URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
8. Juli 1999 (1)
„Rechtsmittel - Geschäftsordnung der Kommission - Verfahren für den Erlaß
einer Entscheidung des Kommissionskollegiums - Für Unternehmen geltende
Wettbewerbsregeln - Begriffe der Vereinbarung und der abgestimmten
Verhaltensweise - Verantwortung eines Unternehmens für die
Gesamtzuwiderhandlung - Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung - Geldbuße“
In der Rechtssache C-49/92 P
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater
G. Marenco als Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la
Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
betreffend ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz der
Europäischen Gemeinschaften (Erste Kammer) vom 17. Dezember 1991 in der
Rechtssache T-6/89 (Enichem Anic/Kommission, Slg. 1991, II-1623) wegen
Aufhebung dieses Urteils
anderer Verfahrensbeteiligter:
Anic Partecipazioni SpA, früher Anic SpA, dann Enichem Anic SpA, Palermo
(Italien), vertreten durch die Rechtsanwälte M. Siragusa und G. Guarino, Rom,
sowie G. Scassellati Sforzolini und F. M. Moretti, Bologna, Zustellungsanschrift:Kanzlei der Rechtsanwälte Arendt und Medernach, 8-10, rue Mathias Hardt,
Luxemburg,
Klägerin im ersten Rechtszug,
erläßt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. J. G. Kapteyn sowie der Richter
G. Hirsch, G. F. Mancini (Berichterstatter), J. L. Murray und H. Ragnemalm,
Generalanwalt: G. Cosmas
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler, und D. Louterman-Hubeau,
Hauptverwaltungsrätin
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Beteiligten in der Sitzung vom 12. März 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juli
1997,
folgendes
Urteil
- 1.
- Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Rechtsmittelschrift, die
am 19. Februar 1992 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß
Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des
Gerichts erster Instanz vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-6/89
(Enichem Anic/Kommission, Slg. 1991, II-1623; im folgenden: angefochtenes Urteil)
eingelegt, durch das Artikel 1 der Entscheidung 86/398/EWG der Kommission vom
23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags
(IV/31.149 - Polypropylen) (ABl. L 230, S. 1; nachstehend:
Polypropylen-Entscheidung) teilweise für nichtig erklärt und die in Artikel 3 dieser
Entscheidung gegen die Klägerin verhängte Geldbuße auf 450 000 ECU bzw.
662 215 500 ITL festgesetzt worden ist.
- 2.
- In ihrer Rechtsmittelbeantwortung vom 28. Mai 1992 hat die Anic Partecipazioni
SpA, früher Anic SpA, dann Enichem Anic SpA (im folgenden: Anic), die
Zurückweisung des Rechtsmittels und gemäß Artikel 116 der Verfahrensordnungdes Gerichtshofes beantragt, das angefochtene Urteil ganz oder teilweise
aufzuheben, die Polypropylen-Entscheidung ganz oder teilweise für nichtig zu
erklären oder ihre Inexistenz festzustellen sowie die durch das angefochtene Urteil
bereits herabgesetzte Geldbuße, die durch die angefochtene Entscheidung gegen
sie verhängt worden war, herabzusetzen oder die Sache zu diesem Zweck an das
Gericht zurückzuverweisen.
Sachverhalt und Verfahren vor dem Gericht
- 3.
- Dem Rechtsmittel liegt folgender Sachverhalt, wie er sich aus dem angefochtenen
Urteil ergibt, zugrunde.
- 4.
- Mehrere in der europäischen Petrochemieindustrie tätige Unternehmen haben
beim Gericht Nichtigkeitsklage gegen die Polypropylen-Entscheidung erhoben.
- 5.
- Gemäß den insoweit durch das Gericht bestätigten Feststellungen der Kommission
wurde der Polypropylenmarkt vor 1977 von zehn Herstellern beliefert, von denen
vier (Montedison SpA [im folgenden: Monte], Hoechst AG, Imperial Chemical
Industries PLC [im folgenden: ICI] und Shell International Chemical Company Ltd
[im folgenden: Shell; die vier zusammen: die vier Großen]) zusammen 64 % des
Marktes innehatten. Nach dem Auslaufen der Hauptpatente von Monte traten 1977
auf dem Markt neue Hersteller auf, was zu einem erheblichen Anwachsen der
realen Produktionskapazität führte, ohne daß es dadurch zu einem entsprechenden
Anstieg der Nachfrage kam. Dies hatte einen zwischen 1977 bei 60 % und 1983 bei
90 % liegenden Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten zur Folge. Jeder der
damals in der Gemeinschaft niedergelassenen Hersteller verkaufte in die meisten,
wenn nicht in alle Mitgliedstaaten.
- 6.
- Anic gehörte zu den Herstellern, die den Markt 1977 belieferten. Sie war ein
mittelgroßer Hersteller auf dem westeuropäischen Markt mit einem Marktanteil
zwischen 2,7 % und 4,2 %. Nach Veräußerung ihres Polypropylengeschäfts an
Monte Ende Oktober 1982 verließ sie im Frühjahr 1983 den Markt. Hierzu hat
Anic vor dem Gericht vorgetragen, am 9. Dezember 1981 seien die Anlagen des
italienischen Herstellers SIR auf SIL übertragen worden, die zu 100 % ihr gehört
habe. Im Juni 1982 seien die Aktien dann von SIL durch Prokuraindossament auf
Enoxy Chimica übertragen und schließlich am 31. Dezember 1982 auf diese
Gesellschaft umgeschrieben worden. Der gesamte Polypropylensektor in Italien
gehöre daher jetzt Monte.
- 7.
- Im Anschluß an gleichzeitig in mehreren Unternehmen des Wirtschaftszweigs
durchgeführte Nachprüfungen richtete die Kommission an mehrere
Polypropylenhersteller Auskunftsverlangen nach Artikel 11 der Verordnung Nr. 17
des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln
85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204). Aus Randnummer 6 des
angefochtenen Urteils geht hervor, daß die Kommission anhand des von ihrentdeckten Beweismaterials zu der vorläufigen Auffassung gelangte, die Hersteller
hätten von 1977 bis 1983 unter Verstoß gegen Artikel 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel
81 EG) durch Preisinitiativen regelmäßig Zielpreise festgesetzt und ein System
jährlicher Mengenkontrolle entwickelt, um den verfügbaren Markt nach
vereinbarten Prozentsätzen oder Mengen unter sich aufzuteilen. Die Kommission
leitete deshalb ein Verfahren gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 ein
und übermittelte mehreren Unternehmen, zu denen Anic nicht gehörte, die
schriftliche Mitteilung der Beschwerdepunkte. Laut Randnummer 8 des
angefochtenen Urteils dehnte die Kommission aufgrund der Angaben dieser
Unternehmen in den schriftlichen Antworten auf die Beschwerdepunkte das
Verfahren auf Anic und die Rhône-Poulenc SA aus und übersandte diesen eine
Mitteilung der Beschwerdepunkte, die der den anderen Unternehmen übersandten
Mitteilung entsprach.
- 8.
- Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Polypropylen-Entscheidung,
mit der sie feststellte, daß Anic gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstoßen
habe, indem sie zusammen mit anderen Unternehmen von Mitte 1977 bis
mindestens November 1983 an einer von Mitte 1977 stammenden Vereinbarung
und abgestimmten Verhaltensweise beteiligt gewesen sei, durch die die
Gemeinschaft mit Polypropylen beliefernden Hersteller:
- miteinander Verbindung gehabt und sich regelmäßig (von Anfang 1981 an
zweimal monatlich) in einer Reihe geheimer Sitzungen getroffen hätten, um
ihre Geschäftspolitik zu erörtern und festzulegen;
- von Zeit zu Zeit für den Absatz ihrer Erzeugnisse in jedem Mitgliedstaat
der EWG Ziel-(oder Mindest-)Preise festgelegt hätten;
- verschiedene Maßnahmen getroffen hätten, um die Durchsetzung dieser
Zielpreise zu erleichtern, (vor allem) u. a. durch vorübergehende
Absatzeinschränkungen, den Austausch von Einzelangaben über ihre
Verkäufe, die Veranstaltung lokaler Sitzungen und ab Ende 1982 ein System
der „Kundenführerschaft“ zwecks Durchsetzung der Preiserhöhungen
gegenüber Einzelkunden;
- gleichzeitige Preiserhöhungen vorgenommen hätten, um die besagten Ziele
durchzusetzen;
- den Markt aufgeteilt hätten, indem jedem Hersteller ein jährliches
Absatzziel bzw. eine Quote (1979, 1980 und zumindest für einen Teil des
Jahres 1983) zugeteilt worden sei oder, falls es zu keiner endgültigen
Vereinbarung für das ganze Jahr gekommen sei, die Hersteller aufgefordert
worden seien, ihre monatlichen Verkäufe unter Bezugnahme auf einen
vorausgegangenen Zeitraum (1981, 1982) einzuschränken (Artikel 1 der
Polypropylen-Entscheidung).
- 9.
- Sodann verpflichtete die Kommission die verschiedenen betroffenen Unternehmen,
die festgestellten Zuwiderhandlungen unverzüglich abzustellen und in Zukunft von
allen Vereinbarungen oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die
dasselbe oder ähnliches bezwecken oder bewirken, Abstand zu nehmen. Ferner
erlegte ihnen die Kommission auf, jedes Verfahren zum Austausch von
Informationen, die normalerweise dem Geschäftsgeheimnis unterliegen, abzustellen
und dafür Sorge zu tragen, daß Verfahren zum Austausch allgemeiner
Informationen (wie das Fides-System) unter Ausschluß sämtlicher Informationen
geführt werden, aus denen sich das Marktverhalten einzelner Hersteller ableiten
läßt (Artikel 2 der Polypropylen-Entscheidung).
- 10.
- Gegen Anic wurde eine Geldbuße von 750 000 ECU bzw. 1 103 692 500 ITL
festgesetzt (Artikel 3 der Polypropylen-Entscheidung).
- 11.
- Am 31. Juli 1986 erhob Anic Klage auf Nichtigerklärung dieser Entscheidung beim
Gerichtshof, der mit Beschluß vom 15. November 1989 die Rechtssache gemäß dem
Beschluß 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur
Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl.
L 319, S. 1) an das Gericht verwies.
- 12.
- Anic hat beim Gericht beantragt, die Polypropylen-Entscheidung, soweit sie sie
betrifft, ganz oder teilweise für nichtig zu erklären, hilfsweise, die gegen sie
festgesetzte Geldbuße herabzusetzen und auf jeden Fall der Kommission die
gesamtem Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
- 13.
- Die Kommission hat beantragt, die Klage abzuweisen und Anic die Kosten
aufzuerlegen.
- 14.
- Mit Beschluß vom 30. September 1992 hat der Gerichtshof den Antrag der
DSM NV auf Zulassung als Streithelferin als unzulässig zurückgewiesen und
DSM NV demgemäß ihre eigenen Kosten auferlegt.
Das angefochtene Urteil
Zur Feststellung der Zuwiderhandlung - Tatsachenfeststellungen
Das System der regelmäßigen Sitzungen
- 15.
- Æum System der regelmäßigen Sitzungen der Polypropylenhersteller hat das Gericht
in Randnummer 69 des angefochtenen Urteils festgestellt, daß die Kommission als
einziges Beweismittel für die Teilnahme von Anic an den Sitzungen in der Zeit von
November 1977 bis Ende 1978 oder Anfang 1979 deren Antwort auf das
Auskunftsverlangen vorlegen könne, in der Anic erkläre, sie glaube, daß der Beginn
ihrer Teilnahme kurz nach Beginn der fraglichen Treffen angesiedelt werden
könne. In Randnummer 70 hat das Gericht ausgeführt, diese Antwort könne nichtals eindeutiges Eingeständnis der Teilnahme an den Sitzungen seit November 1977
angesehen werden. In den Randnummern 71 und 72 hat es festgestellt, in der
Mitteilung der individuellen Beschwerdepunkte an Anic, in der Mitteilung der
gemeinsamen Beschwerdepunkte und in der Polypropylen-Entscheidung habe die
Kommission insofern selbst Zweifel geäußert. Aus dem Vorstehenden, so das
Gericht in Randnummer 73, ergebe sich, daß der Kommission der Beweis für eine
Teilnahme von Anic an der Zuwiderhandlung in der Zeit vor Ende 1978 oder
Anfang 1979 rechtlich nicht gelungen sei.
- 16.
- Für die Zeit von Ende 1978 oder Anfang 1979 bis Ende 1982 oder Anfang 1983 hat
das Gericht in Randnummer 87 des angefochtenen Urteils festgestellt, daß der
Kommission aufgrund der Antworten von Anic und von ICI auf das
Auskunftsverlangen rechtlich der Beweis gelungen sei, daß Anic an den
regelmäßigen Sitzungen der Polypropylenhersteller seit Ende 1978 oder Anfang
1979 teilgenommen habe. Bezüglich des Beginns dieser Teilnahme heißt es in den
Randnummern 88 und 89, Anic sei in der Antwort von ICI auf das
Auskunftsverlangen, die in diesem Punkt durch die von Anic in ihren bei Gericht
eingereichten Schriftsätzen bestätigt worden sei, seit jener Zeit zu den
regelmäßigen Teilnehmern an „Chef“- und „Experten“-Sitzungen gezählt worden.
Zum Ende dieser Teilnahme hat das Gericht in Randnummer 90 des
angefochtenen Urteils festgestellt, daß die Kommission in der
Polypropylen-Entscheidung Zweifel eingeräumt und in ihren bei Gericht
eingereichten Schriftsätzen zugegeben habe, daß die Teilnahme von Anic an den
Sitzungen seit Mai 1982 nicht mehr regelmäßig gewesen sei. In der mündlichen
Verhandlung habe sie gleichfalls eingeräumt, daß Anic im September 1982 an den
Sitzungen tatsächlich nicht mehr teilgenommen hat. Laut den Randnummern 91
und 94 ergibt sich ferner aus dem Bericht über die Sitzung vom 13. Mai 1982, daß
in dieser Sitzung festgestellt wurde, daß Anic nicht mehr komme. Eine Ausnahme
davon bilde gemäß dem Bericht über die Sitzung die Sitzung vom 9. Juni 1982,
während Anic in ihrer Antwort auf das Auskunftsverlangen irrtümlich angegeben
habe, daß sie an der Sitzung vom 6. Oktober 1982 teilgenommen habe.
- 17.
- In Randnummer 96 hat das Gericht ausgeführt, die Kommission habe auf der
Grundlage der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen, die durch zahlreicheSitzungsberichte bestätigt werde, zu Recht angenommen, daß Zweck der Sitzungen
namentlich die Festsetzung von Preiszielen und von Verkaufsmengenzielen gewesen
sei. Zudem habe die Kommission, so heißt es weiter in Randnummer 98 des
angefochtenen Urteils, aus der Antwort von ICI auf das Auskunftsverlangen, die
die Regelmäßigkeit der „Chef“- und „Experten“-Sitzungen betroffen habe, sowie
aus der Identität von Art und Zweck der Sitzungen ebenfalls zu Recht geschlossen,
daß diese Teil eines Systems regelmäßiger Sitzungen gewesen seien. In
Randnummer 99 hat das Gericht weiter darauf hingewiesen, daß der angeblich
passive Charakter der Teilnahme von Anic an den Sitzungen insbesondere dadurch
widerlegt werde, daß Anic Angaben zu ihren monatlichen Verkaufsmengen
gemacht habe.
- 18.
- In Randnummer 100 hat das Gericht aus alledem abgeleitet, daß der Kommission
rechtlich der Beweis gelungen sei, daß Anic regelmäßig an den regelmäßigen
Sitzungen der Polypropylenhersteller zwischen Ende 1978 oder Anfang 1979 und
Mitte 1982 teilgenommen habe, daß Zweck dieser Sitzungen namentlich die
Festsetzung von Preis- und Verkaufsmengenzielen gewesen sei, daß sie Teil eines
Systems gewesen seien und daß Anic an diesen Sitzungen nicht nur passiv
teilgenommen habe. Die Kommission habe hingegen rechtlich nicht hinreichend
bewiesen, daß sich diese Teilnahme über Mitte 1982 hinaus erstreckt hätte.
Die Preisinitiativen
- 19.
- In Randnummer 109 hat das Gericht festgestellt, daß die Berichte über die
regelmäßigen Sitzungen der Polypropylenhersteller zeigten, daß die Teilnehmer an
diesen Sitzungen dort die in der Polypropylen-Entscheidung genannten
Preisinitiativen vereinbart hätten. In Randnummer 110 heißt es, da bewiesen sei,
daß die Klägerin an diesen Sitzungen teilgenommen habe, könne sie nicht
behaupten, den dort beschlossenen, organisierten und kontrollierten Preisinitiativen
nicht zugestimmt zu haben, ohne Anhaltspunkte für die Erhärtung dieser
Behauptung vorzutragen.
- 20.
- Hierzu hat das Gericht in Randnummer 111 darauf hingewiesen, daß Anic
vorgetragen habe, daß ihre Beteiligung an den Sitzungen nur passiv gewesen sei
und daß sie die Ergebnisse der Sitzungen in keiner Weise bei der Festlegung ihres
Marktverhaltens bezüglich der Preise berücksichtigt habe. In Randnummer 112 hat
es ausgeführt, keines dieser beiden Argumente sei geeignet, die Behauptung von
Anic zu bestätigen, daß sie den beschlossenen Preisinitiativen nicht zugestimmt
habe. Angesichts seiner Feststellungen zur Teilnahme von Anic an den Sitzungen
finde das erste Argument in den Tatsachen keine Stütze. Das zweite Argument
beweise, selbst wenn es durch Tatsachen untermauert würde, höchstens, daß Anic
das Ergebnis der Sitzungen nicht in die Tat umgesetzt habe. Ferner heißt es in
Randnummer 113, die Kommission habe zwar keine Preisinstruktionen von Anic
finden können und daher nicht beweisen können, daß diese die betreffenden
Preisinitiativen durchgeführt habe oder daß ein Parallelverhalten vorgelegen habe;
dies widerlege jedoch nicht die Beteiligung von Anic an diesen Initiativen.
- 21.
- Randnummer 114 zufolge hat die Kommission aus der Antwort von ICI auf das
Auskunftsverlangen ebenfalls zu Recht abgeleitet, daß die Initiativen Teil eines
Systems zur Festsetzung von Preiszielen waren.
- 22.
- In Randnummer 115 ist das Gericht aufgrund von alledem zu dem Ergebnis
gelangt, der Kommission sei rechtlich der Beweis gelungen, daß Anic zu den
Polypropylenherstellern gehört habe, zwischen denen es zu
Willensübereinstimmungen gekommen sei, die auf die in den Randnummern 29 bis
39 der Polypropylen-Entscheidung genannten Preisinitiativen gerichtet gewesen
seien, und daß diese Preisinitiativen Teil eines Systems gewesen seien. Hingegensei der Kommission rechtlich nicht der Beweis gelungen, daß Anic an der in den
Randnummern 40 bis 46 der Polypropylen-Entscheidung genannten Preisinitiative
beteiligt gewesen sei, da die Teilnahme von Anic an den regelmäßigen Sitzungen
in der zweiten Jahreshälfte 1982 rechtlich nicht hinreichend bewiesen sei.
Die Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen
- 23.
- In Randnummer 121 hat das Gericht ausgeführt, daß die
Polypropylen-Entscheidung so auszulegen sei, daß dort jedem Hersteller
vorgeworfen werde, in den Sitzungen zu verschiedenen Zeiten mit den anderen
Herstellern einen Komplex von Maßnahmen vereinbart zu haben, mit denen
insbesondere durch eine künstliche Verknappung des Polypropylenangebots
günstige Voraussetzungen für eine Preisanhebung hätten geschaffen werden sollen,
wobei die Durchführung der einzelnen Maßnahmen einvernehmlich auf die
verschiedenen Hersteller nach Maßgabe ihrer spezifischen Lage verteilt worden sei.
In Randnummer 122 heißt es, der Kommission sei rechtlich nicht der Beweis
gelungen, daß Anic an den Sitzungen teilgenommen habe, in denen dieser Komplex
beschlossen worden sei, und folglich habe sie auch nicht bewiesen, daß Anic diesem
Komplex von Maßnahmen zugestimmt habe.
- 24.
- Hieraus folgt Randnummer 123 zufolge zunächst, daß die Beteiligung von Anic am
System der Kundenführung rechtlich nicht hinreichend bewiesen ist. Hierzu habe
die Kommission in ihrer Klagebeantwortung zwar vorgebracht, sie habe insoweit
niemals eine Verantwortlichkeit von Anic behaupten wollen. Eine solche
Einschränkung der gegenüber Anic erhobenen Vorwürfe ergebe sich indessen
weder aus der Polypropylen-Entscheidung noch aus der Mitteilung der
Beschwerdepunkte. Ferner ist Randnummer 124 zufolge eine Beteiligung von Anic
an Maßnahmen zur Drosselung der Produktion ebenfalls rechtlich nicht hinreichend
beweisen.
- 25.
- Aufgrund von alledem ist das Gericht in Randnummer 127 zu dem Ergebnis
gelangt, der Kommission sei rechtlich nicht der Beweis gelungen, daß Anic zu den
Polypropylenherstellern gehört habe, zwischen denen es zu
Willensübereinstimmungen über Maßnahmen zur Förderung der Preisinitiativen
gekommen sei, soweit ihr in der Entscheidung eine Beteiligung an diesen
vorgeworfen worden sei.
Absatzziele und Quoten
- 26.
- In Randnummer 147 hat das Gericht zunächst daran erinnert, daß Anic seit Ende
1978 oder Anfang 1979 bis Mitte 1982 regelmäßig an den regelmäßigen Sitzungen
der Polypropylenhersteller teilgenommen habe, in denen die Verkaufsmengen der
verschiedenen Hersteller diskutiert und Informationen hierüber ausgetauscht
worden seien.
