Language of document : ECLI:EU:C:2014:2300

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PEDRO CRUZ VILLALÓN

vom 16. Oktober 2014(1)

Rechtssache C‑266/13

L. Kik

gegen

Staatssecretaris van Financiën

(Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden [Niederlande])

„Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer – Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 – Arbeitnehmer, der an Bord eines Rohrlegers in internationalen Gewässern und über dem an zwei Mitgliedstaaten angrenzenden Festlandsockel beschäftigt ist – Sozialversicherungspflicht – Anzuwendende nationale Rechtsvorschriften“





1.        Wieder einmal muss der Gerichtshof über die Zuweisungsregeln in der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 entscheiden(2) – bei dieser Gelegenheit in einem Fall, in dem sich auch erneut die Frage der Rechtsnatur des Festlandsockels und des Sinns und der Reichweite der funktionellen Ausdehnung der Souveränität der Mitgliedstaaten auf dieses Gebiet stellt. Das wirkliche Interesse der vorliegenden Rechtssache besteht jedenfalls darin, dass es anscheinend schwierig ist, die Bestimmungen dieser Verordnung auf einen Sachverhalt anzuwenden, der nach Auffassung der Beteiligten nur eine auf einer Analogie basierende Lösung zulässt. Ich werde jedoch versuchen, aufzuzeigen, dass die Verordnung selbst eine Antwort gibt.

I –    Rechtlicher Rahmen

A –    Internationales Recht

2.        Das am 10. Dezember 1982 in Montego Bay unterzeichnete und am 16. November 1994 in Kraft getretene Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen wurde vom Königreich der Niederlande am 28. Juni 1996 ratifiziert und durch den Beschluss 98/392/EG des Rates vom 23. März 1998 im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt(3). 

3.        Sein Art. 60 („Künstliche Inseln, Anlagen und Bauwerke in der ausschließlichen Wirtschaftszone“) bestimmt Folgendes:

„(1) In der ausschließlichen Wirtschaftszone hat der Küstenstaat das ausschließliche Recht zur Errichtung sowie zur Genehmigung und Regelung der Errichtung, des Betriebs und der Nutzung von:

a)      künstlichen Inseln;

b)      Anlagen und Bauwerken für die in Artikel 56 vorgesehenen und für andere wirtschaftliche Zwecke;

c)      Anlagen und Bauwerken, welche die Ausübung der Rechte des Küstenstaats in der Zone beeinträchtigen können.

(2) Der Küstenstaat hat über diese künstlichen Inseln, Anlagen und Bauwerke ausschließliche Hoheitsbefugnisse, einschließlich derjenigen in Bezug auf Zoll- und sonstige Finanzgesetze, Gesundheits-, Sicherheits- und Einreisegesetze und diesbezügliche sonstige Vorschriften.

…“

4.        Art. 77 („Rechte des Küstenstaats am Festlandsockel“) des Übereinkommens bestimmt:

„(1) Der Küstenstaat übt über den Festlandsockel souveräne Rechte zum Zweck seiner Erforschung und der Ausbeutung seiner natürlichen Ressourcen aus.

(2) Die in Absatz 1 genannten Rechte sind insoweit ausschließlich, als niemand ohne ausdrückliche Zustimmung des Küstenstaats den Festlandsockel erforschen oder seine natürlichen Ressourcen ausbeuten darf, selbst wenn der Küstenstaat diese Tätigkeiten unterlässt.

(3) Die Rechte des Küstenstaats am Festlandsockel sind weder von einer tatsächlichen oder nominellen Besitzergreifung noch von einer ausdrücklichen Erklärung abhängig.

…“

5.        In Art. 79 („Unterseeische Kabel und Rohrleitungen auf dem Festlandsockel“) des Übereinkommens heißt es:

„(1) Alle Staaten haben das Recht, in Übereinstimmung mit diesem Artikel auf dem Festlandsockel unterseeische Kabel und Rohrleitungen zu legen.

(2) Der Küstenstaat darf das Legen oder die Unterhaltung dieser Kabel oder Rohrleitungen nicht behindern, vorbehaltlich seines Rechts, angemessene Maßnahmen zur Erforschung des Festlandsockels, zur Ausbeutung seiner natürlichen Ressourcen und zur Verhütung, Verringerung und Überwachung der Verschmutzung durch Rohrleitungen zu ergreifen.

(3) Die Festlegung der Trasse für das Legen solcher Rohrleitungen auf dem Festlandsockel bedarf der Zustimmung des Küstenstaats.

(4) Dieser Teil berührt nicht das Recht des Küstenstaats, Bedingungen für Kabel oder Rohrleitungen festzulegen, die in sein Hoheitsgebiet oder sein Küstenmeer führen, oder seine Hoheitsbefugnisse über Kabel und Rohrleitungen zu begründen, die im Zusammenhang mit der Erforschung seines Festlandsockels, der Ausbeutung seiner Ressourcen oder dem Betrieb von seinen Hoheitsbefugnissen unterliegenden künstlichen Inseln, Anlagen oder Bauwerken gebaut oder genutzt werden.

…“

6.        Nach Art. 80 („Künstliche Inseln, Anlagen und Bauwerke auf dem Festlandsockel“) gilt „Artikel 60 … sinngemäß für künstliche Inseln, Anlagen und Bauwerke auf dem Festlandsockel“.

B –    Unionsrecht

1.      Verordnung Nr. 1408/71

7.        Im vorliegenden Fall sind folgende Erwägungsgründe der Verordnung Nr. 1048/71 von Interesse:

„Die Vorschriften zur Koordinierung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit gehören zur Freizügigkeit von Personen und sollen zur Verbesserung von deren Lebensstandard und Arbeitsbedingungen beitragen.

