Language of document : ECLI:EU:C:2021:1023

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 16. Dezember 2021(1)

Rechtssache C352/20

HOLD Alapkezelő Befektetési Alapkezelő Zrt.

gegen

Magyar Nemzeti Bank

(Vorabentscheidungsersuchen der Kúria [Oberster Gerichtshof, Ungarn])

„Vorabentscheidungsersuchen – Finanzmarktregulierung – Investmentfonds – Richtlinien 2009/65/EG und 2011/61/EU –Vergütungspolitik von Kapitalverwaltungs- und Investmentgesellschaften – Grundsätze einer soliden Vergütungspolitik – Leitlinien 2013/232 und 2016/575 der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) – Dividendenausschüttung an leitende Angestellte einer Fondsverwaltungsgesellschaft, die gleichzeitig Aktionäre dieser Gesellschaft sind – Anreiz zur Eingehung übermäßiger Risiken – Umgehung der Grundsätze solider Vergütungspolitiken“






I.      Einführung

1.        Die Stabilität und Integrität der Finanzmärkte setzt ein solides Risikomanagement auf Seiten der Finanzinstitute und Wertpapierfirmen voraus. Das Eingehen übermäßiger Risiken durch bestimmte Finanzmarktakteure wie Anlageberater und Fondsmanager kann nach Auffassung des europäischen Gesetzgebers jedoch durch unangemessene Vergütungspraktiken begünstigt werden, da diese insofern falsche Anreize schaffen können.(2)

2.        Aus diesem Grund sehen insbesondere die Richtlinien 2009/65/EG(3) und 2011/61/EU(4) vor, dass die Mitgliedstaaten der Investmentfondsbranche die Festlegung und Anwendung von Vergütungspolitiken vorschreiben, die ein solides und wirksames Risikomanagement fördern und nicht zur Übernahme von Risiken ermutigen, die mit dem jeweiligen Risikoprofil, den Vertragsbedingungen oder der Satzung der betreffenden Investmentfonds unvereinbar sind.

3.        Im Ausgangsverfahren ist die Magyar Nemzeti Bank (Ungarische Nationalbank, im Folgenden: MNB) in ihrer Funktion als Finanzmarktaufsichtsbehörde gegenüber einer Fondsverwaltungsgesellschaft eingeschritten, die an verschiedene Mitglieder ihrer Geschäftsleitung Dividenden ausschüttet, da diese unmittelbar oder mittelbar Anteile an dieser Gesellschaft halten. Nach Ansicht der MNB stellen diese Dividendenauszahlungen Teil einer Vergütungspolitik dar, die geeignet ist, einem soliden Risikomanagement entgegenzuwirken. Denn durch ihr finanzielles Eigeninteresse an möglichst hohen Dividendenausschüttungen könnten die Fondsmanager dazu verleitet werden, kurzfristig zu hohe Risiken bei ihren Anlageentscheidungen einzugehen, die sich langfristig zum Nachteil der Anleger der verwalteten Fonds auswirken könnten.

4.        Das vorlegende Gericht fragt den Gerichtshof vor diesem Hintergrund, ob die unionsrechtlichen Anforderungen an Vergütungspolitiken in der Finanzdienstleistungsbranche in einer solchen Konstellation überhaupt anwendbar sind, da Dividenden formal keine Gegenleistung für erbrachte Dienste darstellen. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, verbirgt sich dahinter die Frage, wann eine gesellschaftsrechtliche Gewinnbeteiligung an einer Fondsverwaltungsgesellschaft dazu führen kann, dass Fondsmanager zur Eingehung ähnlicher Risiken verleitet werden können, wie es bei Zahlung bestimmter variabler Vergütungsbestandteile der Fall sein kann.

II.    Rechtlicher Rahmen

5.        Die unionsrechtlichen Vergütungsvorschriften für die Investmentfondsbranche, die in den Richtlinien 2011/61 (betreffend alternative Investmentfonds, kurz AIF) und 2009/65 (betreffend sogenannte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapiere, kurz OGAW) enthalten sind, gehen auf die Empfehlung 2009/384 der Kommission zurück(5) und werden auf untergesetzlicher Ebene durch Leitlinien der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (im Folgenden: ESMA) konkretisiert.

1.      Empfehlung 2009/384 der Kommission

6.        Die Erwägungsgründe 1 bis 5 der Empfehlung 2009/384 der Kommission enthalten die wesentlichen Motive der Politik der Union im Bereich der Vergütung im Finanzdienstleistungssektor:

„(1)       Das Eingehen übermäßiger Risiken in der Finanzdienstleistungsbranche und insbesondere seitens der Banken und der Wertpapierfirmen hat zur Insolvenz von Finanzinstituten und zur Schaffung systemischer Probleme in den Mitgliedstaaten und auf internationaler Ebene beigetragen. Diese Probleme haben sich auf die übrige Wirtschaft übertragen und zu hohen Kosten für die gesamte Gesellschaft geführt.

(2)       Auch wenn sie nicht die Hauptursache der 2007 und 2008 entstandenen Finanzkrise waren, waren die unangemessenen Vergütungspraktiken im Finanzdienstleistungssektor nach einhelliger Auffassung an das Eingehen übermäßiger Risiken gekoppelt und trugen so zu den erheblichen Verlusten wichtiger Finanzinstitute bei.

(3)       Die gängigen Vergütungspraktiken in einem Großteil der Finanzdienstleistungsbranche liefen einem effizienten und soliden Risikomanagement zuwider. Mit diesen Praktiken wurde das Erzielen kurzfristiger Gewinne belohnt[,] und die Mitarbeiter wurden dazu verleitet, die mit ungebührlich hohen Risiken verbundenen Tätigkeiten fortzusetzen, mit denen kurzfristig höhere Gewinne erzielt wurden. Langfristig wurden die Finanzinstitute aber höheren potenziellen Verlusten ausgesetzt.

(5)      Die Schaffung angemessener Anreize im Vergütungssysteme selbst dürfte den Druck auf das Risikomanagement senken und die Wahrscheinlichkeit, dass diese Systeme wirksam arbeiten, erhöhen. Darum bedarf es der Festlegung von Grundsätzen für eine solide Vergütungspolitik.“

2.      Richtlinie 2011/61

7.        Die Richtlinie 2011/61 regelt gemäß ihrem Art. 1 die Zulassung, laufende Tätigkeit und die Transparenz der Verwalter alternativer Investmentfonds (alternative investment fund managers – AIFM). AIFM ist gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie jede juristische Person, deren reguläre Geschäftstätigkeit darin besteht, einen oder mehrere AIF zu verwalten.

8.        Der 24. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/61 lautet:

„Um den potenziell schädlichen Auswirkungen schlecht gestalteter Vergütungsstrukturen auf ein solides Risikomanagement und auf die Kontrolle des risikobereiten Verhaltens von Einzelpersonen entgegenzuwirken, sollten die AIFM ausdrücklich dazu verpflichtet werden, für diejenigen Kategorien von Mitarbeitern, deren berufliche Tätigkeit sich wesentlich auf die Risikoprofile der von ihnen verwalteten AIF auswirkt, eine Vergütungspolitik und ‑praxis festzulegen und anzuwenden, die mit einem soliden und wirksamen Risikomanagement in Einklang steht. Zu diesen Mitarbeiterkategorien sollten mindestens die Geschäftsleitung, Risikoträger und Mitarbeiter mit Kontrollfunktionen … gehören …“

9.        Art. 4 Abs. 1 Buchst. d definiert den Begriff des „Carried interest“:

„‚Carried interest‘ ist ein Anteil an den Gewinnen des AIF, die ein AIFM als Vergütung für die Verwaltung des AIF erhält, hiervon sind sämtliche Anteile an den Gewinnen des AIF ausgeschlossen, die der AIFM als Rendite für Anlagen des AIFM in den AIF bezieht.“

10.      Nach Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2011/61 legen die AIFM die Vergütungspolitik und –praxis gemäß Anhang II dieser Richtlinie fest.

