Language of document : ECLI:EU:T:2013:110

URTEIL DES GERICHTS (Siebte Kammer)

7. März 2013(*)

„Humanarzneimittel – Aussetzung des Inverkehrbringens und Rückruf von bestimmten Arzneimittelchargen mit dem Wirkstoff Clopidogrel – Änderung der Genehmigung für das Inverkehrbringen – Verbot des Inverkehrbringens der Arzneimittel – Verordnung (EG) Nr. 726/2004 und Richtlinie 2001/83/EG – Verhältnismäßigkeit – Begründungspflicht“

In der Rechtssache T‑539/10

Acino AG, vormals Acino Pharma GmbH, mit Sitz in Miesbach (Deutschland), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte R. Buchner und E. Burk,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, zunächst vertreten durch A. Sipos, G. Wilms, B.‑R. Killmann und M. Šimerdová, dann durch B.‑R. Killmann und M. Šimerdová als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Nichtigerklärung der Beschlüsse der Kommission vom 29. März 2010 und vom 16. September 2010 über die Aussetzung des Inverkehrbringens der Humanarzneimittel, die den in einer bestimmten Betriebsstätte hergestellten Wirkstoff Clopidogrel enthalten, den Rückruf der Chargen dieser Arzneimittel vom Markt, die Änderung der Genehmigungen für das Inverkehrbringen und das Verbot des Inverkehrbringens dieser Arzneimittel

erlässt

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten A. Dittrich (Berichterstatter), der Richterin I. Wiszniewska-Białecka und des Richters M. Prek,

Kanzler: K. Andová, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 2012

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Auf Antrag der Acino Pharma GmbH erteilte die Kommission der Europäischen Gemeinschaften gemäß der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. L 136, S. 1) eine zentralisierte Genehmigung für das Inverkehrbringen folgender acht Arzneimittel, die den Wirkstoff Clopidogrel enthalten:

–        Clopidogrel Acino – Clopidogrel (Entscheidung K[2009] 6149 vom 28. Juli 2009),

–        Clopidogrel ratiopharm GmbH – Clopidogrel (Entscheidung K[2009] 6150 vom 28. Juli 2009),

–        Clopidogrel 1A Pharma – Clopidogrel (Entscheidung K[2009] 6151 vom 28. Juli 2009),

–        Clopidogrel Hexal – Clopidogrel (Entscheidung K[2009] 6152 vom 28. Juli 2009),

–        Clopidogrel Sandoz – Clopidogrel (Entscheidung K[2009] 7409 vom 21. September 2009),

–        Clopidogrel Acino Pharma GmbH – Clopidogrel (Entscheidung K[2009] 7422 vom 21. September 2009),

–        Clopidogrel ratiopharm – Clopidogrel (Entscheidung K[2009] 7468 vom 23. September 2009) und

–        Clopidogrel Acino Pharma – Clopidogrel (Entscheidung K[2009] 7558 vom 28. September 2009).

2        Die Anträge auf Genehmigung enthielten die Angabe, dass Clopidogrel in mehreren Produktionsstätten, darunter einem Betrieb in Visakhapatnam (Indien), hergestellt werde.

3        Vom 23. bis 26. Februar 2010 überprüfte die zuständige nationale Arzneimittelüberwachungsbehörde, die Regierung von Oberbayern (Deutschland), auf Anforderung des Ausschusses für Humanarzneimittel (im Folgenden: Ausschuss) der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) den Herstellungsbetrieb in Visakhapatnam. Diese Inspektion bezog sich auf die Einhaltung der Grundsätze und Leitlinien guter Herstellungspraktiken für Arzneimittel (im Folgenden: gute Herstellungspraxis), auf die in Art. 46 Buchst. f der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. L 311, S. 67) in ihrer zuletzt durch die Richtlinie 2009/120/EG der Kommission vom 14. September 2009 (ABl. L 242, S. 3) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 2001/83) abgestellt wird. Die Inspektion führte zu einem am 9. März 2010 erstellten und am 16. März 2010 geänderten Bericht, in dem festgestellt wurde, dass die Produktion in dem genannten Herstellungsbetrieb nicht den Regeln der guten Herstellungspraxis entspreche. Als kritischer Mangel wird dort angeführt, dass 70 Chargen-Herstellungsprotokolle neu geschrieben und ursprüngliche Einträge geändert worden seien. Ferner deckte die Inspektion diesem Bericht zufolge noch acht schwerwiegende Mängel auf, die mit der fehlenden Einrichtung eines grundlegenden Qualitätssicherungssystems und der Nichteinhaltung der grundlegenden Anforderungen der guten Herstellungspraxis an Räumlichkeiten und Ausrüstung sowie an die vorbeugende Wartung und den Umgang mit Lösungsmitteln zu tun hatten. Außerdem wurden die Verfahren zur Reinigung von Räumlichkeiten und Ausrüstung als nicht geeignet befunden, um eine Kontamination oder Kreuzkontaminationen auszuschließen. In der geänderten Fassung des Berichts wurde der Rückruf der ausgelieferten Chargen für nicht erforderlich gehalten, da nicht erwiesen sei, dass die betroffenen Produkte für die Patienten schädlich seien. Was zudem den kritischen Mangel angehe, sei die Qualitätsangabe der Produkte auf dem Papier bei der neuerlichen Niederschrift der Angaben über die Qualität nicht verändert worden und gebe es keinen Beweis, dass dieser Mangel die Gesundheit der Patienten berühre.

4        Der über die Situation informierte Ausschuss lud daraufhin Acino Pharma zu einer Erörterung im Rahmen einer mündlichen Anhörung, die am 17. März 2010 stattfand.

5        Am 18. März 2010 eröffnete die Kommission ein Verfahren nach Art. 20 der Verordnung Nr. 726/2004 und forderte ein Gutachten der EMA an, die ihr am selben Tag das Gutachten des Ausschusses übersandte. In diesem Gutachten, das Acino Pharma am folgenden Tag übermittelt wurde, empfahl der Ausschuss, den Herstellungsbetrieb in Visakhapatnam aus der Liste der für die Herstellung von Clopidogrel zugelassenen Standorte zu streichen und alle Chargen der Arzneimittel, die diesen in besagtem Herstellungsbetrieb hergestellten Wirkstoff enthielten, aus der Vertriebskette bis hin zu den Apotheken zurückzurufen.

6        Mit Schreiben vom 22. März 2010 beantragte Acino Pharma bei der EMA eine Überprüfung des Gutachtens des Ausschusses. Sie legte dem Schreiben einen ausführlichen Risikobewertungsbericht (Detailed Risk Assessment Report) bei, in dem ausgeführt wird, dass sich die festgestellten Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis nicht auf die Qualität der Arzneimittel ausgewirkt hätten. Am 23. März 2010 unterrichtete Acino Pharma die Kommission über den Risikobewertungsbericht und ihren Überprüfungsantrag.

7        Mit Schreiben an Acino Pharma vom 25. März 2010 bestätigte ihr die EMA, dass ihre Angaben vom Ausschuss geprüft, die Schlussfolgerungen des Gutachtens des Ausschusses aber aufrechterhalten worden seien.

8        Am 29. März 2010 erließ die Kommission gemäß Art. 20 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 die Acino Pharma am 30. März 2010 zugestellten Beschlüsse K(2010) 2203, K(2010) 2204, K(2010) 2205, K(2010) 2206, K(2010) 2207, K(2010) 2208, K(2010) 2210 und K(2010) 2218 (im Folgenden: vorläufige Beschlüsse). Diese enthalten vorläufige Maßnahmen, die das Inverkehrbringen der Arzneimittel mit dem am Standort Visakhapatnam hergestellten Wirkstoff Clopidogrel betreffen. Nach Art. 1 Abs. 1 dieser Beschlüsse wird auf der Grundlage der im Anhang der Beschlüsse aufgeführten wissenschaftlichen Erkenntnisse des Ausschusses das Inverkehrbringen der Chargen von Arzneimitteln, die den in der besagten Betriebsstätte hergestellten Wirkstoff Clopidogrel enthalten, ausgesetzt. Nach Abs. 2 dieses Artikels sind die Chargen, die sich bereits auf dem Markt der Europäischen Union befinden, aus der Vertriebskette bis hin zu den Apotheken zurückzuziehen.

9        Mit Schreiben vom 10. Juni 2010 übermittelte Acino Pharma der Kommission die abschließende Zusammenstellung der Testergebnisse, auf die in dem Detailed Risk Assessment Report Bezug genommen wurde, sowie die Validierung der angewandten Testmethoden und ein Gutachten vom 28. Mai 2010 zur Bewertung des Risikos einer Verunreinigung des im Herstellungsbetrieb in Visakhapatnam produzierten Clopidogrel mit anderen im gleichen Zeitraum hergestellten Wirkstoffen. Nach diesem Gutachten soll keine Gefahr für die Gesundheit der Patienten vorgelegen haben. Gestützt auf diese Unterlagen bat Acino Pharma um eine neuerliche Prüfung.

10      Am 29. Juni 2010 übermittelte die Kommission der EMA das Schreiben von Acino Pharma vom 10. Juni 2010 mit der Bitte um Mitteilung, ob es sich dabei um Informationen handle, die etwas am Gutachten des Ausschusses ändern könnten. Am 2. Juli 2010 teilte die Kommission Acino Pharma mit, dass sie den Inhalt ihres Schreibens vom 10. Juni 2010 vor Erlass einer endgültigen Entscheidung eingehend prüfen werde. Am 23. Juli 2010 erhielt die Kommission ein Schreiben der EMA, in dem diese mitteilte, dass sie am Ergebnis des ursprünglichen Gutachtens des Ausschusses festhalte.

11      Am 16. September 2010 erließ die Kommission gemäß Art. 20 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 die Acino Pharma am 20. September 2010 zugestellten Beschlüsse K(2010) 6428, K(2010) 6429, K(2010) 6430, K(2010) 6432, K(2010) 6433, K(2010) 6434, K(2010) 6435 und K(2010) 6436 (im Folgenden: endgültige Beschlüsse). Diese verfügen in ihrem Art. 1 zwei endgültige Maßnahmen. Erstens bestimmen sie, dass auf der Grundlage der in ihrem Anhang aufgeführten wissenschaftlichen Schlussfolgerungen des Ausschusses die Genehmigungen für das Inverkehrbringen der Arzneimittel, die den Wirkstoff Clopidogrel enthalten, dahin geändert werden, dass die Betriebsstätte am Standort Visakhapatnam von der Liste der zur Lieferung dieses Wirkstoffs zugelassenen Betriebsstätten gestrichen wird. Zweitens untersagen sie das Inverkehrbringen der Chargen von Arzneimitteln, die an diesem Standort hergestelltes Clopidogrel enthalten, in der Union.

 Verfahren und Anträge der Parteien

12      Mit Klageschrift, die am 24. November 2010 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat Acino Pharma die vorliegende Klage auf Nichtigerklärung der vorläufigen und der endgültigen Beschlüsse erhoben.

13      Am 14. April 2011 hat Acino Pharma die Klage gegen die die Arzneimittel Clopidogrel Sandoz – Clopidogrel und Clopidogrel 1A Pharma – Clopidogrel betreffenden Beschlüsse K(2010) 2206 und K(2010) 2207 vom 29. März 2010 sowie K(2010) 6433 und K(2010) 6428 vom 16. September 2010 zurückgenommen. Am 27. Mai 2011 hat die Kommission mitgeteilt, dass sie die Klagerücknahme zur Kenntnis nehme.

14      Mit Schreiben, das am 20. März 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Kommission darauf hingewiesen, dass sich die Klage mangels eines Rechtsschutzinteresses von Acino Pharma in der Hauptsache erledigt habe, soweit sie gegen die Beschlüsse K(2010) 2203, K(2010) 2204, K(2010) 2208 und K(2010) 2210 vom 29. März 2010 und die Beschlüsse K(2010) 6434, K(2010) 6436, K(2010) 6429 und K(2010) 6435 vom 16. September 2010 gerichtet sei, die die Arzneimittel Clopidogrel Acino – Clopidogrel, Clopidogrel Acino Pharma GmbH – Clopidogrel, Clopidogrel Acino Pharma – Clopidogrel und Clopidogrel Hexal – Clopidogrel beträfen. Acino Pharma hat mit Schreiben, das am 11. Mai 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, dazu Stellung genommen.

15      Das Gericht (Siebte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, das mündliche Verfahren zu eröffnen.

16      Mit Schriftstück, das am 22. Oktober 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat der Beistand der Klägerin mitgeteilt, dass zum einen Acino Pharma mit Vertrag vom 6. Juli 2012 durch Aufnahme auf die Acino AG verschmolzen worden sei und zum anderen die mit den Entscheidungen K(2009) 7468 und K(2009) 6150 erteilten Genehmigungen für das Inverkehrbringen der Arzneimittel Clopidogrel ratiopharm – Clopidogrel und Clopidogrel ratiopharm GmbH – Clopidogrel mit den Durchführungsbeschlüssen C(2012) 6424 und C(2012) 6526 der Kommission vom 11. und vom 17. September 2012 auf einen Dritten übertragen worden seien. Mit Entscheidung des Präsidenten der Siebten Kammer des Gerichts vom 23. Oktober 2012 ist die Kommission darauf hingewiesen worden, dass sie in der mündlichen Verhandlung zu diesem Schriftstück Stellung nehmen könne.