Wegen der großen Unterschiede beim persönlichen Geltungsbereich der innerstaatlichen Rechtsvorschriften ist es besser, grundsätzlich davon auszugehen, dass die Verordnung für alle Personen gilt, die im Rahmen der für Arbeitnehmer und Selbständige bereitgestellten Systeme sozialer Sicherheit oder aufgrund der Ausübung einer Arbeitnehmer- oder Selbständigentätigkeit versichert sind.

Es ist angezeigt, die Eigenheiten der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über soziale Sicherheit zu berücksichtigen und nur eine Koordinierungsregelung vorzusehen.

Für Arbeitnehmer und Selbständige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, soll jeweils das System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats gelten, so dass eine Kumulierung anzuwendender innerstaatlicher Rechtsvorschriften und die sich daraus möglicherweise ergebenden Komplikationen vermieden werden.

Um die Gleichbehandlung aller im Gebiet eines Mitgliedstaats erwerbstätigen Arbeitnehmer und Selbständigen am besten zu gewährleisten, ist es zweckmäßig, im Allgemeinen die Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats anzuwenden, in dessen Gebiet der Betreffende seine Arbeitnehmer- oder Selbständigkeit ausübt.

Von dieser allgemeinen Regel ist in besonderen Fällen, die ein anderes Zugehörigkeitskriterium rechtfertigen, abzuweichen.

…“

8.        Art. 1 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 1408/71 sieht vor:

„Für die Anwendung dieser Verordnung werden die nachstehenden Begriffe wie folgt definiert:

a)      ‚Arbeitnehmer‘ oder ‚Selbständiger‘: jede Person,

i)      die gegen ein Risiko oder gegen mehrere Risiken, die von den Zweigen eines Systems der sozialen Sicherheit für Arbeitnehmer oder Selbständige oder einem Sondersystem für Beamte erfasst werden, pflichtversichert oder freiwillig weiterversichert ist;

…“

9.        Art. 2 („Persönlicher Geltungsbereich“) sieht in Abs. 1 Folgendes vor:

„Diese Verordnung gilt für Arbeitnehmer und Selbständige sowie für Studierende, für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind oder als Staatenlose oder Flüchtlinge im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen, sowie für deren Familienangehörige und Hinterbliebene.“

10.      Titel II, der die Überschrift „Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften“ trägt, wird von Art. 13 („Allgemeine Regelung“) eingeleitet, der Folgendes vorsieht:

„(1) Vorbehaltlich der Artikel 14c und 14f unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2) Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt Folgendes:

a)      Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat;

c)      eine Person, die ihre Erwerbstätigkeit an Bord eines Schiffes ausübt, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates;

f)      eine Person, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht weiterhin unterliegt, ohne dass die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gemäß einer der Vorschriften in den vorhergehenden Buchstaben oder einer der Ausnahmen bzw. Sonderregelungen der Artikel 14 bis 17 auf sie anwendbar würden, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt, nach Maßgabe allein dieser Rechtsvorschriften.“

11.      In Art. 14 („Sonderregelung für andere Personen als Seeleute, die eine abhängige Beschäftigung ausüben“) der Verordnung Nr. 1408/71 heißt es:

„Vom Grundsatz des Artikels 13 Absatz 2 Buchstabe a) gelten folgende Ausnahmen und Besonderheiten:

2. Eine Person, die gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten abhängig beschäftigt ist, unterliegt den wie folgt bestimmten Rechtsvorschriften:

a)      Eine Person, die als Mitglied des fahrenden oder fliegenden Personals eines Unternehmens beschäftigt wird, das für Rechnung Dritter oder für eigene Rechnung im internationalen Verkehrswesen die Beförderung von Personen oder Gütern im Schienen-, Straßen-, Luft- oder Binnenschifffahrtsverkehr durchführt und seinen Sitz im Gebiet des Mitgliedstaats hat, unterliegt den Rechtsvorschriften des letzten Mitgliedstaats mit folgender Einschränkung:

i)      Eine Person, die von einer Zweigstelle oder ständigen Vertretung beschäftigt wird, die das Unternehmen außerhalb des Gebietes des Mitgliedstaats, in dem es seinen Sitz hat, im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats unterhält, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sich die Zweigstelle oder die ständige Vertretung befindet;

ii)      eine Person, die überwiegend im Gebiet des Mitgliedstaats beschäftigt wird, in dem sie wohnt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates auch dann, wenn das Unternehmen, das sie beschäftigt, dort weder seinen Sitz noch die Zweigstelle oder eine ständige Vertretung hat;

b)      eine Person, die nicht unter Buchstabe a) fällt, unterliegt:

i)      den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Staates ausübt oder wenn sie für mehrere Unternehmen oder mehrere Arbeitgeber tätig ist, die ihren Sitz oder Wohnsitz im Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten haben;

ii)      den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet das Unternehmen oder der Arbeitgeber, das bzw. der sie beschäftigt, seinen Sitz oder Wohnsitz hat, sofern sie nicht im Gebiet eines der Mitgliedstaaten wohnt, in denen sie ihre Tätigkeit ausübt.

…“

12.      Art. 14b („Sonderregelung für Seeleute“) bestimmt:

„Vom Grundsatz des Artikels 13 Absatz 2 Buchstabe c) gelten folgende Ausnahmen und Besonderheiten:

4.      Eine Person, die an Bord eines Schiffes, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, abhängig beschäftigt ist und die ihr Arbeitsentgelt für diese Beschäftigung von einem Unternehmen oder einer Person mit Sitz oder Wohnsitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats erhält, unterliegt den Rechtsvorschriften des letzteren Staates, sofern sie in dessen Gebiet wohnt; das Unternehmen oder die Person, das bzw. die das Arbeitsentgelt zahlt, gilt für die Anwendung dieser Rechtsvorschriften als Arbeitgeber.“

13.      Art. 15 („Freiwillige Versicherung und freiwillige Weiterversicherung“) der Verordnung sieht vor:

„(1) Artikel 13 bis 14d gelten nicht für die freiwillige Versicherung und die freiwillige Weiterversicherung, es sei denn, es gibt in einem Mitgliedstaat für einen der in Artikel 4 genannten Zweige nur ein System freiwilliger Versicherung.