11.      Anhang II der Richtlinie 2011/61 bestimmt:

„1.       Bei der Festlegung und Anwendung der gesamten Vergütungspolitik einschließlich der Gehälter und freiwilligen Altersversorgungsleistungen für jene Mitarbeiterkategorien, … wenden AIFM die nachstehend genannten Grundsätze nach Maßgabe ihrer Größe, ihrer internen Organisation und der Art, dem Umfang und der Komplexität ihrer Geschäfte an:

h)       um zu gewährleisten, dass die Beurteilung auf die längerfristige Leistung abstellt und die tatsächliche Auszahlung erfolgsabhängiger Vergütungskomponenten über einen Zeitraum verteilt ist, der der Rücknahmepolitik der von ihm verwalteten AIF und ihren Anlagerisiken Rechnung trägt, sollte die Leistungsbeurteilung in einem mehrjährigen Rahmen erfolgen, der dem Lebenszyklus der vom AIFM verwalteten AIF entspricht;

j)       bei der Gesamtvergütung stehen feste und variable Bestandteile in einem angemessenen Verhältnis[,] und der Anteil der festen Komponente an der Gesamtvergütung ist genügend hoch, dass eine flexible Politik bezüglich der variablen Komponente uneingeschränkt möglich ist und auch ganz auf die Zahlung einer variablen Komponente verzichtet werden kann;

m)       je nach der rechtlichen Struktur des AIF und seiner Vertragsbedingungen oder seiner Satzung muss ein erheblicher Anteil der variablen Vergütungskomponente, und in jedem Fall mindestens 50 %, aus Anteilen des betreffenden AIF oder gleichwertigen Beteiligungen oder mit Anteilen verknüpften Instrumenten oder gleichwertigen unbaren Instrumenten bestehen; der Mindestwert von 50 % kommt jedoch nicht zur Anwendung, wenn weniger als 50 % des vom AIFM verwalteten Gesamtportfolios auf AIF entfallen.

Für die Instrumente nach diesem Buchstaben gilt eine geeignete Rückstellungspolitik, die darauf abstellt, die Anreize an den Interessen des AIFM und der von diesem verwalteten AIF sowie an den Interessen der Anleger der AIF auszurichten. … Diese Bestimmung ist sowohl auf den Anteil der variablen Vergütungskomponente anzuwenden, die gemäß Buchstabe n zurückgestellt wird, als auch auf den Anteil der nicht zurückgestellten variablen Vergütungskomponente;

n)       ein wesentlicher Anteil der variablen Vergütungskomponente, und in jedem Fall mindestens 40 %, wird über einen Zeitraum zurückgestellt, der angesichts des Lebenszyklus und der Rücknahmegrundsätze des betreffenden AIF angemessen ist und ordnungsgemäß auf die Art der Risiken dieses AIF ausgerichtet ist.

Der Zeitraum nach diesem Buchstaben sollte mindestens drei bis fünf Jahre betragen, es sei denn der Lebenszyklus des betreffenden AIF ist kürzer. Die im Rahmen von Regelungen zur Zurückstellung der Vergütungszahlung zu zahlende Vergütung wird nicht rascher als auf anteiliger Grundlage erworben. Macht die variable Komponente einen besonders hohen Betrag aus, so wird die Auszahlung von mindestens 60 % des Betrags zurückgestellt;

o)       die variable Vergütung, einschließlich des zurückgestellten Anteils, wird nur dann ausgezahlt oder erworben, wenn sie angesichts der Finanzlage des AIFM insgesamt tragbar ist und nach der Leistung der betreffenden Geschäftsabteilung, des AIF und der betreffenden Person gerechtfertigt ist.

Eine schwache oder negative finanzielle Leistung des AIFM oder der betreffenden AIF führt in der Regel zu einer erheblichen Schrumpfung der gesamten variablen Vergütung, wobei sowohl laufende Kompensationen als auch Verringerungen bei Auszahlungen von zuvor erwirtschafteten Beträgen, auch durch Malus- oder Rückforderungsvereinbarungen, berücksichtigt werden;

r)       die variable Vergütung wird nicht in Form von Instrumenten oder Verfahren gezahlt, die eine Umgehung der Anforderungen dieser Richtlinie erleichtern.

2.       Die in Absatz 1 genannten Grundsätze gelten für alle Arten von Vergütungen, die von AIFM gezahlt werden, für jeden direkt von dem AIF selbst gezahlten Betrag, einschließlich carried interests, und für jede Übertragung von Anteilen des AIF, die zugunsten derjenigen Mitarbeiterkategorien … vorgenommen werden, deren berufliche Tätigkeit sich wesentlich auf ihr Risikoprofil oder auf die Risikoprofile der von ihnen verwalteten AIF auswirkt.

…“

3.      Richtlinie 2009/65

12.      Die Richtlinie 2009/65 enthält in ihrer durch die Richtlinie 2014/91 geänderten Fassung(6) in den Art. 14a und 14b Vorschriften über die Vergütungspolitiken, die Verwaltungsgesellschaften von OGAW für bestimmte Kategorien von Mitarbeitern festlegen müssen, deren berufliche Tätigkeit sich wesentlich auf die Risikoprofile der von ihnen verwalteten OGAW auswirkt. Diese Bestimmungen entsprechen inhaltlich im Wesentlichen den Regelungen in Anhang II, Nr. 1 der Richtlinie 2011/61.

4.      Die Leitlinien der ESMA

13.      Nach Art. 13 Abs. 2 der Richtlinie 2011/61 und Art. 14a Abs. 4 der Richtlinie 2009/65 gibt die ESMA Leitlinien für die Anwendung der Grundsätze solider Vergütungspolitiken heraus. Betreffend die Vergütungspolitiken von OGAW-Verwaltungsgesellschaften sind dies die Leitlinien 2016/575 und betreffend AIFM die Leitlinien 2013/232 (im Folgenden auch: die Leitlinien). Wie im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/91 gefordert, entsprechen sich diese Leitlinien in vielen der für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Punkte.

14.      Punkt 10 der Leitlinien 2013/232, der im Wesentlichen Punkt 11 der Leitlinien 2016/575 entspricht, bestimmt:

„Ausschließlich zu Zwecken der Leitlinien und Anhang II der AIFMD umfasst der Begriff Vergütung

i)       alle vom AIFM bezahlten Formen von Zahlungen oder Leistungen,

ii)       alle vom AIF selbst bezahlten Beträge, einschließlich Carried interest und

iii)       sämtliche Übertragungen von Anteilen des AIF

im Austausch für berufliche Dienste, die von identifizierten Mitarbeitern des AIFM erbracht werden.

Zu Zwecken von Punkt ii) dieses Absatzes sind Zahlungen, ausgenommen Rückerstattungen von Kosten und Aufwendungen, die direkt vom AIF an den AIFM zugunsten der betroffenen Mitarbeiterkategorien des AIFM für die erbrachten beruflichen Dienste geleistet werden, die anderenfalls zu einer Umgehung der betroffenen Bestimmungen über die Vergütung führen würden, zu Zwecken dieser Leitlinien und Anhang II der AIFMD als Vergütung zu betrachten.“

15.      Punkt 15 der Leitlinien 2013/232, der Punkt 14 der Leitlinien 2016/575 entspricht, lautet:

„Die AIFM sollten sicherstellen, dass die variable Vergütung nicht in Form von Instrumenten oder Verfahren gezahlt wird, die eine Umgehung der Anforderungen der AIFMD und dieser Leitlinien erleichtern. … In diesem Zusammenhang können folgende Umstände und Situationen ein größeres Risiko darstellen: Die Umwandlung von Teilen der variablen Vergütung in Bezüge, die normalerweise keinen Anreiz im Hinblick auf Risikopositionen bieten; … die Einrichtung von Strukturen oder Verfahren, über welche die Vergütung in Form von Dividenden oder ähnlichen Zahlungen erfolgt (d. h. die missbräuchliche Verwendung der erfolgsabhängigen Vergütung) und nicht in Geldform gewährte materielle Bezüge, die als erfolgsabhängiger Anreiz gewährt werden.“

16.      Punkt 16 der Leitlinien 2013/232 sieht Folgendes vor:

„Die sogenannten ‚Carried interest-Vehikel‘ sind in der Regel Kommanditgesellschaften (oder andere Arten von Vehikeln), die wiederum selbst Kommanditisten des AIF sind, zusammen mit Drittinvestoren, und werden von Führungskräften des AIF eingesetzt, entweder um die Ansprüche der Führungskräfte auf Carried interest infolge einer bescheidenen Kapitalinvestition zu regeln oder um Kapital, das mehr als rein nominal ist – d. h. Ko‑Investitionen – in Transaktionen zusammen mit dem AIF zu binden. Wenn Zahlungen des AIF an die betreffenden Mitarbeiter über diese Carried-interest-Vehikel unter die Definition von Carried interest fallen, sollten diese den Bestimmungen dieser Leitlinien über die Vergütung unterliegen; wenn sie eine anteilige Rendite auf Investitionen der Mitarbeiter in den AIF (über das Carried-interest-Vehikel) darstellen, unterliegen sie dagegen nicht diesen Bestimmungen.“

17.      Punkt 17 der Leitlinien 2013/232 entspricht Punkt 15 der Leitlinien 2016/575:

„Ebenfalls zu berücksichtigen ist die Position der Gesellschaften oder ähnlicher Strukturen. Dividenden oder ähnliche Ausschüttungen, welche die Gesellschafter als Eigentümer eines AIFM erhalten, fallen nicht unter diese Leitlinien, sofern das effektive Ergebnis der Zahlung dieser Dividenden nicht zu einer Umgehung der betreffenden Bestimmungen über die Vergütung führt, wobei die Absicht der Umgehung dieser Bestimmungen zu diesem Zweck irrelevant ist.“