17      Mit Schriftstück, das am 26. Oktober 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin beantragt, dass ein neues Beweisangebot, nämlich ein Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 9. Oktober 2012, zu den Akten genommen werde. Mit Entscheidung des Präsidenten der Siebten Kammer des Gerichts vom 26. Oktober 2012 ist diesem Antrag stattgegeben und der Kommission mitgeteilt worden, dass sie in der mündlichen Verhandlung dazu Stellung nehmen könne.

18      Die Parteien haben in der Sitzung vom 8. November 2012 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet. In dieser Sitzung hat die Kommission ihren Erledigungsantrag hinsichtlich der das Arzneimittel Clopidogrel Acino – Clopidogrel betreffenden Beschlüsse K(2010) 2203 und K(2010) 6434 zurückgenommen. Dagegen hat sie vorgetragen, dass sich die Klage mangels eines Rechtsschutzinteresses der Klägerin in der Hauptsache erledigt habe, soweit sie gegen die Beschlüsse K(2010) 2205, K(2010) 2218, K(2010) 6432 und K(2010) 6430 gerichtet sei, die die Arzneimittel Clopidogrel ratiopharm – Clopidogrel und Clopidogrel ratiopharm GmbH – Clopidogrel beträfen.

19      Die Klägerin beantragt,

–        die Beschlüsse K(2010) 2203, K(2010) 2204, K(2010) 2205, K(2010) 2208, K(2010) 2210 und K(2010) 2218 der Kommission vom 29. März 2010 und die Beschlüsse K(2010) 6429, K(2010) 6430, K(2010) 6432, K(2010) 6434, K(2010) 6435 und K(2010) 6436 der Kommission vom 16. September 2010 für nichtig zu erklären;

–        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

20      Die Kommission beantragt,

–        hinsichtlich ihrer Beschlüsse K(2010) 2204, K(2010) 2205, K(2010) 2208, K(2010) 2210 und K(2010) 2218 vom 29. März 2010 und K(2010) 6429, K(2010) 6430, K(2010) 6432, K(2010) 6435 und K(2010) 6436 vom 16. September 2010 die Erledigung der Hauptsache festzustellen;

–        die Klage als unzulässig abzuweisen, soweit sie gegen ihre Beschlüsse K(2010) 2203, K(2010) 2204, K(2010) 2205, K(2010) 2208, K(2010) 2210 und K(2010) 2218 vom 29. März 2010 gerichtet ist;

–        hilfsweise, die Klage als unbegründet abzuweisen, soweit sie gegen ihre Beschlüsse K(2010) 2203, K(2010) 2204, K(2010) 2205, K(2010) 2208, K(2010) 2210 und K(2010) 2218 vom 29. März 2010 gerichtet ist;

–        die Klage als unbegründet abzuweisen, soweit sie gegen ihre Beschlüsse K(2010) 6429, K(2010) 6430, K(2010) 6432, K(2010) 6434, K(2010) 6435 und K(2010) 6436 vom 16. September 2010 gerichtet ist;

–        der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

 Zur Auswirkung der Verschmelzung von Acino Pharma auf Acino durch Aufnahme

21      Nach ständiger Rechtsprechung kann eine von einer juristischen Person erhobene Nichtigkeitsklage von ihrem Gesamtrechtsnachfolger insbesondere im Fall des Untergangs dieser juristischen Person unter gleichzeitiger Übertragung aller ihrer Rechte und Pflichten auf einen neuen Inhaber fortgeführt werden (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 20. Oktober 1983, Gutmann/Kommission, 92/82, Slg. 1983, 3127, Randnr. 2, und vom 23. April 1986, Les Verts/Parlament, 294/83, Slg. 1986, 1339, Randnrn. 13 bis 18; Urteil des Gerichts vom 8. Juli 2004, JFE Engineering u. a./Kommission, T‑67/00, T‑68/00, T‑71/00 und T‑78/00, Slg. 2004, II‑2501, Randnr. 46). In einem solchen Fall tritt der Gesamtrechtsnachfolger von Rechts wegen und zwangsläufig in die Rechtsstellung seines Vorgängers ein (vgl. Urteil des Gerichts vom 21. März 2012, Marine Harvest Norway und Alsaker Fjordbruk/Rat, T‑113/06, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

22      Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass Acino Pharma mit Vertrag vom 6. Juli 2012 durch Aufnahme auf Acino verschmolzen wurde. Dieser Vorgang hat dazu geführt, dass Acino Pharma als juristische Person erlosch und ihre Rechte und Verbindlichkeiten auf Acino übergingen, die damit anstelle von Acino Pharma in alle Rechtsverhältnisse eintrat, an denen Letztere beteiligt war, einschließlich der vor der Verschmelzung eingeleiteten Verfahren.

23      Demzufolge ist Acino von Rechts wegen an der Stelle von Acino Pharma als Klägerin in die vorliegende Rechtssache eingetreten und als solche befugt, die Klage fortzuführen.

 Zur Rücknahme der Klage, soweit sie die Beschlüsse K(2010) 2206, K(2010) 2207, K(2010) 6428 und K(2010) 6433 betrifft

24      Am 20. Dezember 2010 und 9. März 2011 beantragte Acino Pharma bei der Kommission den Widerruf der mit den Entscheidungen K(2009) 6151 und K(2009) 7409 erteilten Genehmigungen für das Inverkehrbringen der Arzneimittel Clopidogrel 1A Pharma – Clopidogrel und Clopidogrel Sandoz – Clopidogrel. Auf diese Anträge hin widerrief die Kommission die betreffenden Genehmigungen durch den Beschluss K(2011) 686 vom 1. Februar 2011 und den Beschluss K(2011) 2423 vom 31. März 2011.

25      Das Gericht nimmt zur Kenntnis, dass Acino Pharma ihre Klage zurückgenommen hat, soweit sie gegen die die Arzneimittel Clopidogrel Sandoz – Clopidogrel und Clopidogrel 1A Pharma – Clopidogrel betreffenden Beschlüsse K(2010) 2206 und K(2010) 2207 vom 29. März 2010 sowie K(2010) 6433 und K(2010) 6428 vom 16. September 2010 erhoben worden ist (siehe oben, Randnr. 13).

 Zur Zulässigkeit der Klage, soweit sie gegen die vorläufigen Beschlüsse erhoben worden ist

26      Die Kommission macht im Wesentlichen geltend, die Klage gegen die vorläufigen Beschlüsse sei verspätet und damit unzulässig, da diese Beschlüsse anfechtbare Handlungen darstellten, gegen die die Klägerin nicht fristgemäß Klage erhoben habe.

27      Es ist Sache des Gerichts, zu beurteilen, ob es nach den Grundsätzen einer geordneten Rechtspflege unter den Umständen des einzelnen Falles gerechtfertigt ist, über die Begründetheit der Klage zu befinden, ohne über die Zulässigkeit zu entscheiden (Urteil des Gerichtshofs vom 26. Februar 2002, Rat/Boehringer, C‑23/00 P, Slg. 2002, I‑1873, Randnr. 52). Hier hält es das Gericht für angebracht, über die Begründetheit der Klage zu befinden, ohne über die von der Kommission aufgeworfenen Zulässigkeitsfragen zu entscheiden.

 Zum Antrag auf Feststellung der teilweisen Erledigung der Hauptsache

28      Die Kommission macht geltend, die Klage gegen die Beschlüsse K(2010) 2204, K(2010) 2205, K(2010) 2208, K(2010) 2210 und K(2010) 2218 vom 29. März 2010 sowie K(2010) 6436, K(2010) 6432, K(2010) 6429, K(2010) 6435 und K(2010) 6430 vom 16. September 2010, die die Arzneimittel Clopidogrel Acino Pharma GmbH – Clopidogrel, Clopidogrel ratiopharm – Clopidogrel, Clopidogrel Acino Pharma – Clopidogrel, Clopidogrel Hexal – Clopidogrel und Clopidogrel ratiopharm GmbH – Clopidogrel beträfen, sei gegenstandslos geworden und die Klägerin habe in Bezug auf diese Beschlüsse kein Rechtsschutzinteresse mehr.

29      Da die Zulässigkeitsvoraussetzungen einer Klage und insbesondere das Rechtsschutzinteresse zu den unverzichtbaren Prozessvoraussetzungen gehören, hat das Gericht von Amts wegen zu prüfen, ob ein Kläger ein Interesse an der Nichtigerklärung der von ihm angefochtenen Entscheidung hat (vgl. Urteil des Gerichts vom 18. März 2009, Shanghai Excell M&E Enterprise und Shanghai Adeptech Precision/Rat, T‑299/05, Slg. 2009, II‑565, Randnr. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30      Nach ständiger Rechtsprechung muss das Klageinteresse des Klägers im Hinblick auf den Klagegegenstand bei Klageerhebung gegeben sein; andernfalls wäre die Klage unzulässig. Ebenso wie das Klageinteresse muss auch der Streitgegenstand bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung weiter vorliegen – andernfalls ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt –, was voraussetzt, dass die Klage der Partei, die sie erhoben hat, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 17. April 2008, Flaherty u. a./Kommission, C‑373/06 P, C‑379/06 P und C‑382/06 P, Slg. 2008, I‑2649, Randnr. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung) und dass diese Partei ein bestehendes und gegenwärtiges Interesse an der Nichtigerklärung der angefochtenen Handlung nachweist (vgl. Urteil des Gerichts vom 19. Juni 2009, Socratec/Kommission, T‑269/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31      Ebenfalls nach der Rechtsprechung muss der Kläger selbst sein Rechtsschutzinteresse, das die wesentliche Grundvoraussetzung für jede Klage darstellt, nachweisen (Beschluss des Präsidenten der Zweiten Kammer des Gerichtshofs vom 31. Juli 1989, S./Kommission, 206/89 R, Slg. 1989, 2841, Randnr. 8; Urteil des Gerichts vom 14. April 2005, Sniace/Kommission, T‑141/03, Slg. 2005, II‑1197, Randnr. 31).

32      Was als Erstes die das Arzneimittel Clopidogrel Acino – Clopidogrel betreffenden Beschlüsse K(2010) 2203 und K(2010) 6434 angeht, steht fest, dass die Kommission durch den Beschluss K(2012) 1556 vom 6. März 2012 infolge des Antrags von Acino Pharma vom 31. Dezember 2011 die mit der Entscheidung K(2009) 6149 erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Arzneimittels gemäß der Verordnung (EG) Nr. 2141/96 der Kommission vom 7. November 1996 über die Prüfung eines Antrags auf Übertragung einer Zulassung für ein in den Geltungsbereich der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates fallendes Arzneimittel (ABl. L 286, S. 6) auf Acino übertrug.

33      Da Acino von Rechts wegen an der Stelle von Acino Pharma als Klägerin in die vorliegende Rechtssache eingetreten ist (vgl. oben, Randnrn. 21 bis 23), hat sie ein Rechtsschutzinteresse hinsichtlich der Beschlüsse K(2010) 2203 und K(2010) 6434, was von der Kommission auch nicht bestritten wird (vgl. oben, Randnr. 18).

34      Was als Zweites die Beschlüsse K(2010) 2204 und K(2010) 2208 vom 29. März 2010 sowie K(2010) 6436 und K(2010) 6429 vom 16. September 2010 anbelangt, die die Arzneimittel Clopidogrel Acino Pharma GmbH – Clopidogrel und Clopidogrel Acino Pharma – Clopidogrel betreffen, steht fest, dass Acino Pharma am 11. Januar 2012 bei der Kommission den Widerruf der mit den Entscheidungen K(2009) 7422 und K(2009) 7558 erteilten Genehmigungen für das Inverkehrbringen dieser Arzneimittel beantragte. Auf diese Anträge hin widerrief die Kommission die betreffenden Genehmigungen mit den Durchführungsbeschlüssen C(2012) 1041 vom 13. Februar 2012 und C(2012) 889 vom 9. Februar 2012.

35      Die Klägerin, die auch nicht nachgewiesen hat, dass hinsichtlich der Beschlüsse K(2010) 2204, K(2010) 2208, K(2010) 6436 und K(2010) 6429 betreffend die Arzneimittel Clopidogrel Acino Pharma GmbH – Clopidogrel und Clopidogrel Acino Pharma – Clopidogrel noch ein Rechtsschutzinteresse ihrerseits bestünde, hat ausgeführt, dass sich ihr Nichtigkeitsantrag in Bezug auf diese Beschlüsse erledigt habe. Die Klage hat sich somit in der Hauptsache erledigt, soweit sie die Beschlüsse K(2010) 2204, K(2010) 2208, K(2010) 6436 und K(2010) 6429 betrifft.

36      Als Drittes ist das Rechtsschutzinteresse der Klägerin hinsichtlich der Beschlüsse K(2010) 2210, K(2010) 2205 und K(2010) 2218 vom 29. März 2010 sowie K(2010) 6435, K(2010) 6432 und K(2010) 6430 vom 16. September 2010 zu prüfen, die die Arzneimittel Clopidogrel Hexal – Clopidogrel, Clopidogrel ratiopharm – Clopidogrel und Clopidogrel ratiopharm GmbH – Clopidogrel betreffen.

37      Es steht fest, dass Acino Pharma am 11. Januar 2012 bei der Kommission den Widerruf der mit der Entscheidung K(2009) 6152 erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels Clopidogrel Hexal – Clopidogrel beantragte. Auf diesen Antrag hin widerrief die Kommission die betreffende Genehmigung mit dem Beschluss C(2012) 896 vom 9. Februar 2012. Weiter steht fest, dass die Kommission auf Anträge, die die Klägerin am 20. Juli 2012 gestellt hatte, die mit den Entscheidungen K(2009) 7468 und K(2009) 6150 erteilten Genehmigungen für das Inverkehrbringen der Arzneimittel Clopidogrel ratiopharm – Clopidogrel und Clopidogrel ratiopharm GmbH – Clopidogrel mit den Durchführungsbeschlüssen C(2012) 6424 vom 11. September 2012 und C(2012) 6526 vom 17. September 2012 gemäß der Verordnung Nr. 2141/96 auf einen Dritten übertrug.