(2) Führt die Anwendung der Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten zu

–        einem Zusammentreffen einer Pflichtversicherung und einer freiwilligen Versicherung oder freiwilligen Weiterversicherung bei einem oder mehreren Systemen, so unterliegt der Versicherte ausschließlich der Pflichtversicherung;

…“

C –    Abkommen mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft(4)

14.      Art. 8 des Abkommens EG–Schweiz besagt:

„Die Vertragsparteien regeln die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit gemäß Anhang II, um insbesondere Folgendes zu gewährleisten:

a)      Gleichbehandlung;

b)      Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften;

c)      Zusammenrechnung aller nach den verschiedenen nationalen Rechtsvorschriften berücksichtigten Versicherungszeiten für den Erwerb und die Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs sowie für die Berechnung der Leistungen;

d)      Zahlung der Leistungen an Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien haben;

e)      Amtshilfe und Zusammenarbeit der Behörden und Einrichtungen.“

15.      Art. 1 von Anhang II des Abkommens EG–Schweiz lautet:

„(1) Die Vertragsparteien kommen überein, im Bereich der Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit untereinander die gemeinschaftlichen Rechtsakte, auf die Bezug genommen wird, in der zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Abkommens geltenden Fassung einschließlich der in Abschnitt A dieses Anhangs genannten Änderungen oder gleichwertige Vorschriften anzuwenden.

(2) Der Begriff ‚Mitgliedstaat(en)‘ in den Rechtsakten, auf die in Abschnitt A dieses Anhangs Bezug genommen wird, ist außer auf die durch die betreffenden gemeinschaftlichen Rechtsakte erfassten Staaten auch auf die Schweiz anzuwenden.“

16.      Anhang II Abschnitt A nimmt auf die Verordnung Nr. 1408/71 Bezug, die durch die Verordnung (EG) Nr. 883/2004(5) ersetzt wurde, die seit dem 1. Mai 2010 anwendbar ist. Anhang II des Abkommens EG–Schweiz wurde durch den Beschluss Nr. 1/2012 des Gemischten Ausschusses, der aufgrund des Abkommens eingesetzt wurde(6), mit Wirkung vom 1. April 2012 auf den neuesten Stand gebracht. Die Neufassung von Anhang II bezieht sich auf die Verordnung Nr. 883/2004. Ungeachtet dessen richten sich Sachverhalte, die vor dem 1. April 2012 liegen, gemäß Art. 90 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2004 und Anhang II Abschnitt A Nr. 3 des Abkommens EG–Schweiz nach der Verordnung Nr. 1408/71.

D –    Niederländisches Recht

17.      Dem Vorlagebeschluss zufolge sind nach der Grundregel der niederländischen Sozialversicherungsgesetze die Einwohner der Niederlande bei den von den Gesetzen vorgesehenen Versicherungen pflichtversichert und beitragspflichtig. Nach Art. 12 Abs. 1 der Besluit uitbreiding en beperking kring verzekerden volksverzekeringen 1999 (Verordnung zur Erweiterung und Beschränkung des Kreises der Sozialversicherungspflichtigen von 1999) ist eine Person, die in den Niederlanden wohnt, ausnahmsweise nicht im Sozialversicherungssystem versichert, wenn sie während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens drei Monaten ausschließlich außerhalb der Niederlande arbeitet, es sei denn, dass diese Arbeit ausschließlich im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses mit einem in den Niederlanden wohnenden oder ansässigen Arbeitgeber ausgeübt wird.

18.      Nach dem Besluit verzekeringsplicht zeevarenden (Verordnung über die Versicherungspflicht der Seeleute) sind die niederländischen Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit der Arbeitnehmer auf Seeleute anwendbar, die in einem Mitgliedstaat wohnen und für einen Arbeitgeber, der in den Niederlanden niedergelassen ist, auf einem Schiff tätig sind, das unter der Flagge eines Drittstaats fährt, der kein Staat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum ist.

II – Sachverhalt

19.      Die Vorlagefrage geht auf einen Rechtsstreit zwischen der niederländischen Sozialversicherung und Herrn Kik zurück, einem niederländischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in den Niederlanden, der als Arbeitnehmer eines schweizerischen Unternehmens auf einem Rohrleger, der unter panamaischer Flagge fuhr, bis zum 31. Mai 2004 auf niederländischem Hoheitsgebiet (bei der niederländischen Sozialversicherung pflichtversichert) und vom 1. Juni 2004 bis zum 24. August 2004 aufeinanderfolgend auf dem Festlandsockel der USA, in internationalen Gewässern sowie dem niederländischen, dem britischen und erneut dem niederländischen Teil des Festlandsockels tätig war.

20.      Im Ausgangsverfahren ist die Frage streitig, ob Herr Kik im Zeitraum vom 1. Juni 2004 bis 24. August 2004 bei den niederländischen Sozialversicherungen beitragspflichtig war.

21.      Die nationalen Gerichte waren (in erster und zweiter Instanz) der Ansicht, dass die Frage zu bejahen sei, da das nationale Recht vorsehe, dass die Einwohner der Niederlande pflichtversichert seien und die entsprechenden Beiträge entrichten müssten.

22.      Herr Kik hat beim Hoge Raad der Nederlanden, der das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen vorlegt, Kassationsbeschwerde eingelegt.