18.      Gemäß Punkt 94 der Leitlinien 2013/232, der Punkt 96 der Leitlinien 2016/575 entspricht, gilt:

„Eine in jeder Hinsicht flexible Politik im Hinblick auf die variable Vergütung bedeutet nicht nur, dass die variable Vergütung bei negativen Ergebnissen reduziert werden sollte, sondern auch, dass sie in einigen Fällen auf Null schrumpfen kann. Zur praktischen Umsetzung bedeutet dies auch, dass die feste Vergütung ausreichend hoch sein sollte, um die erbrachten beruflichen Dienste entsprechend dem Bildungsniveau, dem Dienstalter, den erforderlichen Fachkenntnissen und den Fähigkeiten, den Randbedingungen und der Berufserfahrung, dem betreffenden Geschäftsbereich und der Region zu entlohnen. Die individuelle Höhe der festen Vergütung sollte indirekt vom Grundprinzip der Risikoausrichtung beeinflusst werden.“

19.      Die Punkte 132 und 133 der Leitlinien 2013/232 entsprechen im Wesentlichen den Punkten 134 und 135 der Leitlinien 2016/575 und lauten wie folgt:

„132.            Die Mitarbeiter sollten unter Einsatz von Instrumenten vergütet werden, sofern dies nicht zu Interessendivergenzen führt oder die Übernahme von Risiken fördert, die unvereinbar sind mit den Risikoprofilen, Vertragsbedingungen oder Satzungen des/der betreffenden AIF. …

133.            Bei AIFM, die verschiedene AIF verwalten, sollten – um sicherzustellen, dass die Interessen der identifizierten Mitarbeiter auf diejenigen der betreffenden AIF ausgerichtet sind – die identifizierten Mitarbeiter Instrumente erhalten, sofern dies ausgehend von der Organisation des AIFM und der Rechtsstruktur der verwalteten AIF möglich ist. Diese Instrumente sollten hauptsächlich in Zusammenhang stehen mit AIF, in Bezug auf welche die Mitarbeiter ihre Tätigkeit erbringen, vorausgesetzt, es kommt zu keiner exzessiven Konzentration des Eigentums an diesen Instrumenten – was der Übernahme übermäßiger Risiken seitens der identifizierten Mitarbeiter Vorschub leisten könnte. …“

20.      Die Punkte 139 und 141 der Leitlinien 2013/232 entsprechen den Punkten 141 und 143 der Leitlinien 2016/575 und sehen Folgendes vor:

„139.            Im Falle von vorab ausbezahlten Instrumenten sind Sperrfristen der einzige verfügbare Mechanismus zur Herausstellung des Unterschieds zwischen einer Vorauszahlung in Barmitteln und vorab gewährten Instrumenten, um für eine Ausrichtung der Anreize auf die längerfristigen Interessen des AIFM und der von diesem verwalteten AIF und der Anleger dieser AIF zu sorgen.

141.      Die Mindestsperrfrist sollte ausreichend sein, um die Anreize auf die längerfristigen Interessen des AIFM, die von diesem verwalteten AIF und ihrer Anleger auszurichten. Verschiedene Faktoren können ein Anhaltspunkt für die Dauer dieser Frist sein. Längere Sperrfristen sollten bei Mitarbeitern mit wesentlichem Einfluss auf das Risikoprofil des AIFM und der von diesem verwalteten AIF vorgesehen werden.“

III. Sachverhalt und Ausgangsverfahren

21.      Die Klägerin im Ausgangsverfahren ist eine Gesellschaft, die verschiedene AIF und OGAW verwaltet (im Folgenden: die Verwaltungsgesellschaft).

22.      Sie hat ab dem Jahr 2014 eine Vergütungspolitik entwickelt, die feste und variable Bestandteile umfasst und die sie auf bestimmte Gruppen ihrer Angestellten anwendet. Zu diesen Angestellten gehören vier Personen, die alle Mitglieder der Geschäftsleitung sind.

23.      Neben ihrem Arbeitsverhältnis mit der Verwaltungsgesellschaft sind die betreffenden Angestellten sowohl unmittelbar als auch mittelbar an dieser Gesellschaft beteiligt. Konkret halten einige dieser Angestellten zum einen unmittelbar Dividendenvorzugsaktien der Verwaltungsgesellschaft. Zum anderen sind einige von ihnen jeweils alleinige Anteilseigner von geschlossenen Einpersonenaktiengesellschaften, die wiederum Dividendenvorzugsaktien der Verwaltungsgesellschaft halten. Die jeweiligen (indirekten) Beteiligungen der betreffenden Angestellten bzw. der von ihnen gehaltenen Aktiengesellschaften am Stammkapital der Verwaltungsgesellschaft belaufen sich in zwei Fällen auf 2 %, sowie auf 4 %, 5 %, 12 % und 25,1 %.

24.      Aus ihren zwischen 2015 und 2018 erzielten Bilanzgewinnen schüttete die Verwaltungsgesellschaft jährlich eine Dividende in Form einmaliger Zahlungen an die betreffenden Angestellten bzw. die vorgenannten Einpersonenaktiengesellschaften aus. Im Jahr 2016 betrug der Gesamtbetrag der an diese Aktionäre ausgeschütteten Dividenden ca. 661 Mio. Forint (HUF) und im Jahr 2017 ca. 110 Mio. HUF. Die als Vergütung bezeichneten Zahlungen an die betreffenden Angestellten beliefen sich im Jahr 2016 auf einen Gesamtbetrag von ca. 17 Mio. HUF und im Jahr 2017 auf ca. 10 Mio. HUF.

25.      Mit Bescheid vom 11. April 2019 forderte die MNB die Verwaltungsgesellschaft auf, ihre Vergütungspolitik innerhalb von 90 Tagen an die aufsichtsrechtlichen Anforderungen anzupassen. Außerdem verhängte sie eine Geldbuße gegen die Verwaltungsgesellschaft wegen Verstoßes gegen die nationalen Vorschriften für Vergütungspolitiken in der Finanzdienstleistungsbranche, welche die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinien 2009/65 und 2011/61 umsetzen.

26.      Nach Ansicht der MNB schaffen die Dividendenzahlungen für die betreffenden Angestellten ihrer Natur nach den Anreiz, besonders hohe und kurzfristige Gewinne für die Verwaltungsgesellschaft zu erwirtschaften. Sie könnten diese daher dazu verleiten, bei Investitionsentscheidungen Risiken einzugehen, die mit dem Risikoprofil der verwalteten Fonds nicht vereinbar seien und sich langfristig zum Nachteil der Anleger dieser Fonds auswirken könnten. Im Ergebnis würden damit die Regelungen über die Zurückstellung erfolgsabhängiger Vergütungsbestandteile umgangen.

27.      Im Rahmen ihrer Klage gegen diesen Bescheid hat die Verwaltungsgesellschaft die Auffassung vertreten, dass die Dividendenzahlungen schon gar keine Vergütung im Sinne von Art. 13 und Anhang II der Richtlinie 2011/61 bzw. Art. 14a und Art. 14b der Richtlinie 2009/65 darstellten. Denn diese Zahlungen erhielten die betreffenden Angestellten nicht als Gegenleistung für ihre Dienste, sondern für das Bereitstellen von Kapital in ihrer Aktionärseigenschaft. Insofern verstieße es gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Aktionäre, den Dividendenbezug durch die betreffenden Angestellten den Vergütungsregelungen zu unterwerfen. Jedenfalls sei nicht ersichtlich, weshalb durch den Dividendenbezug ein Anreiz zur Erwirtschaftung kurzfristiger Gewinne geschaffen werden sollte. Als mehrheitliche Anteilseigner der Verwaltungsgesellschaft hätten die betreffenden Angestellten ganz im Gegenteil ein Interesse daran, dass diese Gesellschaft langfristig möglichst gute Ergebnisse erzielt.

28.      Das erstinstanzliche Gericht hat diese Argumente im Ergebnis zurückgewiesen. Es hat sich insbesondere der Auffassung der MNB angeschlossen, dass durch die Dividendenzahlungen die Vorschriften über die Zurückstellung variabler Vergütungsbestandteile umgangen würden, da zwischen dem Gesamtbetrag der als Vergütung bezeichneten Zahlungen und den Dividendenzahlungen ein starkes Missverhältnis bestünde.

IV.    Vorlagefrage und Verfahren vor dem Gerichtshof

29.      Das Rechtsmittel der Verwaltungsgesellschaft gegen diese Entscheidung ist vor dem vorlegenden Gericht, der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn), anhängig. Dieses hat beschlossen, den Rechtsstreit auszusetzen und dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Unterfallen Dividenden, die den betreffenden Führungskräften

a)       unmittelbar aufgrund ihrer an der Fondsverwalterin gehaltenen Dividendenvorzugsaktien bzw.

b)       aufgrund von Dividendenvorzugsaktien, die von im Eigentum der betreffenden Führungskräfte stehenden Einpersonenaktiengesellschaften gehalten werden,

ausgeschüttet werden, der Vergütungspolitik von Verwaltern von Investmentfonds?

