Language of document : ECLI:EU:T:2013:298

URTEIL DES GERICHTS (Sechste Kammer)

6. Juni 2013(*)

„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Nichtigkeitsverfahren – Gemeinschaftsgeschmacksmuster, das Uhrenzifferblätter wiedergibt – Nicht eingetragene ältere Geschmacksmuster – Nichtigkeitsgrund – Neuheit – Art. 4, 5 und 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Eigenart – Unterschiedlicher Gesamteindruck – Art. 4, 6 und 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 – Älteres Urheberrecht – Art. 25 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 6/2002“

In der Rechtssache T‑68/11

Erich Kastenholz, wohnhaft in Troisdorf (Deutschland), Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt L. Acker,

Kläger,

gegen

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM), zunächst vertreten durch S. Hanne, dann durch D. Walicka als Bevollmächtigte,

Beklagter,

andere Beteiligte im Verfahren vor der Beschwerdekammer des HABM und Streithelferin vor dem Gericht:

Qwatchme A/S mit Sitz in Løsning (Dänemark), vertreten durch Rechtsanwalt M. Zöbisch,

betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des HABM vom 2. November 2010 (Sache R 1086/2009‑3) zu einem Nichtigkeitsverfahren zwischen Herrn Erich Kastenholz und der Qwatchme A/S

erlässt

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten H. Kanninen sowie der Richter S. Soldevila Fragoso (Berichterstatter) und A. Popescu,

Kanzler: S. Spyropoulos, Verwaltungsrätin,

aufgrund der am 25. Januar 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,

aufgrund der am 17. Mai 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung des HABM,

aufgrund der am 6. Mai 2011 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung der Streithelferin,

aufgrund der Änderung der Besetzung der Kammern des Gerichts,

auf die mündliche Verhandlung vom 8. November 2012

folgendes

Urteil

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

1        Am 28. September 2006 meldete die Streithelferin, die Qwatchme A/S, nach der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1) beim Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster an.

2        Das angemeldete Geschmacksmuster wurde in Schwarz-Weiß wie folgt wiedergegeben:

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3        Das oben in Randnr. 2 dargestellte Geschmacksmuster (im Folgenden: angegriffenes Geschmacksmuster) wurde am Tag der Anmeldung unter der Nr. 000602636-0003 eingetragen. Das Geschmacksmuster soll für die Erzeugnisse „Uhrenzifferblätter, Uhrenzifferblätter (Teil von ˗), Skalen (Zeiger für ˗)“ in Klasse 10.07 des am 8. Oktober 1968 in Locarno unterzeichneten Abkommens zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle verwendet werden.

4        Am 25. Juni 2008 beantragte der Kläger, Herr Erich Kastenholz, gemäß Art. 52 der Verordnung Nr. 6/2002 beim HABM die Nichtigerklärung des angegriffenen Geschmacksmusters. Die für den Antrag geltend gemachten Gründe waren zum einen der in Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 aufgeführte Nichtigkeitsgrund, da das angegriffene Geschmacksmuster mangels Neuheit nicht die Schutzvoraussetzungen der Art. 4 und 5 dieser Verordnung erfülle, und zum anderen der in Art. 25 Abs. 1 Buchst. f dieser Verordnung genannte Nichtigkeitsgrund, da das angegriffene Geschmacksmuster eine unerlaubte Verwendung eines nach dem deutschen Urheberrechtsgesetz geschützten Zifferblatts darstelle.

5        Der Kläger machte insbesondere geltend, dass das angegriffene Geschmacksmuster identisch mit dem nach deutschem Urheberrecht geschützten Geschmacksmuster eines Zifferblatts sei, das die Technik des Überlagerns von farbigen Scheiben in dem zwischen 2000 und 2005 von dem Künstler Paul Heimbach vorgestellten und veröffentlichten Werk „Farbfolge II, 12 Stunden im 5-Minuten-Takt“ verwende. Dieses Werk wird in Farbe und Schwarz-Weiß folgendermaßen wiedergegeben:

„Farbfolge II, 12 Stunden im 5-Minuten-Takt“ (in Farbe)

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„Farbfolge II“ (2003) (schwarz-weiß)

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6        Aus der Gestaltung „Farbfolge II, 12 Stunden im 5-Minuten-Takt“ entwickelte der Künstler Paul Heimbach das Zifferblatt „Farbzeiger II“, das wie folgt in Schwarz-Weiß wiedergegeben wird:

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7        Der Kläger machte geltend, dass die Werke „Farbfolge II, 12 Stunden im 5-Minuten-Takt“, „Farbfolge II“ (2003) und „Farbzeiger II“ auch nach deutschem Urheberrecht geschützt seien, weil sie ein Zifferblatt darstellten, das sich mit der Bewegung der Zeiger beständig verändere und in dem jeder Zeiger auf einer halbtransparenten, farbigen Scheibe befestigt sei, die bei jeder Überlappung verschiedene Farben erzeugten.

8        In seinem an die Nichtigkeitsabteilung des HABM gerichteten ergänzenden Schriftsatz vom 27. Oktober 2008 machte der Kläger in Bezug auf die Anforderungen der Neuheit und der Eigenart gemäß Art. 4 der Verordnung Nr. 6/2002 geltend, dass das angegriffene Geschmacksmuster die gleichen Merkmale wie das oben in Randnr. 5 in Farbe und Schwarz-Weiß wiedergegebene Geschmacksmuster „Farbfolge II, 12 Stunden im 5-Minuten-Takt“ aufweise. Ferner legte der Kläger dem HABM zwei Originale von Werken Paul Heimbachs, nämlich die Werke „Farbfolge (5/17)“, signiert im und datiert auf Februar 2000, und „Farbfolge II (89/100)“, signiert im und datiert auf September 2003, vor, die Abwandlungen des ursprünglich vom Kläger angeführten Geschmacksmusters „Farbfolge II, 12 Stunden im 5-Minuten-Takt“ darstellen und nachstehend wiedergegeben sind:

„Farbfolge (5/17)“

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„Farbfolge II (89/100)“

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9        Die verschiedenen Darstellungen, Gestaltungen und Abwandlungen von „Farbfolge II, 12 Stunden im 5-Minuten-Takt“, wie sie oben in den Randnrn. 5, 6 und 8 genannt sind, bilden zum einen die im Nichtigkeitsverfahren vor dem HABM geprüften Geschmacksmuster (im Folgenden: ältere Geschmacksmuster) und zum anderen die im selben Verfahren geprüften Kunstwerke (im Folgenden: ältere Kunstwerke).