III – Vorlagefragen

23.       Die am 15. Mai 2013 zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen haben folgenden Wortlaut:

1.a)      Sind die Regeln über den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und die Regeln über den räumlichen Anwendungsbereich der Zuweisungsregeln in Titel II der Verordnung dahin auszulegen, dass diese Zuweisungsregeln in einem Fall wie dem vorliegenden anwendbar sind, in dem es um a) einen in den Niederlanden wohnenden Arbeitnehmer geht, der b) die niederländische Staatsangehörigkeit besitzt, c) jedenfalls früher in den Niederlanden pflichtversichert war, d) als Seemann im Dienst eines in der Schweiz ansässigen Arbeitgebers tätig ist, e) seine Arbeit an Bord eines Rohrlegers ausübt, der unter panamaischer Flagge fährt, und f) diese Tätigkeit zunächst außerhalb des Hoheitsgebiets der Union ausübte (ungefähr drei Wochen über dem Festlandsockel der Vereinigten Staaten und ungefähr zwei Wochen in internationalen Gewässern) und danach über dem Festlandsockel der Niederlande (Zeiträume von einem Monat und von ungefähr einer Woche) und des Vereinigten Königreichs (Zeitraum von etwa einer Woche), während g) die damit erzielten Einkünfte der niederländischen Einkommensteuer unterliegen?

1.b)      Wenn ja, ist die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 dann nur auf die Tage anwendbar, an denen der Betroffene über dem Festlandsockel eines Mitgliedstaats der Union arbeitet, oder auch auf den diesen vorangehenden Zeitraum, in dem er andernorts außerhalb des Hoheitsgebiets der Union arbeitete?

2.      Wenn die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 auf einen Arbeitnehmer wie den in Frage 1 a) genannten anwendbar ist, welche Rechtsordnung oder Rechtsordnungen weist die Verordnung dann als anwendbar zu?

IV – Verfahren vor dem Gerichtshof

24.      Herr Kik, die niederländische Regierung und die Kommission haben sich beteiligt und schriftliche Erklärungen eingereicht. Sie alle sind in der mündlichen Verhandlung am 3. Juli 2014 erschienen, in der sie vom Gerichtshof aufgefordert wurden, ihre Ausführungen auf die zweite Vorlagefrage des Hoge Raad zu konzentrieren.

V –    Vorbringen

A –    Erste Frage

25.      Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass die Verordnung Nr. 1408/71 auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar ist. Die niederländische Regierung ist insbesondere der Ansicht, dass die in Rede stehende Verordnung auf den gesamten betroffenen Zeitraum anwendbar ist.

B –    Zweite Frage

26.      Herr Kik und die Kommission meinen, dass unter den Umständen des Falls und nach der durch die Rechtssache Aldewereld(7) begründeten Rechtsprechung die Zuständigkeit dem Staat vorbehalten sei, in dem der Arbeitgeber seinen Sitz habe, also der Schweizerischen Eidgenossenschaft.

27.      Die niederländische Regierung ist der Auffassung, gemäß Art. 13 Abs. 2 Buchst. f und Art. 14 Abs. 2 Buchst. b Ziff. i der Verordnung Nr. 1408/71 sei der Staat zuständig, in dem der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz habe.

VI – Würdigung

28.      Der Hoge Raad fragt den Gerichtshof, ob unter den Umständen des im Ausgangsverfahren fraglichen Sachverhalts die Verordnung Nr. 1408/71 anwendbar ist und, sollte dies der Fall sein, auf welches nationale Recht die Kollisionsnormen der Verordnung verweisen, da sie sowohl nach seiner wie auch der Auffassung der Parteien einen Sachverhalt wie den vorliegenden nicht spezifisch regeln.

29.      Für eine richtige Herangehensweise an die Frage müssen die Umstände des vorliegenden Sachverhalts genau bestimmt werden.

A –    Die Arbeitsumstände des Herrn Kik in dem Zeitraum, auf den sich die Vorlagefrage bezieht

30.      Herr Kik ist Niederländer und wohnt in den Niederlanden. Bis zum 31. Mai 2004 arbeitete er für ein in den Niederlanden ansässiges Unternehmen und war in diesem Mitgliedstaat pflichtversichert.

31.      Seit dem 1. Juni 2004 ist er als Seemann bei einem schweizerischen Unternehmen beschäftigt und arbeitet auf einem Schiff, das unter panamaischer Flagge fährt. Es ist nicht ersichtlich, dass er von da an in der Schweiz versichert war, wohl aber, dass er seit dem 25. August 2004 nicht mehr in den Niederlanden pflichtversichert war, da nach den niederländischen Vorschriften die dortige Versicherungspflicht endet, sobald eine Person mindestens drei Monate ununterbrochen außerhalb der Niederlande für einen nicht in den Niederlanden ansässigen Arbeitgeber gearbeitet hat. Davon abgesehen war Herr Kik immer in den Niederlanden steuerpflichtig.

32.      Der streitige Zeitraum erstreckt sich vom 1. Juni 2004 bis zum 24. August 2004. Während dieses Zeitraums arbeitete Herr Kik: a) drei Wochen über dem Festlandsockel der USA, b) zwei Wochen in internationalen Gewässern, c) einen Monat und eine Woche über dem Festlandsockel der Niederlande, d) eine Woche über dem Festlandsockel des Vereinigten Königreichs.

33.      Demnach hat Herr Kik von den drei streitigen Monaten einen Monat und eine Woche über dem niederländischen Festlandsockel gearbeitet. Eine Woche arbeitete er über dem britischen Festlandsockel, so dass er während der insgesamt drei Monate, die hier von Interesse sind, fünf Wochen in Gebieten außerhalb der Union gearbeitet hat (internationale Gewässer und Festlandsockel eines Drittstaats). Mit anderen Worten: Mehr als die Hälfte des streitigen Zeitraums hat er über dem Festlandsockel eines Mitgliedstaats gearbeitet(8). 

