Language of document : ECLI:EU:C:2023:885


SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

NICHOLAS EMILIOU

vom 16. November 2023(1)

Rechtssache C316/22

Gabel Industria Tessile SpA,

Canavesi SpA

gegen

A2A Energia SpA,

Energit SpA,

Agenzia delle Dogane e dei Monopoli,

Beteiligte:

Agenzia delle Dogane e dei Monopoli

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale di Como [Gericht Como, Italien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 288 AEUV – Unmittelbare Wirkung von Richtlinien – Unmittelbare horizontale Wirkung – Unmittelbare vertikale Wirkung – Kriterien des Urteils Foster – Dem Staat zuzurechnende Einrichtungen – Richtlinie 2008/118/EWG – Energieversorger – Erstattung von unter Verstoß gegen das Unionsrecht gezahlten Abgaben – Verfahrensautonomie – Grundsatz der Effektivität“






I.      Einleitung

1.        Es gibt nur wenige Themen, die Generationen von Anwälten in der Europäischen Union so sehr fasziniert haben wie die unmittelbare Wirkung von Richtlinien. Diese Thematik ist seit den 1960er Jahren(2) bis heute(3) Gegenstand langer Debatten (und, in gewissem Maße, großer Kontroversen), sowohl innerhalb der Organe der Europäischen Union als auch in akademischen Foren.

2.        Eine Reihe von Generalanwälten hat dem Gerichtshof in der Vergangenheit geraten, nicht nur die vertikale, sondern auch die unmittelbare horizontale Wirkung von nicht umgesetzten Richtlinien anzuerkennen(4) und damit die Unionsrechtsordnung (zumindest teilweise) von dem, was bekanntermaßen als eine „Kinderkrankheit“ des Unionsrechts beschrieben worden ist(5), zu „heilen“. Gleichwohl hat sich die diesbezügliche Rechtsprechung des Gerichtshofs praktisch nicht verändert. Seit den Urteilen in den Rechtssachen Marshall und Faccini Dori hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgeführt, dass eine Richtlinie nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen kann und daher einem Einzelnen gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche nicht möglich ist(6).

3.        Zugleich hat der Gerichtshof jedoch versucht, die nachteiligen Auswirkungen, die das Fehlen einer unmittelbaren horizontalen Wirkung von Richtlinien auf Einzelne haben kann, auf verschiedene Weise abzumildern. Insbesondere hat der Gerichtshof i) eine weitreichende Verpflichtung der nationalen Gerichte und anderer Träger öffentlicher Gewalt eingeführt, das innerstaatliche Recht so weit wie möglich im Einklang mit den Bestimmungen nicht umgesetzter Richtlinien auszulegen(7), ii) den Begriff des Mitgliedstaats und der diesem zuzurechnenden Stellen weit ausgelegt, um eine Vielzahl von Organisationen und Einrichtungen zu erfassen, die auf diese Weise zu berücksichtigen sind(8), iii) eine unmittelbare Wirkung in bestimmten, besonders gelagerten Dreieckskonstellationen angenommen, die zwei private Beteiligte und einen öffentlichen Beteiligten betrafen(9), iv) die unmittelbare Wirkung bestimmter Vorschriften der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und bestimmter allgemeiner Rechtsgrundsätze, die in den Bestimmungen einer Richtlinie zum Ausdruck kommen können, anerkannt(10) und v) die Schwelle für eine erfolgreiche Schadensersatzklage gegen Mitgliedstaaten gesenkt, die Richtlinien nicht umgesetzt haben(11).

4.        Die vorliegende Rechtsasche bietet dem Gerichtshof die Gelegenheit, sich mit dem Stand des Rechts auf diesem Gebiet allgemein auseinanderzusetzen und bestimmte Aspekte seiner Rechtsprechung näher zu beleuchten.

II.    Rechtlicher Rahmen

A.      Unionsrecht

5.        Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12/EWG(12), die zum maßgeblichen Zeitpunkt galt(13), sah vor:

„Die Mitgliedstaaten können für besondere Zwecke auf verbrauchsteuerpflichtige Waren andere indirekte Steuern [als die Verbrauchsteuern] erheben, sofern diese Steuern in Bezug auf die Bestimmung der Bemessungsgrundlage, die Berechnung der Steuer, die Entstehung des Steueranspruchs und die steuerliche Überwachung mit den [unionsrechtlichen] Vorschriften für die Verbrauchsteuer oder die Mehrwertsteuer vereinbar sind, wobei die Bestimmungen über die Steuerbefreiungen ausgenommen sind.“

B.      Nationales Recht

6.        Art. 5 des Decreto Legislativo 2 febbraio 2007, n. 26, Attuazione della direttiva 2003/96/CE che ristruttura il quadro comunitario per la tassazione dei prodotti energetici e dell’elettricità (Gesetzvertretendes Dekret Nr. 26 vom 2. Februar 2007 – Umsetzung der Richtlinie 2003/96/EG zur Restrukturierung der gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften zur Besteuerung von Energieerzeugnissen und elektrischem Strom)(14) änderte Art. 6 des Decreto Legge 28 novembre 1988, n. 511, Disposizioni urgenti in materia di finanza regionale e locale (Gesetzesdekret Nr. 511 vom 28. November 1988 – Sofortmaßnahmen für das regionale und örtliche Finanzwesen)(15), durch die Einführung einer zusätzlichen Provinzialabgabe auf die Verbrauchsteuer für elektrischen Strom (im Folgenden: Zuschlag).

7.        Nach Art. 2 des Decreto Legislativo 14 marzo 2011, n. 23, Disposizioni in materia di federalismo fiscale municipale (Gesetzvertretendes Dekret Nr. 23 vom 14. März 2011 – Bestimmungen über den lokalen Steuerföderalismus)(16) wurde der Zuschlag ab dem Jahr 2012 in den Regionen mit Normalstatut nicht mehr erhoben. Später wurde der Zuschlag durch Art. 4 des Decreto Legge 2 marzo 2012, n. 16, Disposizioni urgenti in materia di semplificazioni tributarie, di efficientamento e potenziamento delle procedure di accertamento (Gesetzesdekret Nr. 16 vom 2. März 2012 – Sofortmaßnahmen zur Steuervereinfachung sowie zur Steigerung der Effizienz und zur Verstärkung der Kontrollverfahren)(17) mit Wirkung vom 1. April 2012 vollständig abgeschafft.

8.        Art. 14 des Decreto Legislativo 26 ottobre 1995, n. 504, Testo Unico Accise (Gesetzvertretendes Dekret Nr. 504 vom 26. Oktober 1995 – Einheitstext über die Verbrauchsteuern)(18) bestimmt in Abs. 1: „Die Verbrauchsteuer wird erstattet, wenn sie rechtsgrundlos entrichtet wurde“, in Abs. 2: „[die] Erstattung [ist] innerhalb einer Ausschlussfrist von zwei Jahren ab dem Tag der Zahlung oder dem Zeitpunkt, zu dem das entsprechende Recht ausgeübt werden kann, zu beantragen“, und in Abs. 4: „Wenn der Schuldner der Verbrauchsteuer am Ende eines gerichtlichen Verfahrens verurteilt wird, Dritten im Wege der Überwälzung der Verbrauchsteuer zu Unrecht vereinnahmte Beträge zurückzuerstatten, ist die Erstattung vom Schuldner der Verbrauchsteuer innerhalb einer Ausschlussfrist von 90 Tagen nach Rechtskraft des Urteils, mit dem er zur Erstattung der Beträge verpflichtet wird, zu beantragen“.

III. Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

9.        Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens (Gabel Industria Tessile S.p.A und Canavesi S.p.A) sind beide Gesellschaften, die individuell mit einer der Beklagten (A2A Energia S.p.A. bzw. Energit S.p.A.) einen Vertrag über die Lieferung von Strom an ihren Produktionsstandort geschlossen und die geschuldete Gegenleistung einschließlich der im Zeitraum 2010-2011 als Zuschlag erhobenen Beträge gezahlt haben.

10.      Im Jahr 2020 erhoben die Klägerinnen beim Tribunale di Como (Gericht Como, Italien) gegen die Beklagten Klage auf Rückerstattung der als Zuschlag gezahlten Beträge wegen Unionsrechtswidrigkeit der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, mit denen dieser Zuschlag eingeführt worden war.

11.      Das Tribunale di Como (Gericht Como) führt aus, dass die Corte Suprema di Cassazione (Kassationsgerichtshof, Italien) im Anschluss an die Urteile des Gerichtshofs in den Rechtssachen Undis Servizi und Messer France(19) entschieden habe, dass der Zuschlag gegen Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118 verstoße.

12.      Der Ausgangsrechtsstreit sei Teil einer Reihe von Streitigkeiten über das Schicksal der Beträge, die in der Zeit zwischen der den Mitgliedstaaten eingeräumten Frist zur Umsetzung der Richtlinie 2008/118 und dem Zeitpunkt, in dem der italienische Gesetzgeber die Beendigung der Erhebung des Zuschlags beschlossen habe, rechtsgrundlos gezahlt worden seien. Die italienischen Gerichte der unteren Instanzen verfolgten dabei zwei unterschiedliche Ansätze.

13.      Nach dem ersten Ansatz seien die Klagen abzuweisen, da die Nichtanwendung der maßgeblichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften aufgrund des Umstands, dass es sich bei den Beklagten um Gesellschaften des Privatrechts handle, der Anerkennung einer unmittelbaren horizontalen Wirkung der Bestimmungen der Richtlinie 2008/118 gleichkäme. Mit der Nichtanwendung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften würde eine zusätzliche Verpflichtung privater Beteiligter begründet, nämlich die Erstattung der als rechtswidrige Abgaben eingezogenen Beträge an den Endverbraucher. Nach dem zweiten Ansatz hingegen sei den Klagen stattzugeben, da die nationalen Gerichte – wenn ich es richtig verstehe – nach dem Grundsatz der Effektivität verpflichtet sein könnten, die Bestimmungen einer nicht umgesetzten Richtlinie sogar in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen anzuwenden.

14.      Da das Tribunale di Como (Gericht Como) Zweifel im Hinblick auf die Auslegung der maßgeblichen Grundsätze und Bestimmungen des Unionsrechts hat, hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.      Stehen das System der Rechtsquellen der Europäischen Union und insbesondere Art. 288 Abs. 3 AEUV generell der Nichtanwendung einer innerstaatlichen Rechtsvorschrift, die gegen eine klare, genaue und unbedingte Bestimmung einer nicht umgesetzten oder nicht ordnungsgemäß umgesetzten Richtlinie verstößt, durch das nationale Gericht in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen mit der Folge, dass einem Einzelnen eine zusätzliche Verpflichtung auferlegt wird, entgegen, wenn dies nach dem nationalen Rechtssystem die Voraussetzung dafür ist, dass er die ihm durch diese Richtlinie gewährten Ansprüche gegen den Staat geltend machen kann?

2.      Steht der Grundsatz der Effektivität einer nationalen Regelung entgegen, wonach der Endverbraucher seinen Antrag auf Erstattung der nicht geschuldeten Abgabe nicht unmittelbar an den Staat richten kann, sondern ihm lediglich die Möglichkeit eingeräumt wird, eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung gegen den Abgabenpflichtigen, der allein Anspruch auf Erstattung durch die Steuerverwaltung hat, zu erheben, wenn der alleinige Grund für die Rechtswidrigkeit der Abgabe – nämlich der Verstoß gegen eine [Unions] Richtlinie – ausschließlich im Verhältnis zwischen dem Abgabenschuldner und der Steuerverwaltung geltend gemacht werden kann, nicht aber in jenem zwischen Ersterem und dem Endverbraucher, wodurch verhindert wird, dass die Erstattung tatsächlich greift, oder ist, um die Beachtung des genannten Grundsatzes sicherzustellen, in einem solchen Fall ein unmittelbarer Anspruch des Endverbrauchers gegen den Fiskus als Fall der Unmöglichkeit oder übermäßigen Schwierigkeit, vom Lieferer die Erstattung der rechtsgrundlos gezahlten Abgabe zu erwirken, anzuerkennen?

15.      Am 17. Mai 2023 richtete der Gerichtshof ein Auskunftsersuchen an das vorlegende Gericht, das die nationalen Verfahren zur Erstattung nicht geschuldeter Abgaben betraf und mit Schreiben vom 31. Mai 2023 beantwortet wurde.

16.      Die spanische Regierung und die Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht und sich auch in der mündlichen Verhandlung vom 13. September 2023 geäußert.

IV.    Würdigung

A.      Zur ersten Frage: horizontale und vertikale Wirkung von Richtlinien

17.      Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob das Unionsrecht dem entgegensteht, dass ein nationales Gericht in einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen eine innerstaatliche Rechtsvorschrift, die gegen eine klare, genaue und unbedingte Bestimmung einer nicht umgesetzten Richtlinie verstößt, nicht anwendet, auch wenn die Nichtanwendung erforderlich wäre, damit der Kläger seine ihm durch diese Richtlinie gewährten Ansprüche geltend machen kann.

18.      Wörtlich genommen wäre diese Frage – aus den im Folgenden dargelegten Gründen – recht einfach zu beantworten. Aus dem Vorabentscheidungsersuchen geht jedoch hervor, dass es dem vorlegenden Gericht darum ging, eine Reihe von Problemen anzuschneiden, die die unmittelbare Wirkung von Richtlinien betreffen und über den reinen Wortlaut der Frage hinausgehen. In den folgenden Abschnitten werde ich daher versuchen, all diese Fragestellungen zu erörtern.

1.      Unmittelbare horizontale Wirkung von Richtlinien nach Unionsrecht und nationalem Recht

19.      Zunächst werde ich das Problem erörtern, das die erste Frage ausdrücklich aufwirft: Darf ein nationales Gericht die Bestimmungen einer nicht umgesetzten Richtlinie in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen anwenden?

20.      Der Gerichtshof hat in einem unlängst ergangenen Urteil, das die Bestimmungen einer nicht umgesetzten Richtlinie betraf, zunächst bestätigt, dass „ein nationales Gericht nicht allein aufgrund des Unionsrechts verpflichtet ist, eine Bestimmung seines nationalen Rechts, die mit einer Bestimmung des Unionsrechts in Widerspruch steht, unangewendet zu lassen, wenn die letztgenannte Bestimmung keine unmittelbare Wirkung hat“. Sodann hat der Gerichtshof zu diesem Grundsatz ausgeführt: „Davon unbeschadet kann dieses Gericht sowie jede zuständige nationale Verwaltungsbehörde die Anwendung jeder Bestimmung des nationalen Rechts, die gegen eine Bestimmung des Unionsrechts ohne unmittelbare Wirkung verstößt, aufgrund des innerstaatlichen Rechts ausschließen“(20).