38      Die Kommission bestreitet nicht, dass Acino Pharma bei Klageerhebung ein Rechtsschutzinteresse hatte. Aufgrund des Widerrufs der Zulassung für das Arzneimittel Clopidogrel Hexal – Clopidogrel und der Übertragung der Zulassungen für die Arzneimittel Clopidogrel ratiopharm – Clopidogrel und Clopidogrel ratiopharm GmbH – Clopidogrel sei jedoch das Rechtsschutzinteresse der Klägerin in Bezug auf die Beschlüsse K(2010) 2210, K(2010) 2205 und K(2010) 2218 vom 29. März 2010 sowie K(2010) 6435, K(2010) 6432 und K(2010) 6430 vom 16. September 2010 entfallen. Eine etwaige Nichtigerklärung dieser Beschlüsse verschaffe der Klägerin keinen Vorteil mehr, da infolge dieses Widerrufs und dieser Übertragung weder die ursprünglichen Zulassungen noch ihre Änderung durch die genannten Beschlüsse Rechtswirkungen für die Klägerin entfalten könnten. Die Klage gegen diese Beschlüsse sei gegenstandslos geworden, und der Antrag auf deren Nichtigerklärung habe sich somit erledigt.

39      Die Klägerin stellt in Abrede, dass ihr Rechtsschutzinteresse wegen des Widerrufs und der Übertragung der betroffenen Zulassungen entfallen sei. Zum einen nämlich habe sie dieses Interesse noch immer, da sie, sollte ihrer Nichtigkeitsklage stattgegeben werden, beabsichtige, gegen die Kommission eine Schadensersatzklage zur Wiedergutmachung des durch die genannten Beschlüsse verursachten Schadens zu erheben. Zum anderen habe sie im Hinblick auf ihr Interesse an der Wiederherstellung ihres Rufes nach wie vor ein Rechtsschutzinteresse.

40      Zuerst ist festzustellen, dass die Beschlüsse K(2010) 2210, K(2010) 2205, K(2010) 2218, K(2010) 6435, K(2010) 6432 und K(2010) 6430 von der Kommission nicht förmlich widerrufen wurden. Der Klagegegenstand besteht daher hinsichtlich dieser Beschlüsse fort (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 7. Juni 2007, Wunenburger/Kommission, C‑362/05 P, Slg. 2007, I‑4333, Randnrn. 48 und 49).

41      Zweitens kann ein Kläger ein Interesse an der Nichtigerklärung eines Rechtsakts auch weiterhin haben, um zu erreichen, dass durch den Unionsrichter eine ihm gegenüber begangene Rechtswidrigkeit festgestellt wird, so dass er aufgrund dieser Feststellung eine etwaige Klage auf angemessenen Ersatz des durch den angefochtenen Rechtsakt entstandenen Schadens erheben kann (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 31. März 1998, Frankreich u. a./Kommission, C‑68/94 und C‑30/95, Slg. 1998, I‑1375, Randnr. 74; Beschluss des Gerichts vom 5. Dezember 2007, Schering-Plough/Kommission und EMEA, T‑133/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 31, und Urteil Shanghai Excell M&E Enterprise und Shanghai Adeptech Precision/Rat, oben in Randnr. 29 angeführt, Randnr. 53).

42      So verhält es sich hier. Die Klägerin hat nämlich Anhaltspunkte dafür beigebracht, dass ihr die Beschlüsse K(2010) 2210, K(2010) 2205, K(2010) 2218, K(2010) 6435, K(2010) 6432 und K(2010) 6430 einen Schaden verursacht haben.

43      Sie hat zum einen, was die das Arzneimittel Clopidogrel Hexal – Clopidogrel betreffenden Beschlüsse K(2010) 2210 und K(2010) 6435 angeht, darauf hingewiesen, dass dieses Arzneimittel mit einem Verkaufswert von 5,7 Mio. Euro aufgrund der genannten Beschlüsse vom Markt und aus den Apotheken habe zurückgerufen werden müssen. Die Kosten dieses Rückrufs hätten sich auf 0,5 Mio. Euro belaufen. Hätten die zurückgerufenen Arzneimittel verkauft werden können, hätte sie einen Gewinn von 3 bis 4 Mio. Euro erzielen können. Außerdem habe sie aufgrund der durch die besagten Beschlüsse verursachten Verknappung dieses Arzneimittels auf dem Markt nicht den Gewinn erzielen können, der ohne die Beschlüsse realisierbar gewesen wäre.

44      Zum anderen hat die Klägerin, was die die Arzneimittel Clopidogrel ratiopharm – Clopidogrel und Clopidogrel ratiopharm GmbH – Clopidogrel betreffenden Beschlüsse K(2010) 2205, K(2010) 2218, K(2010) 6432 und K(2010) 6430 anbelangt, ausgeführt, dass ihr durch diese Beschlüsse ein Schaden entstanden sei, weil sie bestehende Liefervereinbarungen mit zwei Drittunternehmen nicht oder nur mit Mehrkosten für die Abnehmer habe erfüllen können. Darüber hinaus seien Letzteren Kosten infolge des Rückrufs und der Vernichtung abgelaufener Arzneimittel entstanden, für die sie habe aufkommen müssen. Sie habe den genannten Drittunternehmen aus diesem Grund eine Warengutschrift im Umfang von insgesamt 10,6 Mio. Euro ausstellen müssen.

45      Mithin ist festzustellen, dass die Klägerin weiterhin ein Interesse an der Nichtigerklärung der Beschlüsse K(2010) 2210, K(2010) 2205, K(2010) 2218, K(2010) 6435, K(2010) 6432 und K(2010) 6430 hat, um zu erreichen, dass durch den Unionsrichter eine ihr gegenüber begangene Rechtswidrigkeit festgestellt wird, worauf sie eine etwaige Schadensersatzklage stützen kann; ob ein Rechtsschutzinteresse der Klägerin möglicherweise wegen eines Interesses an der Wiederherstellung ihres Rufes besteht, kann in diesem Fall dahingestellt bleiben.

46      Nach alledem hat sich die Klage in der Hauptsache erledigt, soweit sie gegen die Beschlüsse K(2010) 2204, K(2010) 2208, K(2010) 6436 und K(2010) 6429 gerichtet ist, die die Arzneimittel Clopidogrel Acino Pharma GmbH – Clopidogrel und Clopidogrel Acino Pharma – Clopidogrel betreffen.

47      Über die vorliegende Klage ist deshalb nur zu entscheiden, soweit sie gegen die Beschlüsse K(2010) 2203, K(2010) 2205, K(2010) 2210 und K(2010) 2218 vom 29. März 2010 (im Folgenden: geprüfte vorläufige Beschlüsse) sowie gegen die Beschlüsse K(2010) 6434, K(2010) 6432, K(2010) 6435 und K(2010) 6430 vom 16. September 2010 (im Folgenden: geprüfte endgültige Beschlüsse) gerichtet ist, die die Arzneimittel Clopidogrel Acino – Clopidogrel, Clopidogrel ratiopharm – Clopidogrel, Clopidogrel Hexal – Clopidogrel und Clopidogrel ratiopharm GmbH – Clopidogrel betreffen.

 Zur Begründetheit

48      Die Klägerin stützt ihre Klage auf fünf Gründe. Mit dem ersten Klagegrund rügt sie einen Verstoß gegen die Art. 116 und 117 der Richtlinie 2001/83, da die in diesen Bestimmungen genannten Voraussetzungen nicht vorlägen. Mit ihrem zweiten Klagegrund macht sie geltend, die Kommission habe die Beweisanforderungen an das Vorliegen der in den Art. 116 und 117 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen nicht erfüllt. Mit dem dritten Klagegrund beanstandet sie einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, soweit die Kommission den Rückruf der bereits hergestellten Chargen angeordnet habe. Mit dem vierten Klagegrund werden eine Verletzung wesentlicher Formvorschriften aufgrund der Rechtswidrigkeit des Gutachtens des Ausschusses und ein Ermessensfehler der Kommission behauptet. Der fünfte Klagegrund wird auf einen Verstoß gegen die Begründungspflicht gestützt.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen die Art. 116 und 117 der Richtlinie 2001/83

49      Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Voraussetzungen der Art. 116 und 117 der Richtlinie 2001/83 für Änderungen der Genehmigungen für das Inverkehrbringen der fraglichen Arzneimittel sowie für die Rücknahme der betroffenen Arzneimittel vom Markt und das Verbot ihres Inverkehrbringens lägen nicht vor. Tatsächlich hätte die Kommission die Genehmigungen für das Inverkehrbringen der am Standort Visakhapatnam hergestellten Arzneimittel mit dem Wirkstoff Clopidogrel nicht gemäß Art. 116 der Richtlinie 2001/83 ändern dürfen. Außerdem habe weder die Rücknahme der betreffenden Arzneimittel vom Markt noch das Verbot ihres Inverkehrbringens durch die geprüften vorläufigen und endgültigen Beschlüsse auf Art. 117 dieser Richtlinie gestützt werden können.

–       Zur Änderung der in Rede stehenden Zulassungen gemäß Art. 116 der Richtlinie 2001/83

50      Die Klägerin stellt in Abrede, dass die Änderung der Genehmigungen für das Inverkehrbringen der fraglichen Arzneimittel durch die geprüften endgültigen Beschlüsse auf Art. 116 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2001/83 gestützt werden kann, wie es die Kommission behauptet.

51      Nach Art. 116 der Richtlinie 2001/83, der nach Art. 20 Abs. 3 Unterabs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 726/2004 in Verbindung mit deren Art. 81 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 1 Unterabs. 2 anwendbar ist, kann die Kommission eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Arzneimittels ändern.

52      Gemäß Art. 116 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 setzen die zuständigen Behörden die Genehmigung für das Inverkehrbringen aus, nehmen sie zurück, widerrufen oder ändern sie, wenn sie der Ansicht sind, dass das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädlich ist oder dass seine therapeutische Wirksamkeit fehlt oder dass das Nutzen-Risiko-Verhältnis bei bestimmungsgemäßem Gebrauch ungünstig ist oder dass das Arzneimittel nicht die angegebene quantitative und qualitative Zusammensetzung aufweist.

53      Die Kommission macht insoweit geltend, sie habe die fraglichen Zulassungen ändern können, da die betroffenen Arzneimittel aufgrund der Nichteinhaltung des Herstellungsverfahrens gegenüber den bei Erhalt der Zulassungen gemachten Angaben nicht die angegebene quantitative und qualitative Zusammensetzung aufgewiesen hätten. Da das Herstellungsverfahren bei der Einreichung des Zulassungsantrags anzugeben sei, fließe es auch in die Beurteilung ein, die der Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels zugrunde liege. Jeder schwere Verstoß gegen die gute Herstellungspraxis während des Herstellungsprozesses gehe mit der Gefahr einer Abweichung von der angegebenen quantitativen und qualitativen Zusammensetzung einher. Eine Genehmigung für das Inverkehrbringen müsse geändert werden können, wenn die Bedingungen, die zu ihrer Erteilung geführt hätten, nicht mehr oder nicht mehr vollständig erfüllt würden.

54      Es ist also zu prüfen, ob die Kommission für die Zwecke der Änderung der Genehmigungen für das Inverkehrbringen gemäß Art. 116 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 davon ausgehen durfte, dass zum einen das von Acino Pharma angegebene Herstellungsverfahren wegen der Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis nicht eingehalten worden war und dass zum anderen die fraglichen Arzneimittel aus diesem Grund nicht die angegebene quantitative und qualitative Zusammensetzung aufwiesen.

55      Erstens ist, was die Frage betrifft, ob das von Acino Pharma angegebene Herstellungsverfahren wegen der Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis nicht eingehalten wurde, festzustellen, dass die Genehmigungen für das Inverkehrbringen der betroffenen Arzneimittel von der Kommission im Rahmen des zentralisierten Zulassungsverfahrens gemäß den Art. 3 bis 15 der Verordnung Nr. 726/2004 erteilt wurden.

56      Acino Pharma musste, um die betreffenden Zulassungen zu erhalten, gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 Anträge bei der EMA einreichen. Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 dieser Verordnung waren jedem Antrag auf Genehmigung eines Humanarzneimittels die in Art. 8 Abs. 3 und Art. 10, 10a, 10b oder 11 sowie im Anhang I der Richtlinie 2001/83/EG genannten Angaben und Unterlagen ausdrücklich und vollständig beizufügen. Nach Art. 8 Abs. 3 Buchst. d und h dieser Richtlinie mussten dem Antrag Angaben über die Herstellungsweise und die Beschreibung der vom Hersteller angewandten Kontrollmethoden nach Maßgabe des Anhangs I der Richtlinie beigefügt werden. Punkt 6 des Teils „Einführung und allgemeine Grundlagen“ dieses Anhangs stellt u. a. klar, dass beim Herstellungsprozess die Anforderungen der Richtlinie 91/356/EWG der Kommission vom 13. Juni 1991 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Arzneimittel (ABl. L 193, S. 30) einzuhalten sind. Nach Art. 16 der Richtlinie 2003/94/EG der Kommission vom 8. Oktober 2003 zur Festlegung der Grundsätze und Leitlinien der Guten Herstellungspraxis für Humanarzneimittel und für zur Anwendung beim Menschen bestimmte Prüfpräparate (ABl. L 262, S. 22) wurde die Richtlinie 91/356 aufgehoben und gelten Bezugnahmen auf diese Richtlinie als Bezugnahmen auf die Richtlinie 2003/94.