B –    Erste Frage

34.      Das vorlegende Gericht möchte erstens wissen, ob unter den Umständen des Falls die Verordnung Nr. 1408/71 anwendbar ist und, sollte dies der Fall sein, ob sie nur auf die Tage anwendbar ist, an denen Herr Kik über dem Festlandsockel eines Mitgliedstaats gearbeitet hat, oder auch auf den Zeitraum, in dem er außerhalb des Hoheitsgebiets der Union gearbeitet hat.

35.      Meiner Ansicht nach und in Übereinstimmung mit der Auffassung sämtlicher Beteiligter steht die Anwendbarkeit der Richtlinie Nr. 1408/71 außer Zweifel, da sie in Art. 2 Abs. 1 bestimmt, dass sie „für Arbeitnehmer … [gilt], für welche die Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten, soweit sie Staatsangehörige eines Mitgliedstaats sind“. Im vorliegenden Fall unterlag Herr Kik bis zum 25. August 2004 dem allgemeinen niederländischen System der sozialen Sicherheit, und es bestehen Zweifel, ob er seit dem 1. Juni 2004 in Wirklichkeit dem Recht eines anderen Mitgliedstaats oder gleichgestellten Staats unterlag, so dass für die Feststellung, welches nationale Recht anwendbar ist, die Kollisionsnormen von Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71 herangezogen werden müssen.

36.      Meines Ermessens bereitet die Frage, ob Herr Kik die Arbeit, die er über dem an die Niederlande und das Vereinigte Königreich angrenzenden Festlandsockel verrichtet hat, im Hoheitsgebiet der Union erbracht hat oder nicht, keine Schwierigkeit. Nach der Rechtsprechung, die der Gerichtshof mit dem Urteil vom 17. Januar 2012, Salemink(9), begründet hat, ist eine über dem an einen Mitgliedstaat angrenzenden Festlandsockel verrichtete Arbeit für die Anwendung des Unionsrechts funktionell als eine im Hoheitsgebiet dieses Staates verrichtete Arbeit anzusehen. Allerdings war der Gerichtshof damals der Auffassung, dass dies in Bezug auf eine „auf oder über dem an einen Vertragsstaat angrenzenden Festlandsockel im Rahmen der Erforschung und/oder Ausbeutung seiner natürlichen Reichtümer“ verrichtete Arbeit galt(10). Im vorliegenden Fall hat Herr Kik auf einem Rohrleger gearbeitet, der über dem an das Hoheitsgebiet der Union angrenzenden Festlandsockel im Einsatz war, also eine Tätigkeit ausgeübt, von der grundsätzlich nicht angenommen werden kann, dass sie „auf oder über dem … Festlandsockel im Rahmen der Erforschung und/oder Ausbeutung seiner natürlichen Reichtümer“ verrichtet wird.

37.      Gewiss unterliegt der Festlandsockel in gewissem Rahmen weiterhin der Hoheitsgewalt des angrenzenden Staats, wenn auf ihm unterseeische Kabel und Rohrleitungen gelegt werden, denn nach Art. 79 Abs. 3 des Seerechtsübereinkommens bedarf „[d]ie Festlegung der Trasse für das Legen solcher Rohrleitungen auf dem Festlandsockel … der Zustimmung des Küstenstaats“ und nach Abs. 4 desselben Artikels bleiben sowohl das „Recht des Küstenstaats, Bedingungen für Kabel oder Rohrleitungen festzulegen, die in sein Hoheitsgebiet … Küstenmeer führen“, als auch „seine Hoheitsbefugnisse über Kabel und Rohrleitungen …, die im Zusammenhang mit der Erforschung seines Festlandsockels, der Ausbeutung seiner Ressourcen oder dem Betrieb von seinen Hoheitsbefugnissen unterliegenden künstlichen Inseln, Anlagen oder Bauwerken gebaut oder genutzt werden“, unberührt.

38.      Dieser gewissermaßen minimale Überrest souveräner Macht, den das Seerechtsübereinkommen gewährleistet, könnte auf den ersten Blick für die Annahme ausreichen, dass auch in diesem Fall der Festlandsockel funktionell und beschränkt zum Hoheitsgebiet der Union gehört. Im Urteil Salemink wurde jedoch eine notwendige Beziehung hergestellt zwischen dem Vorteil „aus den wirtschaftlichen Vorrechten der Erforschung und/oder Ausbeutung der Ressourcen …, die [ein Mitgliedstaat] auf dem an ihn angrenzenden Festlandsockel ausübt“, und der Unmöglichkeit, sich „der Anwendung der Bestimmungen des Unionsrechts [zu] entziehen, mit denen die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet werden soll, die auf solchen Einrichtungen beruflich tätig sind“(11). Es scheint daher klar zu sein, dass die „Funktionalität“ der Hoheitsbefugnisse des Küstenstaats am Festlandsockel nur wirksam wird, wenn Letzterer Gegenstand einer auf Erforschung und/oder Ausbeutung gerichteten Tätigkeit ist, die des Einsatzes von Arbeitnehmern bedarf, nicht aber, wenn dieser Festlandsockel nur ein Gebiet ist, in dem eine Tätigkeit ausgeübt wird, die nichts mit seiner Erforschung und/oder Ausbeutung zu tun hat, für die dem Küstenstaat nur eine Zustimmungsbefugnis verbleibt und die keinen Einsatz von Arbeitnehmern erfordert.