21.      Vereinfacht bedeutet dies, dass das Unionsrecht es den nationalen Gerichten nicht gebietet, innerstaatliche Rechtsvorschriften, die gegen Bestimmungen des Unionsrechts ohne unmittelbare Wirkung verstoßen, in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen unangewendet zu lassen, dass es der Nichtanwendung aber auch nicht entgegensteht, wenn das nationale Recht dies vorsieht. Mit anderen Worten können die nationalen Gerichte Richtlinien auf der Grundlage des nationalen Rechts eine unmittelbare horizontale Wirkung verleihen.

22.      Die spanische Regierung hat diesen Standpunkt in der mündlichen Verhandlung mit der Begründung abgelehnt, dass hierdurch eine Form der Ungleichheit zwischen den Einzelnen eingeführt würde.

23.      Ich bin jedoch der Ansicht, dass das Gegenteil zutrifft. Wenn überhaupt, werden Situationen der Ungleichheit durch die Nichtumsetzung von Richtlinien geschaffen: erstens auf Unionsebene, da die Einzelnen von den ihnen durch das Unionsrecht verliehenen Rechten Gebrauch machen können oder nicht, in Abhängigkeit z. B. davon, in welchem Mitgliedstaat sie leben oder arbeiten, und zweitens auf nationaler Ebene zwischen Einzelnen, die ihre Rechte geltend machen können, weil sie gegen öffentliche Einrichtungen vorgehen, und Einzelnen, die, obwohl sie sich auf dieselben Unionsvorschriften berufen, ihre Rechte nicht geltend machen können, weil sie gegen private Einrichtungen vorgehen. Daher würde die horizontale Anwendung nicht umgesetzter Richtlinien – sofern sie nach nationalem Recht zulässig wäre – eine Quelle ungerechtfertigter Differenzierung beseitigen(21). Allgemeiner würde dies auch die praktische Wirksamkeit (effet utile) der betreffenden Richtlinien erhöhen.

24.      Tatsächlich kann ich keinen plausiblen Grund erkennen, aus dem das Unionsrecht dahin auszulegen sein sollte, dass es die innerstaatliche Rechtsordnung eines Mitgliedstaats daran hindert, eine umfassendere und wirksamere Anwendung von Unionsvorschriften zu verfolgen, die ohne die eigene Untätigkeit dieses Mitgliedstaats allgemeine Geltung gehabt hätten(22).

25.      Könnte ein nationales Gericht Richtlinien auf der Grundlage des nationalen Rechts jedoch keine unmittelbare horizontale Wirkung zusprechen, wäre es – wie bereits dargelegt – nach dem Unionsrecht nicht verpflichtet, dies zu tun. Das wirft die folgende Frage auf: Sollte der Gerichtshof seine zu diesem Bereich ergangene Rechtsprechung überdenken?

2.      Zur Grundregel: keine zwingende unmittelbare horizontale Wirkung von Richtlinien

26.      Meines Erachtens wäre es von geringem Wert, zu erörtern, ob der Gerichtshof seine Rechtsprechung zu dieser Frage überdenken sollte.

27.      Es steht außer Zweifel, dass sich gute Argumente (und Gegenargumente) sowohl für als auch gegen die Anerkennung der unmittelbaren horizontalen Wirkung von Richtlinien finden lassen. Jedoch kann man trotz der Komplexität des Themas – die für eine Lösung eine lange rechtliche Prüfung erfordern würde – leicht den Eindruck gewinnen, dass alles, was zu sagen ist, bereits gesagt worden ist(23).

28.      Meines Erachtens genügt der Hinweis, dass ich einerseits die Stichhaltigkeit der von früheren Generalanwälten gegen den „Ausnahmecharakter“ von Richtlinien vorgetragenen Argumente anerkenne. Sie waren der Auffassung, dass es triftige Gründe grundsätzlicher Art dafür gebe, Richtlinien ohne Unterscheidung nach der Stellung des Beklagten unmittelbare Wirkung beizumessen. Nach Ansicht dieser Generalanwälte würde dies u. a. i) die zahlreichen Ungereimtheiten beseitigen, die sich aus der schrittweisen Entwicklung der Rechtsprechung auf diesem Gebiet ergeben haben, ii) nationale Gerichte davon abhalten, auf zweifelhafte Auslegungen des nationalen Rechts zurückzugreifen, um Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht herzustellen, iii) den Anspruch des Einzelnen auf die Gewährung eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes stärken und, allgemeiner, die Wirksamkeit des Unionsrechts erhöhen sowie iv) eine Ungleichbehandlung verschiedener Einzelner verhindern und gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen öffentlichen und privaten Unternehmen gewährleisten(24).

29.      Andererseits muss ich jedoch einräumen, dass es mehrere Argumente gibt, die gegen die Anerkennung der unmittelbaren horizontalen Wirkung von Richtlinien sprechen. Art. 288 AEUV unterscheidet eindeutig zwischen den verschiedenen dort genannten Rechtsinstrumenten. Im Gegensatz zu Verordnungen, die als „in allen ihren Teilen verbindlich und … unmittelbar in jedem Mitgliedstaat [geltend]“ beschrieben werden, sollen Richtlinien „für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet [werden], hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich [sein], … jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel [überlassen]“. Ich verstehe die Rechtsprechung des Gerichtshofs daher als im Wesentlichen darauf gerichtet, die besonderen Eigenschaften(25) und die verfassungsrechtliche Bedeutung(26) dieser Art der Gesetzgebung, die das „föderalistische“ Element der Unionsrechtsordnung widerspiegelt(27), zu bewahren.

30.      Es trifft zu, dass die Unionsrechtsordnung im Jahr 2023 eine ganz andere ist als diejenige, im Hinblick auf die der Gerichtshof seine Urteile in den Rechtssachen Marshall und Faccini Dori erlassen hat(28). Die Verträge von Amsterdam, von Nizza und insbesondere von Lissabon haben die institutionelle und verfassungsrechtliche Landschaft des Unionsrechts nämlich erheblich verändert. Dennoch stützen die Änderungen des (jetzigen) Art. 288 AEUV – in Anbetracht der spezifischen Diskussionen, die während des Konvents zur Zukunft Europas in den Jahren 2002 und 2003(29) und der folgenden Regierungskonferenzen(30) stattgefunden haben – meines Erachtens nicht den Gedanken, dass die Verfasser der Verträge den grundsätzlichen Unterschied zwischen Verordnungen und Richtlinien ändern wollten.

31.      Im Licht der jüngsten Rechtsprechung – einschließlich der Rechtsprechung der Großen Kammer – zu diesem Punkt(31) bezweifle ich daher, dass der Gerichtshof geneigt wäre, seine ständige Rechtsprechung zu dieser Frage zu überdenken, geschweige denn, sie zu ändern. Vorerst liegt – um einen aus dem Bereich des Tennis stammenden Ausdruck zu verwenden – der Ball meiner Ansicht nach im Feld der Mitgliedstaaten: Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu diesem Punkt ist eindeutig und den Mitgliedstaaten bekannt, und sollten sie die Situation als unbefriedigend erachten, können sie dies beheben, indem sie die Verträge ändern(32).