30.      Zu dieser Vorlagefrage haben die Klägerin im Ausgangsverfahren, die MNB, die polnische Regierung, die ungarische Regierung sowie die Europäische Kommission schriftlich Stellung genommen. Zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung vom 28. Oktober 2021 hat die ESMA auf Einladung des Gerichtshofs nach Art. 24 Abs. 2 der Satzung schriftliche Erläuterungen eingereicht. Die Teilnehmer an der mündlichen Verhandlung, nämlich die Klägerin im Ausgangsverfahren, die MNB, die ungarische Regierung und die Kommission, hatten in deren Rahmen Gelegenheit, zu diesen Erläuterungen Stellung zu nehmen.

V.      Rechtliche Würdigung

31.      Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Ergebnis in Erfahrung bringen, ob bzw. unter welchen Umständen die Zahlung von Dividenden an leitende Angestellte einer Fondsverwaltungsgesellschaft, die gleichzeitig unmittelbar oder mittelbar an dieser Gesellschaft beteiligt sind, so ausgestaltet sein muss, dass sie den Anforderungen an solide Vergütungspolitiken von Fondsmanagern genügt, wie sie insbesondere in den Richtlinien 2009/65 und 2011/61 niedergelegt sind.

32.      Im Ausgangsverfahren hat nämlich die MNB in ihrer Funktion als Aufsichtsbehörde der klagenden Verwaltungsgesellschaft aufgegeben, ihre Vergütungspolitik mit Blick auf derartige Zahlungen diesen Anforderungen anzupassen, und wegen des angeblichen Verstoßes ein Bußgeld verhängt.

33.      Nach Art. 13 Abs. 1 der Richtlinie 2011/61 (betreffend AIF) und Art. 14a Abs. 1 der Richtlinie 2009/65 (betreffend OGAW) müssen Investmentfonds bzw. die sie verwaltenden Gesellschaften für bestimmte Gruppen von Angestellten, insbesondere für Mitglieder der Geschäftsleitung(7), eine Vergütungspolitik entwickeln und anwenden, die mit einem soliden und wirksamen Risikomanagement vereinbar und diesem förderlich ist. Dies erfordert, dass die entsprechende Vergütungspolitik weder zur Übernahme von Risiken ermutigt, die mit den Risikoprofilen, Vertragsbedingungen oder Satzungen der verwalteten Fonds nicht vereinbar sind, noch die Verwaltungsgesellschaft daran hindert, im besten Interesse der Fonds zu handeln.

34.      Damit verfolgen diese Vorschriften zweierlei Zwecke.(8) Einerseits soll die Stabilität der Finanzmärkte gewährleistet werden, denn durch die Eingehung zu hoher Risiken kann es zur Bildung von Blasen oder zur „Falschbewertung“ hochriskanter Wertpapiere kommen. Andererseits sollen die Interessen der Anleger geschützt werden, die sowohl mit Blick auf das Risiko als auch die Nachhaltigkeit von Investitionsentscheidungen in Konflikt mit den Interessen von Fondsmanagern geraten können: Diese Gefahr kann sich daraus ergeben, dass Letztere ein durch eine unangemessen ausgestaltete erfolgsabhängige Vergütung vermitteltes Eigeninteresse an kurzfristigen Wertsteigerungen der von ihnen verwalteten Fonds haben.

35.      Anhang II der Richtlinie 2011/61 und Art. 14b der Richtlinie 2009/65 enthalten eine Reihe von Grundsätzen und konkreten Kriterien, die diese Vergütungspolitik erfüllen muss. Dazu zählen u. a. Vorschriften zum Verhältnis von festen zu erfolgsabhängigen Bestandteilen der Vergütung (vgl. jeweils Buchst. j) und Bestimmungen über die Zurückstellung von erfolgsabhängigen Bestandteilen sowie über die materiellen Voraussetzungen für ihre Auszahlung (vgl. etwa jeweils Buchst. h, n und o).

36.      Aus Sicht des vorlegenden Gerichts könnten diese Vorschriften im Ausgangsverfahren aber schon gar nicht anwendbar sein, da die Dividenden den betreffenden Angestellten jedenfalls nicht formal als Gegenleistung für die nach dem Anstellungsvertrag geschuldeten Dienste ausgezahlt werden. Vielmehr werden sie ihnen aufgrund ihrer Eigenschaft als (Vorzugs‑)Aktionäre der Verwaltungsgesellschaft gewährt. Aus diesem Grund könnten die Zahlungen nach Ansicht dieses Gerichts von vornherein nicht unter den Begriff der „Vergütung“ im Sinne der vorgenannten Vorschriften zu fassen sein.

A.      Zum Begriff der „Vergütung“ im Sinne der Richtlinien 2009/65 und 2011/61

37.      Weder die Richtlinien 2009/65 und 2011/61 noch die Empfehlung 2009/384 der Kommission, auf deren Grundsätzen diese Richtlinien aufbauen(9), enthalten eine Legaldefinition des Begriffs der „Vergütung“. Aus ihnen ergibt sich lediglich, dass die Vergütungspolitik und ‑praxis feste und variable Bestandteile der Gehälter und freiwillige Altersversorgungsleistungen umfasst.(10)

38.      Die auf Grundlage der Richtlinien erlassenen Leitlinien der ESMA(11) präzisieren den Begriff der „Vergütung“ dahin gehend, dass erstens alle von der Verwaltungsgesellschaft bzw. vom AIFM bezahlten Formen von Zahlungen und Leistungen darunterfallen. Zweitens umfasst der Begriff danach alle vom OGAW oder AIF selbst bezahlten Beträge, einschließlich eines jeden Anteils von Anlageerfolgsprämien („Performance Fees“), die direkt oder indirekt zugunsten der betreffenden Angestellten  gezahlt werden, sowie den „Carried interest“(12).  Drittens zählen dazu sämtliche Übertragungen von Anteilen des OGAW bzw. des AIF. Allen vorgenannten Vergütungsbestandteilen ist nach diesen Leitlinien gemein, dass sie im Austausch für berufliche Dienste gewährt werden, die von den betreffenden Angestellten des AIFM oder der OGAW-Verwaltungsgesellschaft erbracht werden.(13)

39.      Vor diesem Hintergrund scheint tatsächlich vieles dafür zu sprechen, dass Dividendenzahlungen wie die im Ausgangsverfahren streitgegenständlichen nicht unter den Begriff der „Vergütung“ subsumiert werden können.

40.      Allerdings ergibt sich insofern aus Punkt 17 der Leitlinien 2013/232 bzw. aus Punkt 15 der Leitlinien 2016/575, dass Dividenden oder ähnliche Ausschüttungen, welche die betreffenden Angestellten als Eigentümer einer Verwaltungsgesellschaft erhalten, nur dann nicht unter diese Leitlinien fallen, „sofern das effektive Ergebnis der Zahlung dieser Dividenden nicht zu einer Umgehung der betreffenden Bestimmungen über die Vergütung führt.“ Punkt 15 der Leitlinien 2013/232 bestätigt, dass Dividendenzahlungen Umgehungsformen einer angemessenen Vergütungspolitik darstellen können und zu einer missbräuchlichen Verwendung der erfolgsabhängigen Vergütung führen können. Entsprechend sieht auch Art. 14b Abs. 1 Buchst. r der Richtlinie 2009/65 vor, dass die variable Vergütung nicht in Form von Instrumenten oder Verfahren gezahlt werden darf, die eine Umgehung der Anforderungen dieser Richtlinie erleichtern.

41.      Damit bringen die Leitlinien zum Ausdruck, dass es für die Anwendbarkeit der Vergütungsvorschriften lediglich auf die Wirkungen einer erwarteten Zahlung ankommt und nicht auf deren Bezeichnung. Dies ist mit Blick auf den Sinn und Zweck dieser Bestimmungen sogar zwingend. Denn ausweislich der Erwägungsgründe 1 bis 5 der Empfehlung 2009/384 der Kommission geht es bei der Festlegung von Vergütungspolitiken um eine Verhaltenssteuerung.(14) Folglich müssen jegliche Strukturen, die potenziell schädliche und damit unangemessene finanzielle Anreize schaffen können, so ausgestaltet sein, dass sie den Anforderungen an solides Risikomanagement genügen.

