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Erhebung personenbezogener Daten der unter Art. 6 Buchst. a(20) dieser Richtlinie fallenden Personen zu regeln, und dass zum anderen, wie die französische Regierung ausgeführt hat, die zuständigen Behörden natürliche Personen anweisen können, ihren Anordnungen nachzukommen, so dass die Einwilligung einer betroffenen Person keine rechtliche Grundlage für die Verarbeitung dieser Daten durch diese Behörden liefert(21). Diese Feststellung gilt auch für sensible personenbezogene Daten(22).

1.      Zur beschränkten gerichtlichen Kontrolle im Rahmen des Verfahrens zur Bewilligung der zwangsweisen Durchführung der polizeilichen Registrierung und zur Wahrung des Rechts auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf

30.      Unter diesen Umständen, da die Richtlinie 2016/680 nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die vorsehen, dass betreffend die beschuldigten Personen die zuständigen Behörden im Fall einer Weigerung dieser Personen die Erhebung biometrischer und genetischer Daten anordnen können, ohne jedoch die Verfahrensmodalitäten einer solchen zwangsweisen Durchführung zu regeln, ist übereinstimmend mit der französischen Regierung festzustellen, dass die Mitgliedstaaten tatsächlich beschließen können, ein verbindliches Verfahren einzuführen, indem sie diesem einen gerichtlichen oder administrativen Charakter verleihen und vorsehen, dass die Befugnis zur Entscheidung über die zwangsweise Durchführung der Erhebung der Daten entweder einer Justizbehörde oder einer Verwaltungsbehörde übertragen wird.

31.      Kapitel VIII der Richtlinie 2016/680 regelt die Rechtsbehelfe, die den Personen, deren Daten verarbeitet wurden, zur Verfügung stehen müssen. Diese Rechtsbehelfe umfassen die Möglichkeit einer Beschwerde bei einer einzigen Aufsichtsbehörde(23), die Möglichkeit, einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen einen sie betreffenden rechtsverbindlichen Beschluss einer Aufsichtsbehörde einzulegen(24) sowie die Möglichkeit, einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf einzulegen, wenn die betroffene Person der Ansicht ist, dass ihre Rechte nach der Richtlinie 2016/680, in ihrer Umsetzung auf nationaler Ebene, infolge einer nicht mit diesen Rechten im Einklang stehenden Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten verletzt wurden(25). Der Sachverhalt, der Gegenstand der dritten Vorlagefrage ist, ist diesen verschiedenen Fallgestaltungen jedoch vorgelagert.

32.      Gleichwohl ist, da Art. 68 ZMVR, der die Voraussetzungen für die zwangsweise Durchführung der polizeilichen Registrierung festlegt, die der besonderen Kategorie der Personen auferlegt wird, die einer vorsätzlichen Offizialstraftat beschuldigt werden, eine Durchführung des Rechts der Union(26) im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta darstellt, sicherzustellen, dass er das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz beachtet.

33.      Nach Art. 47 der Charta hat jede Person, deren durch das Recht der Union garantierte Rechte oder Freiheiten verletzt worden sind, das Recht, nach Maßgabe der in diesem Artikel vorgesehenen Bedingungen einen wirksamen Rechtsbehelf einzulegen. In den Art. 7 und 8 der Charta ist das Recht auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten verankert. Wie der Gerichtshof kürzlich ausgeführt hat, „[kann k]eines dieser drei Grundrechte … eine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, da jedes von ihnen im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen werden muss“(27). Ferner sieht Art. 52 Abs. 1 der Charta vor, dass die Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freiheiten eingeschränkt werden kann, sofern diese Einschränkungen erstens gesetzlich vorgesehen sind, zweitens den Wesensgehalt der in Rede stehenden Rechte und Freiheiten achten und drittens unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen. Daher kann die Ausübung des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf durch den Unionsgesetzgeber oder – in Ermangelung einer einschlägigen Unionsregelung – von den Mitgliedstaaten eingeschränkt werden, wenn die in Art. 52 Abs. 1 der Charta vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind(28).

34.      Was die erste Voraussetzung angeht, so ist es der ZMVR, präzisiert vom NRISPR, der die Verpflichtung der einer vorsätzlichen Offizialstraftat beschuldigten Personen vorsieht, freiwillig oder unter Zwang an der polizeilichen Registrierung mitzuwirken, gegebenenfalls nach Anordnung des erstinstanzlichen Gerichts, in dessen Zuständigkeit diese Straftat fällt. Die gebundene Zuständigkeit dieses Gerichts und die Unmöglichkeit, in diesem Stadium des Verfahrens zu prüfen, ob die Beweise ausreichen, mit denen nachgewiesen werden kann, dass die Person die Straftat, derer sie beschuldigt wird, begangen hat, wobei das Verfahren, mit dem die zwangsweise Durchführung der polizeilichen Registrierung angeordnet werden soll, im Übrigen durch eine gewisse Dringlichkeit der Entscheidung und einen nicht kontradiktorischen Charakter gekennzeichnet ist, sind im Sinne von Art. 52 Abs. 1 der Charta gesetzlich vorgesehen.

35.      Zur zweiten Voraussetzung hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass zum Wesensgehalt des in Art. 47 der Charta verankerten Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf u. a. gehört, dass die Person, die Inhaber dieses Rechts ist, Zugang zu einem Gericht erhalten kann, das über die Befugnis verfügt, die Achtung der ihr durch das Unionsrecht garantierten Rechte sicherzustellen und zu diesem Zweck alle für die bei ihm anhängige Streitigkeit relevanten Tatsachen- und Rechtsfragen zu prüfen(29). Die Anforderung der Wahrung des Wesensgehalts des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf bedeutet jedoch nicht, dass der Inhaber dieses Rechts über einen unmittelbaren Rechtsbehelf verfügt, der in erster Linie darauf abzielt, eine bestimmte Maßnahme in Frage zu stellen, sofern es im Übrigen vor den verschiedenen zuständigen nationalen Gerichten einen oder mehrere Rechtsbehelfe gibt, die es ihm ermöglichen, inzident eine gerichtliche Kontrolle dieser Maßnahme zu erreichen, die die Beachtung der ihm durch das Unionsrecht garantierten Rechte und Freiheiten gewährleistet(30).

36.      Insoweit weise ich darauf hin, wie die bulgarische Regierung ausgeführt hat, dass die Anordnung der polizeilichen Registrierung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ergeht, in dem die Untersuchungs- und Beweiserhebungshandlungen vorgenommen werden, anhand deren zu bestimmen ist, ob eine Straftat begangen wurde, wer der Täter ist und ob dessen strafrechtliche Verantwortlichkeit ausgelöst wird. Nach Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen und der Übermittlung der Beweise muss der Staatsanwalt beschließen, das Strafverfahren einzustellen, es auszusetzen, eine Befreiung von der strafrechtlichen Verantwortung in Verbindung mit einer Geldbuße vorzuschlagen, eine Vereinbarung zur Beilegung des Rechtsstreits vorzuschlagen oder mittels einer Anklageschrift Anklage zu erheben. Die Einreichung dieser Anklageschrift beim Gericht leitet die gerichtliche Phase des Strafverfahrens ein.

37.      Das Vorliegen von Beweisen gegenüber der Person, die gezwungen wurde, sich der polizeilichen Registrierung zu unterziehen, muss notwendigerweise beim Eintritt des Strafprozesses in die gerichtliche Phase geprüft werden können, in der das befasste Gericht die Möglichkeit zur Prüfung aller relevanten rechtlichen und tatsächlichen Fragen haben muss und insbesondere die Möglichkeit, zu prüfen, ob die Beweise, auf die dieser Rechtsakt gestützt ist, nicht unter Verletzung der dem Betroffenen durch das Unionsrecht garantierten Rechte und Freiheiten erlangt oder verwendet worden sind(31).