32.      Allerdings wäre die Tatsache, dass das Unionsrecht den nationalen Gerichten nicht gebietet, die unmittelbare horizontale Wirkung von Richtlinien anzuerkennen, für das Ausgangsverfahren unerheblich, wenn man davon ausginge, dass die Streitigkeiten einen privaten Beteiligten (den Verbraucher) und eine Einrichtung beträfen, die dem Staat zuzurechnen ist (den Anbieter). Auch wenn diese Frage vom vorlegenden Gericht nicht ausdrücklich angesprochen worden ist, wurde sie doch im Verlauf des Verfahrens vor dem Gerichtshof erörtert.

3.      Unmittelbare vertikale Wirkung und der Begriff „Mitgliedstaat“

33.      Seit den Urteilen in den Rechtssachen Van Duyn und Ratti(33) hat der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass es mit der den Richtlinien durch (den jetzigen) Art. 288 AEUV zuerkannten verbindlichen Wirkung unvereinbar wäre, auszuschließen, dass sich die Einzelnen auf Verpflichtungen berufen können, die den Mitgliedstaaten durch Richtlinien auferlegt werden. Insbesondere hat der Gerichtshof entschieden, dass die Mitgliedstaaten keinen Nutzen aus ihrer eigenen Unterlassung der Umsetzung einer Richtlinie ziehen dürfen(34). Dies hat zur Folge, dass sich die Einzelnen – zur Stützung ihrer Forderungen oder zu ihrer Verteidigung – im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten mit den Behörden des Mitgliedstaats, der die Umsetzung unterlassen hat, auf klare, genaue und unbedingte Bestimmungen nicht umgesetzter Richtlinien berufen können (unmittelbare vertikale Wirkung).

34.      Im Lauf der Jahre hat der Gerichtshof klargestellt, dass das Vorstehende unabhängig davon gilt, in welcher Eigenschaft (als Arbeitgeber oder als Hoheitsträger) die Behörde konkret handelt und ob diese für das Versäumnis des Mitgliedstaats, die betreffende Richtlinie umzusetzen, tatsächlich verantwortlich ist(35).

35.      Noch wichtiger ist im vorliegenden Fall, dass der Gerichtshof in diesem Zusammenhang eine weite Definition des Begriffs „Mitgliedstaat“ vertreten hat. Nach gefestigter Rechtsprechung können sich die Einzelnen auf unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie gegenüber Organisationen und Einrichtungen berufen, die dem Staat gleichzustellen sind, „entweder weil sie juristische Personen des öffentlichen Rechts sind, die zum Staat im weiteren Sinne gehören“, oder, wenn es sich um Organisationen und Einrichtungen des Privatrechts handelt, weil „sie einer öffentlichen Stelle oder deren Aufsicht unterstehen“ oder, alternativ, weil „sie von einer solchen Stelle mit der Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe betraut sind und hierzu mit [einigen] besonderen Rechten ausgestattet wurden“ (im Folgenden: Kriterien des Urteils Foster)(36).

36.      Im vorliegenden Fall geht aus den Akten hervor, dass die Beklagten des Ausgangsverfahrens keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind. Ob sie von einer der beiden anderen Alternativen erfasst sind, die Einrichtungen des Privatrechts betreffen, ist jedoch vom vorlegenden Gericht zu prüfen(37). Das gilt nicht nur deshalb, weil der Gerichtshof nicht über alle Angaben verfügt, die für eine solche Beurteilung erforderlich sind, sondern, grundsätzlicher, auch, weil es für eine richtige Beurteilung erforderlich sein kann, Bestimmungen oder Grundsätze des nationalen Rechts auszulegen.

37.      Um dem vorlegenden Gericht zu helfen, möchte ich ergänzend einige kurze Ausführungen zur Art der Prüfung machen, die dieses Gericht durchzuführen hat.

38.      Grundsätzlich stimme ich mit der spanischen Regierung darin überein, dass die Feststellung, ob eine bestimmte Einrichtung die Kriterien des Urteils Foster erfüllt, in der Regel eine einzelfallbezogene Prüfung erfordert, in der alle relevanten Umstände in Bezug auf die Organisation und Tätigkeit dieser Einrichtung berücksichtigt werden.

39.      Um beispielsweise festzustellen, ob eine private Einrichtung „einer öffentlichen Stelle oder deren Aufsicht untersteht“, sollte ein Gericht die Möglichkeit des Staats prüfen, unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auf die Entscheidungsprozesse dieser Einrichtung auszuüben – wenn nicht auf deren alltägliche Tätigkeiten, dann zumindest auf die wichtigsten Entschließungen und strategischen Entscheidungen.

40.      Zu diesem Zweck erscheint es wichtig, auf der Grundlage der maßgeblichen Rechtsvorschriften und der internen Regelungen der Einrichtung Gesichtspunkte wie die folgenden zu berücksichtigen: i) die Eigentumsstruktur, ii) das Bestehen besonderer Stimm- oder Vetorechte zugunsten einer anderen Einrichtung, iii) die Zusammensetzung der Geschäftsführungsorgane und die Verfahren zu deren Ernennung, iv) die Art der ausgeübten Tätigkeiten, v) der (die) Zweck(e) der Einrichtung sowie vi) die Regeln für die Finanzierung der Einrichtung(38). Die bloße Tatsache, dass der Staat (oder eine andere Einrichtung des öffentlichen Rechts) eine Beteiligung an einer Gesellschaft hält – wie es nach meinem Verständnis bei den Beklagten des Ausgangsverfahrens der Fall ist – ist daher für sich genommen nicht entscheidend für die Frage, ob der Staat die Kontrolle über diese Gesellschaft ausübt.

41.      Zur Frage, wie zu beurteilen ist, ob eine private Einrichtung „mit der Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe“ betraut ist und hierzu mit „besonderen Rechten“ ausgestattet wurde, möchte ich Folgendes sagen:

42.      Zunächst einmal darf die Beurteilung der Frage, ob eine private Einrichtung dem Staat gleichzustellen ist, meines Erachtens nicht (ausschließlich) anhand der allgemeinen Art und Tätigkeiten der betreffenden Einrichtung erfolgen. Von besonderer Bedeutung ist nämlich, ob die Kriterien des Urteils Foster im Hinblick auf das konkrete Verhältnis, das zum fraglichen Rechtsstreit geführt hat, erfüllt sind. Denn es ist möglich, dass eine private Einrichtung eine oder mehrere Tätigkeiten im öffentlichen Interesse ausübt, für die sie mit besonderen Rechten ausgestattet wurde, während sie zugleich andere Tätigkeiten rein gewerbsmäßig und unter Bedingungen des normalen Wettbewerbs mit anderen Unternehmen ausübt(39).

43.      Ferner sind die beiden Merkmale „öffentliches Interesse“ und „besondere Rechte“ eindeutig kumulativ: Beide müssen vorliegen, damit eine Einrichtung als eine dem Staat zuzurechnende Einrichtung anzusehen ist. Diese Merkmale müssen überdies in der Weise miteinander verknüpft sein, dass die besonderen Rechte der betreffenden Einrichtung „hierzu“ verliehen wurden, d. h., um die Einrichtung in die Lage zu versetzen, das öffentliche Interesse effektiv zu verfolgen(40).