10      Mit Entscheidung vom 16. Juli 2009 wies die Nichtigkeitsabteilung den Antrag auf Nichtigerklärung zurück und stellte fest, dass sich das angegriffene Geschmacksmuster und die älteren Geschmacksmuster voneinander unterschieden, weil es Unterschiede zwischen den Scheiben gebe. Sie stützte diesen Schluss zum einen darauf, dass keine der in den verschiedenen Ansichten des angegriffenen Geschmacksmusters gezeigten Konfigurationen in einem der älteren Geschmacksmuster dargestellt sei und diese darum der Neuheit des eingetragenen Geschmacksmusters nicht entgegenstehen könnten. Zum anderen verwies die Nichtigkeitsabteilung darauf, dass die älteren Geschmacksmuster ein breites Spektrum unterschiedlicher Farben erzeugten, wohingegen das angegriffene Geschmacksmuster nur höchstens drei Farbtöne erzeuge und somit einen anderen Eindruck als die älteren Geschmacksmuster hervorrufe, weshalb ihm Eigenart zuerkannt werden könne. Außerdem führte die Nichtigkeitsabteilung aus, dass wegen der Unterschiede zwischen den streitigen Geschmacksmustern das angegriffene Geschmacksmuster keine Verwendung des durch das deutsche Urheberrecht geschützten Werkes darstelle.

11      Am 25. Oktober 2009 legte der Kläger beim HABM gemäß den Art. 55 bis 60 der Verordnung Nr. 6/2002 gegen die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung Beschwerde ein.

12      Mit Entscheidung vom 2. November 2010 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) wies die Dritte Beschwerdekammer die Beschwerde zurück. Zur Begründung führte sie erstens aus, dass sich das angegriffene Geschmacksmuster von den älteren Geschmacksmustern darin unterscheide, dass die in den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern verwendeten Farben des Zifferblatts deutlich verschieden seien und beim informierten Benutzer einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorriefen. Infolgedessen habe das angegriffene Geschmacksmuster Eigenart und könne somit nicht im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 mit den älteren Geschmacksmustern identisch sein. Zweitens war die Beschwerdekammer der Ansicht, dass wegen der zwischen den konfligierenden Geschmacksmustern bestehenden Unterschiede das angegriffene Geschmacksmuster weder als eine Vervielfältigung noch als eine Umgestaltung der älteren Kunstwerke angesehen werden könne.

 Anträge der Verfahrensbeteiligten

13      Der Kläger beantragt,

–        die angefochtene Entscheidung aufzuheben;

–        die Sache zur Prüfung des Urheberrechtsschutzes zurückzuverweisen;

–        dem HABM die Kosten aufzuerlegen.

14      Das HABM und die Streithelferin beantragen,

–        die Klage abzuweisen;

–        dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.

15      In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger seinen zweiten Antrag zurückgenommen, was im Sitzungsprotokoll vermerkt worden ist.

 Rechtliche Würdigung

 Zum Antrag des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens

16      Der Kläger beantragt, eine Kunstprofessorin als Sachverständige zum Verfahren zuzulassen, um den Beweis zu erbringen, dass die in den älteren Kunstwerken zum Ausdruck gebrachte Idee, nämlich die Zeitdarstellung durch verschiedene Farben und Schattierungen, urheberrechtlich geschützt ist, und dieser Sachverständigen gegebenenfalls Gelegenheit zu geben, das im Verwaltungsverfahren vorgelegte Gutachten in der mündlichen Verhandlung ergänzend zu erörtern.

17      Nach Ansicht des HABM besteht keine Veranlassung, eine Kunstprofessorin als Sachverständige im Verfahren vor dem Gericht zuzulassen, weil die Ausführungen in dem Gutachten nicht erheblich für den Beweis seien, dass diese Kunstwerke gegen die Eintragung des angegriffenen Geschmacksmusters geschützt werden müssten.

18      Die Streithelferin ist der Meinung, dass der Antrag des Klägers auf Begutachtung durch einen Sachverständigen nicht von Relevanz sei.

19      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es die Verfahrensordnung des Gerichts in das Ermessen des Gerichts stellt, ob eine Maßnahme wie die Hinzuziehung eines Sachverständigen anzuordnen ist. Gemäß Art. 65 der Verfahrensordnung kann das Gericht ein Gutachten von Amts wegen oder auf Antrag einer Partei anordnen. Wird in der Klageschrift eine Begutachtung durch einen Sachverständigen beantragt und werden dabei genau die Gründe angegeben, die diese Maßnahme rechtfertigen, ist es Sache des Gerichts, die Erheblichkeit des Antrags im Hinblick auf den Streitgegenstand und die Erforderlichkeit der Anordnung einer solchen Maßnahme zu beurteilen.

20      Im vorliegenden Fall würde sich die Tätigkeit eines Kunstprofessors als Sachverständiger darauf beschränken, auf der Grundlage seiner Fachkompetenz die tatsächlichen Umstände des Rechtsstreits zu untersuchen und zu diesen eine fachliche Stellungnahme abzugeben.

21      Die Frage, ob sich das Bestehen eines urheberrechtlichen Schutzes für die einem Kunstwerk zugrunde liegende schöpferische Idee feststellen lässt, betrifft jedoch eine Beurteilung rechtlicher Art, die im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht in die Zuständigkeit eines Kunstsachverständigen fällt.

22      Daher ist der Antrag des Klägers zurückzuweisen.

 Zur Zulässigkeit des erstmals vor dem Gericht geltend gemachten Vorbringens des Klägers

23      Das HABM macht geltend, die tatsächlichen Ausführungen des Klägers zum relevanten Marktbereich seien nicht im Verfahren vor der Beschwerdekammer gemacht worden und könnten somit nicht erstmals vor dem Gericht vorgetragen werden.