57      Nach alledem musste das Herstellungsverfahren im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung der in Rede stehenden Genehmigungen für das Inverkehrbringen angegeben werden, und bei diesem Verfahren musste die gute Herstellungspraxis beachtet werden.

58      Da feststeht, dass aufgrund des kritischen Verstoßes und der acht weiteren, schwerwiegenden Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis, die von der Regierung von Oberbayern in ihrem Inspektionsbericht festgestellt worden waren (vgl. oben, Randnr. 3), beim Herstellungsverfahren am Standort Visakhapatnam die gute Herstellungspraxis nicht beachtet wurde, durfte die Kommission davon ausgehen, dass das von Acino Pharma angegebene Herstellungsverfahren nicht eingehalten worden war.

59      Was zweitens die Frage betrifft, ob die Kommission die Ansicht vertreten durfte, dass die fraglichen Arzneimittel aus diesem Grund nicht die angegebene quantitative und qualitative Zusammensetzung aufwiesen, bringt die Klägerin zum einen vor, eine Auslegung des Begriffs der quantitativen und qualitativen Zusammensetzung, nach der dieser Begriff auch die formellen Modalitäten des Herstellungsverfahrens erfasse, überschreite die Grenzen der möglichen Wortbedeutung. Dieser Begriff erfasse ausschließlich die Beschaffenheit des Arzneimittels selbst, die sich nach dessen Eigenschaften bestimme.

60      Dazu ist festzustellen, dass das Herstellungsverfahren im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen eine Komponente darstellt, die zu berücksichtigen ist, um zu prüfen, ob die Qualität, die Sicherheit oder die Wirksamkeit eines Arzneimittels angemessen oder ausreichend sichergestellt ist. Wie sich nämlich aus den vorstehend in den Randnrn. 56 und 57 gemachten Ausführungen ergibt, muss das Herstellungsverfahren im Rahmen des Zulassungsverfahrens angegeben werden. Im Anschluss an einen Zulassungsantrag ist der Ausschuss gemäß Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 zuständig für die Formulierung des Gutachtens der EMA zur Erteilung einer Zulassung. Gemäß dem Verfahren des Art. 10 dieser Verordnung wird die endgültige Entscheidung über die Erteilung einer Zulassung sodann von der Kommission erlassen, nachdem sie das Gutachten der EMA erhalten hat. Nach Art. 12 Abs. 1 Unterabs. 1 der genannten Verordnung wird die Genehmigung für das Inverkehrbringen versagt, wenn sich nach Prüfung der gemäß Art. 6 der Verordnung vorgelegten Angaben und Unterlagen ergibt, dass der Antragsteller die Qualität, die Sicherheit oder die Wirksamkeit des Humanarzneimittels nicht angemessen oder ausreichend nachgewiesen hat.

61      Das Herstellungsverfahren ist auch im Rahmen des Verfahrens zur Änderung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen ein einschlägiger Gesichtspunkt, um die qualitative Zusammensetzung eines Arzneimittels zu beurteilen. Obschon die Prüfung des Herstellungsverfahrens nicht ausreicht, um die quantitative und qualitative Zusammensetzung eines Arzneimittels zu beurteilen, ist nämlich dieses Verfahren eine Komponente, die die qualitative Zusammensetzung eines Arzneimittels verändern kann. Wie von der Kommission im fünften Erwägungsgrund der geprüften endgültigen Beschlüsse ausgeführt, sind die Anforderungen an das Herstellungsverfahren von wesentlicher Bedeutung, um die angabengemäße qualitative Zusammensetzung der Arzneimittel sicherzustellen. Die Einhaltung eines bestimmten Herstellungsverfahrens ist eine Komponente, die die qualitative Zusammensetzung eines Arzneimittels sicherstellt. Seine Nichteinhaltung kann zur Änderung der qualitativen Zusammensetzung führen. Um zu prüfen, ob die fraglichen Arzneimittel die angegebene quantitative und qualitative Zusammensetzung aufwiesen, durfte die Kommission somit das von Acino Pharma angegebene Herstellungsverfahren berücksichtigen.

62      Zum anderen macht die Klägerin geltend, die Kommission habe keinen Grund zu der Annahme gehabt, dass die Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis ohne Weiteres geeignet gewesen seien, die angegebene quantitative und qualitative Zusammensetzung der betroffenen Arzneimittel zu ändern. Ein Verstoß gegen die gute Herstellungspraxis führe nicht automatisch zu einer Beeinträchtigung der Beschaffenheit des Arzneimittels. Alle Gründe, die in Art. 116 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 genannt würden, hätten die Gemeinsamkeit, dass eine konkrete Gefahr für die Gesundheit der Patienten bestehen müsse. Nach der Systematik der Richtlinie 2001/83 reiche eine abstrakte potenzielle Gefahr, wie sie von den Vorschriften über die gute Herstellungspraxis abgedeckt werde, nicht für die Änderung der Zulassung.

63      Dazu ist darauf hinzuweisen, dass die Einhaltung eines bestimmten Herstellungsverfahrens eine Komponente ist, die die quantitative und qualitative Zusammensetzung eines Arzneimittels gewährleistet, und dass seine Nichteinhaltung die Änderung dieser Zusammensetzung nach sich ziehen kann. Außerdem bezwecken zwar alle in Art. 116 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 genannten Gründe, bestimmten Gefahren für die öffentliche Gesundheit vorzubeugen, doch müssen diese Gefahren nicht konkret sein, sondern es genügt, dass sie potenziell bestehen. Nach dem Vorsorgegrundsatz, der ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, müssen nämlich die zuständigen Behörden geeignete Maßnahmen treffen, um bestimmte potenzielle Risiken für die öffentliche Gesundheit, die Sicherheit und die Umwelt auszuschließen, und dabei den mit dem Schutz dieser Interessen verbundenen Erfordernissen Vorrang vor wirtschaftlichen Interessen einräumen (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil des Gerichts vom 26. November 2002, Artegodan u. a./Kommission, T‑74/00, T‑76/00, T‑83/00 bis T‑85/00, T‑132/00, T‑137/00 und T‑141/00, Slg. 2002, II‑4945, Randnr. 184).

64      Im Übrigen kann dem Vorbringen der Klägerin zur Systematik der Richtlinie 2001/83 nicht gefolgt werden. Nach Art. 116 Abs. 2 dieser Richtlinie muss nämlich eine Zulassung auch geändert werden, wenn die in Art. 112 dieser Richtlinie vorgesehenen Kontrollen nicht durchgeführt wurden. Das Fehlen solcher Kontrollen führt zu keiner konkreten Gefahr, sondern zu einer potenziellen.

65      Was genauer die Ausführungen der Klägerin betrifft, dass ein Verstoß gegen die gute Herstellungspraxis nicht automatisch zu einer Beeinträchtigung der Beschaffenheit des Arzneimittels führe, ist festzustellen, dass es sich vorliegend nicht um einen einfachen Verstoß gegen die gute Herstellungspraxis handelt, sondern um einen kritischen Mangel, zu dem noch acht weitere, schwerwiegende Mängel hinzukommen. Wie dem Bericht der Regierung von Oberbayern zu entnehmen ist, bestand der kritische Mangel in der neuerlichen Niederschrift von 70 Chargen-Herstellungsprotokollen und der Änderung bestimmter ursprünglicher Einträge. Die hinzukommenden acht schwerwiegenden Mängel hatten mit der fehlenden Einrichtung eines grundlegenden Qualitätssicherungssystems und der Nichteinhaltung der grundlegenden Anforderungen der guten Herstellungspraxis an Räumlichkeiten und Ausrüstung sowie an die vorbeugende Wartung und den Umgang mit Lösungsmitteln zu tun. Außerdem wurden die Verfahren zur Reinigung von Räumlichkeiten und Ausrüstung als nicht geeignet befunden, um eine Kontamination oder Kreuzkontaminationen auszuschließen (vgl. oben, Randnr. 3).

66      Zwar führen solche schwerwiegenden Mängel nicht automatisch zu einer Beeinträchtigung der angegebenen quantitativen und qualitativen Zusammensetzung der fraglichen Arzneimittel, doch sie bergen als solche die potenzielle Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Zusammensetzung und damit der öffentlichen Gesundheit. Das betreffende Vorbringen der Klägerin steht deshalb vorbehaltlich der Beweisanforderungen und innerhalb des Rahmens des der Kommission zukommenden Ermessens (siehe unten, zweiter und vierter Klagegrund) nicht dem entgegen, dass die Kommission davon ausgeht, dass die in Rede stehenden Arzneimittel nicht die angegebene quantitative und qualitative Zusammensetzung aufweisen. Die Kommission kann sich nämlich darauf beschränken, ernsthafte und stichhaltige Anhaltspunkte zu liefern, die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel an der angegebenen quantitativen und qualitativen Zusammensetzung der fraglichen Arzneimittel erlauben. Außerdem verfügt die Kommission, wenn sie eine komplexe Bewertung vorzunehmen hat, um festzustellen, ob die schwerwiegenden Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis zu einer Beeinträchtigung der angegebenen quantitativen und qualitativen Zusammensetzung führen, über ein weites Ermessen, dessen Ausübung einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, die sich nur darauf erstreckt, ob die fragliche Maßnahme mit einem offensichtlichen Irrtum oder einem Ermessensmissbrauch behaftet ist oder ob die zuständige Behörde die Grenzen ihres Ermessensspielraums offensichtlich überschritten hat (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil Artegodan u. a./Kommission, oben in Randnr. 63 angeführt, Randnrn. 192 und 201).

67      Folglich ist die Argumentation der Klägerin mit Art. 116 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 zurückzuweisen. Somit braucht nicht mehr geprüft zu werden, ob die Kommission die Änderung der in Rede stehenden Zulassungen auf Art. 116 Abs. 2 der Richtlinie stützen konnte.

–       Zur Rücknahme der fraglichen Arzneimittel vom Markt sowie zum vorläufigen und zum endgültigen Verbot ihres Inverkehrbringens nach Art. 117 der Richtlinie 2001/83

68      Nach Ansicht der Klägerin können die Rücknahme der fraglichen Arzneimittel vom Markt sowie das vorläufige und endgültige Verbot ihres Inverkehrbringens durch die geprüften vorläufigen und endgültigen Beschlüsse nicht, wie von der Kommission behauptet, auf Art. 117 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2001/83 gestützt werden.

69      Nach Art. 117 der Richtlinie 2001/83, der nach Art. 20 Abs. 3 Unterabs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 726/2004 in Verbindung mit deren Art. 20 Abs. 1 Unterabs. 2 anwendbar ist, kann die Kommission ein Arzneimittel aus dem Verkehr ziehen oder seine Abgabe untersagen.

70      Nach Art. 117 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2001/83 kann unbeschadet der Maßnahmen nach Art. 116 dieser Richtlinie die Abgabe eines Arzneimittels untersagt werden und das Arzneimittel aus dem Verkehr gezogen werden, falls feststeht, dass die Kontrollen der Arzneimittel und/oder der Bestandteile und der Zwischenprodukte nicht durchgeführt worden sind oder ein anderes Erfordernis oder eine andere Voraussetzung für die Erteilung der Herstellungsgenehmigung nicht erfüllt worden ist.

71      Nach Ansicht der Kommission wurde eines der Erfordernisse oder eine der Voraussetzungen für die Erteilung der Herstellungsgenehmigung nicht erfüllt, da beim Herstellungsverfahren am Standort Visakhapatnam nicht die gute Herstellungspraxis beachtet worden sei.

72      Die Klägerin macht geltend, Art. 117 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2001/83 behandle nicht das „spätere Entfallen von Genehmigungsvoraussetzungen“, sondern ihr Vorliegen im Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung. Insoweit möge die Voraussetzung für seine Anwendung erfüllt sein, wenn eine Herstellungsgenehmigung von vornherein nicht hätte erteilt werden dürfen, nicht jedoch bei einem späteren Entfallen der Tatbestandsvoraussetzungen. Jedenfalls sei die Einhaltung der guten Herstellungspraxis keine Voraussetzung für die Erteilung einer Herstellungsgenehmigung. Im Übrigen erlaube es die genannte Bestimmung nicht, ein Arzneimittel aufgrund bloßer Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis aus dem Verkehr zu ziehen, wenn keine Gefahr für die Gesundheit der Patienten bestehe. Die Tatbestandsvarianten des Art. 117 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 bezögen sich allesamt auf feststehende Mängel der Qualität, Wirksamkeit und Sicherheit eines Arzneimittels.

73      Dazu ist festzustellen, dass zwar nach Art. 41 der Richtlinie 2001/83 die Einhaltung der guten Herstellungspraxis keine Anforderung für den Erhalt einer Herstellungsgenehmigung ist, weil eine Herstellung gemäß der guten Herstellungspraxis nicht verlangt wird, bevor nicht diese Genehmigung erteilt ist. Die Einhaltung der guten Herstellungspraxis ist jedoch eine Verpflichtung, die mit der Herstellungsgenehmigung verbunden ist. Wie sich nämlich aus Art. 46 Buchst. f der Richtlinie 2001/83 ergibt, ist der Inhaber der Herstellungsgenehmigung verpflichtet, die guten Herstellungspraktiken einzuhalten. Somit bringt die Erteilung der Herstellungsgenehmigung für ihren Inhaber automatisch die Verpflichtung mit sich, die gute Herstellungspraxis für Arzneimittel einzuhalten. Außerdem muss, wie bereits festgestellt (vgl. oben, Randnrn. 56 und 57), beim Herstellungsverfahren, das im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen anzugeben ist, die gute Herstellungspraxis beachtet werden.