44.      Zudem wird die Frage, welche Ziele als im „öffentlichen Interesse“ verfolgt angesehen werden können, naturgemäß von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich beantwortet werden. diesem Begriff kommt jedoch zwangsläufig der Gedanke zum Ausdruck, dass die Tätigkeit der Einrichtung nicht ausschließlich (oder überwiegend) zum Nutzen ihrer Eigentümer oder Anteilseigner ausgeübt werden darf, sondern zum Wohl der gesamten Gesellschaft auszuüben ist. Es darf auch davon ausgegangen werden, dass die Übertragung eines öffentlichen Auftrags das Ergebnis irgendeines Gesetzgebungs- oder Verwaltungsakts sein sollte(41).

45.      Schließlich ist das Vorliegen „besonderer Rechte“ durch einen Vergleich der Vorschriften, die das Verhältnis, das den betreffenden Rechtsstreit ausgelöst hat, regeln, mit den Vorschriften, die das Verhältnis zwischen Privatpersonen regeln, zu ermitteln. Stehen die fragliche Einrichtung und ihr Gegenüber in ihrem Verhältnis zueinander auf einer Stufe oder befinden sie sich zumindest in einer vergleichbaren Position? Könnte die fragliche Einrichtung ihrem Gegenüber einseitig eine Verpflichtung auferlegen oder seine Rechte beschränken?

46.      Abschließend möchte ich allgemein hinzufügen, dass die Kriterien des Urteils Foster meiner Ansicht nach nicht zu weit angewandt werden dürfen(42). In der heutigen Welt sind die meisten wirtschaftlichen Tätigkeiten – auf die eine oder andere Weise – stark reguliert. Auch wollen zahlreiche Einrichtungen (etwa Nichtregierungsorganisationen) im öffentlichen Interesse liegende Ziele erreichen, obwohl sie in keiner Weise mit dem Staat in Verbindung stehen; ebenso stehen viele Gesellschaften im (alleinigen oder teilweisen) Eigentum des Staates, verfolgen aber kein öffentliches Ziel.

47.      Sofern die Unterscheidung zwischen horizontaler und vertikaler Wirkung nicht auf eine reine Formalität reduziert wird, ist es daher von entscheidender Bedeutung, dass man nur dann davon ausgeht, dass private Einrichtungen – im Kontext von Streitigkeiten wie den beim vorlegenden Gericht anhängigen – als dem Staat zuzurechnende Stellen gehandelt haben, wenn die „öffentliche“ Kontrolle über diese Einrichtungen oder der öffentliche Charakter ihrer Tätigkeit eindeutig erkennbar ist. Die Versuchung, „Abkürzungen“ zu nehmen, um Verbrauchern zu helfen und/oder eine pragmatische und faire Lösung für Streitigkeiten zu finden, die auf der Grundlage der maßgeblichen Verfahrensregelung übermäßig kompliziert erscheinen, mag verständlich sein; ihr nachzugeben wäre aber letztlich unklug.

4.      Das Erfordernis, die Effektivität zu wahren, als Ausnahme von der Grundregel?

48.      In seinem Vorabentscheidungsersuchen fragt das vorlegende Gericht ferner, ob der unionsrechtliche Grundsatz der Effektivität in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens – d. h., wenn Kläger bei der Geltendmachung ihrer Rechte vor erheblichen verfahrensrechtlichen Hürden stehen – dahin ausgelegt werden kann, dass nationale Gerichte – ausnahmsweise – verpflichtet sind, die Bestimmungen nicht umgesetzter Richtlinien sogar in Streitigkeiten zwischen Privatpersonen anzuwenden.

49.      Ich bin nicht der Auffassung, dass dies der Fall ist. Der Gerichtshof hat den Grundsatz der Effektivität (verstanden als effet utile(43)) oft als Auslegungswerkzeug verwendet, das es zum einen ermöglicht, Auslegungen von Bestimmungen des Unionsrechts auszuschließen, die deren Gültigkeit in Frage stellen, die Bestimmungen überflüssig machen oder zu abwegigen Ergebnissen führen würden, und zum anderen, Auslegungen den Vorzug zu geben, die die „volle Wirksamkeit“ der Vorschriften zu wahren geeignet sind, d. h. die Fähigkeit, das vom Unionsgesetzgeber verfolgte Ziel zu erreichen(44).

50.      Dagegen kann der Grundsatz der Effektivität – meines Erachtens – nicht als Mittel zur „Maximierung“ des Anwendungsbereichs und der Wirkung einer Unionsvorschrift in einem Maße verwendet werden, das über den eindeutigen Willen des Gesetzgebers hinausginge, oder zur Umgehung der grundlegenden Prinzipien der Unionsrechtsordnung.

51.      Überdies würde die Schaffung einer zusätzlichen(45) – und nur vage definierten – Ausnahme vom Verbot der horizontalen Wirkung in Fällen der ultima ratio (sozusagen „wenn nichts anderes funktioniert“) meines Erachtens nur zu größerer Rechtsunsicherheit führen(46). Dies ist ein Bereich, der – nach derzeitiger Rechtslage – von einigen Beobachtern als sehr komplex(47) oder widersprüchlich(48) beschrieben wird. Die Kritik ist zugegebenermaßen nicht ganz unbegründet. Ich hätte daher Bedenken, eine Ausweitung der Zahl oder des Anwendungsbereichs der Ausnahmen vorzuschlagen, da dies auf Kosten der Vorhersehbarkeit, Kohärenz und gedanklichen Stringenz des Systems ginge.

52.      Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass i) das Unionsrecht es den nationalen Gerichten nicht gebietet, innerstaatliche Rechtsvorschriften, die gegen Bestimmungen des Unionsrechts ohne unmittelbare Wirkung verstoßen, in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen unangewendet zu lassen, dass es der Nichtanwendung aber auch nicht entgegensteht, wenn das nationale Recht dies vorsieht, und dass ii) unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie gegenüber Organisationen und Einrichtungen des Privatrechts geltend gemacht werden können, wenn diese einer öffentlichen Stelle oder deren Aufsicht unterstehen oder, alternativ, von einer solchen Stelle mit der Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe betraut sind und hierzu mit einigen besonderen Rechten ausgestattet wurden.

B.      Zur zweiten Frage: nationale Verfahrensautonomie und Erstattung rechtswidriger Abgaben

53.      Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob der Grundsatz der Effektivität einer nationalen Regelung, wonach der Endverbraucher seinen Antrag auf Erstattung einer nicht geschuldeten Abgabe nicht unmittelbar an den Staat richten kann, sondern ihm lediglich die Möglichkeit eingeräumt wird, eine zivilrechtliche Klage auf Rückzahlung gegen den Anbieter – der die Abgabe für den Staat eingezogen hat und die einzige Einrichtung ist, die einen Anspruch auf Erstattung durch die Steuerverwaltung hat – zu erheben, entgegensteht, wenn der Grund für die Rechtswidrigkeit der Abgabe ihre Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht ist und dieser Grund in der Klage gegen den Anbieter nicht wirksam geltend gemacht werden kann.