- 27.
- In Randnummer 148 hat das Gericht festgestellt, neben ihrer Teilnahme an den
Sitzungen werde der Name von Anic in bei verschiedenen Polypropylenherstellern
aufgefundenen Tabellen genannt, deren Inhalt eindeutig darauf hinweise, daß sie
zur Festlegung von Verkaufsmengenzielen bestimmt gewesen seien. Die
Kommission sei daher zu Recht davon ausgegangen, daß die Anic betreffenden
Angaben in diesen Tabellen, die aufgrund von Auskünften der Hersteller und nicht
anhand der Statistiken des Fides-Systems erstellt worden sein müßten, von Anic im
Rahmen der Sitzungen gemacht worden seien.
- 28.
- Laut Randnummer 149 läßt die Terminologie in den von der Kommission für die
Jahre 1979 und 1980 vorgelegten Schriftstücken den Schluß zu, daß es zwischen den
Herstellern zu Willensübereinstimmungen gekommen ist.
- 29.
- Für das Jahr 1979 hat das Gericht in Randnummer 150 festgestellt, der Bericht
über die Sitzung vom 26. und 27. September 1979 und die bei ICI sichergestellte
Tabelle mit der Bezeichnung „Producers' Sales to West Europe“ wiesen darauf hin,
daß die für 1979 ursprünglich geplante Regelung für die letzten drei Monate des
Jahres hätten verschärft werden sollen.
- 30.
- Für das Jahr 1980 hat das Gericht in Randnummer 151 festgestellt, daß die
Festlegung von Verkaufsmengenzielen für das gesamte Jahr aus der bei der
Atochemie SA aufgefundenen Tabelle vom 26. Februar 1980 und aus dem Bericht
über die Sitzungen vom Januar 1981 hervorgehe; diese Schriftstücke würden durch
eine Tabelle vom 8. Oktober 1980 bestätigt, in der die nominale Kapazität und die
Quote für 1980 der einzelnen Hersteller miteinander verglichen würden.
- 31.
- Für 1981 hat das Gericht in den Randnummern 152 bis 157 ausgeführt, daß den
Herstellern vorgeworfen werde, daß sie an den Verhandlungen teilgenommen
hätten, um zu einer Quotenvereinbarung zu kommen, sowie daß sie ihre
„Bestrebungen“ mitgeteilt hätten und übereingekommen seien, ihre monatlichen
Verkäufe während der Monate Februar und März 1981 vorübergehend auf ein
Zwölftel von 85 % des für 1980 vereinbarten „Ziels“ zu reduzieren, daß sie sich für
den Rest des Jahres dieselbe theoretische Quote wie für das Vorjahr zugewiesen
hätten, daß sie jeden Monat in den Sitzungen ihre Verkäufe bekanntgegeben hätten
und daß sie schließlich überprüft hätten, ob bei ihren Verkäufen die zugeteilte
theoretische Quote eingehalten worden sei. Daß zwischen den Herstellern die
genannten Verhandlungen stattgefunden hätten und daß „Bestrebungen“ mitgeteilt
worden seien, werde durch verschiedene Beweismittel belegt, so durch Tabellen
und einen internen Vermerk von ICI. Die Annahme vorläufiger Maßnahmen in den
Monaten Februar und März 1981 ergebe sich aus dem Bericht über die Sitzungen
vom Januar 1981. Die Tatsache, daß sich die Hersteller für den Rest des Jahres
dieselbe theoretische Quote wie für das Vorjahr zugewiesen und durch den
monatlichen Austausch ihrer Verkaufszahlen überprüft hätten, ob diese Quote
eingehalten worden sei, werde durch drei im Zusammenhang zu sehende
Schriftstücke, eine Tabelle vom 20. Dezember 1981, eine bei ICI gefundene Tabelleohne Datum mit der Bezeichnung „Scarti per società“ und eine ebenfalls bei ICI
gefundene, nicht datierte Tabelle, bewiesen. Die Teilnahme von Anic an diesen
verschiedenen Aktivitäten ergebe sich aus ihrer Teilnahme an den Sitzungen, in
denen diese Aktionen stattgefunden hätten, und daraus, daß ihr Name in den
erwähnten Schriftstücken genannt werde.
- 32.
- Für 1982 hat das Gericht in den Randnummern 158 bis 160 festgestellt, daß den
Herstellern vorgeworfen werde, daß sie an Verhandlungen im Hinblick auf den
Abschluß einer Quotenvereinbarung teilgenommen hätten, daß sie ihre
Bestrebungen im Hinblick auf die Verkaufsmengen mitgeteilt hätten, daß sie in
Ermangelung einer endgültigen Vereinbarung ihre monatlichen Verkaufszahlen für
das erste Halbjahr mitgeteilt und mit dem im Vorjahr erzielten prozentualen Anteil
verglichen hätten und daß sie sich während des zweiten Halbjahres bemüht hätten,
ihre monatlichen Verkäufe auf den prozentualen Anteil des Gesamtmarkts zu
beschränken, den sie in der ersten Hälfte dieses Jahres erzielt hätten. Daß die
genannten Verhandlungen stattgefunden hätten und Bestrebungen mitgeteilt
worden seien, werde belegt durch ein Schriftstück mit der Bezeichnung „Scheme
for discussions 'quota system 1982'“, durch einen Vermerk von ICI mit der
Bezeichnung „Polypropylene 1982, Guidelines“, durch eine Tabelle vom 17.
Februar 1982 und durch eine in italienischer Sprache abgefaßte Tabelle, die einen
komplexen Vorschlag darstelle. Die für das erste Halbjahr getroffenen Maßnahmen
würden durch den Bericht über die Sitzung vom 13. Mai 1982 bewiesen. Die
Durchführung dieser Maßnahmen werde durch die Berichte über die Sitzungen
vom 9. Juni, vom 20. und 21. Juli und vom 20. August 1982 bewiesen.
- 33.
- In Randnummer 161 hat das Gericht ferner festgestellt, daß die Kommission für
das Jahr 1981 und die erste Hälfte des Jahres 1982 aus der Tatsache, daß in den
regelmäßigen Sitzungen eine gegenseitige Überwachung der Durchführung eines
Systems zur Begrenzung der monatlichen Verkäufe im Verhältnis zu einem
vorausgegangenen Bezugszeitraum stattgefunden habe, zu Recht gefolgert habe,
daß dieses System von den Teilnehmern an den Sitzungen angenommen worden
sei.
- 34.
- Zudem sei die Kommission, so das Gericht weiter in Randnummer 162, in
Anbetracht des Umstands, daß mit den verschiedenen Maßnahmen zur Begrenzung
der Verkaufsmengen dasselbe Ziel - Verringerung des von dem Überangebot
ausgehenden Drucks auf die Preise - verfolgt worden sei, zu Recht zu dem Schluß
gelangt, daß diese Maßnahmen Teil eines Quotensystems gewesen seien.
- 35.
- In den Randnummern 163 bis 166 hat das Gericht ausgeführt, die Argumente von
Anic seien nicht geeignet, die tatsächlichen Feststellungen der Kommission zu
entkräften. Erstens widerlegten die Sitzungsberichte die Ansicht, die von der
Kommission vorgelegten Schriftstücke stammten von Dritten und seien nicht das
Ergebnis von Erörterungen zwischen den Herstellern. Zweitens könne, selbst wenn
feststehen würde, daß Anic ihre Produktionskapazitäten voll ausgeschöpft habe,
dies bestenfalls beweisen, daß sich Anic nicht an ihre Vereinbarungen gehaltenhabe. Drittens mindere auch die gemeinsame Nennung von Anic/SIR in zahlreichen
Schriftstücken nicht den Beweiswert dieser Schriftstücke, die alle aus der Zeit nach
November 1980 stammten, als die Gesellschaft ENI, zu der Anic gehört habe,
ermächtigt gewesen sei, die Führung von SIR zu übernehmen, so daß diese
Gesellschaften nicht mehr miteinander konkurriert hätten.
- 36.
- Dagegen sei der Kommission, so hat das Gericht in den Randnummern 167 und
168 festgestellt, rechtlich nicht der Beweis gelungen, daß Anic an Maßnahmen zur
Begrenzung der Verkaufsmengen für das zweite Halbjahr 1982 beteiligt gewesen
sei, weil Anic seit Mitte 1982 nicht mehr an den Sitzungen teilgenommen habe und
die Begrenzung der monatlichen Verkaufsmengen untrennbar mit der später in
Sitzungen durchgeführten Kontrolle verbunden gewesen sei, inwieweit dietatsächlich erzielten Zahlen und die Zahlen, die theoretisch hätten erzielt werden
sollen, übereingestimmt hätten. Diese Feststellung werde dadurch gestützt, daß die
Berichte über die Sitzungen vom 6. Oktober und vom 2. Dezember 1982, in denen
die Durchführung der Begrenzung der monatlichen Verkäufe kontrolliert worden
sei, erkennen ließen, daß Anic nicht an dieser Kontrolle beteiligt gewesen sei.
- 37.
- Schließlich hat das Gericht in den Randnummern 169 und 170 festgestellt, Anic
werde vorgeworfen, im letzten Quartal 1982 an Verhandlungen für eine
Quotenvereinbarung für 1983 teilgenommen zu haben und so immer noch
mindestens im ersten Quartal 1983 an den Vereinbarungen beteiligt gewesen zu
sein, obwohl sie seit Mitte oder Ende 1982 an keiner Sitzung mehr teilgenommen
habe. In den Randnummern 171 bis 174 ist ausgeführt worden, Anic könne in
diesem Zusammenhang nicht geltend machen, eine solche Teilnahme sei
unwahrscheinlich, weil sie zu diesem Zeitpunkt den Polypropylenmarkt bereits
verlassen habe, denn die Kommission habe aus der Antwort von Anic auf das
Auskunftsverlangen zu Recht u. a. geschlossen, daß Anic bis April 1983 auf dem
Polypropylenmarkt tätig gewesen sei. Somit sei es nicht unwahrscheinlich, daß Anic
Ende 1982 den anderen Herstellern ihre Bestrebungen bezüglich der
Quotenfestlegung für das erste Quartal 1983 mitgeteilt habe, und es sei daher zu
prüfen, ob die Kommission diesen Umstand rechtlich hinreichend nachgewiesen
habe.
- 38.
- Dazu hat das Gericht in den Randnummern 175 bis 177 ausgeführt, die
Kommission habe sich auf einen handgeschriebenen Vermerk eines Angestellten
von ICI vom 28. Oktober 1982 stützen können, der die Bestrebungen von Anic
bezüglich der Verkaufsmengen und ihre Vorschläge für die den anderen
Herstellern zuzuteilenden Quoten enthalten habe. Dies müsse als punktuelle
Beteiligung an den Verhandlungen zur Festlegung von Quoten für das erste
Quartal 1983 betrachtet werden.
- 39.
- Aus alledem hat das Gericht in Randnummer 178 abgeleitet, daß der Kommission
rechtlich der Beweis gelungen sei, daß Anic zu den Polypropylenherstellern gehört
habe, zwischen denen es zu Willensübereinstimmungen über die in derEntscheidung genannten Verkaufsmengenziele für die Jahre 1979 und 1980 sowie
über die dort genannte Begrenzung ihrer monatlichen Verkäufe für das Jahr 1981
und das erste Halbjahr 1982 im Verhältnis zu einem vorausgegangenen
Bezugszeitraum gekommen sei, die Teil eines Quotensystems gewesen seien, und
daß Anic Ende Oktober 1982 ICI ihre Bestrebungen bezüglich der
Verkaufsmengen für das erste Quartal 1983 mitgeteilt habe. Dagegen sei der
Kommission rechtlich nicht der Beweis gelungen, daß Anic zu den
Polypropylenherstellern gehört habe, zwischen denen es zu
Willensübereinstimmungen über die Begrenzung ihrer monatlichen Verkäufe für
das zweite Halbjahr 1982 im Verhältnis zu einem vorausgegangenen
Bezugszeitraum gekommen sei.
Zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
Rechtliche Qualifizierung
- 40.
- In den Randnummern 196 und 197 hat das Gericht festgestellt, daß die
Kommission jeden tatsächlichen Einzelakt entweder unter den Begriff der
Vereinbarung oder jedenfalls den der abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von
Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages subsumiert habe. In Randnummer 198 hat das
Gericht unter Hinweis auf die Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der
Rechtssache 41/69 (ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970, 661) und vom 29.
Oktober 1980 in den Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78 (Van
Landewyck/Kommission, Slg. 1980, 3125) ausgeführt, eine Vereinbarung im Sinne
von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages liege schon dann vor, wenn die betreffenden
Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht hätten, sich auf
dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten. Die Kommission habe die
Willensübereinstimmungen zwischen Anic und anderen Herstellern , die auf
Preisinitiativen, auf Verkaufsmengenziele für die Jahre 1979 und 1980 und auf
Maßnahmen zur Begrenzung der monatlichen Verkäufe für das Jahr 1981 und das
erste Halbjahr 1982 im Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum
gerichtet gewesen seien, zu Recht als Vereinbarungen angesehen.
- 41.
- In Randnummer 199 hat das Gericht für die Bestimmung des Begriffes der
abgestimmten Verhaltensweise auf das Urteil des Gerichtshofes vom 16. Dezember
1975 in den Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und
114/73 (Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663) verwiesen. In Randnummer
200 hat es ausgeführt, im vorliegenden Fall habe Anic an Sitzungen teilgenommen,
deren Zweck es gewesen sei, Preis- und Verkaufsmengenziele festzulegen, und in
denen die Wettbewerber Informationen darüber ausgetauscht hätten. Sie habe sich
so an einer Abstimmung beteiligt, deren Zweck es gewesen sei, das Marktverhalten
der Hersteller zu beeinflussen und offenzulegen, welches Marktverhalten die
einzelnen Hersteller selbst in Erwägung zögen. Anic habe damit, so das Gericht
weiter in Randnummer 201, nicht nur das Ziel verfolgt, im voraus die Ungewißheit
über das künftige Verhalten ihrer Wettbewerber zu beseitigen, sondern sie habe
bei der Festlegung der Politik, die sie auf dem Markt habe verfolgen wollen,zwangsläufig auch unmittelbar oder mittelbar die in diesen Sitzungen erhaltenen
Informationen berücksichtigen müssen. Auch ihre Wettbewerber hätten bei der
Festlegung der Politik, die sie hätten verfolgen wollen, zwangsläufig unmittelbar
oder mittelbar die Informationen berücksichtigen müssen, die ihnen Anic über das
Marktverhalten gegeben habe, das sie selbst für sich beschlossen oder in Erwägung
gezogen habe. Folglich habe die Kommission, so das Gericht in Randnummer 202,
die regelmäßigen Sitzungen, an denen Anic zwischen Ende 1978 oder Anfang 1979
und Mitte 1982 teilgenommen habe, und die von Anic Ende Oktober 1982 an ICI
gerichtete Mitteilung ihrer Bestrebungen, ausgedrückt in Verkaufsmengen für das
erste Quartal 1983, wegen ihres Zweckes zu Recht hilfsweise als abgestimmte
Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages angesehen.
- 42.
- Zum Vorliegen einer einzigen, in Artikel 1 der Polypropylen-Entscheidung als „eine
Vereinbarung und aufeinander abgestimmte Verhaltensweise“ bezeichneten
Zuwiderhandlung hat das Gericht in Randnummer 203 zunächst darauf
hingewiesen, daß die verschiedenen abgestimmten Verhaltensweisen und
Vereinbarungen, die von den Beteiligten eingehalten und abgeschlossen worden
seien, wegen ihres übereinstimmenden Zweckes Teil von Systemen regelmäßiger
Sitzungen zur Festsetzung von Preiszielen und Quoten gewesen seien. In
Randnummer 204 hat das Gericht dann ausgeführt, diese Systeme seien wiederum
Teil einer Reihe von Bemühungen der betroffenen Unternehmen gewesen, mit
denen ein einziges wirtschaftliches Ziel verfolgt worden sei, nämlich die normale
Entwicklung der Preise auf dem Polypropylenmarkt zu verfälschen. Es wäre daher,
so das Gericht weiter, gekünstelt, dieses durch ein einziges Ziel gekennzeichnete
kontinuierliche Verhalten zu zerlegen und darin mehrere selbständige
Zuwiderhandlungen zu sehen. Tatsächlich habe sich Anic - jahrelang - an einem
Komplex integrierter Systeme beteiligt, die eine einheitliche Zuwiderhandlung
darstellten. Diese einheitliche Zuwiderhandlung habe sich nach und nach sowohl
in rechtswidrigen Vereinbarungen als auch in rechtswidrigen abgestimmten
Verhaltensweisen konkretisiert.
- 43.
- Das Gericht hat daher in Randnummer 205 festgestellt, die Kommission habe diese
einheitliche Zuwiderhandlung zu Recht als „eine Vereinbarung und aufeinander
abgestimmte Verhaltensweise“ qualifiziert, da diese Zuwiderhandlung sowohl
Einzelakte aufgewiesen habe, die als „Vereinbarungen“ anzusehen seien, als auch
Einzelakte, die „abgestimmte Verhaltensweisen“ dargestellt hätten. Angesichts
einer komplexen Zuwiderhandlung sei die von der Kommission in Artikel 1 der
Polypropylen-Entscheidung vorgenommene doppelte Subsumtion nicht so zu
verstehen, daß für jeden Einzelakt gleichzeitig und kumulativ der Nachweis
erforderlich sei, daß er sowohl die Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung als
auch die einer abgestimmten Verhaltensweise erfülle. Sie beziehe sich vielmehr auf
einen Komplex von Einzelakten, von denen einige als Vereinbarungen und andere
als abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
anzusehen seien, der ja für diesen Typ einer komplexen Zuwiderhandlung keine
spezifische Subsumtion vorschreibe. Randnummer 206 zufolge ist Kommission derBeweis gelungen, daß Anic sämtliche Tatbestandsmerkmale dieser
Zuwiderhandlung während der Dauer ihrer Teilnahme an dem System
regelmäßiger Sitzungen der Polypropylenhersteller erfüllt hat, und die Kommission
hat Anic somit nicht für das Verhalten anderer Hersteller verantwortlich gemacht.
Wettbewerbsbeschränkende Wirkung
- 44.
- Zu dem Vorbringen von Anic, daß ihre Beteiligung an den regelmäßigen Sitzungen
der Polypropylenhersteller keine wettbewerbswidrige Wirkung oder Bestimmung
gehabt habe, hat das Gericht in Randnummer 215 darauf hingewiesen, daß diese
Sitzungen jedenfalls die Beschränkung des Wettbewerbs innerhalb des
Gemeinsamen Marktes namentlich durch die Festlegung von Preis- und
Verkaufsmengenzielen bezweckt hätten und daß die Teilnahme von Anic an diesen
Sitzungen folglich eines wettbewerbswidrigen Zweckes im Sinne von Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages nicht entbehrt habe. Im übrigen sei, so das Gericht in
Randnummer 216, nicht entscheidend, ob der individuelle Tatbeitrag von Anic
geeignet gewesen sei, den Wettbewerb zu beschränken, sondern ob die
Zuwiderhandlung, an der sie zusammen mit anderen beteiligt gewesen sei, den
Wettbewerb habe beschränken können. Hierzu sei darauf hinzuweisen, daß die
betreffenden Unternehmen praktisch den gesamten in Rede stehenden Markt
innehätten, woraus sich eindeutig ergebe, daß die von ihnen gemeinsam begangene
Zuwiderhandlung geeignet gewesen sei, den Wettbewerb zu beschränken.
Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten
- 45.
- In Randnummer 223 hat das Gericht darauf hingewiesen, daß die Kommission im
Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages nicht verpflichtet gewesen sei,
darzutun, daß sich die Beteiligung von Anic an einer Vereinbarung und einer
abgestimmten Verhaltensweise spürbar auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten
ausgewirkt habe. Vielmehr müßten die Vereinbarungen und abgestimmten
Verhaltensweisen lediglich geeignet sein, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu
beeinträchtigen. Unter Hinweis auf das Urteil Van Landewyck u. a./Kommission
hat das Gericht insoweit festgestellt, daß die Wettbewerbsbeschränkungen im
vorliegenden Fall geeignet gewesen seien, die Handelsströme aus der Richtung
abzulenken, die sie andernfalls genommen hätten. Im übrigen könne sich Anic, so
das Gericht in Randnummer 224, nicht auf ihre geringe Bedeutung auf dem Markt
berufen, weil die von ihr gemeinsam mit anderen begangene Zuwiderhandlung
geeignet gewesen sei, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
Folglich sei der Kommission, so das Gericht in Randnummer 225, rechtlich der
Beweis gelungen, daß die Zuwiderhandlung, an der Anic beteiligt gewesen sei,
geeignet gewesen sei, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen,
ohne daß sie habe darzutun brauchen, daß der individuelle Tatbeitrag von Anic
diesen Handel beeinträchtigt habe.
- 46.
- Gemäß Randnummer 227 ergibt sich aus alledem, daß Artikel 1 der
Polypropylen-Entscheidung für nichtig zu erklären ist, soweit dort erstensfestgestellt wird, daß sich Anic seit einem Zeitpunkt vor Ende 1978 oder Anfang
1979 sowie nach Ende Oktober 1982 an der Zuwiderhandlung beteiligt habe, denn
der Beweis für die von der Kommission zu Lasten von Anic getroffenen
tatsächlichen Feststellungen für diese Zeiten sei nicht erbracht, zweitens daß sich
Anic nach Mitte 1982 an den regelmäßigen Sitzungen der Polypropylenhersteller,
an den Preisinitiativen und an den Begrenzungen der Verkaufsmengen im
Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum beteiligt habe, und drittens
daß sich Anic an den Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der
Preisinitiativen beteiligt habe, denn der Beweis für diese von der Kommission zu
Lasten von Anic getroffenen tatsächlichen Feststellungen sei nicht erbracht. Im
übrigen seien die Rügen von Anic gegen die von der Kommission in der
angefochtenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Feststellungen und gegen die
dort vorgenommene Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
zurückzuweisen.