74      Was das Vorbringen der Klägerin betrifft, dass Art. 117 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2001/83 nicht das „spätere Entfallen von Genehmigungsvoraussetzungen“, sondern ihr Vorliegen im Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung behandle, so lässt sich eine solche enge Auslegung dieser Bestimmung ihrem Wortlaut nicht entnehmen. Letzterer beschränkt nämlich den Anwendungsbereich dieser Bestimmung nicht auf die Nichteinhaltung der Voraussetzungen für die Erteilung der Herstellungsgenehmigung, die im Zeitpunkt der Erteilung vorliegen müssen. Eine solche enge Auslegung ist auch nicht mit den Anforderungen vereinbar, die sich aus dem Vorsorgegrundsatz ergeben. Damit die zuständigen Behörden bestimmten Gefahren für die öffentliche Gesundheit vorbeugen können, kann nämlich die in Rede stehende Bestimmung nicht eng ausgelegt werden. Außerdem regelt Art. 117 der Richtlinie 2001/83 nicht die Zulassung, sondern die Untersagung der Abgabe eines Arzneimittels und seine Rücknahme vom Markt. Bei seiner Auslegung kann deshalb nicht nur auf das Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Erteilung der Zulassung abgestellt werden.

75      Schließlich macht die Klägerin unter Verweis auf die übrigen Tatbestandsvarianten des Art. 117 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 geltend, die Variante, um die es hier gehe, sei nur anwendbar, wenn eine Gefahr für die Gesundheit der Patienten bestehe. Dazu ist festzustellen, dass sich aus Art. 117 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 klar ergibt, dass alle Tatbestandsvarianten dieser Bestimmung unabhängig voneinander gelten. Außerdem ist in der fraglichen Tatbestandsvariante nicht die Rede davon, dass eine Gefahr für die Gesundheit der Patienten bestehen muss. Ihre Auslegung dahin, dass eine solche Gefahr verlangt werden muss, läuft auch dem Vorsorgegrundsatz zuwider, nach dem die zuständigen Behörden geeignete Maßnahmen treffen müssen, um bestimmte potenzielle Risiken für die öffentliche Gesundheit auszuschließen (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil Artegodan u. a./Kommission, oben in Randnr. 63 angeführt, Randnr. 184). Die Nichteinhaltung der guten Herstellungspraxis stellt aber eine potenzielle Gefahr für die öffentliche Gesundheit dar. Eine Gefahr für die Gesundheit der Patienten zu verlangen, wäre gleichbedeutend damit, eine konkrete Gefahr zu verlangen, die in Anbetracht dessen, was der Vorsorgegrundsatz bedeutet, nicht erforderlich ist.

76      Dem Vorbringen der Klägerin zu Art. 117 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2001/83 kann deshalb nicht gefolgt werden.

77      Nach alledem ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Missachtung der Beweisanforderungen

78      Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Kommission habe das Vorliegen der in den Art. 116 und 117 der Richtlinie 2001/83 genannten Voraussetzungen nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen.

79      Was die Beweisanforderungen betrifft, die der Kommission für den Nachweis obliegen, dass die Voraussetzungen für die Änderung der fraglichen Zulassungen nach Art. 116 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 sowie für die Rücknahme der betroffenen Arzneimittel vom Markt und für das Verbot ihrer Abgabe nach Art. 117 Abs. 1 Buchst. e dieser Richtlinie erfüllt sind, so ist in dem System der vorherigen Genehmigung von Arzneimitteln der Inhaber einer Zulassung für ein Arzneimittel nicht verpflichtet, während der Laufzeit dieser Zulassung die Wirksamkeit und/oder Unschädlichkeit des Arzneimittels zu beweisen. Es ist Sache der zuständigen Behörde, hier der Kommission, das Vorliegen einer der in Art. 116 oder Art. 117 der Richtlinie 2001/83 genannten alternativen Voraussetzungen für den Widerruf, die Änderung oder die Aussetzung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen oder für den Rückruf oder das Verbot der Abgabe eines Arzneimittels darzutun. Der Vorsorgegrundsatz gebietet nämlich den Widerruf, die Aussetzung oder die Änderung einer Zulassung und/oder die Rücknahme eines Arzneimittels vom Markt und das Verbot seiner Abgabe, wenn neue Daten vorliegen, die ernste Zweifel an der Sicherheit des betreffenden Arzneimittels wecken. In diesem Zusammenhang kann sich die Kommission darauf beschränken, ernsthafte und stichhaltige Anhaltspunkte zu liefern, die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel an der angegebenen quantitativen und qualitativen Zusammensetzung der fraglichen Arzneimittel und an der Erfüllung einer der Voraussetzungen für die Erteilung der Herstellungsgenehmigung erlauben. Die Änderung einer Zulassung sowie der Rückruf eines Arzneimittels und das Verbot seiner Abgabe sind gerechtfertigt, wenn das Vorliegen eines neuen potenziellen Risikos durch neue objektive Daten oder Informationen wissenschaftlicher und/oder medizinischer Art untermauert wird (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil Artegodan u. a./Kommission, oben in Randnr. 63 angeführt, Randnrn. 191 bis 194).

80      Hier ist festzustellen, dass die Kommission in den geprüften vorläufigen und endgültigen Beschlüssen die Änderung der Zulassungen der fraglichen Arzneimittel sowie deren Rückruf und das vorläufige und endgültige Verbot ihres Inverkehrbringens im Wesentlichen mit dem Verweis im dritten Erwägungsgrund und in Art. 1 Abs. 1 dieser Beschlüsse auf die in deren Anhang beigefügten wissenschaftlichen Schlussfolgerungen des Ausschusses begründet hat. Diese Schlussfolgerungen empfahlen die Änderung der Zulassungen und die Rücknahme der fraglichen Arzneimittel-Chargen vom Markt in Ansehung der von der Regierung von Oberbayern bei der Inspektion vom 23. bis 26. Februar 2010 festgestellten Mängel im Zusammenhang mit der Nichteinhaltung der guten Herstellungspraxis und der von Acino Pharma in der Anhörung vom 17. März 2010 gemachten Angaben, die ausweislich dieser Schlussfolgerungen nicht geeignet waren, die genannten Mängel wettzumachen. Außerdem nehmen die geprüften endgültigen Beschlüsse in ihrem sechsten Erwägungsgrund auf erhebliche Mängel Bezug, die beim Herstellungsverfahren von Clopidogrel festgestellt wurden.

81      Damit hat die Kommission also in Anbetracht der Mängel, die im Zusammenhang mit der Nichteinhaltung der guten Herstellungspraxis festgestellt worden waren, die fraglichen Zulassungen geändert, die betroffenen Arzneimittel aus dem Verkehr gezogen und ihr Inverkehrbringen vorläufig und endgültig untersagt. Diese Mängel, die durch im Inspektionsbericht der Regierung von Oberbayern genannte objektive wissenschaftliche Daten untermauert werden, die gegenüber den bei Erteilung der betreffenden Zulassungen verfügbaren Daten neu sind, stellen auf der Grundlage der wissenschaftlichen Schlussfolgerungen des Ausschusses (zur Rechtmäßigkeit dieser Schlussfolgerung siehe unten zum vierten Klagegrund) ernsthafte und stichhaltige Anhaltspunkte dar. Ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, erlaubten diese Anhaltspunkte der Kommission, vernünftige Zweifel an der angegebenen quantitativen und qualitativen Zusammensetzung der fraglichen Arzneimittel und an der Erfüllung einer der Voraussetzungen für die Erteilung der Herstellungsgenehmigung zu hegen.

82      Zum Antrag der Klägerin auf Anordnung eines Sachverständigengutachtens zum Beweis dessen, dass die festgestellten Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis nicht die Qualität der fraglichen Arzneimittel veränderten, ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsrichter im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Kommission überprüft. Wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, ist die Kommission hier den Beweisanforderungen nachgekommen, die nicht verlangen, dass die in den Art. 116 und 117 der Richtlinie 2001/83 genannten Voraussetzungen mit wissenschaftlicher Gewissheit nachgewiesen werden. Die Frage, ob im Rahmen des vorliegenden Verfahrens bewiesen werden kann, dass die festgestellten Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis die Qualität der fraglichen Arzneimittel nicht verändern, ist daher für die Beurteilung des Falles nicht erheblich. Folglich ist der Gutachtenantrag der Klägerin zurückzuweisen.

83      Demnach ist das Vorbringen der Klägerin zur Missachtung der Beweisanforderungen durch die Kommission zu verwerfen, und der zweite Klagegrund ist somit zurückzuweisen.

 Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

84      Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen, soweit sie den Rückruf der bereits hergestellten Chargen angeordnet und damit die Genehmigung für das Inverkehrbringen der fraglichen Arzneimittel rückwirkend widerrufen habe. Nachdem Acino Pharma bewiesen habe, dass die Qualität der Arzneimittel nicht verändert worden sei, seien diese Maßnahmen nicht erforderlich gewesen, um das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit zu erreichen, sondern hätten Strafcharakter gehabt. Den Bedenken gegen die Zuverlässigkeit des Herstellungsbetriebs in Visakhapatnam hätte durch eine zukunftsbezogene Änderung der Genehmigungen für das Inverkehrbringen Rechnung getragen werden können.

85      Nach ständiger Rechtsprechung dürfen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, die Handlungen der Organe der Union nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und die verursachten Nachteile nicht außer Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen dürfen (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 21. Juli 2011, Etimine, C‑15/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 124 und die dort angeführte Rechtsprechung).

86      Die Klägerin bestreitet nicht, dass die Rücknahme der bereits hergestellten Chargen vom Markt eine Maßnahme ist, die zur Erreichung des mit den geprüften vorläufigen und endgültigen Beschlüssen verfolgten Ziels des Schutzes der menschlichen Gesundheit geeignet war. Sie ist jedoch der Ansicht, dass diese Maßnahme über das zur Erreichung des angestrebten Ziels Erforderliche hinausgegangen sei und die Kommission mit der allein zukunftsbezogenen Änderung der Genehmigungen für das Inverkehrbringen eine weniger einschneidende Maßnahme hätte erlassen können.

87      Dazu ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Kommission die Rücknahme der bereits hergestellten Chargen vom Markt anordnete, nachdem sie ernsthafte und stichhaltige Anhaltspunkte vorgelegt hatte, die, ohne die wissenschaftliche Ungewissheit zu beseitigen, vernünftige Zweifel an der Erfüllung einer der Voraussetzungen für die Erteilung der Herstellungsgenehmigung gemäß Art. 117 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2001/83 erlaubten, und dass sie somit den Beweisanforderungen nachgekommen ist (vgl. oben, Randnrn. 81 und 82).

88      Zweitens ist festzustellen, dass die Kommission, ohne gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu verstoßen, davon ausgehen durfte, dass die allein zukunftsbezogene Änderung der Genehmigungen für das Inverkehrbringen nach Art. 116 der Richtlinie 2001/83, wie sie von der Klägerin als weniger einschneidende Maßnahme in Betracht gezogen wird, keine hinreichend geeignete Maßnahme im Hinblick auf das Ziel des Schutzes der menschlichen Gesundheit darstellte. Die in Art. 116 der Richtlinie 2001/83 vorgesehene Änderung der Genehmigungen für das Inverkehrbringen erfasste nämlich nicht die Gefahr, die vom tatsächlichen Vorhandensein der betroffenen Arzneimittel auf dem Markt ausging. Auf diese Gefahr zielte die in Art. 117 der Richtlinie 2001/83 vorgesehene tatsächliche Rücknahme dieser Arzneimittel vom Markt ab. Diese Erwägungen gelten umso mehr, wenn man das Erfordernis der Beachtung des Vorsorgegrundsatzes berücksichtigt, der auf dem sensiblen Gebiet des Schutzes der menschlichen Gesundheit gilt (vgl. in diesem Sinne Urteil Etimine, oben in Randnr. 85 angeführt, Randnr. 129).

89      Da die Kommission, als sie die Änderung der in Rede stehenden Zulassungen sowie die Rücknahme der fraglichen Arzneimittel vom Markt und das vorläufige und endgültige Verbot ihres Inverkehrbringens anordnete, diese Maßnahmen gemäß Art. 117 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 auf den Standort Visakhapatnam und die dort hergestellten Chargen beschränkte, hat sie nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

90      Der dritte Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

 Zum vierten Klagegrund: Verletzung wesentlicher Formvorschriften des Verfahrens im Zusammenhang mit dem Gutachten des Ausschusses und Ermessensfehler der Kommission

91      Die Klägerin bringt im Wesentlichen vor, die Kommission habe insoweit die wesentlichen Formvorschriften des Verfahrens verletzt, als das Gutachten des Ausschusses, auf das die geprüften vorläufigen und endgültigen Beschlüsse gestützt worden seien, rechtswidrig sei. Außerdem habe die Kommission beim Erlass dieser Beschlüsse von ihrem Ermessen keinen Gebrauch gemacht und einen Ermessensfehler begangen.