24      Mit diesem Vorbringen möchte der Kläger die Entwicklung des Markts für dekorative Uhren aufzeigen, auf dem das Prinzip des die Farbe ändernden Zifferblatts erstmals in den älteren Geschmacksmustern entwickelt worden sei. Nach Auffassung des Klägers ist dies bedeutsam für die Beurteilung des Gesamteindrucks, den die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster beim informierten Benutzer hervorriefen.

25      Nach Art. 135 § 4 der Verfahrensordnung des Gerichts können die Schriftsätze der Parteien den vor der Beschwerdekammer verhandelten Streitgegenstand nicht ändern. Im vorliegenden Verfahren ist es nämlich Sache des Gerichts, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der Beschwerdekammer zu kontrollieren. Daher darf die Kontrolle durch das Gericht nicht über den tatsächlichen und rechtlichen Rahmen des Rechtsstreits hinausgehen, mit dem die Beschwerdekammer befasst war (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil des Gerichts vom 22. Juni 2004, „Drie Mollen sinds 1818“/HABM – Nabeiro Silveira [Galáxia], T‑66/03, Slg. 2004, II‑1765, Randnr. 45). Der Kläger ist auch nicht befugt, vor dem Gericht die Vorgaben des Rechtsstreits zu ändern, wie sie sich aus den von ihm selbst und von der Streithelferin vorgetragenen Anträgen und Darlegungen ergaben (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteile des Gerichtshofs vom 26. April 2007, Alcon/HABM, C‑412/05 P, Slg. 2007, I‑3569, Randnr. 43, und vom 18. Dezember 2008, Les Éditions Albert René/HABM, C‑16/06 P, Slg. 2008, I‑10053, Randnr. 122).

26      Entgegen der Ansicht des HABM zielt das Vorbringen des Klägers nicht auf eine erneute Untersuchung der tatsächlichen Umstände des Rechtsstreits im Licht der erstmals vor dem Gericht vorgetragenen tatsächlichen Ausführungen, sondern es stellt eine Weiterentwicklung der Argumentation des Klägers dar, mit der er die fehlende Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters dartun möchte, das die Nachgestaltung einer Idee oder eines Prinzips darstelle, wie sie erstmals in den älteren Geschmacksmustern neu entwickelt worden seien (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil Alcon/HABM, Randnr. 40).

27      Zwar ergibt die Prüfung der Akten, dass das oben angeführte Vorbringen nicht vor der Beschwerdekammer geltend gemacht wurde. Doch aus der Klageschrift geht hervor, dass dieses Vorbringen die Argumentation zur fehlenden Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters weiterentwickelt, wonach es sich bei diesem lediglich um eine Nachgestaltung der älteren Geschmacksmuster handelt, deren schöpferische Idee oder Prinzip darin bestehe, die Änderung der Uhrzeit durch die Änderung der Farben des Zifferblatts der Uhr darzustellen. Dieses Vorbringen, mit dem die Schutzfähigkeit des angegriffenen Geschmacksmusters nach Art. 4 der Verordnung Nr. 6/2002 wegen fehlender Neuheit und Eigenart bestritten wird, war vom Kläger jedoch bereits im Verwaltungsverfahren geltend gemacht worden. Vor der Nichtigkeitsabteilung trug der Kläger im Zusammenhang mit der Anwendung von Art. 4 der Verordnung Nr. 6/2002 und in seiner in dem ergänzenden Schriftsatz vom 27. Oktober 2008 enthaltenen Erwiderung auf die Stellungnahme der Streithelferin vor dem Gericht vor, dass das angegriffene Geschmacksmuster genau die gleichen Merkmale wie die Werke des Künstlers Paul Heimbach aufweise. Auch vor der Beschwerdekammer führte er zur Anwendung von Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 aus, dass die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster aus zwei oder drei farblich gleich gestalteten Flächen bestünden und daher den gleichen Gesamteindruck hervorriefen. Entgegen der Auffassung des HABM kann aus diesen Ausführungen, obwohl sie knapp gehalten sind, geschlossen werden, dass das die fehlende Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters betreffende Vorbringen bereits Gegenstand des Nichtigkeitsantrags des Klägers war.

28      Dieses Vorbringen ist daher zulässig.

 Zur Begründetheit

29      Der Kläger stützt seine Klage auf drei Gründe. Der erste Klagegrund betrifft einen Verstoß gegen die Art. 4 und 5 in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002, der zweite einen Verstoß gegen die Art. 4 und 6 in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung und der dritte einen Verstoß gegen deren Art. 25 Abs. 1 Buchst. f.

 Zum ersten Klagegrund: Verstoß gegen die Art. 4 und 5 in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002

30      Nach Auffassung des Klägers hat sich die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen auf die Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters gestützt und dessen Neuheit nicht hinreichend geprüft. So habe die Beschwerdekammer nicht sauber zwischen diesen beiden Merkmalen unterschieden.

31      Der Kläger führt hierzu aus, dass der Begriff der Neuheit objektiv auszulegen sei und gemäß Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 lediglich festzustellen sei, ob das angegriffene Geschmacksmuster identisch mit älteren Geschmacksmustern sei, die der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung zugänglich gemacht worden seien. Weiter führt er aus, dass diese Identität oder, gemäß dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002, „Identität außer in unwesentlichen Einzelheiten“ nicht mit einer Übereinstimmung im von den Geschmacksmustern hervorgerufenen Gesamteindruck gleichgesetzt werden dürfe, der für die Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 zu prüfen sei.

32      Das HABM und die Streithelferin treten dem Vorbringen des Klägers entgegen.

33      Gemäß Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 wird ein Geschmacksmuster nur durch ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt, soweit es neu ist und Eigenart hat.

34      Nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. b dieser Verordnung gilt ein eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster als neu, wenn der Öffentlichkeit „vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung des Geschmacksmusters, das geschützt werden soll, oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag“ kein identisches Geschmacksmuster zugänglich gemacht worden ist.

35      Im vorliegenden Fall geht aus Randnr. 23 der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die älteren Geschmacksmuster der Öffentlichkeit vor dem 28. September 2006, als das angegriffene Geschmacksmuster beim HABM zur Eintragung angemeldet wurde, zugänglich gemacht worden waren. Dies ist zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig.