38.      Was die dritte Voraussetzung betrifft, müssen die nationalen Rechtsvorschriften, die der Prüfung des Gerichtshofs unterliegen, unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erforderlich sein und einer von der Union anerkannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzung tatsächlich entsprechen. Art. 68 ZMVR regelt die Erhebung und Verarbeitung besonderer Daten für eine bestimmte Kategorie von Personen und fügt sich insoweit in den Rahmen der Richtlinie 2016/680 ein, mit der eine spezifische Regelung für personenbezogene Daten und ihre Verarbeitung durch die zuständigen Behörden zum Zweck der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung und Verfolgung von Straftaten geschaffen wird. Daher stellt das mit den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften verfolgte Ziel zwangsläufig eine von der Union anerkannte dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung dar(32). Im Übrigen können die Erfordernisse der Untersuchung auch die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers erklären, das Verfahren, das einen Antrag auf zwangsweise Durchführung der polizeilichen Registrierung zum Gegenstand hat, trotz der schwerwiegenden Eingriffe in die durch die Art. 7 und 8 der Charta garantierten Rechte der Prüfungsbefugnis des Richters hinsichtlich der Beachtung des persönlichen Anwendungsbereichs dieser Registrierung zu entziehen und diese Prüfung auf eine spätere Phase des Verfahrens zu verschieben. Die nationalen Rechtsvorschriften sind offensichtlich geeignet, das verfolgte Ziel zu erreichen, und dürften nicht unverhältnismäßig sein, wenn die beschuldigte Person in der Folge tatsächlich die Möglichkeit hat, die polizeiliche Registrierung anzufechten, und sei es auch vor dem Gericht, das ihre zwangsweise Durchführung angeordnet hat, oder vor einem anderen Gericht.

2.      Zur fehlenden Prüfung, ob die Beweise ausreichen, und zur Beachtung der Unschuldsvermutung

39.      Schließlich äußert das vorlegende Gericht eine Reihe von Bedenken hinsichtlich der Beachtung der Unschuldsvermutung, wie sie in Art. 48 der Charta verankert ist(33). Es fragt sich insbesondere, ob es nicht gegen die Vermutung der Unschuld der beschuldigten Person verstoßen würde, wenn nicht überprüft werden könne, ob die Beweise, die der Ermittlung zugrunde lägen, zu dem Zeitpunkt, zu dem das zuständige Gericht die polizeiliche Registrierung anordnen müsse, ausreichten.

40.      Bezogen auf Art. 6 Buchst. a der Richtlinie 2016/680 heißt es im 31. Erwägungsgrund dieser Richtlinie, der den Sinn dieser Bestimmung erläutert, dass die Festlegung verschiedener Kategorien von Personen, denen unterschiedliche Verarbeitungen ihrer personenbezogenen Daten entsprechen müssen, „nicht der Anwendung des Rechts auf die Unschuldsvermutung, wie es in der Charta und in der EMRK gewährleistet ist, … entgegenstehen [sollte]“.

41.      Wie oben ausgeführt, macht sich das vorlegende Gericht darüber Gedanken, dass die Entscheidung, mit der das zuständige Gericht die polizeiliche Registrierung anordnen muss, in einem Verfahren ergeht, das es diesem Gericht nur gestattet, zu beurteilen, ob die betroffene Person tatsächlich beschuldigt wird und ob sie sich der polizeilichen Registrierung tatsächlich widersetzt hat. In Bezug auf Strafverfahren wurde Art. 48 der Charta im Unionsrecht durch die Richtlinie (EU) 2016/343 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über die Stärkung bestimmter Aspekte der Unschuldsvermutung und des Rechts auf Anwesenheit in der Verhandlung in Strafverfahren(34) umgesetzt. Diese Richtlinie gilt „für natürliche Personen, die Verdächtige … sind“ und „für alle Abschnitte des Strafverfahrens ab dem Zeitpunkt, zu dem eine Person verdächtigt … wird, eine Straftat … begangen zu haben, bis die Entscheidung über die endgültige Feststellung, ob diese Person die betreffende Straftat begangen hat, Rechtskraft erlangt hat“(35). Nach Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2016/343 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, „die erforderlichen Maßnahmen [zu treffen], um sicherzustellen, dass, solange die Schuld eines Verdächtigen oder einer beschuldigten Person nicht rechtsförmlich nachgewiesen wurde, in öffentlichen Erklärungen von Behörden und in nicht die Frage der Schuld betreffenden gerichtlichen Entscheidungen nicht so auf die betreffende Person Bezug genommen wird, als sei sie schuldig“. Dies gilt jedoch „unbeschadet der Strafverfolgungsmaßnahmen, die dazu dienen, den Verdächtigen oder die beschuldigte Person zu überführen, sowie unbeschadet der vorläufigen Entscheidungen verfahrensrechtlicher Art, die von einer gerichtlichen oder sonstigen zuständigen Stelle getroffen werden und auf Verdachtsmomenten oder belastendem Beweismaterial beruhen“(36). Außerdem heißt es in Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 2016/343, dass „[d]ie Wahrnehmung des Rechts, sich nicht selbst belasten zu müssen, … nicht der Beschaffung von Beweismitteln durch die zuständigen Behörden entgegen[steht], die mit Hilfe gesetzlich vorgesehener Zwangsmittel rechtmäßig erlangt werden können und unabhängig vom Willen der Verdächtigen oder beschuldigten Personen existieren“.

42.      Unter diesen Umständen halte ich es für denkbar, dass die Entscheidung, mit der das zuständige Gericht, nachdem es lediglich die Ermittlung zur Kenntnis genommen hat, die in diesem Stadium mutmaßlich auf ausreichenden Beweisen für die Beteiligung der betroffenen Person an der Begehung der Offizialstraftat und der Weigerung dieser Person, sich der polizeilichen Registrierung zu unterziehen, beruht, die Polizeibehörden ermächtigt, diese Registrierung zwangsweise durchzuführen, nicht als eine Stellungnahme betreffend die Schuld dieser Person und daher auch nicht als Verstoß gegen die Vermutung der Unschuld der betroffenen Person ausgelegt werden kann(37).

43.      Im Gegenteil scheint in Anbetracht der Tatsache, dass das Gericht, das die polizeiliche Registrierung anzuordnen hat, dasselbe ist wie dasjenige, vor dem das Strafverfahren gegebenenfalls in seine gerichtliche Phase gebracht wird, der Umstand, dass es in diesem Stadium des Strafverfahrens nicht beurteilen kann, ob die Beweise ausreichen, zudem im Kontext eines Verfahrens, das nicht kontradiktorisch erscheint, der beschuldigten Person zu gewährleisten, dass dieser Richter gemäß den Erfordernissen der Unschuldsvermutung „unparteiisch und unvoreingenommen ist, wenn er die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten prüf[en wird]“(38). Jedenfalls „ist bei der Kontrolle der Beachtung der Unschuldsvermutung eine gerichtliche Entscheidung und ihre Begründung immer in ihrer Gesamtheit und im Licht der besonderen Umstände, unter denen sie erlassen worden ist, zu prüfen“(39).