92      Was den Umfang der gerichtlichen Kontrolle betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission die in den geprüften vorläufigen und endgültigen Beschlüssen erlassenen Maßnahmen im Wesentlichen mit dem Verweis im dritten Erwägungsgrund und in Art. 1 Abs. 1 dieser Beschlüsse auf die in deren Anhang beigefügten wissenschaftlichen Schlussfolgerungen des Ausschusses begründet hat. In einem solchen Zusammenhang erstreckt sich die Überprüfung durch den Unionsrichter für die Zwecke der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer auf Art. 20 Abs. 3 Unterabs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 726/2004 und die Art. 116 und 117 der Richtlinie 2001/83 gestützten Entscheidung der Kommission zum einen auf die formelle Rechtmäßigkeit des wissenschaftlichen Gutachtens des Ausschusses und zum anderen auf die Ermessensausübung durch die Kommission (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil Artegodan u. a./Kommission, oben in Randnr. 63 angeführt, Randnr. 199).

–       Zur Rechtmäßigkeit des Gutachtens des Ausschusses

93      Was das Gutachten des Ausschusses anbelangt, so kann das Gericht die vom Ausschuss vorgenommene Beurteilung nicht durch seine eigene Beurteilung ersetzen. Die gerichtliche Prüfung erstreckt sich nämlich nur darauf, ob der Ausschuss ordnungsgemäß vorgegangen ist, sowie auf die Schlüssigkeit und die Begründung seines Gutachtens. Unter dem letztgenannten Aspekt kann das Gericht nur prüfen, ob das Gutachten eine Begründung enthält, anhand deren die Erwägungen beurteilt werden können, auf die es sich stützt, und ob ein verständlicher Zusammenhang zwischen den medizinischen und/oder wissenschaftlichen Feststellungen und den Schlussfolgerungen im Gutachten hergestellt wird. Insoweit muss der Ausschuss in seinem Gutachten die wichtigsten wissenschaftlichen Berichte und Expertisen angeben, auf die er sich stützt, und im Fall einer erheblichen Divergenz die Gründe erläutern, aus denen er von den Schlussfolgerungen in den von den betroffenen Unternehmen vorgelegten Berichten oder Expertisen abweicht. Diese Verpflichtung besteht insbesondere im Fall wissenschaftlicher Ungewissheit. Indem sie den kontradiktorischen und transparenten Charakter der Konsultation des Ausschusses gewährleistet, ermöglicht sie es, sich zu vergewissern, dass der betreffende Stoff Gegenstand einer eingehenden und objektiven wissenschaftlichen Beurteilung war, die auf einer Gegenüberstellung der repräsentativsten wissenschaftlichen Auffassungen und der von den betroffenen Arzneimittelbetrieben vertretenen wissenschaftlichen Standpunkte beruhte (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil Artegodan u. a./Kommission, oben in Randnr. 63 angeführt, Randnr. 200).

94      Im vorliegenden Fall hält die Klägerin das Gutachten des Ausschusses für rechtswidrig. Dieser habe sich nämlich nicht mit den von Acino Pharma erbrachten Nachweisen der Qualität der betroffenen Arzneimittel befasst. Er habe außer Acht gelassen, dass Acino Pharma nachgewiesen habe, dass sich die Gefahren, die durch die nicht eingehaltene gute Herstellungspraxis präventiv abgedeckt werden sollten, nicht verwirklicht hätten. Außerdem sei das Gutachten des Ausschusses in sich widersprüchlich. Einerseits habe der Ausschuss eine abstrakte Beurteilung vorgenommen, indem er sich auf die Erschütterung des Vertrauens in das Qualitäts- und Sicherheitsniveau gestützt habe. Andererseits habe er auf die Qualität der Arzneimittel im konkreten Fall abgestellt. Darüber hinaus sei das Gutachten des Ausschusses nicht ausreichend begründet.

95      Dazu ist festzustellen, dass das Gutachten des Ausschusses im ersten Teil der kompletten Zusammenfassung der wissenschaftlichen Schlussfolgerungen die von der Regierung von Oberbayern in ihrem Inspektionsbericht festgestellten Mängel des Verfahrens zur Herstellung von Clopidogrel und das Verwaltungsverfahren bis zur Einleitung des Verfahrens gemäß Art. 20 der Verordnung Nr. 726/2004 durch die Kommission am 18. März 2010 und bis zur Anforderung des Gutachtens der EMA am selben Tag beschreibt. Im zweiten Teil formuliert der Ausschuss Schlussfolgerungen in Ansehung der im Inspektionsbericht getroffenen Feststellungen und der von Acino Pharma in der Anhörung vom 17. März 2010 vorgelegten Daten. So weist er zunächst darauf hin, dass die Inspektoren in Anbetracht der organisierten und auf Managementebene unterstützten Veränderung der ursprünglichen Herstellungs- und Qualitätsunterlagen und der Mängel des Qualitätssicherungssystems in wesentlichen Bereichen wie der Instandhaltung von Räumlichkeiten und Ausrüstungen, der Dokumentation, der Reinigung und der Validierung zu dem Ergebnis gekommen seien, dass die Grundprinzipien der guten Herstellungspraxis nicht eingehalten worden seien. Sodann führt er aus, dass er aus diesen Gründen nicht zu dem Schluss gelangt sei, dass das Verfahren, das zur Herstellung der fraglichen Arzneimittel mit dem Wirkstoff Clopidogrel verwendet worden sei, das in den Genehmigungen für das Inverkehrbringen bewertete und beschriebene Verfahren gewesen sei. Ferner gelangt er zu dem Schluss, dass die vorstehend genannten Feststellungen zu einem mangelnden Vertrauen in die Qualität und Reinheit der fraglichen Arzneimittel führten. Die vom Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen vorgeschlagenen Korrekturmaßnahmen könnten nicht nachträglich die Qualität der Arzneimittel sicherstellen, die ohne Qualitätssicherung und ohne Einhaltung der guten Herstellungspraxis produziert worden seien. Die Qualität der betroffenen Arzneimittel könne somit nicht garantiert werden. In einem dritten Teil empfiehlt der Ausschuss die Streichung der Betriebsstätte in Visakhapatnam von der Liste der Standorte, die für die Herstellung von Clopidogrel genehmigt sind, und den Rückruf sämtlicher Chargen von Arzneimitteln, die Clopidogrel enthalten, das am Standort Visakhapatnam hergestellt wurde, aus der Vertriebskette bis zur Apothekenebene.

96      In dem Teil, der die Begründung für die Änderung der Genehmigung für das Inverkehrbringen und für den Rückruf der betreffenden Chargen enthält, wird in dem Gutachten ausgeführt, dass der Ausschuss den Inspektionsbericht der Regierung von Oberbayern und die vom Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Anhörung vom 17. März 2010 vorgelegten Daten überprüft habe. Das Gutachten führt sodann vier Erwägungen an. Der ersten Erwägung zufolge erfüllte die Herstellungsstätte in Visakhapatnam nach den Feststellungen der Regierung von Oberbayern nicht die gute Herstellungspraxis, so dass keine Gewähr bestanden habe, dass der fragliche Wirkstoff gemäß der guten Herstellungspraxis hergestellt worden sei. Ausweislich der zweiten Erwägung betraf der kritische Verstoß gegen die gute Herstellungspraxis den Fund von neu geschriebenen, veränderten und deshalb unzuverlässigen Dokumenten wie z. B. Chargenherstellungsprotokollen und Reinigungsberichten. Nach der dritten Erwägung zeigten die schwerwiegenden Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis außerdem, dass die Qualität des Wirkstoffs nicht habe sichergestellt werden können. Die vierte Erwägung bezieht sich darauf, dass die Erläuterungen des Inhabers der Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Anhörung und die vorgeschlagenen Korrekturmaßnahmen keine hinreichende Begründung und Gewähr dafür böten, dass das Verfahren, das zur Herstellung des in den fraglichen Arzneimitteln enthaltenen Wirkstoffs Clopidogrel verwendet worden sei, das in der Genehmigung für das Inverkehrbringen bewertete und beschriebene Verfahren gewesen sei. Das Gutachten greift sodann die Empfehlungen auf, die in seinem Teil mit der kompletten Zusammenfassung der wissenschaftlichen Schlussfolgerungen genannt werden. Außerdem enthält es eine Empfehlung zu vorläufigen Maßnahmen.

97      Aus diesem Gutachten ergibt sich in rechtlich hinreichender Weise, dass der Ausschuss die Maßnahmen der Änderung der in Rede stehenden Zulassungen und des Rückrufs bestimmter Chargen der betroffenen Arzneimittel aufgrund der von der Regierung von Oberbayern bei der Inspektion vom 23. bis 26. Februar 2010 festgestellten Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis und aufgrund der von Acino Pharma in der Anhörung vom 17. März 2010 vorgelegten Daten empfahl. Diese Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis waren nach Ansicht des Ausschusses so geartet, dass sie die Qualitätssicherung der fraglichen Arzneimittel beeinträchtigten. Indem hinzugefügt wird, dass die von Acino Pharma in der Anhörung vorgeschlagenen Korrekturmaßnahmen nicht nachträglich die Qualität der Arzneimittel sicherstellen könnten, zeigt das Gutachten des Ausschusses einen verständlichen Zusammenhang zwischen den Feststellungen und den Empfehlungen auf.

98      Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ist das Gutachten des Ausschusses auch nicht widersprüchlich. Es trifft zwar nämlich zu, dass der Ausschuss in diesem Gutachten einerseits auf das mangelnde Vertrauen in die Qualität und Reinheit der fraglichen Arzneimittel Bezug nimmt und andererseits zu dem Ergebnis gelangt, dass die Qualität der betroffenen Arzneimittel nicht garantiert werden könne. Die Ausführungen in dem Gutachten des Ausschusses lassen jedoch klar seine Argumentation erkennen, dass sich die Mängel des Herstellungsverfahrens auf die Qualität der in Rede stehenden Arzneimittel auswirken könnten, dass allein das zugelassene Herstellungsverfahren die Qualität dieser Arzneimittel sicherstellen könne und dass die von Acino Pharma vorgeschlagenen Maßnahmen nicht nachträglich die Einhaltung dieses Herstellungsverfahrens garantieren könnten.

99      Die von Acino Pharma nach der Anhörung vom 17. März 2010 vorgelegten Daten haben an dem verständlichen Zusammenhang zwischen den Feststellungen und den Empfehlungen des Gutachtens des Ausschusses nichts geändert.

100    Was nämlich erstens den von Acino Pharma am 22. März 2010 übermittelten Detailed Risk Assessment Report betrifft, macht die Klägerin geltend, dieser habe auf der Grundlage der Pharmakovigilanzdaten sowie weiterer Testergebnisse der produzierten Chargen gezeigt, dass von den am Standort Visakhapatnam hergestellten Wirkstoffen keine Gefahr für die Gesundheit der Patienten ausgegangen sei. Außerdem sei eine eingehende Gegenprüfung der neu geschriebenen Dokumente vorgenommen worden, die ergeben habe, dass die Daten nicht verändert worden seien.

101    Insoweit bestätigte die EMA gegenüber Acino Pharma mit Schreiben vom 25. März 2010, dass die Angaben vom Ausschuss geprüft, die Schlussfolgerungen des ursprünglichen Gutachtens des Ausschusses aber aufrechterhalten worden seien. Die EMA fügte diesem Schreiben die Beurteilung der von Acino Pharma übermittelten zusätzlichen Unterlagen durch ihren Berichterstatter in Anlage bei. Wie sich aus dieser Anlage ergibt, prüfte der Berichterstatter die von Acino Pharma übermittelten Daten eingehend. Hinsichtlich der Pharmakovigilanzdaten war er der Ansicht, dass sie für die Feststellung potenzieller Qualitätsprobleme nur einen sehr begrenzten Nutzen hätten. Zu den Analysen der betroffenen Chargen stellte er fest, dass Acino Pharma behaupte, es sei zu keinen Unreinheiten gekommen, sich dabei aber nicht auf die Identifizierung von Unreinheiten beziehe, sondern lediglich auf das Vorhandensein anderer Wirkstoffe verweise. Ferner führte er aus, dass er in der Analyse von Acino Pharma Informationen über die toxikologischen Folgen vermisse. Zudem werde die von Acino Pharma für ihre Analyse angewandte Methode nicht angegeben und eine etwaige Kontamination durch weitere Stoffe als die drei anderen Wirkstoffe, die Gegenstand der Tests gewesen seien, sei nicht untersucht worden, so dass eine Kontamination in dieser Hinsicht nicht ausgeschlossen werden könne. Was die Prüfung der neu geschriebenen Dokumente betrifft, wies der Berichterstatter darauf hin, dass sich die Nichteinhaltung der guten Herstellungspraxis in diesem Punkt über mehr als ein Jahr hingezogen habe und es sich daher um keinen Einzelfall, sondern vielmehr um die übliche Vorgehensweise gehandelt habe. Die Prüfung neu geschriebener Dokumente könne eine Manipulation von Dokumenten in größerem Maßstab und das Vorhandensein weiterer manipulierter Angaben, die noch unentdeckt seien, nicht ausschließen.

102    Außerdem fügte die EMA ihrem Schreiben vom 25. März 2010 einen Pharmakovigilanzbericht bei, aus dem hervorgeht, dass die von Acino Pharma beigebrachten Daten irrelevant dafür waren, die durch den Verstoß gegen die Regeln der guten Herstellungspraxis verursachten Gefahren auszuschließen, weil die Pharmakovigilanzmaßnahmen insoweit keinen Aufschluss gäben.

103    Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die EMA die von Acino Pharma am 22. März 2010 vorgelegten Daten eingehend und in verständlicher Weise geprüft und dazu Stellung genommen hat.