36      Die Beschwerdekammer wies in Randnr. 27 der angefochtenen Entscheidung darauf hin, dass es sich bei der Neuheit und der Eigenart um verschiedene, aber einander zu einem gewissen Grad überschneidende Voraussetzungen handele. So ging die Beschwerdekammer davon aus, dass zwei Geschmacksmuster, die beim informierten Benutzer einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorriefen, für die Beurteilung der Neuheit des jüngeren Geschmacksmusters nicht als identisch angesehen werden könnten.

37      Aus Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 geht hervor, dass zwei Geschmacksmuster als identisch gelten, wenn sich ihre Merkmale nur in unwesentlichen Einzelheiten unterscheiden, d. h. in Einzelheiten, die nicht unmittelbar erkennbar sind und daher keine Unterschiede, nicht einmal geringe, zwischen diesen Geschmacksmustern hervorrufen. Im Umkehrschluss ist für die Beurteilung der Neuheit eines Geschmacksmusters zu prüfen, ob zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern Unterschiede, die nicht unwesentlich sind, vorhanden sind, auch wenn diese gering sein mögen.

38      Der Wortlaut von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 geht, worauf der Kläger hinweist, über den des Art. 5 hinaus. So können die zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern im Rahmen von Art. 5 festgestellten Unterschiede, insbesondere wenn sie gering sind, nicht ausreichend sein, um beim informierten Benutzer einen anderen Gesamteindruck im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 hervorzurufen. In diesem Fall wird das angegriffene Geschmacksmuster als neu im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 angesehen werden können, aber ihm wird keine Eigenart im Sinne von Art. 6 zuzuerkennen sein.

39      Hingegen kann, da die in Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 niedergelegte Voraussetzung über die in Art. 5 normierte hinausgeht, ein beim informierten Benutzer im Sinne von Art. 6 der Verordnung hervorgerufener unterschiedlicher Gesamteindruck nur auf das Vorhandensein objektiver Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern gestützt werden. Diese müssen demgemäß, wie oben in Randnr. 37 ausgeführt, ausreichend sein, um die Voraussetzung der Neuheit im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 zu erfüllen. Daher überschneiden sich, worauf die Beschwerdekammer in Randnr. 27 der angefochtenen Entscheidung hingewiesen hat, die Voraussetzungen der Neuheit und der Eigenart zu einem gewissen Grad.

40      Im vorliegenden Fall sind die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster nicht identisch im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002. Wie die Beschwerdekammer in Randnr. 25 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, zeichnen sich die älteren Geschmacksmuster durch die graduelle Entwicklung eines breiten Spektrums von Farben aus, deren Kombination und Intensität sich mit der Uhrzeit ändern, während das angegriffene Geschmacksmuster nur zwei einheitliche Schattierungen oder Farben zur Angabe von zwölf Uhr und sechs Uhr aufweist oder vier einheitliche Schattierungen in den Positionen zur Angabe der anderen Uhrzeiten, so dass sich in allen Fällen die Intensität der Schattierungen nicht ändert. Diese Details stellen aus objektiver Sichtweise und unabhängig von ihren Folgen für den beim informierten Benutzer hervorgerufenen Gesamteindruck wesentliche Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern dar, anhand deren die Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters beurteilt werden kann.

41      Dieses Ergebnis wird nicht durch das Vorbringen des Klägers entkräftet, wonach das oben in Randnr. 8 wiedergegebene Geschmacksmuster „Farbfolge (5/17)“ aus zwei nur zur Hälfte farbigen Scheiben zusammengesetzt sei, die daher das gleiche Ergebnis erzeugten wie die beiden Halbscheiben, aus denen das angegriffene Geschmacksmuster bestehe.

42      Die Unterschiede zwischen dem angegriffenen Geschmacksmuster und dem älteren Geschmacksmuster „Farbfolge (5/17)“ ergeben sich nämlich nicht aus der Tatsache, dass es sich bei den farbigen Scheiben, aus denen diese Geschmacksmuster jeweils bestehen, um Halbscheiben oder zur Hälfte farbige Vollscheiben handelt, sondern aus der Art und Weise ihrer Farbgebung. Wie aus dem in Randnr. 10 der angefochtenen Entscheidung zusammengefassten Abschnitt B.2 der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung hervorgeht, nimmt die Farbintensität bei den Scheiben der oben in Randnr. 8 wiedergegebenen älteren Geschmacksmuster „Farbfolge (5/17)“ und „Farbfolge II (89/100)“ im Uhrzeigersinn zu, während die Scheiben beim angegriffenen Geschmacksmuster einheitlich gefärbt sind. Außerdem enthalten diese beiden älteren Geschmacksmuster eine dritte Scheibe, die das angegriffene Geschmacksmuster nicht besitzt und die ebenfalls dazu beiträgt, eine andere optische Wirkung als die des angegriffenen Geschmacksmusters zu erzeugen. Wie aus den Abschnitten B.1 und B.2 der Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung und aus Randnr. 25 der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, weisen alle älteren Geschmacksmuster diese Merkmale auf, die zur graduellen Entwicklung eines breiten Spektrums von Farben führen, deren Kombination und Intensität sich mit der Uhrzeit ändern. Diese Entwicklung bildet das Charakteristikum der älteren Geschmacksmuster unabhängig davon, ob die farbigen Scheiben, die alle diese Geschmacksmuster enthalten, Halbscheiben oder zur Hälfte gefärbte Vollscheiben sind. 

43      Die Beschwerdekammer hat somit in Randnr. 25 der angefochtenen Entscheidung zutreffend die Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern beschrieben, die es ihr ermöglichten, die Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters zu beurteilen, und ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass es sich dabei um ein neues Geschmacksmuster handelt.