44.      Aus der vorstehenden Analyse ergibt sich somit, dass Art. 6 Buchst. a der Richtlinie 2016/680 im Licht der Art. 47 und 48 der Charta dahin auszulegen ist, dass er nationalen Rechtsvorschriften, wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, nicht entgegensteht, die vorsehen, dass die Kontrolle des zuständigen Strafgerichts, das mit einem Antrag auf Bewilligung der zwangsweisen Durchführung der polizeilichen Registrierung von personenbezogenen Daten, u. a. biometrischen und genetischen Daten, befasst ist, wenn sich die Person, die einer vorsätzlichen Offizialstraftat beschuldigt wird, weigert, sich der Registrierung zu unterziehen, auf die Feststellung der Entscheidung über die Einleitung von Ermittlungen und der Weigerung der betroffenen Person beschränkt ist, ohne dass das Gericht beurteilen kann, ob die Beweise ausreichen, die zur Entscheidung geführt haben, dass diese Person beschuldigt wurde, da die Frage, ob die Beweise zur Stützung der Einleitung von Ermittlungen ausreichen, vor dem Gericht gegebenenfalls in einer späteren Phase des Strafverfahrens angemessen geltend gemacht werden kann.

B.      Zur vierten Vorlagefrage

45.      Mit seiner vierten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, wie Art. 4 Abs. 1 Buchst. b und c(40), sowie die Art. 8 und 10 der Richtlinie 2016/680 auszulegen sind, damit es letztlich beurteilen kann, ob Art. 68 ZMVR, aus dem sich ergibt, dass die Fotografien, die Fingerabdrücke und die Entnahme von Proben zur Erstellung eines DNA-Profils systematisch erhoben und verarbeitet werden, wenn eine Person einer vorsätzlichen Offizialstraftat beschuldigt wird, mit diesen Bestimmungen vereinbar ist.

46.      Die Richtlinie 2016/680 enthält eine spezielle Bestimmung für die Verarbeitung besonderer Kategorien von personenbezogenen Daten, wie sie im Wortlaut der vierten Vorlagefrage angeführt sind, in ihrem Art. 10, der im Wesentlichen vorsieht, dass die Verarbeitung biometrischer und genetischer Daten zur eindeutigen Identifizierung einer natürlichen Person „nur dann erlaubt [ist], wenn sie unbedingt erforderlich ist und vorbehaltlich geeigneter Garantien für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person erfolgt und … wenn sie nach dem Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten zulässig ist“(41).

47.      Die Anwendung von Art. 10 hindert außerdem erst recht nicht daran, die Verarbeitung dieser besonderen Daten den übrigen Anforderungen der Richtlinie 2016/680 zu unterwerfen, so dass bei einer Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten u. a. Art. 4 Abs. 1 Buchst. b und c sowie Art. 8 dieser Richtlinie zu beachten sind. Eine aufeinanderfolgende Prüfung dieser Bestimmungen würde jedoch zu einem redundanten Ergebnis führen, so dass es mir möglich erscheint, die Anforderungen dieser Bestimmungen in die auf der Grundlage von Art. 10 der Richtlinie 2016/680 durchgeführte Prüfung einzubeziehen.

48.      Ich bin nämlich der Ansicht, dass erstens zu prüfen ist, ob die Verarbeitung der dem Anwendungsbereich von Art. 10 der Richtlinie 2016/680 unterliegenden Daten unbedingt erforderlich ist. Dies bedeutet zum einen, das Maß an Erforderlichkeit festzulegen, und zum anderen, in die Prüfung der Erforderlichkeit auch den in Art. 4 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie verankerten Grundsatz der Minimierung der personenbezogenen Daten einzubeziehen(42). Die Kontrolle der Korrelation zwischen den eingesetzten Mitteln und dem verfolgten Zweck, der im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b und Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/680 festgelegt, eindeutig und rechtmäßig sein muss, kann auch in diesem Stadium der Prüfung erfolgen. Zweitens muss sichergestellt werden, dass die Verarbeitung nach dem Recht eines Mitgliedstaats zulässig ist, was, wie ich darlegen werde, auf die Qualität des Gesetzes im Licht insbesondere von Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 2016/680 verweist. Drittens ist zu prüfen, ob die in Art. 10 dieser Richtlinie geregelte Verarbeitung dem Erfordernis entspricht, geeignete Garantien für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person zu bieten.

1.      Zur unbedingten Erforderlichkeit der Verarbeitung der bei der polizeilichen Registrierung erhobenen Daten

49.      Die erste Voraussetzung besteht also darin, dass die Verarbeitung biometrischer und genetischer Daten unbedingt erforderlich [absolument nécessaire] sein muss. Meines Erachtens besteht kein Zweifel daran, dass es sich hierbei um eine verschärfte Anforderung handelt, da Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/680 lediglich auf die Erforderlichkeit der Verarbeitung als Bedingung für deren Rechtmäßigkeit Bezug nimmt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit weise ich jedoch darauf hin, dass die spanische, die deutsche, die englische, die italienische, die polnische, die portugiesische oder die rumänische Fassung in Art. 10 dieser Richtlinie eine anders formulierte Schwelle festlegen, da in diesen Fassungen von einer unbedingt erforderlichen [strictement nécessaire] Verarbeitung die Rede ist(43). Zwar besteht hier eine, wenngleich subtile, Nuance, doch bin ich der Ansicht, dass sie sich nicht wirklich auf die Natur der sich daraus ergebenden Prüfung auswirkt. Dagegen schreibt Art. 10 der Richtlinie 2016/680 eindeutig ein aufgrund schwerwiegender Eingriffe in das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten erforderliches(44) verschärftes Anforderungsniveau gegenüber dem vor, was im Rahmen der für nicht besondere Daten geltenden allgemeinen Regelung zulässig ist. Der Gedanke einer strengen Erforderlichkeit ist daher stets im Auge zu behalten.

50.      Für eine größere Kohärenz der Letzteren beginne ich mit der Prüfung der Zwecke. Die personenbezogenen Daten müssen für festgelegte, eindeutige und rechtmäßige Zwecke erhoben und nicht in einer mit diesen Zwecken nicht zu vereinbarenden Weise verarbeitet werden, was eine Prüfung des aus den verschiedenen Quellen der rechtlichen Regelung der polizeilichen Registrierung bestehenden nationalen Rechts erforderlich macht; diese Prüfung wird Sache des vorlegenden Gerichts sein. Die bloße Berufung auf einen mit Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2016/680 verfolgten Zweck genügt nicht für die Feststellung, dass die in Art. 4 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie vorgesehene Anforderung erfüllt ist. Die Richtlinie 2016/680 erkennt zwar an, dass die zuständigen Behörden personenbezogene Daten, die im Zusammenhang mit der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung einer bestimmten Straftat erhoben wurden, auch in einem anderen Kontext verarbeiten können müssen, um sich ein Bild von den kriminellen Handlungen machen und Verbindungen zwischen verschiedenen aufgedeckten Straftaten herstellen zu können(45), doch muss das nationale Recht, das diese Tätigkeit regelt, die Zwecke der Verarbeitung festlegen, die klar angegeben sein müssen(46). Was das Ziel der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten anbelangt, sind „nur die Bekämpfung schwerer Kriminalität und die Verhütung ernster Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit geeignet, die … schweren Eingriffe in die Grundrechte, die in den Art. 7 und 8 der Charta verankert sind, zu rechtfertigen. Daher können nur Eingriffe in die genannten Grundrechte, die nicht schwer sind, durch das Ziel der Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten im Allgemeinen gerechtfertigt sein“(47).