54.      Diese Frage ist durch den besonderen Sachverhalt des Ausgangsverfahrens veranlasst, der – wenn ich es richtig verstehe – wie folgt zusammengefasst werden kann: i) Die Klägerinnen sind Verbraucher, die eine Abgabe, deren Unvereinbarkeit mit dem Unionsrecht später festgestellt wurde, an einen Anbieter entrichtet haben, der diese Abgabe für den Staat eingezogen hat; ii) unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens sieht das innerstaatliche Recht für die Erstattung nicht geschuldeter Abgaben ein zweistufiges Verfahren vor: Zunächst muss der Verbraucher die Erstattung der Abgabe durch den Anbieter (vor einem Zivilgericht) geltend machen, und sodann kann dieser Anbieter (vor einem Verwaltungsgericht) einen Antrag auf Erstattung an den Staat richten; sowie iii), die Verbraucher können sich vor dem vorlegenden Gericht offenbar nicht auf die Bestimmungen der Richtlinie 2008/118 berufen, da Italien diese Richtlinie nicht richtig umgesetzt hat und die Beklagten private Unternehmen zu sein scheinen.

55.      Vor diesem Hintergrund fragt sich das vorlegende Gericht, ob eine Situation wie die des Ausgangsverfahrens als eine Situation anzusehen ist, in der sich der Verbraucher einer übermäßigen Schwierigkeit oder der Unmöglichkeit gegenübersieht, die Erstattung einer nicht geschuldeten Abgabe zu erwirken, und die es daher rechtfertigen könnte, dass er unmittelbar gegen den Staat (statt gegen den Anbieter, der die Abgabe eingezogen hat) vorgehen kann.

56.      Eingangs sei gesagt, dass mir trotz der Erläuterungen des vorlegenden Gerichts in seiner Antwort auf eine Frage des Gerichtshofs nicht alle Besonderheiten des innerstaatlichen Systems zur Erstattung nicht geschuldeter Abgaben vollkommen klar sind. Ich halte es daher für bedauerlich, dass weder die Parteien des Ausgangsverfahrens noch – was meines Erachtens besonders unglücklich ist – die italienische Regierung es für angebracht gehalten haben, sich am vorliegenden Verfahren zu beteiligen.

57.      So frage ich mich, ob zwei gerichtliche Verfahren unter allen Umständen erforderlich sind, um sicherzustellen, dass weder der Verbraucher noch der Anbieter die Last der nicht geschuldeten Abgabe zu tragen hat. Ich hielte ein solches Erfordernis für recht problematisch. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 4 Abs. 3 EUV die Verpflichtung, „alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen [zu ergreifen], die sich aus den Verträgen oder den Handlungen der Organe der Union ergeben“, allen Behörden der Mitgliedstaaten obliegt, nicht nur den Justizbehörden.

58.      Wie der Gerichtshof in der Rechtssache Costanzo festgestellt hat, „[sind, w]enn die nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes einzuhaltenden Voraussetzungen dafür erfüllt sind, dass die einzelnen sich vor den nationalen Gerichten auf die Bestimmungen einer Richtlinie berufen können, … alle Träger der Verwaltung einschließlich … der sonstigen Gebietskörperschaften verpflichtet, diese Bestimmungen anzuwenden“(49). Ich bin der Ansicht, dass die Bestimmungen von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 2008/118 hinreichend klar, genau und unbedingt sind, um von einem Einzelnen („vertikal“) gegenüber öffentlichen Stellen einschließlich der Verwaltungsbehörden – wie den Steuerbehörden – geltend gemacht zu werden.

59.      Noch wichtiger ist, dass mir nicht klar ist, welche gerichtlichen Rechtsbehelfe Einzelnen, die die Erstattung nicht geschuldeter Abgaben geltend machen, gegebenenfalls zur Verfügung stehen, wenn sich das Standardverfahren nach Art. 14 des Decreto Legislativo Nr. 504/1995 als für die Erreichung dieses Ergebnisses unzureichend erweisen sollte.

60.      Insoweit sei darauf hingewiesen, dass der Anspruch auf Erstattung von Abgaben, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die Bestimmungen des Unionsrechts erhoben hat, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine Folge und eine Ergänzung der Rechte darstellt, die den Einzelnen aus den Bestimmungen des Unionsrechts erwachsen, die diesen Abgaben entgegenstehen. Die Mitgliedstaaten sind daher grundsätzlich verpflichtet, unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobene Abgaben zu erstatten. In Ermangelung einer Unionsregelung für die Erstattung von Abgaben ist es nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, die Voraussetzungen zu regeln, unter denen eine solche Erstattung verlangt werden kann. Diese Voraussetzungen müssen allerdings den Grundsätzen der Gleichwertigkeit und der Effektivität entsprechen. Insbesondere sind die Voraussetzungen für die Geltendmachung des Anspruchs auf Rückzahlung rechtsgrundlos gezahlter Beträge von den Mitgliedstaaten so auszugestalten, dass die wirtschaftliche Belastung, zu der die nicht geschuldete Abgabe geführt hat, neutralisiert werden kann(50).

61.      Auf der Grundlage dieser Grundsätze hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Mitgliedstaat die Forderung eines Endabnehmers nach Erstattung einer nicht geschuldeten Abgabe, die auf ihn abgewälzt worden ist, grundsätzlich mit der Begründung zurückweisen kann, dass nicht der Endabnehmer sie an die Steuerbehörden gezahlt hat. Dies setzt voraus, dass der Abnehmer, der letztlich mit dieser Abgabe belastet ist, nach nationalem Recht eine Klage auf Rückzahlung einer nicht geschuldeten Leistung gegen den Anbieter erheben kann. Sollte jedoch die Erstattung durch den Anbieter unmöglich oder übermäßig erschwert sein, gebietet es der Grundsatz der Effektivität, dass der Abnehmer seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann und dass der Mitgliedstaat zu diesem Zweck die erforderlichen Mittel und Verfahrensmodalitäten vorsieht(51).

62.      Diese Erwägungen sind meines Erachtens für den vorliegenden Fall von Bedeutung. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu entscheiden, ob die in Rede stehenden innerstaatlichen Verfahrensvorschriften so ausgestaltet sind, dass es einem Verbraucher in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens unmöglich ist oder übermäßig erschwert wird, eine Erstattung der rechtsgrundlos gezahlten Abgabe zu erwirken.

63.      Ich bin der Auffassung, dass die Voraussetzung der „übermäßigen Schwierigkeit“ nicht abstrakt beurteilt werden kann, sondern im Hinblick auf die besondere Situation jedes Klägers zu prüfen ist. Ist dieser Kläger „gezwungen“, eines oder mehrere Verfahren zu durchlaufen, das (die) aufgrund ihrer Komplexität, Dauer und/oder Kosten im Verhältnis zu den Beträgen, die erstattet werden könnten, zu einer unangemessenen Belastung für den Kläger führen würde(n)? Wäre die Verfügbarkeit (und wären die angemessenen Erfolgsaussichten) dieser Verfahren darüber hinaus etwas, dessen sich ein umsichtiger Rechtsanwalt bewusst wäre, oder würde ihm die Durchführbarkeit dieser Rechtsbehelfe als ungewiss erscheinen?

64.      Käme das vorlegende Gericht im Licht einer solchen Prüfung zu dem Ergebnis, dass sich die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens tatsächlich einer Situation der praktischen Unmöglichkeit oder übermäßigen Schwierigkeit gegenübersehen, würde der unionsrechtliche Grundsatz der Effektivität – der in einem solchen Fall mit dem Recht auf effektiven Rechtsschutz übereinstimmt(52) – es erfordern, dass diese Verbraucher unmittelbar gegen den Staat vorgehen dürfen, um die Erstattung einer der geschuldeten Abgabe zu erwirken.