42.      Somit ist es für die Lösung des Rechtsstreits im Ausgangsverfahren nicht entscheidend, ob eine Dividendenzahlung als „Vergütung“ im Sinne dieser Richtlinien anzusehen ist. Denn dieser Rechtsstreit hat die Rechtmäßigkeit des Bescheids der MNB zum Gegenstand, mit dem diese der klagenden Verwaltungsgesellschaft aufgegeben hat, ihre Vergütungspolitik mit Blick auf die Dividendenzahlungen den innerstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinien 2009/65 und 2011/61 anzupassen. Diese müssen aber auch dann im Ergebnis eingehalten werden, wenn eine Dividendenzahlung über (Vorzugs‑)Aktien an die Geschäftsleitung der Verwaltungsgesellschaft der betreffenden Investmentfonds als eine Umgehung der Vergütungsvorschriften zu werten ist.

B.      Zur Umgehung der Bestimmungen über die Vergütung

43.      Ausgangspunkt der Beurteilung, wann eine Umgehung der Vergütungsvorschriften vorliegt, muss wiederum der Sinn und Zweck dieser Vorschriften sein, wie er insbesondere bereits in den Nrn. 33 und 34 sowie 41 der vorliegenden Schlussanträge erläutert wurde.

44.      Eine Umgehung dieser Vorschriften muss dementsprechend angenommen werden, wenn die konkrete Ausgestaltung der Zahlungen, die formal nicht als „Vergütung“ geleistet werden, für die betreffenden Angestellten gleichermaßen einen Anreiz schaffen kann, bei der Verwaltung der Fonds Entscheidungen zu treffen, die mit den Risikoprofilen, Vertragsbedingungen oder Satzungen nicht vereinbar sind oder sie dazu verleiten könnten, gegen die Interessen dieser Fonds oder ihrer Anleger zu handeln. Ein solcher Anreiz wäre mit den Vergütungsvorschriften nicht vereinbar und darf daher auch nicht über den Umweg anderer Zahlungen geschaffen werden.

45.      Ob dies der Fall ist, kann nur anhand des konkreten Einzelfalls beurteilt werden, was Aufgabe des vorlegenden Gerichts ist. Um diesem eine für die Lösung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits nützliche Antwort zu geben, ist es jedoch angezeigt, auf die Kriterien einzugehen, welche es bei dieser Beurteilung zu prüfen hat.(15)

46.      Nach Ansicht der MNB besteht im Ausgangsverfahren die Gefahr einer Umgehung der Vergütungsvorschriften, da die betreffenden Angestellten als (mittelbare) Anteilseigner der Verwaltungsgesellschaft ein finanzielles Eigeninteresse daran hätten, dass diese kurzfristig möglichst hohe Gewinne erwirtschaftet, von denen sodann ein Teil in Form von Vorzugsdividenden an sie ausgeschüttet wird. Daher seien sie geneigt, bei Anlageentscheidungen hinsichtlich der von dieser Gesellschaft verwalteten Fonds besonders hohe Risiken einzugehen und auf kurzfristige Gewinne abzuzielen.

47.      Die von den betreffenden Angestellten (mittelbar) gehaltenen Beteiligungen führen jedoch zunächst lediglich dazu, dass diese ein finanzielles Eigeninteresse an möglichst hohen Gewinnen der Verwaltungsgesellschaft haben. Denn diese bestimmen den Umfang der zu erwartenden Dividendenausschüttungen.

48.      Hohe Gewinne der Verwaltungsgesellschaft können allerdings nicht einfach den durch die Anlage in die verwalteten Investmentfonds erwirtschafteten Gewinnen gleichgestellt werden. Vielmehr sind je nach Organisationsform und Funktionsweise der einzelnen Fonds hierbei ganz unterschiedliche Konstellationen denkbar. So kommt es häufig vor, dass ein Investmentfonds als Sondervermögen organisiert ist, das anteilig im Miteigentum der Anleger des betreffenden Fonds steht und vom Vermögen der Verwaltungsgesellschaft völlig getrennt ist. Zwar wird typischerweise ein Teil der Erträge des Sondervermögens in irgendeiner Weise dem Vermögen der Verwaltungsgesellschaft zugeführt und beeinflusst damit den Umfang der Dividendenausschüttung durch diese. Je nach Anlagebedingungen und Organisationsform können aber auch lediglich feste Beträge zur Deckung der Personal- und Verwaltungskosten an die Verwaltungsgesellschaft abgeführt werden, die nicht von der Wertentwicklung der Fonds abhängen bzw. unabhängig davon geschuldet sind.

49.      Dementsprechend hat auch die MNB in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass es Fälle geben kann, in denen durch das Dividendenbezugsrecht kein signifikanter Anreiz für riskante Anlageentscheidungen betreffend die verwalteten Fonds gesetzt wird.

50.      Die Aussicht auf Dividendenzahlungen vermittelt somit nur dann einen Anreiz, hinsichtlich der von der Verwaltungsgesellschaft verwalteten Fonds besonders hohe – und damit eventuell besonders risikoträchtige – Gewinne anzustreben, wenn diese maßgeblich den Umfang der Dividendenausschüttungen bestimmen.

51.      Folglich ist in einem ersten Schritt zu prüfen, ob die Dividendenausschüttung durch die Verwaltungsgesellschaft derart von der Wertentwicklung der verwalteten Fonds abhängig ist, dass dadurch im Ergebnis ähnliche Verhaltensanreize wie durch eine variable oder erfolgsabhängige Vergütung gesetzt werden (dazu unter 1.).

52.      In diesem Fall kommt es für die Feststellung einer Umgehung der Vergütungsvorschriften nur noch auf das Verhältnis der Verwaltungsgesellschaft zu den betreffenden Fonds an. Hierbei ist in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob dieses Verhältnis den Grundsätzen für eine solide Vergütungspolitik entsprechend ausgestaltet ist (dazu unter 2.).

1.      Zur Existenz eines relevanten Verhaltensanreizes

53.      Den vorliegenden Fall betreffend hat die ungarische Regierung im Verfahren vor dem Gerichtshof vorgetragen, dass sich die Erträge der Verwaltungsgesellschaft – die im Ergebnis ihre Möglichkeit bedingen, Dividenden an die betreffenden Angestellten auszuschütten – aus festen Verwaltungsgebühren und einer Art Erfolgsprovision zusammensetzen. Diese Provision entspricht einem vorab feststehenden Prozentsatz des Teils der Rendite des betreffenden Investmentfonds, der die nach den Vertragsbedingungen oder der jeweiligen Satzung angestrebte oder festgelegte Rendite übersteigt. Die Klägerin im Ausgangsverfahren hat dieser Darstellung in der mündlichen Verhandlung nicht widersprochen.

54.      Diese Gestaltung – sollte sie die Funktionsweise der klagenden Verwaltungsgesellschaft zutreffend beschreiben, was festzustellen dem vorlegenden Gericht obliegt – ähnelt einem „Carried-interest“-Modell.(16) Der Unterschied scheint lediglich darin zu bestehen, dass der vorab festgelegte Anteil an der Rendite nicht unmittelbar von den verwalteten Fonds an die betreffenden Angestellten ausgezahlt wird – in diesem Fall wären die Zahlungen unproblematisch von den Vergütungsvorschriften erfasst.(17) Vielmehr wird dieser Anteil an der Rendite zunächst der Verwaltungsgesellschaft zugeführt und erst in einem zweiten Schritt über die Dividenden an die betreffenden Angestellten ausgeschüttet.

55.      Im Ergebnis scheint diese Gestaltung damit aber – genau wie ein „Carried-interest“-Modell – geeignet, einen vergleichbaren Anreiz wie eine erfolgsabhängige Vergütung zu setzen. Denn sobald die Erfolgsprovision einmal in das Vermögen der Verwaltungsgesellschaft gelangt ist, wird jedenfalls ein Teil davon in Form von Dividenden an die Anteilseigner – also die betreffenden Angestellten – ausgeschüttet. Wirtschaftlich betrachtet fungiert die Verwaltungsgesellschaft hierbei lediglich als Zahlstelle. Das Gleiche gilt für jede weitere zwischengeschaltete Kapitalgesellschaft. Folglich ist es für die Existenz eines entsprechenden Verhaltensanreizes unerheblich, ob die durch die erhöhte Rendite bedingte Dividende den betreffenden Angestellten unmittelbar oder mittelbar über zwischengeschaltete Einpersonenaktiengesellschaften ausgezahlt wird.(18)

56.      Anders als von der Klägerin im Ausgangsverfahren vorgetragen, ist der Zusammenhang zwischen der Wertentwicklung der verwalteten Investmentfonds und den Dividendenausschüttungen in beiden Fällen nicht zu indirekt. Dies gilt unabhängig davon, ob die betreffenden Angestellten bzw. die deren Vermögen vollumfänglich zugewiesenen Kapitalgesellschaften Dividendenvorzugsaktien oder stimmberechtigte Aktien an der Verwaltungsgesellschaft halten, was in der mündlichen Verhandlung nicht abschließend geklärt werden konnte. Denn in ersterem Fall steht ihnen eine Dividendengarantie zu. In letzterem können die betreffenden Angestellten, da sie zusammen anscheinend über 50 % des Stammkapitals halten(19), jedenfalls über die Dividendenausschüttung entscheiden.