104    Was zweitens die finale Zusammenstellung der Testergebnisse des Detailed Risk Assessment Report und die Validierung der angewandten Testmethoden sowie das von Acino Pharma am 10. Juni 2010 übermittelte Gutachten vom 28. Mai 2010 zur Risikoeinschätzung einer Verunreinigung von in der Betriebsstätte in Visakhapatnam hergestelltem Clopidogrel mit anderen im gleichen Zeitraum hergestellten Wirkstoffen betrifft, so konnten nach Ansicht der Klägerin damit die Einwände des Ausschusses und des Berichterstatters vom 25. März 2010 widerlegt werden. Die gewählte Nachweisgrenze der drei potenziell verunreinigenden Wirkstoffe, die Gegenstand der Tests gewesen seien, sei nämlich im Rahmen zusätzlicher Analysen validiert worden. Das Gutachten vom 28. Mai 2010 habe sich inhaltlich mit den Einwänden auseinandergesetzt, die der Ausschuss gegen die Aussagekraft der Testergebnisse des Detailed Risk Assessment Report vorgebracht habe. Alle am Standort Visakhapatnam hergestellten Chargen des Wirkstoffs Clopidogrel, die das Haltbarkeitsdatum noch nicht überschritten gehabt hätten, seien auf ihre Verunreinigung mit den drei potenziell relevanten Wirkstoffen untersucht worden, und in keinem Fall sei eine Verunreinigung festgestellt worden. Nach diesem Gutachten habe keine Gefahr für die Gesundheit der Patienten bestanden, was durch eine detaillierte Analyse aller vorliegenden Berichte über gemeldete Nebenwirkungen bestätigt worden sei. Es sei festgestellt worden, dass jede entnommene Probe des Wirkstoffs und jede Charge von Tabletten mit den Vorgaben übereingestimmt habe und somit keine fehlerhafte Konzentration des Wirkstoffs Clopidogrel vorgelegen habe. Außerdem habe mit dem Gutachten vom 28. Mai 2010 belegt werden können, dass keine Gefahr von Nebenwirkungen bestanden habe.

105    Dazu ist festzustellen, dass die EMA in ihrem Schreiben vom 23. Juli 2010 an die Kommission mitteilte, dass sie ihre im ursprünglichen Gutachten des Ausschusses ausgesprochenen Empfehlungen in Bezug auf die Clopidogrel enthaltenden Arzneimittel aufrechterhalte. Sie führte in diesem Schreiben aus, dass die im Schreiben von Acino Pharma vom 10. Juni 2010 enthaltenen Daten keine relevanten neuen Informationen darstellten, die vom Ausschuss nicht bereits berücksichtigt worden seien. Acino Pharma habe keine Rechtfertigungen für die schwerwiegenden Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis gegeben und sei nicht auf den die neuerliche Niederschrift der Dokumente betreffenden kritischen Verstoß gegen die gute Herstellungspraxis eingegangen. Der kritische Mangel könne nicht durch nachträgliche Tests des Arzneimittels ungeschehen gemacht werden. Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit müssten sowohl dem Design als auch dem Endprodukt des Arzneimittels und seinen Bestandteilen innewohnen, um die Wahrscheinlichkeit zu maximieren, dass der Wirkstoff allen Qualitäts- und Designspezifikationen entspreche. Wenn sich bei einer Inspektion erweise, dass qualitätsbezogene Dokumente gefälscht worden seien, sei es ausgeschlossen, noch darauf zu vertrauen oder zu überprüfen, dass alle das Herstellungsverfahren berührenden Variabilitätsquellen identifiziert, kontrolliert und in geeigneter Weise durch entsprechende Prozessmessungen innerhalb der kritischen Grenzen gehalten worden seien. Daher könne es keine Gewissheit geben, dass der endgültige Wirkstoff immer noch seine vorgegebenen Eigenschaften besitze. Es liefe den von den europäischen Behörden und von der europäischen Industrie anerkannten Grundsätzen betreffend die grundlegende Notwendigkeit einer guten Herstellungspraxis für Arzneimittel und ihre Wirkstoffe zuwider, wenn man zuließe, dass ein Arzneimittel, das einen in einem unbekannten und nicht nachverfolgbaren Verfahren hergestellten Wirkstoff enthalte, einem Patienten verabreicht werde, während sein Verunreinigungsprofil und seine physikalischen Eigenschaften verändert sein könnten.

106    Demnach ist, da die EMA die von Acino Pharma am 10. Juni 2010 vorgelegten Daten eingehend geprüft hat, der verständliche Zusammenhang zwischen den Feststellungen und den Empfehlungen des Gutachtens nicht in Frage gestellt. Die EMA hat nämlich in verständlicher Weise unter Bezugnahme auf den kritischen Verstoß und die schwerwiegenden Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis erklärt, dass die Qualität der fraglichen Arzneimittel mangels Nachverfolgbarkeit des Herstellungsverfahrens nicht mehr sichergestellt werden könne. Unter Hinweis insbesondere darauf, dass nicht geprüft werden könne, ob alle das Herstellungsverfahren berührenden Variabilitätsquellen identifiziert worden seien, ist sie nachvollziehbar zu dem Ergebnis gelangt, dass die von Acino Pharma übermittelten Daten nicht ausreichten, um die Qualität der fraglichen Arzneimittel zu gewährleisten.

107    Der Umstand, dass das Schreiben der EMA vom 23. Juli 2010 Acino Pharma nicht übermittelt wurde und diese daher nicht über die Analyse der von ihr am 10. Juni 2010 übermittelten Daten durch die EMA unterrichtet war, kann nur die Pflicht zur Begründung der geprüften endgültigen Beschlüsse betreffen, auf die im Rahmen des fünften Klagegrundes einzugehen sein wird.

108    Das Vorbringen der Klägerin im Zusammenhang mit der behaupteten Rechtswidrigkeit des Gutachtens des Ausschusses ist deshalb zurückzuweisen.

–       Zur Ermessensausübung durch die Kommission

109    Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Kommission habe von ihrem Ermessen keinen Gebrauch gemacht und einen Ermessensfehler begangen.

110    Als Erstes ist, was das Vorbringen der Klägerin betrifft, die Kommission habe ihr Ermessen nicht ausgeübt, sondern nur auf das Gutachten des Ausschusses Bezug genommen, festzustellen, dass die Begründung der geprüften vorläufigen und endgültigen Beschlüsse nicht nur auf dieses Gutachten verweist, sondern auch eigene Erwägungen der Kommission nennt, aus denen erkennbar ist, dass diese ihr Ermessen ausgeübt hat, um in den Art. 116 und 117 der Richtlinie 2001/83 vorgesehene Maßnahmen zu erlassen. In der Tat hat die Kommission im zweiten Erwägungsgrund dieser Beschlüsse ausgeführt, dass sie ein Verfahren nach Art. 20 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 eingeleitet habe, um zu prüfen, ob Maßnahmen zur Sicherung der Qualität der fraglichen Arzneimittel erforderlich seien und ob insbesondere die betreffenden Genehmigungen für das Inverkehrbringen ausgesetzt, geändert oder widerrufen werden sollten. Außerdem heißt es im dritten Erwägungsgrund der geprüften vorläufigen Beschlüsse, dass die wissenschaftliche Beurteilung durch den Ausschuss ergeben habe, dass vorläufige Maßnahmen getroffen werden sollten, um bestimmte Chargen des betreffenden Arzneimittels vom Markt zu nehmen. Im dritten Erwägungsgrund der geprüften endgültigen Beschlüsse hat die Kommission darauf verwiesen, dass die wissenschaftliche Beurteilung durch den Ausschuss ergeben habe, dass die Zulassungen der in Rede stehenden Arzneimittel geändert und bestimmte Chargen dieser Arzneimittel aus der Vertriebskette zurückgerufen werden sollten. Weiter wird im fünften Erwägungsgrund der geprüften endgültigen Beschlüsse festgestellt, dass die Kontrollen der Arzneimittel und/oder ihrer Inhaltsstoffe und die Anforderungen an das Herstellungsverfahren nach der Verordnung Nr. 726/2004 von wesentlicher Bedeutung seien, um die Qualität der in der Union in den Verkehr gebrachten Arzneimittel, ihre angabengemäße qualitative Zusammensetzung und den Schutz der öffentlichen Gesundheit sicherzustellen. Zudem wird im sechsten Erwägungsgrund der geprüften endgültigen Beschlüsse darauf hingewiesen, dass im Zusammenhang mit dem Herstellungsverfahren des in den fraglichen Arzneimitteln verwendeten Wirkstoffs erhebliche Mängel festgestellt worden seien.

111    Auch das Vorbringen der Klägerin, dass die Kommission ihr in Art. 20 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004 vorgesehenes Ermessen nicht ausgeübt habe, indem sie darauf hingewiesen habe, dass sie keine andere Wahl gehabt habe, als die Rücknahme der betroffenen Arzneimittel vom Markt anzuordnen, ist zurückzuweisen. Zwar ermächtigt nämlich diese Bestimmung die Kommission, die erforderlichen vorläufigen Maßnahmen zu treffen, doch ist sie in Verbindung mit Art. 81 Abs. 2 und Art. 20 Abs. 1 Unterabs. 2 dieser Verordnung sowie den Art. 116 und 117 der Richtlinie 2001/83 zu lesen. Nach diesen Bestimmungen hatte die Kommission die Wahl zwischen mehreren Maßnahmen, nämlich zum einen dem Widerruf, der Aussetzung oder der Änderung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Art. 116 dieser Richtlinie und zum anderen der Rücknahme eines Arzneimittels vom Markt und der Untersagung seiner Abgabe gemäß Art. 117 der Richtlinie. Indem die Kommission die Änderung der in Rede stehenden Zulassungen sowie die Rücknahme der betroffenen Arzneimittel vom Markt und die vorläufige und endgültige Untersagung ihres Inverkehrbringens anordnete und diese Maßnahmen dabei nach Art. 117 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 auf den Standort Visakhapatnam und die dort hergestellten Chargen beschränkte, hat sie ihr Ermessen unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ausgeübt (vgl. oben, Randnr. 89).

112    Als Zweites macht die Klägerin geltend, die Kommission habe einen Ermessensfehler begangen. Die Nichteinhaltung der guten Herstellungspraxis müsse nicht zwangsläufig zu behördlichen Maßnahmen führen.

113    Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach gefestigter Rechtsprechung ein Organ, wenn es komplexe Bewertungen vorzunehmen hat, über ein weites Ermessen verfügt, dessen Ausübung einer beschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt, die sich nur darauf erstreckt, ob die fragliche Maßnahme mit einem offensichtlichen Irrtum oder einem Ermessensmissbrauch behaftet ist oder ob die zuständige Behörde die Grenzen ihres Ermessensspielraums offensichtlich überschritten hat (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil Artegodan u. a./Kommission, oben in Randnr. 63 angeführt, Randnr. 201).

114    Hier ist die Kommission vor allem den Empfehlungen gefolgt, die im Gutachten des Ausschusses ausgesprochen wurden, das im Rahmen des Verfahrens vor ihr von entscheidender Bedeutung ist (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil Artegodan u. a./Kommission, oben in Randnr. 63 angeführt, Randnr. 197) und entgegen der Behauptung der Klägerin nicht rechtswidrig war. Außerdem konnte sie berechtigterweise davon ausgehen, dass die Anforderungen an das Herstellungsverfahren von wesentlicher Bedeutung sind, um die Qualität der in der Union in den Verkehr gebrachten Arzneimittel, ihre angabengemäße qualitative Zusammensetzung und den Schutz der öffentlichen Gesundheit sicherzustellen, und dass die bei der Inspektion festgestellten Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis zu erheblichen Mängeln des in Rede stehenden Herstellungsverfahrens führten. In Anbetracht dessen war die Kommission zu der Schlussfolgerung berechtigt, dass zum einen die fraglichen Arzneimittel nicht die angegebene quantitative und qualitative Zusammensetzung aufgewiesen hätten und dass zum anderen eine Voraussetzung für die Erteilung der Herstellungsgenehmigungen nicht erfüllt worden sei. Folglich haftet den geprüften vorläufigen und endgültigen Beschlüssen kein offensichtlicher Ermessensfehler an, und die Kommission hat auch nicht offensichtlich die Grenzen ihres Ermessens überschritten, als sie die in Rede stehenden Genehmigungen für das Inverkehrbringen änderte, die betroffenen Arzneimittel aus dem Verkehr zog und deren Inverkehrbringen vorläufig und endgültig untersagte.

115    Daran ändert auch das weitere Vorbringen der Klägerin in diesem Zusammenhang nichts.

116    Sie behauptet erstens, die geprüften vorläufigen und endgültigen Beschlüsse seien angesichts der Entscheidungspraxis der Kommission rechtswidrig. Ein bloßer Verstoß gegen die Regeln der guten Herstellungspraxis könne nämlich weder für eine Änderung der Genehmigung für das Inverkehrbringen noch für einen Rückruf die Grundlage bilden, wenn in einem anderen Fall ein Rückruf weder automatisch noch überhaupt vorläufig erfolgt sei, obwohl eine Verunreinigung des zugelassenen Arzneimittels positiv festgestellt worden sei. Ein Verstoß gegen die gute Herstellungspraxis belege keine konkrete Verunreinigung des Arzneimittels und schon gar keine konkrete Gefahr für die Gesundheit der Patienten.

117    Dieses Vorbringen, mit dem im Kern eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes gerügt wird, ist aber unzulässig, da es erstmals in der Erwiderung gemacht worden ist. Nach Art. 48 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts können neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Die Klägerin verweist für ihr Vorbringen auf zwei Pressemitteilungen der EMA vom 22. Juli und 18. November 2010, die also vor der Einreichung der Klageschrift am 24. November 2010 datieren, so dass die Voraussetzungen des Art. 48 § 2 der Verfahrensordnung nicht erfüllt sind.