51.      Die einzelstaatlichen Bestimmungen müssen klar und präzise sein(48), damit die betroffenen Personen über die Risiken, Vorschriften, Garantien und Rechte(49) im Zusammenhang mit der beabsichtigten Verarbeitung informiert werden können. Meines Erachtens kann sich die Kontrolle der Rechtmäßigkeit des verfolgten Zwecks nicht auf die Prüfung beschränken, ob im nationalen Recht ein gemeinsamer Zweck mit denjenigen der Richtlinie 2016/680 angeführt ist, da der Zweck auch durch die Voraussetzungen seiner Verfolgung gerechtfertigt ist. Außerdem kann der verfolgte Zweck, obwohl er rechtmäßig ist, weder als eindeutig noch als festgelegt im Sinne von Art. 4 Buchst. b der Richtlinie 2016/680 angesehen werden, wenn er nicht ausreichend detailliert hinsichtlich der Bedingungen seiner praktischen Umsetzung ist. Die Eindeutigkeit und die Festlegung der Zwecke sind jedoch wesentliche Schritte, damit die Prüfung der unbedingten Erforderlichkeit durchgeführt werden kann.

52.      Bei dem Grundsatz, dass die erhobenen und verarbeiteten personenbezogenen Daten dem Verarbeitungszweck entsprechen, maßgeblich und in Bezug auf die Zwecke, für die sie verarbeitet werden, nicht übermäßig sind, handelt es sich um den Grundsatz der Datenminimierung(50), wie er in Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2016/680 zum Ausdruck kommt.

53.      Die Zweckentsprechung und Maßgeblichkeit der Daten scheinen a priori kein Problem aufzuwerfen, da die Fotografien, Fingerabdrücke und die DNA bekannte Faktoren der eindeutigen Identifizierung sind, anhand deren durch einen Vergleich die mutmaßliche Beteiligung der betroffenen Person an der Begehung der Straftat festgestellt werden kann, sei es im laufenden Strafverfahren oder durch einen Vergleich mit Beweisen, die im Rahmen früherer Verfahren gesammelt wurden.

54.      Der 26. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/680 umfasst im Grundsatz der Datenminimierung die Prüfung der erforderlichen Dauer der Speicherung der betreffenden Daten(51) und weist darauf hin, dass die Daten „nur verarbeitet werden dürfen [sollten], wenn der Zweck der Verarbeitung nicht in zumutbarer Weise durch andere Mittel erreicht werden kann“(52). Da es sich außerdem um Ausnahmen und Beschränkungen des Grundrechts auf Schutz personenbezogener Daten handelt, müssen sich diese Ausnahmen und Einschränkungen auf das absolut Notwendige beschränken(53). Zwischen den zu speichernden Daten und dem verfolgten Ziel muss ein angemessenes Verhältnis(54) hergestellt werden. Zwar geht es nicht darum, den wirksamen Beitrag der von den nationalen Behörden abgefragten Datenbanken zur Verfolgung bestimmter, manchmal der schwersten, Straftaten in Frage zu stellen, doch hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits entschieden, dass solche Instrumente nicht in einer übermäßigen Logik der Maximierung der darin befindlichen Informationen und der Dauer ihrer Aufbewahrung umgesetzt werden dürfen. Ohne die Wahrung einer erforderlichen Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die ihnen zugewiesenen legitimen Ziele würden nämlich die Vorteile, die sie darstellen, durch die schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Rechte und Freiheiten, die die Staaten gewährleisten müssen, belastet(55).

55.      Der Gerichtshof hat jüngst im Kontext der DSGVO und hinsichtlich des Grundsatzes der Datenminimierung darauf hingewiesen, dass, um dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit zu genügen, das in der Bestimmung, die diesen Grundsatz vorsieht, zum Ausdruck gebracht wird, „die der Verarbeitung zugrunde liegende Regelung klare und präzise Regeln für die Tragweite und die Anwendung der betreffenden Maßnahme vorsehen und Mindesterfordernisse aufstellen muss, so dass die Personen, deren personenbezogene Daten betroffen sind, über ausreichende Garantien verfügen, die einen wirksamen Schutz ihrer Daten vor Missbrauchsrisiken ermöglichen. Die Regelung muss nach nationalem Recht bindend sein und insbesondere Angaben dazu enthalten, unter welchen Umständen und unter welchen Voraussetzungen eine Maßnahme, die die Verarbeitung solcher Daten vorsieht, getroffen werden darf, damit gewährleistet ist, dass sich der Eingriff auf das absolut Notwendige beschränkt“(56). Diese nationale Regelung muss sich außerdem „bei der Festlegung der Umstände und Voraussetzungen[, unter denen eine Person verpflichtet ist, ihre personenbezogenen Daten zur Verarbeitung durch die zuständigen Behörden zur Verfügung zu stellen,] auf objektive Kriterien stützen“(57).

2.      Zum Erfordernis, dass die Verarbeitung nach nationalem Recht zulässig sein muss

56.      Art. 10 sieht als eine der Voraussetzungen für die Zulässigkeit der Verarbeitung besonderer Kategorien personenbezogener Daten vor, dass diese nach dem Unionsrecht oder dem nationalen Recht zulässig ist. Im 33. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/680 wird klargestellt, was unter „nationalem Recht“ zu verstehen ist und welche Eigenschaften es haben muss. Daher muss das nationale Recht klar und präzise und seine Anwendung vorhersehbar sein. Ihr Inhalt wird durch Art. 8 Abs. 2 dieser Richtlinie festgelegt, der vorsieht, dass im nationalen Recht, das die Verarbeitung personenbezogener Daten innerhalb des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie regelt, „zumindest die Ziele der Verarbeitung, die personenbezogenen Daten, die verarbeitet werden sollen, und die Zwecke der Verarbeitung angegeben“ werden. Es scheint auf den ersten Blick nicht offensichtlich, zwischen den Zielen der Verarbeitung und ihren Zwecken zu unterscheiden. Ich meine jedoch, dass zwar der Zweck auf einer bestimmten allgemeinen Ebene formuliert werden kann, jedoch die Ziele den konkreten und unmittelbaren Nutzen der beabsichtigten Verarbeitung klarstellen müssen(58). Das nationale Recht muss somit die Gründe, aus denen die Verarbeitung dieser besonderen Kategorie von Daten erlaubt wurde, hinreichend deutlich machen.

3.      Zum Vorliegen geeigneter Garantien für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person

57.      Angesichts der mit der Verarbeitung sensibler personenbezogener Daten verbundenen Risiken muss sie durch geeignete Garantien für die Rechte und Freiheiten der betroffenen Person begrenzt werden. Um geeignet zu sein, müssen diese Garantien, was nicht überrascht, gesetzlich vorgesehen sein(59). Die Beurteilung des Vorliegens dieser Garantien erfordert einen Überblick über alle Voraussetzungen, um die genaue Tragweite der betreffenden Verarbeitung beurteilen und für einen wirksamen Schutz vor falschen und missbräuchlichen Verarbeitungen sorgen zu können(60). Der 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/680 führt nämlich als Beispiele für solche Garantien an, „dass diese Daten nur in Verbindung mit anderen Daten über die betroffene natürliche Person erhoben werden dürfen, die erhobenen Daten hinreichend gesichert werden müssen, der Zugang der Mitarbeiter der zuständigen Behörde zu den Daten strenger geregelt und die Übermittlung dieser Daten verboten wird“. Bei der Verarbeitung sensibler Daten sind die Fragen der Dauer ihrer Speicherung und des Zugangs der zuständigen Behörden von grundlegender Bedeutung, weil es sich um einen schweren Eingriff handelt und die Gefahr eines Missbrauchs im Zusammenhang mit den spezifischen Eigenschaften dieser Daten zu berücksichtigen ist. Die Beurteilung der Vereinbarkeit der beabsichtigten Verarbeitung mit den Vorgaben von Art. 10 der Richtlinie 2016/680 impliziert daher auch eine strenge Prüfung aller Aspekte der beabsichtigten Verarbeitung, die daher vom nationalen Recht klar formuliert sein(61) und den unionsrechtlich festgelegten Normen entsprechen müssen.