57.      Allerdings ist es zu kurz gegriffen, darin per se eine Umgehung der Vergütungsvorschriften zu sehen. Denn ein finanzielles Eigeninteresse an der Wertentwicklung der verwalteten Fonds setzt nach Ansicht des Gesetzgebers nicht zwangsläufig einen unangemessenen Verhaltensanreiz für die betreffenden angestellten Fondsmanager.

58.      Art. 14b Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 2009/65 und Anhang II Nr. 1 Buchst. m der Richtlinie 2011/61 sehen insofern ausdrücklich vor, dass mindestens 50 % der variablen Vergütung in Anteilen des betreffenden AIF oder OGAW oder anderen Instrumenten, die ebenso wirksame Anreize schaffen, bestehen sollen. Dahinter steht der Gedanke, dass ein finanzielles Eigeninteresse an der Wertentwicklung des Fonds, welches durch einen persönlichen Anspruch auf einen wirtschaftlichen Anteil an der Rendite vermittelt ist, im Grundsatz einen wünschenswerten Anreiz setzt. Dies gilt allerdings nur, wenn die Interessenlage der betreffenden Angestellten insoweit mit derjenigen der Anleger der Fonds vergleichbar ist.(20)

59.      Ob durch die konkrete Ausgestaltung der Zahlung ein angemessener Verhaltensanreiz gesetzt wird, ist daher in einem zweiten Schritt gesondert zu prüfen.

2.      Zur Angemessenheit des Verhaltensanreizes

60.      Da und soweit die Verwaltungsgesellschaft lediglich als Zahlstelle fungiert, müssen bei dieser Prüfung die Voraussetzungen betrachtet werden, unter denen die Verwaltungsgesellschaft den Anspruch auf Ausschüttung der in Nr. 53 beschriebenen Erfolgsprovision erlangt. Denn die Ausschüttung der Dividenden an die betreffenden Angestellten ist davon nur die Konsequenz.

61.      Der siebte Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/91 sieht insofern ausdrücklich vor, dass die Grundsätze für eine solide Vergütungspolitik auch für Zahlungen gelten, die OGAW an Verwaltungsgesellschaften oder Investmentgesellschaften leisten. Der Grund dafür ist gerade, dass andernfalls die Vergütungsvorschriften durch das bloße Dazwischenschalten einer Kapitalgesellschaft umgangen werden könnten.

62.      Eine Analyse der Grundsätze und Kriterien in Art. 14b der Richtlinie 2009/65 und Anhang II Nr. 1 der Richtlinie 2011/61, die sich auf die Gestaltung der variablen oder erfolgsabhängigen Vergütung beziehen, zeigt, dass diese gerade darauf abzielen, die Interessenlage von beteiligten Angestellten derjenigen der Anleger anzunähern und sicherzustellen, dass die betreffenden Angestellten auch von eventuell auftretenden Verlusten betroffen sind und nicht lediglich an den Gewinnen partizipieren. Denn andernfalls spielt aus Sicht des jeweiligen Angestellten das Verlustrisiko einer Anlageentscheidung keine unmittelbare Rolle für die Höhe seiner Vergütung. Dies birgt die Gefahr, dass diese Angestellten Entscheidungen treffen, die mit den Risikoprofilen, Vertragsbedingungen oder Satzungen der verwalteten Fonds nicht vereinbar sind oder den Interessen der Anleger zuwiderlaufen.

63.      Im Einzelnen kann eine Angleichung der Interessenlagen nach diesen Bestimmungen etwa durch angemessene Zurückstellungszeiträume für die Zahlungen, zu denen diese Instrumente berechtigen (vgl. jeweils Buchst. m und n) oder Sperrfristen für deren Veräußerung erreicht werden(21), die sich an der Haltedauer der Anteile der anderen Anleger orientieren. Damit wird sichergestellt, dass eine kurzfristige Wertsteigerung, die sich innerhalb der typischen Haltedauer der Anteile an dem betreffenden Fonds durch einen Anleger wieder verflüchtigt, beteiligten Fondsmanagern nicht vorzeitig und damit ungerechtfertigterweise einen Vorteil einbringt (siehe dazu auch jeweils Buchst. h). Zudem kann dies durch entsprechende Korrekturen bis hin zum Wegfall der variablen Vergütung im Fall einer schlechten Wertentwicklung der betreffenden Fonds erreicht werden (im Folgenden: Verlustinternalisierung, vgl. jeweils Buchst. o).

64.      Daneben trägt ein angemessenes Verhältnis zwischen fester und erfolgsabhängiger Vergütung (vgl. dazu Buchst. j) einerseits dazu bei, dass Fondsmanager nicht vollständig auf die – zum Großteil von nicht beeinflussbaren Marktentwicklungen abhängigen – variable Vergütung angewiesen sind. Daraus folgt, dass die feste Vergütung auch für den Fall die erbrachten beruflichen Dienste ausreichend entlohnen sollte, dass die variable Vergütung wegen einer schlechten Wertentwicklung der verwalteten Fonds geringer ausfällt oder ganz ausbleibt.(22) Andererseits soll dadurch sichergestellt werden, dass dennoch wirksame Leistungsanreize gesetzt werden.

65.      Ob Mechanismen wie die soeben in Nr. 63 beschriebenen im Ausgangsverfahren existieren, lässt sich der Vorlageentscheidung nicht entnehmen. Konkret muss das vorlegende Gericht bei seiner Prüfung etwa berücksichtigen, welcher Zeitraum betrachtet wird, um festzustellen, ob die Zielrendite übertroffen wurde und damit ein Anspruch der Verwaltungsgesellschaft auf Zahlung der Erfolgsprovision entsteht (vgl. dazu jeweils Buchst. h) oder ob Zurückstellungszeiträume vorgesehen sind (vgl. Buchst. n und o).

66.      Solche Mechanismen können nämlich sicherstellen, dass die Provision nur dann ausgezahlt wird, wenn die längerfristige Wertentwicklung der Fonds es rechtfertigt. Wenn die Erfolgsprovision demgegenüber bereits dann fällig wird, wenn die Zielrendite zu einem bestimmten Stichtag übertroffen ist, der das Ergebnis des Fonds nach Ablauf der vertraglich vereinbarten Laufzeit völlig außer Acht lässt, ist die Interessenlage von Anlegern des Fonds und den betreffenden Angestellten insoweit nicht vergleichbar.

67.      Aus Sicht der Klägerin im Ausgangsverfahren könne jedenfalls nicht pauschal angenommen werden, dass die betreffenden Angestellten durch die Aussicht auf Dividendenzahlungen zur Eingehung kurzfristiger oder überhöhter Risiken verleitet würden, da sie ein Interesse daran hätten, dauerhaft Dividendenausschüttungen in angemessener Höhe zu erhalten. Allerdings weist die ungarische Regierung zu Recht darauf hin, dass bei einem Modell wie im Ausgangsverfahren(23) einseitig der Erfolg belohnt wird. Denn wenn die betreffenden Fonds die Zielrendite nicht übertreffen oder gar Verluste machen, wird lediglich keine Erfolgsprovision an die Verwaltungsgesellschaft ausgeschüttet, wodurch unter Umständen auch die Zahlung von Dividenden in dem betreffenden Jahr ausbleibt. Den Angestellten verbleibt in diesem Fall aber immer noch ihre feste und womöglich auch ein Teil ihrer variablen Vergütung. Wenn insbesondere Letzteres der Fall ist, was durch das vorlegende Gericht zu prüfen ist, könnte insoweit eine unzureichende Verlustinternalisierung gegeben sein.

68.      Zudem ergibt sich für die betreffenden Angestellten ein Anspruch auf Dividendenausschüttung durch die Verwaltungsgesellschaft überhaupt nur dann, wenn der Fonds seine Erwartungen übertrifft. Folglich sind für die betreffenden Angestellten von vornherein nur besonders hohe Gewinne der verwalteten Investmentfonds interessant, die typischerweise auch hohe Verlustrisiken aufweisen. Dieser Umstand kann – insbesondere, wenn Mechanismen wie die in den Nrn. 63 und 65 der vorliegenden Schlussanträge beschriebenen fehlen – folglich die Eingehung übermäßiger Risiken fördern.