44      Der Kläger wirft der Beschwerdekammer vor, sie habe es bei ihrer Feststellung, dass die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster nicht identisch seien, im Rahmen der Beurteilung der Neuheit des angegriffenen Geschmacksmusters auf der Grundlage der oben in Randnr. 40 angeführten Merkmale versäumt, dessen oben in Randnr. 2 dargestellten Abbildungen 3.1 bis 3.7 mit einem der älteren Geschmacksmuster, nämlich der oben in Randnr. 5 in Farbe wiedergegebenen „Farbfolge II, 12 Stunden im 5-Minuten-Takt“, zu vergleichen, und dadurch einen Verfahrensfehler begangen. Nach Ansicht des Klägers ergibt sich aus dem Vergleich des angegriffenen Geschmacksmusters mit dem älteren Geschmacksmuster „Farbfolge II, 12 Stunden im 5-Minuten-Takt“, dass alle Zifferblattdarstellungen in allen Fällen nahezu die gleichen seien, denn der einzige Unterschied sei es, dass bei den älteren Geschmacksmustern die Farbübergänge etwas fließender stattfänden.

45      Aus Randnr. 25 der angefochtenen Entscheidung geht jedoch hervor, dass die Beschwerdekammer das angegriffene Geschmacksmuster mit dem oben in Randnr. 5 wiedergegebenen älteren Geschmacksmuster „Farbfolge II, 12 Stunden im 5-Minuten-Takt“ verglichen und bei diesem Vergleich alle Abbildungen des angegriffenen Geschmacksmusters berücksichtigt hat. Dieser Randnr. 25 der angefochtenen Entscheidung ist nämlich zu entnehmen, dass beim angegriffenen Geschmacksmuster „auf dem Zifferblatt um zwölf Uhr und um sechs Uhr zwei Schattierungen oder Farben“ und „zu allen anderen Uhrzeiten vier verschiedene Schattierungen sichtbar [seien]“. Weiter hat die Beschwerdekammer festgestellt, dass das ältere Geschmacksmuster durch eine von den Zeigern kontrollierte Bewegung ein breites Spektrum von Farben zu erzeugen vermöge, deren Kombination und Intensität sich mit der Uhrzeit änderten. Die Beschwerdekammer hat folglich zusammenfassend die unterschiedlichen Abbildungen des älteren Geschmacksmusters „Farbfolge II, 12 Stunden im 5-Minuten-Takt“, das als einziges die unmittelbare Beurteilung des Farbwechsels und der Intensität der Schattierungen im 5-Minuten-Takt ermöglichte, beschrieben und es dem angegriffenen Geschmacksmuster gegenübergestellt.

46      Darüber hinaus hat die Beschwerdekammer in Randnr. 25 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass sich in den älteren Geschmacksmustern in den Positionen von zwölf Uhr und sechs Uhr nicht zwei einheitliche Schattierungen oder Farben ergeben könnten, was einen erheblichen Unterschied zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern darstelle. Tatsächlich unterscheidet sich die Darstellung des Zifferblatts in der Zeigerstellung für zwölf Uhr bei dem angegriffenen Geschmacksmuster, die jeweils zur Hälfte einheitlich weiß und zur Hälfte einheitlich schwarz ist, von der ersten Abbildung links des oben in Randnr. 5 in Farbe wiedergegebenen älteren Geschmacksmusters „Farbfolge II, 12 Stunden im 5-Minuten-Takt“, das aus einer fließenden Kombination dunkler Farben mit Weiß besteht. Wie der Kläger selbst einräumt, kann das angegriffene Geschmacksmuster im Übrigen die Zeigerstellung für zwölf Uhr nicht mit dem gleichen Erscheinungsbild wie dem des älteren Geschmacksmusters „Farbfolge II, 12 Stunden im 5-Minuten-Takt“ erreichen. Entgegen dem Vortrag des Klägers unterscheidet sich zudem die Zeigerstellung für sechs Uhr des angegriffenen Geschmacksmusters, die aus zwei einheitlichen Grautönen besteht, von der siebten Abbildung links des älteren Geschmacksmusters „Farbfolge II, 12 Stunden im 5-Minuten-Takt“, die eine fließende Kombination von Rot- und Grüntönen mit mindestens vier verschiedenen Nuancen zeigt.

47      Nach alledem hat die Beschwerdekammer das angegriffene Geschmacksmuster mit dem oben in Randnr. 5 in Farbe wiedergegebenen älteren Geschmacksmuster „Farbfolge II, 12 Stunden im 5-Minuten-Takt“ verglichen und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Merkmale der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster erheblich unterscheiden.

48      Ferner macht der Kläger geltend, dass die Beschwerdekammer beim Vergleich der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster die Tatsache hätte berücksichtigen müssen, dass das angegriffene Geschmacksmuster in Schwarz-Weiß eingetragen worden sei, und dass sie deshalb zu dem Ergebnis hätte kommen müssen, dass die Farbe bei der Neuheit keine Rolle spielen könne.

49      Dieses Vorbringen ist als unerheblich zurückzuweisen. Wie oben in Randnr. 40 ausgeführt, hat die Beschwerdekammer ihre Beurteilung der Neuheit in Randnr. 27 der angefochtenen Entscheidung auf die Unterschiede gestützt, die sich bei der in Randnr. 25 der angefochtenen Entscheidung behandelten Prüfung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters ergaben. So stellte sie fest, dass die fließende Bewegung der Scheiben des älteren Geschmacksmusters ein breites Spektrum von Farben erzeugen könne, deren Kombination und Intensität sich mit der Uhrzeit änderten, während das angegriffene Geschmacksmuster nur zwei einheitliche Schattierungen oder Farben in den Positionen von zwölf Uhr und sechs Uhr aufweise oder vier einheitliche Schattierungen ohne Intensitätsänderung in den Positionen für die übrigen Uhrzeiten. Die Erwägungen der Beschwerdekammer beruhen also auf der Eignung der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster, ein gewisses, mehr oder weniger breites Farbspektrum sowie eine ständige Änderung der Nuancierung zu erzeugen, und nicht auf dem zwischen den Geschmacksmustern bestehenden farblichen Unterschied. Daher kann der Beschwerdekammer nicht vorgeworfen werden, sie habe im Rahmen der Beurteilung der Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern unberücksichtigt gelassen, dass das angegriffene Geschmacksmuster in Schwarz-Weiß eingetragen worden sei, und sie habe nicht festgestellt, dass die Farbe im vorliegenden Fall keine Rolle spiele.