65.      In dem Verfahren gegen den Staat hätten die Verbraucher dann „zwei Asse im Ärmel“. Zum einen könnten sie geltend machen, dass die Verfahrensvorschrift, die sie daran hindere, unmittelbar gegen den Staat vorzugehen, für unanwendbar zu erklären sei, weil sie gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Effektivität verstoße, und zum anderen könnten sie sich aufgrund der „vertikalen“ Natur des Rechtsstreits auf die Bestimmungen der Richtlinie 2008/118 stützen.

66.      Vor diesem Hintergrund sollte die zweite Frage meines Erachtens dahin beantwortet werden, dass das Unionsrecht einer nationalen Regelung, wonach ein Endverbraucher seinen Antrag auf Erstattung einer unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgabe nicht unmittelbar an den Staat richten kann, sondern ihm lediglich die Möglichkeit eingeräumt wird, die Abgabe von dem Anbieter zurückzufordern, der sie im Auftrag des Staates eingezogen hat, nicht entgegensteht. Sollte jedoch die Erstattung durch den Anbieter unmöglich oder übermäßig erschwert sein, gebietet es der Grundsatz der Effektivität, dass der Verbraucher seinen Erstattungsantrag unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann.

V.      Ergebnis

67.      Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Tribunale di Como (Gericht Como, Italien) zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.      Das Unionsrecht gebietet es den nationalen Gerichten nicht, innerstaatliche Rechtsvorschriften, die gegen Bestimmungen des Unionsrechts ohne unmittelbare Wirkung verstoßen, in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen unangewendet zu lassen, es steht der Nichtanwendung aber auch nicht entgegen, wenn das nationale Recht dies vorsieht. Unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie können gegenüber Organisationen und Einrichtungen des Privatrechts jedoch geltend gemacht werden, wenn diese einer öffentlichen Stelle oder deren Aufsicht unterstehen oder, alternativ, von einer solchen Stelle mit der Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe betraut sind und hierzu mit einigen besonderen Rechten ausgestattet wurden.

2.      Das Unionsrecht steht einer nationalen Regelung nicht entgegen, wonach ein Endverbraucher seinen Antrag auf Erstattung einer unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgabe nicht unmittelbar an den Staat richten kann, sondern ihm lediglich die Möglichkeit eingeräumt wird, die Abgabe von dem Anbieter zurückzufordern, der sie im Auftrag des Staates eingezogen hat. Sollte jedoch die Erstattung durch den Anbieter unmöglich oder übermäßig erschwert sein, gebietet es der Grundsatz der Effektivität, dass der Verbraucher seinen Erstattungsantrag unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Vgl., mit zahlreichen Verweisen auf aktuelle Dokumente, Rasmussen, M., „How to enforce European law? A new history of the battle over the direct effect of Directives, 1958–1987“, European Law Journal, 2017, S. 290.


3      Für einen Beitrag aus jüngster Zeit zu diesem Thema vgl. Bobek, M., „Why Is It Better to Treat Every Provision of a Directive as a (Horizontally) Directly Effective One“, International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations, 2023, S. 1.


4      Vgl. insbesondere Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven in der Rechtssache Marshall (C‑271/91, EU:C:1993:30, Nr. 12); Schlussanträge des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache Faccini Dori (C‑91/92, EU:C:1994:45, Nrn. 43 bis 73); und Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs in der Rechtssache Vaneetveld (C‑316/93, EU:C:1994:32, Nrn. 18 bis 34). Vgl. auch die Randbemerkungen in den Schlussanträgen der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Farell (C‑413/15, EU:C:2017:492, Nr. 150), und die Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache Cresco Investigation (C‑193/17, EU:C:2018:614, Nr. 145.


5      Pescatore, P., „The doctrine of ‚direct effect‘: An infant disease of community law“, European Law Review, 1983, S. 155.


6      Urteile vom 26. Februar 1986, Marshall (C‑152/84, EU:C:1986:84, Rn. 48), und vom 14. Juli 1994, Faccini Dori (C‑91/92, EU:C:1994:292, Rn. 20). Vgl. aus jüngerer Zeit Urteil vom 18. Januar 2022, Thelen Technopark Berlin (C‑261/20, EU:C:2022:33, Rn. 32).


7      Vgl. insbesondere Urteil vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a. (C‑397/01 und C‑403/01, EU:C:2004:584, Rn. 110 bis 118).


8      Siehe unten, Nrn. 35 bis 47 der vorliegenden Schlussanträge.


9      Vgl. insbesondere Urteile vom 30. April 1996, CIA Security International (C‑194/94, EU:C:1996:172), und vom 28. Januar 1999, Unilever (C‑77/97, EU:C:1999:30).


10      Vgl. insbesondere Urteile vom 22. November 2005, Mangold (C‑144/04, EU:C:2005:709, Rn. 75 bis 77), und vom 6. November 2018, Bauer und Willmeroth (C‑569/16 und C‑570/16, EU:C:2018:871, Rn. 80 bis 91).


11      Vgl. z. B. Urteil vom 8. Oktober 1996, Dillenkofer u. a. (C‑178/94, C‑179/94 und C‑188/94 bis C‑190/94, EU:C:1996:375, Rn. 27). Vgl. auch Urteil vom 14. Juli 1994, Faccini Dori (C‑91/92, EU:C:1994:292, Rn. 27). Vgl. zu dieser Frage jedoch Szpunar, M., „Direct Effect of Community Directives in National Courts – Some Remarks Concerning Recent Developments“, Natolin European Centre, 2003, S. 4.


12      ABl. 2009, L 9, S. 12.


13      Die Richtlinie 2008/118 ist nicht mehr in Kraft, nachdem sie durch die Richtlinie (EU) 2020/262 des Rates vom 19. Dezember 2019 zur Festlegung des allgemeinen Verbrauchsteuersystems (ABl. 2020, L 58, S. 4) aufgehoben wurde.


14      GURI Nr. 68 vom 22. März 2007.


15      GURI Nr. 280 vom 29. November 1988.


16      GURI Nr. 67 vom 23. März 2011.


17      GURI Nr. 52 vom 2. März 2012.


18      GURI Nr. 279 vom 29. November 1995.


19      Urteile vom 8. Dezember 2016 (C‑553/15, EU:C:2016:935) und vom 25. Juli 2018 (C‑103/17, EU:C:2018:587).


20      Urteil vom 18. Januar 2022, Thelen Technopark Berlin (C‑261/20, EU:C:2022:33, Rn. 33). Hervorhebung nur hier.


21      Nach der Rechtsprechung ist es nämlich „möglich …, sich einem Staat gegenüber auf … Bestimmungen [von Richtlinien] zu berufen, unabhängig davon, in welcher Eigenschaft – als Arbeitgeber oder als Hoheitsträger – er handelt“ (Hervorhebung nur hier). Vgl. u. a. Urteile vom 26. Februar 1986, Marshall (C‑152/84, EU:C:1986:84, Rn. 42), und vom 12. Juli 1990, Foster u. a. (C‑188/89, EU:C:1990:313, Rn. 17).