39.      Die vorstehenden Ausführungen sind im vorliegenden Fall aber irrelevant, da ich der Ansicht bin, dass die Verordnung Nr. 1408/71 selbst dann anwendbar ist, wenn man davon ausgeht, dass Herr Kik während des gesamten streitigen Zeitraums außerhalb des Hoheitsgebiets der Union gearbeitet hat.

40.      Nach ständiger Rechtsprechung ist dieser Umstand nämlich irrelevant, wenn das Arbeitsverhältnis einen hinreichend engen Bezug zum Gebiet eines Mitgliedstaats aufweist(12). Der Gerichtshof hat festgestellt, dass im Fall eines Arbeitnehmers, der seine Tätigkeit auf einem Schiff verrichtet, einen derartigen Bezug der Ort, an dem der Arbeitnehmer eingestellt wurde, das auf den Arbeitsvertrag anzuwendende Recht, die Zugehörigkeit zu einem System der sozialen Sicherheit und der Ort, an dem seine Vergütung versteuert wird, darstellen(13). Im vorliegenden Fall ist meines Erachtens ein hinreichend enger Bezug zum Hoheitsgebiet der Union gegeben, da Herr Kik in den Niederlanden besteuert wird und nach den Angaben der niederländischen Regierung(14) sein Gehalt entweder in den Niederlanden oder in der Schweiz bezieht, so dass vermutet werden kann – da Herr Kik keine Angaben gemacht hat, die es ermöglichen würden, einen anderen Schluss zu ziehen –, dass auf den Arbeitsvertrag das Recht eines dieser Staaten anwendbar ist.

41.      Daher schlage ich dem Gerichtshof als erstes Zwischenergebnis vor, die erste Frage des Hoge Raad dahin zu beantworten, dass unter dem Umständen des Falls die Verordnung Nr. 1408/71 auf den gesamten streitigen Zeitraum anwendbar ist, also vom 1. Juni 2004 bis zum 24. August 2004.

C –    Zweite Frage

42.      Im Anschluss hieran ist nunmehr festzustellen, welches Recht nach der Verordnung Nr. 1408/71 auf einen Arbeitnehmer in der Situation des Herrn Kik in dem Zeitraum, der Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, anwendbar ist.

43.      Die Schwierigkeit dieser Frage besteht darin, dass keine der Kollisionsnormen der Verordnung Nr. 1408/71 auf einen Fall wie den vorliegenden spezifisch anwendbar zu sein scheint. Daher muss geprüft werden, ob dieser erste Eindruck zutrifft.

44.      Unter den zahlreichen in Titel II („Bestimmung der anzuwendenden Rechtsvorschriften“, Art. 13 bis 17a) der Verordnung Nr. 1408/71 geregelten Sachverhalten sind lediglich die in Art. 13 („Allgemeine Regelung“) und in Art. 14b („Sonderregelung für Seeleute“) von Interesse(15). Von ihnen entsprechen meines Erachtens folgende nicht der Situation, in der sich Herr Kik befindet:

a)      Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist (Art. 13 Abs. 2 Buchst. a), ein Sachverhalt, auf den die Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats anwendbar sind und der auf Herrn Kik nicht zutrifft, der, wie weiter oben dargestellt wurde, seiner Erwerbstätigkeit nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats nachgeht bzw., wenn man für die Zwecke dieses Verfahrens davon ausgeht, dass der an einen Mitgliedstaat angrenzende Festlandsockel Hoheitsgebiet der Union ist, nicht im Hoheitsgebiet eines einzigen Mitgliedstaats, sondern in dem zweier Mitgliedstaaten (Niederlande und Vereinigtes Königreich) gearbeitet hat.

b)      Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats eine selbständige Tätigkeit ausübt (Art. 13 Abs. 2 Buchst. b), die den Rechtsvorschriften dieses Staats unterliegt und eindeutig nicht dem Profil des Herrn Kik entspricht, der auf fremde Rechnung arbeitet.

c)      Person, die ihre Erwerbstätigkeit an Bord eines Schiffes ausübt, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt (Art. 13 Abs. 2 Buchst. c), ein Sachverhalt, der den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats unterliegt und ebenso wenig auf den vorliegenden Fall anwendbar ist, da Herr Kik auf einem panamaischen Schiff arbeitet.

d)      Beamte und ihnen gleichgestellte Personen (Art. 13 Abs. 2 Buchst d).

e)      Eine zum Wehrdienst oder Zivildienst eines Mitgliedstaats einberufene oder wiedereinberufene Person (Art. 13 Abs. 2 Buchst. e).

f)      Eine Person, die von einem Unternehmen, dem sie gewöhnlich angehört, entweder im Gebiet eines Mitgliedstaats oder an Bord eines Schiffes, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, abhängig beschäftigt wird und von diesem Unternehmen zur Ausführung einer Arbeit für dessen Rechnung auf ein Schiff entsandt wird, das unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaats fährt (Art. 14b Nr. 1); auf diesen Sachverhalt sind die Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats anwendbar. Auch dies ist eindeutig nicht der Fall des Herrn Kik, denn es ist weder ersichtlich, dass er dem schweizerischen Arbeitgeber „gewöhnlich angehört“, noch dass er – wie bereits ausgeführt wurde – im Gebiet der Union oder auf einem Schiff, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, gearbeitet hat.

g)      Person, die gewöhnlich eine selbständige Tätigkeit entweder im Gebiet eines Mitgliedstaats oder an Bord eines Schiffes, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, ausübt (Art. 14b Nr. 2); diese Umstände liegen im vorliegenden Fall nicht vor.

h)      Person, die eine Erwerbstätigkeit in den Hoheitsgewässern oder in einem Hafen eines Mitgliedstaats ausführt (Art. 14b Nr. 3); Herr Kik hat in keinem der beiden Bereiche gearbeitet.

i)      Person, die an Bord eines Schiffes, das unter der Flagge eines Mitgliedstaats fährt, abhängig beschäftigt ist und die ihr Arbeitsentgelt für diese Beschäftigung von einem Unternehmen oder einer Person mit Sitz oder Wohnsitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats erhält (Art. 14b Nr. 4): Sie unterliegt den Rechtsvorschriften des letzteren Mitgliedstaats, sofern sie in diesem Mitgliedstaat wohnt. (Dies ist nicht der Fall des Herrn Kik, da die erste Voraussetzung fehlt, denn er arbeitet auf einem panamaischen Schiff.)