Zur Verantwortlichkeit von Anic für den Verstoß
- 47.
- In seiner Entscheidung über das Vorbringen von Anic, daß die Kommission die
begangene Zuwiderhandlung zum Teil anderen italienischen Herstellern - Monte
und SIR - hätte zurechnen müssen, mit denen Anic nach Umstrukturierungen
zusammengearbeitet habe, hat das Gericht in den Randnummern 235 und 236
erstens darauf hingewiesen, daß Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages an
wirtschaftliche Einheiten gerichtet sei, die von einer Gesamtheit materieller und
personeller Faktoren gebildet würden, und daß dann, wenn eine Zuwiderhandlung
bewiesen sei, die natürliche oder juristische Person zu ermitteln sei, die für den
Betrieb des Unternehmens zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung verantwortlich
gewesen sei.
- 48.
- Zweitens hat das Gericht in Randnummer 237 ausgeführt, wenn die für den Betrieb
des Unternehmens verantwortliche Person aufgehört habe, rechtlich zu existieren,
so sei zunächst die Gesamtheit der materiellen und personellen Faktoren
festzustellen, die an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen seien, um sodann zu
ermitteln, wem die Verantwortung für den Betrieb dieser Gesamtheit übertragen
worden sei, damit sich das Unternehmen seiner Verantwortlichkeit für die
Zuwiderhandlung nicht deshalb entziehen könne, weil die zum Zeitpunkt der
Zuwiderhandlung für seinen Betrieb verantwortliche Person nicht mehr bestehe.
- 49.
- Im Falle von Anic, so hat das Gericht in den Randnummern 238 bis 242 dargelegt,
habe die juristische Person, die für den Betrieb des Unternehmens zum Zeitpunkt
der Zuwiderhandlung verantwortlich gewesen sei, bis zum Erlaß der Entscheidung
der Kommission rechtlich fortbestanden und diese habe ihr zu Recht dieZuwiderhandlung zugerechnet. Der Fall von Saga Petrokjemi, auf den Anic
verwiesen hatte, sei anders gelagert gewesen, da diese juristische Person infolge
ihrer Fusion mit Statoil rechtlich nicht mehr bestanden habe. Zu dem Vorwurf,
Anic seien Handlungen von SIR zugerechnet worden, hat das Gericht ausgeführt,daß die Zuwiderhandlung im Falle von Anic allein aufgrund von deren eigenen
Handlungen festgestellt worden sei und daß die Kommission erklärt habe, eine
etwaige Zuwiderhandlung von SIR hätte diesem Unternehmen selbst zugerechnet
werden müssen, sie habe jedoch aus Zweckmäßigkeitsgründen von der Einleitung
eines Verfahrens gegen dieses Unternehmen abgesehen.
Zur Höhe der Geldbuße
- 50.
- In den Randnummern 259 bis 261 hat das Gericht ausgeführt, daß die
Zuwiderhandlung seiner Würdigung zufolge von kürzerer Dauer als von der
Kommission festgestellt gewesen sei und daß die Geldbuße infolgedessen
herabzusetzen sei.
- 51.
- Zur Schwere der Zuwiderhandlung hat das Gericht in den Randnummern 264 und
265 festgestellt, daß die Kommission die Rolle, die Anic während der Dauer ihrer
Beteiligung an der Zuwiderhandlung gespielt habe, zutreffend festgestellt habe und
daß sie daher bei der Berechnung der Geldbuße zu Recht von dieser Rolle
ausgegangen sei. Zudem zeige die Schwere, die die festgestellten Handlungen
charakterisiere - insbesondere die Festsetzung von Zielpreisen und
Verkaufsmengen -, daß Anic nicht leichtfertig oder auch nur fahrlässig, sondern
vorsätzlich gehandelt habe.
- 52.
- In seiner Entscheidung über das Vorbringen von Anic, daß die Kommission bei der
Bemessung der Geldbuße ihre Bedeutung auf dem Markt nicht zutreffend
berücksichtigt habe, hat das Gericht in den Randnummern 269 bis 275 festgestellt,
daß die Kommission zum einen die bei weitem das allgemeine Niveau der
verhängten Geldbußen rechtfertigende Kriterien für die Bestimmung des
allgemeinen Niveaus der gegen die Unternehmen, an die die Polypropylen-Entscheidung gerichtet sei, verhängten Geldbußen (Polypropylen-Entscheidung,
Randnr. 108) und zum anderen sachgerechte und genügende Kriterien für die
gerechte Abstufung der gegen die einzelnen Unternehmen verhängten Geldbußen
(Polypropylen-Entscheidung, Randnr. 109) festgelegt habe. Zu der letztgenannten
Gruppe, den als sachgerecht und genügend erachteten Kriterien, hat das Gericht
ausgeführt, daß die Kommission bei der Bemessung der gegen die einzelnen
Unternehmen zu verhängenden Geldbuße auf deren Bedeutung auf dem
Polypropylenmarkt der Gemeinschaft abgestellt habe. Daß die Kommission die
insoweit berücksichtigten Zahlen in der Polypropylen-Entscheidung nicht erwähnt
habe, habe nicht zu einer rechtswidrigen Entscheidung geführt, da die Kommission
im Verfahren vor dem Gericht die maßgeblichen Zahlen vorgelegt habe, deren
Richtigkeit Anic nicht bestritten habe. Folglich habe die Kommission bei der
Bemessung der Geldbuße die Bedeutung von Anic auf dem Polypropylenmarkt der
Gemeinschaft zutreffend berücksichtigt.
- 53.
- Zu dem Vorbringen von Anic, die Kommission hätte die Auswirkungen der
Zuwiderhandlung und insbesondere das tatsächliche Marktverhalten von Anic
sowohl bezüglich der Preise als auch hinsichtlich der Mengen berücksichtigenmüssen, das unabhängig von einer Beteiligung an Vereinbarungen oder
abgestimmten Verhaltensweisen erklärt werden könne, und zu dem Hilfsvorbringen
von Anic, daß ihre etwaige Beteiligung an Vereinbarungen oder abgestimmten
Verhaltensweisen keine Auswirkung auf den Wettbewerb und den Handel zwischen
Mitgliedstaaten gehabt habe, hat das Gericht in Randnummer 279 festgestellt, daß
die Kommission zwei Arten von Wirkungen unterschieden habe, nämlich erstens
die Preisinstruktionen der Hersteller an ihre Verkaufsabteilungen und zweitens die
Entwicklung der den einzelnen Kunden berechneten Preise. Laut Randnummer 280
ist der Kommission rechtlich der Beweis für den Eintritt der Wirkungen der ersten
Art aufgrund der zahlreichen von den einzelnen Herstellern erteilten
Preisinstruktionen gelungen. Zu den Wirkungen der zweiten Art hat das Gericht
in Randnummer 281 festgestellt, aus der Polypropylen-Entscheidung gehe hervor,
daß die Kommission bei der Festsetzung der Geldbußen mildernd berücksichtigt
habe, daß die Preisinitiativen im allgemeinen nicht ihr ganzes Ziel erreicht hätten
und daß keine Maßnahmen vorgesehen gewesen seien, um die Befolgung der
Quoten oder anderer Arrangements zu erzwingen. In den Randnummern 282 und
283 hat das Gericht aus alledem abgeleitet, daß die Kommission zu Recht die
Wirkungen der ersten Art in vollem Umfang berücksichtigt und der begrenzten
Natur der Wirkungen der zweiten Art in einem Maß Rechnung getragen habe, von
dem Anic nicht dargetan habe, inwieweit es nicht ausreichend gewesen sein solle.
Außerdem hat das Gericht dort daran erinnert, daß es die Argumentation von Anic
bezüglich ihrer geringen Bedeutung auf dem Markt bereits zurückgewiesen habe.
- 54.
- In Randnummer 290 hat das Gericht festgestellt, die Kommission habe dem
Umstand Rechnung getragen, daß die Unternehmen lange Zeit erhebliche Verluste
im Polypropylensektor hätten hinnehmen müssen, und sie habe damit bei der
Festsetzung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen auch den ungünstigen
wirtschaftlichen Bedingungen des Sektors Rechnung getragen. Auch wenn die
Kommission in der Vergangenheit beschlossen habe, die Krisensituation zu
berücksichtigen, in der sich der betreffende Wirtschaftssektor befunden habe, sei
sie dadurch nicht gezwungen, eine solche Situation im vorliegenden Fall in gleicher
Weise zu berücksichtigen.
- 55.
- Schließlich hat das Gericht in den Randnummern 295 und 299 festgestellt, daß das
Fehlen einer früheren Zuwiderhandlung keinen mildernden Umstand habe
darstellen können und daß die Kommission bei der Festsetzung der Höhe der
gegen Anic zu verhängenden Geldbuße von einer zutreffenden rechtlichen
Qualifizierung der Zuwiderhandlung ausgegangen sei.
- 56.
- Aus alledem hat das Gericht in Randnummer 301 abgeleitet, daß die gegen Anic
verhängte Geldbuße der Schwere des festgestellten Verstoßes gegen die
Wettbewerbsregeln angemessen sei, daß sie jedoch wegen der kürzeren Dauer
dieses Verstoßes herabzusetzen sei. Erstens verkürze sich, so hat das Gericht in
Randnummer 302 ausgeführt, die Dauer des Verstoßes von insgesamt 62 Monaten
für die Zeit von ungefähr November 1977 bis Ende 1978 oder Anfang 1979 um 14Monate. Allerdings habe die Kommission bei der Festsetzung der Geldbußen
bereits berücksichtigt, daß der Mechanismus der Zuwiderhandlung bis etwa Anfang
1979 noch nicht völlig funktioniert habe. Zweitens verkürze sich, so das Gericht in
Randnummer 303, die Dauer der Zuwiderhandlung für die Zeit von Ende Oktober
1982 bis Ende 1982 oder Anfang 1983, in der die Zuwiderhandlung eine besondere
Schwere aufgewiesen habe, um weitere zwei Monate. Drittens habe, so das Gericht
weiter in Randnummer 304, die Kommission - abgesehen von der von Anic Ende
Oktober 1982 an ICI gerichteten Mitteilung ihrer Bestrebungen bezüglich der
Verkaufsmengen für das erste Quartal 1983 - eine Beteiligung von Anic an einem
der Tatbestände der Zuwiderhandlung nach Mitte 1982 nicht bewiesen. Viertens
hat die Kommission laut Randnummer 305 nicht rechtlich hinreichend bewiesen,
daß Anic nicht an den Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der
Preisinitiativen beteiligt war. Das Gericht ist deshalb zu der Ansicht gelangt, daß
die Geldbuße um 40 % herabzusetzen sei.
- 57.
- Dementsprechend hat das Gericht für Recht erkannt und entschieden:
1. Artikel 1 der Polypropylen-Entscheidung wird für nichtig erklärt, soweit dort
festgestellt wird, daß die Klägerin
- vor Ende 1978 oder Anfang 1979 und nach Ende Oktober 1982 an
der Zuwiderhandlung;
- nach Mitte 1982 an dem System regelmäßiger Sitzungen der
Polypropylenhersteller, an den Preisinitiativen und an der Begrenzung
der monatlichen Verkäufe im Verhältnis zu einem vorausgegangenen
Bezugszeitraum;
- an Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen
beteiligt gewesen ist.
2. Die in Artikel 3 dieser Entscheidung gegen die Klägerin verhängte
Geldbuße wird auf 450 000 ECU bzw. 662 215 500 ITL festgesetzt.
3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
Das Rechtsmittel
- 58.
- In ihrer Rechtsmittelschrift beantragt die Kommission,
- das angefochtene Urteil hinsichtlich der Teile in Nummer 1 zweiter und
dritter Gedankenstrich des Tenors aufzuheben;
- die Geldbuße auf 562 500 ECU festzusetzen;
- die auf Nichtigerklärung der Polypropylen-Entscheidung gerichteten Anträge
von Anic für unzulässig zu erklären;
- die Rechtsmittelgründe von Anic gegen das angefochtene Urteil insgesamt
zurückzuweisen;
- Anic die Kosten aufzuerlegen.
- 59.
- Anic beantragt,
- das Rechtsmittel der Kommission gegen das angefochtene Urteil insgesamt
zurückzuweisen;
- das angefochtene Urteil wegen unzulänglicher und widersprüchlicher
Begründung und wegen falscher Rechtsanwendung bei der Bestimmung des
Endes ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung aufzuheben, den
genannten Zeitpunkt auf Juni und nicht Oktober 1982 festzusetzen und
nach Aufhebung des entsprechenden Teils von Artikel 1 der
Polypropylen-Entscheidung die gegen sie verhängte Geldbuße
dementsprechend herabzusetzen oder die Sache zu diesem Zweck an das
Gericht zurückzuverweisen;
- das angefochtene Urteil wegen unzulänglicher und widersprüchlicher
Begründung und wegen falscher Rechtsanwendung hinsichtlich der in bezug
auf die Verantwortlichkeit, die Feststellung der Zuwiderhandlung sowie
deren rechtliche Qualifikation und Schwere angewandten Grundsätze
aufzuheben, die Umstände und die Kriterien für die Bemessung der gegen
sie festgesetzten Geldbuße neu zu bewerten und nach Aufhebung des
entsprechenden Teils von Artikel 3 der Polypropylen-Entscheidung die
fragliche Geldbuße angemessen herabzusetzen oder hilfsweise die Sache zu
diesem Zweck an das Gericht zurückzuverweisen;
- der Kommission die Kosten sowohl des Verfahrens in der ersten Instanz als
auch des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.
- 60.
- Anic beantragt ferner, die geeigneten Maßnahmen zur Prüfung der Frage zu
treffen, ob die Polypropylen-Entscheidung unter Beachtung der vorgesehenen
Verfahrensvorschriften erlassen worden ist, und sie, wenn dies zu verneinen ist, für
inexistent oder für ihr gegenüber nichtig zu erklären.
- 61.
- Zur Begründung ihres Rechtsmittels bringt die Kommission zwei
Rechtsmittelgründe vor, mit denen sie die Verletzung des Gemeinschaftsrechts
durch irrige Auslegung der Polypropylen-Entscheidung und durch einenWiderspruch zwischen den Gründen und dem Tenor des angefochtenen Urteils
geltend macht. Die genannten Mängel hätten auch zu einer falschen Bemessung
der Geldbuße geführt.
- 62.
- Zur Begründung ihres Anschlußrechtsmittels macht Anic eine Verletzung des
Gemeinschaftsrechts durch unzulängliche und widersprüchliche Begründung des
angefochtenen Urteils sowie falsche Rechtsanwendung geltend. Dabei rügt sie
erstens Mängel des Verfahrens zum Erlaß der Polypropylen-Entscheidung, zweitens
die Verletzung des Grundsatzes der persönlichen Verantwortlichkeit, drittens die
unzutreffende Feststellung der Zuwiderhandlung, viertens deren unzutreffende
rechtliche Qualifizierung, fünftens die fehlerhafte Zurechnung der Verantwortung,
sechstens die unzutreffende Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung und
siebtens die falsche Bemessung der Geldbuße.
- 63.
- Auf Antrag der Kommission hat der Präsident des Gerichtshofes das Verfahren
entgegen dem Widerspruch von seiten von Anic durch Entscheidung vom 27. Juli
1992 zur Prüfung der Konsequenzen ausgesetzt, die aus dem Urteil vom 15. Juni
1994 in der Rechtssache C-137/92 P (Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555; im
folgenden: PVC-Urteil des Gerichtshofes) zu ziehen sind, das auf das Rechtsmittel
gegen das Urteil des Gerichts vom 27. Februar 1992 in den Rechtssachen T-79/89,
T-84/89 bis T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89, T-98/89, T-102/89
und T-104/89 (BASF u. a./Kommission, Slg. 1992, II-315; im folgenden: PVC-Urteil
des Gerichts) ergangen ist.
Zum Anschlußrechtsmittel von Anic
Zum Verfahren zum Erlaß der Polypropylen-Entscheidung
- 64.
- Mit der zunächst zu prüfenden ersten Rüge zur Begründung ihres
Anschlußrechtsmittels macht Anic geltend, angesichts der PVC-Urteile des Gerichts
und des Gerichtshofes sei sie der Ansicht, daß die Kommission bei Erlaß der
Polypropylen-Entscheidung die Verfahrensvorschriften, insbesondere die über die
Zuständigkeit für den Erlaß der Rechtsakte in allen verbindlichen Sprachen und
über die Einhaltung der Förmlichkeiten für deren Feststellung, nicht beachtet habe.
Anic vertritt die Ansicht, hierfür lägen ausreichende Anhaltspunkte vor und
jedenfalls sei der Gerichtshof befugt, nachzuprüfen, ob der Wortlaut in italienischer
Sprache ordnungsgemäß erlassen und festgestellt worden sei. Zu diesem Zweck
könne sich der Gerichtshof die aufgezeichneten Rechtsakte und Erklärungen sowie
die Protokolle über die Sitzung beschaffen, die vom 18. bis 22. November 1991 vor
dem Gericht in der PVC-Sache stattgefunden habe. Wenn der Gerichtshof
feststellen sollte, daß die Polypropylen-Entscheidung nicht ordnungsgemäß erlassen
worden sei, so müsse er sie für inexistent oder jedenfalls für ihr gegenüber nichtig
erklären.
- 65.
- Zu den Einwänden der Kommission gegen die Zulässigkeit dieser Rüge trägt Anic
vor, nach Artikel 116 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes könne sie dieZurückweisung des Rechtsmittels, die Aufhebung des angefochtenen Urteils und
die Ungültigerklärung der Polypropylen-Entscheidung gemäß den in der ersten
Instanz gestellten Anträgen beantragen. Dadurch verändere sie keinesfalls den
Gegenstand des Verfahrens. Jedenfalls gestatte Artikel 42 § 2 der
Verfahrensordnung des Gerichtshofes - dessen Anwendung auf Verfahren, die ein
Rechtsmittel gegen eine Entscheidung des Gerichts zum Gegenstand hätten, Artikel
118 vorsehe - eine Abweichung von der grundsätzlichen Unzulässigkeit neuer
Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens, wenn diese auf
rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt würden, die erst während des
Verfahrens zutage getreten seien. So verhalte es sich hier mit den im
PVC-Verfahren vor dem Gericht ans Licht gekommenen Umstände. Außerdem
handele es sich bei dem Vorliegen von Verfahrensmängeln, die die Gültigkeit der
Polypropylen-Entscheidung bis hin zu der Folge der Inexistenz berühren könnten,
um eine den Ordre public betreffende Frage, die der Gerichtshof von Amts wegen
aufgreifen könne.
- 66.
- Die Kommission ist der Ansicht, diese Rüge und die Anträge, zu der sie führten,
seien offensichtlich unzulässig im Sinne von Artikel 119 der Verfahrensordnung des
Gerichtshofes. Die Beanstandungen von Anic richteten sich gegen die
Polypropylen-Entscheidung und nicht gegen das angefochtene Urteil, denn eine
entsprechende Rüge sei nicht vor dem Gericht vorgebracht worden. Da Anic
keinen Teil des angefochtenen Urteils habe angeben können, auf den die
Beanstandung bezogen werden könne, habe sie in Wirklichkeit beantragt, die
Polypropylen-Entscheidung für inexistent oder hilfsweise für nichtig zu erklären.
Nach den Artikeln 113 und 116 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes müßten
die Anträge gemäß dem Rechtsmittelbegriff des Artikels 49 der EG-Satzung des
Gerichtshofes die vollständige oder teilweise Aufhebung der Entscheidung des
Gerichts zum Gegenstand haben. Außerdem könne das Rechtsmittel - wiederum
nach den genannten Artikeln 113 und 116 - den vor dem Gericht verhandelten
Streitgegenstand nicht verändern.
- 67.
- Nach Artikel 51 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes kann das bei diesem
eingelegte Rechtsmittel nur auf die Unzuständigkeit des Gerichts, auf einen
Verfahrensfehler, durch den die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigt
werden, und auf eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch das Gericht
gestützt werden.
- 68.
- Nach ständiger Rechtsprechung könnte eine Partei, wenn sie vor dem Gerichtshof
erstmals ein Angriffsmittel vorbringen könnte, das sie vor dem Gericht nicht
vorgebracht hat, den Gerichtshof, dessen Befugnisse im Rechtsmittelverfahren
beschränkt sind, letztlich mit einem weiter reichenden Rechtsstreit befassen, als ihn
das Gericht zu entscheiden hatte. Im Rechtsmittelverfahren sind daher die
Befugnisse des Gerichtshofes auf die Überprüfung der Würdigung beschränkt, die
das Gericht hinsichtlich des vor ihm erörterten Vorbringens vorgenommen hat (vgl.
u. a. Urteile vom 1. Juni 1994 in der Rechtssache C-136/92 P, Kommission/BrazzelliLualdi u. a., Slg. 1994, I-1981, Randnr.59, und vom 28. Mai 1998 in der
Rechtssache C-7/95 P, Deere/Kommission, Slg. 1998, I-3111, Randnr. 62).
- 69.
- Im vorliegenden Fall steht fest, daß Anic vor dem Gericht keine Rüge hinsichtlich
der Ordnungsgemäßheit des Verfahrens beim Erlaß der Polypropylen-Entscheidung
vorgetragen hat.
- 70.