50      Nach alledem ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer in Randnr. 27 der angefochtenen Entscheidung zutreffend festgestellt hat, dass die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster nicht als identisch im Sinne von Art. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 angesehen werden können.

51      Der erste Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

 Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen die Art. 4 und 6 in Verbindung mit Art. 25 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002

52      Zum einen ist der Kläger der Auffassung, dass die Beschwerdekammer den Begriff „Eigenart“ weniger eng hätte auslegen müssen und dass sie die Identität im von den Geschmacksmustern hervorgerufenen Gesamteindruck im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht mit der Identität oder der „Identität außer in unwesentlichen Einzelheiten“ im Sinne von Art. 5 der Verordnung hätte gleichsetzen dürfen. Zum anderen ist er der Ansicht, dass die Beschwerdekammer die zwischen den Geschmacksmustern bestehenden Farbunterschiede bei der Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters nicht hätte berücksichtigen dürfen.

53      Außerdem macht der Kläger geltend, dass die Beschwerdekammer in der angefochtenen Entscheidung nicht den beim informierten Benutzer durch die Geschmacksmuster hervorgerufenen Gesamteindruck geprüft, sondern sich auf die Feststellung beschränkt habe, dass bestimmte Unterschiede beim informierten Benutzer eine unterschiedliche Wahrnehmung herbeiführten.

54      Die Streithelferin trägt vor, dass der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers durch die technischen Vorgaben der sich bewegenden und überlagernden Farbfolien eingeschränkt sei, die zwangsläufig zu einem Zifferblatt gehörten, dessen Farben sich aufgrund der Bewegung der Uhrzeiger änderten. Daher reichten geringe Abweichungen, um die Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters zu begründen.

55      Gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002 ist die Eigenart eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters im Hinblick auf den von ihm beim informierten Benutzer hervorgerufenen Gesamteindruck zu beurteilen, der sich von dem Gesamteindruck unterscheiden muss, den ein anderes Geschmacksmuster, das der Öffentlichkeit vor dem Tag der Anmeldung zur Eintragung oder, wenn eine Priorität in Anspruch genommen wird, vor dem Prioritätstag zugänglich gemacht worden ist, bei diesem Benutzer hervorruft. Durch Art. 6 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 wird klargestellt, dass bei dieser Beurteilung der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers bei der Entwicklung des Geschmacksmusters zu berücksichtigen ist.

56      Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdekammer entgegen dem Vorbringen des Klägers die Identität in dem von den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern hervorgerufenen Gesamteindruck im Sinne von Art. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 nicht mit der Identität oder der „Identität außer in unwesentlichen Einzelheiten“ im Sinne von Art. 5 der Verordnung gleichgesetzt hat. Die Beschwerdekammer hat in Randnr. 25 der angefochtenen Entscheidung die zwischen den Geschmacksmustern bestehenden Unterschiede festgestellt, nämlich die Eignung der älteren Geschmacksmuster zur Erzeugung einer breiteren Farbkombination und einer Veränderung der Farbintensität, und in Randnr. 26 ihrer Entscheidung befunden, dass diese Unterschiede aus der Sicht des informierten Benutzers hinreichend bedeutsam seien, um einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorzurufen.

57      Aus der Rechtsprechung ergibt sich, dass dem informierten Benutzer eine besondere Wachsamkeit eigen ist und er über eine gewisse Kenntnis vom vorherigen Stand der Technik verfügt, d. h. vom Formenschatz der sich auf das fragliche Erzeugnis beziehenden Geschmacksmuster, die an dem Anmeldetag des angegriffenen Geschmacksmusters zugänglich waren (Urteile des Gerichts vom 18. März 2010, Grupo Promer Mon Graphic/HABM – PepsiCo [Wiedergabe eines runden Werbeträgers], T‑9/07, Slg. 2010, II‑981, Randnr. 62, und vom 9. September 2011, Kwang Yang Motor/HABM – Honda Giken Kogyo [Verbrennungsmotor], T‑11/08, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 23).

58      Die Benutzereigenschaft setzt voraus, dass der Betreffende das Produkt, das das Geschmacksmuster verkörpert, zu dem für dieses Produkt vorgesehenen Zweck benutzt (Urteile des Gerichts vom 22. Juni 2010, Shenzhen Taiden/HABM – Bosch Security Systems [Fernmeldegeräte], T‑153/08, Slg. 2010, II‑2517, Randnr. 46, und Verbrennungsmotor, Randnr. 24).

59      Außerdem setzt das Adjektiv „informiert“ voraus, dass der Benutzer, ohne ein Entwerfer oder technischer Sachverständiger zu sein, die verschiedenen Geschmacksmuster kennt, die es in dem betroffenen Wirtschaftsbereich gibt, dass er gewisse Kenntnisse in Bezug auf die Elemente besitzt, die diese Geschmacksmuster für gewöhnlich aufweisen, und dass er diese Produkte aufgrund seines Interesses an ihnen mit verhältnismäßig großer Aufmerksamkeit benutzt (Urteile Fernmeldegeräte, Randnr. 47, und Verbrennungsmotor, Randnr. 25).

60      Wie im vorliegenden Fall aus Randnr. 10 der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, nahm die Nichtigkeitsabteilung an, dass es sich bei dem informierten Benutzer um eine Person handelt, die mit Geschmacksmustern von Uhren vertraut ist. Diese Feststellung hat der Kläger vor der Beschwerdekammer nicht angegriffen. Nach der Rechtsprechung gehören die Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung sowie ihre Begründung zu dem Kontext, in dem die angefochtene Entscheidung erlassen wurde und der dem Kläger bekannt ist und es dem Richter ermöglicht, seine Rechtmäßigkeitskontrolle in Bezug auf die Richtigkeit der Beurteilung der Eigenart des fraglichen Geschmacksmusters in vollem Umfang auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 6. Oktober 2011, Industrias Francisco Ivars/HABM – Motive [Mechanisches Untersetzungsgetriebe], T‑246/10, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 20). Folglich ist davon auszugehen, dass die Beschwerdekammer ihrer Feststellung, dass die Unterschiede zwischen den Geschmacksmustern hinreichend bedeutsam seien, um einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorzurufen und daher dem angegriffenen Geschmacksmuster Eigenart zuzuerkennen, die Sichtweise des von der Nichtigkeitsabteilung beschriebenen informierten Benutzers zugrunde gelegt hat.