45.      Da keine der für die zuvor genannten Tatbestände vorgesehenen Lösungen in Betracht kommt, könnte die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, im Wege der Analogie auf Art. 14 der Verordnung zurückzugreifen. Die niederländische Regierung schlägt in der Tat eine analoge Anwendung von Art. 14 Abs. 2 Buchst. b vor, der den Fall einer Person betrifft, die gewöhnlich im Gebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten abhängig beschäftigt ist und nicht als Mitglied des fahrenden oder fliegenden Personals eines Unternehmens beschäftigt wird, das im internationalen Verkehrswesen tätig ist.

46.      Der Rückgriff auf die Analogie würde selbstverständlich eine legitime Lösung darstellen, wenn es nicht möglich wäre, anhand der unmittelbar auf Seeleute wie Herrn Kik anwendbaren Bestimmungen die auf den Fall anzuwendenden Vorschriften festzustellen.

47.      Allerdings erspart eine Vorschrift der Verordnung, auf die sich die niederländische Regierung zu gegebener Zeit bezogen hat, die Mühe, nach einer Analogie zu suchen. Es handelt sich um Art. 13 Abs. 2 Buchst. f der Verordnung Nr. 1408/71, der bestimmt, dass „eine Person, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht weiterhin unterliegt, ohne dass die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gemäß einer der Vorschriften in den vorhergehenden Buchstaben … auf sie anwendbar würden, … den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats [unterliegt], in dessen Gebiet sie wohnt, nach Maßgabe allein dieser Rechtsvorschriften“. Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung auf den vorliegenden Fall wurde in der mündlichen Verhandlung erörtert und passt meiner Ansicht nach genau auf den Fall des Herrn Kik.

48.      Es ist erwiesen und unstreitig, dass Herr Kik bis zum 31. Mai 2004 den niederländischen Rechtsvorschriften unterlag. Von diesem Zeitpunkt an waren diese Rechtsvorschriften grundsätzlich nicht mehr anwendbar, da keine der zuvor geprüften Regeln in der Verordnung Nr. 1408/71 zur Anwendbarkeit des niederländischen Rechts führt. Diese Regeln haben aber auch nicht notwendig die Anwendbarkeit des Rechts eines anderen Mitgliedstaats zur Folge, denn die Arbeitsumstände des Herrn Kik entsprachen keinem der dort geregelten Tatbestände.

49.      In einem solchen Fall, also der Nichtanwendung des bis dahin angewendeten Rechts und der Unanwendbarkeit eines anderen Rechts – genau der in Art. 13 Abs. 2 Buchst. f geregelte Tatbestand – bedient sich die Verordnung Nr. 1408/71 für die Feststellung des anzuwendenden Rechts allgemein des Kriteriums des Wohnorts des Arbeitnehmers. Nach diesem Kriterium unterliegt Herr Kik, der in den Niederlanden wohnt, weiterhin den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats.

50.      Gewiss legt die Einleitung der Bestimmung („eine Person, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht weiterhin unterliegt …“) intuitiv nahe, dass sie kaum die Anwendbarkeit der Rechtsvorschriften zur Folge haben kann, denen die betreffende Person nicht weiterhin unterliegt. Mit anderen Worten: Wenn die niederländischen Rechtsvorschriften im Fall des Herrn Kik seit dem 31. Mai 2004 nicht weiterhin anwendbar sind, mag es befremdlich wirken, dass die Verordnung Nr. 1408/71 zur Anwendbarkeit derselben Rechtsvorschriften führt, die gerade aufgrund dieser Verordnung nicht weiterhin anwendbar sind.

51.      Zwar sind es dieselben Rechtsvorschriften – die niederländischen –, die seit dem 31. Mai 2004 nicht mehr anwendbar sind und die infolgedessen aufgrund der Verordnung Nr. 1408/71 wieder anwendbar sind, doch handelt es sich jeweils um einen anderen Rechtstitel, aufgrund dessen sie sukzessiv unanwendbar und zwingend anzuwenden sind.

52.      Das niederländische Recht war bis zum 31. Mai 2004 anwendbar, da Herr Kik bis zu diesem Datum für ein Unternehmen mit Sitz in den Niederlanden arbeitete, in denen er auch wohnte, arbeitete und Steuern zahlte. Nach niederländischem Recht war dieses von dem Zeitpunkt an, zu dem Herr Kik drei Monate ununterbrochen außerhalb der Niederlande für einen in der Schweiz ansässigen Arbeitgeber gearbeitet hatte, nicht weiterhin anwendbar. Unter diesen Umständen ist, da die Voraussetzung erfüllt ist, dass „eine Person … den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht weiterhin unterliegt“, wie Art. 13 Abs. 2 Buchst. f der Verordnung Nr. 1408/71 vorsieht (und „ohne dass die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats … auf sie anwendbar würden“), das Kriterium, das nach derselben Vorschrift für die Feststellung des anzuwenden Rechts entscheidend ist, der Wohnsitz des Arbeitnehmers. Zufälligerweise führt dieses Kriterium im vorliegenden Fall erneut zum niederländischen Recht, d. h. zu demselben Recht, dessen Unanwendbarkeit es erforderlich machte, nach anderen anwendbaren Rechtsvorschriften zu suchen. Es handelt sich zwar materiell um dasselbe Recht, aber seine Anwendbarkeit gehorcht in jedem Fall einem unterschiedlichen rechtlichen Grund: Es war nicht weiter anwendbar, als sich die Arbeitsbedingungen des Herrn Kik änderten (am 31. Mai 2004), und wurde erneut anwendbar, als es das in der Verordnung Nr. 1408/71 vorgesehene Kriterium zur Feststellung des anwendbaren Rechts für die Situation, in der sich Herr Kik nach dem 31. Mai 2004 befand, vorschrieb. In einem Fall war niederländisches Recht anwendbar, weil Herr Kik in den Niederlanden wohnte und für ein in diesem Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen arbeitete, und in dem anderen, weil es aufgrund der Änderung dieser Umstände zwar nicht weiterhin anwendbar, aber das Recht seines Wohnorts war.