69.      Die MNB hebt im Übrigen die auffällige Diskrepanz zwischen dem Gesamtbetrag der Dividendenzahlungen und dem Gesamtbetrag der als Vergütung bezeichneten Zahlungen hervor. Ersterer betrug nach ihren Angaben im Jahr 2017 in etwa das Zehnfache, im Jahr 2016 sogar knapp das 38-Fache des Gesamtbetrags der Vergütung.(24)

70.      Die Leitlinien der ESMA legen insoweit nahe, dass ein starkes Missverhältnis zwischen variabler und fester Vergütung – bzw. zwischen dem Gesamtbetrag der Dividendenzahlungen und dem der Vergütung, wie im vorliegenden Fall – auch für sich genommen gegen die Vergütungsvorschriften verstoßen kann. Sie gehen nämlich insofern davon aus, dass ein zu starkes finanzielles Eigeninteresse der betreffenden Fondsmanager an der Wertentwicklung der verwalteten Fonds der Eingehung übermäßiger Risiken Vorschub leisten kann. Ein solches sehen sie insbesondere als gegeben an, wenn es zu einer exzessiven Konzentration des Eigentums an Anteilen an einem verwalteten Fonds durch einen seiner Manager kommt.(25) Dieser Gedanke scheint aber auf eine Situation wie die vorliegende übertragbar, in der die betreffenden Angestellten durch den Umfang ihrer indirekten Beteiligung an den Gewinnen der verwalteten Fonds ein zu starkes Interesse an diesen haben könnten.

71.      Sollte das vorlegende Gericht mithin bei der Prüfung aller vorgenannten Umstände zu dem Ergebnis kommen, dass die konkrete Ausgestaltung der Dividendenzahlungen die betreffenden Angestellten dazu verleiten könnte, übermäßige Risiken einzugehen oder gegen die Interessen dieser Fonds und ihrer Anleger zu handeln, müsste es eine Umgehung der Vergütungsvorschriften feststellen.

3.      Zwischenergebnis

72.      Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Zahlung von Dividenden an leitende Angestellte einer Fondsverwaltungsgesellschaft, die gleichzeitig unmittelbar oder mittelbar an dieser beteiligt sind, den Bestimmungen über eine solide Vergütungspolitik genügen muss, wenn diese Zahlung in ihrer Wirkung zu einer Umgehung dieser Bestimmungen führen kann.

73.       Dies setzt voraus, dass der Umfang des Rechts zum Dividendenbezug derart von der Wertentwicklung der verwalteten Fonds abhängig ist, dass dadurch ähnliche Verhaltensanreize wie durch eine variable oder erfolgsabhängige Vergütung gesetzt werden und die Fondsverwaltungsgesellschaft daher nur als Zahlstelle fungiert. In einem solchen Fall liegt eine Umgehung vor, wenn die Beteiligung der Fondsverwaltungsgesellschaft an den Gewinnen der verwalteten Fonds ihrerseits gegen die Vergütungsvorschriften verstoßen würde. Dies wiederum ist der Fall, wenn die konkrete Ausgestaltung dieser Beteiligung die Eingehung übermäßiger Risiken fördert oder wenn Mechanismen fehlen, die einen angemessenen Interessenausgleich der geschaffenen Anreize mit den längerfristigen Interessen der Verwaltungsgesellschaft, der von ihr verwalteten Fonds und ihrer Anleger herstellen können.

C.      Zum Eingriff in die Aktionärsrechte durch Anwendung der Vergütungsvorschriften auf Dividendenzahlungen

74.      Gegen dieses Ergebnis wendet die Klägerin im Ausgangsverfahren ein, dass der 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/61 und der zehnte Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/91 vorsehen, dass die Bestimmungen über die Vergütung die vollständige Wahrnehmung der Grundrechte sowie die geltenden Rechtsnormen in Bezug auf die Rechte von Anteilseignern nicht berühren. Daraus folgert sie, dass die Dividendenzahlungen, welche die betreffenden Angestellten aufgrund ihrer Aktionärseigenschaft erhalten, nicht den Bestimmungen über solide Vergütungspolitiken unterworfen werden dürften.

75.      Dieser Argumentation ist zunächst zuzugeben, dass die Anwendung der Vergütungsvorschriften auf Dividendenzahlungen zu einer Beschränkung von Aktionärsrechten führen kann. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich in diesem Zusammenhang, dass sowohl das Eigentum an Aktien als auch das daraus folgende Dividendenbezugsrecht von Art. 17 Abs. 1 der Charta geschützt werden.(26) Insbesondere hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die verzögerte oder begrenzte Rückzahlung von Aktien im Fall des Ausscheidens eines Anteilseigners einen Eingriff in das Eigentumsgrundrecht darstellt.(27) Entsprechend sind auch bestimmte Vergütungsvorschriften wie Zurückstellungsregelungen, die das Dividendenbezugsrecht zeitlich modifizieren bzw. einschränken(28), oder Sperrfristen, welche die Veräußerung von Anteilen während eines bestimmten Zeitraums verbieten(29), als Eingriff in dieses Grundrecht anzusehen.

76.      Allerdings ist der Anknüpfungspunkt für die Anwendung der Vergütungsvorschriften im vorliegenden Fall nicht die Dividendenausschüttung, sondern die dieser vorgeschaltete Zahlung der Erfolgsprovision an die Verwaltungsgesellschaft.(30) Diese bedingt zwar den Umfang der Dividende; jedoch wird das Recht zum Dividendenbezug nicht dadurch eingeschränkt oder modifiziert, dass der Anspruch der Verwaltungsgesellschaft auf die Erfolgsprovision gewissen Anforderungen unterworfen wird.

77.      Aber selbst wenn man darin einen Eingriff in die Rechte der Anteilseigner sehen wollte, kann aus dem 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/61 und dem zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/91 nicht geschlossen werden, dass ein solcher generell unzulässig wäre.

78.      Zwar weist die Klägerin im Ausgangsverfahren zutreffend darauf hin, dass die Leitlinien an verschiedenen Stellen die Anwendung der Vergütungsvorschriften auf Rechtspositionen, die aus der Stellung als Anteilseigner folgen, ausdrücklich ausschließen. Punkt 16 der Leitlinien 2013/232 bestimmt etwa, dass Zahlungen über „Carried-interest“-Vehikel dann nicht den Bestimmungen über solide Vergütungspolitiken unterfallen, wenn sie eine anteilige Rendite auf Investitionen der betreffenden Angestellten in den AIF darstellen. Der Grund dafür ist jedoch, dass die betreffenden Angestellten in einem solchen Fall schlicht Anleger des Fonds sind und ihre Interessenlage folglich mit derjenigen der anderen Anleger übereinstimmt. Daher ist es nicht erforderlich, ihre Rechte als Anteilseigner zu beschränken.

79.      Im Ausgangsverfahren liegt der Fall jedoch anders: Als Anteilseigner der Verwaltungsgesellschaft haben die betreffenden Angestellten zwar irgendwann in diese investiert; die Rendite, die über das in Nr. 53 der vorliegenden Schlussanträge beschriebene Modell der Verwaltungsgesellschaft zugeführt und in Form von Dividenden an die betreffenden Angestellten ausgeschüttet wird, wurde aber gerade nicht mit diesem Kapital erwirtschaftet. Folglich ist es nicht auszuschließen, dass diesbezüglich ein Interessenkonflikt entsteht, der die betreffenden Angestellten zur Eingehung erhöhter Risiken bei der Verwaltung des Kapitals der Anleger verleiten könnte.

80.      Wenn aber aufgrund eines solchen Interessenkonflikts die Gefahr besteht, dass ein Fondsmanager dazu verleitet werden könnte, entgegen den Interessen der Anleger, der Finanzstabilität oder der Integrität des Marktes zu handeln, kann die Ausübung des Eigentumsgrundrechts nach ständiger Rechtsprechung Einschränkungen unterworfen werden. Voraussetzung dabei ist, dass diese Einschränkungen tatsächlich den verfolgten Zielen entsprechen und nicht einen im Hinblick darauf unverhältnismäßigen und nicht tragbaren Eingriff darstellen, der das Eigentumsgrundrecht in seinem Wesensgehalt antasten würde.(31)

81.      Hinsichtlich des Ziels der Gewährleistung der Stabilität der Finanzmärkte hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass dieses einem Gemeinwohlinteresse dient und damit grundsätzlich geeignet ist, eine Beschränkung der Aktionärsrechte zu rechtfertigen.(32) Gleiches muss für das Ziel des Anlegerschutzes gelten.

82.      Wie bereits erläutert, kann die Anwendung der Vergütungsvorschriften zur Herstellung eines Interessenausgleichs zwischen den durch die Dividendenzahlungen vermittelten finanziellen Anreizen einerseits und den langfristigen Interessen des Fonds und seiner Anleger andererseits beitragen.(33) Damit entspricht die Anwendung dieser Vorschriften objektiv dem Ziel, ein solides Risikomanagement zu fördern und somit einen größtmöglichen Anlegerschutz sowie die Stabilität der Finanzmärkte insgesamt sicherzustellen.

83.      Schließlich sind die durch die Vergütungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen der Rechte von Anteilseignern auch nicht als unverhältnismäßig anzusehen, da es sich – etwa bei Zurückstellungsregelungen und Sperrfristen – immer nur um eine zeitliche Begrenzung bestimmter Rechte handelt.