- Außerdem betrifft das Rechtsmittel nur das angefochtene Urteil und ermöglicht es
dem Gerichtshof gemäß Artikel 54 Absatz 1 seiner EG-Satzung nur bei dessen
Aufhebung, den Rechtsstreit selbst zu entscheiden. Infolgedessen hat der
Gerichtshof, solange das angefochtene Urteil nicht aufgehoben ist, nicht über
eventuelle Mängel der Polypropylen-Entscheidung zu befinden.
- 71.
- Die erste Rüge ist daher als unzulässig zurückzuweisen. Ebenso unzulässig ist aus
den gleichen Gründen der Antrag auf Erlaß von Maßnahmen zur Klärung der
Frage, ob die Kommission bei Erlaß der Polypropylen-Entscheidung die
anzuwendenden Verfahrensvorschriften eingehalten hat. Nur wenn das
angefochtene Urteil aufgehoben wird, wird zu prüfen sein, ob der Gerichtshof, wie
Anic geltend macht, von Amts wegen zu prüfen hat, ob die
Polypropylen-Entscheidung inexistent ist.
Zur Verletzung des Grundsatzes der persönlichen Verantwortlichkeit
- 72.
- Die zweite Rüge von Anic geht dahin, das Gericht habe dadurch einen
Rechtsirrtum begangen, daß es sie als verantwortlich für das gesamte den
beteiligten Unternehmen zuzurechnende Verhalten angesehen habe, obwohl ihr die
einzelnen Zuwiderhandlungen unmöglich zur Last gelegt werden könnten.
Außerdem weise das angefochtene Urteil einen Begründungsmangel auf, da das
Gericht an keiner Stelle seines Urteils die Frage der Zuweisung einer kollektiven
Verantwortung erörtert habe. Die von der Kommission insoweit angeführten
Randnummern bezögen sich auf die damit zusammenhängende, aber nicht
deckungsgleiche Frage der einheitlichen Zuwiderhandlung.
- 73.
- Die Teilnahme an einem Verstoß gegen Artikel 85 des Vertrages zusammen mit
anderen Unternehmen könne nicht dazu führen, daß diesen Unternehmen
Verhaltensweisen zugeschrieben würden, die sich über einen längeren Zeitraum in
einer Form, Intensität und Dauer zugetragen hätten, die für alle Beteiligten
unterschiedlich seien, zumal wenn die betroffenen Unternehmen nachgewiesen
hätten, daß sie in bezug auf Dauer und Schwere der tatsächlich begangenen
Zuwiderhandlung eine begrenzte Rolle gespielt hätten. Eine derartige
Betrachtungsweise laufe dem analog anwendbaren Grundsatz der persönlichen
strafrechtlichen Verantwortlichkeit zuwider. Das Gericht habe ihr
ungerechtfertigterweise die Verantwortung für Handlungen zugewiesen, an denen
sie erwiesenermaßen nicht beteiligt gewesen sei.
- 74.
- Anic vertritt die Ansicht, die einheitliche Zuwiderhandlung dürfe nicht mit der
kollektiven Verantwortung verwechselt werden. Erstere sei eine
Einteilungshandhabe zur gedanklichen Zusammenfassung verschiedener, konkret
voneinander getrennter Verhaltenseinheiten. Die Qualifizierung als einheitliche
Zuwiderhandlung könne zwar die Kommission möglicherweise von der Beweislast
für die tatsächliche Teilnahme jedes einzelnen Unternehmens an jeder einzelnen
Handlung befreien und eine Verlängerung der Verjährungsfrist herbeiführen; sie
könne aber nicht zu einem Kriterium für die Verantwortungszuweisung werden und
so die Verantwortung von Anic für das gesamte Verhalten sämtlicher mit einer
Ahndung belegten Unternehmen in der fraglichen Zeit auslösen.
- 75.
- Dies komme im vorliegenden Fall einer fehlenden Prüfung der einzelnen
belastenden Beweise gleich und führe durch die Anwendung des Grundsatzes der
einheitlichen Zuwiderhandlung, aus dem sich angeblich der Grundsatz der
kollektiven Verantwortlichkeit ableite, zu einer Verletzung der Verteidigungsrechte
der Beteiligten. Außerdem ergebe sich aus Randnummer 109 der
Polypropylen-Entscheidung, daß durch diese Betrachtungsweise bei der Bemessung
der Geldbuße das Maß der Tätigkeit der einzelnen Unternehmen außer acht
gelassen werde.
- 76.
- Die Kommission trägt vor, Anic stelle hier den vom Gericht in den Randnummern
203 und 204 des angefochtenen Urteils zugrunde gelegten Begriff der einheitlichen
Zuwiderhandlung in Frage. Die verschiedenen abgestimmten Handlungen, die die
Polypropylen herstellenden Unternehmen in einer bestimmten Zeit vorgenommen
hätten, seien Teil eines auf die Stützung des Preises für dieses Erzeugnis
gerichteten Gesamtplans gewesen, der somit einer einheitlichen Zuwiderhandlung
entsprochen habe, die sich in verschiedenen Handlungen konkretisiert habe. Dies
bringe für jedes Unternehmen unabhängig von seiner Teilnahme an dieser oder
jener Handlung eine Verantwortung für die gesamte Zuwiderhandlung mit sich,
ohne daß damit eine Berücksichtigung der mehr oder weniger bedeutsamen
Aktivität des betreffenden Unternehmens für die Zwecke der Bemessung der
Geldbuße ausgeschlossen sei.
- 77.
- Weiter trägt die Kommission vor, die Qualifizierung als einheitliche
Zuwiderhandlung leite sich nicht von einem rechtlichen Begriff her, sondern stelle
eine Sachverhaltswürdigung dar, der die Feststellung einer Verbindung zwischen
verschiedenen aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen zugrunde liege, die auf
ein Ziel in einer ganz bestimmten wirtschaftlichen Situation ausgerichtet gewesen
seien. Man könne nicht abstrakt ausschließen, daß bestimmte Handlungen als
einheitliche Zuwiderhandlung gewertet werden könnten. Somit hätten sie und das
Gericht allenfalls einen Irrtum bei der Sachverhaltswürdigung, gewiß aber keinen
Rechtsirrtum begehen können. Diese Wertung laufe nicht dem Grundsatz der
persönlichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit zuwider, dessen analoge
Anwendbarkeit im vorliegenden Fall einmal unterstellt.
- 78.
- In diesem Zusammenhang ist erstens anzuerkennen, daß die Verantwortlichkeit für
die Begehung der fraglichen Zuwiderhandlungen angesichts von deren Art sowie
der Art und der Schwere der derentwegen verhängten Sanktionen von persönlicher
Natur ist.
- 79.
- Zweitens ist festzustellen, daß sich die Vereinbarungen und aufeinander
abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
notwendigerweise aus einem Zusammenwirken mehrerer Unternehmen ergeben,
die zwar alle Mittäter an der Zuwiderhandlung sind, deren Beteiligung aber
insbesondere gemäß den Merkmalen des betroffenen Marktes und der Stellung des
einzelnen Unternehmens auf diesem Markt, den verfolgten Zielen und der
gewählten oder vorgesehenen Art und Weise der Durchführung verschiedene
Formen aufweisen kann.
- 80.
- Jedoch kann die Verantwortung des einzelnen Unternehmens für die
Gesamtzuwiderhandlung einschließlich des Verhaltens, das zwar von anderen
beteiligten Unternehmen an den Tag gelegt worden ist, aber dieselbe
wettbewerbswidrige Bestimmung oder Wirkung hat, nicht schon allein deshalb
ausgeschlossen sein, weil jedes Unternehmen sich auf eine ihm eigene Art und
Weise an der Zuwiderhandlung beteiligt.
- 81.
- Drittens ist darauf hinzuweisen, daß Artikel 85 des Vertrages Vereinbarungen
zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen einschließlich
des Verhaltens zur Durchführung dieser Vereinbarungen oder Beschlüsse sowie
aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen untersagt, wenn sie den
innergemeinschaftlichen Handel zu beeinträchtigen geeignet sind und eine
wettbewerbswidrige Bestimmung oder Wirkung haben. Ein Verstoß gegen diese
Vorschrift kann sich somit nicht nur aus einer isolierten Handlung, sondern auch
aus einer Reihe von Handlungen oder auch aus einem fortlaufenden Verhalten
ergeben. Dem läßt sich nicht entgegenhalten, daß eine oder mehrere Teile dieser
Reihe von Handlungen oder dieses fortlaufenden Verhaltens auch für sich
genommen einen Verstoß gegen Artikel 85 des Vertrages darstellen könnten.
- 82.
- In Randnummer 204 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, die
festgestellten Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen seien wegen
ihres übereinstimmenden Zweckes Teil von Systemen regelmäßiger Sitzungen zur
Festsetzung von Preiszielen und Quoten gewesen, die wiederum Teil einer Reihe
von Bemühungen der betroffenen Unternehmen gewesen seien, mit denen ein
einziges wirtschaftliches Ziel, die Verfälschung der Entwicklung der Preise, verfolgt
worden sei. Es wäre daher gekünstelt, dieses durch ein einziges Ziel
gekennzeichnete kontinuierliche Verhalten zu zerlegen und darin mehrere
selbständige Zuwiderhandlungen zu sehen. Tatsächlich habe sich Anic - jahrelang
- an einem Komplex integrierter Systeme beteiligt, die eine einheitliche
Zuwiderhandlung darstellten. Diese einheitliche Zuwiderhandlung habe sich nach
und nach sowohl in rechtswidrigen Vereinbarungen als auch in rechtswidrigen
abgestimmten Verhaltensweisen konkretisiert.
- 83.
- Aufgrund dessen hat das Gericht durchaus der Ansicht sein dürfen, daß ein
Unternehmen, das sich durch eigene Handlungen, die den Begriff von auf ein
wettbewerbswidriges Ziel gerichteten Vereinbarungen oder aufeinander
abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
erfüllten und zur Mitwirkung an der Verwirklichung der Zuwiderhandlung in ihrer
Gesamtheit bestimmt waren, an einer solchen Zuwiderhandlung beteiligt hatte, für
die ganze Zeit seiner Beteiligung an der genannten Zuwiderhandlung auch für das
Verhalten verantwortlich war, das andere Unternehmen im Rahmen der
Zuwiderhandlung an den Tag legten. Dies ist dann der Fall, wenn das betreffende
Unternehmen nachweislich von dem rechtswidrigen Verhalten der anderen
Beteiligten wußte oder es vernünftigerweise vorhersehen konnte sowie bereit war,
die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen.
- 84.
- Entgegen dem Vorbringen von Anic läuft eine solche Schlußfolgerung nicht dem
Prinzip zuwider, wonach die Verantwortlichkeit für solche Zuwiderhandlungen von
persönlicher Art ist. Denn sie entspricht einer in den Rechtsordnungen der
Mitgliedstaaten weit verbreiteten Vorstellung von der Zurechenbarkeit der
Verantwortung für die von mehreren Personen begangenen Zuwiderhandlungen
gemäß ihrem Beitrag zu der Zuwiderhandlung im ganzen, die in den betreffenden
Rechtsordnungen nicht als Widerspruch zum persönlichen Charakter der
Verantwortlichkeit angesehen wird.
- 85.
- Mit dieser Auffassung wird auch nicht unter Verletzung der Beweisregeln die
Einzeluntersuchung der belastenden Beweise vernachlässigt oder gegen dieVerteidigungsrechte der beteiligten Unternehmen verstoßen.
- 86.
- Bei Streitigkeiten über das Vorliegen von Zuwiderhandlungen gegen die
Wettbewerbsregeln hat die Kommission die von ihr festgestellten
Zuwiderhandlungen zu beweisen und die Beweismittel beizubringen, durch die das
Vorliegen der eine Zuwiderhandlung darstellenden Tatsachen rechtlich hinreichend
bewiesen wird (Urteil vom 17. Dezember 1998 in der Rechtssache C-185/95 P,
Baustahlgewebe/Kommission, Slg. 1998, I-8417, Randnr. 58). Dabei obliegt es der
Kommission insbesondere, alles nachzuweisen, woraus auf die Mitwirkung eines
Unternehmens an einer solchen Zuwiderhandlung und auf seine Verantwortung für
die verschiedenen mit dieser verbundenen Einzelakte geschlossen werden kann.
- 87.
- Handelt es sich wie im vorliegenden Fall um Vereinbarungen und abgestimmte
Verhaltensweisen mit einem wettbewerbswidrigen Zweck, so hat die Kommission
namentlich zu beweisen, daß das Unternehmen durch sein Verhalten zur
Erreichung der von allen Beteiligten verfolgten gemeinsamen Ziele hat beitragen
wollen und von dem von anderen Unternehmen in Verfolgung dieser Ziele
beabsichtigten oder an den Tag gelegten Verhalten wußte oder es
vernünftigerweise vorhersehen konnte sowie bereit war, die daraus erwachsende
Gefahr auf sich zu nehmen.
- 88.
- Das Gericht hat zum einen in Randnummer 204 des angefochtenen Urteils
festgestellt, daß mit allen Bemühungen der beteiligten Unternehmen ein
gemeinsames wettbewerbswidriges Ziel verfolgt wurde. Zum anderen ergibt sich aus
allen Feststellungen, die das Gericht in den Randnummern 63 bis 178 in
tatsächlicher Hinsicht zu den verschiedenen Einzelakten der Zuwiderhandlung
getroffen hat, daß es für die Beteiligung von Anic an jedem dieser Akte darauf
abgestellt hat, wie sich Anic selbst verhalten hatte, inwiefern sie dabei einen Beitrag
zur Verwirklichung all dieser Einzelakte leisten wollte und inwieweit sie durch ihre
Beteiligung an den regelmäßigen Sitzungen der Polypropylenhersteller von dem von
anderen Unternehmen beabsichtigten oder an den Tag gelegten Verhalten wußte.
Daher hat das Gericht zu Recht angenommen, daß Anic kraft ihrer Beteiligung an
der Zuwiderhandlung durch ihr eigenes Verhalten für die gesamte während ihrer
Beteiligung begangene Zuwiderhandlung mitverantwortlich geworden ist.
- 89.
- Ferner können die betroffenen Unternehmen ihre Verteidigungsrechte sowohl
hinsichtlich der ihnen vorgeworfenen konkreten Mitwirkung an der
Zuwiderhandlung als auch hinsichtlich des anderen Unternehmen zur Last gelegten,
aber zu derselben Zuwiderhandlung gehörenden konkreten Verhaltens
wahrnehmen. Bei Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen
mit einem wettbewerbswidrigen Zweck können sie diese Rechte außerdem in bezug
auf das Vorliegen eines gemeinsamen Zweckes, auf ihre Absicht, durch ihr eigenes
Verhalten an der Gesamtzuwiderhandlung mitzuwirken, und auf ihr Wissen um das
Verhalten der anderen Beteiligten oder dessen Vorhersehbarkeit sowie auf die
Übernahme der daraus erwachsenden Gefahr ausüben.
- 90.
- Daß sich ein Unternehmen nicht an allen Tatbestandsmerkmalen eines Kartells
beteiligt oder aber bei seiner Beteiligung eine weniger bedeutende Rolle gespielt
hat, ist schließlich bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung und
gegebenenfalls bei der Bemessung der Geldbuße zu berücksichtigen.
- 91.
- Viertens fallen die Beanstandungen von Anic, soweit sie gerade geltend macht, daß
das Gericht das Maß ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung bei der Bemessung
der Geldbuße nicht angemessen berücksichtigt habe, mit ihrem Vorbringen im
Rahmen ihrer sechsten Rüge zusammen und sind daher zusammen mit diesem zu
prüfen.
- 92.
- Nach alledem ist die zweite Rüge ebenfalls zurückzuweisen.
Zur unzutreffenden Feststellung der Zuwiderhandlung
- 93.
- Mit ihrer dritten Rüge macht Anic geltend, in den Randnummern 110 bis 113 des
angefochtenen Urteils habe das Gericht dadurch einen Rechtsirrtum begangen, daß
es angenommen habe, da bewiesen sei, daß sie an den regelmäßigen Sitzungen der
Polypropylenhersteller teilgenommen habe, könne sie nicht behaupten, den dort
beschlossenen, organisierten und kontrollierten Preisinitiativen nicht zugestimmt zu
haben, ohne Anhaltspunkte für die Erhärtung dieser Behauptung vorzutragen.Durch diese Auffassung werde die Beweislast offensichtlich umgekehrt und der
Anwesenheit in den Sitzungen ein absoluter Beweiswert zugemessen, wodurch die
Kommission von der Obliegenheit befreit werde, andere Bestätigungen im
Verhalten des Unternehmens ausfindig zu machen.
- 94.
- In den Randnummern 112 und 113 des angefochtenen Urteils habe das Gericht
selbst hervorgehoben, daß es keine Dokumente zum Nachweis ihrer Beteiligung an
den Preisinitiativen und irgendeiner Entsprechung zwischen ihrem Marktverhalten
und dem gebe, was angeblich in den Sitzungen zwischen den Herstellern vereinbart
worden sei. Unter diesen Umständen könne aus ihrer Anwesenheit bei den
Sitzungen nicht ohne weiteres auf ihre Beteiligung an den dort besprochenen
Preisinitiativen geschlossen werden. Die Anwesenheit eines Vertreters des
Unternehmens in den Sitzungen könne ein Beweis dafür sein, daß das
Unternehmen über das Kartell Bescheid wisse; die Beteiligung des Unternehmens
an der Kollusion sei aber nur nachgewiesen, wenn weitere Nachweise über ihr
Verhalten das Vorliegen einer Willensübereinstimmung bestätigten.
- 95.
- Die Kommission macht geltend, das Gericht habe keine Umkehr der Beweislast
vorgenommen. Wenn die Teilnahme eines Unternehmens an den Sitzungen
nachgewiesen sei, könne daraus rechtmäßigerweise auf seine Beteiligung an dem
Kartell geschlossen werden. Wer behaupte, sich von den Ergebnissen der
abgesprochenen Aktionen abgesetzt zu haben, müsse diese Absetzung daher
ausdrücklich nachweisen. Die eventuelle Nichtdurchführung der aufeinander
abgestimmten Entscheidungen liege auf einer anderen Ebene und reiche für die
Widerlegung einer solchen Beteiligung nicht aus.
- 96.
- Zum einen hat das Gericht ohne unzulässige Umkehrung der Beweislast zu Recht
angenommen, da die Kommission habe nachweisen können, daß Anic an Sitzungen
teilgenommen habe, in denen Preisinitiativen beschlossen, organisiert und
kontrolliert worden seien, obliege Anic der Beweis dafür, daß sie diesen Initiativen
nicht zugestimmt habe.
- 97.
- Zum anderen ist das Vorbringen, mit dem Anic die Unabhängigkeit ihres
Marktverhaltens von den in der Polypropylen-Entscheidung genannten
Preisinitiativen darzutun versucht, unerheblich, weil es sich im vorliegenden Fall um
Vereinbarungen nach Artikel 85 des Vertrages handelt.
- 98.
- Denn das Gericht hat in Randnummer 198 des angefochtenen Urteils festgestellt,
daß die Kommission die Willensübereinstimmungen zwischen Anic und anderen
Polypropylenherstellern, die u. a. auf Preisinitiativen gerichtet gewesen seien, zu
Recht als Vereinbarungen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
angesehen habe.
- 99.
- Nach ständiger Rechtsprechung brauchen bei der Anwendung von Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages die tatsächlichen Auswirkungen einer Vereinbarung nichtberücksichtigt zu werden, wenn sich ergibt, daß diese eine Verhinderung,
Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezweckt (Urteil vom 13. Juli
1966 in den Rechtssachen 56/64 und 58/64, Consten und Grundig/Kommission, Slg.
1966, 322, 390; dahin gehend auch die Urteile vom 11. Januar 1990 in der
Rechtssache C-277/87, Sandoz prodotti farmaceutici/Kommission, Slg. 1990, I-45,
und vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-219/95 P, Ferriere Nord/Kommission,
Slg. 1997, I-4411, Randnrn. 14 f.).
- 100.
- Somit ist nicht ersichtlich, daß das Gericht gegen die Beweisregeln verstoßen hätte,
als es ausführte, der Kommission sei rechtlich der Beweis gelungen, daß Anic zu
den Polypropylenherstellern gehört habe, zwischen denen es zu
Willensübereinstimmungen gekommen sei, die auf die in der Polypropylen-Entscheidung genannten Preisinitiativen gerichtet gewesen seien.
- 101.
- Nach alledem ist auch die dritte Rüge zurückzuweisen.
Zur unzutreffenden rechtlichen Qualifizierung der Zuwiderhandlung
- 102.
- Die vierte Rüge von Anic geht dahin, daß das Gericht zu Unrecht ihre
Beanstandung der Unterlassung zurückgewiesen habe, die Zuwiderhandlung
rechtlich als Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise im Sinne von Artikel
85 des Vertrages zu qualifizieren.
- 103.
- Erstens habe das Gericht nicht klar angegeben, welche konkreten Kriterien für die
Qualifizierung der Art von Zuwiderhandlung herangezogen worden seien.