4.      Ergebnis und vorläufige Anwendung

58.      Aus dem Vorstehenden ergibt sich somit, dass Art. 10 der Richtlinie 2016/680 in Verbindung mit deren Art. 4 Buchst. b und c sowie Art. 8 dieser Richtlinie, ausgelegt im Licht der Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der Charta, dahin auszulegen ist, dass die Erhebung und Verarbeitung biometrischer und genetischer Daten, wie die Fotografien, Fingerabdrücke und die Entnahme von Proben zur Erstellung eines DNA-Profils, da sie einen schweren Eingriff in das Recht auf Schutz personenbezogener Daten darstellen, nur erlaubt sind, wenn sie für die Verfolgung von Zielen im Zusammenhang mit schwerer Kriminalität unbedingt erforderlich sind, was das nationale Recht klar bestimmen muss. Die Art und die Anzahl der verarbeiteten personenbezogenen Daten müssen absolut angemessen sein und mit dem verfolgten Ziel und Zweck in Einklang stehen. Insoweit muss sich das nationale Recht an eines der mit der Richtlinie 2016/680 verfolgten Zwecke halten. Es muss auch angeben, welche konkreten Ziele zur Erreichung dieses Zwecks beitragen können. Es sind auch konkret die Gründe darzulegen, aus denen die Verarbeitung dieser Daten, insbesondere der genetischen Daten, trotz der Tatsache, dass es sich um einen schweren Eingriff handelt, zu diesem Zweck unbedingt erforderlich erscheint. Das nationale Recht muss außerdem die Bedingungen für die Verarbeitung in allen ihren Dimensionen, d. h. von den Bedingungen für die Erhebung bis zu den Bedingungen für den Zugang zu den Daten und ihre Löschung im Wege der präzisen und notwendigerweise eng begrenzten Festlegung des persönlichen Anwendungsbereichs der Maßnahme der Erhebung und Verarbeitung, klar festlegen. Jede dieser Voraussetzungen ist auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken. Die so festgelegte Regelung muss sich als geeignet erweisen, Personen vor der Gefahr eines Missbrauchs, die insbesondere die Verarbeitung genetischer Daten darstellt, wirksam zu schützen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, sich zu vergewissern, dass alle diese Vorschriften genau eingehalten worden sind.

59.      Der Gerichtshof verfügt nämlich meines Erachtens nicht über alle Informationen über den Stand des nationalen Rechts betreffend die polizeiliche Registrierung, um selbst über die Vereinbarkeit der polizeilichen Registrierung mit dem Unionsrecht entscheiden zu können. Gleichwohl ist darauf hinzuweisen, dass bestimmte Gesichtspunkte im Zusammenhang mit dieser Registrierung bereits einige Fragen oder sogar Bedenken aufwerfen.

60.      Das vorlegende Gericht führt in seinem Vorabentscheidungsersuchen aus, dass die Verarbeitung eine Untersuchungstätigkeit zum Gegenstand habe und dass sie in den Rahmen der Ausführung der Tätigkeiten des Innenministeriums falle. Außerdem geht aus Art. 27 ZMVR hervor, dass die von der Polizei nach Art. 68 ZMVR registrierten Daten „nur“ im Rahmen des Schutzes der nationalen Sicherheit, der Bekämpfung der Kriminalität und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung verwendet würden(62). Die bei der polizeilichen Registrierung erhobenen Daten werden nach den Schriftsätzen der bulgarischen Regierung für die Zwecke des Strafverfahrens, in dem die betroffene Person beschuldigt wurde, aber auch „zu anderen Zwecken im Zusammenhang mit der Bekämpfung der Kriminalität“ und gegebenenfalls durch einen Vergleich verarbeitet. Auf den ersten Blick scheinen diese Zwecke zwar den in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2016/680 genannten Zwecken, insbesondere dem Zweck der Ermittlung und Aufdeckung von Straftaten, zu entsprechen. Das Fehlen einer genauen Bestimmung des verfolgten Zwecks, ja sogar die Anhäufung der geltend gemachten Zwecke, sowie die fehlende Erläuterung der Gründe, aus denen eine/solche Zielsetzung(en) ein/solche Mittel rechtfertigen (nämlich, wie bereits ausgeführt, die zwingende und systematische Erhebung und Verarbeitung von drei Arten von personenbezogenen Daten, die unter die besonderen Kategorien fallen, die verstärkten Schutz nach Art. 10 der Richtlinie 2016/680 genießen müssen, darunter das DNA-Profil von Personen, die einer vorsätzlichen Offizialstraftat beschuldigt werden)(63), sind jedoch offensichtlich und könnten die anderen Schritte der anzuwendenden Prüfung beeinträchtigen. Was insbesondere die Speicherung des DNA-Profils der betroffenen Person in einem automatisierten Dateisystem betrifft, müssen im nationalen Recht besondere Anstrengungen in Bezug auf die Erläuterungen der Erforderlichkeit einer solchen Verarbeitung unternommen werden, um nachzuweisen, dass das Ergebnis, das erlangt wird, auf einer wirklichen Abwägung der beteiligten Interessen beruht.

61.      Auch wenn die mit der polizeilichen Registrierung angeblich verfolgten Zwecke mit den in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 2016/680 genannten übereinstimmen, hat das nationale Recht den Zusammenhang zwischen dem Umfang der Erhebung – sei es hinsichtlich der Anzahl der betroffenen Personen wie der Anzahl der erhobenen und verarbeiteten Daten – und den verfolgten Zwecken weder hergestellt noch näher ausgeführt.

62.      Da der Gerichtshof bereits festgestellt hat, dass die Wirksamkeit der Strafverfolgung im Allgemeinen nicht von einem einzigen Ermittlungsinstrument abhängt, sondern von allen Ermittlungsinstrumenten, über die die zuständigen nationalen Behörden zu diesem Zweck verfügen(64), müssen, wenn ein Mitgliedstaat es diesen Behörden gestattet, so sensible personenbezogene Daten wie das DNA-Profil zu erheben und zu verarbeiten, die Gründe, aus denen diese Daten für die Zwecke der laufenden Ermittlungen verarbeitet werden sollen, speziell präzisiert werden.