61      Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Beschwerdekammer nicht den zwischen den Geschmacksmustern bestehenden Farbunterschied berücksichtigt, um die Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters zu beurteilen. Wie oben in Randnr. 49 ausgeführt wurde, hat sich die Beschwerdekammer bei ihrer Beurteilung darauf gestützt, dass die fließende Bewegung der Scheiben des älteren Geschmacksmusters ein breites Spektrum von Farben erzeugen könne, deren Kombination und Intensität sich mit der Uhrzeit änderten, während das angegriffene Geschmacksmuster nur zwei einheitliche Schattierungen oder Farben in den Positionen von zwölf Uhr und sechs Uhr aufweise oder vier einheitliche Schattierungen ohne Intensitätsänderung in den Positionen für die übrigen Uhrzeiten. Die Erwägungen der Beschwerdekammer beruhen also auf der Eignung der einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster, ein gewisses, mehr oder weniger breites Farbspektrum sowie eine ständige Änderung der Nuancierung zu erzeugen, und nicht auf dem zwischen den Geschmacksmustern bestehenden farblichen Unterschied.

62      Selbst wenn dem Kläger darin zuzustimmen wäre, dass die Unterschiede zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern als gering anzusehen sind, würden sie vom informierten Benutzer leicht erkannt. Insoweit ist daran zu erinnern, dass bei der Beurteilung der Frage, ob ein Geschmacksmuster Eigenart besitzt, die Art des Erzeugnisses, bei dem das Geschmacksmuster benutzt oder in das es aufgenommen wird, und insbesondere der jeweilige Industriezweig zu berücksichtigen sind (Urteil Fernmeldegeräte, Randnr. 43). Da es im vorliegenden Fall um Uhrenzifferblätter und um Uhrzeiger geht, ist davon auszugehen, dass sie dazu bestimmt sind, sichtbar am Handgelenk getragen zu werden, und dass der informierte Benutzer ihrer Erscheinungsform besondere Aufmerksamkeit schenken wird. Er wird sie aufmerksam prüfen und daher, wie oben in Randnr. 56 ausgeführt, zu der Wahrnehmung in der Lage sein, dass die älteren Geschmacksmuster eine breitere Farbkombination als das angegriffene Geschmacksmuster und anders als dieses eine Veränderung der Farbintensität erzeugen. Da die Erscheinungsform dieser Erzeugnisse für den informierten Benutzer wichtig ist, wird er diese Unterschiede, selbst wenn sie nur gering wären, nicht für unbedeutend halten.

63      Demnach ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer zutreffend angenommen hat, dass sich die oben in Randnr. 56 dargestellten Unterschiede erheblich auf den Gesamteindruck auswirken, den die einander gegenüberstehenden Geschmacksmuster hervorrufen, so dass diese Geschmacksmuster aus der Sicht des informierten Benutzers einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervorrufen.

64      Weiter macht der Kläger geltend, dass es bei Geschmacksmustern von Uhrenzifferblättern eine nahezu unendliche Vielzahl von Darstellungsmöglichkeiten gebe und es daher dem Entwerfer des angegriffenen Geschmacksmusters möglich gewesen wäre, nicht die in den älteren Geschmacksmustern erstmals entwickelte schöpferische Idee wiederzugeben, nämlich die Zeitangabe in Form von Farbwechseln.

65      Die Beschwerdekammer hat in Randnr. 22 der angefochtenen Entscheidung darauf hingewiesen, dass der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers nur durch das Erfordernis eingeschränkt sei, der sich ändernden Uhrzeit zu folgen und diese anzuzeigen.

66      Auf eine vom Gericht in der mündlichen Verhandlung gestellte Frage hin hat die Streithelferin erläutert, dass sie mit ihren Ausführungen zum Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers, die ihrer Ansicht nach aus technischen Gründen eingeschränkt sei, der entsprechenden Beurteilung der Beschwerdekammer habe widersprechen wollen; dies ist im Sitzungsprotokoll vermerkt worden.

67      Da die Streithelferin im Hinblick auf die Frage obsiegt hat, ob zwischen den einander gegenüberstehenden Geschmacksmustern Ähnlichkeit besteht, wogegen sich die vorliegende Klage richtet, hat sie ein Interesse daran, gemäß Art. 134 § 2 Abs. 2 der Verfahrensordnung einen eigenständigen Antrag zu stellen, mit dem eine Abänderung der angefochtenen Entscheidung in Bezug auf den Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers begehrt wird, der bei der Beurteilung der Eigenart des angegriffenen Geschmacksmusters eine wichtige Rolle spielt (vgl. entsprechend Urteil des Gerichts vom 15. Oktober 2008, Powerserv Personalservice/HABM – Manpower [MANPOWER], T‑405/05, Slg. 2008, II‑2883, Randnr. 24). Diese Feststellung wird nicht durch den bloß formalen Umstand in Frage gestellt, dass die Streithelferin in ihren Schriftsätzen die Abänderung der angefochtenen Entscheidung nicht ausdrücklich beantragt hat (vgl. entsprechend Urteil des Gerichts vom 14. September 2011, Olive Line International/HABM – Knopf [O-live], T‑485/07, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 65).

68      Anders als die Streithelferin vorträgt, ist der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers im vorliegenden Fall jedoch nicht eingeschränkt. Wie oben aus Randnr. 3 hervorgeht, wurde das angegriffene Geschmacksmuster eingetragen zur Verwendung für „Uhrenzifferblätter, Uhrenzifferblätter (Teil von ˗), Skalen (Zeiger für ˗)“. Diese Beschreibung ist recht weit gefasst, weil sie keine Präzisierung in Bezug auf die Art der Uhren oder die Art und Weise, wie die Zeit angezeigt wird, enthält. Daher kann die Streithelferin nicht geltend machen, dass die Gestaltungsfreiheit des Entwerfers aus technischen Gründen eingeschränkt sei.