84.      Vor diesem Hintergrund durfte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass die Aktionärsrechte in Konstellationen zurücktreten müssen, in denen eine Gefährdung der Ziele des Anlegerschutzes und der Finanzmarktstabilität droht. Eine solche Gefahr droht nicht nur in den unmittelbar von den Vergütungsvorschriften geregelten Situationen, sondern auch im Fall ihrer Umgehung. Darin liegt kein Verstoß gegen Art. 17 Abs. 1 der Charta und damit auch nicht gegen die im 28. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/61 und im zehnten Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/91 genannten Grundsätze.

VI.    Ergebnis

85.      Auf Grundlage der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefrage der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) wie folgt zu antworten:

Die Zahlung von Dividenden an leitende Angestellte einer Fondsverwaltungsgesellschaft, die gleichzeitig unmittelbar oder mittelbar an dieser beteiligt sind, muss den in Art. 14b der Richtlinie 2009/65/EG und Art. 13 sowie Anhang II der Richtlinie 2011/61/EU niedergelegten Bestimmungen über eine solide Vergütungspolitik genügen, wenn diese Zahlung in ihrer Wirkung zu einer Umgehung dieser Bestimmungen führen kann.

Dies setzt voraus, dass der Umfang des Rechts zum Dividendenbezug derart von der Wertentwicklung der verwalteten Fonds abhängig ist, dass dadurch ähnliche Verhaltensanreize wie durch eine variable oder erfolgsabhängige Vergütung gesetzt werden und die Fondsverwaltungsgesellschaft daher nur als Zahlstelle fungiert. In einem solchen Fall liegt eine Umgehung vor, wenn die Beteiligung der Fondsverwaltungsgesellschaft an den Gewinnen der verwalteten Fonds ihrerseits gegen die Vergütungsvorschriften verstoßen würde. Dies ist der Fall, wenn die konkrete Ausgestaltung dieser Beteiligung die Eingehung übermäßiger Risiken fördert. Gleiches gilt, wenn Mechanismen fehlen, die einen angemessenen Interessenausgleich der geschaffenen Anreize mit den längerfristigen Interessen der Verwaltungsgesellschaft, der von ihr verwalteten Fonds und ihrer Anleger herstellen können. Dies im Rahmen einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen, ist Aufgabe des nationalen Gerichts.


1      Originalsprache: Deutsch.


2      Siehe grundlegend Erwägungsgründe 1 bis 5 der Empfehlung 2009/384/EWG der Kommission vom 30. April 2009 zur Vergütungspolitik im Finanzdienstleistungssektor (ABl. 2009, L 120, S. 22), auf der die betreffenden Rechtsakte (vgl. sogleich Fn. 3 und 4) aufbauen. Die empirische Forschung bestätigt diesen Zusammenhang, vgl. etwa Bebchuk/Fried, „Pay without performance“, Harvard University Press, Cambridge, 2004; Kaplan, „Are U.S. CEOs Overpaid?“, Academy of Management Perspectives, Vol. 22 (2008), S. 5 bis 20.


3      Vgl. insbesondere Art. 14a und 14b der Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABl. 2009, L 302, S. 32) in der Fassung, die sie durch die Richtlinie 2014/91/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 zur Änderung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) im Hinblick auf die Aufgaben der Verwahrstelle, die Vergütungspolitik und Sanktionen (ABl. 2014, L 257, S. 186) erhalten hat (im Folgenden: Richtlinie 2009/65).


4      Vgl. insbesondere Art. 13 sowie Anhang II der Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und 2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010 (ABl. 2011, L 174, S. 1) (im Folgenden: Richtlinie 2011/61).


5      Vgl. 26. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/61 und fünfter Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/91.


6      Siehe Fn. 3 der vorliegenden Schlussanträge.


7      Dass die betreffenden Angestellten im Ausgangsverfahren in den persönlichen Anwendungsbereich der Vergütungsregelungen der Richtlinien 2009/65 und 2011/61 fallen, wird vom vorlegenden Gericht nicht bezweifelt und scheint mir ebenfalls außer Frage zu stehen. Aus diesem Grund untersuchen die vorliegenden Schlussanträge nur den sachlichen Anwendungsbereich der Bestimmungen über solide Vergütungspolitiken.


8      Vgl. Erwägungsgründe 1, 2 und 3 der Richtlinie 2011/61 sowie deren Art. 45 Abs. 8.


9      Vgl. 26. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/61 und fünfter Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/91.


10      Siehe etwa Art. 14a Abs. 2 der Richtlinie 2009/65 und Anhang II Nr. 1 der Richtlinie 2011/61.


11      Vgl. Nr. 13 der vorliegenden Schlussanträge.


12      Vgl. die Legaldefinition in Art. 4 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2011/61.


13      Vgl. Punkt 11 der Leitlinien 2016/575 und Punkt 10 der Leitlinien 2013/232.


14      Siehe bereits Nr. 1 und Fn. 2 der vorliegenden Schlussanträge. Vgl. ebenfalls zweiter Erwägungsgrund der Richtlinie 2014/91, wonach durch die entsprechende Gestaltung von Vergütungsstrukturen eine „Kontrolle der Risikobereitschaft von Einzelpersonen“ erreicht werden soll.


15      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Januar 2010, Transportes Urbanos y Servicios Generales (C‑118/08, EU:C:2010:39, Rn. 23), vom 10. Juni 2010, Fallimento Traghetti del Mediterraneo (C‑140/09, EU:C:2010:335, Rn. 24), sowie Beschluss vom 22. Oktober 2014, Mineralquelle Zurzach (C‑139/14, EU:C:2014:2313, Rn. 28).


16      Vgl. die Legaldefinition in Art. 4 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2011/61.


17      Vgl. Art. 14b Abs. 3 der Richtlinie 2009/65: „… jeden direkt von dem OGAW selbst gezahlten Betrag, einschließlich Anlageerfolgsprämien (performance fees) …“, bzw. Anhang II, Nr. 2 der Richtlinie 2011/61: „… jeden direkt von dem AIF selbst gezahlten Betrag, einschließlich carried interests …“.


18      Siehe zur Aktionärsstruktur der Verwaltungsgesellschaft bereits Nr. 23 der vorliegenden Schlussanträge.


19      Siehe dazu ebenfalls Nr. 23 der vorliegenden Schlussanträge.


20      Vgl. Punkte 132 und 133 der Leitlinien 2013/232 sowie Punkte 134 und 135 der Leitlinien 2016/575.


21      Vgl. dazu die Punkte 141 und 143 der Leitlinien 2016/575 und die Punkte 139 und 141 der Leitlinien 2013/232 zur Rechtfertigung von Sperrfristen und Zurückstellungszeiträumen.


22      Siehe dazu Punkt 94 der Leitlinien 2013/232 und Punkt 96 der Leitlinien 2016/575.


23      Vgl. Nr. 53 der vorliegenden Schlussanträge.


24      Vgl. Nr. 24 der vorliegenden Schlussanträge.


25      Vgl. Punkt 135 der Leitlinien 2016/575 und Punkt 133 der Leitlinien 2013/232.


26      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. September 2016, Ledra Advertising u. a./Kommission und EZB (C‑8/15 P bis C‑10/15 P, EU:C:2016:701, Rn. 73), und vom 16. Juli 2020, Adusbef und Federconsumatori (C‑686/18, EU:C:2020:567, Rn. 88).


27      Urteil vom 16. Juli 2020, Adusbef und Federconsumatori (C‑686/18, EU:C:2020:567, Rn. 88).


28      Art. 14b Abs. 1 Buchst. m der Richtlinie 2009/65 und Anhang II Nr. 1 Buchst. m der Richtlinie 2011/91.


29      Vgl. Punkte 140 ff. der Leitlinien 2016/575.


30      Siehe dazu Nrn. 54 und 55 sowie 65 der vorliegenden Schlussanträge.


31      Urteile vom 20. September 2016, Ledra Advertising u. a./Kommission und EZB (C‑8/15 P bis C‑10/15 P, EU:C:2016:701, Rn. 69 und 70), und vom 16. Juli 2020, Adusbef und Federconsumatori (C‑686/18, EU:C:2020:567, Rn. 85). Siehe entsprechend auch Art. 52 Abs. 1 der Charta.


32      Urteile vom 19. Juli 2016, Kotnik u. a. (C‑526/14, EU:C:2016:570, Rn. 66, 88 und 91), vom 8. November 2016, Dowling u. a. (C‑41/15, EU:C:2016:836, Rn. 51 und 54), und vom 16. Juli 2020, Adusbef und Federconsumatori (C‑686/18, EU:C:2020:567, Rn. 86).


33      Siehe dazu Nrn. 63 und 64 der vorliegenden Schlussanträge.