63.      Ich weise auch darauf hin, dass alle Personen, die einer vorsätzlichen Offizialstraftat beschuldigt werden, sich der polizeilichen Registrierung unterziehen müssen. Das vorlegende Gericht legt jedoch dar, dass fast alle im Strafgesetzbuch vorgesehenen Straftaten in diese Kategorien fielen (vorsätzliche Straftat/Offizialstraftat). Alle Daten werden im Stadium der Einleitung des Ermittlungsverfahrens erhoben, wenn, wie vom bulgarischen Strafprozessrecht gefordert, bereits hinreichende Beweise für die Schuld der beschuldigten Person gesammelt worden sind. Im Hinblick auf die polizeiliche Registrierung werden die Personen, die am Ende des Verfahrens tatsächlich schuldig gesprochen werden, jedoch nicht anders behandelt als Personen, die nicht schuldig gesprochen werden, abgesehen offenbar von einem Recht auf Löschung der verarbeiteten Daten, wenn die Person letztlich freigesprochen wird. Da es sich jedoch um schwerwiegende Eingriffe und sensible Daten handelt, die einen verstärkten Schutz erforderlich machen, frage ich mich, weshalb diese Logik nicht umgekehrt wird, d. h., warum die Verurteilung für die zur Last gelegten Handlungen nicht abgewartet werden muss, bevor die polizeiliche Registrierung vorgenommen wird, was zumindest den Vorteil hätte, die Selektivität der Maßnahme zu stärken. Der Gerichtshof verfügt jedoch über keine Informationen zu den Gründen für die Entscheidung des nationalen Gesetzgebers.

64.      Auch die Art der Straftat, derentwegen die Ermittlungen eingeleitet wurden, wird nicht berücksichtigt. Bei äußerst schematischer Betrachtung könnte man vorbringen, dass die wegen eines Straßenverkehrsdelikts beschuldigte Person in gleicher Weise behandelt wird wie der wegen Mordes Angeklagte. Die Rechtsvorschriften dürften keine Fälle vorsehen, in denen nicht alle betreffenden Daten polizeilich registriert werden. Zumindest in laufenden Strafverfahren werden jedoch nicht alle die Erstellung eines DNA-Profils erfordern, um die Schuld der betroffenen Person zu beweisen. Zwar wird die Maßnahme, weil sie auf die beschuldigten Personen „beschränkt“ ist, als solche nicht allgemein sein, doch wirft ihre unterschiedslose Anwendung in der weiten Kategorie dieser Personen eindeutig Fragen auf. Im Übrigen erscheint das nationale Recht, indem es nicht nach der Schwere der Straftat unterscheidet, bereits in diesem Punkt mit der in Nr. 50 der vorliegenden Schlussanträge angeführten Rechtsprechung schwerlich vereinbar.

65.      Besondere Aufmerksamkeit ist auch auf die Voraussetzungen der Datenspeicherung und des Zugangs zu diesen Daten zu richten, über die der Gerichtshof wenig unterrichtet ist.

66.      Schließlich veranlasst mich die Frage des Vergleichs der auf diese Weise gewonnenen Daten zu zwei Anmerkungen. Was zunächst den Vergleich mit den bei früheren Untersuchungen gesammelten Beweisen angeht, kann eine Auslegung dieses Ziels im Licht des unbedingt Erforderlichen nur möglicherweise einen sofortigen Vergleich der Spuren rechtfertigen, ohne dass es erforderlich wäre, die Daten der Beschuldigten mehr oder weniger langfristig aufzubewahren. Sodann erscheint es, auch wenn der Gedanke darin besteht, eine Datenbank zu schaffen, um die Aufklärung künftiger Straftaten zu erleichtern, also im Wiederholungsfall, eindeutig nicht gerechtfertigt, dieser Datenbank sensible personenbezogene Daten von Personen zuzuführen, auf die bereits Elemente der Bekämpfung einer völlig hypothetischen Wiederholungsgefahr, die sie darstellen könnten, angewandt würden, obwohl sie noch nicht für schuldig befunden wurden.

IV.    Ergebnis

67.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die dritte und die vierte Vorlagefrage des Spetsializiran nakazatelen sad (Spezialisiertes Strafgericht, Bulgarien) wie folgt zu beantworten:

Art. 6 Buchst. a der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung sowie zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung des Rahmenbeschlusses 2008/977/JI des Rates ist im Licht der Art. 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nicht entgegensteht, die vorsehen, dass die Kontrolle des zuständigen Strafgerichts, das mit einem Antrag auf Bewilligung der zwangsweisen Durchführung der von einer Person, die einer vorsätzlichen Offizialstraftat beschuldigt wird, verweigerten polizeilichen Registrierung von personenbezogenen, u. a. biometrischen und genetischen Daten befasst ist, auf die Feststellung des Vorliegens der Entscheidung über die Einleitung von Ermittlungen und der Weigerung der betroffenen Person beschränkt ist, ohne dass das Gericht beurteilen kann, ob die Beweise ausreichen, die zur Einleitung von Ermittlungen gegen diese Person geführt haben, wenn die Frage, ob die Beweise zur Einleitung der Ermittlungen ausreichen, vor dem Gericht gegebenenfalls in einer späteren Phase des Strafverfahrens angemessen geltend gemacht werden kann.

Art. 10 der Richtlinie 2016/680 in Verbindung mit deren Art. 4 Buchst. b und c sowie Art. 8 dieser Richtlinie, ausgelegt im Licht der Art. 7, 8 und 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte, ist dahin auszulegen, dass die Erhebung und Verarbeitung biometrischer und genetischer Daten, wie Fotografien, Fingerabdrücke und die Entnahme von Proben zur Erstellung eines DNA-Profils als schwere Eingriffe in das Recht auf Schutz personenbezogener Daten nur erlaubt sind, wenn sie für die Verfolgung von Zielen im Zusammenhang mit schwerer Kriminalität unbedingt erforderlich sind, die das nationale Recht klar benennen muss. Art und Anzahl der verarbeiteten personenbezogenen Daten müssen absolut angemessen sein und mit dem verfolgten Ziel und Zweck in Einklang stehen. Insoweit muss das nationale Recht eines der mit der Richtlinie 2016/680 verfolgten Ziele verfolgen. Es muss auch angeben, welche konkreten Ziele zur Erreichung dieses Zwecks beitragen können. Es sind auch konkret die Gründe darzulegen, aus denen die Verarbeitung dieser Daten, insbesondere der genetischen Daten, trotz der Tatsache, dass es sich um einen schweren Eingriff handelt, zu diesem Zweck unbedingt erforderlich erscheint. Das nationale Recht muss außerdem die Bedingungen für die Verarbeitung in allen ihren Dimensionen, d. h. von den Bedingungen für die Erhebung über die präzise und notwendigerweise eng begrenzte Festlegung des persönlichen Anwendungsbereichs der Maßnahme der Erhebung und Verarbeitung bis zu den Bedingungen für den Zugang zu den Daten und ihre Löschung, klar festlegen. Jede dieser Voraussetzungen ist auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken. Die so festgelegte Regelung muss sich als geeignet erweisen, Personen wirksam vor der Gefahr eines Missbrauchs zu schützen, die insbesondere bei der Verarbeitung genetischer Daten droht. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, sich zu vergewissern, dass alle diese Vorgaben eingehalten worden sind.


1      Originalsprache: Französisch.


2      Vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Ligue des droits humains (C‑817/19, EU:C:2022:65, Rn. 2).


3      Nach dem „tragenden Grundsatz“, nach dem Zadig als Premierminister des Königs sein Amt ausgeübt hatte (in Voltaire, Zadig ou la destinée [Zadig oder das Schicksal], éditions Pocket, Paris, 2020, S. 41).


4      ABl. 2016, L 119, S. 89.


5      DV Nr. 53 vom 27. Juni 2014, zuletzt geändert und ergänzt in CV Nr. 85 vom 2. Oktober 2020, ergänzt in DV Nr. 20 vom 9. März 2021.