22      Schließlich läge es, wenn einer der Gründe für die Ablehnung der unmittelbaren horizontalen Wirkung von Richtlinien darin besteht, den Spielraum der Mitgliedstaaten bei der Umsetzung bestimmter Unionsvorschriften in nationales Recht zu wahren (siehe unten, Nr. 29 der vorliegenden Schlussanträge), nahe, dass es den Mitgliedstaaten freistehen müsste, auf dieses Vorrecht zu verzichten.


23      Vgl. das Vorwort „Is there more to say about the direct effect of Directives?“, European Law Review, 2018, S. 621.


24      Siehe die oben in Fn. 4 angeführten Schlussanträge.


25      Schließlich wäre, wenn man die unmittelbare horizontale Wirkung von Richtlinien anerkennen würde, zwischen diesem Instrument und Verordnungen kein wesentlicher Unterschied mehr erkennbar.


26      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Januar 2019, Cresco Investigation (C‑193/17, EU:C:2019:43, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung): „Eine Ausdehnung der Möglichkeit, sich auf nicht oder nicht richtig umgesetzte Richtlinien zu berufen, auf den Bereich der Beziehungen zwischen Privaten liefe nämlich darauf hinaus, der Union die Befugnis zuzuerkennen, mit unmittelbarer Wirkung Verpflichtungen zulasten der Einzelnen anzuordnen, obwohl sie dies nur dort darf, wo ihr die Befugnis zum Erlass von Verordnungen zugewiesen ist.“


27      Vgl. Dickon, J., „Directives in EU Legal Systems: Whose Norms Are They Anyway?“, European Law Journal, 2011, S. 190.


28      Siehe oben, Fn. 6.


29      Vgl. u. a. Schlussbericht der Gruppe IX „Vereinfachung“ vom 29. November 2002, CONV 424/02, S. 3 bis 6, und Piris, J.-C., The Constitution for Europe – A Legal Analysis, 2006, Cambridge University Press, S. 70 bis 73.


30      Vgl. z. B. Piris, J.-C., „The Lisbon Treaty – A Legal and Political Analysis“, 2010, Cambridge University Press, S. 92 bis 94.


31      Vgl. Urteil vom 18. Januar 2022, Thelen Technopark Berlin (C‑261/20, EU:C:2022:33, Rn. 32). Vgl. auch Urteile vom 22. Januar 2019, Cresco Investigation (C‑193/17, EU:C:2019:43, Rn. 72), und vom 7. August 2018, Smith (C‑122/17, EU:C:2018:631, Rn. 42).


32      Wie sie es nach der Verkündung der Urteile vom 25. Juli 2002, Unión de Pequeños Agricultores/Rat (C‑50/00 P, EU:C:2002:462), und vom 1. April 2004, Kommission/Jégo-Quéré (C‑263/02 P, EU:C:2004:210) durch Änderung des (jetzigen) Art. 263 Abs. 4 AEUV getan haben.


33      Urteile vom 4. Dezember 1974, Van Duyn (C‑41/74, EU:C:1974:133), und vom 5. April 1979, Ratti (C‑148/78, EU:C:1979:110).


34      Im Einklang mit dem Grundsatz des Estoppel (oder nemo potest venire contra factum proprium).


35      Siehe die oben in Fn. 21 angeführte Rechtsprechung.


36      Vgl. insbesondere Urteile vom 12. Juli 1990, Foster u. a. (C‑188/89, EU:C:1990:313, Rn. 18), und vom 10. Oktober 2017, Farrell (C‑413/15, EU:C:2017:745, Rn. 33 bis 35).


37      Vgl. z. B. Urteile vom 14. September 2000, Collino und Chiappero (C‑343/98, EU:C:2000:441, Rn. 24), vom 24. Januar 2012, Dominguez (C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 40), und vom 12. Dezember 2013, Portgás (C‑425/12, EU:C:2013:829, Rn. 31).


38      Vgl. entsprechend Urteile vom 24. November 1982, Kommission/Irland (249/81, EU:C:1982:402, Rn. 10 bis 15), vom 16. Mai 2002, Frankreich/Kommission (C‑482/99, EU:C:2002:294, Rn. 55), und vom 5. November 2002, Kommission/Deutschland (C‑325/00, EU:C:2002:633, Rn. 14 bis 21). Vgl. ferner Schlussanträge des Generalanwalts Van Gerven in der Rechtssache Foster u. a. (C‑188/89, EU:C:1990:188, Nr. 21).


39      In diesem Sinne Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Farrell (C‑413/15, EU:C:2017:492, Nr. 141).


40      Ebd., Nr. 49.


41      Ebd., Nrn. 143 bis 146.


42      Vgl. in diesem Sinne die in den Schlussanträgen des Generalanwalts Wahl in der Rechtssache Portgás (C‑425/12, EU:C:2013:623, Nrn. 35 bis 44) vorgenommene Würdigung.


43      Ich werde die „Effektivität“ im Sinne eines „wirksamen Rechtsschutzes“ im Rahmen der Prüfung der zweiten Vorlagefrage erörtern.


44      Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 4. Oktober 2001, Italien/Kommission (C‑403/99, EU:C:2001:507, Rn. 27, 28 und 37), und vom 22. Februar 2022, Openbaar Ministerie (Im Ausstellungsmitgliedstaat durch Gesetz errichtetes Gericht) (C‑562/21 PPU und C‑563/21 PPU, EU:C:2022:100, Rn. 95).


45      Ich beziehe mich auf die oben in Nr. 3 der vorliegenden Schlussanträge erwähnte Rechtsprechung zur sogenannten mittelbaren horizontalen Wirkung.


46      Zum Erfordernis, effet utile und Rechtssicherheit in diesem Bereich in Einklang zu bringen, vgl. Skouris, V., „Effet Utile versus Legal Certainty. The Case Law of the Court of Justice on the Direct Effect of Directives“, European Business Law Review, 2009, S. 241.


47      Vgl. Craig, P., „The Legal Effect of Directives: Policy, Rules and Exceptions“, European Law Review, 2009, S. 376 und 377, sowie Bobek, M., „Why Is It Better to Treat Every Provision of a Directive as a (Horizontally) Directly Effective One“, International Journal of Comparative Labour Law and Industrial Relations, 2023, S. 10.


48      Vgl. z. B. Editorial Comments, „Horizontal direct effect – A law of diminishing coherence?“, Common Market Law Review, 2006, S. 1, und Dashwood, A., „From Van Duyn to Mangold via Marshall, Reducing Direct Effect to Absurdity?“, Cambridge Yearbook of European Legal Studies, 2007, S. 81.


49      Urteil vom 22. Juni 1989 (C‑103/88, EU:C:1989:256, Rn. 31). Hervorhebung nur hier.


50      Vgl. u. a. Urteil vom 20. Oktober 2011, Danfoss und Sauer-Danfoss (C‑94/10, EU:C:2011:674, Rn. 20 bis 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).


51      Ebd., Rn. 27 und 28. Vgl. auch Urteil vom 15. März 2007, Reemtsma Cigarettenfabriken (C‑35/05, EU:C:2007:167, Rn. 41 und 42).


52      Vgl. hierzu ausführlich und mit weiteren Verweisen Schlussanträge des Generalanwalts Bobek in der Rechtssache An tAire Talmhaíochta Bia agus Mara, Éire agus an tArd-Aighne (C‑64/20, EU:C:2021:14, Nrn. 38 bis 46).