Außerdem entspreche die von ihm vorgenommene Klassifizierung nicht der
Unterscheidung, die die Kommission in ihrer Entscheidung getroffen habe, um die
abgestimmte Verhaltensweise als Auffangtatbestand zu verwenden, damit nicht
Rechtsverstöße, für die ein Verdacht vorliege, aus Mangel an Beweisen für eine
Willensübereinstimmung zwischen den Herstellern ungeahndet blieben. Die
Unterscheidung zwischen Vereinbarung und abgestimmter Verhaltensweise habe
Folgen für den von der Kommission zu erfüllenden Beweisstandard und damit für
die Verteidigungsrechte der Beteiligten. Die Ansicht der Kommission führe zu dem
Schluß, daß sich die Erwähnung der Vereinbarungen in Artikel 85 des Vertrages
erübrige. Denn wenn die abgestimmte Verhaltensweise in dem bloßen geistigen
Element ohne die Notwendigkeit eines konkreten Elements bestehen könne, so
stünden die beiden Begriffe zueinander in einem pleonastischen Verhältnis und
unterschieden sich nur hinsichtlich des Grades der Willensmanifestation, wobei es
bei der Vereinbarung zu einer Begegnung im Wollen und bei der abgestimmten
Verhaltensweise zu einer einseitigen Willenskundgabe komme. Um den beiden
Begriffen eine eigenständige Bedeutung zu erhalten, sei der abgestimmten
Verhaltensweise auf der konkreten Ebene ein Mehr zuzuschreiben, durch das die
stärkere Flüchtigkeit des geistigen Elements ausgeglichen wird (Schlußanträge des
Generalanwalts Gand in der Rechtssache ACF Chemiefarma/Kommission und des
Generalanwalts Mayras in der Rechtssache 48/69, Urteil vom 14. Juli 1972,
ICI/Kommission, Slg. 1972, 619, und Suiker Unie u. a./Kommission).
- 104.
- Zweitens trägt Anic vor, das Gericht habe sich in Randnummer 201 seines Urteils
völlig die Argumentation zu eigen gemacht, die der zum Generalanwalt vor dem
Gericht bestellte Richter Vesterdorf in bezug auf die ohne weiteres als
wettbewerbswidrig anzusehende Wirkung der Sitzungen der Polypropylenhersteller
vertreten habe. Eine solche Auffassung mache es zwangsläufig notwendig, daß der
Gegenbeweis gegen eine auf die bloße Teilnahme an einigen Sitzungen gestützte
Vermutung einer wettbewerbswidrigen Absicht erbracht werden müsse, nehme den
betroffenen Unternehmen jede Möglichkeit zur Verteidigung ihres Standpunkts und
laufe dem gemeinschaftsrechtlichen Begriff der abgestimmten Verhaltensweise
zuwider, der außer der vorgeschalteten Voraussetzung einer Abstimmung eine den
Beteiligten zuzurechnende gemeinsame Verhaltensweise erfordere.
- 105.
- Drittens macht Anic geltend, die Qualifizierung des angeblichen Kartells als
einheitliche Zuwiderhandlung, die als Vereinbarung und abgestimmte
Verhaltensweise angesehen werde, könne gefährliche Rechtsfolgen nach sich
ziehen. Sie habe im vorliegenden Fall insbesondere dazu geführt, daß unter dem
Begriff einheitliche Zuwiderhandlung unterschiedliche Verhaltensweisen von
fünfzehn Unternehmen innerhalb eines Zeitraums von ca. fünf Jahren
zusammengefaßt worden seien. Auch habe sie verhindert, daß erkannt worden sei,
welche der angeblichen Zuwiderhandlungen tatsächlich einem bestimmten
Unternehmen zugeschrieben werden könnten.
- 106.
- Viertens beanstandet Anic, daß das Gericht die von der Kommission
vorgenommene Doppelqualifizierung als Vereinbarung und als abgestimmte
Verhaltensweise akzeptiert habe. Eine solche Qualifizierung verändere die
Beweislast für die Kommission und demzufolge die Struktur der Verteidigung des
betroffenen Unternehmens. Die Kommission sei nämlich im vorliegenden Fall von
ihrer Verpflichtung befreit worden, die Art und den Wert der belastenden Beweise
zu überprüfen und im einzelnen zu erklären, was durch diese Beweise dargetan
werden solle. Umgekehrt habe sie selbst sich die Frage stellen müssen, auf welchen
Gründen die gegen sie gerichteten Anschuldigungen beruhten und auf welche Art
sie ihre Verteidigung vortragen solle. Aus der Tatsache, daß Artikel 85 des
Vertrages keine besonderen Einstufungen für Zuwiderhandlungen der gegebenen
Art vorsehe, berechtige nicht dazu, daraus neue, noch dazu rückwirkende
Qualifizierungen abzuleiten.
- 107.
- Die Kommission trägt vor, diese Rüge stütze sich auf die Annahme, daß die
Beweislast verschieden sei, je nachdem, ob es sich um eine abgestimmte
Verhaltensweise oder um eine Vereinbarung handele. Diese Annahme stütze sich
irrigerweise auf eine wörtliche Auslegung der Wendung „abgestimmte
Verhaltensweise“, der gemäß sich der Begriff Verhaltensweise auf ein
Marktverhalten und damit auf etwas Konkretes beziehe. Eine solche Auslegung
laufe dem Gesetzeszweck zuwider, der darin bestehe, zur Verhinderung einer allzu
leichten Umgehung der Vorschrift das Verbot durch seine Ausdehnung auf
Erscheinungsformen einer Abstimmung untereinander zu verstärken, die wenigerausgeprägt seien als eine Vereinbarung im eigentlichen Sinn. Die Auffassung von
Anic würde paradoxerweise zu einer Schwächung des Verbots führen, weil danach
für aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen ein schwerer zu erbringender
Beweis als für Vereinbarungen erforderlich wäre. Artikel 85 des Vertrages würde
so in bezug auf abgestimmte Verhaltensweisen verstümmelt, da es anders als für
Vereinbarungen nur auf die wettbewerbswidrige Wirkung und nicht auf den Zweck
ankäme.
- 108.
- Die Aufzählung in Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages ziele darauf ab, daß jede
Kollusion zwischen Unternehmen, von welcher Art sie auch sei, erfaßt werde. Die
aufgezählten Rechtsfiguren bildeten ein Kontinuum. Von wesentlicher Bedeutung
sei allein die Unterscheidung zwischen dem selbstbestimmten rechtmäßigen
Verhalten und der verbotenen Kollusion, ohne daß es auf irgendeine
Unterscheidung im Rahmen dieses Begriffes ankommt. Durch die Auffassung von
Anic werde die Einheitlichkeit und Allgemeinheit des verbotenen Phänomens
durchbrochen, und es würden grundlos bestimmte Kollusionen dem Verbot
entzogen, die nicht weniger gefährlich als die anderen seien. Das Gericht habe die
fragliche Auffassung in Randnummer 199 seines Urteils zu Recht zurückgewiesen,
indem es sich auf das geistige Element bezogen habe, ohne darüber hinaus ein
konkretes Element zu verlangen.
- 109.
- Hierzu ist erstens darauf hinzuweisen, daß das Gericht in den Randnummern 198
und 202 des angefochtenen Urteils die Ansicht geäußert hat, daß die Kommission
bestimmte Verhaltensweisen der betroffenen Unternehmen zu Recht als
Vereinbarungen und andere Arten des Verhaltens desselben Unternehmens
hilfsweise als abgestimmte Verhaltensweisen angesehen habe. In Randnummer 204
hat das Gericht ausgeführt, Anic habe sich an einem Komplex integrierter Systeme
beteiligt, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellten, die sich nach und nach
sowohl in rechtswidrigen Vereinbarungen als auch in rechtswidrigen abgestimmten
Verhaltensweisen konkretisiert habe.
- 110.
- Bezüglich des als abgestimmte Verhaltensweisen eingestuften Verhaltens, nämlich
der regelmäßigen Sitzungen der Polypropylenhersteller und der von Anic Ende
Oktober 1982 an ICI gerichteten Mitteilung ihrer Bestrebungen bezüglich der
Verkaufsmengen für das erste Quartal 1983, habe sich das Gericht in Randnummer
201 auf die Feststellung gestützt, daß Anic infolge der in den Sitzungen der
Polypropylenhersteller zustande gekommenen Abstimmung untereinander bei der
Festlegung der Politik, die sie auf dem Markt habe verfolgen wollen, zwangsläufig
unmittelbar oder mittelbar die in diesen Sitzungen erhaltenen Informationen habe
berücksichtigen müssen. Auch ihre Wettbewerber hätten bei der Festlegung der
Marktpolitik, die sie hätten verfolgen wollen, zwangsläufig unmittelbar oder
mittelbar die Informationen berücksichtigen müssen, die ihnen Anic über das
Marktverhalten gegeben habe, das sie selbst für sich beschlossen oder in Erwägung
gezogen habe.
- 111.
- In Randnummer 205 hat das Gericht festgestellt, die Kommission habe diese
einheitliche Zuwiderhandlung zu Recht als „eine Vereinbarung und aufeinander
abgestimmte Verhaltensweise“ qualifiziert, da diese Zuwiderhandlung sowohl
Einzelakte aufgewiesen habe, die als „Vereinbarungen“ anzusehen seien, als auch
Einzelakte, die „abgestimmte Verhaltensweisen“ dargestellt hätten. Angesichts
einer komplexen Zuwiderhandlung sei die von der Kommission in Artikel 1 der
Polypropylen-Entscheidung vorgenommene doppelte Subsumtion nicht so zu
verstehen, daß für jeden Einzelakt gleichzeitig und kumulativ der Nachweis
erforderlich sei, daß er sowohl die Tatbestandsmerkmale einer Vereinbarung als
auch die einer abgestimmten Verhaltensweise erfülle. Sie beziehe sich vielmehr auf
einen Komplex von Einzelakten, von denen einige als Vereinbarungen und andere
als abgestimmte Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
anzusehen seien, der ja für diesen Typ einer komplexen Zuwiderhandlung keine
spezifische Subsumtion vorschreibe.
- 112.
- Zweitens stellt Artikel 85 des Vertrages den Begriff „aufeinander abgestimmte
Verhaltensweisen“ neben die Begriffe „Vereinbarungen zwischen Unternehmen“
und „Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen“, um durch seine
Verbotsvorschrift verschiedene Formen der Koordinierung und der Kollusion
zwischen Unternehmen zu erfassen (in diesem Sinn u. a. ICI/Kommission,
Randnr. 64).
- 113.
- Daraus ergibt sich indessen nicht, daß mehrere Handlungen mit ein und demselben
wettbewerbswidrigen Ziel, von denen jede für sich betrachtet den Begriff
„Vereinbarung“, „abgestimmte Verhaltensweise“ oder „Beschluß einer
Unternehmensvereinigung“ erfüllt, nicht unterschiedliche Ausdrucksformen einer
einzigen Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages sein können.
- 114.
- Daher hat das Gericht zu Recht angenommen, daß eine Reihe von
Verhaltensweisen mehrerer Unternehmen Ausdruck einer komplexen einheitlichen
Zuwiderhandlung waren, die teils den Begriff der Vereinbarung, teils den Begriff
der abgestimmten Verhaltensweise erfüllte.
- 115.
- Bei der abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von Artikel 85 des Vertrages
handelt es sich um eine Form der Koordinierung zwischen Unternehmen, die zwar
noch nicht bis zum Abschluß eines Vertrages im eigentlichen Sinn gediehen ist,
jedoch bewußt eine praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken
verbundenen Wettbewerbs treten läßt (Urteil Suiker Unie u. a./Kommission,
Randnr. 26, und Urteil vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85,
C-114/85, C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85, Ahlström
u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1307, Randnr. 63).
- 116.
- Wie der Gerichtshof weiter ausgeführt hat, sind die Kriterien der Koordinierung
und der Zusammenarbeit im Sinne des Grundgedankens der
Wettbewerbsvorschriften des Vertrages zu verstehen, wonach jeder Unternehmerselbständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt zu
betreiben gedenkt (Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, Randnr. 173, Urteil vom
14. Juli 1981 in der Rechtssache 172/80, Züchner, Slg. 1981, 2021, Randnr. 13,
sowie Urteile Ahlström u. a./Kommission, Randnr. 63, und Deere/Kommission,
Randnr. 86).
- 117.
- Nach dieser Rechtsprechung nimmt das genannte Selbständigkeitspostulat den
Unternehmen zwar nicht das Recht, sich dem festgestellten oder erwarteten
Verhalten ihrer Konkurrenten auf intelligente Weise anzupassen; es steht jedoch
streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen Unternehmen
entgegen, durch die entweder das Marktverhalten eines tatsächlichen oder
potentiellen Wettbewerbers beeinflußt oder ein solcher Wettbewerber über das
Marktverhalten, zu dem man selbst entschlossen ist oder das man in Erwägung
zieht, ins Bild gesetzt wird, wenn die Fühlungnahme bezweckt oder bewirkt, daß
Wettbewerbsbedingungen entstehen, die im Hinblick auf die Art der Waren oder
erbrachten Dienstleistungen, die Bedeutung und Zahl der beteiligten Unternehmen
sowie den Umfang des in Betracht kommenden Marktes nicht dessen normalen
Bedingungen entsprechen (dahin gehend die Urteile Suiker Unie u. a./Kommission,
Randnr. 174, Züchner, Randnr. 14, und Deere/Kommission, Randnr. 87).
- 118.
- Demzufolge setzt der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise, wie sich
unmittelbar aus Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages ergibt, über die Abstimmung
zwischen den Unternehmen hinaus ein dieser entsprechendes Marktverhalten und
einen ursächlichen Zusammenhang zwischen beiden voraus.
- 119.
- Daher hat der Gerichtshof einen Rechtsirrtum bezüglich der Auslegung des
Begriffes der abgestimmten Verhaltensweise begangen, als er annahm, daß die
Abstimmung sich zwangsläufig auf das Verhalten der daran Beteiligten auswirke.
- 120.
- Daraus ergibt sich indessen nicht, daß dem Anschlußrechtsmittel stattzugeben ist.
Denn wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat (u. a. Urteil vom 9. Juni 1992
in der Rechtssache C-30/91 P, Lestelle/Kommission, Slg. 1992, I-3755, Randnr. 28),
ist das Rechtsmittel zurückzuweisen, wenn die Gründe eines Urteils des Gerichts
eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts erkennen lassen, sich aber die
Urteilsformel aus anderen Rechtsgründen als richtig darstellt.
- 121.
- Zum einen gilt vorbehaltlich des den betroffenen Unternehmen obliegenden
Gegenbeweises die Vermutung, daß die an der Abstimmung beteiligten und
weiterhin auf dem Markt tätigen Unternehmen die mit ihren Wettbewerbern
ausgetauschten Informationen bei der Bestimmung ihres Marktverhaltens
berücksichtigen. Dies gilt um so mehr, wenn die Abstimmung während eines langen
Zeitraums regelmäßig stattfindet, wie es nach den Feststellungen des Gerichts hier
der Fall war.
- 122.
- Zum anderen fällt eine abgestimmte Verhaltensweise im vorstehend umschriebenen
Sinn selbst dann unter Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages, wenn auf dem Markt
keine wettbewerbswidrigen Wirkungen eintreten.
- 123.
- Aus der genannten Vorschrift ergibt sich unmittelbar, daß aufeinander abgestimmte
Verhaltensweisen so, wie es bei Vereinbarungen zwischen Unternehmen und
Beschlüssen von Unternehmensvereinigungen der Fall ist, unabhängig von ihrer
Wirkung verboten sind, wenn mit ihnen ein wettbewerbswidriger Zweck verfolgt
wird.
- 124.
- Ferner setzt der Begriff der abgestimmten Verhaltensweise zwar ein
Marktverhalten der beteiligten Unternehmen voraus, verlangt aber nicht
notwendigerweise, daß dieses Verhalten sich konkret in einer Einschränkung,
Verhinderung oder Verfälschung des Wettbewerbs auswirkt.
- 125.
- Schließlich ist die hier vorgenommene Auslegung nicht mit dem restriktiven
Charakter des Verbots nach Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages unvereinbar (Urteil
vom 29. Februar 1968 in der Rechtssache 24/67, Parke, Slg. 1968, 85, 112), da sie
keineswegs den Anwendungsbereich dieser Vorschrift ausdehnt, sondern deren
wörtlichem Sinn entspricht.
- 126.
- Somit hat das Gericht trotz einer mangelhaften rechtlichen Begründung zu Recht
angenommen, daß die Kommission die Teilnahme von Anic an einer auf die
Einschränkung des Wettbewerbs gerichteten Abstimmung zwischen den
Polypropylenherstellern bewiesen habe und daher keinen Beweis dafür zu erbringen
gebraucht habe, daß diese Abstimmung sich im Marktverhalten niedergeschlagen
habe. Somit ist zu prüfen, ob Anic die in Randnummer 121 dieses Urteils genannte
Vermutung widerlegt hat.
- 127.
- Zum einen hatte Anic hinsichtlich der regelmäßigen Sitzungen der
Polypropylenhersteller geltend gemacht, daß ihr Marktverhalten bezüglich der
Preise unabhängig von den Ergebnissen der Sitzungen festgelegt worden sei und
daß ein im Verhältnis zwischen ihr und anderen Herstellern eventuell zu
beobachtender Gleichlauf der Reaktionen auf die Entwicklung der Rohstoffpreise
und auf das normale Verhalten eines Herstellers in einem von den „vier Großen“
beherrschten Markt zurückzuführen sei. Insofern hat das Gericht in Randnummer
112 des angefochtenen Urteils zu Recht ausgeführt, ein solches Argument sei
allenfalls auf den Nachweis gerichtet, daß Anic das Ergebnis der Sitzungen
hinsichtlich der Festsetzung von Zielpreisen nicht in die Tat umgesetzt habe.
- 128.
- Zum anderen geht hinsichtlich der von Anic Ende 1982 an ICI gerichteten
Mitteilung ihrer Bestrebungen bezüglich der Verkaufsmengen sowie ihrer
Vorschläge für die den anderen Herstellern zuzuteilenden Quoten, die das Gericht
in Randnummer 176 des angefochtenen Urteils als punktuelle Beteiligung von Anic
an den Verhandlungen zur Festlegung von Quoten für das erste Quartal 1983angesehen hat, aus Randnummer 172 des angefochtenen Urteils hervor, daß die
Kommission aus den Anlagen zur Antwort von Anic auf das Auskunftsverlangen
zu Recht geschlossen hat, daß Anic bis April 1983 auf dem Polypropylenmarkt tätig
gewesen sei. Somit war Anic nach den genannten Verhandlungen weiter auf dem
Markt tätig. Im übrigen hat Anic nicht geltend gemacht, daß ihr späteres
Marktverhalten unabhängig von ihrer Teilnahme an diesen Verhandlungen
festgelegt worden sei.
- 129.
- Somit hat sich der vom Gericht begangene Rechtsirrtum nicht auf den Tenor des
angefochtenen Urteils ausgewirkt, von dem feststeht, daß er auf anderen
Rechtsgründen beruht.
- 130.
- Viertens liegt nach der vom Gericht in Randnummer 198 des angefochtenen Urteils
angeführten Rechtsprechung des Gerichtshofes (u. a. Urteil ACF
Chemiefarma/Kommission, Randnr. 112) eine Vereinbarung im Sinne von Artikel
85 Absatz 1 des Vertrages vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren
gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer
bestimmten Weise zu verhalten.
- 131.
- Der Vergleich zwischen diesem Begriff der Vereinbarung und dem in den
Randnummern 118 bis 125 dieses Urteils behandelten Begriff der abgestimmten
Verhaltensweise zeigt, daß beide in subjektiver Hinsicht Formen der Kollusion
erfassen, die in ihrer Art übereinstimmen, und daß sie sich nur in ihrer Intensität
und ihren Ausdrucksformen unterscheiden.
- 132.
- Somit umfassen die Tatbestände der Vereinbarung und der abgestimmten
Verhaltensweise teilweise unterschiedliche Merkmale, sind aber untereinander nicht
unvereinbar. Daher hat das Gericht entgegen dem Vorbringen von Anic nicht zu
verlangen gehabt, daß die Kommission die festgestellten Handlungen jeweils als
Vereinbarung oder aber als abgestimmte Verhaltensweise subsumiert, sondern es
hat berechtigterweise angenommen, daß die Kommission zu Recht einige dieser
Handlungen als „Vereinbarungen“ und andere hilfsweise als „abgestimmte
Verhaltensweisen“ eingestuft habe.
- 133.
- Fünftens ist diese Auslegung nicht mit dem restriktiven Charakter des Verbots nach
Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages unvereinbar (Urteil Parke, Slg. 1968, 85, 112).
Denn mit ihr wird keineswegs eine neue Zuwiderhandlungsform eingeführt, sondern
lediglich davon ausgegangen, daß bei einer unterschiedliche Verhaltensformenumfassenden Zuwiderhandlung diese zwar unterschiedlichen, alle aber in derselben
Vorschrift vorgesehenen und alle gleichermaßen ein Verbot auslösenden
Tatbeständen entsprechen können.
- 134.
- Sechstens hat eine solche Auffassung entgegen dem Vorbringen von Anic keine
inakzeptablen Folgen für die Beweisführung und verletzt nicht die
Verteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen.
- 135.
- Zum einen bleibt es dabei, daß die Kommission für jede festgestellte Handlung
nachzuweisen hat, daß sie als Vereinbarung, abgestimmte Verhaltensweise oder
Beschluß einer Unternehmensvereinigung unter das Verbot in Artikel 85 Absatz
1 des Vertrages fällt.
- 136.
- Zum anderen können die Unternehmen, denen eine Teilnahme an der
Zuwiderhandlung zur Last gelegt wird, gegen die Subsumtion oder die
Subsumtionen, die die Kommission vorgenommen hat, einwenden, daß die
Kommission nicht die Erfüllung des Tatbestands der verschiedenen geltend
gemachten Zuwiderhandlungsformen nachgewiesen habe.
- 137.
- Soweit Anic schließlich geltend macht, daß ihr durch diese Auffassung die
Verantwortung für das Verhalten anderer Unternehmen auferlegt werde, deckt sich
ihr Vorbringen mit dem, was sie im Rahmen ihrer zweiten Rüge vorgetragen hat,
und ist aus denselben Gründen zurückzuweisen.
- 138.
- Nach alledem ist die vierte Rüge insoweit, als damit ein Rechtsirrtum des Gerichts
bei der Auslegung des Begriffes der abgestimmten Verhaltensweise gerügt wird,
begründet, ohne daß dieser Irrtum zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils
führt. Im übrigen ist die Rüge als unbegründet zurückzuweisen.