6      Gesetz über die bulgarischen Identitätsdokumente.


7      DV Nr. 90 vom 31. Oktober 2014, zuletzt geändert in DV Nr. 57 vom 28. Juli 2015.


8      Die Zahl der so abgenommenen Fingerabdrücke ist in den dem Gerichtshof vorliegenden Akten nicht angegeben.


9      Aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten geht hervor, dass die polizeiliche Registrierung nach ihrer Beschreibung eine Fotografie oder Fotografien enthält, ohne dass die Zahl und der Inhalt der Fotografie(n) näher bestimmt werden.


10      Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1, im Folgenden: DSGVO).


11      Die von den zuständigen Behörden zu diesem Zweck vorgenommene Speicherung von personenbezogenen Daten, wie den von der polizeilichen Registrierung betroffenen, in den Fahndungsdatenbanken dieses Mitgliedstaats stellt eine Verarbeitung dieser Daten im Sinne der Richtlinie 2016/680 dar: vgl. Art. 3 Nrn. 2 und 7 dieser Richtlinie. Vgl. entsprechend auch Urteil vom 12. Mai 2021, Bundesrepublik Deutschland (Red Notice von Interpol) (C‑505/19, EU:C:2021:376, Rn. 111).


12      Ich erinnere daran, dass die Zahl der so abgenommenen Fingerabdrücke nicht angegeben ist.


13      Auch insoweit sind ihre Zahl und ihr Inhalt nicht genau angegeben.


14      Vgl. entsprechend Urteile vom 16. Juli 2020, Facebook Ireland und Schrems (C‑311/18, EU:C:2020:559, Rn. 171), und vom 6. Oktober 2020, Luxemburgischer Staat (Rechtsbehelf gegen ein Auskunftsersuchen in Steuersachen) (C‑245/19 und C‑246/19, EU:C:2020:795, Rn. 73).


15      Zum Verhältnis zwischen dem sensiblen Charakter der Daten und der Schwere des Eingriffs vgl. u. a. Urteile vom 24. September 2019, GC u. a. (Auslistung sensibler Daten) (C‑136/17, EU:C:2019:773, Rn. 44), und vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u. a. (C‑511/18, C‑512/18 und C‑520/18, EU:C:2020:791, Rn. 142).


16      Wie die von der französischen Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen vorgelegten Statistiken bestätigen.


17      Art. 219 Abs. 1 NPK.


18      Art. 6 Buchst. a der Richtlinie 2016/680. Hervorhebung nur hier. Die anderen in dieser Bestimmung angeführten Kategorien sind verurteilte Straftäter (Art. 6 Buchst. b), Opfer (Art. 6 Buchst. c) und andere Parteien wie Zeugen (Art. 6 Buchst. c).


19      Dieser Art. 6 ist das Ergebnis einer Verschiebung des Grundsatzes der Kategorisierung der Daten, der im Grundsatz Nr. 3 der Empfehlung Nr. R (87) 15 des Ministerkomitees des Europarates an die Mitgliedstaaten über die Nutzung personenbezogener Daten im Polizeibereich verankert ist und dem er entspricht (vgl. die Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie KOM[2012] 10 endg. vom 25. Januar 2012, Nr. 3.4.2) zum Grundsatz der Kategorisierung von Personen, deren personenbezogene Daten erhoben und anschließend verarbeitet werden.


20      Aus Art. 1 der Richtlinie 2016/680 ergibt sich nämlich, dass diese Richtlinie „Bestimmungen zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden zum Zwecke der Verhütung, Ermittlung, Aufdeckung oder Verfolgung von Straftaten oder der Strafvollstreckung“ enthält.


21      Vgl. 35. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/680.


22      Vgl. 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/680.


23      Vgl. Art. 52 der Richtlinie 2016/680.


24      Vgl. Art. 53 der Richtlinie 2016/680.


25      Vgl. Art. 54 der Richtlinie 2016/680.


26      Insbesondere Art. 6 Buchst. a der Richtlinie 2016/680.


27      Urteil vom 6. Oktober 2020, Luxemburgischer Staat (Rechtsbehelf gegen ein Auskunftsersuchen in Steuersachen) (C‑245/19 und C‑246/19, EU:C:2020:795, Rn. 49).


28      Vgl. Urteil vom 6. Oktober 2020, Luxemburgischer Staat (Rechtsbehelf gegen ein Auskunftsersuchen in Steuersachen) (C‑245/19 und C‑246/19, EU:C:2020:795, Rn. 60).


29      Vgl. Urteil vom 6. Oktober 2020, Luxemburgischer Staat (Rechtsbehelf gegen ein Auskunftsersuchen in Steuersachen) (C‑245/19 und C‑246/19, EU:C:2020:795, Rn. 66).


30      Vgl. Urteil vom 6. Oktober 2020, Luxemburgischer Staat (Rechtsbehelf gegen ein Auskunftsersuchen in Steuersachen) (C‑245/19 und C‑246/19, EU:C:2020:795, Rn. 79).


31      Vgl. entsprechend Urteil vom 6. Oktober 2020, Luxemburgischer Staat (Rechtsbehelf gegen ein Auskunftsersuchen in Steuersachen) (C‑245/19 und C‑246/19, EU:C:2020:795, Rn. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung). Welche Folgen aus der etwaigen Feststellung der Rechtswidrigkeit des unter Verstoß gegen das Unionsrecht im Bereich des Schutzes personenbezogener Daten erlangten Beweises zu ziehen sind, ist eine weitere Frage.


32      Vgl. Urteile vom 2. Oktober 2018, Ministerio Fiscal (C‑207/16, EU:C:2018:788, Rn. 57), und vom 2. März 2021, Prokuratuur (Voraussetzungen für den Zugang zu Daten über die elektronische Kommunikation) (C‑746/18, EU:C:2021:152, Rn. 33).


33      Art. 48 der Charta entspricht unmittelbar, wie sich aus den Erläuterungen der Charta ergibt, Art. 6 Abs. 2 und 3 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK). Art. 48 der Charta stellt einen Mindestschutzstandard dar und ist unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 2 und 3 EMRK sowie der dazu ergangenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auszulegen: vgl. Urteil vom 5. September 2019, AH u. a. (Unschuldsvermutung) (C‑377/18, EU:C:2019:670, Rn. 41).


34      ABl. 2016, L 65, S. 1.


35      Art. 2 der Richtlinie 2016/343.


36      Ich weise jedoch darauf hin, dass die Frage, ob die Beweise ausreichen, ohne dass sie im Haupttext der Richtlinie durch ein konkretes Erfordernis zum Ausdruck kommt, im 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/343 gestreift wird, dessen letzter Satz vorsieht, dass „[b]evor eine vorläufige Entscheidung verfahrensrechtlicher Art getroffen wird, … die zuständige Stelle unter Umständen zunächst prüfen [müsste], ob das gegen den Verdächtigen oder die beschuldigte Person vorliegende belastende Beweismaterial ausreicht, um die betreffende Entscheidung zu rechtfertigen; in der Entscheidung könnte auf dieses Beweismaterial Bezug genommen werden“ (Hervorhebung nur hier).


37      Wie der Gerichtshof in Bezug auf eine gerichtliche Entscheidung festgestellt hat, die allein den etwaigen Fortbestand der Untersuchungshaft einer beschuldigten Person zum Gegenstand hat; diese Entscheidung befasst sich laut dem Gerichtshof nur mit der Frage, ob diese Person in Anbetracht aller relevanten Umstände aus der Haft zu entlassen ist, ohne zu klären, ob ihr die ihr vorgeworfene Tat anzulasten ist: vgl. Urteil vom 28. November 2019, Spetsializirana prokuratura (C‑653/19 PPU, EU:C:2019:1024, Rn. 35).