53.      Schlussendlich bin ich, ohne dass auf die analoge Anwendung der Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71, die einen Fall wie den vorliegenden nicht regeln, zurückgegriffen werden muss, der Ansicht, dass Art. 13 Abs. 2 Buchst. f unmittelbar und vornehmlich die Antwort auf die Frage nach dem auf den Fall anzuwendenden Recht gibt.

54.      Folglich schlage ich dem Gerichtshof als zweites Zwischenergebnis vor, die zweite Frage dahin zu beantworten, dass gemäß Art. 13 Abs. 2 Buchst. f der Verordnung Nr. 1408/71 das auf Herrn Kik anwendbare Recht das Recht der Niederlande als das Gebiet, in dem er seinen Wohnsitz hat, ist.

VII – Ergebnis

55.      Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen wie folgt zu antworten:

1.      Unter den Umständen des im Ausgangsverfahren fraglichen Sachverhalts ist die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung auf den gesamten streitigen Zeitraum anwendbar.

2.      Gemäß Art. 13 Abs. 2 Buchst. f der Verordnung Nr. 1408/71 ist das unter den Umständen des im Ausgangsverfahren fraglichen Sachverhalts auf einen Arbeitnehmer anwendbare Recht das Recht des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet er seinen Wohnsitz hat.


1 – Originalsprache: Spanisch.


2 – Verordnung des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung (ABl. 1997, L 28, S. 1), geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1606/98 des Rates vom 29. Juni 1998 (ABl. L 209, S. 1) und durch die Verordnung (EG) Nr. 307/1999 des Rates vom 8. Februar 1999 (ABl. L 38, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71).


3 – ABl. L 179, S. 1.


4 – Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, unterzeichnet in Luxemburg am 21. Juni 1999, angenommen im Namen der Europäischen Gemeinschaft durch den Beschluss 2002/309/EG, Euratom des Rates und ‒ bezüglich des Abkommens über die wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit ‒ der Kommission vom 4. April 2002 über den Abschluss von sieben Abkommen mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft (ABl. L 114, S. 1). Im Folgenden: Abkommen EG–Schweiz.


5 – Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1).


6 – Beschluss des Gemischten Ausschusses, eingesetzt im Rahmen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit vom 31. März 2012, zur Ersetzung des Anhangs II dieses Abkommens über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 103, S. 51).


7 – Urteil vom 29. Juni 1994 (C‑60/93, EU:C:1994:271).


8 – Nach dem 25. August 2004 und bis zum 31. Dezember 2004 hat Herr Kik nicht in den Niederlanden und nur 18 Tage im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats gearbeitet. Seine Erwerbstätigkeit hat er in diesem Zeitraum (als Angestellter desselben schweizerischen Arbeitgebers) in folgenden Gebieten verrichtet: a) vom 25. August 2004 bis zum 14. September 2004: drei Tage in internationalen Gewässern und 18 Tage über dem spanischen Festlandsockel, b) vom 21. Oktober 2004 bis zum 17. November 2004: sieben Tage in internationalen Gewässern und 21 Tage in australischen Hoheitsgewässern, c) vom 15. bis zum 31. Dezember 2004: 17 Tage in australischen Hoheitsgewässern.


9 –      C‑347/10 (EU:C:2012:17, Rn. 35 bis 37).


10 – Urteil Salemink (EU:C:2012:17, Rn. 35).


11 – Urteil Salemink (EU:C:2012:17, Rn. 36).


12 – Auf dieser Linie statt aller Urteil vom 12. Juli 1984, Prodest (237/83, EU:C:1984:277, Rn. 6).


13 – Urteil vom 27. September 1989, Lopes da Veiga (9/88, EU:C:1989:346, Rn. 17).


14 – Rn. 27 ihrer Erklärungen.


15 – Angesichts der Umstände des Herrn Kik sind die Art. 14 und 14a („Sonderregelung für andere Personen als Seeleute …“), Art. 14c („Sonderregelung für Personen, die … gleichzeitig abhängige Beschäftigung und eine selbständige Tätigkeit ausüben“), Art. 14d („Verschiedene Bestimmungen“, die sich auf die in den Art. 14, 14a und 14c geregelten Tatbestände sowie den Fall eines Rentners beziehen), die Art. 14e und 14f („Sonderregelung für … Beamte …“), Art. 15 („Freiwillige Versicherung und freiwillige Weiterversicherung“), Art. 16 („Sonderregelung für das Geschäftspersonal der diplomatischen Vertretungen …“), Art. 17 („Ausnahmen …“, die zwischen den Mitgliedstaaten vereinbart werden) und Art. 17a („Besondere Vorschriften für Rentner …“) offensichtlich nicht anwendbar.