Zur fehlerhaften Zurechnung der Verantwortung
- 139.
- Die fünfte Rüge von Anic geht dahin, daß das Gericht dadurch einen sich auch in
einem Begründungsirrtum niederschlagenden Rechtsirrtum begangen habe, daß es
ein doppeltes Kriterium für die Ermittlung des Unternehmens gebilligt habe, dem
ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht zuzurechnen sei. Dieser Irrtum bestehe
in der alternativen Anwendung des Kriteriums der rechtlichen Kontinuität und des
Kriteriums der wirtschaftlich-funktionalen Kontinuität des Unternehmens, wobei
demjenigen der Vorzug gegeben werde, durch das sich am zweckmäßigsten
verhindern lasse, daß ein Unternehmen durch den Untergang des Rechtssubjekts,
das zur Zeit der Begehung der Zuwiderhandlung für seine Leitung zuständig
gewesen sei, keiner Ahndung mehr unterworfen werde.
- 140.
- Anic macht geltend, dieser Ansatz sei unangemessen, weil er Unsicherheiten über
seine Anwendung bestehen lasse, keine Sicherheit in den Rechtsbeziehungen
gewährleiste, sich in diskriminierender Behandlung auswirken könne und
unternehmerische Strategien ermögliche, die den Ausschluß von einer Ahndung
gewährleisteten.
- 141.
- Im vorliegenden Fall sei das „Binom“ Anic/SIR gegenüber Saga Petrokjemi/Statoil
diskriminiert worden. Bei den von Saga Petrokjemi begangenen Zuwiderhandlungen
habe die Kommission dem Kriterium der wirtschaftlichen Kontinuität des
Unternehmens den Vorrang gegeben, denn nach dem Untergang der
verantwortlichen juristischen Person habe die Verantwortung der diese in sicheingliedernden Statoil oblegen. Im Gegensatz dazu sei sie als verantwortlich sowohl
für die Handlungen und Rechtsverstöße, die der 1980 von ihr erworbenen SIR zur
Last gelegt worden seien, als auch für ihre angebliche Beteiligung am
Polypropylenkartell angesehen worden, obwohl sie ihre Tätigkeit auf diesem Gebiet
Monte übertragen haben. Das Gericht, das das angemessenste Kriterium hätte
auswählen und sich fest an dieses hätte halten müssen, habe sich mit der
diskriminierenden Anwendung dieser Kriterien durch die Kommission
einverstanden erklärt und sich in Randnummer 240 der Befassung mit den von ihr
geäußerten Zweifeln entzogen.
- 142.
- Die Kommission trägt zunächst vor, das Gericht habe schon deshalb keineswegs ein
doppeltes Kriterium angewandt, weil Statoil keine Klage erhoben habe und es
daher nur über die Klage von Anic habe entscheiden müssen. Ferner gehe es nicht
nur um die Ermittlung des Unternehmens, das die Zuwiderhandlung begangen
habe, sondern um der Vollstreckbarkeit der Entscheidung insbesondere hinsichtlich
der Geldbußen willen, auch um die Ermittlung eines Rechtssubjekts, das für das
Verhalten dieses Unternehmens einzustehen habe. Schließlich stelle Anic
Behauptungen auf, deren Richtigkeit wegen der tatsächlichen Feststellungen des
Gerichts insbesondere bezüglich der angeblichen Zurechnung der Handlungen von
SIR an Anic nun als widerlegt anzusehen seien.
- 143.
- Außerdem trägt die Kommission vor, diese Rüge könne für unzulässig erklärt
werden, weil sie zu allgemein sei. Jedenfalls sei Statoil als Adressat der
Polypropylen-Entscheidung ausgewählt worden, weil es Saga Petrokjemi in sich
aufgenommen habe. Dagegen sei Anic als einheitliches Unternehmen mit einer
Geschäftsstrategie auf dem Markt aufgetreten und habe seine Tätigkeit als
Polypropylenhersteller vor Erlaß der genannten Entscheidung Monte übertragen,
dabei aber als juristische Person weiterbestanden.
- 144.
- Soweit sich diese Rüge dagegen richtet, daß Anic Handlungen von SIR zugerechnet
worden sein sollen, hat das Gericht in Randnummer 241 des angefochtenen Urteils
ausgeführt, aus seiner Würdigung der tatsächlichen Feststellungen der Kommission
ergebe sich, daß die Zuwiderhandlung im Falle von Anic allein aufgrund ihrer
eigenen Handlungen festgestellt worden sei. Dem Gerichtshof steht es im
Rechtsmittelverfahren nicht zu, diese Feststellungen des Gerichts erneut in Frage
zu stellen.
- 145.
- Soweit Anic beanstandet, daß das Gericht ihm die Verantwortung für die
Zuwiderhandlung zugerechnet habe, obwohl sie ihre Tätigkeit im
Polypropylensektor Monte übertragen habe, verkennt sie den Grundsatz der
persönlichen Verantwortlichkeit und den aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes
resultierenden (dahin gehend Urteil Suiker Unie u. a./Kommission, Randnrn. 80
und 84) entscheidenden Umstand, daß das sogenannte Kriterium der
wirtschaftlichen Kontinuität nur dann zum Zug kommen kann, wenn die für die
Bewirtschaftung des Unternehmens verantwortliche juristische Person nach der
Begehung der Zuwiderhandlung aufgehört hat, rechtlich zu existieren. Daraus folgtauch, daß die Anwendung dieser Kriterien in keiner Weise dem Grundsatz der
Rechtssicherheit zuwiderläuft.
- 146.
- Im übrigen hat das Gericht in Randnummer 240 zu Recht angenommen, daß es
über Fragen, die von der bei ihm anhängigen Rechtssache abweichende
Fallgestaltungen betrafen, nicht zu entscheiden brauche. Auch muß der Gerichtshof
nicht über eventuelle Machenschaften entscheiden, die mit dem besonderen Ziel
angestellt werden könnten, den wegen Verletzung der Wettbewerbsregeln zu
verhängenden Sanktionen zu entgehen.
- 147.
- Somit greift auch die fünfte Rüge nicht durch.
Zur unzutreffenden Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung
- 148.
- Die sechste Rüge von Anic geht dahin, das Gericht habe nicht ausreichend
berücksichtigt, daß sie im Rahmen des angeblichen Kartells eine ganz
unbedeutende Rolle gespielt habe, und es habe sich mit den Feststellungen der
Kommission zufrieden erklärt. Insbesondere wegen des Verbundes zwischen ihr und
SIR sei ihre wirkliche Größe durch weitgehend unzutreffende Zahlen, denen sie
entgegen Randnummer 274 des angefochtenen Urteils in der Sitzung vor dem
Gericht widersprochen habe, verfälscht worden. Was die Wirkungen der
Zuwiderhandlung angehe, so habe das Gericht unter Verkennung des persönlichen
Charakters der strafrechtlichen Verantwortlichkeit nicht das individuelle Verhalten
der Unternehmen berücksichtigt. Entgegen der Ansicht der Kommission richteten
sich diese Beanstandungen nicht gegen tatsächliche Feststellungen, denn aufgrund
von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 müsse das Gericht über die
Schwere des Verstoßes befinden.
- 149.
- Soweit Anic geltend macht, das Gericht habe nicht hinreichend die Begrenztheit
ihrer Rolle im Rahmen des Kartells berücksichtigt, hält die Kommission diese Rüge
für unzulässig, weil sie darauf abziele, Tatsachenfeststellungen erneut in Frage zu
stellen. Was den Grundsatz der persönlichen strafrechtlichen Verantwortlichkeit
angehe, so habe sie die unterschiedliche Schwere der Verantwortung der
Unternehmen u. a. dadurch berücksichtigt, daß sie gegen die vier am stärksten für
das Kartell verantwortlichen Unternehmen höhere Geldbußen festgesetzt habe.
- 150.
- Zweitens ergibt sich zwar aus der Rechtsprechung, daß bei Begehung einer
Zuwiderhandlung durch mehrere Unternehmen die relative Schwere des
Tatbeitrags jedes einzelnen von ihnen zu prüfen ist (dahin gehend Urteil Suiker
Unie u. a./Kommission, Randnr. 623). Jedoch hat das Gericht in Randnummer 264
des angefochtenen Urteils festgestellt, daß die Kommission die Rolle, die Anic bei
der Zuwiderhandlung während der Dauer ihrer Beteiligung gespielt habe,
zutreffend festgestellt habe und daß sie daher bei der Berechnung der gegen Anic
zu verhängenden Geldbuße zu Recht von dieser Rolle ausgegangen sei. Somit kanndem Gericht nicht vorgeworfen werden, daß es insoweit einen Rechtsirrtum
begangen habe.
- 151.
- Soweit diese Rüge darauf gerichtet ist, den vom Gericht in Randnummer 274
festgestellten Umstand, daß die Kommission im Verfahren vor dem Gericht die für
die Bedeutung von Anic auf dem Polypropylenmarkt der Gemeinschaft
maßgeblichen Zahlen vorgelegt habe, deren Richtigkeit Anic nicht bestritten habe,
betrifft sie Tatsachenfragen, die nicht im Rechtsmittelverfahren geprüft werden
können.
- 152.
- Schließlich hat das Gericht in seiner Entscheidung über die Berücksichtigung der
Wirkungen der Zuwiderhandlung nicht das individuelle Verhalten der
Unternehmen zu prüfen brauchen, da für die Bestimmung des allgemeinen Niveaus
der Geldbußen, wie das Gericht in Randnummer 280 zutreffend festgestellt hat,
nicht die Auswirkungen des von einem Unternehmen behaupteten tatsächlichen
Verhaltens, sondern die der gesamten Zuwiderhandlung, an der das Unternehmen
beteiligt war, zu berücksichtigen sind.
- 153.
- Somit ist auch die sechste Rüge zurückzuweisen.
Zur falschen Bemessung der Geldbuße
- 154.
- Mit ihrer siebten Rüge macht Anic geltend, bei der Überprüfung der Höhe der
Geldbuße habe das Gericht einen Rechtsirrtum begangen, weil es nicht
pflichtgemäß die in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 aufgeführten
Gesichtspunkte bezüglich der Dauer und der Schwere der von ihr begangenen
Zuwiderhandlung berücksichtigt habe. Was die Dauer angehe, so habe sie im Juni
und nicht im Oktober 1982 jedes Verhalten eingestellt, das einen Verstoß gegen
Artikel 85 des Vertrages habe ausmachen können. Das Gericht hätte daher
aufgrund der kürzeren Dauer des kollusiven Verhaltens die Geldbuße stärker
herabsetzen müssen.
- 155.
- Zur Schwere trägt Anic vor, weder die Kommission noch das Gericht hätten die
Rolle, die sie bei den kollusiven Vereinbarungen gespielt habe, den Umfang der
Polypropylenlieferungen in der Gemeinschaft und den Umsatz ordnungsgemäß
beurteilt.
- 156.
- Bezüglich des ersten Punkts habe die Kommission zwar zwischen den vier Großen
und den anderen Herstellern unterschieden, aber bei den anderen Herstellern nicht
weiter gemäß dem Grad ihrer Beteiligung an dem angeblichen Kartell differenziert.
- 157.
- Was den Marktanteil angehe, so ergebe sich aus einer von der Kommission auf
eine Frage des Gerichts vorgelegten Tabelle, daß die Polypropylen-Entscheidung
auf Daten von 1983 (2,8 %) gestützt sei, die völlig unerheblich seien, weil sie 1982
(in diesem Jahr habe ihr Marktanteil 2,43 % und nicht, wie in der derPolypropylen-Entscheidung als Anlage beigefügten Tabelle 1 angegeben, 2,7 %
betragen) ihre Beteiligung an der Zuwiderhandlung eingestellt habe.
- 158.
- Zu ihrem Umsatz habe sie vor dem Gericht - ohne daß dieses ihr Vorbringen
berücksichtigt habe - vorgetragen, daß er 1982 32 966 Milliarden ITL betragen
habe, während die Kommission einen Betrag von 25 Mio. ECU, d. h. von 36 790
bis 38 636 Milliarden ITL, zugrunde gelegt habe. Auf die Darlegung der
Kommission, daß sich der Betrag von 25 Mio. ECU aus der Anwendung des
Umrechnungskurses von 1982 ergebe, entgegnet Anic, die Kommission hätte bei
der Bemessung der 1986 festgesetzten Geldbuße nicht den Umrechnungskurs von
1982 anwenden dürfen. Denn für die Umrechnung des Betrages der Geldbuße von
750 000 ECU in 1 103 692 500 ITL sei der Umrechnungskurs von 1986 angewandt
worden. Diese Inkonsequenz schlage sich in einem ausgesprochenen Irrtum in der
von der Kommission vor dem Gericht vorgelegten Tabelle nieder, denn die gegen
sie verhängte Geldbuße entspreche nicht 2,5 %, sondern 3,35 % ihres Umsatzes im
Jahr 1982. Somit liege es auf der Hand, daß die Geldbuße sehr viel höher als im
Hinblick auf den Umsatz beabsichtigt festgesetzt worden sei oder daß der in
Rechnung gestellte Umsatz weit über dem tatsächlichen Umsatz von 1982 gelegen
habe. In beiden Fällen hätten die von der Kommission gemachten
widersprüchlichen und irreführenden Angaben die vom Gericht angestellte
Beurteilung verfälscht.
- 159.
- Die Kommission vertritt die Ansicht, mit dem Vorbringen zu der kürzeren Dauerder Zuwiderhandlung, das sie bestreitet, und zu der vom Gericht vorgenommenen
falschen Gewichtung der verschiedenen Faktoren für die Bewertung der Schwere
des Verstoßes werde angestrebt, Tatsachen erneut in Frage zu stellen.
- 160.
- Zur Bestimmung des Marktanteils von Anic weist die Kommission darauf hin, daß
die dem Gericht vorgelegte Tabelle nach Erlaß der Polypropylen-Entscheidung
erstellt worden sei und daß sie bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße
keinerlei mathematische Operation vorgenommen habe. Die Tabelle habe den
Zweck gehabt, für alle Unternehmen vergleichbare Daten bereitzustellen; dies
erkläre, warum darin für Anic wie für die anderen Unternehmen der Marktanteil
von 1983 angegeben sei.
- 161.
- Was den Umsatz angehe, so entspreche der von Anic angeführte Betrag von
32 966 Milliarden ITL auf der Grundlage des durchschnittlichen
Umrechnungskurses für das Jahr 1982 im wesentlichen dem von ihr zugrunde
gelegten Betrag von 25 Millionen ECU.
- 162.
- Bezüglich der Dauer der Zuwiderhandlung ergibt sich aus den in den
Randnummern 259 und 260 zusammengefaßten Erwägungen des Gerichts zur
Feststellung der Zuwiderhandlung, daß diese bis Ende Oktober 1982 und daß Anic
seit Mitte 1982 an den regelmäßigen Sitzungen der Polypropylenhersteller und den
dort zustande gekommenen Willensübereinstimmungen nicht mehr beteiligt war.Infolgedessen hat das Gericht, wie aus Randnummer 261 hervorgeht, die gegen
Anic verhängte Geldbuße herabgesetzt. Da die von Anic vorgebrachten Einwände
gegen die Erwägungen zur Feststellung der Zuwiderhandlung bereits
zurückgewiesen worden waren, haben sie bei der Berechnung der Geldbuße nicht
berücksichtigt zu werden brauchen.
- 163.
- Zweitens entsprechen die Beanstandungen, die sich auf die Berücksichtigung der
von Anic bei der Zuwiderhandlung gespielten Rolle und auf die Größe von Anic
auf dem Polypropylenmarkt der Gemeinschaft beziehen, denen, die im Rahmen der
sechsten Rüge vorgetragen worden sind, und sind aus denselben Gründen
zurückzuweisen.
- 164.
- Soweit sich die von Anic vorgebrachte Kritik auf die Berücksichtigung ihres
Umsatzes von 1982 bezieht, ist drittens darauf hinzuweisen, daß nach ständiger
Rechtsprechung (u. a. Urteile vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80 bis
103/80, Musique Diffusion Française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr.
120, und vom 12. November 1985 in der Rechtssache 183/83, Krupp/Kommission,
Slg. 1985, 3609, Randnr. 37) bei der Festsetzung einer Geldbuße sowohl der
Gesamtumsatz des Unternehmens, der einen - wenn auch nur ungefähren und
unvollkommenen - Anhaltspunkt für dessen Größe und Wirtschaftskraft darstellt,
als auch der Teil dieses Umsatzes berücksichtigt werden dürfen, der mit den
Waren, die Gegenstand der Zuwiderhandlung sind, erzielt wurde und deshalb einen
Anhaltspunkt für den Umfang dieser Zuwiderhandlung darstellen kann.
- 165.
- Bei der Beurteilung von Größe und Wirtschaftskraft eines Unternehmens zur Zeit
der Zuwiderhandlung sind daher die Umrechnungskurse aus dieser Zeit und nicht
diejenigen aus der Zeit des Erlasses der Bußgeldentscheidung anzuwenden.
Anderenfalls würde die jeweilige Größe der Unternehmen, die sich an der
Zuwiderhandlung beteiligt haben, durch die Berücksichtigung äußerer, vom Zufall
abhängiger Umstände, wie z. B. des Wertes der nationalen Währungen in der
Folgezeit, verfälscht. Dagegen steht eindeutig fest, daß bei der Festsetzung von
Geldbußen in Ecu und in nationalen Währungen die bei Erlaß der Entscheidung
geltenden Umrechnungskurse anzuwenden sind, da sonst die jeweilige Belastung
für Unternehmen, die in Staaten mit unterschiedlichen Währungen ansässig sind,
verzerrt würde.
- 166.
- Somit ist auch die siebte Rüge zurückzuweisen.
- 167.
- Da keine der von Anic erhobenen Rügen durchgreift, ist ihr Anschlußrechtsmittel
insgesamt zurückzuweisen.
Zum Rechtsmittel der Kommission
Zur Zulässigkeit
- 168.
- Anic bestreitet in ihrer Gegenerwiderung erstmals die Zulässigkeit des
Rechtsmittels der Kommission wegen fehlenden Interesses. Die Kommission habe
vorgetragen, ihr Rechtsmittel zur Erlangung einer Aufklärung über die Grundsätze
eingelegt zu haben, und habe kein besonderes Interesse an der Änderung der Höhe
der vom Gericht festgesetzten Geldbuße. Das Interesse an der Einlegung eines
Rechtsmittels gegen ein erstinstanzliches Urteil könne indessen nur darin bestehen,
dessen Tenor abändern zu lassen. Da die Kommission erkläre, daß sie bereit sei,
den Tenor hinsichtlich der Höhe der gegen Anic festgesetzten Geldbuße
hinzunehmen, gebe es keinen Streitstoff mehr.
- 169.
- Außerdem entspreche die Gedankenführung des Gerichts im angefochtenen Urteil
in allen Punkten derjenigen im Urteil vom 10. März 1992 in der Parallelsache
T-11/89 (Shell/Kommission, Slg. 1992, II-757). Gegen dieses Urteil habe die
Kommission jedoch kein Rechtsmittel eingelegt, was sich sowohl durch die
geringere prozentuale Herabsetzung der Geldbuße in der Rechtssache
Shell/Kommission als auch dadurch erklären ließe, daß das Urteil Shell/Kommission
nach Erlaß des PVC-Urteils des Gerichts ergangen sei, d. h. zu einer Zeit, als sich
die Aufmerksamkeit des Juristischen Dienstes der Kommission auf die Reaktion
auf das letztgenannte Urteil gerichtet habe. Auf jeden Fall sei Anic Opfer einer
Diskriminierung.
- 170.
- Die Kommission entgegnet, selbst wenn man annehme, daß sie Anic, wie dieses
Unternehmen geltend mache, dadurch diskriminiert habe, daß sie in der
vorliegenden Rechtssache ein Rechtsmittel eingelegt, dies aber in der Rechtssache
Shell nicht getan habe, könne dies nicht zur Zurückweisung des Rechtsmittels
führen.
- 171.
- Hierzu genügt die Feststellung, daß zum einen nach Artikel 49 Absatz 3 der
EG-Satzung des Gerichtshofes mit Ausnahme von Fällen, die sich auf Streitsachen
zwischen der Gemeinschaft und ihren Bediensteten beziehen, ein Rechtsmittel von
den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen selbst dann eingelegt werden
kann, wenn sie dem Rechtsstreit vor dem Gericht nicht beigetreten sind. Die
Gemeinschaftsorgane brauchen somit unabhängig davon, ob sie Beteiligte im
erstinstanzlichen Verfahren gewesen sind, kein Interesse darzutun, um ein
Rechtsmittel gegen ein Urteil des Gerichts einlegen zu können.
- 172.
- Zum anderen kann jeder Verfahrensbeteiligte frei darüber entscheiden, ob ihm die
Einlegung eines Rechtsmittels gegen ein Urteil des Gerichts zweckmäßig erscheint,
und dem Gerichtshof steht es nicht zu, die von der Kommission insofern getroffene
Wahl zu kontrollieren.
- 173.
- Somit sind die Einwände von Anic, die sich auf das angeblich fehlende Interesse
auf seiten der Kommission oder eine angebliche Diskriminierung zu ihren Lasten
beziehen, in keiner Weise begründet, so daß das Rechtsmittel der Kommission in
der Sache zu prüfen ist.
Zur Begründetheit
Allgemeines
- 174.