38      Urteil vom 16. November 2021, Prokuratura Rejonowa w Mińsku Mazowieckim u. a. (C‑748/19 bis C‑754/19, EU:C:2021:931, Rn. 88).


39      Urteil vom 5. September 2019, AH u. a. (Unschuldsvermutung) (C‑377/18, EU:C:2019:670, Rn. 46).


40      Im Hinblick auf die Begründung des Vorabentscheidungsersuchens (vgl. u. a. seine Rn. 57) ist der Wortlaut dieser vierten Frage dahin umzuformulieren, dass er sich auf die Auslegung von Art. 4 Abs. 1 Buchst. b – und nicht Buchst. a – der Richtlinie 2016/680 bezieht.


41      Für die Zwecke der Analyse stelle ich fest, dass die polizeiliche Registrierung unter Art. 10 Buchst. a der Richtlinie 2016/680 fällt. Aus den Akten scheint hervorzugehen, dass die Fotografien von den zuständigen Polizeibehörden, die die polizeiliche Registrierung durchführen, aufgenommen werden und dass diese daher keine Fotografien verwenden, die gegebenenfalls die betroffene Person, z. B. in den sozialen Netzwerken, offensichtlich öffentlich gemacht hat, so dass die Anwendung von Art. 10 Buchst. c dieser Richtlinie ausgeschlossen ist.


42      Zum Zusammenhang zwischen den Grundsätzen der Erforderlichkeit der Verarbeitung und der Datenminimierung vgl. entsprechend Urteil vom 11. Dezember 2019, Asociaţia de Proprietari bloc M5A-ScaraA (C‑708/18, EU:C:2019:1064, Rn. 48).


43      Was im Allgemeinen vom Gerichtshof im Fall von Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf den Schutz der personenbezogenen Daten verlangt wird: vgl. u. a. Urteil vom 11. Dezember 2019, Asociaţia de Proprietari bloc M5A-ScaraA (C‑708/18, EU:C:2019:1064, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung). Eine solche Formulierung der in Art. 10 der Richtlinie 2016/680 festgelegten Schwelle steht im Einklang mit den Anforderungen des Gerichtshofs bei sogenannten sensiblen Daten: vgl. u. a. Urteil vom 6. Oktober 2020, Privacy International (C‑623/17, EU:C:2020:790, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).


44      Siehe Fn. 15 der vorliegenden Schlussanträge.


45      Vgl. 27. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/680.


46      Vgl. Urteil vom 24. Februar 2022, Valsts ieņēmumu dienests (Verarbeitung personenbezogener Daten für steuerliche Zwecke) (C‑175/20, EU:C:2022:124, Rn. 64 und 65).


47      Urteil vom 6. Oktober 2020, La Quadrature du Net u. a. (C‑511/18, C‑512/18 und C‑520/18, EU:C:2020:791, Rn. 140 und die dort angeführte Rechtsprechung). Hervorhebung nur hier. Vgl. auch Urteil vom 5. April 2022, Commissioner of An Garda Síochána u. a. (C‑140/20, EU:C:2022:258, Rn. 59).


48      Vgl. entsprechend Urteil vom 21. Dezember 2016, Tele2 Sverige und Watson u. a. (C‑203/15 und C‑698/15, EU:C:2016:970, Rn. 118).


49      Vgl. 26. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/680.


50      Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs wird mit dem Grundsatz der Datenminimierung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zum Ausdruck gebracht: vgl. im Kontext der DSGVO Urteil vom 22. Juni 2021, Latvijas Republikas Saeima (Strafpunkte) (C‑439/19, EU:C:2021:504, Rn. 98 und die dort angeführte Rechtsprechung).


51      Für eine Veranschaulichung dieses Verhältnisses, wenn auch im Kontext der DSGVO, vgl. Urteil vom 24. Februar 2022, Valsts ieņēmumu dienests (Verarbeitung personenbezogener Daten für steuerliche Zwecke) (C‑175/20, EU:C:2022:124, Rn. 79).


52      Für eine Formulierung dieses Erfordernisses in der Rechtsprechung vgl. Urteil vom 11. Dezember 2019, Asociaţia de Proprietari bloc M5A-ScaraA (C‑708/18, EU:C:2019:1064, Rn. 47).


53      Vgl. Urteil vom 24. Februar 2022, Valsts ieņēmumu dienests (Verarbeitung personenbezogener Daten für steuerliche Zwecke) (C‑175/20, EU:C:2022:124, Rn. 73 und die dort angeführte Rechtsprechung).


54      Zur Unterscheidung zwischen Zweck und Ziel siehe Nr. 56 der vorliegenden Schlussanträge.


55      Vgl. EGMR, 22. Juni 2017, Aycaguer/Frankreich (CE:ECHR:2017:0622JUD000880612, § 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).


56      Urteil vom 24. Februar 2022, Valsts ieņēmumu dienests (Verarbeitung personenbezogener Daten für steuerliche Zwecke) (C‑175/20, EU:C:2022:124, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung). Hervorhebung nur hier.


57      Urteil vom 24. Februar 2022, Valsts ieņēmumu dienests (Verarbeitung personenbezogener Daten für steuerliche Zwecke) (C‑175/20, EU:C:2022:124, Rn. 84).


58      Das angestrebte Ziel lässt sich den in Art. 8 Abs. 1 der Richtlinie 2016/680 genannten Aufgaben der zuständigen Behörden gegenüberstellen.


59      Vgl. 37. Erwägungsgrund der Richtlinie 2016/680.


60      Dieses Erfordernis gilt auch für den Unionsgesetzgeber: vgl. Urteil vom 17. Oktober 2013, Schwarz (C‑291/12, EU:C:2013:670).


61      Zum Zugang zu Daten hat der Gerichtshof entschieden, dass sich nationale Rechtsvorschriften nicht darauf beschränken dürfen, dass der behördliche Zugang zu den Daten dem verfolgten Zweck zu entsprechen hat, sondern auch die materiellen und prozeduralen Voraussetzungen für die Verwendung der Daten vorsehen müssen (vgl. Urteil vom 5. April 2022, Commissioner of An Garda Síochána u. a., C‑140/20, EU:C:2022:258, Rn. 104).


62      Dies hat die bulgarische Regierung in ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichtshofs bestätigt. Diese im bulgarischen Recht allgemein und kumulativ formulierten Ziele können jedoch jeweils für sich genommen nicht dieselben Eingriffe in das Recht auf Schutz personenbezogener Daten rechtfertigen: vgl. Urteil vom 5. April 2022, Commissioner of An Garda Síochána u. a. (C‑140/20, EU:C:2022:258, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).


63      Im Zusammenhang mit der Bekämpfung schwerer Kriminalität hat der Gerichtshof u. a., nachdem er die Rechtmäßigkeit dieses Ziels und den Umstand anerkannt hat, dass ihre Wirksamkeit in hohem Maß von der Nutzung moderner Ermittlungstechniken abhängen kann, bereits entschieden, dass eine solche dem Gemeinwohl dienende Zielsetzung aber, „so grundlegend sie auch sein mag, für sich genommen die Erforderlichkeit einer Maßnahme der allgemeinen und unterschiedslosen Vorratsspeicherung von Verkehrs- und Standortdaten … nicht rechtfertigen [kann]“. (Urteil vom 5. April 2022, Commissioner of An Garda Síochána u. a., C‑140/20, EU:C:2022:258, Rn. 94).


64      Urteil vom 5. April 2022, Commissioner of An Garda Síochána u. a. (C‑140/20, EU:C:2022:258, Rn. 69).