118    Jedenfalls ist das Vorbringen auch als unbegründet zu verwerfen. Die Klägerin hat nämlich nicht rechtlich hinreichend dargetan, weshalb die Konstellationen, die den geprüften vorläufigen und endgültigen Beschlüssen zugrunde liegen, mit den Konstellationen vergleichbar sein sollen, in denen die Kommission zuvor der Ansicht war, dass ein Rückruf der Arzneimittel nicht angezeigt sei. In dem Präzedenzfall, auf den sich die Klägerin bezieht, war nicht gegen die gute Herstellungspraxis verstoßen worden. Dieser Fall betraf die Frage, ob das Nutzen-Risiko-Verhältnis eines Impfstoffs günstig war. Wie der Pressemitteilung der EMA vom 22. Juli 2010 zu entnehmen ist, hatte diese in jenem Fall festzustellen, ob das Nutzen-Risiko-Verhältnis wegen der festgestellten Verunreinigung des betroffenen Impfstoffs nunmehr bei bestimmungsgemäßem Gebrauch als ungünstig anzusehen war. Die Umstände des vorliegenden Falles sind somit ganz anders gelagert und nicht vergleichbar mit denjenigen, unter denen vom Rückruf des fraglichen Impfstoffs abgesehen wurde. Entgegen der Behauptung der Klägerin ist die Behandlung beider Fälle deshalb nicht widersprüchlich.

119    Zweitens ist zum Vorbringen der Klägerin, dass die Leitlinien der EMA zu der ein koordiniertes Verwaltungshandeln erfordernden Verfahrensweise beim Umgang mit schwerwiegenden Verstößen gegen die gute Herstellungspraxis oder bei der Aufhebung/Aussetzung von Eignungszertifikaten („Procedure for dealing with serious GMP non-compliance or voiding/suspension of CEPs thus requiring co-ordinated administrative action“) vorsähen, dass die Nichteinhaltung der Anforderungen der guten Herstellungspraxis nicht zwingend zu behördlichen Maßnahmen führen müsse, darauf hinzuweisen, dass Punkt 6.5.2 dieser Leitlinien auch klarstellt, dass es im Fall eines schwerwiegenden Verstoßes gegen die gute Herstellungspraxis in einem Herstellungsbetrieb, der in einem Drittland belegen ist, notwendig sein kann, die Genehmigung für das Inverkehrbringen dahin zu ändern, dass diese Betriebsstätte aus der Genehmigung gestrichen wird. Desgleichen wird in Punkt 6.8.1 dieser Leitlinien erläutert, dass es im Fall eines schwerwiegenden Verstoßes gegen die gute Herstellungspraxis auch möglich ist, ein Verbot der Abgabe des hergestellten Arzneimittels auszusprechen.

120    Was drittens die Maßgeblichkeit der Empfehlung der Regierung von Oberbayern betrifft, die einen Rückruf der ausgelieferten Chargen nicht für erforderlich hielt, weil nicht erwiesen sei, dass die betreffenden Produkte für die Patienten schädlich seien (vgl. oben, Randnr. 3), so muss zwar nach Punkt 6.8.1 der vorstehend in Randnr. 119 genannten Leitlinien der EMA die Überwachungsbehörde, hier die Regierung von Oberbayern, auf der Grundlage der im Inspektionsbericht enthaltenen Information neben anderen Vorgehensweisen entscheiden, ob sie das Verbot der Abgabe der betroffenen Arzneimittel empfiehlt. Nach Art. 20 Abs. 3 der Verordnung Nr. 726/2004 kommt es jedoch der Kommission zu, auf der Grundlage der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu entscheiden, welche Maßnahmen zu treffen sind.

121    Viertens ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, dass das Verwaltungsgericht Köln in seinem Urteil vom 9. Oktober 2012 (vgl. oben, Randnr. 17) in einem ähnlichen Fall die Rechtswidrigkeit von Maßnahmen betreffend Arzneimittel, die in Visakhapatnam hergestellte Wirkstoffe enthalten hätten, festgestellt habe. Abgesehen davon, dass jenes Urteil das Gericht nicht bindet, ging es nämlich in der Rechtssache, in der es erging, nicht um gemäß der Verordnung Nr. 726/2004 erteilte zentralisierte Zulassungen, sondern um von einer deutschen Behörde erteilte nationale Zulassungen. Außerdem ergibt sich aus jenem Urteil, dass das Verwaltungsgericht Köln der Ansicht war, dass angesichts der Schlussfolgerungen der Regierung von Oberbayern nicht ansatzweise Anhaltspunkte für eine Qualitätsminderung der Arzneimittel, die in Visakhapatnam hergestellte Wirkstoffe enthalten hätten, bestanden hätten und dass trotz der Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis Qualitätsmängel nicht belegbar seien. Es ist aber zum einen darauf hinzuweisen, dass die Kommission im vorliegenden Fall den Beweisanforderungen nachgekommen ist, die nicht verlangen, dass die in den Art. 116 und 117 der Richtlinie 2001/83 genannten Voraussetzungen mit wissenschaftlicher Gewissheit nachgewiesen werden (vgl. oben, Randnrn. 79 bis 81). Zum anderen ist festzustellen, dass aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln (vgl. oben, Randnr. 17) hervorgeht, dass in der bei diesem anhängigen Rechtssache dem von Acino Pharma vorgelegten Detailed Risk Assessment Report inhaltlich nicht entgegengetreten wurde. In der vorliegenden Rechtssache folgt dagegen aus den oben in den Randnrn. 93 bis 106 gemachten Ausführungen, dass der verständliche Zusammenhang zwischen den Feststellungen und den Empfehlungen des Gutachtens des Ausschusses durch die von Acino Pharma vorgelegten Daten nicht in Frage gestellt worden ist.

122    Demnach ist das Vorbringen der Klägerin, die Kommission habe einen Ermessensfehler begangen, wie der vierte Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.

 Zum fünften Klagegrund: Verstoß gegen die Begründungspflicht

123    Die Klägerin macht im Wesentlichen geltend, die Kommission habe ihre Pflicht verletzt, die für den Erlass der geprüften vorläufigen und endgültigen Beschlüsse maßgeblichen Gründe genau anzugeben. Der bloße Verweis auf das wissenschaftliche Gutachten des Ausschusses könne nicht genügen, wenn die Kommission über ein Ermessen verfüge. Anhand der Begründung der in Rede stehenden Beschlüsse lasse sich weder feststellen, welche Rechtsgrundlagen herangezogen worden seien, noch die Verknüpfung zwischen dem Verstoß gegen die gute Herstellungspraxis und den angeordneten Maßnahmen erklären. Insbesondere sei das Schreiben der EMA vom 23. Juli 2010 Acino Pharma nicht übermittelt worden, und diese sei daher nicht über die Analyse der von ihr am 10. Juni 2010 übermittelten Daten durch die EMA unterrichtet gewesen. Es bleibe im Dunkeln, ob und wie die Kommission ihr Ermessen ausgeübt habe.

124    Dazu ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die nach Art. 296 Abs. 2 AEUV vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand des Wortlauts des Rechtsakts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. Urteil des Gerichtshofs vom 1. Juli 2008, Chronopost und La Poste/UFEX u. a., C‑341/06 P und C‑342/06 P, Slg. 2008, I‑4777, Randnr. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).

125    Außerdem ist nach Art. 81 Abs. 1 der Verordnung Nr. 726/2004, der die allgemeine Begründungspflicht des Art. 296 Abs. 2 AEUV ausdrücklich aufgreift, jede Entscheidung zur Erteilung, Versagung, Änderung, Aussetzung, Rücknahme oder zum Widerruf einer Genehmigung für das Inverkehrbringen, die aufgrund dieser Verordnung getroffen wird, eingehend zu begründen.

126    Hier ist erstens festzustellen, dass die geprüften vorläufigen und endgültigen Beschlüsse als Rechtsgrundlage Art. 20 Abs. 3 Unterabs. 1 bzw. Art. 20 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 nennen.

127    Zweitens ergibt sich aus Art. 1 Abs. 1 und dem dritten Erwägungsgrund dieser Beschlüsse sowie dem sechsten Erwägungsgrund der geprüften endgültigen Beschlüsse, dass die Änderung der betreffenden Zulassungen sowie der Rückruf der fraglichen Arzneimittel aus der Vertriebskette und das vorläufige und endgültige Verbot ihres Inverkehrbringens auf der Grundlage der wissenschaftlichen Schlussfolgerungen des Ausschusses angeordnet wurden. Außerdem hat die Kommission im fünften Erwägungsgrund der geprüften endgültigen Beschlüsse ausgeführt, dass die Kontrollen der Arzneimittel und/oder ihrer Inhaltsstoffe und die Anforderungen an das Herstellungsverfahren nach der Verordnung Nr. 726/2004 von wesentlicher Bedeutung seien, um die Qualität der in der Union in den Verkehr gebrachten Arzneimittel, ihre angabengemäße qualitative Zusammensetzung und den Schutz der öffentlichen Gesundheit sicherzustellen. Zudem wird im sechsten Erwägungsgrund der geprüften endgültigen Beschlüsse darauf hingewiesen, dass im Zusammenhang mit dem Herstellungsverfahren des in den fraglichen Arzneimitteln verwendeten Wirkstoffs erhebliche Mängel festgestellt worden seien.

128    Im Kontext der den geprüften vorläufigen und endgültigen Beschlüssen beigefügten wissenschaftlichen Schlussfolgerungen des Ausschusses, nach denen die Änderung der betreffenden Zulassungen und die Rücknahme der betroffenen Arzneimittelchargen vom Markt im Hinblick darauf empfohlen wurden, dass die Qualität dieser Arzneimittel aufgrund der Nichteinhaltung der guten Herstellungspraxis nicht sichergestellt sei, konnte Acino Pharma in rechtlich hinreichender Weise nachvollziehen, dass die Kommission die in Rede stehenden Maßnahmen erlassen hatte, weil aufgrund der erheblichen Mängel, an denen das Herstellungsverfahren wegen des kritischen Verstoßes und der schwerwiegenden Verstöße gegen die gute Herstellungspraxis litt, die Qualität der Arzneimittel nicht sichergestellt war.

129    Auch wenn die geprüften vorläufigen und endgültigen Beschlüsse die Art. 116 und 117 der Richtlinie 2001/83 nicht erwähnen, so verweist Art. 20 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004 doch auf die in Titel XI, also den Art. 111 bis 119, dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen in Bezug auf ein Arzneimittel. Außerdem bestimmt Art. 81 Abs. 2 der Verordnung Nr. 726/2004, dass eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines unter diese Verordnung fallenden Arzneimittels nur entsprechend den in der Verordnung festgelegten Gründen und Verfahren geändert werden kann. In Anbetracht dessen war somit rechtlich hinreichend verständlich, dass die Änderung der in Rede stehenden Zulassungen, die Rücknahme der betroffenen Arzneimittel vom Markt und das vorläufige und endgültige Verbot ihres Inverkehrbringens auf die Art. 116 und 117 der Richtlinie 2001/83 gestützt wurden. Im Übrigen hat Acino Pharma in der Klageschrift auf diese Bestimmungen auch Bezug genommen.

130    Was insbesondere den Umstand anbelangt, dass das Schreiben der EMA vom 23. Juli 2010 Acino Pharma nicht übermittelt wurde und diese daher nicht über die Analyse der von ihr am 10. Juni 2010 übermittelten Daten durch die EMA unterrichtet war, ist darauf hinzuweisen, dass nach gefestigter Rechtsprechung ein Rechtsakt hinreichend begründet ist, wenn er in einem Zusammenhang ergangen ist, der dem Betroffenen bekannt war und ihm gestattet, die Tragweite der ihm gegenüber getroffenen Maßnahme zu verstehen (vgl. Urteil des Gerichts vom 14. Oktober 2009, Bank Melli Iran/Rat, T‑390/08, Slg. 2009, II‑3967, Randnr. 82 und die dort angeführte Rechtsprechung). Da dies hier der Fall ist, weil Acino Pharma von dem Gutachten des Ausschusses sowie der Stellungnahme der EMA in deren Schreiben vom 25. März 2010 Kenntnis hatte und ihr am 2. Juli 2010 von der Kommission mitgeteilt worden war, dass der Inhalt ihres Schreibens vom 10. Juni 2010 vor Erlass einer endgültigen Entscheidung eingehend geprüft werde, hat die Kommission die ihr obliegende Begründungspflicht nicht verletzt.

131    Dieser Klagegrund ist somit zurückzuweisen.

132    Nach alledem hat sich die Klage, soweit sie gegen die Beschlüsse K(2010) 2204 und K(2010) 2208 vom 29. März 2010 sowie K(2010) 6429 und K(2010) 6436 vom 16. September 2010 gerichtet ist, in der Hauptsache erledigt und ist im Übrigen als unbegründet abzuweisen.

 Kosten

133    Nach Art. 87 § 2 Abs. 1 und § 6 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen und entscheidet das Gericht, wenn es die Hauptsache für erledigt erklärt, über die Kosten nach freiem Ermessen.

134    Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Gleiches muss in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falles hinsichtlich der Erledigung der Hauptsache gelten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Siebte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage hat sich in der Hauptsache erledigt, soweit sie gegen die Beschlüsse K(2010) 2204 und K(2010) 2208 der Kommission vom 29. März 2010 und gegen die Beschlüsse K(2010) 6429 und K(2010) 6436 der Kommission vom 16. September 2010 gerichtet ist.

2.      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3.      Die Acino AG trägt die Kosten.

Dittrich

Wiszniewska-Białecka

Prek

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 7. März 2013.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.