- Die Kommission trägt vor, sie wende sich nicht gegen die Teile des angefochtenen
Urteils, durch die das Gericht die Polypropylen-Entscheidung für nichtig erklärt
habe, soweit dort festgestellt werde, daß Anic vor Ende 1978 oder Anfang 1979 und
nach Ende Oktober 1982 an der Zuwiderhandlung teilgenommen habe (Nr. 1 erster
Gedankenstrich des Tenors), und durch die das Gericht die Geldbuße entsprechend
herabgesetzt habe. Ihr Rechtsmittel beziehe sich auf die Teile des angefochtenen
Urteils, durch die das Gericht die Polypropylen-Entscheidung für nichtig erklärt
habe, soweit dort festgestellt werde, daß Anic nach Mitte 1982 (Nr. 1 zweiter
Gedankenstrich des Tenors) oder während des ganzen Zeitraums (Nr. 1 dritter
Gedankenstrich des Tenors) an Begleitmaßnahmen zur Förderung der
Durchführung der Preisinitiativen beteiligt gewesen sei, und durch die die Geldbuße
entsprechend herabgesetzt worden sei (Nr. 2 des Tenors).
- 175.
- Für die Kommission hat diese Frage eine über den vorliegenden Fall
hinausgehende Bedeutung, da es den Grundsatz aufzustellen gelte, daß dann, wenn
sich eine Gruppe von Unternehmen darauf einige, die Höhe der Preise für ein
Produkt zu stützen, jedes Unternehmen für alle Preisstützungsaktionen
einschließlich derjenigen verantwortlich sei, an denen es sich nicht konkret beteiligt
habe. Die Auswirkungen auf die Höhe der Geldbuße seien von sekundärer
Bedeutung, bestätigten aber ihr Interesse auch in prozessualer Hinsicht.
Zur falschen Auslegung der Polypropylen-Entscheidung
- 176.
- Mit ihrem ersten Rechtsmittelgrund rügt die Kommission, daß das Gericht ihre
Entscheidung dadurch falsch ausgelegt habe, daß sie ihr eine darin nicht enthaltene
Feststellung zugeschrieben habe. Denn in Artikel 1 dieser Entscheidung habe sie
niemals festzustellen beabsichtigt, daß Anic ganz oder teilweise an den dort
aufgeführten Handlungen beteiligt gewesen sei, sondern daß Anic wie die anderen
Unternehmen für die gesamte Zuwiderhandlung verantwortlich sei, also auch für
die Handlungen, an denen sie nicht unmittelbar teilgenommen habe. Das Gericht
habe demnach einen nicht existierenden Teil der Polypropylen-Entscheidung für
nichtig erklärt.
- 177.
- Nach Auffassung der Kommission haben die fünfzehn betroffenen Unternehmen
einen Verstoß gegen Artikel 85 des Vertrages begangen, indem sie an einem
Kartell zur Stützung des Polypropylenpreises beteiligt waren, dessen Hauptzweck
in der Festsetzung eines Mindestverkaufspreises bestand und das begleitendeAktionen zur Förderung der Erreichung dieses Zweckes umfaßte. Nicht alle
Unternehmen hätten sich an allen begleitenden Aktionen beteiligt, doch rechne die
Polypropylen-Entscheidung jedem Unternehmen die Verantwortung für das
gesamte Kartell zu. Es handele sich nach der Polypropylen-Entscheidung nicht um
eine Reihe von Zuwiderhandlungen, sondern um eine einheitliche
Zuwiderhandlung, wenn auch vorbehaltlich der Berücksichtigung der ungleich
bedeutenden Rolle jedes einzelnen Unternehmens bei der Bemessung der
Geldbuße. In Artikel 1 der Polypropylen-Entscheidung sei daher festgestellt
worden, daß die Unternehmen für den jeweils für sie festgestellten Zeitraum für
eine Zuwiderhandlung verantwortlich seien, die sich in fünf Verhaltensweisen
niedergeschlagen habe, ohne daß angegeben werde, welches Unternehmen sich
jeweils entsprechend verhalten habe und in welchem Zeitraum es dies getan habe.
- 178.
- Im Tenor des angefochtenen Urteils scheine hingegen von einer Zurechnung der
Verantwortung für die Gesamtzuwiderhandlung im Unterschied zur Zurechnung
der Verantwortung für die sie ausmachenden Verhaltensweisen ausgegangen zu
werden: Das Auslaufen der einen und der anderen falle möglicherweise nicht
zusammen, und mit der Geldbuße werde diesem Unterschied wie auch der
fehlenden Beteiligung an einer bestimmten Verhaltensweise Rechnung getragen.
Dies zeige, wie sich der Unterschied zwischen dem Begriff der einheitlichen
Zuwiderhandlung und der Anwendung dieses Begriffes durch das Gericht auswirke.
- 179.
- Anic macht geltend, der Standpunkt der Kommission, die davon absehe, ob sich das
jeweilige Unternehmen an sämtlichen einzelnen Verhaltensweisen zur
Durchführung des Kartells, die die Form einer Vereinbarung oder aber einer
abgestimmten Verhaltensweise annehmen könnten, konkret beteiligt habe, sei nur
dann vertretbar, wenn kein sachlicher Unterschied zwischen einer Vereinbarung
und einer abgestimmten Verhaltensweise bestehe. Dies anzunehmen stehe jedoch
in Widerspruch zu den Grundsätzen, die das Gericht in den Randnummern 198
und 200 des angefochtenen Urteils unter Berufung auf die Rechtsprechung des
Gerichtshofes angeführt habe. Aus dieser ergebe sich, daß die Vereinbarung immer
eine Willensübereinstimmung voraussetze, während die abgestimmte
Verhaltensweise durch ein bewußtes Parallelverhalten zustande komme. Zwischen
beiden Begriffen bestünden nicht nur quantitative, sondern auch qualitative
Unterschiede, denn die Vereinbarung könne sich aus einer Willensübereinstimmung
ohne eine konkrete Betätigung ergeben, während die abgestimmte Verhaltensweise
aus einem konkreten Verhalten resultiere, in dem sich die bewußte Parallelität oder
die Koordinierung des Verhaltens der Unternehmen niederschlage. Demnach
könnten konkrete Verhaltensweisen nur dann Ausdruck einer einheitlichen
Zuwiderhandlung sein, wenn diese in einer Vereinbarung bestehe. Doch müsse in
einem solchen Fall das Vorliegen einer Vereinbarung und insbesondere der
Willensübereinstimmung, auf der sie beruhe, nachgewiesen werden, was die
Kommission in der Polypropylen-Entscheidung nicht getan habe.
- 180.
- Anic vertritt die Ansicht, bei dem von der Kommission angeführten
Auslegungsfehler handele es sich um ein Scheinproblem, mit dem keine praktischen
Folgen verbunden seien. Zwar habe ihr die Kommission nicht die Begehung einer
Reihe von verschiedenen Zuwiderhandlungen zur Last gelegt, sondern die
Beteiligung an einer einheitlichen Zuwiderhandlung; doch setze sich diese
einheitliche Zuwiderhandlung aus verschiedenen Verhaltensweisen zusammen. Der
Vorwurf der Kommission gegen die verschiedenen beteiligten Unternehmen sei
dahin gegangen, sich in unterschiedlichem Ausmaß an den in Artikel 1 der
Polypropylen-Entscheidung aufgeführten Handlungen beteiligt zu haben, die die
Zuwiderhandlung als solche ausgemacht hätten. Bei einer einheitlichen
Zuwiderhandlung, die nicht durch die Bezugnahme auf diese Verhaltensweisen mit
umfaßt sei, handele es sich um eine „leere Hülle“.
- 181.
- Die Kommission habe den Begriff der einheitlichen Zuwiderhandlung
herangezogen, um den Unternehmen alle die eine solche ausmachenden
Verhaltensweisen zur Last zu legen, ohne das Verhalten jedes einzelnen
Unternehmens zu beweisen. Die von der Kommission in derPolypropylen-Entscheidung gewählte Formulierung sei stillschweigend in derjenigen
des Gerichts enthalten, das den Begriff der einheitlichen Zuwiderhandlung
übernommen habe und deren verschiedene Elemente nur zu dem Zweck einzeln
angegeben habe, ihren zeitlichen Umfang zu begrenzen und den Grad der
Verantwortung des einzelnen Unternehmens genauer abzuschätzen. Eine
Vereinbarung und eine abgestimmte Verhaltensweise fänden ihren Ausdruck in
einem bestimmten Verhalten der Unternehmen. Dem Gericht sei daher kein
Vorwurf daraus zu machen, daß es die Teile der Polypropylen-Entscheidung für
nichtig erklärt habe, in denen Anic eines Verhaltens für schuldig befunden worden
sei, das ihr nicht zugeschrieben werden könne, weil es nicht rechtlich hinreichend
bewiesen sei.
Zum Widerspruch zwischen den Gründen und dem Tenor
- 182.
- Mit ihrem zweiten Rechtsmittelgrund macht die Kommission geltend, daß das
angefochtene Urteil mit einem Widerspruch behaftet sei. Einerseits habe das
Gericht in den Randnummern 203 und 204 die der Polypropylen-Entscheidung
zugrunde liegende Sachverhaltswürdigung und damit den Gedanken einer
einheitlichen Zuwiderhandlung akzeptiert. Andererseits habe es die
Polypropylen-Entscheidung deshalb zum Teil für nichtig erklärt, weil die Teilnahme
von Anic an einigen Handlungen, die im fraglichen Zeitraum vorgenommen worden
seien, nicht nachgewiesen sei, diese Handlungen aber Teil des vom Gericht als
einheitliche Zuwiderhandlung angesehenen Rechtsverstoßes seien. Dieser
Widerspruch trete auch im Tenor des angefochtenen Urteils auf. Während sich
Nummer 1 erster Gedankenstrich auf die Gesamtzuwiderhandlung, die zeitlich
begrenzt werde, beziehe, werde im zweiten und im dritten Gedankenstrich die
Verantwortung von Anic für im so begrenzten Zeitraum vorgenommene
Handlungen verneint, obwohl diese Teil der Zuwiderhandlung seien. Letztlich
beanstandet die Kommission, daß das Gericht Anic nicht gemäß dem Gedankender einheitlichen Zuwiderhandlung für die Gesamtzuwiderhandlung verantwortlich
gemacht habe, sondern so Unterschiede zwischen den verschiedenen Handlungen
gemacht habe, als ob es sich um separate Verstöße handele.
- 183.
- Nach Ansicht der Kommission teilt Anic ihren Standpunkt über den Begriff der
einheitlichen Zuwiderhandlung und darüber, daß das Gericht diesen Begriff nicht
zutreffend angewandt habe. Verschiedener Meinung seien die Verfahrensbeteiligten
nur über die aus dieser Beanstandung zu ziehenden Konsequenzen. Während sie
der Ansicht sei, daß das Gericht Anic nicht ganz oder teilweise von der
Verantwortung für die Verhaltensweisen hätte freisprechen dürfen, die die
Zuwiderhandlung ausgemacht hätten, meine Anic, ihre Beteiligung an der
Zuwiderhandlung habe gleichzeitig mit ihrer Teilnahme an den Sitzungen Mitte
1982 geendet und nicht erst im Oktober 1982. Das Vorbringen von Anic beziehe
sich auf Tatsachenfragen und sei daher unzulässig. Aber selbst wenn der
Gerichtshof Anic insoweit folgen sollte, bleibe diese doch bis Mitte 1982 für die
Gesamtzuwiderhandlung verantwortlich, so daß auf jeden Fall Nummer 1 zweiter
und dritter Gedankenstrich des Tenors des angefochtenen Urteils aufzuheben sei.
- 184.
- Anic vertritt die Auffassung, es bestehe keinerlei Widerspruch zwischen den
Gründen und dem Tenor des angefochtenen Urteils in dem von der Kommission
geltend gemachten Sinn. Vielmehr hätte das Gericht aus den
Tatsachenfeststellungen und den Rechtsgrundsätzen, die in der Urteilsbegründung
aufgeführt seien, die gebotene Schlußfolgerung ziehen müssen, daß sie sich nicht
an dem Kartell beteiligt habe. Denn wie sie im Rahmen ihres Anschlußrechtsmittels
dargelegt habe, seien vier der fünf Verhaltensweisen, die als unerläßlich für die
Durchführung des Kartells angesehen worden seien, für ihre Person nicht bewiesen
worden. Demzufolge habe die bloße Teilnahme an den Sitzungen keinen Beitritt
zu der Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise darstellen können.
- 185.
- In allgemeinerer, unterschiedslos alle Teile des angeblichen abgestimmten Systems
betreffender Hinsicht müsse weiter nachgewiesen werden, daß sie dieses System
angewandt habe. Für keine der ihr zur Last gelegten Tätigkeiten sei indessen
dargetan, daß sie sie z. B. durch gleichzeitige Preiserhöhungen oder durch die
Einhaltung der ihr zugeteilten Mengen eingehalten habe. Selbst der Zeitpunkt
Oktober 1983 als Ende des Zeitraums sei bestreitbar, da zu diesem Zeitpunkt die
Übertragung an Monte bereits wirksam gewesen sei, sie die Teilnahme an den
Sitzungen Ende Mai 1982 oder Mitte 1982 eingestellt habe und die Mitteilung der
Bestrebungen auf dem Gebiet der Verkaufsmengen an ICI nicht ausreiche, um
damit die Beteiligung an einer abgestimmten Verhaltensweise zu begründen. Da
der Mitteilung der genannten Bestrebungen somit jede Erheblichkeit abzusprechen
sei, bleibe nur noch ihre folgenlose Teilnahme an den Sitzungen übrig, die
unzureichend dafür sei, ihr eine Verantwortung für die Gesamtzuwiderhandlung
zuzurechnen.
- 186.
- Dem ganzen angefochtenen Urteil liege der Gedanken zugrunde, daß die
Teilnahme an den Herstellersitzungen ein notwendiger und ausreichender
Gesichtspunkt für den Nachweis ihrer Beteiligung an dem Kartell sei. Demgemäß
habe das Gericht mit einer Ausnahme immer dann, wenn ihre Teilnahme an den
Sitzungen nicht bewiesen gewesen sei, folgerichtig ihre Beteiligung an dem Kartell
für die betreffenden Zeiträume und Initiativen verneint. Bei der vom Gericht
gewählten Sichtweise sei es auch folgerichtig, daß selbst für den Zeitraum, für den
ihre umfassende Teilnahme an dem Kartell angenommen worden sei, ihre
Verantwortung für die Verhaltensweisen verneint worden sei, die in Sitzungen, an
denen sie nicht teilgenommen habe, ausgedacht worden seien. Die Kritik der
Kommission sei somit ungerechtfertigt, ohne daß sie, Anic, sich deswegen der
Gedankenführung des Gerichts anschließen müsse.
- 187.
- Für die Zeit nach Ende 1978 oder Anfang 1979 fächerten sich die Aufführungen
des Gerichts gemäß den verschiedenen Elementen der Zuwiderhandlung auf, doch
sei seine Argumentation weiter in dem Grundsatz verankert, daß sich die
Teilnahme an den Sitzungen und die Kartelle nicht voneinander trennen ließen.
Zur Abstimmung über die Preise und die Quoten im besonderen macht Anic
geltend, aus ihrem Fernbleiben von den nach Mitte 1982 stattfindenden Sitzungen
ergebe sich, daß sie nichts mit den Initiativen aus der Zeit danach zu tun habe.
Ebenso folge, was die Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der
Preisinitiativen angehe, aus ihrer fehlenden Teilnahme an den Sitzungen, in denen
diese Maßnahmen abgesprochen worden seien, daß sie nichts mit den in diesem
Rahmen abgesprochenen Initiativen zu tun habe.
- 188.
- Sie halte die Einstufung als einheitliche Zuwiderhandlung nicht für richtig. Selbst
wenn ein Zweckzusammenhang zwischen den verschiedenen Verhaltensweisen
bestanden haben sollte, die mehrere Unternehmen über Jahre hinweg praktiziert
hätten, seien die verschiedenen Zuwiderhandlungen kein einheitliches Ganzes,
behielten jeweils ihre besondere Natur bei und seien einzeln zu beanstanden. Aus
der Auffassung der Kommission ergebe sich die Erklärung dafür, weshalb Anic
jemals als verantwortlich für Preis- oder Quoteninitiativen habe angesehen werden
können, ohne daß ein Nachweis für deren konkrete Durchführung durch sie
vorgelegen haben: Ihre geistige Mitarbeit sei als ausreichend angesehen worden.
Selbst nach dieser Konstruktion könne einem Unternehmen nicht die
Verantwortung für Handlungen auferlegt werden, an denen es nicht wenigstens
geistig mitgewirkt habe.
- 189.
- Selbst wenn man mit dem Gericht annehme, daß die Sitzungen das maßgebliche
Element des zwischen den Herstellern abgestimmten Systems seien, bleibe der von
ihr angeführte Widerspruch zwischen den Gründen und dem Tenor des
angefochtenen Urteils klar erkennbar. Da gemäß den Randnummern 91 und 100
des angefochtenen Urteils nicht nachgewiesen sei, daß sie an den Sitzungen nach
dem 9. Juni 1982 teilgenommen habe, könne ihr keine nach diesem Zeitpunkt
entwickelte Initiative zugeschrieben werden. Demgemäß habe ihre Beteiligung andem angeblichen Kartell mit allen ihren Wirkungen im Juni und nicht im Oktober
1982 geendet.
- 190.
- In diesem Zusammenhang sind die beiden Rechtsmittelgründe der Kommission
zusammen zu prüfen. Für die Beurteilung ihrer Begründetheit ist erstens zu prüfen,
ob die Polypropylen-Entscheidung tatsächlich den Inhalt und die Reichweite hat,
die ihnen die Kommission in bezug darauf zuschreibt, daß jedem Unternehmen und
insbesondere Anic die Verantwortung für die gesamte Zuwiderhandlung
zugerechnet wird. Ist dies der Fall, so ist zweitens zu klären, ob die Gründe und der
Tenor des angefochtenen Urteils gemäß dem Vorbringen der Kommission
tatsächlich einen Widerspruch bezüglich der Auslegung der
Polypropylen-Entscheidung enthalten. Gegebenenfalls wird der Gerichtshof drittens
außerdem zu prüfen haben, ob die Polypropylen-Entscheidung in ihrer Auslegung
durch die Kommission nicht, wie Anic geltend macht, gegen Artikel 85 Absatz 1
des Vertrages, den Grundsatz der persönlichen Verantwortung für
Zuwiderhandlungen gegen diese Vorschrift, die Beweisregeln und die Rechte der
Verteidigung verstößt.
- 191.
- Mit Artikel 1 der Polypropylen-Entscheidung wird den betroffenen Unternehmen
zur Last gelegt, im Laufe unterschiedlicher Zeiträume an einer Vereinbarung und
einer abgestimmten Verhaltensweise beteiligt gewesen zu sein, die die in den
Buchstaben a bis e der genannten Bestimmung aufgeführten rechtswidrigen
Verhaltensweisen umfaßt hätten. Aufgrund dieser Formulierung erscheint es
glaubhaft, daß die Kommission so jedem der beteiligten Unternehmen die
Verantwortung für die so beschriebenen rechtswidrigen Verhaltensweisen hat
zurechnen wollen.
- 192.
- Diese Auslegung wird durch die Begründung der Polypropylen-Entscheidung
bestätigt. Unter Bezugnahme auf die Elemente der Zuwiderhandlung, die sie in
Randnummer 81 als eine einzige fortdauernde „Vereinbarung“ eingestuft hat, hat
die Kommission in Randnummer 83 u. a. folgendes ausgeführt: „An der
Schlußfolgerung, daß eine fortdauernde Vereinbarung vorliegt, ändert auch nichts
die Tatsache, daß einige Hersteller nicht notwendigerweise an jeder Sitzung
teilnahmen ... Alle Unternehmen, an die diese Entscheidung gerichtet ist,
beteiligten sich an der Ausarbeitung von Gesamtplänen und an den ausführlichen
Erörterungen, und der Umfang ihrer Verantwortung wird nicht dadurch
geschmälert, daß sie an einer einzelnen Tagung nicht anwesend waren (oder - im
Falle [von Shell] - nicht an allen Vollsitzungen).“
- 193.
- Die der Polypropylen-Entscheidung zugrunde liegende Konzeption kommt ebenfalls
in Randnummer 83 in folgenden Ausführungen besonders klar zum Ausdruck: „Das
Wesentliche des vorliegenden Falls ist das lange Zeit andauernde Zusammenwirken
der Hersteller in Richtung auf ein gemeinsames Ziel, und jeder Teilnehmer ist
verantwortlich, nicht nur für seine eigene unmittelbare Rolle, sondern auch für das
Funktionieren der Vereinbarung insgesamt. Der Umfang der Beteiligung jedesHerstellers ist daher nicht auf den Zeitraum begrenzt, für den zufällig
Preisinstruktionen von ihm vorlagen, sondern auf die gesamte Zeit, während der
er an dem gemeinsamen Unterfangen beteiligt war.“
- 194.
- Zu Anic und Rhône-Poulenc SA im besonderen, die den Polypropylensektor
verlassen hatten, bevor die Kommission ihre Untersuchungen aufnahm, führte die
Kommission in Randnummer 83 aus: „Ihre Teilnahme an Sitzungen und ihre
Beteiligung am Mengenziel und an den Quotenregelungen läßt sich jedoch aus den
schriftlichen Unterlagen nachweisen. Die Vereinbarung muß als Ganzes gesehen
werden und ihre Beteiligung ist nachgewiesen, auch wenn keine Preisinstruktionen
von ihnen gefunden werden konnten.“
- 195.
- Aus alledem ist abzuleiten, daß die Polypropylen-Entscheidung dahin gehend
auszulegen ist, daß durch sie Anic die Verantwortung für die gesamte
Zuwiderhandlung einschließlich der Einzelakte, an denen sie nicht direkt
teilgenommen hat, zugeschrieben wird.
- 196.