69      Folglich ist die Feststellung der Beschwerdekammer zu bestätigen, wonach der Grad der Gestaltungsfreiheit des Entwerfers nur durch das Erfordernis eingeschränkt ist, der sich ändernden Uhrzeit zu folgen und diese anzuzeigen.

70      Soweit der Kläger geltend macht, dass der Entwerfer des angegriffenen Geschmacksmusters nicht die schöpferische Idee der älteren Geschmacksmuster hätte wiedergeben dürfen, ist sein Vorbringen als unbegründet zurückzuweisen. Zwar sind die Möglichkeiten zur Gestaltung eines Uhrenzifferblatts praktisch grenzenlos und umfassen insbesondere diejenigen, die eine Änderung der Farbe oder Farben einschließen. Bestimmte Geschmacksmuster können eine komplexere Form aufweisen, so im Fall der älteren Geschmacksmuster, bei denen die Uhrzeit durch Farben oder Farbtöne dargestellt wird, die durch sich überlagernde einfarbige Scheiben oder Halbscheiben erzeugt werden, womit der Benutzer die Zeit anhand der Veränderung dieser Farben oder Farbschattierungen ablesen kann. Die Form der älteren Geschmacksmuster ist so gestaltet, dass die Farbintensität auf der Scheibe zu- oder abnimmt.

71      Das angegriffene Geschmacksmuster besteht aus einer wenig komplexen Form eines Uhrenzifferblatts, das seine Farbe ändert und das sich, wie oben in Randnr. 62 ausgeführt, aus der Sicht des informierten Benutzers durch wesentliche und nicht unbedeutende Elemente der Erscheinungsform der Zifferblätter von den älteren Geschmacksmustern unterscheidet. Es kann darum nicht als eine Wiedergabe der älteren Geschmacksmuster oder der schöpferischen Idee angesehen werden, die erstmals in diesen entwickelt worden wäre.

72      Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass das Geschmacksmusterrecht, wie aus den Art. 1 und 3 der Verordnung Nr. 6/2002 hervorgeht, grundsätzlich die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, nicht aber ausdrücklich die Ideen schützt, die für dessen Gestaltung entscheidend waren. Daher kann der Kläger nicht beanspruchen, auf der Grundlage der älteren Geschmacksmuster Schutz für die diesem zugrunde liegende Idee zu erlangen, nämlich die Idee eines Uhrenzifferblatts, von dem man anhand der Farben der Scheiben, aus denen es besteht, die Uhrzeit ablesen kann.

73      Nach alledem ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen.

 Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 25 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 6/2002

74      Nach Ansicht des Klägers hat die Beschwerdekammer nicht berücksichtigt, dass die älteren Geschmacksmuster ein nach dem deutschen Urheberrecht geschütztes Kunstwerk seien, dessen Hauptidee, nämlich die Darstellung der Zeit durch verschiedene Farben oder Schattierungen, in dem angegriffenen Geschmacksmuster unerlaubt verwendet worden sei.

75      Zudem sei das von einer Sachverständigen für die Werke Paul Heimbachs erstellte Gutachten, das aber für die Bestimmung des urheberrechtlichen Schutzumfangs relevant sei, von der Beschwerdekammer nicht berücksichtigt worden.

76      Insoweit ist zunächst festzustellen, dass das Gutachten, wie aus der Verwaltungsakte hervorgeht, nach der gesetzten Frist vorgelegt wurde und es daher Sache der Beschwerdekammer war, über seine Zulässigkeit zu befinden.

77      Weiter ist darauf hinzuweisen, dass es, wie oben in Randnr. 21 dargelegt, nicht Sache der Sachverständigen ist, eine rechtliche Beurteilung des Umfangs des durch das Urheberrecht gewährten Schutzes und einer Verletzung dieses Rechts vorzunehmen.

78      Somit hat die Beschwerdekammer zu Recht die in dem vom Kläger im Verwaltungsverfahren vorgelegten Gutachten enthaltenen rechtlichen Erwägungen unberücksichtigt gelassen.

79      Zu der vom Kläger geltend gemachten Verletzung des Urheberrechts an den älteren Kunstwerken ist festzustellen, dass gemäß Art. 25 Abs. 1 Buchst. f der Verordnung Nr. 6/2002 ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster für nichtig erklärt werden kann, wenn es eine unerlaubte Verwendung eines Werkes darstellt, das nach dem Urheberrecht eines Mitgliedstaats geschützt ist. Somit kann sich der Inhaber des Urheberrechts auf diesen Schutz berufen, wenn er nach dem Recht des Mitgliedstaats, das ihm diesen Schutz gewährt, diese Verwendung dieses Geschmacksmusters verbieten darf.

80      Der Kläger hat jedoch trotz der von ihm in Randnr. 39 der Klageschrift genannten nationalen Rechtsvorschriften im vorliegenden Fall keine Angaben zum Umfang des urheberrechtlichen Schutzes in Deutschland gemacht, so insbesondere nicht zu der Frage, ob der urheberrechtliche Schutz nach dem deutschem Recht die ohne Erlaubnis vorgenommene Reproduktion der den älteren Kunstwerken zugrunde liegenden Idee verböte, ohne dass dieser Schutz auf die Konfiguration oder die Ausgestaltung dieser Kunstwerke beschränkt wäre.

81      Wie die Beschwerdekammer in Randnr. 32 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, erstreckt sich der urheberrechtliche Schutz nach den internationalen Übereinkommen auf dem Gebiet des Urheberrechts, denen Deutschland als Vertragsstaat angehört, auf die Konfiguration oder die Ausgestaltung des Werks und nicht auf Ideen.

82      Nach alledem ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen und damit die vorliegende Klage abzuweisen.

 Kosten

83      Nach Art. 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Kläger unterlegen ist, sind ihm gemäß dem Antrag des HABM und der Streithelferin die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1.      Die Klage wird abgewiesen.

2.      Herr Erich Kastenholz trägt die Kosten.

Kanninen

Soldevila Fragoso

Popescu

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 6. Juni 2013.

Unterschriften


* Verfahrenssprache: Deutsch.