- Zweitens hat das Gericht diese Auslegung der Polypropylen-Entscheidung in
mehreren Teilen des angefochtenen Urteils zugrunde gelegt, und zwar vor allem
in Nummer 1 erster Gedankenstrich des Tenors, in der Artikel 1 der
Polypropylen-Entscheidung für nichtig erklärt wird, soweit dort festgestellt wird, daß
Anic vor Ende 1978 oder Anfang 1979 und nach Ende Oktober 1982 an der
Zuwiderhandlung beteiligt gewesen ist. Diese Formulierung deutet stillschweigend
darauf hin, daß Anic nach Ansicht des Gerichts während des gesamten Zeitraums
ihrer Beteiligung für eine einheitliche Zuwiderhandlung verantwortlich ist.
- 197.
- Diese Auffassung wird in den Randnummern 203 und 204 des angefochtenen
Urteils ausdrücklich dargelegt. Das Gericht hat dort darauf hingewiesen, daß die
verschiedenen abgestimmten Verhaltensweisen und Vereinbarungen, die von den
Beteiligten eingehalten und abgeschlossen worden seien, wegen ihres
übereinstimmenden Zweckes Teil von Systemen regelmäßiger Sitzungen zur
Festsetzung von Preiszielen und Quoten gewesen seien. Diese Systeme seien
wiederum Teil einer Reihe von Bemühungen der betroffenen Unternehmen
gewesen, mit denen ein einziges wirtschaftliches Ziel verfolgt worden sei, nämlich
die normale Entwicklung der Preise auf dem Polypropylenmarkt zu verfälschen. Es
wäre daher, so das Gericht weiter, gekünstelt, dieses durch ein einziges Ziel
gekennzeichnete kontinuierliche Verhalten zu zerlegen und darin mehrere
selbständige Zuwiderhandlungen zu sehen. Tatsächlich habe sich Anic an einem
Komplex integrierter Systeme beteiligt, die eine einheitliche Zuwiderhandlung
darstellten. Diese einheitliche Zuwiderhandlung habe sich nach und nach sowohl
in rechtswidrigen Vereinbarungen als auch in rechtswidrigen abgestimmten
Verhaltensweisen konkretisiert.
- 198.
- Den genannten Randnummern des angefochtenen Urteils zufolge war Anic ebenso
wie die anderen beteiligten Unternehmen als Mittäterin an einer einzigenZuwiderhandlung anzusehen, die in einer Reihe von rechtswidrigenVerhaltensweisen, die zu einem Komplex integrierter Systeme gehörten, und nicht
in mehreren isoliert zu sehenden Verhaltensweisen zum Ausdruck kam.
- 199.
- Dagegen ist das Gericht in mehreren Teilen des angefochtenen Urteils von dieser
Auslegung abgewichen, und zwar insbesondere in Nummer 1 zweiter und dritter
Gedankenstrich des Tenors, wo Artikel 1 der Polypropylen-Entscheidung für nichtig
erklärt wird, soweit dort festgestellt wird, daß Anic nach Mitte 1982 an dem System
regelmäßiger Sitzungen der Polypropylenhersteller, an den Preisinitiativen und an
der Begrenzung der monatlichen Verkäufe im Verhältnis zu einem
vorausgegangenen Bezugszeitraum sowie während der ganzen Zeit ihrer Beteiligung
an der Zuwiderhandlung an Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der
Preisinitiativen beteiligt gewesen ist.
- 200.
- Denn aus der gewählten Formulierung ergibt sich, daß die
Polypropylen-Entscheidung insoweit, als dort Anic die Verantwortung für
bestimmte Verhaltensweisen zugewiesen worden war, mit der Begründung für
nichtig erklärt wurde, daß die Kommission die Beteiligung von Anic an diesen
Verhaltensweisen nicht nachgewiesen habe.
- 201.
- Dies wird durch einige Passagen des angefochtenen Urteils bestätigt. Das Gericht
hat zunächst in Randnummer 95 festgestellt, daß die regelmäßige Teilnahme von
Anic an den Sitzungen der Polypropylenhersteller nur für die Zeit bis Mitte 1982
nachgewiesen worden sei, und daraus dann in den Randnummern 100 und 115
abgeleitet, daß der Kommission rechtlich nicht der Beweis gelungen sei, daß Anic
an dem System von Sitzungen und an den Preisinitiativen nach Mitte 1982
teilgenommen habe. Desgleichen hat das Gericht in den Randnummern 122 bis 127
ausgeführt, daß die Beteiligung von Anic am System der Kundenführung und an
anderen Maßnahmen zur Förderung der Durchführung der Preisinitiativen rechtlich
nicht bewiesen sei, da die Kommission nicht nachgewiesen habe, daß Anic an den
Sitzungen teilgenommen habe, in denen all diese Maßnahmen abgesprochen
worden seien.
- 202.
- Somit ist das angefochtene Urteil in der Tat widersprüchlich. Einerseits hat das
Gericht festgestellt, daß Anic zusammen mit anderen Unternehmen bis Ende
Oktober 1982 an einer Systeme regelmäßiger Sitzungen zur Festsetzung von
Preiszielen und Quoten umfassenden einheitlichen Zuwiderhandlung beteiligt
gewesen sei, mit der ein einziges wirtschaftliches Ziel, die Verfälschung der
normalen Preisentwicklung auf den Polypropylenmarkt, verfolgt worden sei.
Andererseits hat es teils für einen Abschnitt des Zeitraums, in dem Anic an der
Zuwiderhandlung teilgenommen hatte, teils für diesen Zeitraum insgesamt die
Verantwortung von Anic für eine Reihe von Verhaltensweisen, die doch spezifische
Ausdrucksformen dieser einheitlichen Zuwiderhandlung waren, mit der Begründung
verneint, es sei nicht nachgewiesen, daß Anic sich an diesen Verhaltensweisen
beteiligt habe oder daß sie an den Sitzungen teilgenommen habe, in denen deren
Durchführung beschlossen worden sei. Dabei hat das Gericht nicht geprüft, ob sichdie Verantwortung von Anic für diese besonderen Verhaltensweisen nicht aus ihrer
Beteiligung an der Gesamtzuwiderhandlung ergeben kann.
- 203.
- Drittens geht aus den Randnummern 81 bis 90 dieses Urteils hervor, daß ein
Unternehmen, das sich durch eigene Handlungen, die den Begriff von auf ein
wettbewerbswidriges Ziel gerichteten Vereinbarungen oder abgestimmten
Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages erfüllten und zur
Mitwirkung an der Verwirklichung der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit
bestimmt waren, an einer komplexen einheitlichen Zuwiderhandlung der hier
vorliegenden Art beteiligt hatte, für die ganze Zeit seiner Beteiligung an der
genannten Zuwiderhandlung auch für das Verhalten verantwortlich sein kann, das
andere Unternehmen im Rahmen der Zuwiderhandlung an den Tag legten. Dies
ist dann der Fall, wenn das betreffende Unternehmen nachweislich von dem
rechtswidrigen Verhalten der anderen Beteiligten wußte oder es vernünftigerweise
vorhersehen konnte sowie bereit war, die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu
nehmen. Eine solche Schlußfolgerung läuft nicht dem Prinzip zuwider, wonach die
Verantwortlichkeit für solche Zuwiderhandlungen von persönlicher Art ist. Auch
wird mit ihr nicht unter Verletzung der Beweisregeln die Einzeluntersuchung der
belastenden Beweise vernachlässigt oder gegen die Verteidigungsrechte der
beteiligten Unternehmen verstoßen.
- 204.
- Somit verstößt die Polypropylen-Entscheidung in der durch den Gerichtshof
vorgenommenen Auslegung weder gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages oder
den Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit für Zuwiderhandlungen gegen
diese Vorschrift, noch gegen die Beweisregeln oder die Rechte der Verteidigung.
- 205.
- Viertens ist entgegen den Ausführungen des Gerichts in Nummer 1 zweiter und
dritter Gedankenstrich des Tenors des angefochtenen Urteils und den in
Randnummer 201 des vorliegenden Urteils angeführten Teilen der Begründung
anzunehmen, daß die Kommission rechtlich hinreichend bewiesen hat, daß Anic
nach Mitte 1982 an dem System regelmäßiger Sitzungen der Polypropylenhersteller,
an den Preisinitiativen und an der Begrenzung der monatlichen Verkäufe im
Verhältnis zu einem vorausgegangenen Bezugszeitraum sowie während der ganzen
Zeit ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung an Maßnahmen zur Förderung der
Durchführung der Preisinitiativen beteiligt gewesen ist.
- 206.
- Zum einen erwächst bezüglich der Beteiligung an den genannten Elementen der
Zuwiderhandlung nach Mitte 1982 aus der vom Gericht in Randnummer 176 des
angefochtenen Urteils festgestellten Tatsache, daß sich Anic im Oktober 1982 an
Verhandlungen zur Festsetzung von Quoten beteiligt hat und damit zur
Verwirklichung der Zuwiderhandlung in ihre Gesamtheit hat beitragen wollen, ihre
Verantwortung für die von anderen Unternehmen beabsichtigten oder
durchgeführten Verhaltensweisen, die zu diesen Elementen der Zuwiderhandlung
gehörten. Denn Anic wußte durch ihre jahrelange Teilnahme an den regelmäßigen
Sitzungen der Polypropylenhersteller voll und ganz über all diese ElementeBescheid und mußte zwangsläufig annehmen, daß sie auch nach Mitte 1982 weiter
vorliegen würden.
- 207.
- Zum anderen genügt hinsichtlich der Maßnahmen zur Förderung der Durchführung
der Preisinitiativen die Feststellung, daß die in Randnummer 27 der
Polypropylen-Entscheidung erwähnten und in den Randnummern 116 bis 127 des
angefochtenen Urteils geprüften verschiedenen Arten des Verhaltens insofern auf
die Unterstützung der Preisinitiativen gerichtet waren, als durch sie möglichst
günstige Bedingungen für die Erreichung der von den Polypropylenherstellern
festgesetzten Preisziele herbeigeführt werden sollten. Da sich Anic jahrelang an
diesen Preisinitiativen beteiligt hatte, konnte sie vernünftigerweise vorhersehen, daß
die beteiligten Unternehmen den Erfolg dieser Initiativen durch verschiedene
Vorkehrungen würden zu fördern suchen, und war zur Hinnahme dieser
Möglichkeit bereit. Selbst wenn nicht bewiesen ist, daß sich Anic konkret an der
Absprache über diese Maßnahmen oder an ihrer Durchführung beteiligt hat, ist sie
doch für das konkrete Verhalten verantwortlich, das andere Unternehmen in
diesem Zusammenhang im Rahmen der einheitlichen Zuwiderhandlung an den Tag
gelegt haben, an der sie sich beteiligt und mitgewirkt hat.
- 208.
- Somit sind die Rechtsmittelgründe der Kommission stichhaltig, und Nummer 1
zweiter und dritter Gedankenstrich des Tenors des angefochtenen Urteils ist
aufzuheben.
- 209.
- Nach Artikel 54 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes hebt der Gerichtshof
die Entscheidung des Gerichts auf, wenn das Rechtsmittel begründet ist. Er kann
dann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung
reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.
- 210.
- Der Rechtsstreit ist zur Entscheidung reif, und der Gerichtshof hält es für
angezeigt, ihn selbst zu entscheiden.
Zur Begründetheit der Nichtigkeitsklage
Zur angeblichen Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung
- 211.
- In diesem Zusammenhang ist erstens zu prüfen, ob der Gerichtshof, wie Anic
geltend macht, die Frage der Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung von Amts
wegen zu prüfen hat.
- 212.
- Hierzu genügt der Hinweis, daß eine solche Verpflichtung, den Ordre public
betreffende Rügen in bezug auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zum Erlaß der
Polypropylen-Entscheidung von Amts wegen aufzugreifen, nur eventuell aufgrund
im Verfahren vorgetragener tatsächlicher Anhaltspunkte bestehen könnte.
- 213.
- Im vorliegenden Fall ist nichts vorgetragen worden, was einen Zweifel an der
Existenz der Polypropylen-Entscheidung begründen könnte, so daß der Gerichtshof
sich nicht von Amts wegen mit dieser Frage zu befassen braucht.
Zu den die Nichtigerklärung der Polypropylen-Entscheidung betreffenden Klagegründen
- 214.
- Zweitens ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, daß die Kommission zu
Recht angenommen hat, daß sich Anic zwischen Ende 1978 und oder Anfang 1979
und Ende Oktober 1982 an einer Vereinbarung und einer abgestimmten
Verhaltensweise beteiligt habe, die Systeme regelmäßiger Sitzungen der
Polypropylenhersteller, Preisinitiativen, Maßnahmen zur Förderung der
Durchführung der Preisinitiativen, Absatzziele und Quoten umfaßt habe.
- 215.
- Daher ist die Klage von Anic gegen die Polypropylen-Entscheidung außer in bezug
auf das, was sich aus Nummer 1 erster Gedankenstrich des Tenors des
angefochtenen Urteils ergibt, die im Rahmen dieses Rechtsmittelverfahrens nicht
angefochten worden ist, abzuweisen.
Zur Höhe der Geldbuße
- 216.
- Was drittens die Höhe der Geldbuße angeht, die das Gericht von 750 000 auf
450 000 ECU, also um 40 %, herabgesetzt hat, macht die Kommission geltend, aus
anderen Urteilen in den die Polypropylen-Entscheidung betreffenden Rechtssachen
(Urteile vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-2/89, Petrofina/Kommission,
Slg. 1991, II-1087, und vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-4/89,
BASF/Kommission, Slg. 1991, II-1523) ergebe sich, daß das Gericht bei der
Herabsetzung der Geldbuße unter Berücksichtigung der kürzeren Dauer der
Zuwiderhandlung und des Schwerefaktors den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
angewandt habe. Im Fall von Anic sei die Dauer der Zuwiderhandlung in der
Polypropylen-Entscheidung auf 62 Monate und im angefochtenen Urteil auf 46
Monate festgesetzt worden, was zu einer Herabsetzung der Geldbuße um 25 %
hätte führen müssen. Somit verbleibe in Verbindung mit Nummer 1 zweiter und
dritter Gedankenstrich des Tenors des angefochtenen Urteils eine Herabsetzung
um 15 % übrig, die insoweit für nichtig zu erklären sei, als dies auch mit dem
Inhalt der beiden Gedankenstriche zu geschehen habe. Ein Problem stelle insoweit
nur die Bemessung der Geldbuße gemäß der Beteiligung an der Zuwiderhandlung
dar, da sie bereits die unterschiedliche Schwere der Verantwortung der
Unternehmen berücksichtigt habe, indem sie gegen die vier am meisten für das
Kartell verantwortlichen Unternehmen höhere Geldbußen festgesetzt habe.
- 217.
- Anic trägt vor, das Gericht habe im Anschluß an die Neubewertung ihrer
Beteiligung an der Zuwiderhandlung unter dem Gesichtspunkt der Dauer und der
Schwere festgestellt, daß die Geldbuße nicht in einem angemessenen Verhältnis zu
ihrer wirklichen Verantwortung stehe, und sie daher herabgesetzt. Die Rolle, die
der jeweilige Beteiligte im Rahmen einer Zuwiderhandlung gespielt habe, werde
in den allermeisten Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zumindest bei derBestimmung der Schwere der zu verhängenden Sanktion berücksichtigt. Das
Kriterium der Dauer der Zuwiderhandlung sei nicht bedeutender als das der
Schwere, und diese sei im Hinblick auf das Verhalten des jeweiligen Unternehmens
und nicht nur im Hinblick auf die Zuwiderhandlung als solche zu bewerten.
- 218.
- Wegen der teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils und aufgrund von
Artikel 17 der Verordnung Nr. 17 verfügt der Gerichtshof über die Befugnis zu
unbeschränkter Ermessensnachprüfung im Sinne von Artikel 172 EG-Vertrag (jetzt
Artikel 229 EG).
- 219.
- In diesem Rahmen ist den aus dem angefochtenen Urteil resultierenden
Bewertungen des Gerichts zuzustimmen, die sich auf die allgemeine Höhe der
gegen die Adressaten der Polypropylen-Entscheidung verhängten Geldbußen und
auf die Kriterien beziehen, die bei der Bemessung der gegen jedes einzelne
Unternehmen festgesetzten Geldbuße angewandt worden sind.
- 220.
- Die Herabsetzung der gegen Anic verhängten Geldbuße durch das Gericht ist
gerechtfertigt, soweit sie mit der kürzeren Dauer der Zuwiderhandlung
zusammenhängt, die das Gericht für die Zeit von Ende 1978 oder Anfang 1979 bis
Ende Oktober 1982 und nicht gemäß der Polypropylen-Entscheidung von etwa
November 1977 bis Ende 1982 oder Anfang 1983 als nachgewiesen angesehen hat.
- 221.
- Dagegen beruht die Herabsetzung der Geldbuße durch das Gericht insoweit auf
irrigen Voraussetzungen, als sie mit der Beteiligung von Anic am System der
regelmäßigen Sitzungen der Polypropylenhersteller, an den Preisinitiativen und an
der Begrenzung der monatlichen Verkäufe im Verhältnis zu einem
vorausgegangenen Bezugszeitraum von Mitte 1982 bis Ende Oktober 1982 und mit
ihrer Beteiligung an Maßnahmen zur Förderung der Durchführung derPreisinitiativen während der ganzen Zeit ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung
zusammenhängt, die das Gericht zu Unrecht als nicht bewiesen erachtet hat.
- 222.
- Jedoch erscheint es dem Gerichtshof, insbesondere aufgrund der Tatsache, daß die
Beteiligung von Anic an diesen Elementen der Zuwiderhandlung unbedeutend war,
im Rahmen seiner Entscheidung aufgrund seiner Befugnis zu unbeschränkter
Ermessensnachprüfung angebracht, die vom Gericht beschlossene Herabsetzung der
Geldbuße zu bestätigen.
- 223.
- Nach Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 1103/97 des Rates vom 17. Juni
1997 über bestimmte Vorschriften im Zusammenhang mit der Einführung des Euro
(ABl. L 162, S. 1) wird jede Bezugnahme in einem Rechtsinstrument auf die Ecu
im Sinne des Artikels 109g EG-Vertrag (jetzt Artikel 118 EG) und in der
Definition der Verordnung (EG) Nr. 3320/94 des Rates vom 22. Dezember 1994
zur Kodifizierung der geltenden Rechtsvorschriften der Gemeinschaft zur Definition
der Ecu nach Inkrafttreten des Vertrages über die Europäische Union (ABl. L 350,
S. 27) durch eine Bezugnahme auf den Euro zum Kurs von 1 Euro für 1 ECUersetzt. Bei Bezugnahmen in einem Rechtsinstrument auf die Ecu, die keine solche
Definition enthalten, wird eine Bezugnahme auf die Ecu im Sinne des Artikels 109g
des Vertrages und in der Definition der Verordnung (EG) Nr. 3320/94 vermutet;
diese Vermutung kann widerlegt werden, wobei die Absichten der Vertragsparteien
zu berücksichtigen sind.
- 224.
- Im vorliegenden Fall hat die Kommission in der Polypropylen-Entscheidung wie
übrigens auch das Gericht im angefochtenen Urteil die Höhe der gegen Anic
verhängten Geldbuße in Ecu und unter Anwendung des am Tag des Erlasses der
genannten Entscheidung geltenden Umrechnungskurses von 1 471,59 ITL für
1 ECU (siehe ABl. 1986, C 95, S. 1) in italienischen Liren ausgedrückt. Demnach
hat die Kommission für den in Ecu ausgedrückten Betrag endgültig den Gegenwert
in nationaler Währung angeben wollen. Aufgrund dessen ist die Vermutung in
Artikel 2 der Verordnung Nr. 1103/97 als widerlegt anzusehen und die Geldbuße
unter Herabsetzung des in Artikel 3 der Polypropylen-Entscheidung angegebenen
Betrages um 40 % und Bestätigung des in Nummer 2 des Tenors des
angefochtenen Urteils vom Gericht angegebenen Betrages in italienischen Lire
festzusetzen.
Kosten
- 225.
- Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, der nach deren Artikel 118 auf das
Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur
Tragung der Kosten zu verurteilen.
- 226.
- Da die Klage von Anic gegen die Polypropylen-Entscheidung zum Teil durchgreift,
sind jeder Partei ihre eigenen Kosten im Verfahren vor dem Gericht aufzuerlegen.
Nummer 4 des Tenors des angefochtenen Urteils ist somit zu bestätigen.
- 227.
- Da Anic mit ihrem Vorbringen im Rechtsmittelverfahren unterlegen ist, sind ihr die
Kosten dieser Instanz aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Nummer 1 zweiter und dritter Gedankenstrich des Tenors des Urteils des
Gerichts erster Instanz vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-6/89
(Enichem Anic/Kommission) wird aufgehoben.
2. Die Klage von Anic gegen die Entscheidung 86/398/EWG der Kommission
vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des
EWG-Vertrags (IV/31.149 - Polypropylen) wird außer in bezug auf das, was
sich aus Nummer 1 erster Gedankenstrich des Tenors des genannten
Urteils ergibt, abgewiesen.
3. Die in Artikel 3 der Entscheidung 86/398/EWG gegen Anic Partecipazioni
SpA, früher Anic SpA, dann Enichem Anic SpA, verhängte Geldbuße wird
auf 662 215 500 ITL festgesetzt.
4. Das Anschlußrechtsmittel von Anic Partecipazioni SpA, früher Anic SpA,
dann Enichem Anic SpA, wird zurückgewiesen.
5. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten im Verfahren vor dem Gericht.
6. Anic Partecipazioni SpA, früher Anic SpA, dann Enichem Anic SpA, trägt
die Kosten dieser Instanz.
KapteynHirsch
Mancini
Murray Ragnemalm
|
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. Juli 1999.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
P. J. G. Kapteyn